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TEILDOKUMENT:


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Podiumsdiskussion
Mediendemokratie – Wer beeinflusst wen?


Hartmut Heß

Vielen Dank, Herr Professor Meyn, für diese halbe Stunde mit einem angehängten akademischen Viertel. Es war trotzdem, glaube ich, für die meisten von uns sehr kurzweilig und eine sehr gute Illustration der Thesen, die Sie hier formuliert haben.

Ich möchte nun überleiten zur Diskussion und kurz die Teilnehmer vorstellen, die hier im Podium sitzen. Die Diskussion soll sich aber nicht auf das Podium allein beschränken.

Ich fange rechts an. Da ist Sten Martensen, lange Jahre Korrespondent der Stuttgarter Zeitung in Bonn, als Bonn noch Sitz der Bundesregierung und des Bundestags war, jetzt freier Journalist nach wie vor in Bonn. Sten Martensen war lange Zeit Vorsitzender der Bundespressekonferenz, wird also durchaus aus seiner Erfahrung heraus dazu beitragen können, dass wir in der Diskussion dem Fragenkomplex näher kommen, ob denn nun Politik die Medien oder Medien die Politik beeinflussen oder ob das ein wechselseitiges Spiel ist.

Neben ihm sitzt Volker Herres. Volker Herres ist vielen von Ihnen sicherlich bekannt vom Fernsehen. Sein Gesicht ist in letzter Zeit sehr häufig aufgetaucht als Kommentator und auch als Moderator aktueller Sendungen. Sehr vielen wird er im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. September gewärtig sein, er hat dort einige der Brennpunkt-Sendungen moderiert. Volker Herres ist Chefredakteur Fernsehen des NDR in Hamburg.

Rechts neben mir sitzt Hans Wallow. Hans Wallow ist Journalist. Er war Bundestagsabgeordneter der SPD, war Mitarbeiter, zuletzt Abteilungsleiter im Bundespresseamt und ist jetzt Autor, freier Autor, hervorgetreten auch als Medienkritiker, Medien- und Politikkritiker. Eines seiner letzten

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Bücher war – Pardon, jetzt muss ich selbst nachsehen – „Glatzer oder der hektische Stillstand„ – Theaterstücke. Der hektische Stillstand symbolisiert möglicherweise auch das, was in den Medien passiert.

Links von mir Professor Thomas Meyer ist Ihnen allen ein Begriff. Er hat heute die Einführung gegeben. Thomas Meyer ist Politikprofessor an der Universität Dortmund und hat das Buch „Mediokratie„, was die Schlagworte Medien und Demokratie zuspitzt, herausgebracht. Die erste Auflage ist im Juni erschienen. Die zweite Auflage ist gerade erschienen. Das Buch hat offensichtlich etwas berührt, dass es so stark nachgefragt wird.

Hermann Meyn ist Ihnen bekannt, nicht zuletzt durch den einführenden Vortrag. Er war lange Jahre Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes und arbeitet jetzt als Journalistikprofessor an der Universität Hamburg.

Soweit zur Vorstellung des Podiums. Ich bin vorhin von Thomas Meyer vorgestellt worden. Ich glaube, zu meiner Person muss ich nichts mehr sagen. Ich möchte mich auf die Rolle des Moderators beschränken und dafür sorgen, dass sich die Teilnehmer auf dem Podium prägnant, aber trotzdem kurz fassen, damit Sie im Publikum die Möglichkeit haben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Ich hoffe, das wird möglich sein.

Anfangen möchte ich mit einer Frage an die beiden aktiven Journalisten, die zu meiner Rechten sitzen. In dem Buch von Thomas Meyer „Mediokratie„ ist als vielleicht eine der Quintessenzen formuliert: „Die Macht des Mediensystems zur Prägung der politischen Kultur übertrifft offenkundig bei weitem den Einfluss der politischen Kultur auf die Praxis des Mediensystems.„ Können Sie aus Ihren Erfahrungen als Journalisten, aus Ihren Erfahrungen im Umgang mit der Politik diese These oder diese Formulierung bestätigen?

Volker Herres

Generell täte ich mich schwer, diese These zu bestätigen. Ich glaube, das Wechselspiel zwischen Medien und Politik ist ein sehr komplexes. Pro-

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fessor Meyn hat einige Aspekte angesprochen. Wir erleben heute in diesem Spannungsfeld, dass die Politik insgesamt sich sehr stark auf die Medien hin orientiert. Ein auf die Medien hin ausgerichteter Politikbetrieb kennzeichnet dieses Land, ausgerichtet insbesondere auf das Fernsehen. Die alte Politikformel „Tue Gutes und rede darüber„, gilt heute, glaube ich, so nicht mehr. Ich habe häufig den Eindruck, es gilt die Formel „Rede, rede, rede, tue so, als tätest Du Gutes, aber tue vor allem alles, um ins Fernsehen zu kommen. Besser im Gerede sein als gar nicht im Gespräch.„ Wenn man heute politisch etwas bewirken will, dann braucht man zunächst mal eins: Bekanntheit. Und die bekommt man über die Medien und hier vielleicht besonders über das Fernsehen.

Das Möllemann-Syndrom wird hier erwähnt. Es reicht aber nicht mehr, weil es heute kaum noch jemanden beeindruckt, wenn einer mit dem Fallschirm vom Himmel springt. Heute sind die Dosen schon stärker, die verabreicht werden. Das beginnt mit – Sie erinnern sich, die Beispiele sind beliebig – Guido Westerwelle im Big Brother-Container oder Angela Merkel im Cabrio. Scharping, der immer ein gebrochenes Verhältnis zu den Medien hatte und dies mal ändern wollte, tauchte dann in einem Kontext, der dazu führte, dass er prompt das bekam, was er wollte, nämlich etwas in die Presse. Das war ja auch so intendiert. Dann aber drehte er es etwas um und sagte, er sei nun Opfer der Sensationslust von Medien geworden.

Nein, es ist komplizierter. Es gibt einen auf die Medien hin ausgerichteten Politikbetrieb. Ich glaube nicht, dass die Medien die Politik kolonialisieren, wie das in der zitierten These von Professor Meyer anklang. Die Politik selbst ist heute in hohem Maße an Vermittlungsstrategien ausgerichtet. Die Spin-doctors sind erwähnt worden. Es gibt eigentlich kein politisches Alltagsgeschäft mehr ohne Vermittlungsstrategien. Das können Sie überall beobachten. Jeder hat seine gelungene Form der Darstellung. Der Bundeskanzler hat sich, auch mit Hilfe seiner Mitarbeiter, verwandelt vom Spaß-Kanzler, vom Brioni-Kanzler in einen richtigen, ansehnlichen Staatsmann. Joschka Fischer hat eine Wandlung durchlebt, die glaube ich auch beispielhaft ist.

Wenn Sie sich an die Bürgerschaftswahlen in Hamburg erinnern – ich komme von dort –, dann wird man, was dort geschehen ist, nicht erklären

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können, ohne das Verhältnis von Medien und Politik zu reflektieren. Das Scheitern der SPD in der Hansestadt lag ja nicht nur daran, dass sie vielleicht eine falsche Politik gemacht hat. Darüber kann man lange streiten. Sie hat zumindest auf einigen Feldern durchaus eine beachtliche Ausgangslage gehabt, nämlich gute Wirtschaftsdaten und einen beachtlichen Abbau der Arbeitslosigkeit, also eigentlich Pfunde, mit denen die Sozialdemokraten hätten wuchern können und mit denen in einer Stadt wie Hamburg, die eher sozialdemokratisch geprägt ist – deswegen haben die ja 44 Jahre regiert –, etwas zu machen gewesen wäre. Der Wahlkampf war ein Vermittlungsdesaster. Das Scheitern der SPD hatte darin seine Ursache. Umgekehrt wäre auch der Erfolg des nunmehr bundesweit bekannten Richters Ronald Schill, Richter Gnadenlos, ohne dessen erfolgreichen Umgang mit den Medien und dessen Kampagnenfähigkeit, dessen Intonisierung des Themas „Innere Sicherheit„ gar nicht erklärbar. Der war ja nicht erfolgreich ob seiner überragenden Lösungsvorschläge, seine Machtressource war seine Medienfähigkeit.



Sten Martensen und Volker Herres

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Sten Martensen

Wenn ich daran gleich anschließen darf. Ich habe natürlich nicht ohne Absicht dem Kollegen vom Fernsehen den Vortritt bei dieser Frage gelassen, weil es genauso ist. Die Politik orientiert sich heutzutage in ihrem Verhältnis zu den Medien nun wirklich überwiegend am Fernsehen. Das hat sich in den letzten 20 Jahren so ergeben. Die Bedeutung der Printmedien – was ich mit einem gewissen Bedauern feststelle, weil ich nun ausschließlich in meiner früheren Berufstätigkeit hier in Bonn für eine Zeitung gearbeitet habe – die Bedeutung der Printmedien ist dabei natürlich stark zurückgegangen.

Das kann man nicht unbedingt an den Abonnentenzahlen, den Verkaufszahlen oder an den Gewinnzahlen dieser Verlage, die Zeitungen heutzutage herausgeben und betreiben, ablesen. Aber man kann es ablesen an dem täglichen Politikbetrieb. Die Korrespondenten der Printmedien sind für Politiker sehr viel uninteressanter geworden. Das hat jetzt eine nostalgische Note, das ist mir schon auch klar, aber es gehört dazu.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass Politiker auch deshalb weniger Interesse haben, Hintergrundgespräche zu führen, die immer auch die Absicht hatten, die Medien, die Journalisten zu instrumentalisieren durch eine ausführlichere Information, aber eben durch eine vorgefilterte. Diese Hintergrundgespräche finden in Berlin so gut wie nicht mehr statt. Sie liefen auch nicht unbedingt so ab, wie Herr Meyn sie geschildert hat. Vielleicht war das früher im Berliner Senat so. In Bonn war es erheblich anders.

