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TEILDOKUMENT:


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Sind die Medien nur die vierte Gewalt?
Wer beeinflusst wen in der Mediendemokratie?
Prof. Dr. Hermann Meyn


Meine Damen und Herren! Das Thema heißt: „Sind die Medien nur die vierte Gewalt?„ Jeder Staatsrechtler und jeder, der schon mal von der Theorie der Gewaltenteilung des Herrn Montesquieu gehört hat, weiß, dass es drei Gewalten gibt, nämlich die Legislative, die Exekutive und die Judikative, und damit basta. Von einer vierten Gewalt ist in der Verfassung nicht die Rede – wohl aber in der Verfassungswirklichkeit.

Vielleicht ist es besser, weil der Begriff Gewalt so gewaltsam klingt, nicht von der vierten Gewalt zu sprechen, sondern von der vierten Macht. Diese vierte Macht wird den Medien zuerkannt nicht zuletzt deswegen, weil es die Medien sind, die zumindest Legislative, Exekutive und Judikative kontrollieren sollen, die in jedem Fall über die Aktivitäten dieser anderen Mächte informieren.

Ich will versuchen, in der nächsten halben Stunde die Frage zu beantworten, wie es um diese Macht steht, differenziert nach den Feldern, über die Journalisten, und damit die Medien, berichten. Ich denke, dass es da große Unterschiede gibt.

Ich gehe einmal ganz an den Anfang und sage: Die Presse, hauptsächlich privater Hörfunk und Fernsehen, aber auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind auf Werbung angewiesen. Werbung wird von Unternehmen gemacht. Nun stellt sich die Frage: Wie groß ist die Macht der Medien gegenüber Firmen, Wirtschaftsunternehmen, Aktiengesellschaften, von denen sie Werbung bekommen, von denen sie mitfinanziert werden?

Ich gebe mal ein ganz einfaches Beispiel. Ich war vor einiger Zeit mit meiner Frau hier in Bonn im Kaufhof im Restaurant. Wir tranken eine Mini-Flasche – ich betone das: Mini-Flasche – Wein gemeinsam. Die Wirkung war: Wir sahen Mäuse, keine weißen, sondern graue. Die Mäuse

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liefen im Restaurant herum, und es gab genügend Gäste, die sich um sie kümmerten, sie fütterten. Ich dachte, so ganz normal ist das ja nicht. Ich fragte die Chefin des Restaurants: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie Mäuse haben?„ - „Ja natürlich, aber ich kann sie ja nicht selber fangen!„ - „Was machen Sie denn dagegen?„ - „Wir haben Fallen aufgestellt hinter dem Vorhang.„ Auf die Frage, ob die Mäuse auch in der Küche seien, war die Antwort: „Nein, nein, die Ober haben Anweisung, wenn sie an der Schwingtür stoßen, dass sie darauf achten, dass unten keine Mäuse durchlaufen.„ Wir gaben uns zu erkennen, meine Frau und ich, wir sind Journalisten. „Was meinen Sie denn, wenn wir darüber schreiben würden, das ist doch ein hygienischer Missstand.„ Die Antwort war: „Klar, dann wird das Lokal geschlossen.„

Auf dem Nachhauseweg überlegten wir, ob das eine Geschichte ist oder nicht. Wir sind beide freie Journalisten. Ich rief den General-Anzeiger an, Lokalredaktion - dort kennt man mich zumindest vom Namen her - und erzählte die Geschichte aus dem Kaufhaus. „Nein, nein, also solche Geschichten, die machen wir schon lieber selber„, war die Antwort. Dann rief ich bei der Bonner Rundschau an. Und der Kollege sagte: „Oh, oh, oh, oh, Vorsicht, Vorsicht! Das ist Geschäftsschädigung, kann das sein.„ „Nee„, sage ich, „Herr Kollege, da liegen Sie falsch, nach dem Metzeler-Urteil des Bundesgerichtshofs geht die Pressefreiheit im konkreten Fall auch vor Geschäftsschädigung, denn die starke Kritik, die an den Metzeler-Reifen damals geübt wurde, landete als Prozess vor dem Bundesgerichtshof und der entschied: Ja, diese Kritik ist berechtigt, auch wenn sie zu Schaden führt.„

Wenn man nun beim General-Anzeiger nicht angekommen ist, auch nicht bei der Bonner Rundschau, was dann? In solchen Fällen hilft BILD. Wir riefen also bei der BILD-Zeitung an, Regionalausgabe. Ich erzählte die Geschichte von den Mäusen. Der Kollege dort meinte: „Ach, Mäuse im Restaurant, haufenweise, keine Geschichte.„ Ich erwiderte: „Aber in diesem Bonner Restaurant, da spielen die Gäste damit.„ „Oh, sagt er, das ist putzig, schreiben Sie, schreiben Sie.„ Dann fügte ich hinzu: „Es geht aber ja um einen großen Konzern, dem dieses Restaurant gehört.„ - „Aber BILD hat doch keine Angst vor Konzernen, nein, wir nennen Ross und Reiter.„

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Hermann Meyn bei seinem Vortrag

Also wir schrieben die Geschichte. Sie begann: „Im Bonner Kaufhof gibt es neuerdings im vierten Stock im Restaurant alles, auch lebende Mäuse zum Spielen.„ So fing die Geschichte an. Sie erschien auch in der BILD-Zeitung, nur in einer ganz kleinen Korrektur. Die Korrektur lautete: „In einem Bonner Warenhaus gibt es seit kurzem alles.„ Der Kaufhof wurde also nicht genannt.

