FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 42 (Fortsetzung)]

Dr. Thomas Schlunk

Ich berichte Ihnen über wesentliche Verbesserungen der Betreuung von Schwerkranken und sterbenden Patienten im Landkreis Tübingen, die seit Oktober 1991, also in den letzten vier Jahren erreicht worden sind durch das Tübinger Projekt „Häusliche Betreuung Schwerkranker". Zunächst zum Krankenhaus. Das Krankenhaus, in dem ich arbeite, ist eine 100-Betten-Klinik, die Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus Tübingen, und hat verschiedene Aufgabenbereiche. Unter diesen Aufgabenbereiche stellt die ärztliche und pflegerische Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden seit vielen Jahren einen zwar kleinen, aber sehr wichtigen Bereich dar.

Unser Krankenhaus und sein Träger, das deutsche Institut für Ärztliche Mission e.V. (DIFÄM), vertreten die Auffassung, daß die Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden zu den Aufgaben eines jeden Krankenhauses gehört. Dieser Patientenkreis wird in der Konzeption für die

[Seite der Druckausg.: 43]

Arbeit unseres Krankenhauses eigens hervorgehoben, um deutlich zu machen, daß unser Krankenhaus diesen Menschen in besonderer Weise dient. Ich zitiere: „Krankenpflege und ärztliche Behandlung schwerkranker Schmerzpatienten, oft auch deren Begleitung bis zum Tode, ist der dritte Aufgabenbereich. Den Anforderungen, die die Betreuung solcher Patienten stellt, ist das Krankenhaus nur in enger Zusammenarbeit mit Familie und Seelsorger gewachsen. Die internistischen Patienten sowie die Schmerzpatienten und Sterbenden sind im höheren Maße als die Tropenpatienten auf das Krankenhaus und die Betreuung durch seine Mitarbeiter angewiesen, ihnen in gewisser Weise ausgeliefert. Die Krankenhauskonzeption orientiert sich deshalb wesentlich an diesen beiden Patientengruppen. Personalauswahl für alle Arbeitsbereiche, Tagesrhythmus und Funktionsabläufe im Krankenhaus sowie bauliche Veränderungspläne müssen deshalb vor allem an den Bedürfnissen dieser Patienten ausgerichtet sein."

Durch Kontakte der Ärzte des Krankenhauses zu Hospizen in England haben wir am Krankenhaus die orale Morphinbehandlung bei Schmerzpatienten schon vor mehr als 20 Jahren eingeführt, was für Deutschland sehr, sehr früh ist.

Nun zu dem Projekt, an dem ich seit Anfang beteiligt bin. Vor etwa sieben Jahren gab es im Krebsverband Baden-Württemberg die Anregung, man könnte in Tübingen doch ein Projekt entwickeln, das den Ansatz von hospice care aus England gewissermaßen nach Baden-Württemberg transportiert. Und damals hat mein Chef, Herr Dr. Kretschmer, in Kooperation mit dem Krebsverband Baden-Württemberg und dem Sozialministerium Baden-Württemberg in Tübingen einen Gesprächskreis ins Leben gerufen „Betreuung schwerkranker Patienten". Darin waren Vertreter der in diesem Bereich engagierten Versorgungseinrichtungen und Personengruppen vertreten. Innerhalb von zweieinhalb Jahren hat man ein Projekt entwickelt, man ging aus von einer Analyse des damaligen Ist-Zustandes. Als Defizite wurden damals benannt, daß es für Schwerkranke schwierig war, längere Einsätze zu Hause mit Pflegekräften zu bekommen, das Maximun lag damals bei zwei, höchstens drei kurzen Pflegeeinsätzen. Weiter wurde gesagt, daß die Schmerztherapie im ambulanten Bereich noch sehr mangelhaft, keineswegs auf dem

[Seite der Druckausg.: 42]

neuesten Stand und nicht flächendeckend sei; und drittens war auch noch die Unterstützung für die Pflegenden bei schwierigen Situationen durch psychologische Fachkräfte erwünscht.

Man hat also diese Defizite gekannt und hat auf dieser Grundlage ein Projekt entworfen, das in enger Zusammenarbeit mit bestehenden Einrichtungen die Lücken schließen sollte. Die gemeinsame Trägerschaft übernahmen der Träger meines Krankenhauses, das deutsche Institut für Ärztliche Mission e.V. (DIFÄM) und das interdisziplinäre Tumorzentrum (ITZ) des Uniklinikums Tübingen. Einzugsgebiet ist der gesamte Landkreis Tübingen. Das Projekt wird seit Oktober 1991 zu vier Fünfteln von der Bosch-Stiftung und zu einem Fünftel vom Krebsverband Baden-Württemberg e.V. gefördert. Für das kommende Jahr ist noch ein kleiner Teil von diesem Fördergeld übrig, wir stehen momentan zwischen einer auslaufenden Anschubfinanzierung und einer noch nicht ganz sicheren und nicht ganz ausreichenden Regelfinanzierung.

Die Ziele unseres Projektes sind folgende: wir wollen

  • - die Betreuung von schwerkranken Patienten zuhause fördern;
  • - Krankenhausaufenthalte/Klinikaufenthalte verkürzen oder verhindern;
  • - die Zusammenarbeit von stationärer und ambulanter Krankenversorgung verbessern, z.B. durch gut vorbereitete Klinikentlassungen.

Es erscheint mir sinnvoll und anschaulich, daß ich Ihnen bereits an dieser Stelle ein praktisches Beispiel einer Betreuung schildere, damit Sie sehen, wie wir zusammenarbeiten:

Frau S. ist 38 Jahre alt und hat seit zwei Jahren Brustkrebs. Trotz Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapie konnte die Krankheit nicht aufgehalten werden. Seit einigen Wochen geht es Frau S. zunehmend schlechter. Aufgrund von Wirbelsäulenmetastasen sind ihre Beine gelähmt. Die Patientin wird von den Ärzten über ihren Zustand aufgeklärt und weiß, daß es medizinisch kaum noch Hilfe gibt für sie. Es fällt ihr sehr schwer, das zu akzeptieren, und sie macht sich immer wieder Hoffnung, daß es doch besser wird. Sie hat

[Seite der Druckausg.: 45]

zwei Kinder im Alter von fünf und neun Jahren und würde deshalb sehr gerne nach Hause gehen. Ihr Ehemann und einige Verwandte unterstützen diesen Plan und diesen Wunsch. Neben der Sozialstation wird auch die Hilfe vom Tübinger Projekt angefragt. Anfangs reicht für die Pflege die Hilfe der Sozialstation, auch die Versorgung der Kinder und die Haushaltsführung sind durch Familie und eine Familienhelferin gesichert. Die Betreuung des Tübinger Projekts beschränkt sich anfangs auf einen wöchentlicher Besuch einer Krankenschwester, die Zeit hat, Fragen über Krankheit, Tod und Sterben zu beantworten und Frau S. in ihren Kämpfen, Ängsten, Enttäuschungen und Sorgen um die Zukunft zu begleiten. Nach etwa fünf Wochen klagt die Patientin trotz regelmäßiger Einnahme von Schmerzmitteln über zunehmende Schmerzen. Ihr Allgemeinbefinden wird dadurch erheblich beeinträchtigt. Der Hausarzt leiht nach einer telefonischen ärztlichen Beratung vom Projekt eine Schmerzpumpe aus, einen Tag später sind die Schmerzen fast weg und Frau S. fühlt sich wieder viel besser.