Die Bundespressekonferenz hatte schon aus der Zeit der Weimarer Republik ein Regelwerk übernommen, nach dem Informationen nicht nur zwischen Politik und Medien, sondern auch zwischen Wirtschaft und Medien etc., zwischen allen Informationsbesitzern und den Informationsabfragern, den Journalisten, behandelt worden sind. Diese Regeln – die einen oder anderen werden es kennen, 1, 2 oder 3: „unter 1„ heißt zum Zitieren; „unter 2„ das sind die berühmten informierten Kreise und „unter 3„ war immer vertraulich.

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Hintergrundgespräche haben in aller Regel vertraulich stattgefunden. Es war allenfalls dann die Schlampigkeit der Unterrichtenden – nicht immer Absicht, daran glaube ich einfach nicht, aber vielleicht ist das auch nach 20 Jahren noch Naivität – die Schlampigkeit der Informierenden, nicht immer darauf hingewiesen zu haben, unter welchen Bedingungen das Gespräch stattfindet.

Dieses Interesse an Hintergrundgesprächen ist in Berlin aus zwei Gründen völlig verschwunden: Einmal weil in Berlin dieses Regelwerk von den Journalisten nicht mehr akzeptiert wird. Es sind sehr viele Journalisten einer neuen Generation, da sich logischerweise durch den Umzug nach Berlin ein Generationswechsel in dem Korrespondentenkorps ergeben hat. Das Regelwerk wird nicht mehr akzeptiert, das heißt, dass auch aus Hintergrundgesprächen die Informationsverkäufer sozusagen zitiert werden, was natürlich dazu führt, dass man das einmal macht und dann nicht wieder.

Diese Hintergrundgespräche hatten dennoch einen erheblichen Nutzen. Denn wir hatten in den Printmedien oft doch mehr Platz, um komplizierte Gesetzestexte oder schwierige außenpolitische Vorgänge zu erklären. Da waren die Hintergrundgespräche oft sehr wertvoll. Es liegt natürlich auch an der Qualität der Journalisten unterscheiden zu können, ob sie instrumentalisiert werden oder ob sie durch Nachfragen diesen Faktor „des instrumentalisiert Werdens„ möglichst gering halten können oder ob sie einfach blindlings alles glauben – ob in Hintergrundgesprächen oder in Pressekonferenzen. Vielleicht sollten wir damit mal einen Punkt machen.

Hartmut Heß

Vielen Dank, Herr Martensen. Herr Wallow möchte direkt dazu etwas sagen.

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Hans Wallow

Ich scharre schon etwas mit den Hufen. Mir scheint, das Hauptthema der Medien heute ist die künstliche Wirklichkeit, die im Wechselspiel zwischen Medien und Politik geschaffen wird. Ich will in zwei Beispielen versuchen, das zu veranschaulichen. Einmal: Beim Wirtschaftsgipfel in München waren 1.000 Journalisten, 46 Fernsehstationen. Der Informationswert war Null. Das, was da herauskam, hätten sie sich vorher zufaxen können. Ich will das nicht weiter kommentieren. Das können Sie für sich verarbeiten.

Zweites Beispiel: Vor der Tür des Fraktionssaals – ich war zu der Zeit Abgeordneter – waren sehr viele Journalisten, hauptsächlich die „Sicherheitsgemeinde„, das sind Fachjournalisten, die hauptsächlich aus dem Pentagon oder aus dem Verteidigungsministerium berichten. Wenn etwas los ist, erhöht sich natürlich der Stellenwert dieser Kollegen in den Redaktionen.

Es ging um eine wichtige historische Entscheidung, die Beteiligung Deutschlands am militärischen Einsatz in Jugoslawien, und zwar zunächst um die Entsendung eines Zerstörers vor die Küste. Im Kern ging es um die Aufgabe des Nachkriegskonsens, nur Landesverteidigung zu betreiben. Die damaligen Koalitionsparteien betrieben dieses Spiel.

In der SPD-Bundestagsfraktion war die Diskussion darüber, ob man zustimmen sollte, ziemlich heftig. Das Spiel wiederholt sich ja bei jedem Konflikt. Wer die Geschichte der SPD kennt, weiß auch warum. Geschichtlich war es eine wirklich wichtige Entscheidung.

Was war die Nachrichtenlage am Tag danach? Zerstrittenheit in der SPD! Ein Nebenaspekt, also. Gemessen an dem, was entschieden wurde und den Folgen, war das ein klägliches Versagen des Journalismus, der in der Hauptsache ja von denen betrieben wurde, die beteiligt sind, die sich in den Kasinos auskennen, die sich bei den Generälen gut auskennen, die sich bei der Waffenindustrie gut auskennen – ich heize jetzt mal mit Absicht ein bisschen an.

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Hans Wallow

Wir könnten das jederzeit aktualisieren am Beispiel Irak oder Somalia, bei denen nie nachgefragt wurde: Warum sind diese 500 Milliarden eigentlich aus dem Fenster geschmissen worden? Die Inder, die von den deutschen Soldaten bewacht werden sollten, die sind doch gar nicht gekommen!

Wir haben es bei diesen Spektakeln, die Milliarden kosten, mit künstlichen Ereignissen zu tun. Der französische Philosoph Baudrieu hat Recht, wenn er sagt, dieses – wie es in der Einladung heißt – dieses Wechselspiel ist eine „mélange„, die eine künstliche Wirklichkeit schafft und die Realität der 10 Milieus, die die bundesrepublikanische Gesellschaft ausmachen, überhaupt nicht greift.

Herr Schill hat auf einen Missstand, das Milieu hinterm Hamburger Bahnhof, hingewiesen und an diese Realität gerührt. Nur so ist sein Erfolg zu erklären.

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Der Bochumer Medienwissenschaftler Schatz sagt – und jetzt komme ich zu Professor Meyer –, 50 Prozent von „heute„ und „Tagesschau„ beziehen sich auf Ereignisse, die auf der Basis von Großorganisationen, Apparaten oder Verbänden fußen.

Wir hatten vor einiger Zeit eine Kampagne, da hieß es, die Mafia säße bereits bei uns in der Politik, in der Wirtschaft und vor allem auch in der Verwaltung. Da habe ich erschrocken meine Nebenmänner angeguckt. Die Kampagne wurde getragen von Herrn Zachert, damals Präsident des Bundeskriminalamtes, und dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Lutz. Ich kann das hier aus meinem Buch zitieren. Als dann die Entscheidung für den Großen Lauschangriff klar war, ebbten die Gerüchte sofort ab.

Ich habe eine Anfrage gemacht beim Innenminister – das war kein Sozialdemokrat, das war Herr Seiters –, ob es irgendwelche Anzeichen dafür gäbe, ob die Dienste, die Nachrichtendienste irgendwelche Fakten hätten. Nichts! Scheinereignis! Das scheint mir heute das Problem zu sein.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Das gibt uns sicherlich zu denken und zu diskutieren. Ich möchte aber jetzt weitergeben an Thomas Meyer.

Die These von der Kolonisierung der Politik durch die Medien ist hier im Raum in Zweifel gezogen worden. Wie sieht es in der Realität aus? Gibt es diese Kolonisierung in der Weise, dass die Medien sich die Politik zunutze machen, dass sie die Politik dominieren?

Thomas Meyer

Es sind ja nun schon einige kluge und auch liebevolle Kommentare zu dieser These formuliert worden, bevor ich sie formulieren konnte. Ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob die Missverständnisse, die dabei entstanden sind, eher an journalistischen Zuspitzungen in meiner ursprünglichen

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Formulierung lagen oder an den journalistischen Zubereitungen der Kritik. Jedenfalls ist das, was kritisiert wurde, nicht das, was ich in dem Buch meine.

Ich möchte auf den ursprünglichen Entstehungszusammenhang dieser Überlegungen hinweisen: Wir haben in Dortmund in einem etwa fünf Jahre währenden Forschungsprojekt mit Journalisten, Journalistikprofessoren, Philosophen, Theaterwissenschaftlern, Soziologen, Politikwissenschaftlern die Frage analysiert, wie denn Politik in den verschiedenen Massenmedien zubereitet wird, insbesondere im Fernsehen, aber auch in einigen Printmedien? Wir sind in sehr gründlichen Analysen über Jahre hinweg zu dem Ergebnis gekommen: Es wird immer, gleich um welches Medium es sich handelt oder, ob das Qualitätsprodukte sind oder eher zum Boulevard gehören, es wird immer nach Regeln inszeniert, was in die Medien kommt: Es wird immer nach bestimmten Kriterien ausgewählt: Personalisierung, Ereignishaftigkeit, kurze Dauer und das Material, das dabei entsteht, wird immer nach bestimmten Darstellungsregeln inszeniert. Das können sehr verschiedene sein: Minidrama, Unterhaltsamkeit, Konfrontation von Personen – da gibt es viele.

Kolonisierung heißt – das ist die These –, dass die Regeln des Mediensystems, die Journalisten beherzigen müssen, wenn sie ein möglichst breites und großes Publikum erreichen wollen, dass diese Regeln vom politischen System übernommen und zwar im Wesentlichen selbst übernommen werden. Es ist in diesem Sinne eine Selbstkolonisierung.

Kolonisierung heißt – das ist ein in der Sozialwissenschaft üblicher Ausdruck –, dass Regeln, die in einem bestimmten Teil der Wirklichkeit gelten, auf einen anderen Teil der Wirklichkeit übertragen werden, in dem eigentlich ganz andere Regeln gelten. Das heißt Kolonisierung. Die meisten von Ihnen werden wissen, was etwa Habermas gesagt hat: Wenn wir jetzt in unseren Lebenswelten anfangen, Dinge zu verkaufen und zu
kaufen statt sie selber zu machen, dann ist das eine Kolonisierung der Lebenswelt durch die Märkte. Oder wenn wir anfangen, den Nachbarn gleich vor Gericht zu zitieren statt sich mit ihm zu verständigen, dann ist

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Thomas Meyer und Hermann Meyn bei der Diskussion

das eine Kolonisierung der Lebenswelt durch Recht oder Gerichtsverfahren.