Was hat das mit dem Thema zu tun? Ich behaupte, dass die vermeintliche oder auch tatsächliche Angst, dass man einen der besten Anzeigenkunden der Zeitungen vielleicht verärgern, vielleicht verlieren könnte, dazu geführt hat, dass die Geschichte abgelehnt wurde oder aber nur mit einer wesentlichen Kürzung, nämlich ohne „Ross und Reiter„ zu nennen, gedruckt wurde.

Das führt mich zu meiner ersten These, die lautet: Die Ökonomisierung vieler Medien in Deutschland schwächt ihre Kontrollmöglichkeiten gegenüber wirtschaftlich Mächtigen, die auch ihre Werbekunden sind. Insofern

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sind die Medien in diesem Fall nicht einmal die vierte Macht, geschweige denn die erste.

Nun könnten Sie sagen: Na ja, gut, das ist eine zufällige Begebenheit aus Bonn. Sie wollen offensichtlich hier in Bonn Ärger bereiten. Nein, will ich nicht. Deswegen zwei kleine weitere Beispiele:

Vor kurzem hat eine Fachzeitschrift nachgewiesen, dass die Telekom immer dann, wenn vorher kritisch über sie berichtet wurde, die Anzeigen nicht mehr geschaltet hat. Das galt für kritische Berichterstattung im Spiegel, in der Wirtschaftswoche, im Focus und – man höre und staune, ich wusste gar nicht, dass da kritische Berichterstattung stattfindet – in einem Magazin von RTL.

Natürlich ist der Autor dieses Beitrages auch bei der Telekom vorstellig geworden und hat gefragt, ob das eine mit dem anderen etwas zu tun hätte. Und die haben gesagt: „Natürlich überhaupt nicht. So was nennt man bei uns variable Mediaplanung. Also Zusammenhänge existieren nicht.„

Da gibt es noch ein anderes Beispiel, nicht auf dem Werbesektor, aber auf dem Sektor der Belieferung von Freiexemplaren für die Lufthansa. Die Süddeutsche Zeitung hatte mehrere kritische Artikel über die Lufthansa geschrieben. Und die Lufthansa kündigte daraufhin 1.000 und mehr Exemplare der Süddeutschen Zeitung, die in Flugzeugen der Lufthansa kostenlos an Kunden verteilt werden. Daraufhin haben Journalisten bei der Lufthansa nachgefragt und gesagt: „Wie kommt denn das? Kann das mit dem kritischen Bericht zusammenhängen?„ Natürlich hat die Lufthansa das aufs Schärfste dementiert und gesagt: „Also solche Zusammenhänge, also das kann nur ganz wilden Journalistengehirnen entspringen. Das hat nichts mit der Realität zu tun.„

Ich bleibe da skeptisch. Ich kann den Zusammenhang nicht nachweisen. Es kann variable Mediaplanung sein. Aber ich habe doch einen starken Verdacht, dass Zusammenhänge bestehen. Und diesen Zusammenhang wollte ich auch mit meinem Beispiel von den Mäusen hier klarmachen.

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Dies war das Feld der Berichterstattung über wirtschaftliche Unternehmen, die gleichzeitig Inserenten sind. Ein anderes Feld ist die Affärenberichterstattung. Sie wissen, dass es vor einiger Zeit zwei große Affären gab. Die sind nicht ganz vergleichbar, aber sie wurden zur gleichen Zeit behandelt. Das eine war die Spendenaffäre der CDU. Und das andere war die Flugzeug- oder die Fliegeraffäre von Politikern aus Nordrhein-Westfalen mit den Flugzeugen der WestLB. Damals fand in der Tat eine breite Berichterstattung statt. Vom November 1999 bis zum Frühjahr 2000 erschienen allein in der Süddeutschen Zeitung 110 Beiträge zur Spendenaffäre von Hans Leyendecker. Und in den vier großen überregionalen Tageszeitungen fanden sich in dieser Zeit an die 1.000 Beiträge. Bei diesen 1.000 Beiträgen dieser vier überregionalen Tageszeitungen – ich meine die Süddeutsche, die Frankfurter Allgemeine, die Frankfurter Rundschau und die Welt – fiel das eine auf: Die alten publizistischen Lager brachen auseinander.

Wir kennen sonst das publizistische Lager Springer, vielleicht noch FAZ, und das andere Lager Frankfurter Rundschau und Süddeutsche Zeitung. In diesem Fall waren sich alle einig darin, dass nachgebohrt werden müsste, um die Spendenaffäre im Einzelnen aufzudecken. Dass dabei auch Politiker der CDU geholfen haben, das wurde erst später klar, als sich die Lager nach der Aufspaltung wieder zusammenfanden. Da fand bei FAZ und Springer dann ein Sich-Wieder-Finden statt, um sich wieder etwas stärker um einen bestimmten Politiker zu scharen, ihm Rückendeckung zu geben.

