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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 125 (Fortsetzung)]

Braun

Sind wir relativ vollständig ? Bis auf die, die sich noch in irgendeiner Ecke des Hauses festgequatscht haben. Und haben dann jetzt sozusagen gerade mal Halbzeit, sind jetzt bei der vierten Einheit und das ist der Bericht von Frau Hoskins über das, Tauziehen oder die Auseinandersetzung um die Reform des amerikanischen Gesundheitswesens. Natürlich unter dem Gesichtspunkt, was dies für die Älteren bedeutet. Frau Hoskins, Sie stellen sich vor, was Sie so machen, dann gehen wir ins Thema.

Hoskins

Danke schön Herr Braun, meine Damen und Herren, zuerst möchte ich mich bei Ihnen bedanken für die Einladung. Zweitens möchte ich mich Ihnen vorstellen: Ich bin die internationale Vertreterin der American Association of Retired Persons (AARP) in Genf, in der Schweiz. AARP ist eine Nichtregierungsorganisation mit Beraterstatus bei dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Ich bin die AARP-Vertreterin, die die Arbeiten der UNO auf allen Gebieten, die ältere Menschen betreffen sowie auf meinen Spezialgebiet, namlich die Lebensverhaltnisse älterer Frauen, verfolgt. In diesem Zusammenhang wird es Sie vielleicht interessieren, dass ich im September 3 Wochen in Peking auf der Weltfrauenkonferenz war, wo wir die Entwicklung einer Politik für ältere Frauen verfolgten. Aber das nur nebenbei.

Als Herr Braun mich einlud, über den Fehlschlag der Reformen des amerikanischen Gesundheitswesens zu sprechen, habe ich ihm nur mit einigem Zögern zugesagt. Denn ich bin keine Fachfrau auf dem Gebiet des Gesundheitswesen, aber als Gerontologin bin ich naturlich an den Aus-

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wirkungen der Gesundheitspolitik auf das Leben der älteren Menschen interessiert. Inwiefern beeinträchtigt oder verbessert die gegenwartige Gesundheitspolitik die Lebensqualität der Älteren? Zudem fühle ich mich als internationale Vertreterin von AARP in Genf auf dem der Gebiet der internationalen Alten- und Sozialpolitik etwas wohler als in der Politik auf nationaler Ebene. Aber, wenn man für AARP arbeitet, ist natürlich ein Wissen über die amerikanische Gesundheits- und Sozialpolitik unumgänglich.

Was mein heutiges Gespräch mit Ihnen betrifft, so hat mir Herr Braun nun auch noch die zukunftsgebundene Frage in den Mund gelegt: ist die Chance zur Reform des amerikanischen Gesundheitswesens für eine weitere Generation vertan? Die richtige Antwort darauf zu finden, ist nicht leicht und dazu müsste man schon Hellseherin sein. Meine persönliche Antwort auf diese Frage lautet aber, ja, ich glaube sie ist vertan, wenn wir von einer umfassenden Reform sprechen, von einer totalen Neustrukturierung des amerikanischen Gesundheitswesens, so wie sie der ursprüngliche Clinton-Plan ins Auge faßte. Auf der anderen Seite werden wir über die nächsten Jahre, und vielleicht sogar Jahrzehnte, viele neue Gesetzesvorschläge und Ansätze sehen, die vor allen Dingen versuchen werden, die Kosten zu dämpfen, die Deckung der Bevölkerung zu erweitern, und aber auch die Qualität der Gesundheitsversorgung zu bewahren. Viele dieser Ansätze werden nicht nur auf bundesweiter Ebene sondern hauptsächlich auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten erfolgen, wodurch man natürlich die Gefahr läuft, eine sehr unterschiedliche Gesundheitsversorgung zu erzielen, die von der Finanzkraft der einzelnen Bundesstaaten abhängt.

Die offizielle Antwort von AARP lautet allerdings anders. In einem Gesprach mit unserem Lobbyisten wurde gesagt, es sei einfach unumgänglich, daß wir innerhalb der nächsten Jahre die Frage einer grundsätzlichen Reform des Gesundheitswesens wieder anschneiden müssen. Das ist natürlich die logische Folgerung, wenn Sie die gegenwärtigen Schwierigkeiten und Probleme im Gesundheitswesen betrachten. Aber meine Frage dazu ist, welcher Politiker wird heutzutage bereit sein, noch einmal eine völlige Neustrukturierung des amerikanischen Gesundheits-

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wesens zu unternehmen. Aber vielleicht sollten wir jetzt etwas ins Detail gehen, damit Sie sich auch Ihre eigene Meinung bilden können.

Als Präsident Clinton im Jahr 1992 gewählt wurde, zeigten Meinungsbefragungen, daß 80 % der Amerikaner davon überzeugt waren, daß das Gesundheitssystem fundamental umstrukturiert und neu aufgebaut werden sollte. Was stimmt denn nicht im amerikanischen Gesundheitssystem? Aus der Unterhaltung mit Ihnen habe ich bereits herausgehört, dass viele von Ihnen die Litanei der Probleme des Gesundheitsversorgungssystems in den USA recht gut kennen.

Erstens, es gibt in den USA keine gesetzliche Pflichtversicherung fur die gesamte Bevölkerung. Dabei gibt es zwei Ausnahmen: die gesetzliche Krankenversicherung, Medicare, für Anspruchsberechtigte über 65 im System der sozialen Sicherheit der USA, und Medicaid, die Gesundheitsversicherung für Bedürftige im System der Sozialhilfe mit strikten Einkommensgrenzen.

Zweitens, der ständige Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen ist scheinbar unkontrollierbar. Die vorhergehende Sprecherin sagte, die Ausgaben für das amerikanische Gesundheitswesen erheben sich auf 14 % des Bruttosoziaproduktes. In absoluten Zahlen haben sich zwischen 1981 und 1991 die Kosten der Gesundheitsversicherung in den USA mehr als verdoppelt und zwar von 290 Milliarden Dollar auf 751 Milliarden Dollar. Das ist die höchste Ziffer von allen Industrieländern.

