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TEILDOKUMENT:


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Prof. Dr. Thomas Meyer
Zwischen Big Brother und Tagesschau


Die Entwicklung der Medien vom Informationsauftrag zum Entertainment

Ich möchte Ihnen eine Reihe von Beobachtungen und Bemerkungen aus demokratiepolitischer Sicht vortragen und damit einen Beitrag zur Erklärung dessen leisten, was wir hier machen wollen, ein paar unserer Hintergrundüberlegungen benennen.

Bei der Formulierung des Titels „Zwischen Big Brother und Tagesschau„ – war wie Sie sehen –ein journalistischer Kollege hilfreich. Der Titel ist aber auch sachlich recht aufschlussreich. Denn eines jedenfalls haben selbst diese scheinbar so weit auseinander liegenden Pole „Big Brother„ und „Tagesschau„ ganz sicher gemeinsam: Was als authentisch erscheint, ist meist durch und durch inszeniert. Das wiederum ist weder neu noch überraschend. Inszenierung ist als solche nicht das Problem, um das es geht.

Die Berliner Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte hat den Begriff der Inszenierung auf eine sehr informative Art und Weise beschrieben, die ich Ihnen vortragen möchte. Ich zitiere: „Als ästhetische und zugleich anthropologische Kategorie zielt der Begriff der Inszenierung auf schöpferische Prozesse, in denen etwas entworfen und zur Erscheinung gebracht wird, auf Prozesse, welche in spezifischer Weise Imaginäres, Fiktives und Reales, Empirisches zueinander in Beziehung setzen. Etwas Eigentliches, das ohne jegliche Inszenierung erscheint, gibt es in unserer Welt nicht. Jede Inszenierung aber erhebt unausgesprochen den Anspruch, die Erscheinung von etwas zu sein, das ihm zugrunde liegt, etwas Bestimmtes zur Erscheinung zu bringen, für uns sichtbar zu machen.„

Die Frage ist dann nur – und da unterscheiden sich „Big Brother„ und „Tagesschau„ wirklich beträchtlich –, was wird in der Inszenierung jeweils zur Erscheinung gebracht? Und hilft die Inszenierung bei dessen Verständnis, bei dem Verständnis dessen, was zur Erscheinung gebracht wird? Oder

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erzeugt die Inszenierung Suggestionen von etwas ganz anderem, zum Beispiel von unverstellter Authentizität, wo eigentlich nur ein hochgradig inszeniertes Spiel abläuft? Nämlich zum Beispiel die Inszenierung von angeblicher Authentizität in „Big Brother„.

Und damit sind wir dann auch tatsächlich mitten im Thema: Ist die Inszenierung der Feind des Echten, zum Beispiel, die unterhaltsame Inszenierung des Entertainment der Feind echter Information oder nicht?

Schon die theaterwissenschaftliche Definition von Frau Fischer-Lichte lässt vermuten, es kommt ganz darauf an, wie die Inszenierung gemacht ist, und was in der Inszenierung wirklich zum Ausdruck kommt. Es kommt darauf an, wie sich die der Inszenierung zugrunde liegenden Elemente des Imaginären, des Fiktiven und Realen mischen und welchen Anspruch die Inszenierung im Hinblick auf diese Mischung erhebt, einfach durch die Art, wie sie sich präsentiert. Ich möchte darauf am Ende zurückkommen, weil das eine der entscheidenden Fragen ist.

Vier Faktoren wirken heute in der Unterhaltungslogik, also der unterhaltsamen Inszenierung, und sie gewinnen an Bedeutung in allen Massenmedien, voran natürlich im Fernsehen, aber gattungsspezifisch auch in den anderen Medien. Die vier Faktoren:

Der erste ist die wachsende Konkurrenz um Quoten und Marktanteile.

Der zweite ist der dadurch bedingte Kommerzialisierungsdruck, der, indirekt vermittelt, sich aber doch deutlich bis in die öffentlich-rechtlichen Anstalten fortsetzt.

Der dritte Faktor ist der zunehmende Zeitdruck im Aktualitätswettbewerb der Journalisten.

Und der vierte Faktor ist die teils selbst von den Medien kultivierte, teils aber auch durch andere gesellschaftliche Prozesse bedingte veränderte Rezeptionsgewohnheit des Publikums, das eben solche Inszenierungen sehen will.

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Der zunehmende Übergriff der Unterhaltungslogik auf den Bereich der Politikvermittlung findet ja nicht nur in den Medien statt, sondern mit enormer Virtuosität auch in der Politik selbst.