Diese rückhaltlose, über Wochen gehende Aufklärungsarbeit in erster Linie der Printmedien führte zu politischen Konsequenzen. In diesem Fall kann ich meine Ausgangsfrage – Wie ist das mit der Macht der Medien? – positiv beantworten. Ja, in der Affärenberichterstattung hatten die Medien Macht, und diese Macht haben sie auch verantwortungsvoll genutzt zum Segen der Demokratie.

Zur Affärenberichterstattung der elektronischen Medien ist etwas anderes anzumerken. Sie fand zwar statt, es ging aber doch mehr darum – gerade im Fernsehen – Politikern eine Plattform zu bieten. Hier wurde nicht enthüllt, sondern das Fernsehen übte eine Forumsfunktion aus. In zwei Fällen wurde das Medium Fernsehen geradezu zum Beichtstuhl, zum Beichtstuhl

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für Kohl in einem Interview, und zum Beichtstuhl für Schäuble in einem anderen. Dennoch, insgesamt war hier die Macht der Medien durchaus feststellbar.

Natürlich darf man mit dem Lob nicht zu weit gehen. Das ist bei einem ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes immer die Gefahr. Ich muss auch ein bisschen selbstkritisch sein, also selbstkritisch mit Journalisten umgehen. Bei diesen Enthüllungen, da gab es natürlich auch Übertreibungen, Kleinigkeiten, die zu Staatsaffären hochgeschrieben wurden oder hochgefilmt wurden, und es gab totale Aussetzer.

Ein Aussetzer ist bekannt geworden. Wegen der Flugaffäre rief eine Journalistin im Bundespräsidialamt an und wollte wissen, wie sich Johannes Rau denn als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident in diesem oder jenem Fall verhalten habe. Der Pressereferent im Bundespräsidialamt las einen Text vor. Da meinte die Journalistin: „Oh, das ist aber interessant. Können Sie das nicht mal aufs Fax legen„. Ihr wurde der Text gefaxt. Es war der Artikel 38 des Grundgesetzes, der von der Unabhängigkeit der Parlamentarier handelt. Was ich damit sagen will: Es gab schon Recherche, aber sie fand nicht immer auf der Grundlage profunder Kenntnisse statt.

Ich komme hiermit zur zweiten These: Zeitungen, Nachrichtenmagazine, Hörfunk und Fernsehveranstalter haben sich bei der Aufdeckung von Affären bewährt, das bedeutet, sie hatten in diesem Fall Macht.

Ich gehe zu einem anderen Sektor über, zur Kriegsberichterstattung. Kriegsberichterstattung ist für Medien immer eine ungeheure Herausforderung, eine Bewährungsprobe. Nach dem Golfkrieg hatten die Medien – oder genauer gesagt, die Journalisten – erkannt, dass sie instrumentalisiert worden waren. Damals schworen sich viele, das soll uns nicht ein zweites Mal passieren.

Es kam der Kosovo-Krieg. In diesem Krieg war, bevor er überhaupt begann, die Gleichschaltung der Medien in Belgrad perfekt. Serbischen Quellen, dem serbischen Staatsfernsehen war nur noch zu entnehmen, was im Sinne von Miloševic war, also eine zensierte Berichterstattung,

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Desinformationspolitik. Aber die Informationspolitik von Jamie Shea, dem Pressesprecher der Nato in Brüssel, war nicht völlig anders. Auch hier wurden viele Meldungen zur Desinformation nicht nur des Publikums, sondern auch zur Desorientierung des Gegners in die Öffentlichkeit gegeben, die sich später als falsch erwiesen. Es wurden – das gehört zum Krieg, das gehört zur psychologischen Kriegsführung – Gräuelmärchen verbreitet. Das hat es in allen Kriegen gegeben, auch im Kosovo-Krieg. Gleich zu Anfang behauptete die NATO, viele Lehrer seien vor den Augen ihrer Schüler von Serben erschossen worden. Eine andere Meldung war, die Elite der Kosovo-Albaner sei von Serben umgebracht worden. Wenige Tage später meldeten sich die angeblich Umgebrachten bei einer Pressekonferenz in London. Also Gräuelmärchen. Als man dies wiederholt erkannt hatte, wurden die Journalisten skeptischer.

In diesem Zusammenhang will ich auch deutsche Politiker nicht ganz von dem Vorwurf von Falschmeldungen ausnehmen. Rudolf Scharping sprach von Konzentrationslagern. Mit Konzentrationslagern assoziieren wir in Deutschland doch eher Lager, in denen Menschen vernichtet wurden als Lager, in denen Menschen geschützt werden. Einige Tage, nach Scharpings Mitteilung dass Kosovo-Albaner in Konzentrationslagern untergebracht seien, verkündete BILD eine Schlagzeile mit einem Foto: Sie treiben sie ins KZ. Gemeint waren Serben, die Kosovo-Albaner ins KZ trieben. In Wirklichkeit waren diese Kosovo-Albaner auf der Flucht.

Man sieht, Boulevard-Zeitungen übertreiben immer, leben von der Übertreibung. Aber in diesem Kosovo-Krieg ist die Wahrheit häufig nicht ans Licht gekommen, sondern Journalisten haben sich wieder einmal mehr instrumentalisieren lassen. Es kam wieder der Schwur, jetzt soll es anders werden.