Drittens ist die Zahl der Nichtversicherten in den USA ständig gestiegen. 1992 waren es etwa 38,5 Millionen oder etwas über 15 % der Gesamtbevölkerung. Der prozentuale Anteil der Nichtversicherten variiert je nach dem Alter der Nichtversicherten. Beispielsweise sind 16 % der Kinder im Alter von 6 bis 17 Jahren nicht versichert und 27 % der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 29 Jahren. Selbst in der Altersgruppe von 30 bis 54 Jahre waren fast 17 % nicht versichert. Der Prozentsatz sinkt dann auf 13 % der 55 bis 64-jährigen und schließlich nur etwas über 1 % der über 65-Jährigen, die natürlich durch die gesetzliche Pflichtversicherung Medicare erfaßt werden. Frauen und ethnische Minoritäten sind durch die Nichtversicherung oder durch eine Unterver-

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sicherung besonders gefährdet. Wie Sie wissen und wie ich bereits angedeutet habe, erfolgt die Krankenversicherung in den USA durch den Arbeitgeber. Aber Sie wissen natürlich auch, daß der Arbeitgeber nicht gesetzlich verpflichtet ist, Krankenversicherung anzubieten. Es besteht also kein Zwang für den Arbeitgeber -- kein "employer mandate". Die Nichtversicherten sind daher keineswegs alle arbeitslos. 52 % der Nichtversicherten kommen aus Familien mit ganztägig und ganzjährig beschäftigten Arbeitnehmern, aber 85 % der Nichtversicherten haben ein Einkommen von unter 20.000 US Dollar pro Jahr, das heißt sie arbeiten für Mindestlöhne und ohne Sozialleistungen. Viele Arbeitnehmer können ihre Stellung nicht wechseln, denn sie haben Angst, beim Wechsel ihren arbeitsgebundenen Versicherungsschutz zu verlieren. Gleichzeitig ist erstaunlicherweise die Zahl der Versicherten noch gesunken und der Grund dafür ist, die Versicherungen wollen ihre Risiken vermindern und nur noch gesunde Leute versichern. Oder die hohen Kosten der Versicherungen treiben die Arbeitgeber dazu, keinen Versicherungsschutz in ihrem Leistungspaket anzubieten.

Wie bereits erwähnt, steigen die Kosten von Medicare und Medicaid ständig und das Medicareprogramm läuft Gefahr, ab Anfang des 21. Jahrhunderts, also genau gesagt ab dem Jahr 2002, nicht mehr über ausreichende Gelder zu verfügen. Gegen diesen Hintergrund ist es natürlich kein Wunder, daß 80 % der Amerikaner davon überzeugt waren, daß eine durchgreifende Reform die einzige Arznei für ein krankes System sei.

Nach weitschweifigen Beratungen, Versammlungen, Diskussionen mit Bürgern, Wissenschaftlern, Politikern usw. war es dann im Oktober 1993 soweit und die Clinton-Regierung legte dem amerikanischen Kongreß einen Gesetzentwurf vor. Ein Jahr später wurde die ganze Reformbemühung nach zahlreichen Diskussionen und Gegenvorschlägen fallen gelassen und von der Regierung zurückgezogen. Die Frage ist nun, warum ist die Reform gescheitert und was war darin vorgesehen?

Erst noch eine kleine Seitenbemerkung: wie Sie sich erinnern wurde die Reform von der First Lady Hilary Clinton vorgelegt. Welche Rolle Hilary Clinton bei dem Fehlschlag dieses Vorschlags gespielt hat ist

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schwer zu bewerten Wenn Sie daran interessiert sind, könnten wir uns darüber später noch unterhalten.

Die Frage ist nun, was war in dieser Reform und warum ist sie gescheitert. In der Reform vorgesehen war eine universelle Krankenversicherung, die durch den Verlust oder Wechsel der Beschäftigung nicht beeinträchtigt werden könnte. Da es sich bei dem Reformvorschlag um eine gesetzliche Pflichtversicherung handelte, hätten die Versicherungsgesellschaften nicht die Möglichkeit gehabt, die Versicherung von Personen mit hohem Risiko zu verweigern. Die Pflicht der Versicherung hätte dabei seitens der Arbeitgeber bestanden. Die Versicherung wäre auch weiterhin durch die privaten Versicherungsgesellschaften erfolgt. Das heißt, es war also nie ernsthaft die Rede von einer sogenannten Sozialisierung der Krankenversicherung durch den Staat, wobei der Staat der einzige Zahler, der sogenannte "single payer", ist. Die Option des "single payer" Systems - dabei dreht es sich hauptsächlich um eine Diskussion des kanadische Systems, das auch relativ gut funktioniert - wurde zwar weitgehend in den USA diskutiert und auch von weiten Kreisen vertreten, aber es wurde schließlich nie ernsthaft vorgeschlagen und wurde als undurchführbar im Rahmen der amerikanischen Marktwirtschaft verworfen.

Mit dem Clinton-Reformvorschlag wären die Unternehmen verpflichtet gewesen, ihre Beschäftigten und deren Familienangehörigen zu versichern und dabei 80 % der Beiträge zu zahlen. Der Staat hätte Klein- und Mittelbetrieben und zwar Betrieben mit weniger als 75 Beschäftigten zur Erleichterung der Soziallasten, sowie Familien mit einem Einkommen von weniger als 150 % der Armutsschwelle Zuschüsse gewährt. Darüber hinaus sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Kosten zu dämpfen und die Gesundheitsrisiken auszugleichen. Und zwar sollte dies geschehen durch ein äußerst kompliziertes System der Bildung von "Regional Health Alliances" auf dessen genaue Funktionen ich hier nicht weiter eingehen mochte. Diese Regional Health Alliances sollten die Leistungen garantieren, aber auch den Wettbewerb unter den Versicherungsgesellschaften anfachen. Für die Großunternehmen sollte die Möglichkeit der Beibehaltung der Verteilung des Risikos unter ihren Beschäftigten bestehen bleiben, d.h. sie sollten also nicht diesen Regional Health Alliances

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unterworfen werden. Es wurde davon ausgegangen, daß der Wettbewerb unter den Versicherungsgesellschaften sodann ein Sinken der Versicherungsbeiträge bewirkt hätte. Obwohl die Annahme dieser Reform das Bundeshaushaltsdefizit in den USA vorübergehend erhöht hätte, wurde im Clinton-Vorschlag davon ausgegangen, daß es langfristig durch zwei Faktoren reduziert werde. Und zwar erstens durch eine langsamere Zunahme der Gesundheitskosten auf die lange Sicht durch die Maßnahmen, die ich angedeutet habe, und zweitens durch Einsparungen im Medicaid-Programm, das Programm für Bedürftige, das dann, wenn jeder versichert ist, nicht mehr notwendig sein wird.