Ist Infotainment ein Problem für die Demokratie oder eher nicht? Etwas bescheidener gefragt: Ist Infotainment ein Problem für die demokratische Qualität der Öffentlichkeit?

Aus einer rein systemtheoretisch-funktionalen Sicht, wie sie manche Wissenschaftler vorziehen, könnte man sofort sagen: Nein, sie ist kein Problem, solange die Integration der Gesellschaft auf diesem Wege geleistet ist, die Gesellschaft zusammenhält und die meisten den Eindruck haben, das Ganze ist in Ordnung und funktioniert. Solange also der gemeinsame Themenvorrat nicht ausgeht, der alle Glieder der Gesellschaft zusammenschließt gibt es, so lautet dieses Argument, jenseits der normativen Romantik von Öffentlichkeit als großes Gespräch aller mit Allen kein wirklich ernsthaftes Problem, das aus der Dominanz des Infotainment folgt.

Solange die Medien die Aufmerksamkeit genügend vieler Menschen auf genügend viele gemeinsame Themen lenken und es der Gesellschaft überlassen, was sie daraus machen will und kann, leisten sie, so lautet dieses Argument, den ihnen aufgetragenen Beitrag zur Integration der Gesellschaft, so wie es ihrer internen Logik der Maximierung von Aufmerksamkeit entspricht. Und das ist alles nach dieser Position. Mehr ist zu diesem Thema eigentlich gar nicht zu sagen.

Tatsächlich besteht heute die Gefahr, dass die hoch gespannten Erwartungen an die rationalen und diskursiven Qualitäten von Öffentlichkeit in der Demokratie, wie sie etwa in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts oder bei Jürgen Habermas erhoben und normativ begründet werden, von der Medienwirklichkeit überrollt und von den empirischen Medienwissenschaften kommentarlos zu den Akten gelegt werden, weil sie dem, was abläuft, so hoffnungslos widersprechen, dass Anschlüsse gar nicht mehr zu sehen sind.

Es sind vor allem zwei Entwicklungen, die zu dieser Situation führen: Das eine ist die zunehmende Dominanz von Entertainment in der Politikvermitt-

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lung, in der diese reinen, rationalen Diskurse, die man sich mal idealerweise vorgestellt hat, überhaupt keine Rolle mehr spielen oder selten noch eine. Die zweite reale Entwicklung ist die, dass sich unter dem Inszenierungsdruck, der von den Medien ausgeht, Politik und Medien in einem ziemlich weitgehenden Maße ineinander vermengen, so dass man oft gar nicht mehr so genau unterscheiden kann, was was ist.

Aus demokratiepolitischer Sicht – und das ist die Frage, die uns hier besonders interessiert – muss bei der Erörterung dieser Entwicklungen zunächst an die grundlegenden Standards erinnert werden, die erfüllt sein müssen, wenn Demokratie möglich bleiben soll, also die informierte und wirkungsvolle Beteiligung aller, die es wollen, am politischen Prozess.

Statt der vagen und zugleich rigorosen Norm des Bundesverfassungsgerichts möchte ich drei elementare demokratische Funktionen von Öffentlichkeit nennen, wie sie von Friedhelm Neidhart formuliert worden sind, die glaube ich ganz gut und praktisch zum Ausdruck bringen, worum es gehen muss.

Das Erste ist die Transparenzfunktion von Öffentlichkeit: Jeder muss die Chance haben, zu sehen und zu verstehen, was in der Politik und den auf die Politik bezogenen Prozessen der Gesellschaft geschieht, umfassend, zutreffend und zuverlässig. Das ist die Transparenzfunktion.

Das Zweite nennt Neidhart die Validierungsfunktion, die Bewertungsfunktion: Themen und Meinungen sollen in ihrer Konfrontation dem Einzelnen die Bestimmung seiner eigenen Position erlauben, so dass er die eigene Position entwickeln und testen kann gegen die Positionen, gegen Argumente anderer.

Das Dritte ist die Orientierungsfunktion: Meinungen, Informationen, Argumente müssen sich im öffentlichen Raum so begegnen können, dass sie zu einer begründeten öffentlichen Meinung führen, an denen sich der Einzelne und auch die Politik orientieren kann.

Das sind drei nicht zu hohe Ansprüche an demokratische Öffentlichkeit, von denen ich denke, dass sie bei der Bewertung dessen, was empirisch im Medienbereich geschieht, eine Rolle spielen können.