Jetzt haben wir einen Krieg gegen den Terrorismus. Ich weiß den Mut von Journalisten hoch zu schätzen, ihre Neugier, ihr Ethos, die Menschheit zu informieren, zumal die Neugier, die Suche nach Bildern in Kriegszeiten seitens des Publikums auch sehr groß ist. Man muss hier die Informationspflicht und die Informationsverantwortung auf der einen Seite sehen, auf der anderen Seite aber die unsichere Quellenlage. Ich meine beobachtet zu haben, dass im Fernsehen die Zahl der Beiträge gewachsen ist,

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die von den Korrespondenten mit dem Hinweis versehen wurden: „die Quellenlage ist unsicher„ oder „nach unbestätigten Meldungen„ oder „nach Angaben von dem und dem„ oder „nach einzelnen Beobachtungen„ und dann kommt der Text. Das Publikum, wenn es genau hinhört oder genau hinsieht, wäre zumindest von den Korrespondenten gewarnt, die sagen, wir haben nicht die volle Wahrheit, wir kommen an viele Informationen gar nicht ran, wir geben dies alles mit Vorbehalt wieder, aber wir können Euch nicht einen schwarzen Bildschirm zeigen. Aber wir haben in diesem Krieg auch schon erlebt, dass aus Washington Meldungen, Erfolgsmeldungen kamen, die sich nachher als falsch erwiesen.

Es gibt noch eine weitere Unsicherheit. Beide Kriegsparteien versuchen natürlich, den Gegner zu beeindrucken und ihn zu beschuldigen. Deswegen kommen von der einen Seite die Berichte, die Zivilbevölkerung werde vernichtet, und von der anderen Seite die Aussage, nein, es geht nicht um die Zivilbevölkerung, sondern es geht um militärische Einsätze. Die Wahrheit ist vermutlich irgendwo in der Mitte. Hier muss man aufpassen, dass Journalisten nicht zu Instrumenten der Kriegführenden werden, sondern dass sie immer wieder darauf hinweisen, wie unsicher die Nachrichtenlage ist.

Zurück zum Thema: Wie ist das mit der Macht der Medien im Krieg? Ja, sie haben eine sehr starke Macht, sie haben eine sehr starke Macht im Verbreiten von Fakten, aber auch im Verbreiten von Desinformationen. Beides ist eng miteinander verbunden.

Kriegsberichte sind der Höhepunkt der Krisen- und Katastrophenberichterstattung. Da müssen sich Journalisten immer wieder bewähren. Wir hatten die Berichterstattung über Seuchen. Ich will die Gefährlichkeit von Seuchen nicht herunter stilisieren. Ich kenne sie in den letzten Einzelheiten nicht. Aber wir hatten doch bei der Maul- und Klauenseuche und bei der BSE-Seuche zeitweilig den Eindruck, als ob jetzt der Untergang des Abendlandes kurz bevorsteht. Es war so: Beide Seuchen greifen auf die Menschheit über; es wurden immer neue Fälle gezeigt; sie kamen immer näher, auch geographisch gesehen. Das hatte Wirkungen auf die Politik; da mussten Minister gehen. Das hatte aber auch Einfluss auf die Ver-

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braucher, die von der Fleischtheke Abstand nahmen. Was man aber hier den Journalisten vorwerfen muss, ist, dass sie sich zum Teil weniger als Aufklärer denn als Panikmacher betrachtet haben, denn Katastrophen und Krisen bringen Quote, Einschaltquote, erhöhen die Auflagen. Und dies kann gerade bei Krisen und Katastrophen auch ein Motiv sein, sie größer zu machen als sie vielleicht sind, womit ich nicht missverstanden werden will: Schlimm genug, dass wir solche Seuchen hier hatten. Was wir aber bis heute nicht wissen, ist beispielsweise in Bezug auf die BSE-Seuche: Wie ist das eigentlich mit dem Übertragungsweg? Uns wurden damals scheußliche Bilder gezeigt vom Tiermehl, wie es produziert wurde und wie es verfüttert wird. Bis heute ist es wissenschaftlich nicht erwiesen, ob Tiermehl der Übertragungsweg ist. Ich weiß es auch nicht. Ich kann auch nicht in Abrede stellen, dass es so ist. Aber eine wissenschaftlich gesicherte Wahrheit ist darüber bis heute nicht herausgekommen. Da waren die Journalisten offensichtlich nicht hartnäckig genug, um die Wissenschaftler immer wieder zu fragen.

Nun will ich die Schuld noch ein bisschen verlagern. Es gibt auch Wissenschaftler, die sich irren. Es gibt auch Wissenschaftler, die einzelne Beobachtungen zu einer allgemeinen These verdichten und diese allgemeine These gilt dann für alle. Es kann aber auch sein, dass Katastrophenberichterstattung gerade im gesundheitlichen Bereich damit zusammenhängt, dass ein Wissenschaftler auf sich aufmerksam machen möchte, weil er vielleicht Geld für neue Forschungsprojekte braucht – das ist jetzt eine ganz finstere Unterstellung –, dass es solche Motive auch geben kann und auf diese Art und Weise eine Berichterstattung zusammengebraut wird, die mit der Wirklichkeit nur sehr wenig zu tun hat.