Das waren in sehr groben Zügen die Hauptmerkmale der Clintonreform und nachdem die Clinton-Reform dem Kongreß vorgelegt wurde, begann eine außerordentliche Runde von Kampagnen und Gegenkampagnen, von Vorschlägen und Gegenvorschlägen, von neuen Reformplänen von den verschiedensten politischen Richtungen und vor allem der Aufmarsch der Lobbyisten in Washington sowie ein Krieg der Medien. Unterstützt wurde der Clinton-Vorschlag ursprünglich von den Gewerkschaften. Aber selbst die Unterstützung der Gewerkschaft wurde immer lauwarmer, je länger diese ganzen Kontroversen anhielten. Meine Vereinigung, die AARP als eine Seniorenlobby, unterstützte einen Teil des Clinton-Plans. Es ist vielleicht ganz interessant für Sie zu hören, daß Bill Clinton ursprünglich selbst versucht hatte, die volle Unterstützung des Legislativrats der AARP zu gewinnen. Dieser Legislativrat tagt jeden Januar und bestimmt in großen Zügen die politischen Richtungen der Vereinigung. Clinton hatte selbst den Legislativrat eingeladen und wollte seine Unterstützung gewinnen. Aber das erschien AARP damals als ein Schritt, der von seiner Mitgliedschaft als „partisan", also nicht als politisch neutral, angesehen worden konnte. AARP hatte in der Zwischenzeit einen eigenen Plan, "Health Care America", entwickelt, um ihn als ein Maßstab zu benutzen, mit den andere Pläne gemessen werden konnten. Dieser Plan stimmte aber in den Grundzügen, Grundprinzipien des Clinton-Plans überein. Praktisch im letzten Moment, im Sommer 1994, kam AARP dann doch mit einer vollen Unterstützung des Plans der demokratischen Partei heraus. Aber ich glaube, im Sommer 1994 war es wahrscheinlich bereits zu spät. Es gab zu viele verschiedene Interessenvertreter, die ihren Einfluß benutzt hatten, und es bestand kein Konsens

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unter den Gesetzgebern. Als eine neue Benutzerin des Internets, habe ich in Vorbereitung für heute abend versucht, die öffentliche Diskussion elektronisch noch einmal nachzuvollziehen, und ich habe dabei einige interessante damalige Stellungnahmen und Artikel gefunden, von denen ich Ihnen hier ein bißchen berichten möchte.

Laut einem Artikel in einer linksgerichteten Zeitschrift „Common Cause", gemeinsame Sache, war noch nie eine durchgreifende Reform des amerikanischen Gesundheitswesens von Erfolg gekrönt und sie geben als kontinuierlichen Grund dafür an die unerschütterliche Opposition der American Medical Association, die amerikanische Vereinigung der Ärzte oder die amerikanischen Ärztekammer. Die Autoren geben drei historische Beispiele dafür an: In den meisten europäischen Ländern gab es schon in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts verschiedene Formen von Gesundheitsversicherung, aber als der damalige amerikanische Präsident Calvin Coolidge, ein Republikaner, versuchte, die Bundesmittel für das Gesundheitswesen zu erhöhen und zwar auf 3 Prozent des damaligen Bruttosozialproduktes, klagte ihn die AMA sozialistischer Tendenzen an und daß er eine deutsche Erfindung einführen wollte. AMA-Widerstand war auch der Grund oder einer der Gründe, warum Präsident Franklin Roosevelt das Gesundheitswesen nicht zu einem Teil seiner „New Deal"-Gesetzgebung von 1935 machte. Durch diese Gesetzgebung wurde das gegenwärtige System der sozialen Sicherheit in den USA geschaffen. Aber das Gesundheitssystem wurde nicht gekoppelt mit dem Rentensystem. Harry Truman hat es dann noch einmal versucht, aber auch er wurde von der AMA des Kommunismus bezichtigt. Laut diesem Artikel gab die AMA damals in nur 9 Monaten 1,3 Millionen Dollar im Kampf gegen Trumans Plan aus. 1965 trat dann Medicare, die Pflichtversicherung für ältere Menschen im System der Sozialen Sicherheit, in Kraft unter Präsident Lyndon Johnson. Das Inkrafttreten von Medicare geschah trotz des heftigen Widerstands der AMA. Aber die AMA engagierte den damaligen Filmschauspieler Ronald Reagan für die Poduktion einer Schallplatte, die dann laut dem Artikels den Ehefrauen der Ärzte zugeschickt wurde. Auf dieser Platte sagte Ronald Reagan, wenn wir Medicare keinen Einhalt gebieten, dann werden wir alle unseren Lebensabend damit verbringen, unsern Enkeln und Enkelkindern zu erzählen, wie die Zeiten damals waren, als Amerika noch ein freies Land war.

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1992 angesichts des starken Druckes der öffentlichen Meinung für eine Reform bekannte sich die AMA dann klugerweise zu einem universellen Zugang zu der Krankenversicherung und sie kam dann auch mit einem Gegenvorschlag zu dem Clinton-Gesetzvorschlag an die Öffentlichkeit. Der Gegenvorschlag sah keine Dämpfung der Arztkosten vor und diente laut diesem Artikel wieder hauptsächlich den eigenen Interessen der Mitglieder der AMA, den Ärzten.

Andere Vereinigungen und Interessenvertreter von Krankenhäusern sowie der Versicherungsindustrie machten ähnliche andere Reformvorschläge, die natürlich hauptsächlich auch ihren eigenen Interessen dienten. Die Gelder der Versicherungsindustrie und -vereinigungen flossen in Werbekampagnen, die in Radio und Fernsehen veröffentlicht wurden und natürlich auch in die "political action commitees", den sogenannten PACs, das legale System in USA, Gelder zu geben für die Wahl der Politiker. Die Gelder flossen natürlich für die Wiederwahl von Repräsentanten, die gegen die Reform waren. Ein Beispiel dieser Werbekampagnen waren Werbespots, die damals in allen großen amerikanischen Fernsehketten liefen. Sie wurden finanziert von der Health Insurance Association of America. Diese Werbespots zeigten das ideale gebildete junge Ehepaar, die sogenannten "Yuppies". Sie sitzen in ihrem schicken Wohnzimmer und unterhalten sich auf eine politisch korrekte Art und Weise über ihre Sorge um die Reform des amerikanischen Gesundheitswesens. Aber sie machen sich natürlich auch Sorgen um ihre eigene Zukunft. Werden sie in Zukunft noch die gleichen Optionen und die Wahlfreiheit haben, die Wahl der Ärzte und der Leistungen, oder wird ihre Wahl durch das neue Gesetz eingeschrankt? In einem anderen Werbespot machen sie sich Sorgen, ob der Clinton-Plan vielleicht doch irgendwann einmal bankrott gehen wird und was passiert dann mit ihnen? Das sollte natürlich den Verbrauchern anhand dieses sympathischen jungen Ehepaars zu denken geben, daß bei der Gesundheitsreform für sie nichts herausspringt. Verschiedene Sachen werden in Frage gestellt: Wahlfreiheit, Wahl des Versorgers, kurz, der Status quo ist vielleicht doch nicht so schlimm und entspricht mehr den Bedürfnissen der Bevölkerung besonders Leuten, die eine gute Anstellung und eine gute private Krankenversicherung haben. Es ist klar, daß die Clinton-Reformpläne der Versicherungsindustrie ein großes Unbehagen verursach-

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ten, obwohl sie sich selbst auch dazu bekannten, Sorgen zu haben über die hohen Kosten der Gesundheitsversorgung.