In diesem Sinne übernehmen die politischen Akteure mit großem Beraterstab und auch mit eigenem großem Talent die Regeln der Darstellung des Mediensystems und beherzigen sie in der Politik selbst bei der Themenauswahl, bei der Darstellung und auch bei der Frage: Welches Gewicht haben die eigentlichen Akteure? Welche Rolle spielen die Parteien noch? Welche Rolle spielen die Parlamente? Das bedeutet Kolonisierung, dass also die Regeln des Mediensystems, die nicht zur freien Disposition von Journalisten stehen, im politischen System plötzlich zu den grundlegenden Regeln werden. Das ist auch das, was einige von Ihnen jetzt mit anderen Worten gesagt haben. Das politische System versucht sich mediengerecht zu machen in der Hoffnung, dadurch die Bedingungen des Zutritts zu den Medienbühnen zu erfüllen und auf diese Weise seinen eigenen Zutritt möglichst weitgehend selbst regulieren und kontrollieren zu können. Das ist sozusagen das Geschäft dabei.

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Etwas anderes wollten wir auch nicht sagen. Das ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, eine Symbiose, ein Tausch: Publizität gegen Information. Es ist vor allen Dingen ein Tausch, bei dem keine Garantien gegeben werden. Jemand, der eine tolle Inszenierung hinlegt, kann vielleicht gerade deswegen bei passender Gelegenheit demontiert und auseinandergenommen werden. Nicht die Botschaft, die er bringen wollte, sondern die Tatsache, wie er inszeniert hat, wird dann zum Gegenstand. Aber eine völlige Verschmelzung der Systeme, wie einige Medienwissenschaftler behaupten, findet sicherlich nicht statt.

Das zweite eigentlich Entscheidende aber ist: In den USA gibt es mehr Journalisten, die im politischen System und in einigen anderen auf Politikvermittlung angelegten Systemen tätig sind, um Politik dort medial aufzubereiten, als es Journalisten im Mediensystem gibt, die Politik kritisch und selbstständig beobachten. Bei uns herrscht eine ähnliche Tendenz. In Berlin ist das schon so, in der Bundesrepublik im Ganzen noch nicht. Das ist ein wichtiger Punkt.

Damit ist zunächst mal nur gesagt: Die Gelegenheiten, bei denen Politik sich selbst medial inszeniert, nehmen zu und ebenso die Gelegenheiten, bei denen Journalisten unter Zeitdruck oder wegen mangelnder Kompetenz oder aus anderen Gründen diese Inszenierungen einfach nur durchreichen. Das ist aber nicht notwendig so.

Das zweite war das eigentliche Ergebnis unserer Analyse: Inszeniert wird immer; das ist aber nichts Schlimmes. Insofern ist unsere These auch keine Kulturkritik nach dem Motto „Unterhaltung ist schlecht, ist desinformativ„. Sie können bestimmte Fernsehsendungen hochgradig inszeniert finden und bei genauer und sorgfältiger Analyse ihren Politikgehalt zugleich hochgradig informativ. Sie können andere finden, bei denen nur ganz schwach inszeniert wird, und die sind trotzdem sehr wenig informativ. Es besteht also nicht – wie wir am Anfang auch dachten – ein direkter negativer Zusammenhang: Je mehr Inszenierung, desto mehr Desinformation. Es ist nicht so wie Kulturkritiker der Massenmedien wie etwa Postman formulieren, sondern es kann sehr unterhaltsam, sehr witzig, sehr künstlich inszeniert sein und ist trotzdem im höchsten Maße informativ und gehaltvoll, oder es kann ganz schwach inszeniert sein und

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daherkommen, als sei es langweilige Politik und ist trotzdem völlig uninformativ oder auch desinformierend.

Der eigentliche Punkt war: Die Medien bieten eine große Gelegenheit, einfach rasche Inszenierungen von Information rüberzureichen, auch wenn gar keine Information enthalten ist. Das geht schnell und stellt sich gut dar. Man kann einfach einen Politiker auftreten lassen, der attraktiv ein paar Sachen sagt. Das kann unter Umständen völlig inhaltsleer oder – wie Wallow sagte – es kann natürlich auch eine Inszenierung des Scheins, eine Placebo-Politik sein, wo irgendwas wie Politik aussieht, aber keine ist.

Aber diese Medienregeln der Auswahl können von kundigen und guten Journalisten – das wird auch dauernd gemacht – benutzt werden, für hochgradig informative und zutreffende Darstellungen von Sachverhalten. Wenn man es jetzt quantitativ fasst, wenn man einmal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Fernsehprogramme auswertet, dann kommt man dahin, dass diejenigen Darstellungen überwiegen, in denen Inszenierungen – oftmals eben die von der Politik selbst inszenierten Angebote - nur durchgereicht werden, die aber sehr wenig informativ sind, und dass Qualitätsprodukte, die gut inszeniert und sehr informativ sind, relativ selten sind.

Es liegt an den Journalisten, wie sie mit den Inszenierungsangeboten umgehen. Es liegt auch an den Rahmenbedingungen, wie viel Zeit sie haben, welche Kompetenz sie haben.

Da ich auch in der Journalistenausbildung tätig bin und junge Journalisten gut kenne, denke ich, wenn jemand sehr genau weiß, was Politik ist, wie sie abläuft, was ihre Logik ist, was den politischen Prozess als solchen ausmacht, wer das genau kennt und versteht, kann fast immer auch in einer leichten, schnellen Inszenierung die wichtigen Punkte bringen und informativ darstellen. Wer dagegen nicht genau weiß, was die Logik der Politik, was das Eigentümliche am politischen Prozess ist, klammert sich oft an die unterhaltsame Inszenierung, hat vielleicht ein großes Thema, einen prominenten Politiker. Aber letzten Endes erfährt man nichts außer der Illusion dabei gewesen zu sein oder einen tiefen Einblick bekommen zu haben.

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Und deswegen gilt was Thomas Leif, ein erfahrener Journalist, der auch immer mal wieder mit Wissenschaftlern über die Arbeit der Journalisten reflektiert, in einem kleinen Artikel in der Parlaments-Beilage geschrieben hat. Dort schreibt er, ihn mache die Tendenz im politischen Journalismus der Bundesrepublik immer mehr zum Unwichtigen, zur Informationsverdünnung, zur Personalisierung, zum Nebensächlichen, zum Agenda-Cutting, Themen-Verkürzen, zur Inszenierung und zur Dauerunterhaltung sehr besorgt

Was wir herausgefunden haben, das vielleicht gar nicht so originell ist, das stimmt im Allgemeinen für die meisten Medien; für bestimmte Qualitätsmedien, für bestimmte Journalisten gilt es nicht. Leider stimmt es in der überwiegenden Zahl der Produkte. Es ist aber nicht das – und deswegen widersprechen wir da ganz massiv den allgemeinen Kulturkritikern der Medien –, was die Medien erzwingen. Bei den Politikern ist es sozusagen eine Selbstkolonisierung. Die ergreifen die Regeln des Mediensystems, unterwerfen sich ihnen weitgehend, beherzigen sie in der Politik und bieten das dann den Medien an in der Hoffnung, dadurch ein Stück Kontrolle über das, was sie dringend zur Legitimation brauchen, zurückzugewinnen, nämlich ihre Darstellung in der Öffentlichkeit. Heraus kommt dabei nichts oder wenig, auch wenn ein prominenter Politiker eine halbe Stunde da sitzt und redet.

Abschließend will ich sagen: Wir haben bei den Sendungen gefragt: Was könnte man denn in einem Drei-Minuten-Beitrag bringen, um ein Gefühl oder eine Einsicht oder ein Verständnis für das eigentlich Politische an der Sache zu kriegen? Das war der Zugang. Wir haben nicht mit überzogenen Ansprüchen operiert. Manchmal war es drin, manchmal war mehr und manchmal überhaupt nichts von den Faktoren zu sehen, die das Politische ausmachen.

Mein Wunsch wäre, dass Journalisten sehr viel mehr darauf drängen, dass dann, wenn die Politik sich selber inszeniert, sie das gehaltvoll tut, dass es wirklich um Inhalte und Gehalte geht. Journalistenpflicht sollte es auch sein, das, was nur inszeniert ist, also Placebo-Politik, Pseudo-Events und dergleichen, auch als solches zu zeigen. Das könnte ja auch amüsant

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gezeigt werden. Auch das kann wiederum nach den Regeln des Mediensystems, die auf Aufmerksamkeit abzielen, getan werden.

Aufgabe der Medien ist es, für bestimmte Themen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Politik hat die Aufgabe, in einem demokratisch-diskursiven Verfahren das zu entscheiden, was für die ganze Gesellschaft verbindlich sein muss. Zwei verschiedene Regelsysteme. Man muss, obwohl wir in der Hauptsache durch das Mediensystem etwas von Politik erfahren, darin doch das noch erkennen können, was Politik eigentlich ist. Das wird zunehmend schwierig, weil die Politik selber die Regeln des Mediensystems übernimmt und die Medien dies nur selten demontieren und zeigen, was an Politik drin steckt. Das war die These.

Hartmut Heß

Vielen Dank, Thomas Meyer. Ich habe eine Wortmeldung von Herrn Martensen direkt dazu.

Sten Martensen

Gleich direkt dazu. Ich habe mir während der Ausführungen von Herrn Meyer überlegt, wie in sein Begriffsystem das Stichwort von der Ökonomisierung hineinpasst, das ich hier aus dem Vortrag von Herrn Meyn aufgreifen möchte. Herr Meyer hat sicherlich Recht, dass Faktoren wie Zeitdruck und mangelnde Kompetenz von Journalisten Dinge sind, die manchmal auffallen, manchmal durchschlagen. Inszenierungen an sich finde ich nicht schlimm. Aber geht nicht manches von dem, was wir jetzt beklagen auf die Ökonomisierung zurück? Ich frage das, ich habe nicht den Background von fünfjährigen Untersuchungen darüber. Das gilt für diese kleinen Beispiele, also des Mäuse-Falls im Bonner Kaufhaus, wie auch für die großen Themen. Es ist doch auch spürbar für uns bei den großen Themen, bei Katastrophen, wie wir sie am 11. September und danach – ich denke an die Milzbrand-Geschichten – erlebt haben, dass da für die elektronischen wie die Printmedien – aus Gründen der Ökono-

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misierung dramatisierende Schilderungen eine politische Qualität bekommen und dadurch eine völlig andere Betrachtungsweise des Ereignisses zu stande kommt. Das gilt für Express und BILD-Zeitung aber auch für´s Fernsehen mit seinen Einschaltquoten, da jagt dann ein Brennpunkt den anderen und es ist jedes Mal dasselbe, es sind immer dieselben Bilder wie aus der Tagesschau, die Leitungen zu den Korrespondenten nach draußen klappen nicht, das hat natürlich richtig Spannung. Aber ich glaube, der Verantwortung, die die Medien und die Medienmacher, die Journalisten dabei haben sollten, wird dieses Vorgehen nicht immer gerecht.