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Um diese grundlegenden Anforderungen zu erfüllen, muss Öffentlichkeit nicht nur Spiegel der Gesellschaft sein wie im Modell der Systemtheorie. Sie muss auch ein Stück weit Forum sein, also ein Ort und ein Raum für Diskurse, wie in den klassischen Erwartungen der Aufklärung, ein Ort, an dem Argumente und Informationen ausgetauscht werden. Beides muss in ihr zum Ausdruck kommen können: Spiegel und Forum. Die reine gesellschaftliche Integrationsfunktion reicht aus demokratiepolitischer Sicht als Erfolgsmaßstab für demokratische Öffentlichkeit eben nicht aus.

Nun wissen wir alle, dass Öffentlichkeit nicht nur in den Massenmedien stattfindet, sondern auch in Veranstaltungen wie dieser hier und in Begegnungen vielfältigster Art, vor allem in den Foren der Zivilgesellschaft, wo Menschen sich einfach treffen, assoziieren, um Dinge zu diskutieren und gemeinsam zu tun. Öffentlichkeit sind nicht die Massenmedien allein, das ist klar. Die Massenmedien müssen sich aber fragen lassen, ob sie dem demokratiepolitischen Anspruch, wie ich ihn gerade formuliert habe, gerecht werden, zumal sie für viele Menschen der einzige nennenswerte Anschluss an Öffentlichkeit, aber auch, weil sie für Foren ein wesentlicher Ausgangspunkt sind; zugespitzt gefragt: Ist im Infotainment-Zeitalter eine solche demokratische Funktion überhaupt noch möglich oder ist das Vergangenheit? Es gibt Theoretiker, die das behaupten und die eine große Rolle spielen in der Debatte.

Damit komme ich auf die beiden problematischen Entwicklungen zurück, die ich vorhin als Haupttrends der Medienwirklichkeit genannt habe: Erstens die Dominanz des Infotainment und zweitens die Vermischung von Medien und Politik oder von Mediensystem und politischem System.

Zunächst zur Dominanz des Infotainment, der unterhaltenden, personifizierenden oder dramatisierenden Inszenierung des Politischen. Das Politische hat ja seine eigene gesellschaftliche Funktion und seine eigene Funktionslogik, die sich von der der Massenmedien ursprünglich beträchtlich unterschied. Beide Teilsysteme dienen sehr unterschiedlichen Zwecken und haben deswegen auch eine andere Logik ihrer Funktionsweise. Für die Informationsqualität der Politikvermittlung in den Medien kann es nur darum gehen, ob in den medieneigenen Inszenierungen, das Politische selbst noch in angemessener Form zu erkennen und zu beurteilen ist, oder ob es nur

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noch Anlass oder Stoff wird für Inszenierungen, in denen es dann schließlich ziemlich schnell verloren geht.

Bei der Politikvermittlung durch die Medien begegnen sich unvermeidlich zwei sehr unterschiedliche Prozessregeln – das ist der Kern meines Arguments – zwei sehr unterschiedliche Prozessregeln: die Prozessregeln der Politik, über die berichtet wird, und die Prozessregeln der Medien, in deren Formen berichtet wird.

Wir wissen seit langem, dass die Medien im Wesentlichen zwei Arten von Regeln anwenden, wenn sie Wirklichkeit darstellen. Erstens Auswahlregeln: Was ist wichtig, was interessiert das Publikum? Zweitens Darstellungsregeln: Wie muss das Ausgewählte präsentiert werden, um das Publikumsinteresse zu wecken und aufrechtzuerhalten?

Die Politik hingegen folgt in ihren eigenen Prozessen zunächst ganz anderen Regeln. Diese anderen Regeln der Politik möchte ich in einer vielleicht etwas kompakten Formulierung so in Erinnerung rufen: Es geht bei der Politik immer um die Erzeugung gesamtgesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen. Immer sollen im Rahmen von Verfassungen, Verfahren und kulturellen Gewohnheiten Handlungsprogramme für die Lösung politischer Probleme zum Erfolg geführt werden, indem eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure (Parteien, Gewerkschaften, Initiativen, Verbände) ihre Interessen verfolgen und in Konflikten unter Berufung auf legitimierende Gründe, Gemeinwohl, allgemeines Interesse oder dergleichen austragen und dabei die ihnen jeweils verfügbaren Machtressourcen einsetzen, um so am Ende eine für alle verbindliche Entscheidung herbeiführen zu können.