Die gesamte Situation von Frau S. und ihrer Familie ist auch für die Sozialstation, Familienhilfe und Projektmitarbeiter nicht einfach. Deshalb gibt es Supervisionstermin mit der Psychologin und es stellt sich heraus, daß der Ehemann dringend Hilfe braucht, ob und wie er die Kinder auf den nahenden Tod der Mutter vorbereiten soll. Es wird beschlossen, daß die Projektkrankenschwester Herrn S. empfiehlt, sich von der Psychologin beraten zu lassen. Dies ist eine deutliche Entlastung für die Familienhelferin und das Pflegepersonal. Etwa drei Wochen später geht es Frau S. plötzlich rapide schlechter. Es ist anzunehmen, daß sie in den nächsten Tagen sterben wird. Sie wird in die 24-Stunden-Rufbereitschaft des Projektes aufgenommen; eine Krankenschwester vom Projekt kann den ganzen Nachmittag bei ihr bleiben, auch eine Nachtwache wird vom Projekt organisiert. Herr S. kann einen Tag später Urlaub nehmen und möchte vorerst die Nachtwachen selbst übernehmen. Die Kinder werden bei Verwandten untergebracht. Nach drei Tagen ist Herr S. fast am Ende seiner Kräfte und bittet wieder um eine Nachtwache. In dieser Nacht stirbt die Patientin. In einem Gespräch zwei Wochen später drückt Herr S. seine Dankbarkeit aus, daß er durch die Hilfe von Sozialsta-

[Seite der Druckausg.: 46]

tion, Familienhilfe, Projekt und Hausarzt es seiner Frau ermöglichen konnte, ihre letzte Lebenszeit zuhause zu verbringen. Im Umgang mit den Kindern hat er zum Teil Schwierigkeiten und will deshalb noch eine zeitlang von der Psychologin Hilfe in Anspruch nehmen.

Das war ein praktisches Beispiel aus der Arbeit. Nun zu dem Aufbau des Projektes. Das Projekt hat drei Anteile: A) einen pflegerischen, B) einen ärztlichen und C) einen psychologischen. Einen Anteil Krankenpflege, einen Anteil ärztlicher Konsiliardienst und einen Anteil psychologische Unterstützung.

Die pflegerischen Leistungen machen den größten Anteil im Projekt aus. Zwei Krankenschwestern koordinieren diese Hilfeleistung. Sie haben eine weitere Mitarbeiterin für Verwaltungsaufgaben an der Seite. Ihr Büro liegt im Paul-Lechler-Krankenhaus. Diese beiden Schwestern nehmen Anfragen entgegen, organisieren den Einsatz der Pflegekräfte und stehen im Kontakt zu Sozialstationen, Hausärzten und Kliniken. Daneben gibt es etwa sechs festangestellte Krankenschwestern und Pfleger und ca. 30 stundenweise mitarbeitende („geringfügig Beschäftigte") Pflegefachkräfte. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben in Tübingen viele Krankenschwestern in Familienpause, die aus Familiengründen nicht arbeiten können, die aber sehr gern bereit sind, Nachtwachen im Projekt zu leisten. Und diese Konstruktion hat den Vorteil, daß das Projekt, wenn sehr viel Hilfe gebraucht wird, auch parallel mehrere Nachtwachen anbieten kann, daß aber in Zeiten, wo man keine Nachtwachen braucht, auch keine Kosten anfallen. Die Betreuung der Pflegekräfte gilt Patienten in der letzten Lebensphase, außerdem akut pflegebedürftigen Patienten, wenn durch eine gute pflegerische Betreuung zuhause eine Einweisung vermieden werden kann und in Ausnahmefällen auch chronisch pflegebedürftigen Patienten.

Nun zum Aufgabenspektrum. Da sind zwei Begriffe einzuführen, einmal der Begriff Brückenpflege und der Begriff der zeitintensiven Pflege. Diese beiden Begriffe sind neu entstanden, als wir bereits arbeiteten, sind aber wichtig wegen der Finanzierung. Brückenpflege heißt, eine Verbindung, eine Brücke, schaffen zwischen stationärer und ambulanter Ver-

[Seite der Druckausg.: 47]

sorgung. Dazu gehört, eine frühzeitige und umfassende Entlassungsvorbereitung im Krankenhaus. Regelmäßige Besuche zuhause durch eine konstante Bezugsperson. Beratung bei allen mit der Krankheit zusammenhängenden Fragen, psychische Unterstützung der Patienten und Familienangehörigen, spezielle Krankenbeobachtung, bei Problemen Rücksprache mit Hausarzt, ambulanten Diensten und bei Bedarf mit der zuständigen Klinik. Überwachende Schmerztherapie, Übernahme von speziellen Behandlungspflegen in Problemfällen und, bei Verschlechterung der Krankheit, laufende Anpassung der Betreuung und entsprechende Koordination der Dienste. Und Erreichbarkeit rund um die Uhr durch Rufbereitschaft. Brückenpflege wird nur von festangestellten Pflegekräften übernommen. Brückenpflege ist leider auf Tumorkranke beschränkt.

Das zweite ist die zeitintensive Pflege. Das heißt Pflege von Patienten, die einen hohen Zeitaufwand erfordert. Das sind ein- bis mehrstündige Pflegeeinsätze oder mehrmalige Einsätze am Tag; das sind Nachtwachen und auch Einsätze zu ungünstigen Zeiten z.B. nachts nach 23 Uhr. Seit dem 01. April diesen Jahres übernehmen wir auch im Projekt die Nachtrufbereitschaft der Tübinger Sozialstationen für den ganzen Landkreis, diese ist ja Pflicht seit dem 01. April gegenüber den Pflegekassen. Diese zeitintensive Pflege ergänzt das Angebot der Sozialstationen. Sie wird meist für akute Schwerkranke oder sterbende Patienten angefordert. Die Diagnose, also Tumor oder andere Erkrankung, spielt dabei keine Rolle.

Drittens Entlastung von Angehörigen. Sie ist meist bei chronisch bettlägerigen Patienten erforderlich, normalerweise geht ein Laienmitarbeiter etwa dreimal in der Woche für drei bis vier Stunden zu dem Patienten, damit der pflegende Angehörige in Ruhe das Haus verlassen kann für Einkäufe, Besorgungen, Behördengänge. Es werden auch immer wieder Nachtwachen von Laienmitarbeitern übernommen. Wir haben in zwei Kursen eigene Laienhelfer ausgebildet; etwa 20 Personen machen zur Zeit derartige Einsätze. Sie werden für ihre Einsätze als geringfügig Beschäftigte bezahlt, also unter der 580-Mark-Grenze; sie arbeiten nicht unentgeltlich und nicht ehrenamtlich.