Hartmut Heß

Direkt dazu noch einmal Thomas Meyer zu einer kurzen Antwort.

Thomas Meyer

Der erfahrene Medienwissenschaftler Otfried Jarren hat bei unserem Medienforum im vergangenen Jahr die These vorgetragen, dass die Kommerzialisierung sogar noch weiter gesehen werden muss als Sie das gebracht haben, weil jetzt in einer Art und Weise, wie wir das so vorher nicht kannten, fast alle Medien direkt am Markt orientiert sind, die öffentlich-rechtlichen auch, weil die ja indirekt demselben Quotendruck unterliegen wie die privaten. Wenn die jetzt geringere Quoten haben, dann bekommen sie von bestimmten Politikern zu hören: „Wenn Ihr die Quoten nicht bringt, verdient Ihr auch die Beiträge und die entsprechenden Gebühren nicht.„ Insofern unterliegen sie indirekt in ähnlicher Weise dem gleichen Marktdruck. Da vertritt Jarren die These: Eine weite Kommerzialisierung, also der Marktdruck führt genau zu den Ergebnissen, dass im Zweifelsfall eher das Schnelle, das durch eine rasche Inszenierung zu Realisierende den Vorrang hat. Die Inszenierungspotenziale werden fast immer ausgeschöpft, die Sachpotenziale nur selten, wenn wirklich Leute ganz und gar verantwortlich sind und sagen: „Ich mache es nicht anders„. Aber diese Vertreter der Zunft werden rar in der Konkurrenz.

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Hartmut Heß

Vielen Dank. Ich habe noch eine Frage, ehe ich mich wieder der rechten Seite des Tisches zuwende, eine Frage an Professor Meyn. Sie haben vorhin in Ihrem Vortrag gesagt, Medien hätten starke Macht im Verbreiten von Fakten, aber auch im Verbreiten von Desinformation, und wenig später - das möchte ich ein bisschen zuspitzen: Quoten machen Krisen größer, das heißt, um der Quote willen verbreite ich möglicherweise – damit möchte ich das andere aufgreifen – Desinformation, um die Krise größer zu reden, um sie zu dramatisieren, um eben die Einschaltquote zu bekommen. Ist es das, was Sie beobachtet haben in den letzten Jahren in der Realität bei uns in den Printmedien wie auch in den elektronischen?

Hermann Meyn

Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, die Journalisten betrieben um der Quote willen bewusst Desinformation. Das wäre falsch. Das habe ich nicht gemeint. Ich habe eher die Veranstalter von Programmen und die Verantwortlichen für den Inhalt einer Boulevardzeitung gemeint, die schielen auf Quoten und Auflagen. Und das ist auch ihr Job. Wer beim privaten Fernsehen ist und keine Quote macht, der wird auf Dauer scheitern und rausfliegen, wenn er an verantwortlicher Stelle war. Das haben wir ja häufig genug erlebt. Wir haben das ja erlebt bei Moderatorinnen, bei Moderatoren, und wir erleben es auch immer wieder bei Chefredakteuren von Zeitungen. Wenn das mit der Auflage nicht hinhaut, dann ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Diejenigen, die dort als Redakteure, als Korrespondenten und andere freie Mitarbeiter für die Veranstalter von Programmen oder Herausgeber von Zeitungen arbeiten, die will ich jetzt nicht insgesamt freisprechen, aber das sind im Grunde diejenigen, die sich den Bedingungen, die von oben diktiert werden, unterwerfen müssen. Das Fernsehen erlebt, dass bei Katastrophen, wenn eine hohe Bereitschaft des Publikums besteht einzuschalten, mit weiteren Sonderberichten, mit Extras, die Zuschauer am Bildschirm gehalten werden müssen, auch wenn in diesen Extras im Grunde genommen keine

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Hintergrundberichterstattung sondern häufig nur der Langfassung der Meldung gezeigt wird, die als Kurzfassung in der Tagesschau war.

Ich war nach so vielen Hintergrundberichten, nach so vielen Extras, die ich eingeschaltet habe, weil ich wirklich etwas mitbekommen wollte , genau so allein gelassen wie zuvor.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Zugleich müssen wir uns ja auch fragen: Ist die Quote wirklich etwas, was abträglich ist oder abgewertet werden sollte? In der Demokratie entscheidet schließlich die Mehrheit. Mit dieser Formulierung möchte ich gleich weitergeben an Volker Herres. Herr Herres, Sie haben in letzter Zeit viele dieser Sondersendungen moderiert. Sie waren verantwortlich für solche Sendungen. Wie sieht das aus mit der Quote? Und wie sieht das aus, sind solche Sondersendungen nur die verlängerte Form der Tagesschau-Meldungen?

Volker Herres

Wenn ich Ihre These aufgreife, würde ich jetzt sagen: Fernsehen ist Demokratie in ihrer schmutzigsten Form.

Ich will noch einmal etwas genereller auf das Stichwort Ökonomisierung eingehen und komme dann zu den Brennpunkten, bei denen ich ja befangen bin, weil ich pro domo reden muss, aber auch das werde ich tun.

Ökonomisierung im Mediensektor – Herr Professor Meyn hat es angesprochen – das findet ja nicht im luftleeren, neutralen Raum statt, sondern hat Auswirkungen auf den Journalismus. Medien heute sind in erster Linie zunächst mal Wirtschaftsunternehmen und nur in zweiter Instanz noch so etwas, das man früher ehrfurchtsvoll „Forum demokratischer Willens- und Meinungsbildung„ nannte. Das heißt, das, was wir im Markt erleben, ist ein völliger Umbruch. Wir haben nicht mehr die Medienwelt, in der ich

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noch sozialisiert worden bin, in der man sagt: Montags ist Spiegel-Tag, donnerstags kommt die ZEIT, die passt nicht auf den Tisch, weil sie zu groß ist, um 20.00 Uhr ist die Tagesschau, da wird ikonenhaft die letzte Gewissheit verbreitet, sondern wir leben in einer völlig anderen Situation.

Was wir heute erleben in der Medienwelt, das ist a) eine unglaubliche Beschleunigung und b), für mich als Trend erkennbar, das fast gleichgewichtige Nebeneinander von Relevantem und Banalem. Bei Herrn Wallow habe ich gesehen, er hat es jetzt weggepackt, ein Buch von Richard von Weizsäcker. Weizsäcker hat das mal die „Umkehr der Wichtigkeit„ genannt, und damit gemeint, dass heute über das Nebensächliche mindestens ebenso viel, wenn nicht mehr, gesprochen wird als über das Eigentliche. Was nicht heißt, dass das Belanglose, das für eine Gesellschaft Unterhaltungswert hat, nicht auch seine Berechtigung hat. Aber dieses Nebeneinander von Relevantem und Banalem ist, glaube ich, ein Trend, den man, wenn man die Medienlandschaft heute anguckt, überall beobachten kann.

Das sah kurz anders aus nach dem 11. September, als Peter Scholl-Latour das Ende der Spaßgesellschaft verkündete. Aber es hielt nicht lange an, dann waren Naddel, Bohlen, Feldbusch, alle wieder da.

Das ist der Markt, in dem wir uns bewegen. In diesem Markt müssen wir öffentlich-rechtliche Sender – ich rede jetzt pro domo - uns behaupten mit journalistischen Angeboten, die nach wie vor einen klassischen Anspruch haben, wie er uns gesetzlich aufgegeben ist. Aber natürlich verändert das die Lage, in der wir Journalismus machen, und zwar nicht, weil wir unter einem Quotendruck stehen wie die Kommerziellen. Wir haben immer noch die Freiheit, uns in Einzelentscheidungen davon frei zu machen. Die haben wir sicherlich nicht als System, darauf hat Professor Meyer hingewiesen. Ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem, das generell keine Akzeptanz mehr fände oder nur noch ein Nischendasein hätte, käme sehr schnell ins Straucheln und würde wenig Verteidiger finden. Aber bei programmlichen Einzelentscheidungen haben wir natürlich die Freiheit, uns unbelastet von Quotenfragen einem Thema journalistisch zu nähern. Und das tun wir auch, wenn es um Entscheidungen geht, ob Brennpunkte gemacht werden. Das wird nicht unter Quotengesichts-

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punkten diskutiert, sondern unter der Fragestellung: Ist heute ein Tag, an dem journalistisch etwas Herausragendes passiert, das mehr als Regelberichterstattung erfordert? Sie werden natürlich auch diskutiert, unter dem Aspekt: Was hat man zu bieten?

Nun kenne ich die Kritik zur Genüge – sie ist immer auch etwas wohlfeil –, dass bei solchen Sendungen manchmal die nicht-stehenden Leitungen das Spannendste sind und den größten dramaturgischen Effekt bieten, das ist so. Sie müssen sich aber auch vergegenwärtigen, wie solche Sendungen im Alltag entstehen. Sie haben häufig Situationen, bei denen das Ereignis um 17.00, 18.00 Uhr stattfindet. Heute ist so ein Tag. Ich habe jetzt keine Nachrichtenlage verfolgen können. Aber bevor ich hier hereinkam, erhielt ich die telefonische Mitteilung, über New York sei ein Flugzeug abgestürzt. Damit wissen Sie gar nichts. Da bekommen Sie eine Eilmeldung und wissen, ein Flugzeug ist abgestürzt. Jetzt können Sie fröhlich spekulieren. Ich gehe davon aus, dass es um 20.15 Uhr im Anschluss an die Tagesschau heute im Ersten Deutschen Fernsehen einen Brennpunkt geben wird. Jetzt überlegen sie mal, was sie in der Zeit journalistisch machen können. Nun können sie sagen – und das meine ich mit wohlfeil – „dann lassen Sie es doch„. Aber ich glaube, auch Ihr Informationshunger ist heute so groß, dass Sie das wenige, was man bis zu dem Zeitpunkt zusammentragen kann, doch auch erfahren möchten. Und deswegen werden wir es machen.