Ich formuliere jetzt die dritte und vierte These. Die dritte: Im Golf- und Kosovo-Krieg ließen sich Journalisten durch Militärsprecher und Politiker instrumentalisieren. Korrespondenten haben offensichtlich aus Fehlern gelernt, wie der Kampf gegen den Terrorismus belegt.

Die vierte These, die ich eben schon erläutert habe: Die Berichterstattung über Katastrophen beweist die Macht der Medien. Weil sich Angst gut verkauft, entwickeln Medien gelegentlich Horrorszenarien, die sowohl die Auflagen wie die Einschaltquoten steigern.

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Nun kommt etwas Mutiges von mir. Bislang war das ja alles ungefährlich in diesem Raum. Es sitzt jemand in diesem Raum, der eine neue These zu alldem entwickelt hat und der eng mit der Ebert-Stiftung verbunden ist, dennoch wage ich die These zu formulieren.

Der Dortmunder Politikwissenschaftler Thomas Meyer hat die These von der Kolonisierung der Politik durch die Medien entwickelt. Er meint damit, dass auf der einen Seite die mächtigen Medien sind, mächtige Journalisten, und auf der anderen Seite diese machtlosen Politiker. Und die Politiker müssen sich den Bedingungen der Medien anpassen. Sie müssen also erst mal kurz und knapp sein. Sie müssen etwas Neues bieten, müssen, wie das so neudeutsch heißt, nach Möglichkeit einen Event veranstalten, etwas Außergewöhnliches. Sie müssen selbstverständlich nicht der Norm entsprechen und nicht langweilen, sie müssen amüsant sein, also, mit anderen Worten, eine nicht erwartete Scheidung bekannt geben oder Ähnliches. Das hat Quote. So kommt man in die Medien rein. Und – so Professor Meyer weiter – auf diese Art und Weise hat man dann eben auch die Chance, beispielsweise an die Spitze der Tagesschau zu kommen oder durch BILD beachtet zu werden. Sein Buch ist zu ausführlich, als dass ich es hier vollständig vortragen kann. Das kann er dann nachher in der Podiumsdiskussion nachholen. Und er wird mir auch nachweisen, dass ich natürlich nur Ausschnitte seines Buches geliefert habe, das ich im Übrigen in der Generalthese natürlich nicht für völlig abwegig halte. Ich halte das Buch auch insgesamt für eine ungeheuer spannende und anregende Lektüre. Herr Kollege Meyer, mehr Reklame kann ich jetzt nicht machen.

Es ist spannend, dieses Buch zu lesen, aber ich muss ein paar Anmerkungen machen zu dieser Kernthese: Hier die Politiker, dort die Medien.

Ich denke, dass beide nicht als geschlossene Blöcke angesehen werden können. Gerade bei den Journalisten, bei den Medien gibt es eine ungeheure Vielfalt und Vielzahl. Wenn ein Politiker beispielsweise beim Spiegel nicht ankommt, dann hat er es vielleicht sehr leicht, beim Focus berücksichtigt zu werden. So gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungsmöglichkeiten.

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Gut, die Barriere der Tagesschau kann ich als Politiker nicht mit jedem Satz überspringen. Da muss ich schon etwas Besonderes zu bieten haben oder sein.

Und das ist meine zweite Einschränkung dieser These. Ich behaupte: Prominenz hat kein Problem mit der Präsenz in Medien.

Nehmen Sie den Bundeskanzler. Er braucht ja nur aus der Tür zu gehen, da sind schon 20 Bildjournalisten, Fotografen um ihn herum. Von morgens bis abends wird registriert, was dieser Kanzler tut. Das war bei jedem Kanzler so. Aber dieser Kanzler kann auch noch besonders gut mit den Medien umgehen. Er ist beliebt bei Journalisten. Und von daher ist er derjenige, der Journalisten gelegentlich mal zähmen könnte und auch kann und sich ihnen verweigert. Es ist nicht so, dass er sich den Medien anpassen muss – in gar keiner Weise.

Bezogen auf meine Fragestellung mit der Macht der Medien meine ich, kann man nicht einseitig, wie Thomas Meyer es macht, im Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern den Medien die Macht zuschreiben, sondern Politiker haben auch Macht. Sie haben die Macht der Präsenz, wenn sie prominent sind. Sie haben aber noch andere Pfeile im Köcher. Sie haben die Möglichkeit, sich politischen Magazinen einfach zu verweigern, was sie in letzter Zeit häufiger gemacht haben, wahrscheinlich nicht aufgrund der guten Erfahrungen, die sie mit denen gemacht haben. Es gibt das andere Instrument, die PR- und Pressearbeit, die ja von der Politik gemacht wird. Pressestellen sind überall vergrößert worden. Sie wurden auch professioneller. Meldungen, die von dort kommen, müssen viele Redaktionen gar nicht mehr bearbeiten. Die sind so gut wie die Zeitung selbst ist. Und von daher ist es eine ganz bequeme Sache, solche Meldungen schnell zu übernehmen. Sie stammen aus Ministerien und von anderen Pressestellen. Mit anderen Worten: Hier muss man sich nicht – hier muss sich auch der Politiker nicht – den Medien unterwerfen. Der Politiker hat dagegen häufig die Möglichkeit, durch seine Arbeit die Medien zu beeinflussen.