Auf der anderen Seite wurde der Clinton-Plan von der Linken angeprangert, zu sehr den Interessen der Versicherungsindustrie zu dienen, denn die Rolle der Privatindustrie blieb natürlich im Clinton-Plan erhalten. Die Linke unterstützte nach wie vor die Option des kanadischen Systems (Single Payer). Die Gewerkschaften unterstützten anfänglich den Clinton-Plan und pumpten auch Geld in die Werbekampagnen, aber dann verloren sie doch an Begeisterung, denn viele ihrer Mitglieder verfügten bereits über eine ausgezeichnete Krankenversicherung, die durch Tarifverträge gesichert wurde. Diese Krankenversicherungen boten bessere Leistungen als die Grundversicherung im Clinton-Plan. In dieser Kakophonie von Vorschlägen, Gegenvorschlägen, politischer Rhetorik, Werbekampagnen und Sonderinteressenvertretungen ist der Plan letzten Endes untergegangen und von der Regierung zurückgezogen worden.

Andere sind der Meinung, daß die Amerikaner im Grunde keine Pflichtversicherung wollen. Sie wollen keine erweiterte Rolle für Big Government, für die Rolle der Bundesregierung. Sie kennen alle die Folgen. In den Kongreßwahlen vom letzten Herbst haben die Republikaner die Mehrheit im Haus der Repräsentanten und im Senat gewonnen. Ihr Hauptwahlversprechen war das Bundeshaushaltsdefizit zu reduzieren und darum dreht sich im Moment der zweite heiße Kampf um die Reform des Gesundheitswesens. Clinton sagte in seiner letzten State of the Union-Rede, die er jedes Jahr im Januar vor dem Kongreß abgibt, daß er sich mit der Reform zu viel vorgenommen hatte und eine Reform nur schrittweise angegangen werden konnte. Er meinte, Schritte in die richtige Richtung wären, kleinen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, durch ein freiwilliges System des Poolings Versicherungsschutz für ihre Angestellten zu kaufen. Die Frage der Langzeitpflege, sagt er, bleibt nach wie vor ein brennendes Problem und Arbeitslosen sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihren Versicherungsschutz zumindest für ein Jahr beizubehalten: aber er redete natürlich nicht davon, daß der Staat dann den Arbeitgeberanteil übernimmt und wenige Arbeitslose können sich erlauben, die gesamte Versicherung zu tragen. Und schließlich erinnerte er dann auch wieder daran, daß heute eine kleinere Zahl von

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Arbeitnehmern durch ihr Unternehmen durch Krankenversicherung gedeckt ist, als das vor 10 Jahren der Fall war.

So, und jetzt kommen wir zur Gegenwart. Wie ich sagte, geht im Moment der heiße Kampf der Republikaner um die Verringerung des Defizits und eine Steuerermäßigung für die Mittelklasse von 245 Milliarden Dollar. Sie, die Republikaner, wollen diese Maßnahmen finanzieren durch eine Kürzung der Mittel für Medicare und Medicaid. Wie Sie sehen, geht die Debatte wieder los: aber diesmal handelt es sich um die Grundversicherung für ältere Menschen und es sind die Republikaner, die eine Reform durchziehen wollen und nicht die Demokraten. Und die Republikaner haben im Moment einige Schwierigkeiten, den Grundstein ihrer Reform des Haushaltsbudgets der amerikanischen Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Dazu noch eine kurze Erklärung: Der Plan der Republikaner beruht auf einem Bericht des Vorstands (Board of Trustees) der Medicare-Kassen (Medicare Trust Funds) von denen es zwei gibt: eine finanziert den Teil A der Medicare, die Krankenhausversicherung, die andere den Teil B von Medicare, die Versicherung für ambulante Pflege. Dieser Bericht des Vorstandes sagte, daß im Jahr 2002 Medicare ernsthafte Finanzierungsschwierigkeiten erleiden wird und zwar hauptsächlich Teil A von Medicare. Teil B vermeldete im Moment keine solchen Probleme. Die Republikaner, die im letzten Jahr behauptet hatten, die sogenannte Krise im Gesundheitswesen der USA wäre ein "figment of the imagination", sie wäre aus der regen Phantasie der Demokraten entstanden, behaupten jetzt, daß sowohl Medicare als auch Medicaid in einer Krise stecken. Die Lösung des Problems bestehe darin, Medicare bis zum Jahre 2002 um 270 Milliarden US-Dollar und Medicaid um 182 Milliarden Dollar zu kürzen. Dazu ist vielleicht zu sagen, daß der Vorstand schon mehrere Male die Alarmglocke geschlagen hatte und zwar genau neun Mal. Jedes Mal wurde die Situation durch relativ geringe Programmänderungen gelöst. Fachleute haben errechnet, daß die Probleme mit der Einsparung von etwa 100 Milliarden über die nächsten 10 Jahre gelöst werden könnten. Der republikanische Vorschlag ist natürlich fast drei Mal soviel und hat wahrscheinlich mehr mit dem Wahlversprechen zu tun, das Defizit zu verringern und eine Steuerermäßigung für die Mittelschicht anzubieten. Und wieder einmal kommen die Public-Relations-Spezialisten nach Washington und ver-