Hartmut Heß

Noch mal kurz zurück zur Politik. Herr Herres, haben Sie je erlebt, - wenn Sie Ihre eigene journalistische Tätigkeit kritisch betrachten - , dass es einen direkten oder indirekten Einflussversuch der Politik auf Ihre journalistische Arbeit gab?

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Volker Herres

Die Frage wird immer gern gestellt. Ich fange wieder mit der Ökonomisierung des Medienmarktes an. Die hat einen Vorteil gebracht: Ich glaube, dass man heute bei öffentlich-rechtlichen Sendern in einer anderen Realität lebt, als in den siebziger und achtziger Jahren. Ich glaube, es war immer ein Stück weit eine Mär von der parteipolitischen Dominanz über dieses System, aber es gab sicher Zeiten, in denen sie ausgeprägter war. Das duale System, also die Ökonomisierung des Marktes generell hat sicherlich dazu beigetragen, dass wir heute von der Politik unbelasteter agieren können als je zuvor. Das ist allerdings – vermute ich – von Haus zu Haus sehr unterschiedlich. Ich gebe zu, die These ist im Moment nicht sehr glaubhaft, weil einige von Ihnen wahrscheinlich auch Zeitung lesen und verfolgen, wie in Mainz gerade ein neuer Intendant gesucht wird. Gegentrends gibt es immer, und ich behaupte, der Lerchenberg ist nicht auf der Höhe der Zeit in dieser Frage.

Für meine Arbeit beim Norddeutschen Rundfunk kann ich jedenfalls sagen – ich mache das jetzt sechs Jahre –, dass ich parteipolitischen Pressionsversuchen nie erliegen musste. Dass es Versuche gab, das gehört dazu. Jeder Politiker bemüht sich – das ist ja auch nicht nur bei uns so, darüber haben wir gesprochen –, Journalisten auch zu instrumentalisieren. Manchmal bemühen die sich auch, einen bange zu machen, indem sie einem damit drohen, künftig keine Informationen mehr zu liefern oder auch mit anderen Dingen drohen. Aber eine Situation, in der man hätte schwächeln müssen, habe ich im NDR zumindest nicht erlebt.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Ich möchte noch mal weitergeben an Hans Wallow und gleich darauf hinweisen, dass danach „Feuer frei„ ist für alle hier im Saal, wenn Sie Fragen haben an die hier im Podium Anwesenden oder Ihre Diskussionsbeiträge bringen möchten. Benutzen Sie bitte die Saalmikrofone. Wir versuchen nicht nur, alles zu übertragen, sondern auch aufzu-

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zeichnen für eine Dokumentation dieser Veranstaltung. Hans Wallow bitte.

Hans Wallow

Wenn Sie sagen, da droht ein Politiker keine Informationen mehr zu liefern, dann ist das natürlich eine leere Drohung. Die kommen immer wieder, das ist im Sinne des Systems. Dazu ist das Fernsehen viel zu mächtig und viel zu wichtig. Es wäre auch das letzte Mittel, mit dem ein Politiker versuchen würde, Druck auszuüben. Aber das brauchen sie auch gar nicht, weil sie ja über die Beherrschung der Gremien ohnehin schon da sind. Darüber hinaus funktioniert die Selbstzensur, die es durchaus gibt, schon über die Frage der Auswahl der Themen die aufgegriffen oder vernachlässigt werden.

Das ist eine Vorauswahl, die wird in den Redaktionen manchmal schon nicht mehr diskutiert. Ich komme auf das, was Professor Meyn vorhin sagte mit den Bedenkenträgern. Gott sei Dank habe ich auf beiden Seiten der Barriere gesessen. Ich habe die ganzen Bedenken gehört, auch von hochmögenden Journalisten. Ich habe einmal den Vorschlag gemacht, über eine bessere Auslastung der Hochschulen zu schreiben. Da haben die mir sofort erzählt, was in der Politik los war: Bloß nichts Neues! Bloß nichts bringen, das Ärger machen könnte!

Ein letzter Punkt zu dem, was Sie die Gesetze nennen, Herr Professor Meyer, denen sich Politiker beugen müssen: Das müssen sie. Wenn Sie ein Thema beispielsweise wie das Recht der elterlichen Sorge oder die Reform des Jugendhilferechts ´rüberbringen sollen in einer Spaßgesellschaft, in der alles politische nur über Personalisierung läuft, wie wollen sie da die Bringschuld des Staates erfüllen, die Bürger zu informieren?

Journalisten kamen häufig zu mir und fragten: „Wo ist denn die Geschichte? Wer hat denn gegen wen gestänkert?„ In den so genannten Kreisen war es immer Thema, dass ein Politiker, ein Parteifreund gegen den anderen stänkert. Das soll dann der sogenannte Hintergrund sein. Auf der Strecke bleibt die Sachinformation. Auf der Strecke bleibt die

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Information, die für die Mehrheit der Milieus, die unsere Gesellschaft ausmachen, von Bedeutung ist.

Dass sie da unter Zeit- und Quotendruck stehen, weiß ich auch. Aber ich glaube, dass wir das stärker thematisieren müssen, vor allem die Selbstzensur.

Hartmut Heß

Danke schön. Damit zunächst mal frei für Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie sich mit Ihren Fragen oder mit Ihren Bemerkungen an das Podium richten, an der Diskussion beteiligen wollen. Bitte schön.

Teilnehmer

Ich bin hier als interessierter Staatsbürger. Mich hat der Begriff Kolonisierung in diesem politischen Thema reichlich verwirrt. Und ich habe lernen müssen, mich daran zu gewöhnen, dass das jetzt ein Wort ist, mit dem man leben kann, obgleich Kolonisierung für mich immer noch so etwas ist wie Einfangen von Schwarzen, Ausbeuten Unmündiger und etwas Aufzwingen und etwas raus zuholen.

Das als Einstieg genommen möchte ich einen weiteren Begriff ansprechen, den der Mediendemokratie. Da frage ich mich: Wo ist der Unterschied der Mediendemokratie zur Volksdemokratie? Kann ich den Begriff Volksdemokratie, der einen schlechten Geruch hat, wieder einführen, wenn ich zurückdenke, was Demokratie eigentlich heißt, nämlich die Herrschaft des Volkes, also durch das Volk für das Volk? Nimmt die Mediendemokratie jetzt diesem Urbegriff der Demokratie etwas weg? Ist Volksdemokratie jetzt etwas, das nicht mehr gut ist, Mediendemokratie dagegen etwas, das besser ist?

Meine Frage richte ich an Herrn Herres, weil ich ihn sehe als Vertreter des Mediums, dessen Bildsprache am stärksten wirken kann: Wir haben über

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den, der beeinflusst werden soll, hier noch nicht gesprochen, nämlich – ich sage das jetzt in Anführungsstrichen in Bezug zur „Kolonisierung„ – über den „Neger„. Das sind die, die man beeinflussen will, die man vielleicht sogar ausbeuten will. Wie versteht sich einer der Mächtigen in der Mediendemokratie, wie fühlt er sich in seiner Rolle als Demokrat? Nimmt er an dieser Herrschaft des Volkes für das Volk teil? Oder hat er sich davon ein ganzes Stück entfernt?

Hartmut Heß

Vielen Dank. Vielleicht gleich Herr Herres dazu. Sie sind angesprochen worden.

Volker Herres

Ich überlege jetzt immer noch, wer in Ihrem Bild der Neger ist?

Teilnehmer

Ich fand das Bild übrigens sehr gut. Bei der alten Kolonisierung ging es um das „Einfangen von Negern„. Jetzt geht es um das Einfangen von Kunden oder von Nutzern durch diese Regeln. Also das Bild ist schon irgendwie …

Volker Herres

Ich lag also richtig mit meiner Vermutung, es geht um die Kunden, um das Publikum. Ja, einfangen wollen wir das schon. Wir müssen es auch heute einfangen, weil es nicht von allein kommt. Wir leben ja nicht mehr in den schönen Zeiten, als das Publikum ganz allein bei uns war, sondern wir leben in Zeiten, in denen wir uns um unsere Kunden, unser Publikum, um die „Neger„ kümmern müssen und sie einfangen müssen, damit sie

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unsere Angebote nutzen. Sie tun das nämlich in sehr unterschiedlicher Weise.

Ich will Sie nicht mit Zahlen traktieren, aber – Sie sprachen mich auf die Rolle als Demokrat in diesem System an – etwas, das mich bekümmert, ist eine zunehmende Separierung der Gesellschaft. Es gibt diejenigen, die sehr stark Informationsangebote nutzen. Das sind zwangsläufig auch die, die in erster Linie öffentlich-rechtliche, also unsere Programme gucken, weil wir am meisten Information bieten im Fernsehmarkt. Das ist ein bestimmtes Segment der Bevölkerung. Die Trennlinie verläuft nicht entlang von Bildungsschichten, sondern sie geht demographisch durch das Land. Es sind die Älteren, die sich mittels Fernsehen informieren. Die Jüngeren tun das nicht. Die nutzen sehr viel weniger Informationsangebote. Die sind nicht bei uns. Dann gibt es das Phänomen, dass wir es bei den Nichtwählern – ich rede gar nicht über Ursache und Wirkung, sondern nur über Parallelität –, mit Leuten zu tun haben, die kaum noch Informationsangebote im Fernsehen oder anderswo nutzen. Sie müssten ja nicht fernsehen; wenn sie Zeitung lesen würden, wäre ja noch viel besser, denn die Zeitungen informieren ja, können ja als Medium in der Regel sehr viel breiter und noch hintergründiger informieren als es das Fernsehen kann. Das wird immer Primärmedium bleiben, damit hat es eine wichtige Funktion in der Arbeitsteilung der Medien. Das bekümmert mich als Demokrat und deswegen beschäftige ich mich sehr damit, um auf den Punkt zurückzukommen, wie man die Leute einfangen kann für das, was wir ihnen bieten wollen.