Es gibt noch ein anderes Feld, auf dem Politiker Journalisten haushoch überlegen sind. Das ist das Feld der so genannten Hintergrundgespräche.

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Da laden Politiker Journalisten ein, um sie zu informieren. Sie sagen die Informationen seien nur für den Hinterkopf, erwarten aber insgeheim doch, dass das eine oder andere in den Medien erscheint, ohne dass die Quelle genannt wird.

Es gibt eine Anekdote über den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel, der häufig zu Hintergrundgesprächen einlud. Er wurde einmal darauf angesprochen: „Also Sie machen da immer Hintergrundgespräche. Sie sind doch eigentlich Bundespräsident. Sie haben doch andere Aufgaben als sich ständig mit den Journalisten so hintergründig zu unterhalten. Was soll das?„ – „Natürlich will ich etwas bezwecken„, sagte er, „sonst könnte ich mich auch mit der Bonner Müllabfuhr unterhalten.„

Mit anderen Worten: Hintergrundgespräche sollen aus der Sicht des Politikers etwas bewirken. Auch hier ist der Journalist häufig am Scheideweg. Ja, ist das jetzt so ein Versuchsballon, den der da steigen lässt? Und soll ich darauf einsteigen? Hat ja eigentlich gesagt, ist für den Hinterkopf. Ja, kann ich das denn im nächsten Kommentar verwenden?

Manchmal üben Politiker in solchen Hintergrundgesprächen ein wunderbares Verwirrspiel. Sie fangen an: „Meine Damen und Herren, das ist hier ein Hintergrundgespräch, es gibt auch ordentlich etwas zu essen und zu trinken. Ich erzähle Ihnen mal ein bisschen aus dem Nähkästchen, nicht zur Veröffentlichung bestimmt.„ Dann redet der eine Viertelstunde und sagt danach: „Was ich jetzt sage, das können Sie ruhig schreiben.„ Er hört gar nicht auf. Irgendwann sagt er mal wieder, ganz unpräzise: „Also dies jetzt bitte nicht, dieser Satz nicht„, gleich aber beim nächsten Satz: „Das ist eigentlich zur Veröffentlichung frei„ Ein Verwirrspiel, das man beherrschen muss. Das beherrschen aber die Politiker.

Auf diese Art und Weise passiert – Kollege Meyer, ich drehe jetzt Ihre These um – auf diese Weise kolonisieren, um Ihren Ausdruck aufzugreifen, Politiker Journalisten, also machen sie in irgendeiner Weise abhängig, führen sie auf jeden Fall ein wenig an der Nase herum.

Ich will nicht zu lang werden und von meinen Großtaten erzählen, die ich in einer kurzen Zeit als Sprecher des Berliner Senats, also einer Landes-

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regierung, hatte. Es war üblich, dass der Regierende Bürgermeister die Schutzmächte besuchte, also auch einen Besuch in Washington im State Department machte. Damals war Alexander Haig Außenminister. Ich hatte also hinter mir im Rücken 20 Berliner Journalisten, die natürlich immer wissen wollten, was los ist. Auf dem Programm stand ein Gespräch von 20 Minuten: Regierender Bürgermeister Stobbe mit dem amerikanischen Außenminister. Ich wurde schon ein paar Mal vorher gefragt: „Worum geht es denn da?„ Sage ich: „Kann ich Ihnen doch jetzt noch nicht sagen. Er muss doch erst das Gespräch führen.„ Die 20 Journalisten kamen mit ins State Department und standen vor der Tür.

Stobbe und ich gingen hinein. Da war das erste Vorzimmer. Es passierte überhaupt nichts. Wir warteten eine Viertelstunde. Ja, Mensch, also was ist denn das? Dann ging die Tür auf zum zweiten Vorzimmer. Wir warteten noch mal eine Viertelstunde. Also höflich ist das nicht. Er ist ja auch der Außenminister einer Weltmacht, der hat natürlich andere Dinge zu tun als sich um dieses kleine Berlin zu kümmern, obwohl Berlin immer noch Symbolcharakter hatte. Und dann, auf einmal im dritten Zimmer kam er schnurstracks auf den Regierenden Bürgermeister zu, noch im Stehen sagte er: „Also ich freue mich, dass ich Sie hier treffe. Gibt es in Berlin etwas Neues?„ Stobbe sagt: „Nein, nein, so viel nicht.„ „Ja„, sagte er, „also die Berlin-Garantien, die stimmen. I wish you a nice day.„ So, das Ganze dauerte – ich habe nicht genau geguckt – vielleicht 20, 30 Sekunden. Das war also dieses 20-Minuten-Gespräch.