[Seite der Druckausg.: 48]

Nun zum zweiten Teil, die ärztlichen Aufgaben. Dabei geht es meistens um die Beratung der Hausärzte zu Fragen der Schmerztherapie und Symptomkontrolle bei Tumorkranken. Das geschieht durch eine Telefonberatung aber auch durch Hausbesuche direkt bei den Patienten. Es können auch spezielle Medikamentenpumpen vom Projekt ausgeliehen werden. Ich möchte es Ihnen ein bißchen genauer erzählen, weil vielleicht jemand dabei ist, der so etwas auch in seinem Bereich brauchen kann und mache deshalb einen kleinen Exkurs: kontinuierliche subkutane Schmerztherapie. Im Normalfall ist anzustreben, daß ein Patient mit Schmerzen Medikamente als Tabletten oder Lösungen einnimmt, also oral. Das ist die normale Therapie, die meistens auch möglich ist. Gerade aber schwerkranke Patienten haben das Problem, daß sie gegen das Lebensende oft sehr, sehr schwach werden, daß sie wegen Erbrechen oder Übelkeit nicht mehr in vorgeschriebenen Abständen Schmerzmittel einnehmen können und diese Probleme führen dazu, daß es schwierig wird, eine begonnene und wirkungsvolle Schmerztherapie in diesem Stadium der Schwererkrankung oder Sterbens aufrecht zu erhalten. Und das ist erst recht ein Problem zuhause. Folgende Vorteile hat diese Therapiemethode: der Patient bekommt durch diese Infusionsbehandlung Medikamente konstant gegeben und zwar werden die Medikamente mit einer dünnen Nadel in die Bauchhaut injiziert. Vorteil ist, jede Krankenschwester kann diese Therapie durchführen. Man braucht keinen Hausarzt, der wegen einer Venenpunktion ins Haus kommt. Die Patienten haben dadurch weniger Erbrechen und Übelkeit, sie brauchen nicht immer wieder neue Spritzen zu bekommen, was sonst notwendig wäre, sie sind weiterhin beweglich, sie können z.B. noch auf den Nachtstuhl gehen oder den Raum wechseln, weil die Pumpe sehr klein und tragbar ist - ich habe eine Pumpe dabei, nachher zum Zeigen - und ein großer Pluspunkt ist, die Nachtruhe ist wieder eine wirkliche Pause. Die Familie muß nicht aufstehen, um Medikamente zu verabreichen, man muß nicht auf die Uhr schauen, der Patient hat eine konstante gute Schmerztherapie und die Pumpe wird mit der Spritze etwa einmal am Tag gefüllt, d.h. die Schwester muß nur einmal am Tag diese Spritze nachfüllen. Das nächste Bild zeigt, welche Patienten wir damit behandeln. Es sind alles Patienten, bei denen die Therapie nur noch parenteral also nicht mehr durch den Mund möglich ist. Die Therapiedauer liegt in dem Bereich von Tagen bis wenigen Wochen im Normalfall. Es sind Patienten, deren Symptome sich

[Seite der Druckausg.: 49]





rasch ändern können, das gilt für Probleme wie Schmerz, Atemnot, Hustenreiz, Übelkeit, Erbrechen aber auch eine Unruhe, die oft in den letzten Lebenstagen auftreten kann. Es sind Patienten, die wegen ihrer schweren Erkrankungen sowieso mindest einen Besuch pro Tag von der Schwester bekommen und die von uns verwendete Pumpe hat den Vorteil, sie ist so einfach zu erklären, daß selbst der Ehepartner schon diese Pumpe in Abständen über mehrere Wochen richtig bedienen konnte.

Das nächste Bild zeigt diese Pumpe, ich kann ein Beispiel nachher mal rumgehen lassen. Und das nächste Bild, ein ganz wichtiger Punkt, der für die Therapie spricht, die Patienten haben ja oft nicht nur Schmerzen sondern eben auch noch weitere Probleme. Gerade Erbrechen, Übelkeit, Atemnot oder Unruhe und wir haben die Möglichkeit in dieser Pumpe nicht nur Schmerzmittel sinnvoll zu dosieren sondern auch Mittel gegen Übelkeit oder Erbrechen, auch Mittel zur Sedierung und wir können gewissermaßen ganz nach dem Bedarf des Patienten diese verschiedenen Symptome sehr konstant und sehr effektiv behandeln. Der Vorteil ist, daß man wirklich sagen kann, mit dieser Therapie ist ein Patient zuhause

[Seite der Druckausg.: 50]

ärztlich bestens versorgt, es gibt keine Probleme, wo die Familie in Not kommt, und ein Krankenhaus kann diesen Bereich der Symptomkontrolle nicht besser machen. Das letzte Dia. Dieser Bereich der ärztlichen Beratung wurde ja anfangs als Projektleistung finanziert. Wir hatten Sorge, was daraus wird nach Projektende und zum Glück gelang es, daß ich selber persönlich ermächtigt worden bin zu Hausbesuchen bei Kranken im Landkreis Tübingen, d.h. der Hausarzt kann mich auch weiterhin direkt als Kollegen anfragen, mich in die Betreuung einschalten, ich kann Patienten zuhause ansehen, habe ab dann auch durch die Projektmitarbeiter eine Verlaufsbeobachtung, wie der Patient die Therapie verträgt, kann die Therapie bei Problemen oder bei neuen Problemen anpassen und das ist eine sehr effektive Sache. Dazu gehört, daß ich auch sehr gut erreichbar bin, auch am Wochenende, auch am Abend, auch bei irgendwelchen Pannen, das ist wichtig. Schmerztherapie erfordert einfach einen Hintergrunddienst, der alle Probleme auch ohne Verzögerung löst.

Dritter Teil vom Projekt war die Psychologin. Bis Ende letzten Jahres gab es 1,25 Stellen für zwei Psychologinnen und die konnten den Schwestern der Sozialstationen im Landkreis Tübingen Fortbildung und Supervision anbieten. Sie haben darüber hinaus auch die schwerkranken Patienten und die Familien im Rahmen von Hausbesuchen beraten und begleitet. Dabei ging es meist um Probleme der Krankheitsbewältigung, um Sterben und Tod, und oft auch vor allem um das Problem, daß die Familien überlastet waren durch die Schwerpflege. Vielen fällt es schwer. fremde Hilfe anzunehmen, obwohl sie eigentlich überlastet sind. Durch Beratung der Psychologin können dann manchmal falsche Schuldgefühle genommen werden und Wege gefunden werden, wie der Patient und die Familie die Belastung der Krankheit besser verarbeiten und damit umgehen kann. Es ist ein wichtiges Ergebnis des Tübinger Modellprojekts, daß für die von schwerkranken Tumorpatienten und ihren Angehörigen benötigte psychologische Hilfe keine adäquat zugänglichen Angebotsstrukturen im ambulanten Bereich verfügbar sind. Es gibt kein Angebot psychologischer Hilfe für diese Patienten und auch die von den Familien benötigte Hilfe ist eigentlich gar nicht vorgesehen. Und wir haben den Vorteil im Projekt, daß wir durch diese Kombination bei solchen Problemen rasch ansprechbare Partner bieten können, Leute, die mit Problemen der Krebserkrankung und deren Problemen vertraut

[Seite der Druckausg.: 51]

sind, und die Hilfe für die Familien ist ein Aspekt dabei und auch die Vernetzung der anderen Hilfsangeboten eben gerade zur pflegerischen oder ärztlichen Betreuung, d.h. praktisch eine Schnittstelle zu anderen Bereichen des Projektes. Wir haben jetzt noch bis zum März nächsten Jahres eine Finanzierung einer halben Stelle durch den Krebsverband Baden-Württemberg; es ist bisher nicht gelungen, da eine bessere Finanzierung zu finden. Jetzt, solange sie noch da ist, kann die Psychologin maximal fünf Gespräche anbieten pro Patient, und muß dann, wenn es geht, einen Kollegen suchen, der den Patienten weiterbetreut.