Was wir ihnen bieten wollen, ist allerdings – jetzt rede ich wieder über öffentlich-rechtliche Angebote – nichts Beliebiges. Es geht nicht nur um das Einfangen. Das würde bei Kommerziellen reichen und ist auch legitim. Wir haben die Beispiele gehört. Wer dort quotenmäßig nicht erfolgreich ist, hat da auf Dauer nichts verloren. Womit eingefangen wird, ist relativ sekundär. Es kann auch Naddel sein, oder man wiegt das Gemächte von Gotthilf Fischer. Das dürfen wir jetzt leider nicht sehen, weil Krieg ist, aber SAT.1 wird die Ausstrahlung sicher noch nachholen.

Wenn wir damit Leute einfingen, hätten wir unsere Rolle in der Demokratie, im demokratischen Meinungsbildungsprozess sicher nicht erfüllt.

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Wir haben eine andere Aufgabe, und die ist unverändert die klassische, Forum und Faktor im Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung zu sein, das ist eine unserer Kernaufgaben. Das klingt ganz altmodisch, aber das gilt und daran halten wir fest.

Allerdings – das ist meine Grundthese – müssen wir diesen Auftrag heute marktgerecht neu interpretieren. Und dann sind wir wieder beim Einfangen.

Hartmut Heß

Danke schön. Zum Begriff der Kolonisierung noch ein Satz von Thomas Meyer.

Thomas Meyer

Zwei ganz kurze Bemerkungen: Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem, also durch die Regeln der medialen Vermittlung, halte ich schon für ein Problem. Das sollte man nicht als etwas Positives sehen, es ist zumindest etwas sehr Zwiespältiges und sehr Problematisches. Ich hatte gesagt, Inszenierung ist kein Begriff, der problematisiert werden müsste, weil immer inszeniert wird. Jedermann, wenn er sich ausdrückt, inszeniert irgendwie. Die Medien tun es auch, das besagt noch gar nichts. Die Frage ist: Wird etwas so dargestellt, als ob es nicht inszeniert wäre? Oder wird etwas so inszeniert, dass man gerne hinguckt? Das sind zwei sehr verschiedene Sachen.

Zur Mediendemokratie: In der Politikwissenschaft bürgert sich dieser Begriff langsam ein, und meint eine Demokratie, in der die Parteien eine geringere Rolle spielen, an den Rand geraten, auch als große demokratische Diskussions- und Beschlussorgane, und stattdessen die großen zentralen Medienspieler an der Spitze der Parteien das Geschäft nahezu alleine bestreiten.

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Volksdemokratie war etwas ganz anderes. Das war der Missbrauch des Begriffs durch Leute, die im Namen des Volkes regierten, ohne das Volk zu fragen. Mediendemokratie ist dagegen schon eine Verschiebung. Das ist ein Begriff, der drückt etwas Besonderes aus. Damit könnte man sich mal befassen, aber ich will das hier nicht in extenso tun.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Sie hatten sich zu Wort gemeldet, bitte.

Peter Grabowski

Peter Grabowski ist mein Name. Ich bin leitender Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk, zur Zeit Chef vom Dienst bei Eins Live, das ist das junge Radioprogramm hier in Nordrhein-Westfalen. Herr Herres, Sie haben gerade gesagt, die Leute kommen ja nicht mehr zu den Öffentlich-rechtlichen. Zu uns kommen sie glücklicherweise wieder. Vielleicht sollte man sich mal über alternative Fernsehangebote Gedanken machen. Eventuell funktioniert das auch. Wie das geht, machen die Kollegen von RTL ja schon vor. Das Problem ..

Volker Herres

Habt Ihr das nicht im Fernsehen versucht?

Peter Grabowski

Ja, im 3. Programm. Das war eine Katastrophe.

Das Problem an der Geschichte: Dass früher die Leute nur bei uns waren, ich meine beim öffentlich-rechtlichen System, und nun wegbleiben, ist

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eine Beschreibung eines Phänomens, die aber nicht die Frage nach dem Gehalt an Information beantwortet.

Wenn ich mir heute die Tagesschau von vor 20 Jahren ansehe, die bei Ihnen und bei uns nachts mal gesendet wird im 3. Programm, dann sehe ich da mitunter Sendungen, bei denen ich als politisch gebildeter und studierter Mensch denke: Habe ich nicht verstanden, die Meldung habe ich nicht verstanden. Ich befürchte, mein Vater, der nicht akademisch gebildet ist, hat die vor 20 Jahren auch nicht verstanden. Es gibt Zweieinhalb- und Drei-Minuten-Interviews mit den damaligen Bundeskanzlern über Fairness der Steuergesetzgebung, die bis heute wahrscheinlich die meisten Parlamentarier nicht nachvollziehen könnten. Herr Wallow wird dazu wahrscheinlich eine Menge sagen können.

Ich habe vor einem halben Jahr, als ich mal ans Hauptstadtstudio in Berlin ausgeliehen war, mit einem Abteilungsleiter im Bundesarbeitsministerium gesprochen, der zu mir gesagt hat: Es gibt wahrscheinlich drei Leute in Deutschland, die Inhalt und Systematik der Sozialhilfegesetzgebung tatsächlich stringent erklären können, aus seiner Sicht aber wahrscheinlich keinen.

Was ich damit sagen will, ist: Diese Diskussionen haben für mich immer so eine nostalgisch-romantische Note. Ich frage mich, ob es stimmt, dass früher alles besser war und aus Holz. Ich glaube nämlich nicht. Die großen Auseinandersetzungen, die Blockbildung nach dem Motto „wenn es Dir hier nicht gefällt, dann geh doch nach drüben„, haben natürlich funktioniert, dazu gab es eindeutige Haltungen und Meinungen und auch große Auseinandersetzungen in der Bevölkerung. Den Streit um die Details, über die auch heute gestritten wird, hat man damals als einfacher Bürger auch nicht nachvollziehen können.

Und selbst wenn die ZEIT früher doppelt so viele Exemplare verkauft hätte wie heute, wären es trotzdem nur 800.000 gewesen und nicht 80 Millionen. Die Menschen lesen mehrheitlich keine ewig langen, bleiwüstenähnliche Traktate wie, sie vor Erscheinen von Focus im Spiegel zu finden waren. Aber nach Focus sind sie auch nicht klüger, weil das Blatt Bilder gucken bietet aber nicht lesen.

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Der Punkt ist: Wie kommen wir, in unserem dualen System, zu einer Informationsvermittlung elektronischer Art, die für die Mehrzahl der am politischen Prozess – zumindest alle vier Jahre durch den Wahlzettel –Teilnehmenden auch wirklich Information bringt, so dass die Zuhörer oder Zuschauer mit der Information auch etwas anfangen können? Und das heißt eben nicht Informationsvermittlung über Christiansen, da ist man hinterher noch blöder als vorher, weil ja selbst die Moderatorin nicht weiß, worum es geht. Das ist keine spezielle Schelte gegen Frau Christiansen. So etwas können wir wahrscheinlich in fast jedem Programm sehen.

Immer bedeutender wird für mich der Umstand, dass die öffentlich-rechtlichen sich von den privaten elektronischen Medien, wie auch von den Printmedien durch einen Faktor maßgeblich unterscheiden: Ja, wir verdienen auch Geld mit Werbung. Nein, der Verkauf von Sendezeit ist nicht unser primäres Unternehmensziel. Ich kann dem Axel Springer Verlag nicht vorwerfen, seine gesamte und geballte Informations- und Marketing- und Kampagnenmacht zur Mehrung des Vermögens der Anteilseigner einzusetzen. Das muss man nicht gut finden, man kann presserechtliche Argumente dagegen setzen, aber solange diese nicht verletzt werden, machen die im Rahmen der Möglichkeiten des Marktes einfach ihren Job. Ob wir, wenn wir diese Mechanismen im öffentlich-rechtlichen Bereich übernähmen, unseren auch machen, stelle ich manchmal sehr in Frage.

Wir sollten uns bei dieser Diskussion ehrlich damit auseinandersetzen: Was wollen die Privaten und was wollen wir? Was können wir leisten, und was müssen die leisten? Und was müssen wir verdammt noch mal tun, dass wir unseren Auftrag auch endlich schaffen?

Hartmut Heß

Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich möchte gerne noch aufnehmen die Wortmeldung – Sie hatten sich vorhin gemeldet.

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Hanne Schweizer

Mein Name ist Hanne Schweizer. Ich bin freie Journalistin. Ich würde gerne Herrn Professor Meyer fragen, inwieweit sich Mediendemokratie unterscheidet oder herleitet von den Begriffen des ehemaligen Propagandaministers Göbbels. Dann möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass ich bislang auf dem Podium nicht einmal das Wort Bürgerin oder Bürger gehört habe.

Hartmut Heß

Danke schön. Ich meine, ich hätte das Wort zwar schon mal gehört im Verlaufe der Diskussion. Aber trotzdem, ich möchte noch ein paar weitere Wortmeldungen sammeln. Bitte schön.

Teilnehmer

Ich möchte noch mal auf den Begriff „inszenieren„ kommen und das, was vorhin Scheinereignisse genannt wurde. Ich komme aus dem Sportjournalismus, kann mit Inszenierungen inzwischen sehr gut leben, kann auch mit Scheinereignissen sehr gut leben, weil Sport nicht ganz so wichtig ist wie das Thema, das wir hier diskutieren. Große Probleme habe ich allerdings mit Scheininszenierungen, wenn sie in den Bereich Kriegsberichterstattung fallen, das, was Herr Meyn vorhin noch vergleichsweise milde kritisiert hat, die Desinformation.