Jetzt sollten wir rauskommen. Da waren all die Journalisten. Ich sagte zu Stobbe: „Du, lass uns hier doch noch eine halbe Stunde bleiben.„ Wir blieben also im Vorzimmer, in dem zweiten. Nach einer Stunde kamen wir raus. Und die Berliner Journalisten: „Was war denn los? Ist denn da irgendwas – auf den Verbindungswegen – also kann denn da – oder droht etwas aus dem Osten?„ Stobbe sagte: „Das mach Du mal mit denen.„ Ich habe nicht gelogen, aber auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich habe gesagt: „Der amerikanische Außenminister hat noch einmal die Berlin-Garantien bekräftigt.„ Das war zu wenig. Das kann ja nicht eine Stunde dauern. Ich sage: „Die eine Berlin-Garantie, die bezieht sich ja„ – darüber hatten diese Journalisten bestimmt 100-mal schon geschrieben – „die eine Berlin-Garantie„ – machte das ein bisschen

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bedeutungsschwer – „die bezieht sich ja auf den Zugang.„ Ja, und der eine Journalist war immer so ein hektischer: „Ja, ist da was los?„ Der wollte schon ans Telefon gehen. „Nein, nein„, sage ich, „Herr Müller, so weit kann ich gehen in der Enthüllung. Herr Müller, bleiben Sie ruhig noch einen Moment. Da ist noch nichts auf den Verbindungswegen los.„ „Noch nicht?„ „Nein„, sage ich, „da ist – das bezieht sich auf die Garantie, die beinhaltet ja Folgendes„, dann habe ich diese Berlin-Garantie für den Zugang erläutert und habe als nächstes die Garantie zur Überlebensfähigkeit oder Lebensfähigkeit Berlins erläutert, bis ins Einzelne, auch gesagt, was also nicht mehr garantiert wird, aber was garantiert wird – uralte Hüte. Aber die Neuigkeit war ja, dass Haig die Garantien in einem einstündigen Gespräch – das habe ich nicht gesagt, die haben ja draußen gestoppt – dem Regierenden Bürgermeister noch einmal bekräftigt hat.

Nachdem ich den Journalisten alles erläutert hatte fragte mich Stobbe: „Was hast Du denen erzählt? So lange war das doch gar nicht.„ „Ja„, sage ich, „habe die Garantien erläutert.„ „Die kennen die doch.„ „Na ja„, sage ich, „werden wir mal sehen.„ Am nächsten Tag – das hat ein Pressesprecher gerne – gab es wunderbare Schlagzeilen, Vier- und Fünfspalter in den Berliner Zeitungen, dass die USA, der Außenminister, in einem ausführlichen Gespräch bis in die letzten Einzelheiten die Berlin-Garantien, bekräftigt hätten. Also wunderbar! Als man mich danach fragte, wie denn die Beziehungen zwischen dem Außenminister und dem Regierenden Bürgermeister gewesen seien, sagte ich: „Ausgezeichnet, das können Sie sich doch ausmalen.„

Sie könnten jetzt sagen, so werden eben Journalisten an der Nase herumgeführt, aber nicht alle fallen auf diesen Trick herein. Wäre ich als Senatssprecher vor die Tür gegangen und hätte gesagt: „Den Regierenden Bürgermeister 40 Minuten warten zu lassen und dann im Stehen in 20 Sekunden abzufertigen, ist ein Affront. Man hat den Eindruck, als ob die Amerikaner nicht mehr so zu Berlin stehen wie bisher, wenn mit dem obersten Repräsentanten der Stadt so umgegangen wird.„ Es wäre ein katastrophales Echo gewesen, das über viele Zeiten nicht wieder wegzubekommen gewesen wäre. Ich nehme an, dass Sie mir zustimmen, dass ich dies nicht machen konnte. Ich habe also nicht aus Jux und Tollerei

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Journalisten in dem Glauben gelassen, dass dies ein einstündiges Gespräch war. Ich denke, ein solches Medienecho war auch im Interesse der Stadt.

Ich habe Ihnen jetzt sehr ausführlich etwas über Hintergrundgespräche erzählt und habe daraus abgeleitet, dass auch in diesem Fall die Journalisten eigentlich nicht die Mächtigen sind, sondern eher die politisch handelnden Akteure.

Ich komme nun zu meiner Schlussthese. Die will ich auch gar nicht mehr erläutern: Die Medien der Bundesrepublik sind auf manchen Feldern eine vierte, zuweilen sogar eine erste Macht. Ihre Macht reicht aber insgesamt nicht aus, um die Politiker zu beherrschen und damit die Politik zu bestimmen. Das bilden sich manchmal einige Journalisten ein, weil sie Mitwisser sind, auch zu Mitgestaltern werden. Das ist eine Annahme, die sich in der Realität als falsch erweist.

Wenn es nämlich so wäre, wenn dies in der Mediokratie, wie der Kollege Meyer unsere Mediengesellschaft nennt, wenn in der Mediendemokratie dies so wäre, dass die Journalisten, dass die Medien die Politik bestimmten, so wäre dies system- und demokratiewidrig. Das darf nicht sein. Ich bin auch der Meinung, es ist nicht so.

Da ich immer von Medien gesprochen habe, muss ich zum Schluss noch eine Differenzierung machen. Wenn ich ein Medium habe, sind auf der einen Seite die Besitzer/die Eigentümer, und auf der anderen Seite die Journalisten. Journalisten sind natürlich von den Eigentümern abhängig.

Dafür gibt es ein aktuelles Beispiel. Es geht – das will ich nicht im Einzelnen erörtern – um das Urhebervertragsrecht. Das wird jetzt novelliert. Wenn man bislang als freier Journalist einen Beitrag einem Medium lieferte, beispielsweise einer Tageszeitung, dann waren mit dem Honorar alle Rechte abgegolten. Der Verleger konnte die Arbeit anderswo vermarkten und kann das, was aktuell ist, als Online-Angebot vermarkten, ohne dass der Autor etwas dafür bekommt. Dies soll per Gesetz geändert werden.