Das Ganze ereignet sich so gut wie immer in Prozessen, die über Monate oder Jahre dauern, die oft schwer zu überschauen sind und über lange Zeit offen. Die Nachrichten der Massenmedien setzen vor allem auf Personen und Prominenz, auf Konflikt und Ereignis, kurze Dauer und vertraute Nähe.

Wie verhalten sich die beiden Regelsysteme zueinander, die der Politik und die der Medien? Sind sie überhaupt miteinander verträglich oder ist es nicht automatisch so, dass das eigentlich Politische verschwindet, wenn es medial dargestellt wird?

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Wir sind in einer Forschungsgruppe in Dortmund nun der Frage nachgegangen, welche Formen unterhaltsamer Inszenierung an einem einzigen Stichtag sich in Print- und Funkmedien beobachten lassen, und welcher Zusammenhang sich zwischen Inszenierungsart und Inszenierungsgrad auf der einen und dem Informationsgehalt dieser Medienprodukte auf der anderen Seite feststellen lassen, um das mal anhand von sehr hautnahen empirischen Analysen einzelner Medienprodukte zu untersuchen.

Das Ergebnis ist für die Frage, die ich hier diskutiere, recht informativ. Von der Personalisierung und der reinen Unterhaltungsdramaturgie über sehr verschiedene Formen inszenierter Gespräche, konfrontative und kooperative Gespräch bis hin zu theatralischen Formen dramatischer Darstellung ließ sich ein gutes Dutzend solcher Infotainment-Modelle an diesem Stichtag ausmachen und unterscheiden. Die meisten waren – wir hatten auch Theaterwissenschaftlicher in diesem Projekt – den Darstellungsformen des Theaters entlehnt und von daher recht bekannt. Die genaue Untersuchung des Informationsgehaltes nach Maßgabe der Eigenlogik des Politischen - was man eigentlich wissen müsste über Politik, wenn man einen solchen Bericht sieht - führte zu einem Ergebnis, das ich in sechs Punkten knapp resü-miere.

  1. Auch hochgradig dramatische, unterhaltsame oder sonstige Inszenierungen lassen sich mit einem angemessen hohen Informationsgehalt gut verbinden. Die Art und Intensität der Inszenierungen sagen über den Informationsgehalt dieser Medienprodukte nichts aus.

  2. Die Inszenierungsregeln zielen freilich nicht von sich aus auf angemessene Information. Sie können auch attraktive Stücke ohne Informationsgehalt hervorbringen oder sogar Stücke mit irreführenden, in die falsche Richtung lenkenden Informationen.

  3. Prinzipiell sind alle Inszenierungsformen und -grade für der Sache angemessene Information offen. Aber die Mehrzahl der Produkte war dennoch entweder nicht ausreichend informativ oder führte von der angemessenen Information ganz weg.

  4. Während die Inszenierungspotenziale der Themen, um die es ging, fast immer ausgeschöpft wurden, waren die Informationspotenziale nur manchmal ausgeschöpft, ohne dass es gleich zu merken war. Man-

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    ches, was als Gespräch daherkommt, ist, wenn man es sich genau anguckt, ziemlich uninformativ, bezogen auf die Sache, um die es geht.

  5. Infotainment kann in hohem Maße angemessen informieren und – da es zumeist auch attraktiv ist – kann es mehr Menschen ansprechen als schwach inszenierte Verlautbarungen, die schon von der Form her niemanden interessieren.

  6. Die interessante Frage ist: Warum nutzt die Mehrzahl der Produktionen die Chance nicht, spannende Inszenierungen mit hochgradig angemessener Informativität zu verbinden?

Dafür kommen, das war die Schlussfolgerung, vier Gründe in Betracht: Zwei subjektive bei den Journalisten oder Medienschaffenden und zwei objektive, die in den Zwängen ihres Handlungsumfeldes liegen. Als subjektive Gründe können wirksam werden entweder mangelnde Sachkompetenz - so dass man eben nur inszenieren kann, weil man die Sache, die inszeniert werden soll, nicht genau genug kennt - oder mangelnde Sorgfalt, weil es einem letztlich egal ist, was auf die Schnelle dabei herauskommt. Objektive Gründe sind einmal natürlich übermäßiger Zeit-, Kosten- und Konkurrenzdruck - die Zeit ist nicht da, um es besser zu machen - oder eben eine fehlende Verantwortungskultur, das meint, dass in der Redaktion nicht genügend danach gefragt wird, was dabei herausgekommen ist.