Herr Herres, wie geht das Fernsehen, das genau wie wir von den Printmedien immer dankbar ist für Informationen, die schon relativ gut aufbereitet zur Verfügung gestellt werden, wie geht das Fernsehen damit um, dass es Informationen bekommt, die zumindest fragwürdig sind? Müsste nicht, wie die Frankfurter Rundschau es bei der Kriegsberichterstattung macht, immer ein kleines Kästchen dabei sein: „Wir können uns für die Informationen nicht verbürgen, weil die Nachrichtenlage sehr schlecht ist.„

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Und was mich dabei noch viel mehr beschäftigt, Herr Wallow: Wie geht ein Politiker damit um, der die Entscheidungen treffen muss – wir haben sie jetzt wieder vor der Tür, es muss über den Bundeswehreinsatz entschieden werden – wie gehen Politiker damit um, die oft auch keine besseren Informationen haben? Ich denke mir, das ist ein Aspekt der Beeinflussung, der mir zumindest sehr viel Sorge macht.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Wir nehmen noch eine weitere Wortmeldung mit, bitte schön.

Christoph Schmidt-Lunau

Ich bin Christoph Schmidt-Lunau, Landtagskorrespondent in Hessen, in Wiesbaden. Ihre Euphorie oder Ihren Optimismus bezüglich der Skandale möchte ich aus meiner eigenen Erfahrung etwas relativieren. Auch das Interesse an Skandalen, an Dingen, die aufzuklären sind, gehorcht Marktgesetzen. Es ist nur so lange spannend, wie es Antipoden gibt, wenn es zum Beispiel in den Parteien selbst Widersprüche gibt und der eine etwas steckt über den anderen. Wenn eine politische Partei steht, dann wird das Interesse an solchen Skandalen auch erlahmen. Das Interesse lässt sehr schnell nach, weil es sich nicht mehr vermarkten lässt.

Zum Ökonomischen noch eine Anmerkung: Was mich erschüttert hat unmittelbar nach dem 11. September war eine Mitteilung von RTL mit der Darstellung der Quoten der Nachrichtensendungen vom 11. September. Das war nach Altersgruppen aufgefächert, herausgestellt wurde, dass der Moderator gerade bei jüngeren Leuten besonders ankommt, und die Quintessenz war: RTL ist führend im Informationssegment, insbesondere bei der die Werbewirtschaft interessierenden Klientel. Die Information von RTL kam unmittelbar nach den Ereignissen, als man noch hoffte, dass Menschen überleben. Denen ist noch nicht einmal aufgefallen, was sie da gemacht haben, soweit geht das schon mit der Ökonomisierung.

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Hartmut Heß

Vielen Dank. Ich sehe im Moment keine weiteren Wortmeldungen. Da ist noch eine, bitte schön.

Michael Sommer

Mein Name ist Michael Sommer. Ich komme vom ZDF in Mainz, aus der Pressestelle und bin Vorsitzender der DJV-Betriebsgruppe im ZDF.

Ich möchte einmal den Blick hinter den Spiegel wagen. Professor Meyer hat darauf hingewiesen, dass die Journalisten interessanterweise die Regeln, nach denen sie dieses Spiel mitspielen, nicht selbst bestimmen, aber doch relativ konsequent einhalten. Ich kann das nur bestätigen. Es gibt, wenn man das systemtheoretisch wahrnehmen will, so eine Art selbstreferentielles System insbesondere der Nachrichtenjournalisten untereinander. Das heißt, die sehen wechselseitig ihre Nachrichtensendungen an und gleichen ab, was wichtig ist. Wichtig ist das, was die anderen auch berichten. Das ist selbstreferentiell, das heißt also, die Journalisten haben sozusagen ihre innere Peergroup, die sich wechselseitig bestätigt, das, was wir machen, ist okay.

Ich will noch einen anderen Aspekt anführen. Die Regeln sind das eine, das bestimmt, was Journalisten tun können. Das andere sind die Produktionsbedingungen, unter denen sie das tun. Und da stelle ich im ZDF gerade fest – ich mutmaße aus Gesprächen mit Kollegen, dass es in der ARD so ähnlich ist, nach Landesrundfunkanstalten abgestuft –, die Produktionsbedingungen werden zur Zeit so verändert, Stichwort: Digitalisierung, dass die Mittel, die journalistisch einsetzbar sind, zunehmend minimiert werden. Damit erleben wir das, was wir im Print-Journalismus schon länger haben: In einer typischen Zeitung wird der investigative Journalismus heute ja von der Redaktionsvolontärin oder vom Praktikanten betrieben, weil der nur so kurz in der Redaktion ist, dass er nicht angelernt werden kann, um das Redaktionscomputersystem zu bedienen

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und das Layout selbst zu machen. Also muss er das machen, was jeder kann, nämlich recherchieren.

Genau das haben wir als Tendenz mittlerweile auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Selbst Journalisten wohlmeinender Absicht können unter den obwaltenden Bedingungen gar nicht mehr das liefern, was wir früher als investigativen Journalismus geschätzt haben. Ausnahmen wie der Herr Leyendecker bei der Süddeutschen Zeitung, bestätigen diese Regel eigentlich nur, denn das sind Leute, die freigestellt sind, die brauchen wirklich nur diesen Job zu machen. Aber das ist die absolute Ausnahme. Solange die Produktionsbedingungen so sind, dürfen wir uns nicht darüber beklagen, dass die Journalisten nichts anderes abliefern können.

Auf die Produktionsbedingungen nimmt aber das politische System Einfluss, indem es durch die Gremien der Rundfunkanstalten dafür sorgt, dass weniger Geld ausgegeben wird. Weniger ausgeben heißt, die Produktionsbedingungen so zu verschärfen, dass die Redakteure wirklich nur noch fließbandartig Tickermeldungen abarbeiten können. Das Ergebnis sehen wir jeden Tag auf dem Fernsehschirm.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Ich möchte das aufgreifen, was gerade eben zum investigativen Journalismus gesagt wurde und was Sie, der Kollege Landtagskorrespondent aus Hessen, eben ausgeführt hatten und eine Frage damit verknüpfen, ehe ich noch mal zu einer – ich möchte sagen – Schlussrunde hier ins Podium gebe: Wie war das eigentlich bei dem Aufdecken all dieser Affären, der Spendenaffäre oder Flugaffäre oder Ähnlichem? War es so, dass dieses Aufdecken Ergebnis von investigativem Journalismus war, von Recherchearbeit, Kleinarbeit im Zusammentragen von Fakten? Oder ist den Medien Material zugespielt worden von den jeweiligen Parteifreunden derer, um die es ging?

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Hermann Meyn

Zweifellos das Letzte. Die Anstöße – nehmen wir mal die Spendenaffäre der CDU – die Anstöße kamen zum Teil von der Staatsanwaltschaft, nachdem etwas bekannt geworden war. Danach kamen Informationen in verstärktem Maße von den Parteifreunden. Was ich gelobt habe, war die Tatsache, dass sich durch die unterschiedlichen publizistischen Lager hindurch fast alle darum bemüht haben, zusätzliche Informationen zu bekommen. Bei dieser Recherche ist dann immer mehr herausgekommen, unterstützt von Parteifreunden, die mit dem anderen Parteifreund nicht mehr Parteifreund sein mochten. Das ist eine der wichtigsten Quellen. Damit will ich aber nicht die Rechercheleistung der Journalisten so weit minimieren, zu sagen, die hätten nur das genommen, was andere ihnen steckten.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf Produktionsbedingungen eingehen: Es ist sicher richtig, dass ein investigativer Journalismus, wie er von Leyendecker und einigen anderen betrieben wird, in Deutschland die Ausnahme ist. Das hängt in der Tat damit zusammen, dass in der Presse die Möglichkeiten, sich als Journalist über Wochen oder Monate mit einem Thema zu befassen, von den Eignern gar nicht zugelassen wird, dass dazu Honorare und Zeit nicht reichen, und man lieber sieht, dass ein Leitmedium es schon rauskriegen werde und die anderen sich daranhängen könnten. Das ist die Regel. Es ist nicht das Versagen des einzelnen Journalisten, nicht zu recherchieren. Er möchte schon, aber er kann nicht, weil die Arbeitsbedingungen ihm vorschreiben, jeden Tag sein Blatt zu machen und sich nicht 14 Tage mit einer einzigen Geschichte zu beschäftigen.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Thomas Meyer.

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Thomas Meyer

Die Rahmenbedingungen sind ein ganz wichtiger Punkt. Wenn jemand als Journalist beschäftigt ist, der weder genaue Kenntniss und Analysefähigkeit in Bezug auf politische Ereignisse besitzt noch die Zeit, ein Thema gründlich vorzubereiten, dann kann er im Prinzip außer schnellen, raschen Inszenierungen nichts politisch Gehaltvolles schaffen. Deswegen sind die Rahmenbedingungen, die subjektiven – was kann einer und was verantwortet er? – und die objektiven absolut wichtig.

Was Herr Grabowski einbrachte, ist – glaube ich – zukunftsweisend. Es kann nicht darum gehen, wie eine bestimmte Sorte polemischer Kulturkritik meint, die Inszenierungen müssten wieder verschwinden. Es geht darum, eine vernünftige Synthese zwischen unterhaltsamen Formen von Information und Analyse in den Medien zu gestalten. Das ist die große Chance, die Möglichkeit durch Unterhaltsamkeit ganz viele Leute mitzunehmen und trotzdem die Inhalte nicht ganz über Bord zu werfen. Einzelne Sendungen zeigen das. Das ist eine große und schwierige Aufgabe. Gelegentlich drüber zu reflektieren, was diese Aufgabe voraussetzt, wie man sie erfüllen kann, fände ich eine sehr lohnenswerte Sache. Die Spielräume sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Ein letztes: Sie haben vielleicht Recht mit dieser etwas suggestiven Frage nach der Nähe zur Begrifflichkeit Göbbels. Die Nazis haben damals sorgfältigst, in der Geschichte und in ihrer Zeit studiert, was die Elemente von politischer Ästhetik und Inszenierung sind, die wirken. Die haben was die politische Ästhetik anbetrifft einzelne Elemente in der Arbeiterbewegung geklaut. Die haben einiges entdeckt, was man an Inszenierungen machen kann. Aber natürlich gibt es da riesengroße Unterschiede. Das eine ist: Die Nazis wollten natürlich in erster Linie Hass erzeugen durch populistische Strategien. Das will von den Politikern, die ich beobachte, hier in der Mediendemokratie niemand. Das andere ist: Die haben dafür gesorgt, dass ihnen niemand auf die Schliche kam, indem sie den Pluralismus, die Meinungsfreiheit und die Demokratie abgeschafft haben. Das ist bei uns natürlich ganz anders. Bei uns besteht jederzeit die Möglichkeit, dass durch Medien und in der Zivilgesellschaft darauf hingewiesen wird, wenn

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jemand durch eine Inszenierung täuscht, trickst. Das ist eine völlig andere Welt. Insofern ist das in keiner Weise vergleichbar.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Herr Martensen, bitte.