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Sie konnten nun – vielleicht ist Ihnen das nicht aufgefallen - in allen Tageszeitungen, Wochenblättern, überall über viele Wochen immer wieder in Anzeigen lesen, dass diese Novellierung des Urhebervertragsrechts den Bestand der Medien in Frage stelle, die Verleger alle arm würden. Die würden arm, weil sie nun doppelt und dreifach und vielfach bezahlen müssen. Deswegen laufen sie in Anzeigen im eigenen Blatt Sturm gegen diese Novellierung.

Der Deutsche Journalistenverband, ver.di, DAG, alle haben natürlich in Presseerklärungen gesagt, wenn die Neuregelung kommt, ist dies nur gerecht. Die Abdruckquote war Null. Denn kein Journalist kann wagen, in dem Blatt, in dem der Eigentümer gegen eine Regelung Sturm läuft und dafür auch noch Anzeigenraum hergibt, im redaktionellen Raum zu schreiben: „Also, liebe Leser, glaubt mal nicht, diese Anzeige da, die ist von unserem Verleger, und der will Journalisten an das alte Vertragsrecht binden, wir sind die Armen.„ Das kann kein Journalist schreiben, oder es war der letzte Kommentar, den er dazu geschrieben hat.

Mit anderen Worten: Wenn ich hier von Medien als vierter Macht gesprochen habe, und das zum Teil eingeschränkt und gesagt habe, auf manchen Feldern sind sie machtlos, dann gilt dies eben auch für dieses Spezialgebiet: Hier sind Journalisten machtlos. Hier sind die Eigentümer der Medien diejenigen, die Macht haben.

Es gab vor kurzem ein Urteil aus Hamburg, in dem ZEIT-Journalisten verurteilt wurden, weil sie aus einem geheimen Dokument zitiert haben. Es geht um den Bericht von Burkhard Hirsch, der untersucht hatte, wie die Akten zum Ende der Ära Kohl aus dem Kanzleramt verschwinden konnten. Es gibt den Paragraphen 353c im Strafgesetzbuch, der das mit Strafe bedroht. Die ZEIT-Redakteure sind verurteilt worden, allerdings ungewöhnlich milde, mit einer Geldstrafe auf Bewährung ausgesetzt. Das ist, glaube ich, das Geringste, was ein Richter machen kann. Dennoch, dieser Paragraph besteht; und es ist höchste Zeit, dass er verschwindet. Das ist mein Appell an die Politik, diesen Strafgesetzbuchparagraphen zu tilgen.

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Sie sehen an diesem kleinen Beispiel, dass Pressefreiheit auch in der Bundesrepublik beschränkt ist. Es gibt Grenzen. Totale Freiheit darf es nicht geben. Dann haben wir Anarchie.

Aber es gibt auch Länder, in denen diese Pressefreiheit ein wenig mehr beschränkt ist. Mein letztes Beispiel stammt aus Usbekistan. Ich habe dort im Auftrag des Presse- und Informationsamts vor einiger Zeit Vorträge über die Freiheit der Medien gehalten. Dort hat mich ein Journalist angesprochen und gesagt: „Da in diesem Hochhaus im vierten Stock, da sitzt jemand, der könnte ganz interessant für Sie sein. Das ist das Amt für Literatur.„ Ich entgegnete: „Das ist, glaube ich, falsch übersetzt. Das ist wahrscheinlich der Zensor.„ „Ja richtig, das ist der Zensor.„

Der Kollege berichtete von einem Vorfall, da habe jemand einen Beitrag über deutsche Literatur fürs Feuilleton geschrieben und habe als Beleg für die Qualität der deutschen Literatur ein Gedicht von Goethe in seinen Artikel eingefügt. Der Journalist musste sich beim Zensor melden, oben im vierten Stock. Der sagte zu ihm: „Dieser Artikel über die deutsche Literatur, der ist an und für sich ganz gut. Aber dieses Gedicht von Goethe, das hat doch viele stilistische Mängel. Holen Sie den Mann doch mal rauf.„

Diese Geschichte habe ich, ob wahr oder gut erfunden, im nächsten Land, nämlich in Turkmenistan, weitererzählt. Usbekistan und Turkmenistan, die beiden Völker mögen sich nicht so. Es ist ein bisschen wie früher zwischen Preußen und Bayern. Gut, ich dachte, denen mache ich eine kleine Freude damit. Und da meldete sich ein Korrespondent und sagte - alles übersetzt – das muss ich hinzufügen: „Mit dem, was sie über Taschkent erzählt haben, haben Sie sich doch über diesen Menschen im Amt für Literatur lustig gemacht. Sie haben ihn im Grunde genommen verhöhnt. Glauben Sie denn, dass etwa die Zensoren in Deutschland die zeitgenössische russische Literatur kennen? Glauben Sie das?„ Meine Antwort war: „Herr Kollege, in Ihrer Frage sind zwei ganz kleine Fehler. In Deutschland haben wir erstens keine Zensoren, und Goethe ist kein zeitgenössischer Dichter.„

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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