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3. "Globalisierung und "Europäisierung" als Herausforderungen der Sozialpolitik

Die vorstehend erwähnte Globalisierung als Schlagwort zur Bezeichnung des historischen Prozesses der Transnationalisierung des Wirtschaftsgeschehens und der zunehmenden weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung, die Arbeit und Kapital in einen globalen Wettbewerb treten läßt und deren Verursachung durch den technischen Fortschritt man nicht zuletzt am Bereich der Telekommunikation illustrieren kann, ist zu einer entscheidenden Determinanten der Wirtschaftspolitik geworden und verdient deshalb eine besondere Erwähnung.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Begriff " Globalisierung" [ Zu einem Überblick (allerdings allzu feuilletonistisch) Beck, U., Was ist Globalisierung?, München 1997; ergiebiger Münch, R., Globale Dynamik, lokale Lebenswelten. Der schwierige Weg in die Weltgesellschaft, Frankfurt/Main 1998; differenziert auch Menzel, U., Globalisierung versus Fragmentierung, Frankfurt/Main 1998.] sowohl in der politischen wie in der wissenschaftlichen Diskussion mit sehr unterschiedlichen Inhalten betrachtet wird. Zumeist bezeichnet man damit Ausweitung des Handels, Internationalisierung der Produktionsstandorte, Ausweitung des internationalen Kapitalverkehrs, Zunahme ausländischer Direktinvestitionen durch internationale Unternehmen sowie sonstige Formen grenzüberschreitenden Wirtschaftens, die weltweite Interdependenzen sowohl zwischen den Wirtschaftssubjekten als auch zwischen den Staaten schaffen, wobei diese Entwicklungen nicht zuletzt auf durch die neuen - und vor allem auch billigeren - Informationstechnologien ermöglichten wirtschaftlichen, politischen, kulturellen u.a. Austauschprozesse zurückzuführen sind.

Dementsprechend gibt es verschiedene Globalisierungsprozesse, nämlich

- Globalisierung von Finanzen und Kapitalbesitz. Deregulierung der Finanzmärkte, internationale Kapitalmobilität, Anstieg der Firmenverschmelzungen und -aufkäufe;

- Globalisierung der Märke und Marktstrategien: weltweite Integration der Geschäftsabläufe, globale strategische Allianzen,

- Globalisierung von Technologie und der damit verbundenen Forschung und Entwicklung bzw. des Wissens. Entstehung globaler Netzwerke innerhalb einer oder zwischen mehreren Firmen, Prozeß der "lean production" als Folge der Entwicklung von Informationstechnologien und Telekommunikation;

- Globalisierung von Lebensformen und Konsummustern sowie des kulturellen Lebens. Transfers vorherrschender Lebensweise; Angleichung des Konsumverhaltens; Rolle der Medien; Anwendung internationaler Regeln auf den Kulturaustausch;

- Globalisierung von Regulierungsmöglichkeiten politischer Steuerung. Reduzierung der Rolle nationaler Regierungen und Parlamente; (bisher wenig erfolgreiche) Versuche, Regeln und Institutionen für eine globale Steuerung zu schaffen;

- Globalisierung als politische Einigung der Welt. staatenzentrierte Analyse der Integration der Weltgesellschaften in ein globales wirtschaftlich-politisches System unter Leitung einer Zentralmacht;

- Globalisierung von Wahrnehmung und Bewußtsein: sozio-kulturelle Prozesse, die sich am "Eine Welt-Modell" der "globalistischen" Bewegung und/oder am "Weltbürgertum" orientieren. [ So etwa - zugleich stellvertretend für die kaum mehr überschaubare Vielfalt von Beschreibungen und Definitionen von Globalisierungsphänomenen - die Unterscheidung verschiedener Globalisierungskonzepte zum einen hinsichtlich unterschiedlicher Kategorien der Globalisierung und zum anderen anhand diesen zugewiesener Hauptelemente und - Prozesse: Die Gruppe von Lissabon, Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit, Neuwied 1997.]

Erwähnt sei schließlich auch an dieser Stelle auch die Überwindung des Ost-West-Konflikts, für den das Jahr 1989 "steht".

Allerdings sind die Vertiefung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und die Zunahme der internationalen Arbeitsteilung keineswegs neu. Neuartige Phänomene sind hingegen die Ausdehnung des Dienstleistungssektors und die Veränderung der Struktur der Kostenverteilung, die sich auf die Dimensionen Wissen und Arbeitskosten konzentrieren. Hinzu kommt in jüngster Zeit der rasche Zuwachs internationaler Kapitalbewegungen.

Dabei waren und sind Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung maßgebliche Strategien der so definierten Globalisierung, die ohne einen wesentlichen Anstieg der Arbeitsmigration die nationalen Arbeitsmärkte einem verschärften internationalen Wettbewerb aussetzt.

Diese ökonomischen Globalisierungsphänomene finden bislang auf juristischem Gebiet noch keine Entsprechung etwa in Gestalt einer sich herausbildenden "Globalisierung des Rechts" oder gar einer einem solchen Prozeß entsprechenden "Welt-Rechts–gemeinschaft". [ Vgl. zur Rolle des Rechts im Prozeß der Globalisierung Röhl, K., Die Rolle des Rechts im Prozeß der Globalisierung, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 17 (1996), 5. 1ff.] Auch im Hinblick auf die Diskussion dieser Entwicklung besteht in juristischer Hinsicht noch ein erheblicher Nachholbedarf.