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suchen die Öffentlichkeit davon zu überzeugen. Spezialisten für Öffentlichkeitsarbeit wurden eingesetzt, die die Terminologie für die Wähler in den Griff bekommen sollten. Medicare sollte jetzt vor dem Bankrott "gerettet" und nicht "gekürzt" werden. Die Republikaner sagen, die Demokraten versuchten mit Einschüchterungstaktiken den älteren Leuten Angst einzujagen und dadurch treiben sie das Medicare-Programm in den Bankrott. Newt Gingrich, der Sprecher des Repräsentanten-Hauses, behauptet nicht nur, Medicare sei finanziell bankrott, sondern die Demokraten seien auch moralisch bankrott. Der republikanische Gesetzesentwurf heißt „Medicare preservation act", also die Bewahrung von Medicare. Allerdings heute habe ich einen kleinen Artikel in der Zeitung gesehen, daß Newt Gingrich jetzt zum ersten Mal offen gesagt hat, er glaube, Medicare würde schon von alleine eingehen. Die Demokraten im Kongreß sehen diesem Schauspiel mit einigem Genuß zu, denn sie erinnern sich nur allzu genau, was im letzten Jahr passierte. Und diesmal sind es eben die Republikaner, die Probleme haben. Präsident Clinton hat einen Gegenvorschlag gemacht, der Einsparungen von 120 Milliarden vorsieht und zwar hauptsächlich durch die Anbieter der Gesundheitsversorgung und nicht durch die Verbraucher. Die Einsparungen der Republikaner sollen durch ein System von Vouchern, ein System von Gutscheinen, erreicht werden, mit denen die älteren Leute Privatversicherungen hauptsächlich in den Health Maintenance Organisations, den HMO’s, erwerben können. Die HMO’s, um das kurz zu erklären, haben im letzten Jahrzehnt eine unerhörten Aufstieg erlebt. Vor 10 Jahren hatten sie etwa 10 Prozent des Marktanteils und jetzt fast 50 Prozent. Sie bieten eine Vernetzung von Ärzten und Krankenhäusern mit gewissen Leistungen. Die Patienten bezahlen nicht die Leistungen einzeln (fee for service) sondern es ist alles in einer Pauschale inbegriffen. Die allgemeine Ansicht der Verbraucherverbände und auch der Seniorenlobby ist, daß die Leistungen für Senioren, die gegenwärtigen Medicare-Leistungen dadurch an Wirksamkeit verlieren und weiterhin ausgehöhlt werden. Die HMO’s bieten nicht den gleichen Schutz und die gleiche Leistungsqualität an und auch nicht den gleichen Leistungskatalog wie im gegenwärtigen System. Darüber hinaus will der Plan die Prämien für Teil B von Medicare im Laufe der nächsten Jahre über das Doppelte erhöhen. Das ist kaum gewährleistet, wenn man bedenkt, daß die Ver-

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waltungskosten im gegenwärtigen System nur etwa 2 Prozent betragen. Die sind also nicht hoch.

AARP befürwortet auch Kürzungen im Medicaresystem in den nächsten 10 Jahren in der Höhe von etwa 110 Milliarden, durch Kostendämpfungen der Leistungsanbieter und nur eine geringe Beteiligung der Verbraucher. Für fast noch bedenklicher halten die Verbraucherverbände und die Seniorenlobby jedoch die Kürzungen im Medicaid-Budget, die im Moment besonders drakonisch im Gesetzentwurf der Republikaner aussehen. Beide Häuser, Senat und das Haus der Repräsentanten, wollen Medicaid um 182 Milliarden kürzen. Medicaid ist, wie Sie vielleicht wissen, untere anderem auch der Träger der Langzeitpflege in den USA. Die Empfänger von Langzeitpflege, die sich in Pflegeheimen aufhalten, müssen zuerst ihre eigenen Mittel für die Pflege aufbringen. Erst, wenn sie ihre eigenen Mittel erschöpft haben, können sie die Leistungen der Medicaid in Anspruch nehmen. Durch die Kürzungen wird das gesamte System der Langzeitpflege in Frage gestellt. Insbesondere natürlich auch die Garantie der Qualität der Langzeitpflege. Die Version des Repräsentantenhauses will darüber hinaus die Klausel beseitigen, die gegenwärtig die Ehegatten der Pflegeheiminsassen davor schützen, daß sie ihr Haus verkaufen oder daß sich selbst in die Armut stürzen müssen, um das Pflegeheim für den Ehegatten zu bezahlen.

Wie geht es jetzt weiter ? Die Haus- und Senatsversion der Gesetzesvorlagen muß bis zum 13. November dieses Jahres zusammengebracht und verabschiedet werden, damit sie dem Präsidenten vorgelegt werden kann. Präsident Clinton droht, wenn diese Version in dem jetzigen Form ihm vorgelegt wird, dann wird er das Veto dagegen einlegen. Die Sache kompliziert sich weiter durch die Tatsache, daß bis zum 15. November die Verschuldungsquote, also die Grenze der Schuld des Bundeshaushaltes erhöht werden muß, damit der Staat seinen Verpflichtungen weiter nachkommen kann. Die Republikaner drohen jetzt, die Erhöhung der Grenze der Staatsschuld mit dem Medicare/Medicaid-Gesetz zu koppeln, was den Präsidenten in die schwierige Lage versetzen wird, daß er gegen diesen Gesetzentwurf ein Veto einlegen muß, das heißt also, daß die Regierung praktisch paralysiert ist. Mit einer sogenannte "continuing resolution" müsste der Staat dann eine zeitlang weiterhinken. AARP ist

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im Moment, wie man sagt, in voller Kampfbereitschaft. Sie haben den 16. Oktober zum Medicare-Defense-Day erklärt und die Büros der Abgeordneten im Senat und Kongreß wurden mit Telefonaten und Briefen praktisch überschüttet. Der nächste Tag, der 17. Oktober, war der Long-Term-Care-Defense-Day. Darüber hinaus starten sie jetzt eine Mediakampagne, die vor den Folgen der drakonischen Maßnahmen der Republikaner warnt. Die amerikanische Öffentlichkeit ist laut den neuesten Meinungsumfragen diesen Gesetzesentwürfen gegenüber nicht positiv eingestellt, aber das kann sich natürlich auch wieder ändern. Heute verwirft jeder zweite Amerikaner den republikanischen Medicareplan. Laut Meinungsumfragen teilen allerdings viele Amerikaner die Meinung der Republikaner, daß sich die einzelnen Bundesstaaten mit Medicare und Medicaid befassen sollten und nicht die Bundesregierung in Washington.

Zum Abschluß habe ich noch zwei allgemeine Bemerkungen, die bestimmt nicht neu sind. Amerika ist ein Land das, wie auch Deutschland, über ausgezeichnete Statistiken, Ökonomen, Wissenschaftler verfügt, die uns unterrichten können über die Lage der verschiedensten Personengruppen, über ökonometrische Vorausschätzungen über die Kosten der Gesundheitsversorgung, die Kosten der Gesetzesentwürfe und das Für und Wider der verschiedenen Reformvorschläge usw. Es liegt also nicht an einem Mangel an Wissen. Sondern es liegt an einem Mangel von politischem Willen, eine solidarische Haltung mit den bedürftigeren Mitgliedern der Gesellschaft auf der Ebene der Bundesregierung zu befürworten. Das ist besonders ironisch angesichts der Tatsache, daß der Durchschnitts-Amerikaner sehr besorgt um seine Mitbürger ist. Auf der Ebene der freiwilligen Arbeit und in der Gemeinde tut er sehr viel für seine Mitbürger. Aber viele Amerikaner glauben eben nicht, daß sich die Bundesregierung dabei einmischen sollte. Und das führt zu dem zweiten Punkt: der politische Wille besteht nicht, von einem Recht auf Gesundheitsversorgung zu reden. Der alte Gedanke, daß die Freiheit nur solange besteht als jeder für sich selbst sorgen kann und daß jeder staatliche Eingriff ein Eingriff in das Privatleben ist und damit eine gewisse Freiheitsbeschneidung. Diese Art von Individualismus hat die Gesellschaft geformt und hat die Industrie angespornt und hat wohl auch viel Gewinn gebracht. Die Grenzen dieser Ideologie in