Jetzt zu den Vorteilen des Tübinger Projekts. Unser Projekt ist ja aufgrund der Analyse des Bedarfs entstanden und hat im Grunde die Dinge integriert, die am dringlichsten waren. Die Begriffe „Brückenpflege" und „zeitintensive Pflege" wurden in Baden-Württemberg erst während der Laufzeit unseres Projekts geprägt. Wir haben aber bei uns die Erfahrung gemacht, daß unser sehr umfassendes Angebot in der täglichen Arbeit viele Vorteile bietet. Das ganze Projekt ist deutlich mehr als die Summe seiner Teile. Für den Patienten und die Familie ist es sehr positiv, daß der gleiche Dienst, der die Entlassung aus dem Krankenhaus vorbereitet hat, bis zuletzt zuständig bleibt. Jedem Patienten wird eine Krankenschwester, -pfleger zugeordnet, die oder der denjenigen über den ganzen Zeitraum bis zum Tode des Patienten konstant begleitet. Der Übergang von Brückenpflege zur zeitintensiven Pflege ( der erfahrungsgemäß sehr schnell notwendig werden kann, weil der Patient daheim mehr Hilfe braucht) ist jederzeit ohne „Übergabe" und ohne Informationsverlust möglich. Also der Dienst ist im Grunde weiterhin einheitlich, obwohl er verschieden finanziert wird. Wir haben die Hoffnung, daß das Projekt in dieser Kombination als Funktionseinheit erhalten werden kann. Dazu wünschen wir uns, daß die Finanzierung sich in dem nächsten Jahr klärt, und dann hoffen wir auch, daß wir mit zwei Projektträgern, eben wie gesagt das DIFÄM und die Uni Tübingen, gemeinsam mit einem Team in einer gemeinsamen Koordinationsstelle optimal weiterarbeiten können.

Thema dieser Tagung ist ja auch die Finanzierung; deshalb folgenden im zu einigen Problemen der Finanzierung des pflegerischen Teils des Tübinger Projekts. Die Folge der geschilderten engen Kooperation ist eine Mischfinanzierung der pflegerischen Leistungen des Gesamtprojekts aus

[Seite der Druckausg.: 52]

vielen Quellen. Vorher kurz noch einmal zur Erinnerung eine Folie zur Struktur des Personals: Das Krankenpflegeteam ist ein einheitliches Team; wir haben zur Koordination zwei volle Schwesternstellen; wir haben darüberhinaus 5,25 Stellen für festangestellte Krankenschwestern und Krankenpfleger; wir haben diesen Pool von etwa 30 Schwestern, die aber nur geringfügig arbeiten, insgesamt 1,5 vollen Stellen ensprechen; und wir haben Laienkräfte, deren Einsatz zusammen einer vollen Stelle entspricht. Insgesamt geht das aber immerhin in Richtung von ungefähr neun vollen Stellen.

Die Brückenpflege ist in Baden-Württemberg sehr gut geregelt, weil diese Stellen pauschal aus stationären Pflegesätzen bezahlt werden. Diese Arbeit ist sehr sinnvoll, weil sie den Patienten und Familien Sicherheit und Geborgenheit vermittelt und Wiedereinweisung von schwerkranken Patienten ins Krankenhaus oft verhindern kann. Ein Problem ist für uns, daß bisher nur drei Stellen für das Tübinger Tumorzentrum genehmigt wurden und von den Krankenkassen finanziert werden. Effektiv entspricht die derzeitig geleistete Brückenpflege schon jetzt etwa 4,5 vollen Stellen, obwohl der Bedarf damit auch noch nicht gedeckt ist; wir müssen auch weiterhin bei großer Nachfrage manche Anfragen absagen. Unsere aktuelle Leistungsdokumentation sollten den Landeskrankenhausausschuß und den Kostenträger überzeugen, daß schon jetzt weitere Brückenpflegestellen in Tübingen erforderlich sind. Für 1996 haben dies die Kostenträger am 10.10.1995 abgelehnt mit der Begründung, daß am 01.10.1996 in Baden-Württemberg erst 39 der genehmigten 50 Brückenpflegestellen besetzt waren. Leider sagt man von den Kassen aus, eher nicht alle Orte in Baden-Württemberg nachgezogen haben, gibt es keine weiteren Stellen. Eine Aufstockung wurde erst für 1997 in Aussicht gestellt. Brückenpflege, wie gesagt, ist sehr einfach finanziert, weil die Kassen die Stellen als Ganzes bezahlen.

Im Bereich des Sonderdienstes für zeitliche Pflege ist die Finanzierung schwieriger, ist eine Art Kollekte aus verschiedenen Töpfen. Und das sind folgende Anteile: einmal vom Land und Landkreis gibt es Kostenzuschüsse fürs Personal und zwar je festangestellte Pflegefachkraft 15.000 DM pro Jahr vom Land und ebenfalls 15.000 DM pro Jahr vom Landkreis. Wenn wir diese Förderung von unseren Personalkosten

[Seite der Druckausg.: 53]

abziehen, bleibt für die Pflegefachkraft noch ein Stundensatz von ungefähr 50 DM. Ab dem 01. Januar nächsten Jahres werden vom Landkreis auch diese geringfügigen beschäftigten Pflegefachkräfte im Umfang einer (fiktiven) ganzen Stelle finanziert, was uns wiederum etwas mehr Geld einbringt.

Zweiter Punkt: Sozialstationen. Seit April haben wir für fast alle Sozialstationen im Landkreis Tübingen die nächtliche Rufbereitschaft von 21 Uhr abends bis 7 Uhr, die jede Sozialstation im Rahmen der Pflegeversicherung vorhalten muß, übernommen. Für die Bereitstellung dieser Rufbereitschaft zahlen die kooperierenden Sozialstationen - entsprechend ihren Stellenplänen - ein Entgelt an das Tübinger Projekt, das spart ihnen nämlich die Notwendigkeit, selbst einen Dienst mit Rufbereitschaft aufzubauen. Also eine Lösung, die für alle Teile ökonomisch ist, uns aber eine Teilfinanzierung dieses Dienstes möglich macht.

Dritter Punkt: Fördermittel. Für die Krankenpflegeleistungen bekommen wir derzeit noch von der Robert-Bosch-Stiftung Fördermittel, aber definitiv nur noch bis Anfang des kommenden Jahres; dann entgültig nicht mehr.

Nächster Punkt: Krankenkassen. Im Rahmen von Paragraph 37.1 und 37.2 des Sozialgesetzbuchs V (Ambulante Pflege als Ersatz eines Klinikaufenthaltes) übernimmt die Krankenkasse über einen Zeitraum von 4 bis 8 Wochen, je nach Arztverordnung, die Kosten für Grund- und Behandlungspflege. Die Vergütung richtet sich nach der Anzahl der Einsätze, nicht jedoch nach ihrer Dauer und ist gültig für alle Sozialstationen und ambulanten Pflegedienste. Dieser Tarif berücksichtigt nicht den hohen Zeitaufwand speziell bei schwerkranken und sterbenden Patienten und ist daher auch nicht kostendeckend für die zeitaufwendigen Einsätze des Sonderpflegedienstes. Die Kostenträger lehnen es leider bisher ab, den echten Zeitaufwand als Maßstab der Vergütung anzuerkennen. Die seit April 1995 gültigen Zuschläge (für Infusionstherapie, für Sondenernährung und Nachtzuschlag) sind Dinge, die uns nicht weiterhelfen, denn oft ist die Präsenz einer Fachkraft bei einem Patienten, den man ab und zu absaugen muß, dessen Familie die Pflege sonst nicht leisten kann, einfach notwendig. Ein weiteres Problem: wenn ein Patient am Tag ver-

[Seite der Druckausg.: 54]

sorgt wird und die Kasse irgendein Entgelt zahlt, dann dürfen wir keine Zusatzrechnung an Kassenpatienten stellen. Dies bedeutet leider, daß jeder Einsatz, der länger als eine halbe Stunde dauert, zwangsläufig zu Defiziten führt.