In der Europäischen Gemeinschaft bat die Öffnung der nationalen Märkte für freien Güter-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehr im Rahmen der Schaffung des Binnenmarktes die beschleunigte und intensivierte Europäisierung als gleichsam regionalisierte Globalisierung der Wirtschaft ermöglicht. Letztendlich ist bereits die gesamte Nachkriegszeit von der Marktliberalisierung geprägt worden, weltweit von den Mechanismen multilateraler Verhandlungen und Abkommen, wie sie im GATT und heute in der WTO getroffen werden, bis regional in Europa hin zur Zollunion innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1968, dem Europäischen Binnenmarkt 1993 und der künftigen Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, ohne daß dieser sozial "blinde" Markt auf internationaler und auch supranationaler Ebene bisher gebunden und "gebändigt" würde durch soziales Recht und verbindliche soziale Wertvorstellungen. Durch die Schaffung der Währungsunion sollen Transaktionskosten (im Zusammenhang mit Währungsumtausch und Kurssicherung) eingespart werden, spekulative Kapitalbewegungen wegfallen, Wechselkursstabilität gewährleistet, Zinsaufschläge infolge von Wechselkursrisiken überflüssig gemacht und die Markttransparenz erhöht werden. Zugleich soll der Euro Bedeutung als internationale Verkehrs- und Reservewährung bekommen. Erhofft wird auch durch die gemeinsame Währung in einem gemeinsamen Markt ein nicht zuletzt auch beschäftigungswirksamer Investitions- und Wachstumsschub. Eine Einbuße an wirtschaftspolitischer Autonomie der Mitgliedstaaten mit Rückwirkungen auf Lohn- und Sozialpolitik ist der den Mitgliedstaaten dafür abverlangte Preis. Erhofft wird, daß der Abbau nationaler Schranken zum Schutz nicht wettbewerbsfähiger nationaler Marktteilnehmer zu niedrigeren Kosten und Preisen zugunsten der nationalen Verbraucher führt. Auf diesem Hintergrund soll die Wirtschafts- und Währungsunion auch verläßlichere Grundlagen für die Sozialpolitik schaffen. Die Gemeinschaftswährung wird überdies die Markttransparenz erhöhen und dadurch den Wettbewerb in der Gemeinschaft verstärken. Diese Entwicklung wird auch vor den Sozialleistungssystemen, die heute noch weitgehend "europafest" sind, nicht Halt machen. (Siehe dazu unten 5. und 6.)

Die zunehmende Privatisierung weiter Bereiche bisher staatlich bzw. öffentlich vorgenommener Aktivitäten ist aufgrund der Annahme erfolgt, daß die privaten Marktteilnehmer für eine bessere Allokation der vorhandenen Ressourcen im Interesse sowohl der Produzenten als auch der Verbraucher sorgen werden und private Finanzierung und private Investitionen auch der beste Weg sind, Fähigkeiten und Initiative der einzelnen zu mobilisieren. Zugleich wird der Markt als "demokratisches" Forum zur Artikulierung gesellschaftlicher Bedürfnisse und als optimales Medium zur Setzung von Prioritäten angesehen.

Die Deregulierung schließlich hat Liberalisierung und Privatisierung dadurch ermöglicht, daß die Rolle des Staates in der Wirtschaft reduziert, staatliche bzw. öffentliche Monopole eingeschränkt und staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen überhaupt eingegrenzt und begrenzt worden sind.

Der Hinweis auf die Wahrung bzw. Wiederherstellung von Wettbewerbsfähigkeit dient als zentrales Argument für die Entwicklung und Umsetzung der vorstehend genannten Strategien. Diese gesamte Entwicklung führt u.a. dazu, daß sich die nationalen Unternehmen und selbständigen nationalen Volkswirtschaften in einem vorher nie bekannten Ausmaß im internationalen Wettbewerb behaupten müssen. Dies gilt insbesondere für Länder wie Deutschland, die in sehr viel größerem Maße als etwa die konkurrierenden Wirtschaftsmächte Japan und USA vom Export und damit zugleich von dem Geschehen auf dem Weltmarkt abhängig sind, während die genannten anderen Länder über einen sehr viel größeren Binnenmarkt verfügen. Die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und die Einführung einer gemeinsamen Währung sind vor diesem Hintergrund wichtige Schritte hin zur Herstellung eines echten Europäischen Binnenmarktes und damit zugleich zur Angleichung der ökonomischen Ausgangsbedingungen und damit auch zu "noch mehr Markt".

Angesichts dieser wachsenden und wohl auch irreversiblen Weltmarkteinbindung und -verflechtung ist allerdings auch darauf hinzuweisen, daß es sowohl im Produktions- als auch im Dienstleistungsbereich natürlich nach wie vor weltmarktunabhängige und damit von der Globalisierung weniger betroffene Bereiche gibt und auch künftig geben wird, die lokal vorgehalten und erbracht werden müssen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998

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