Sten Martensen

Jetzt wird so etwas wie ein Schlusswort von mir erwartet, das ist sehr schwierig, weil die Fragen eigentlich alle an die anderen Kollegen gingen.

Mir ist noch aufgefallen – und das möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern, die sich hier versammelt haben, einschärfen: Vieles von dem – Herr Meyer hat das gerade zum Schluss noch gesagt – ist auch eine Frage der Ausbildungsqualität nachfolgender Journalistengenerationen. Man kann nicht alles damit entschuldigen, dass die Produktionskapazitäten so knapp bemessen sind. Das gilt natürlich nicht nur beim Fernsehen, das ist auch bei den Zeitungen so. Viele Zeitungen können einfach nicht mehr das Angebot bringen, weil die Redaktionsetats zusammengestrichen werden. Auslandskorrespondenten werden eingespart.

Ich habe bei einer Zeitung angefangen, als die Poolbildung begann. Zeitungen, die vorher ihre sieben, acht, zehn Auslandskorrespondenten in den wichtigeren Hauptstädten der Welt hatten, sparten diese Posten ein und bildeten Pools mit anderen Zeitungen. Das ist alles richtig. Und trotzdem, glaube ich, könnte man vieles von dem, was heute hier auch kritisch angeklungen ist, doch durch eine gezieltere, qualitativere Ausbildung der Journalisten beheben. Da fällt mir ein typisches Beispiel ein: Es hat angefangen, als die privaten elektronischen Medien auf den Markt kamen, diese Aufläufe vor Fraktionssälen, in der Lobby des Bundestages, das kennen wir alles. Das hat sich in Berlin jetzt vergrößert, einfach quantitativ vergrößert. Aber auch damals war es in Bonn schon so, dass viele Kollegen von den privaten elektronischen Medien vor der Tür standen, den herauskommenden Politikern von der einen oder anderen

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Sitzung das Mikrofon vorhielten und fragten, ob es eben Streit gegeben habe. Sie wussten weder, um wen es sich handelte, dem sie das Mikrofon vorhielten, noch was auf der Tagesordnung der Sitzung stand, worüber es hätte Streit gegeben haben können. Das meine ich jetzt mit Qualität und Ausbildung. Da sollten Journalistenverbände und auch die einzelnen Medien darauf achten, dass da mehr getan wird.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Herr Herres, bitte.

Volker Herres

Ich will zunächst auf den Kollegen von Eins Live eingehen, ich hätte mich missverständlich ausgedrückt oder wäre missverstanden worden, wenn ich verstanden worden wäre als Vertreter einer Fraktion, die sagt, früher sei alles besser gewesen. Nostalgie ist mir völlig fremd. Ich gehöre auch zu den regelmäßigen Sehern der Tagesschau von vor 20 Jahren, weil man da immer beobachten kann, wie sehr wir alle gereift sind. Das Fernsehen war damals in der Tat handwerklich sehr viel schlechter. Meine These ist umgekehrt: Im dualen System ist das Fernsehhandwerk, die Machart heute sehr viel besser. Das hat sehr viel damit zu tun, dass eine ganze Generation von Fernsehjournalisten zum ersten Mal die Sinnlichkeit des Mediums Fernsehen begriffen hat und nicht meint, Fernsehen könne man so machen wie Zeitungen. Fernsehen ist was ganz anderes. Durch dieses Begreifen ist das Fernsehen sehr viel besser geworden.

Ich meine, wir müssen unseren Auftrag zeitgemäß interpretieren – da spielt die Machart eine große Rolle –, um die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Das ist die zentrale Aufgabe heute, und das macht sehr viel Spaß, ist aber auch sehr schwierig, wie Sie wissen, wenn Sie Eins Live im Fernsehen kennen. „Katastrophe„ haben Sie gesagt. Es ist also nicht leicht, aber wenn es leicht wäre, wäre es ja auch nichts für uns.

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Dann ist über Quellen geredet worden im Zusammenhang mit der Kriegsberichterstattung. Die ist ein gutes Beispiel, an dem man belegen kann, dass wir deutlich machen müssen, unter welchen Bedingungen wir über welche Sachverhalte berichten. Im jetzigen Krieg ist uns das alles ganz gut gelungen. Darüber hinaus glaube ich, dass die Berichterstattung, auch über die Bedingungen, unter denen Berichterstattung stattfindet, also auf der Metaebene, das Durchbrechen von Inszenierungen, dass das mit Teil einer anspruchsvollen journalistischen Berichterstattung sein muss. Dafür gibt es Beispiele bei uns. Dafür gibt es auch im Printbereich hinreichende Beispiele, häufig zu finden beispielsweise auf der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung.

Das RTL-Eigenlob – schön, dass Sie es gesagt haben – habe auch ich als peinlich erlebt an einem solchen Tag. Ich glaube, Herr Maar hat wohl alle Medienjournalisten in den Zeitungsredaktionen angeschrieben oder ihnen gefaxt. Das macht er immer gern, um zu zeigen, was für tolle Quoten sie denn hatten nach dem 11. September. Wer genau hinguckte – da wird es noch sehr viel unappetitlicher –, konnte feststellen, dass dieses sich brüsten mit „Wir sind nun auch im Bereich der Information ganz groß eingestiegen und erfolgreich„, nicht lange anhielt, denn schon, als der Gegenschlag kam, lief Normalprogramm. Der war auch nicht so bildträchtig wie das World Trade Center, insofern unter Quotengesichtspunkten journalistisch weniger attraktiv. Den hat man uns überlassen. Letztes Wort: Guter Journalismus, allen Verlegern und allen Gebührenfestsetzern sei es gepfiffen, braucht Zeit und kostet Geld.

Hartmut Heß

Vielen Dank, Herr Herres. Hans Wallow, bitte.

Hans Wallow

Zu den Produktionsbedingungen: Man bräuchte gläserne Redaktionen, damit die Arbeitsbedingungen, die Mittel, die eingesetzt werden, nach

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außen deutlich würden. Wir wären sicher schon weiter, wenn jede Redaktion das wüsste. Ich halte investigativen Journalismus für das Normale, bei uns ist es aber die Ausnahme, dass ein Journalist recherchiert. Ich sagte vorhin ja schon, dass die meisten Großereignisse von anderen geliefert und dann nur abgebildet und häufig kaum hinterfragt werden. Ich denke, dass mehr Journalisten über ihren eigenen Beruf offen reflektieren sollten, auch in den Medien selber.

Vorhin war die Frage: Wie gehen Politiker mit Kriegsinformationen, Kriegsereignissen um? Je nach Interessenlage. Berufspolitiker zu sein ist auch nur ein Gewerbe. Man muss das ganz nüchtern sehen. Nach ihrer selektiven Wahrnehmung sie sehen, was sie sehen wollen. Die einen sehen den sauberen Krieg, bei dem ein Bunker getroffen wird; und die anderen sehen die verkohlten Leichen, die im Irak aus dem getroffenen Bunker herausgeholt werden. Das lässt sich durch x Beispiele belegen.

Der dritte Punkt zum ZDF: Vor dem 11. September mobilisierte das ZDF die Nation mit der erschreckenden Meldung, die Bundeswehr sei unterfinanziert und nur bedingt einsatzfähig. Das war Aufmacherthema in der heute-Sendung. Das kam aus der „Sicherheitsgemeinde„, die ich vorhin genannt habe. Eigentlich müsste sich die Frage anschließen: Kampfbereit gegen wen? Wir sind ja von Demokratien umzingelt. Und wenn man – ich bin kein Pazifist, ich bin Oberleutnant der Reserve – wenn man sagt, wir brauchen eigentlich nur noch Krisenreaktionskräfte, wir wollen ja nicht nach Holland einmarschieren, dann brauchen wird doch für die Bundeswehr vielleicht noch die Hälfte. Das war eine Meldung typisch für das, was ich vorhin mit den Milieus meinte, an den Interessen der Bürger hat sich die Nachricht nicht orientiert.

Hartmut Heß

Vielen Dank. Ich darf mich bei Ihnen allen im Podium bedanken und auch bei Ihnen im Saal. Wir haben die Zeit bei weitem überzogen. Herzlichen Dank für Ihre Geduld, aber auch für Ihr aktives Beitragen zu dieser

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Diskussion. Wir könnten die Diskussion endlos weiterführen ohne zu einem Schluss zu kommen.

Wenn ein Ergebnis dieses Nachmittags die Erkenntnis sein kann, dass Politik sich den Regeln der Medien unterworfen und sich damit vielleicht selbst kolonisiert hat, darf man nicht den Umkehrschluss daraus ziehen, dass die Medien nun die Politik beherrschen könnten, denn sie sind wiederum – und das ist vielleicht die Hoffnung, die wir alle mitnehmen können – abhängig davon, dass sie gekauft, eingeschaltet oder gehört werden. Da können wir als gut trainierte Rezipienten, gut trainierte Bürgerinnen und Bürger einiges dazu beitragen, dass die Medien ihre Rolle als Kontrolleure der Macht wahrnehmen aber nicht selbst Macht ausüben. Vielen Dank.

Ich darf Sie im Namen der Stiftung einladen, die Diskussion fortzusetzen draußen vor der Tür dieses Saales bei einem kleinen Imbiss.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2002

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