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einer modernen Gesellschaft sind sehr schwer zu erkennen und umzusetzen. Dazu kommt natürlich, daß im Moment weltweit und besonders in Industrieländern, die Tendenz besteht, die Vor- und Nachteile von privaten und öffentlichen Lösungen im Bereich der sozialen Sicherheit und der Krankenversicherung zu untersuchen und zu durchleuchten. Und es ist auch unverkennbar, daß viele dieser Systeme im Moment in einer Krise stecken. Wir haben das ja auch bei unserer Sprecherin heute nachmittag gesehen, die doch gewisse Privatlösungstendenzen andeutete. Privatisierung wird damit heutzutage zu einer Art Prüfstein des öffentlichen politischen Denkens auf dem sozialen Gebiet. Was heißt das für die Zukunft? Wir warten auf die Antwort. In der Zwischenzeit redet man in den USA nur wenig von den 39 Millionen im Moment nicht versicherten Amerikanern. Ihre Situation hat sich nicht verbessert in den letzten Jahren. Deswegen möchte ich jetzt die Frage an Sie richten. Was meinen sie, ist die Chance zur Reform des amerikanischen Gesundheitswesens für eine weitere Generation vertan ?

Braun

Vielen Dank. Ich glaube es wäre hilfreich, wenn Sie noch ein bißchen was nachtragen zur AARP, weil das, glaube ich, in der Gruppe so nicht bekannt nicht ist. Das ein anderer Kreis, als wir vor einem Jahr über AARP geredet haben.

Hoskins

AARP ist eine Vereinigung für Personen über 50 Jahre. Sie wurde 1958 gegründet von einer Lehrerin im Ruhestand in Kalifornien, die nach einer erschwinglichen Krankenversicherung für Personen im Ruhestand suchte. Sie gründete die Vereinigung, allgemein um die Interessen älterer Personen zu vertreten und spezifisch für den Abschluss von Gruppenversicherungen im Krankheitsfall für Personen im Ruhestand. Aus kleinen Anfängen im Jahr 1958, d.h. vor Inkrafttreten von Medicare 1965, ist die Vereinigung inzwischen auf eine Mitgliederzahl von 33 Millionen gestiegen. Als eine Interessenvertretung älterer Menschen wird AARP als die stärkste Seniorenlobby in den USA bezeichnet. Sie hat in Washington einen Stab von ständigen Angestellten mit etwa 1000 Leuten

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und noch etwa die gleiche Zahl in verschiedenen Bundesstaaten. Der Stab setzt sich zusammen aus Wissenschaftlern und Praktikern, die sowohl Informationen verbreiten, Öffentlichkeitsarbeit treiben und praktische Programme mit und für ältere Leute durchführen als auch die Politik und die Lobbytätigkeiten der Vereinigung durch Forschung unterstützen und die Lobby betreiben im Kongreß sowie in den Bundesstaaten. Über den bezahlten Stab hinaus beruht die Vereinigung hauptsachlich auf den freiwilligen Tätigkeiten ihrer Mitglieder. Freiwillige Mitarbeiter betreiben viele Programme für und mit älteren Leuten. Ältere Menschen besuchen andere ältere Menschen in Pflegeheimen, sie helfen beim Ausfüllen von Steuererklärungen, von Formularen für Medicare und Medicaid und anderem. Sie helfen neu verwitweten Menschen bei der Anpassung nach dem Tode des Ehepartners. Es gibt Kurse für Frauen, die mit ihren Finanzen nicht zurechtkommen. Amerika ist das Land des Autos: Es wird daher durch die Vereinigung Unterricht fur ältere Autofahrer angeboten. Die Vereinigung bietet ein wirklich breitgefächertes Programm fur ältere Menschen an. Hier habe ich heute hauptsächlich das Lobbyprogramm angesprochen, das in der amerikanischen Öffentlichkeit natürlich sehr sichtbar ist.

Braun

Ja. Nachfragen, Meinungen.

Dr. Thomas Scharf

Hätte Ihre Organisation nicht mehr tun sollen, um den Clinton-Plan doch zu unterstützen. Also, gibt es jetzt innerhalb Ihres Vereines jetzt Selbstkritik deswegen, daß der Plan nicht mehr durchführbar ist ?

Hoskins

Ja, Sie haben aus meiner Darstellung wohl entnommen, daß die Unterstützung des demokratischen Plans zu spät kam. Aber erinnern Sie sich bitte, die Vereinigung hat 33 Millionen Mitglieder und ist nicht parteigebunden. Mitglieder sind sowohl Demokraten als auch Republikaner. Aus diesem Grund hat die Vereinigung ihren eigenen Plan entwickelt, der

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von der Mitgliedschaft unterstützt wurde. Sie hatte also Schwierigkeiten, den Clinton-Plan zu unterstützen. Dazu kam, daß sie 1989 mit einem anderen Gesetzesvorschlag im Gesundheitswesen eingebrochen ist. Ich weiß nicht, ob Sie sich and die sogenannte „Catastrophic-Health-Insurance" erinnern, einer Versicherung für katastrophische Krankenfälle fur ältere Leute, die durch die älteren Leute finanziert werden sollte. Sie trat in Kraft, aber es gab praktisch eine Rebellion der älteren Leute gegen die Kostenerhöhungen, sodaß sie nach einem Jahr wieder abgeschafft wurde. Die Vereinigung hatte sich hinter diesem Gesetzentwurf gestellt. Das Resultat war, daß viele Mitglieder mit der Politik der Vereinigung nicht einverstanden waren und sie daher vorsichtiger geworden ist.

Horst Zlobinski

Es ist schon vorhin bei Ihnen angeklungen, daß die Bürger in den USA sehr viel Wohlfahrt auf privater Initiative machen. Es ist vielleicht, soweit ich ein bißchen versucht habe, die Menschen dort zu verstehen, eine andere historische Entwicklung wie in Europa gewesen, wahrscheinlich, so daß wir natürlich durch unsere Brille etwas vorsichtiger sein sollten, wenn wir die USA betrachten. Obwohl nach Kriegsende, da war ja USA das große Vorbild bei uns für viele, viele Dinge. Mittlerweile sind wir auch vorsichtig geworden, daß wir nicht mehr die USA als Vorbild für alle Dinge betrachten. Aber es ist doch, glaube ich, die historische Entwicklung unterschiedlich gewesen, und daß manches, was für uns selbstverständlich ist, in den USA nicht selbstverständlich ist.