Auch wenn die erfolgversprechenden Inszenierungsregeln der Medienbühne eine Gelegenheit für schnelle Effekte und sichere Erfolge sind, eine prinzipielle Barriere für eine demokratische Öffentlichkeit sind sie sicher nicht, wenn die genannten Bedingungen erfüllt sind. Inszenierungen können der Sache angemessen sein, was ihren Informationsgehalt anbetrifft. Genaue Kenntnis der Eigenlogik des Politischen, ausreichende Zeit, sie zu beobachten und zu verstehen, der genaue Blick auf das, was Politik auch außerhalb der Schaufenster ist, in denen sie sich selber ausstellt, sind möglich und notwendig, wenn Politikvermittlung in den Medien informativ bleiben soll.

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich einige Bemerkungen zu der anderen Entwicklung machen, zur Verwischung und Vermischung der Grenzen von Politik und Medien. Ich kann und will jetzt in der Kürze der Zeit nicht alle Modelle vorführen, die es gibt, ich möchte aber unsere Posi-

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tion zumindest ein bisschen skizzieren, weil es eine wichtige Frage ist, ob man überhaupt noch von angemessener politischer Berichterstattung reden kann oder ob man sagt, das vermischt sich so sehr, dass sich die Frage im Grunde erübrigt.

Die Verwischung der Grenzen zwischen Politik und Medien resultiert vor allem aus dem zunehmenden Geschick der politischen Spitzenakteure und Beraterstäbe, bei allem öffentlichen Wirken Auswahlregeln und Darstellungsformen des Mediensystems zuerst zu beobachten und sie dann in das eigene Handeln möglichst komplett und professionell aufzunehmen, so dass eine perfekte Präsentation nach Maßgabe medialer Auswahl- und Darstellungsregeln erfolgt. Weil sie für eine öffentliche Zustimmung umfassende, möglichst von ihnen selbst kontrollierte, Präsenz auf den Bühnen der Massenmedien brauchen, beugen sich die politischen Spitzenakteure dem Inszenierungsdruck, der von den medialen Regeln ausgeht, meistens ziemlich freiwillig und willig und hoffen, indem sie sich diesem Druck beugen, sozusagen dialektisch die Kontrolle über ihre Präsenz in den Medien zu gewinnen.

Mediengerechte Inszenierung des Politischen ist daher zu einer Hauptdisziplin der Politik selbst geworden. Große Stäbe von kompetenten Akteuren, Journalisten selber, beschäftigen sich in der Politik damit, die Sache so zu inszenieren, dass sie möglichst so rüberkommt, wie man das gerne hätte. Mediengerechte Inszenierung des Politischen ist also eine Hauptdisziplin geworden. Die Grenze zwischen dem überwiegend auf Herstellung verbindlicher Entscheidungen gerichteten Handeln und seiner medialen Darstellung verläuft unter diesen Umständen immer weiter im Gelände des politischen Feldes selbst. Auf den ersten Blick bietet sich dem beobachtenden Journalisten daher nicht der politische Prozess des Herstellungshandelns, sondern nur dessen von der Politik produzierter Darstellungsteil. Die Journalisten im Mediensystem blicken zunächst mal auf das, was die Journalisten im politischen System zur Darstellung der Politik produziert haben.

Dieser Darstellungsteil ist natürlich nicht undurchdringlich. Sein Verhältnis zum Herstellungsteil kann für kundige Journalisten ein ergiebiges Feld der Recherche mit höchst wertvollen und interessanten Informationen sein.

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Es wäre aber weit überzogen zu behaupten, Politik und Medien verschwänden nun ganz und gar im Inszenierungseinerlei, in einem gigantischen politischen idealen Supersystem. Es wäre auch eine zu mechanische Vorstellung zu glauben, der Selbstdarstellungsteil der Politik auf der Medienbühne sei nichts weiter als ein Schleier, hinter dem sich die Politik versteckt und in altgewohnter Weise weiter vollzieht.

Da aus der medialen Akzeptanz in der Mediengesellschaft Zustimmung und Legitimation gezogen werden - was in den Medien ankommt, gilt als legitim - verändert der Medieneinfluss natürlich auch den politischen Prozess selbst. Politik wird nun häufig zum Testhandeln in den Medien, bei dem aus Anfangs- und Zwischenresonanz auf ursprüngliche Politikentwürfe allmählich erst das entsteht, was Politik dann im Ernst machen und öffentlich verteidigen möchte. Das ist die eine Seite der Durchdringung. Im politischen Prozess können dann Politiker, die über ein überlegenes Mediencharisma verfügen, Gewichte zu ihren Gunsten beträchtlich und manchmal auch entscheidend verschieben. Die Symmetrien bei politischer Meinungs- und Willensbildung gehen dabei häufig verloren. Das ist die andere Seite der Veränderung.