Nächster Punkt: Nachtwachen. Die Tübinger Krankenkassen zahlen für ärztlich verordnete Nachtwachen, die von Pflegefachkräften übernommen werden, auf freiwilliger Basis 30 DM pro Stunde, maximal DM 240 für eine Nachtwache von 22 bis 6 Uhr. Den Differenzbetrag von 168,24 für eine achtstündige Nachtwache stellen wir dem Patienten bzw. ihren Familien in Rechnung. Diese freiwillige Nachtwachen-Regelung der Tübinger Krankenkassen galt offiziell nur bis zum 31.03.1995, seit dem 01.04.1995 prüfen die Krankenkassen jeden einzelnen Fall, ob sie von den Kosten her Nachtwachen für einen individuellen Patienten einen Kostenanteil von 30 DM/Stunde übernehmen. Diese Frage muß möglichst vor der ersten Nachtwache mit der Krankenkasse geklärt werden. Weil bei den Nachtwachen die Kassen immer nur einen Teil der Finanzierung gegeben haben, dürfen wir nebenher Rechnungen stellen. Wenn das nicht geht, weil Familien nicht zahlen können, haben wir Spendengelder, die wir dafür verwenden, auch Familien, die bedürftig sind, in gleicher Weise zu versorgen. Aber wir müssen bei den Familien, wo die Familie es bezahlen kann, leider Rechnungen stellen.

Dann die Pflegeversicherung. Seit April können wir auch mit der Pflegekasse abrechnen. Das macht bei uns nur wenig aus, weil es ja meistens Patienten sind, die chronisch Pflege brauchen.

Nächster Punkt: Spenden. Das Tübinger Projekt erhält vor allem von den betreuten Familien Spenden. Häufig wird auch bei Beerdigungen um Spenden für unser Projekt anstelle von Blumen und Kränzen gebeten. Auch eine private Stiftung beispielsweise und der Lions-Club Tübingen unterstützen unsere Arbeit durch größere Spenden. Seit einem Jahr haben wir einen Förderkreis, der hat Mitgliedsbeiträge und vermittelt weitere Spenden; auch damit können wir das Defizit in diesem Dienst etwas abfangen und wir können eben vor allem in Härtefällen, wenn die Betreuung menschlich geboten ist, aber von der Kasse nicht bezahlt

[Seite der Druckausg.: 55]

wird, die Betreuung leisten. Also immer dann, wenn es keinen Kostenträger gibt.

Nächster Punkt: Gerätevermietung. Diese Schmerzpumpen, die wir den Kassen ausleihen, bringen eine geringe Mietgebühr von DM 27,00 pro Tag; auch diese Mietgebühren decken einen Teil der Pflegekosten.

Die Entlastung von Angehörigen durch Laienmitarbeiter wird von den Krankenkassen nicht als abrechenbare Leistung anerkannt; in einzelnen Fällen übernimmt die Pflegekasse die Kosten; wenn weder die Kranken- noch Pflegekasse zahlt, berechnen wir dem Patienten bzw. seiner Familie DM 19,00 für die Stunde Laieneinsatz. Auch in diesem Bereich gibt es - dank der Einnahmen des Förderkreises - die Möglichkeit einer Härtefall-Lösung ohne Rechnung.

Nun also meine Schlußfolgerung aus den Erfahrungen des Tübinger Projekts. Brückenpflege und zeitintensive Pflege sind sehr sinnvoll und effektiv, vor allem als zusammenarbeitende Einrichtung für schwerkranke und sterbende Patienten. Mit der Hilfe dieser beiden Einrichtungen gelingt es, ein Sterben zuhause zu ermöglichen, wenn es vom Patienten selbst gewünscht und von den Angehörigen unterstützt wird. Die Integration beider Dienste, wie sie in Tübingen organisch gewachsen ist als gemeinsames Projekt mit Sozialstationen, ist ein Optimum, weil die Betreuung von einem einzigen Team bis zum Tode durchgeführt wird.

Zweiter Punkt: die psychosoziale Begleitung ist im Rahmen der Brückenpflege von den Kassen akzeptiert; sie macht ungefähr ein Drittel der Arbeitszeit aus. Im Bereich der zeitintensiven Pflegeeinsätze wird von den Kassen ein solcher Bedarf nicht gesehen und auch nicht finanziert; also im Grund zahlen die Kassen alles nicht, was nicht direkte Pflege ist. Für die Kasse zählt Grundpflege, Betten, Injektion, aber nicht das Gespräch: auch wenn es extrem wichtig sein kann, für die Kassen zählt es nicht.

Dritter Punkt: die Pflege von Schwerkranken zuhause, wie sie im Landkreis Tübingen dank der Finanzierung der Bosch-Stiftung und des

[Seite der Druckausg.: 56]

Krebsverbandes Baden Württemberg aufgebaut werden konnte, hat sich als tragfähige und gute Einrichtung bewährt. Sie ist in den meisten Fällen - bezogen auf den gesamten Zeitraum der Betreuung - weniger teuer als ein stationärer Aufenthalt, aber nicht billig (die letzten Tage einer Betreuung zuhause können - wenn Nachtwachen erforderlich sind - durchaus mehr kosten als ein Krankenhaus-Tagessatz). Nehmen wir an, ein Patient hat eine Phase von sechs Wochen, wo er Betreuung braucht. Die ersten vier Wochen vielleicht nur Besuche ohne jede Pflege. In der fünften Woche mehr Pflege, in der sechsten Woche vielleicht wegen Atemnot oder sonstigen Problemen Nachtwachen. Dann kann es sein, ein Tag in der letzten Woche kostet die Kasse effektiv DM 600,00. Das ist teurer als ein Krankenhaustag, dennoch, die sechs Wochen Zeitraum waren deutlich billiger, als sechs Wochen Krankenhaus und wir würden uns wünschen, daß die Kassen das auch einrechnen, daß eben ein Patient, der daheim stirbt, in den letzten Tagen auch mehr Hilfe brauchen kann, teure Hilfe brauchen kann, als das Krankenhaus wäre. Ein Problem sehen wir in der Ungleichbehandlung der stationären und der ambulanten Pflege eines schwerkranken, sterbenden Patienten. Während die Kosten des Krankenhauses von den Kassen übernommen werden, müssen Patienten und ihre Familien für eine Krankenhausersetzende Pflege zuhause einen Eigenanteil aufbringen, obwohl sie sich sowieso schon mehr engagieren und Kosten haben und die Betreuung selbst über lange Zeiträume übernehmen. Bei vertretbaren Realkosten unserer Hilfe ist das unverständlich und widerspricht unserer Meinung nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär".