Backhaus-Maul

Frau Hoskins, ich könnte mir ja vorstellen, daß es für Sie eigentlich vollkommen ausreichend wäre, zu sagen, gut also, wir organisieren eine Gruppenversicherung für unsere Mitglieder und damit ist es gut. Gleichzeitig spüre ich bei Ihnen so etwas wie irgend ein Engagement auch für die Nichtmitglieder, für die Armen, für die Sozialhilfeempfänger. Das verstehe ich nicht ganz, als eine Lobbyorganisation, Interessenorganisation können Sie doch ganz bescheiden sein und sagen „werdet Mitglied

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bei uns, wir versichern euch und liefern euch andere Servicepakete", dann wäre es doch gut. Warum ein Mehr ?

Hoskins

Die Vereinigung ist der Meinung, daß sie sich erst für die Solidarität zwischen den Generationen, das Allgemeinwohl, einsetzen muss. Vielleicht läuft Ihre Frage auch darauf hinaus, daß die Vereinigung Einnahmen bekommt durch gewisse Versicherungen, die sie ihren Mitgliedern anbietet und daß sie dadurch vielleicht auch die privaten Versicherungsunternehmen unterstützt. Aber in allen ihren öffentlichen Erklärungen wiederholt AARP ständig, dass sie diese Einnahmen sofort aufgeben wurde, wenn es möglich wäre, eine universelle Pflichtversicherung für alle Amerikaner zu schaffen.

Hirche

Sie sagten, jeder zweite Amerikaner lehnt das Programm der Republikaner nun ab, aber sie wissen zu wenig darüber. Das veranlaßt mich zu der Frage, wie ist das, welchen Einfluß hat überhaupt das Bildungssystem bzw. der Bildungsstand der Bevölkerung im allgemeinen auf die Entscheidungen, die da getroffen werden ? Ich hab mich damit noch nicht befaßt, aber ich habe den Eindruck, daß man sehr stark manipulierbar ist in den USA, so auch in dieser Ausführung, daß Herr Reagan erklärt hätte, welche Nachteile das hätte und daß das Wort Freiheit, einzig über allem stehende Wort ist, ohne daß man weiß, was damit verbunden ist.

Hoskins

Das ist durchaus möglich, aber auf der anderen Seite frage ich Sie, was weiß der durchschnittliche deutsche Bundesbürger über die Finanzierung der Pflegeversicherung?

George Bray

Ich bin Mitglied der AARP. Meine Frage ist, warum die Amerikaner, die

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in Deutschland wohnen, nicht die Bescheinigung für Leistungen von Medicare bekommen können ?

Hoskins

Ja, das ist ein Problem, das auch von verschiedenen Interessenvertretern von amerikanischen Bürgern, die im Ausland wohnen, angeschnitten wird. Ich weiß, Medicare ist ein Problem für ältere Amerikaner, die im Ausland wohnen, denn Medicare gilt nur in Amerika, es ist nicht übertragbar ins Ausland.

G. Braun

Ich wollte noch einmal auf die Frage zurückkommen, im Anschluß an Herrn Backhaus-Maul, also es hat nicht so sehr mit der Krankenversicherung zu tun aber mit der AARP: wie sieht die Mitgliedschaft aus ? Es sind ja sehr, sehr viele Leute, aber es könnte ja trotzdem sein, daß es in erster Linie die weißen Amerikaner sind. Wie stark sind auch die anderen Gruppen in der Mitgliedschaft vertreten ?

Hoskins

Die Vereinigung treibt ständig Forschung über das Profil der Mitgliedschaft. Dieses ist ähnlich dem Profil der älteren Amerikaner. Sie haben also sehr viel Menschen in der Mittelklasse, denn es gibt in USA eine grosse Mittelklasse. Dementsprechend gibt es natürlich auch Mitglieder aus den Minoritäten und AARP wirbt darüberhinaus aktiv Minoritäten an.

Seyer

Mir ist die Verfassung nicht bekannt, aber es könnte ja versucht werden auf Ebene eines einzelnen Bundesstaates einmal als Modellversuch die Krankenversicherung einzuführen. In Österreich passiert das regelmäßig immer dann, wenn der Bund eine Kompetenz für sich nicht in Anspruch nimmt, dann wird es zunächst einmal auf der Ebene eines Landes versucht. So z.B. die Pflegegeldregelung. Die wurde zuerst, und zwar bereits

[Seite der Druckausg.: 143]

‘92, in Oberösterreich eingeführt und mit dem 1. Juli 1993 hat dann der Bund diese Kompetenz, die ihm ja von Verfassungswegen zusteht, an sich gezogen und eine Regelung herbeigeführt. Ist das in den Staaten nicht möglich ?

Hoskins

Ja, ich glaube das ist der Weg, der jetzt eingeschlagen wird. Ich glaube, es werden alle möglichen Experimente auf der Ebene der Bundesländer eintreten und einige der Experimente, die sich als besonders erfolgreich erweisen, werden dann vielleicht auf breiterer Ebene eingesetzt werden. Es gibt jetzt schon Bundestaaten in den USA, beispielsweise Hawaii, die eine allgemeine Krankenversicherung haben. Das ist natürlich ein sehr kleiner Bundesstaat, aber die allgemeine Voraussage ist eben, daß sich von jetzt an sehr viel mehr auf der Ebene der Bundesstaaten tun wird und weniger auf der Ebene der Bundesregierung. Es ist natürlich durchaus möglich, daß nach den nächsten Wahlen das Pendel wieder in die andere Richtung schwingt. Das ist schwer zu sagen. Aber ich glaube, keiner ist bereit, eine umgreifende Restrukturierung auf bundesweiter Ebene im Moment wieder anzufassen.

Braun

Aber die Reform in den Bundesstaaten heißt auch, daß die ja nicht Reformen machen, um ein System auszubauen: so unsere Vorstellung, man baut so Bewährtes Stück für Stück aus, sondern Reformen in Bundesstaaten heißt auch, Plafondieren, Sparen, Gucken, daß die Expansion eingegrenzt wird. Also im Grunde genommen haben die überhaupt keine Wahl, als dieselben Ziele zu verfolgen, die man unter dem Gesichtspunkt 2002 auf Bundesebene verfolgen mußte, nämlich gucken, daß das nicht entgleist, Also werden da nirgends kleine Paradiese sich auftun.

Hoskins

Die Tendenz ist im Moment, daß die Bundesregierung den Bundesstaaten die sogenannten "Blockgrants" geben sollte. Blockgrants heißt, die Gelder in einem Block geben und die Bundesstaaten können dann selbst

[Seite der Druckausg.: 144]

über die Gelder verfügen und sie da einsetzen, wo bei ihnen die größten Bedürfnisse bestehen. Und das wird natürlich interessant sein, wie die Verteilung unter den Generationen aussehen wird. Ich würde sagen, wenn sie älter sind und sie wollen sich in Mississippi in den Ruhestand setzen, wo es sehr viel Armut gibt, dann ist das wahrscheinlich keine so gute Idee, wenn sie auf die öffentlichen Leistungen angewiesen sind.