Jedoch, Politik und Medien verschmelzen nicht. Es gibt weiterhin Politik als Herstellungshandeln und den komplexen Prozess, der zu diesem Herstellungshandeln führt. Und es gibt weiterhin die empirisch offene Frage nach dem Verhältnis zwischen der Darstellung der Politik, ihrer Selbstdarstellung sowie ihrer Darstellung in den Medien und dem, was am Ende wirklich hergestellt wird. Dieser Unterschied bleibt erkennbar.

In diesem etwas unübersichtlichen Gelände müssen Journalisten dem Publikum bei der Orientierung helfen. Das können sie nur, wenn sie selbst sich dabei einigermaßen auskennen und ziemlich viel Zeit und Mühe darauf verwenden, es im Einzelfalle zu untersuchen. Dazu brauchen sie natürlich Kompetenzen und Spielräume in den Medien, in denen sie arbeiten. Möglich ist und bleibt das auch in der Mediendemokratie. Die Anforderungen an kritischen und kompetenten Journalismus steigen also. Die Qualität der demokratischen Öffentlichkeit hängt aber davon ab, dass die Journalisten diesem Anspruch gerecht werden. Unter welchen Bedingungen sie das können, ist eine Diskussion allemal wert.

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Ich bitte jetzt Ulrike Helwerth, die Kollegen am Podium vorzustellen und die Podiumsdiskussion zu beginnen. [Beifall]

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Ulrike Helwerth

Vielen Dank, Herr Meyer. Auch ich möchte Sie herzlich begrüßen zu diesem Medienforum der Friedrich-Ebert-Stiftung und möchte meiner Freude darüber Ausdruck geben, dass wir als Journalistinnenbund, einem bundesweiten Netzwerk von medienschaffenden Frauen, eingeladen worden sind, zu dieser Auftaktveranstaltung beizutragen.

Bevor ich die Podiumsgäste und Referenten vorstelle, möchte ich Ihnen kurz etwas zum Ablauf dieses Nachmittags sagen. Die Veranstaltung ist, wie Sie dem Programm entnehmen können, in zwei Blöcke unterteilt. Jeder Block wird durch ein thematisches Referat eingeleitet.

Ich stelle Ihnen zunächst den ersten Referenten vor. Es ist zu meiner Rechten Professor Ulrich Pätzold, Direktor des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund. Er hat dort führend dazu beigetragen, den Modellstudiengang Journalistik aufzubauen. Er ist ferner beteiligt gewesen an der wissenschaftlichen Begleitforschung des Landes NRW für den Kabelfernsehversuch in Dortmund. Er hat das Institut Format mitgegründet und ist Direktor des Deutschen Instituts für publizistische Bildungsarbeit.

Nun die Podiumsgäste. Ich fange an zu meiner Linken: Frau Dr. Luc Jochimsen, Fernseh-Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, langjährige ARD-Korrespondentin in London und dort Leiterin des Studios.

Neben ihr Herr Dr. Friederich Mielke. Er ist Direktor der Akademie für Publizistik in Hamburg, die von Verleger- und Journalistenverbänden getragen wird. Er war langjährig Journalist und Übersetzer und ab Mitte der achtziger Jahre Pressesprecher des Amerika-Hauses in Hamburg.

Neben mir Monika Griefahn, ehemalige Umweltministerin des Landes Niedersachsen, Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des Bundestagsausschusses Kultur und Medien.

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Neben Herrn Pätzold Karin Junker, Mitglied des Europäischen Parlaments, Mitglied des Präsidiums der SPD, Mitglied des WDR-Rundfunkrats, stellvertretende Vorsitzende des dortigen Programmausschusses und Mitglied im Programmbeirat des deutsch-französischen Kulturkanals ARTE, und des Aufsichtsgremiums des europäischen Fernsehkanals EKK.

Ganz außen zu meiner Rechten Dr. Martin Doerry, stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, davor Leiter des SPIEGEL-Ressorts Deutschland 1 mit den Schwerpunkten politische Parteien, Zeitgeschichte, politisches Buch.

Herr Pätzold, bitte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001

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