Für die Zukunft wünschen wir uns, daß die Zahl der Brückenpflegestellen in Tübingen dem realen Bedarf angepaßt wird; wir schätzen, daß wir mindestens sechs Stellen haben sollten statt bisher drei, und es wäre wünschenswert, es gäbe für diese langen Einsätze mit Nachtwachen auch Sonderentgelte mit den Krankenkassen, die man koppeln kann als spezielle Anforderung an den Dienst, also z.B. spezielles Personal mit einer hohen Qualifikation, eine Pflegedienstleitung, Mitarbeiterzahl, hohe Flexibilität, Rufbereitschaft rund um die Uhr - das wären Kriterien, nach denen man diese Dienstleistungen adäquater bezahlen könnte.

[Seite der Druckausg.: 57]

Fünftens, haben wir in dem Projekt diesen ärztlichen Konsiliardienst integriert, den vor allem ich jetzt mache. Er wird von den Hausärzten sehr positiv aufgenommen und wir haben in kurzer Zeit diese Therapie mit der Schmerzpumpe, die gerade bei sterbenden Patienten eine sehr gute Hilfe ist, im Landkreis Tübingen sehr gut einführen können durch konkrete Beispiele. Wenn ein Hausarzt erlebt, daß man einen Patienten innerhalb eines halben Tages aus großen Nöten damit helfen kann, das ist überzeugend für ihn. Er kann dann auch den Patienten guten Gewissens über längere Zeiträume selbst behalten und weist ihn nicht ein. Und das ist, nach meiner Meinung, effektiver als Fortbildungen, zu denen meistens die Ärzte kommen, die es schon wissen und die es nicht wissen, kommen da meistens nicht. Daß ich als Krankenhausarzt ambulant tätig werden kann, ist eine Neuheit. Es gibt kein Beispiel sonst dafür. Ich finde es trotzdem ein sehr gutes Beispiel, daß das gehen kann. Ich bin dankbar für ein Krankenhaus, daß das auch ermöglicht, daß der Krankenhausträger mir die Freiheit gibt, daß ich während der Arbeitszeit die Funktion auch haben kann und nicht solche Dinge nur in der Freizeit machen muß. Ein wichtiger Punkt ist noch, gerade unser Krankenhaus ist auch bereit, wenn die Pflege daheim nicht mehr geht, wegen unlösbarer Probleme, die Patienten akut und bevorzugt aufzunehmen. Also die Sicherheit, daß wenn es daheim nicht mehr geht, wir ein Krankenhausbett zur Verfügung stellen, ist ein wichtiger Punkt für diese ambulante Betreuung. Es kommt auch vor, daß ich von einer Uniklinik angerufen werde, ein Patient, der keine Strahlentherapie mehr bekommen kann, weil es nicht mehr möglich ist, z.B. hat starke Schmerzen und es geht nicht mit der oralen Schmerzbehandlung. Dann kann ich bereits im Krankenhaus diese Therapie der Schmerzpumpe beginnen. Der Patient erlebt, daß diese Pumpentherapie ihm effektiv hilft, hat dann Vertrauen mit der Schmerzpumpe nachhause zu gehen und dort die weitere Zeit zu verbringen. Also eine Funktion die unmittelbar sinnvoll ist, weil man praktisch Krankenhausaufenthalte erheblich verkürzt und Patienten mit guter Betreuung nach Hause lassen kann.

Letzter Punkt: die Psychologin im Projekt hat sich ebenfalls bewährt. Diesen Teil der Arbeit haben wir am wenigsten finanziell auf den Boden bringen können, weil die Kassen auf dem Ohr bisher gar nicht hören und es fehlt auch eine Möglichkeit, das zu finanzieren bisher. Wir hoffen,

[Seite der Druckausg.: 58]

daß das Krankenhaus, daß die Uniklinik in Tübingen diesen Bereich über Stellen am Tumorzentrum vielleicht halten kann. Dann eben als eine Funktion, die das Krankenhaus im Rahmen der Brückenpflege in seinem Pflegesatz unterbringt, um damit diesen Dienst fortzuführen.

Ich hab viel Zeit für Fragen gelassen, wir haben noch genug Zeit.

Page Top

Braun

Vielen Dank, ich fand es sehr eindrucksvoll, dieses Hin und Her zwischen Konzept und Projekt mit dem doch etwas steinigen Alltag, wie mir schien. Aber ich fand das gut, daß Sie das miteinander gemacht haben und nicht sozusagen abgehoben ein Projekt vorgestellt und dann gesagt haben, es gibt auch ein paar faktische Schwierigkeiten. Vielen Dank für den Bericht.

Dann wollen wir mit der Nachfrage-, Meinungs- und Diskussionsrunde zu diesem Beitrag beginnen; ich glaube es ist nicht sinnvoll, es in Nachfrage und Meinungen zu gliedern, wir fahren einfach mal los, wer sich zuerst meldet, der ist dran.

Kruse

Ich habe nur eine ganz kurze Frage zum dem Punkt C „psychologische Unterstützung"; ob Sie auch zusammenarbeiten mit den Selbsthilfegruppen nach Krebs. Ich kann nur von meinem kleinen Ort Weinheim sagen, daß die außerordentlich gut vorgebildet sind und sowohl mit Einzelnen als auch mit Gruppen sehr gut arbeiten. Ich wollte fragen, ob Sie da auch zusammenarbeiten.

Schlunk

Wir haben gute Verbindungen zur Frau Aust in Tübingen, die eine sehr aktive Gruppe in Tübingen hat und sind dankbar um ihre Beiträge. Das sind dann Laien aber mit sehr viel Erfahrung und Engagement.

[Seite der Druckausg.: 59]

Ich wollte vorab noch sagen und ich habe das vorhin vergessen: ich habe zwei Dinge mehrfach dabei, die man vor allem konkret brauchen oder weitergeben könnte: einmal eine grüne Schmerzbroschüre und zum anderen einen Artikel über die Schmerzpumpe: Wer weiß, der und der Dienst könnte davon profitieren, der kann das gerne mitnehmen. Ich bin auch bereit - es steht auch meine Adresse drin - Leuten, die konkret Fragen haben, auch Ärzten oder pflegerischen Diensten, die dann auch Probleme haben könnten, Starthilfe zu geben, wie man es woanders anfangen könnte.

Mattheis

Ja, das ist auch nur eine Bemerkung. Ich bin stehe immer wieder sehr unter dem Eindruck - Sie haben es ja auch gesagt in ihren Ausführungen - wie unzureichend die Kenntnisse unserer Ärzte bezüglich einer kontinuierlichen Schmerztherapie sind. Wenn Sie da nach England oder in die skandinavischen Länder gehen, so sind die uns ja wirklich weit voraus. Und Sie sagten ja selbst, daß Sie vor 20 Jahren mit der oralen Morphintherapie angefangen haben; das ist schon für unser Land sehr, sehr früh gewesen. Also ich denke, da muß unbedingt auch bei der Ausbildung der Ärzte noch etwas geschehen, damit die nicht mit einem großen Kenntnisdefizit in diesen Bereich gehen.

Dr. Johann Seyer

Ich komme aus Linz aus Oberösterreich, mich würde interessieren, wie das bei den Aidskranken hier in Deutschland ist. Wir haben die Situation in Linz, daß Aidskranke zumindest im Endstadium von keinem Pflegeheim mehr genommen werden. Wir verfügen über keine geriatrischen Abteilungen, das ist das Problem auch in den Krankenhäusern. Hier wäre natürlich eine Brückenpflege, wie Sie sie vorgestellt haben, das gegebene. Wie passiert das in Deutschland ?