Rieke

Eine Frage. Wenn diese Versicherung durchkommen sollte, sind die Ärzte dann verpflichtet, nach diesen zu behandeln oder geht es einem dann so, wie es mir jetzt beispielsweise geht, wenn ich nach Österreich fahre, komme mit einem Krankenschein hin, dann sagt der österreichische Arzt, April, April, wenn Sie hier als Urlauber sind, können Sie privat zahlen. Denn mir ist es mehrfach so gegangen in Österreich.

Hoskins

Reden Sie von dem Clinton-Reformplan ?

Rieke

Ja, ja. Von ihrem Gesundheitsreformprojekt. Muß jeder Arzt in Amerika dann danach behandeln oder kann er sagen, ich nehme Sie nicht an, ich behandle Sie nur, wenn Sie privat zahlen.

Hoskins

Der Clinton-Plan ging von vornherein davon aus, daß er weiterhin auf der Basis der privaten Krankenversicherung funktioniert, daß die Pflicht aber seitens der Arbeitgeber besteht, Versicherungen anzubieten. Es ist wie gesagt kein "single payer system" wie in Kanada und in Grossbritannien.

Backhaus-Maul

Frau Hoskins, Sie hatten eben kurz angedeutet, der Bund wird en block

[Seite der Druckausg.: 145]

ein Budget oder so etwas dann zahlen an die einzelnen Bundesstaaten, heißt das en block für alle Sozialleistungen oder dann spezialisiert.

Hoskins

Für alle Sozialleistungen.

Backhaus-Maul

Dann stellt sich für mich eine zweite Frage, was bedeutet das für Sie, wenn Sie sich für ältere Menschen, Sie sagen 50 und älter, einsetzen? Denn dann kommen Sie als Lobbyorganisation in einem Bundesstaat in die Situation, Sie müssen sagen, mehr Geld für die Älteren und haben dann eventuell unorganisierte junge Eltern, Kinder und Jugendliche gegen sich. Wie geht man damit um, wenn Sie auf der einen Seite gesagt haben universalistische Standards, irgend etwas von Gerechtigkeit, wie löst man so ein Dilemma dann ?

Hoskins

Das ist eine schwierige Frage. Der Standard ist die Solidarität unter den Generationen und es ist klar, daß Kinderarmut auch nicht gut für die Senioren ist. Und Sie werden sich deswegen nicht blind dafür einsetzen, daß alle Gelder nun für die älteren Leute ausgegeben werden. Sie werden sich bemühen, Lösungen mit einem gewissen Maß an sozialer Gerechtigkeit zu erreichen. Aber natürlich ist es klar, wenn Sie eine Lobbyorganisation für ältere Leute sind, daß Sie deren Interessen besonders im Auge haben. Aber es ist klar - arme Kinder, kranke Kinder sind kein Garant für die Zukunft der älteren Leute.

Kruse

Bei dieser prognostizierten Verteilung an die Bundesstaaten, wird es dann nicht noch ein Problem bei der steigenden oder bei der sehr starken Mobilität geben, wo man einen neuen Job annehmen kann, wenn die Systeme sehr unterschiedlich sind ? Ich meine, bei uns fragt man sich manchmal, ob man die Kinder dorthin geben kann, wo die Schulen so

[Seite der Druckausg.: 146]

und so sind: aber das scheint mir noch etwas weniger wichtig, als zu sehen, wie dann die Versicherungssysteme sind.

Hoskins

Sie haben durchaus recht. Die Schulen beispielsweise reflektieren dies durchaus: die Leute ziehen in Gegenden, wo die Schulen gut finanziert und wo gute Lehrkräfte sind. Es kann durchaus sein, daß die Versicherungssysteme und die Pflegebedingungen für die älteren Leute einen Einfluß nehmen auf Arbeitsentscheidungen.

Hirche

Mich würde noch Ihre Bemerkung betreffs Hilary Clinton interessieren. Sie war ja schließlich in Peking ganz groß auf dem Kongreß.

Hoskins

Hilary Clinton ist eine Frau, die ich persönlich bewundere. Sie hat offenbar einen Rolleninhalt für ihre Rolle als die First Lady gesucht, ist dann aber sehr eingebrochen. Es wurde ihr sogar vorgeworfen, daß durch ihre Tätigkeiten die ganzen Reformvorschläge dann paralysiert wurden. Meiner Ansicht nach ist das zu einfach, denn es war ja nicht nur Hilary, die Sache war sehr viel komplizierter. Ich hoffe jedenfalls, daß sie im Laufe der nächsten Jahre eine Rolle für sich selbst finden kann, die ihren Kapazitäten entspricht. Sie hat in Peking auf der Frauenkonferenz eine sehr couragierte Rede gehalten und sie ist eine Frau mit sehr vielen Fähigkeiten. Es wäre eine Schande , diese Fähigkeiten nicht auszunutzen.

G. Braun

Aber, Sie wollen damit doch auch sagen, daß sie unter Umständen nicht einkalkuliert hat bei ihrer Tätigkeit, als sie diese Reform geleitet oder vorantreiben wollte, daß das nicht goutiert wird. Ist das eine mögliche Interpretation ?

[Seite der Druckausg.: 147]

Hoskins

Ja, die Frage ihrer Legitimität als eine öffentliche Vertreterin wurde eben in Frage gestellt und das ist natürlich auch gerechtfertigt. Man müßte sich dann einmal Gedanken machen, was ist die Rolle einer First Lady? Sollte sie ihrer eigenen Karriere nachgehen und sich nicht ins öffentliche Leben begeben ? Oder sollte sie nur im Weißen Haus sitzen und die Gäste empfangen ? Aber Sie haben natürlich recht, die Legitimität ihrer Rolle bei der Reform des Gesundheitswesens war das Problem.

Braun

Ja, dann haben wir zu einem Zeitpunkt keine Wortmeldungen mehr, wo es gar nicht so unangenehm ist, bevor die ersten durchhängen: einige sind ja schon sehr lange unterwegs heute. Es sind ja die wenigsten ausgeruht schon gestern hier angekommen und angetreten. Das wäre ein Punkt jetzt einmal in der gemeinsamen öffentlichen Runde hier, wenn keine Fragen mehr vorliegen. Vorschlag zur Güte, wir gehen so in einer Viertelstunde, wer mag, noch mit runter in die Kneipe. Ansonsten, morgen früh ab 8 können Sie frühstücken, um 9 machen wir hier mit den Länderrunden weiter.

[Seite der Druckausg.: 148]


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