N.N.

Zu dem Thema Aidspflege kann ich nur eins sagen, daß die meisten Familien die Pflege von Aidskranken ablehnen und daß Aidskranke oft-

[Seite der Druckausg.: 60]

mals nur auf Fremde angewiesen sind. Ich weiß das aus dem Bekanntenkreis meines Sohnes, der macht das teilweise- ich muß dazu sagen, mein Sohn ist homosexuell - und daß die Homosexuellen darin eine sehr, sehr gute, wie Sie es sagen, Brückenpflege machen, denn die Familien distanzieren sich sehr, sehr häufig von den Leuten. Ich kenne an und für sich niemand von den Kranken, der von der Familie aufgenommen wird, im Gegenteil.

Schlunk

Ja noch zum Punkt der Fortbildung für Ärzte. Ein gibt einen dringenden Bedarf in Deutschland. Der Weg, den wir jetzt gewählt haben in Tübingen, ist deshalb effektiv, weil das Beispiel eigentlich die beste Werbung ist. Das spricht sich auch rum in der Nachbarschaft, selbst der Nachbar-Hausarzt bekommt mit, daß ein Patient von einem Kollegen sehr zufrieden war mit der Schmerzpumpe. Und wenn ich einen Hausarzt habe, der sehr skeptisch ist - ich habe Hausärzte erlebt, die erst nach drei, vier Tagen bereit waren, die Pumpe überhaupt einzusetzen, weil sie noch Bedenken hatten - wenn die erleben, das funktioniert, kommt drei Tage später ein Anruf, sie haben noch einen Patienten, den sie auch behandelt haben wollen. Und das wirbt hervorragend. Auch, daß wir mit vielen Diensten zusammenarbeiten; die erleben den Patienten A mit einer guten Schmerztherapie und haben auch noch drei Patienten mit schlechter Schmerztherapie. Auch die machen Druck bei den Ärzten, zu recht, und bestehen auf einer besseren Schmerztherapie und das Beispiel ist dann oft bahnend. Das ist sehr erfreulich.

Zu Aids habe ich selbst wenig konkrete Eigenerfahrung. Ich hab einmal einen Bluterpatienten mitbehandelt, der daheim sehr gut aufgehoben war, das war eine Infektion über diese Blutersatzprodukte. Ansonsten gibt es die Aidshilfe in Tübingen, die ziemlich chaotisch funktioniert; Zusammenarbeit mit denen versuchen wir immer wieder, aber die Verlässlichkeit dieser Koalitionspartner ist wirklich schwierig. Und wir wären bereit, da mitzumachen, aber es muß ein bißchen das Chaos sich ordnen. Im Krankenhaus haben wir auch Patienten mit Aids aufgenommen, wenn sonst niemand da war, aber das sind bisher nur sehr wenige Patienten gewesen.

[Seite der Druckausg.: 61]

Battran

Glauben Sie, daß diese Bewegung der Brückenpflege in anderen Städten möglich ist, wenn Ihr Projekt schon so auf wackeligen Beinen steht ? Also in Ulm gibt es eine Hospizgruppe und die macht viele Gänge bei Sterbenden. Sie sind selbstorganisiert, sind auf Spenden angewiesen, das ist eine treue Gruppe; aber ob das öffentlich bekannt ist, daß solche Dinge notwendig werden, daß unsere Politiker das aufgreifen, glauben Sie daß das Chancen sind ?

Holger Backhaus-Maul

Herr Schlunk, Sie hatten ganz kurz erwähnt am Rande, daß Sie auch Ehrenamtliche in der Nachtpflege zum Beispiel einsetzen. Vielleicht können Sie das noch ein bißchen ausführen, was sind das für Leute ? Warum machen die das ? Wie gewinnen Sie die ? Das fand ich einen ganz interessanten Hinweis.

Schlunk

Erster Punkt, Brückenpflege. Das ist ja ein Begriff, der in Baden-Württemberg entstanden ist aus Stuttgart. Da gab es ein Modell, das ein Jahr vor uns anfing und auch endete, und da gab es am Ende große Panik, was wird aus den Brückenschwestern in Stuttgart ? Und da hat man praktisch in einem Gewaltakt die Finanzierung geregelt trotz gedeckelter Krankenhausbudgets, hat diese Einrichtung als etwas Neues definiert und konnte Stellen schaffen. Wir haben damit einen kompletteren Dienst, der mehr Sachen macht als nur Brückenpflege, teilfinanziern können. Andere Städte bekamen jetzt ab dem 1. April 1995 plötzlich Brückenpflegestellen und wußten nicht, was ist überhaupt Brückenpflege. Unser Vorteil ist, wir haben ein Projekt, das organisch entstanden ist aus dem Bedarf. Alle waren am gleichen Tisch und hatten überlegt, was wollen wir. Also ist der Dienst auch akzeptiert und gilt als unser Projekt. Auch die Sozialstationen, die mit am Tisch saßen, denken, jetzt haben wir unser Projekt, die Akzeptanz ist hervorragend. Wenn woanders Stellen plötzlich da sind, die dem Krankenhaus „gehören", ist die Hemmschwelle zusammenzuarbeiten, viel größer und andere haben es wesent-

[Seite der Druckausg.: 62]

lich schwerer, die sich nicht praktisch von Anfang an in einer Konzeptarbeit von zwei Jahren darauf vorbereiten konnten, die plötzlich Geld haben und es umsetzen sollen. Und da ist ein Gefahrenpunkt auch noch die Frage, was ist Brückenpflege ? Es gibt Onkologen, die denken zuerst an ambulante Chemotherapie und haben sofort Arbeit für die Schwestern und denken dann, sie machen damit eine ambulante Chemotherapie. Ich denke, das ist eine Einrichtung für Schwerkranke und Sterbende, die Chemotherapie nicht mehr haben sollten und wollen. Und diese Widmung der Palliation ist unsere Chance und auch der Grund, warum unser Krankenhaus, das schon diesen Aspekt von vornherein als sehr wichtig herausstellt auch in der Arbeit des Krankenhauses, einen sehr guten Nährboden geboten hat, diesen Bereich ernstzunehmen. Wir verdrängen nicht das Problem, daß die Patienten an Tumorkrankheiten sterben, sondern wir kümmern uns darum. Andere haben vielmehr Probleme überhaupt damit klar zu kommen, daß die Patienten versterben.

Dann die Frage Ehrenamt. Das ist nicht richtig verstanden worden. Wir haben im Projekt nur eine Laiengruppe von 20 Laien, das sind Leute, die zum Teil selbst gepflegt haben mal oder sich speziell dafür eine sinnvolle Tätigkeit vorstellen können, z.T. am Beginn des Ruhestandes stehen oder auch sonst engagiert sind: die haben einen Kurs belegt im Projekt und sind darauf vorbereitet worden. Sie bekommen pro Stunde, ich glaube, etwa 18 DM ungefähr Entgelt und ein paar davon geben das Geld dem Projekt zurück als Spende. Aber wir haben kein Ehrenamt. Der Grund ist folgender: wir wollten nicht eine Vermischung haben zwischen umsonst arbeitenden Kräften und Fachkräften, weil die Kassen sofort aufgrunddessen dichtmachen würden. Wir brauchten einen Dienst, der im Bereich der Schwerstkranken arbeiten kann. Und wir betreuen ja auch Patienten mit wirklich massiven Problemen, die problemlos einen Grund hätten fürs Krankenhaus. Patienten, die man absaugen muß, die in der Atemnot sind oder darin versterben können; das kann ein Laie nicht leisten. Und ich muß sagen, es ist halt wirklich eine Gruppe von Schwerstkranken, die Patienten - die es auch natürlich gibt - wo es wünschenswert wäre, ein Hospizdienst begleitet die Familie in den Wochen vorher. Diese schwierige Phase, wo wir dazu kommen, ist meistens die letzte Lebensphase von vier Wochen vielleicht.

[Seite der Druckausg.: 63]

Braun

Aber trotzdem, wie sind Sie an die Laien gekommen ?

Schlunk

Über Mundpropaganda ausschließlich glaube ich. Es gab keine Anzeigen dafür. Und wir haben sogar auswählen können, wer eben bei der Auswahl von der Motivation uns überzeugend erschien.

Gotlind Braun

Ich weiß nicht, ich war jetzt vorher aus anderen Gründen nicht hier, habe nicht alles gehört, was Sie gesagt haben. Sie haben ja auch einen Verein in Tübingen und der hilft doch vielleicht auch bei der Gewinnung von Leuten, die helfen möchten. Vielleicht, wenn Sie zu dem Verein noch nichts gesagt haben, wäre das vielleicht jetzt sinnvoll.

Schlunk

Wir haben diesen Förderkreis seit einem Jahr ungefähr mit momentan 220 Mitgliedern, die zahlen im Jahr DM 50 Beitrag oder auch freiwillig mehr und sind ein guter Grundstock, einfach um in der Öffentlichkeit mehr Fürsprache zu haben. Auch die Presse, auch Politiker sehen unser Projekt sehr positiv und wir haben sehr viel Rückhalt.

Noch zu den Laienhelfern. Problem ist auch: die Auslastung muß auch gewährleistet sein. Wir können uns nicht leisten, vierzig Leute auszubilden, wenn wir nur zwanzig brauchen. Die zwanzig sind momentan in dem Maße beansprucht, wie sie es haben wollen. Nicht zuviel und nicht zuwenig. Und wenn uns das durch ausscheidende Mitarbeiter mal knapp werden würde, müßten wir neu einen Kurs machen. Wir haben nie jemanden genommen ohne einen Kurs, der den Laien Grundkenntnisse in der Krankenpflege vermittelt. Also auch jemand, der sagt, das kann ich so, darf bei uns nicht mitarbeiten, ohne diesen Kurs gemacht zu haben.

[Seite der Druckausg.: 64]

N.N.

Welches Alter haben die Leute ?

Schlunk

Das ist sehr gemischt, das geht los mit dreißig Jahren bis fünfzig und darüber.

N.N.

Wer bezahlt sie ?

Schlunk

Wir haben in dem Projekt ja auch Einnahmen. Erst war es die Förderung der Bosch-Stiftung alleine und jetzt eben auch Einnahmen. Auch für Laieneinsätze verlangen wir ja Geld; es sei denn, die Familie hat kein Geld und es gibt keinen Kostenträger, dann zahlen wir aus Förderkreismitteln diese Einsätze.

Dursch

Also wir haben in Augsburg 500 Laienhelfer ausgebildet und zwar über einen Zeitraum von 6 Jahren, d.h. das ist ein systematisches Ausbildungsprogramm gemacht worden mit Arzt, Psychologen und dann noch mit einem Geistlichen. Und zwar haben die dann von dem, was gesprochen und erarbeitet worden ist, jedesmal das schriftlich mit nach Hause bekommen, dadurch haben wir uns die Zeit gespart, das nächste Mal wieder durchzukauen bis wir zu der neuen Vermittlung kommen. Und sie konnten dann auch immer nachlesen. Die Teilnehmer waren von 18 bis 75 Jahren. So haben vor allem die Älteren - es waren viele Witwen dabei, die das Leiden, die Krankheit ihrer Männer und die Sterbebegleitung, die sie in der Familie geleistet hatten - Erfahrung gehabt und konnten dann viel einbringen und es konnte viel abgeklärt werden. Und die sind überregional gekommen aus den verschiedensten Organisationen, von der Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Rotes Kreuz, alles, was es an

[Seite der Druckausg.: 65]

Organisationen gibt und überkonfessionell und sie haben dann bei Krankenhäusern und Altersheimen in ihrer Nähe sich freiwillig gemeldet, um zu helfen. Und dann haben wir noch eine Spezialgruppe gemacht, nämlich Sterbebegleitung. Weil in den meisten Krankenhäusern das Personal zu wenig ist, werden die Sterbenden noch ins Bad abgeschoben und außerdem wird dann zuwenig nach ihnen geschaut. Und diese freiwilligen Leute, die haben Zeit gehabt und die haben den Sterbenden über den ganzen Tag hinweg begleitet und bei Nacht sind sie von einer anderen abgelöst worden. Und das war gut, weil die Sterbenden, wenn sie auch nicht mehr sprechen konnten, dann nach der Hand von Sterbehelferin gelangt haben.

Jani

Eine kurze Frage: Wird ihr Personal auch psychologisch begleitet ?

Dürrschmidt

Eine Frage zur Finanzierung. Sie haben bei der zeitintensiven Pflege von Zuschüssen Personalkosten Land und Landkreis gesprochen. Ist das allgemein oder direkt für das Projekt gewesen. Also, sind das allgemeine Zuschüsse, sagen wir mal im Rahmen Sozialstation oder ist das direkt nur für das Projekt gewesen ?

Schlunk

Das Land Baden-Württemberg hat darauf reagiert, daß man lange Einsätze im normalen System nicht abwickeln kann. Und während überall die Mittel gestrichen werden bei den ambulanten Diensten, hat man diese Dienste speziell mit einem guten Zuschuß ausgestattet, weil man sagt, deren Situation ist schwierig. In dem Bereich zu arbeiten ist sehr schwierig, viel Telefonarbeit, Vorhaltearbeit, man muß hier flexibel sein. Unsere Stärke ist gerade, daß der Hausarzt mittags um zwei Uhr anrufen kann, ich brauche heute abend eine Nachtwache. Und das klappt fast immer. Durch diesen großen Pool von bereitstehenden Fachkräften kann man am gleichen Tag eine Nachtwache zusagen. Und gerade daß wir halt so flexibel sind und aus dem Stand den Einsatz vervielfachen kön-

[Seite der Druckausg.: 66]

nen, durch diese vielen Reservekräfte im Pool, macht es für uns finanziell auch tragbar. Hätten wir Personal, was dauernd bezahlt werden muß, wäre es unbezahlbar. So können wir in einer Woche z.B. keine Nachtwache haben und haben auch keinen Pfennig Unkosten dafür; in der nächsten Woche laufen fünf Nachtwachen und die sind dann bezahlt.

Braun

Das liegt aber an der örtlichen Situation eines spezifischen Angebotes von Fachkräften.

Schlunk

Das ist in Tübingen extrem günstig und Dienste, die fest anstellen müssen, haben das Problem, in den Zeiten von geringem Bedarf runterzufahren.

Edeltraut Retzlaff

Ich bin sehr angetan von diesem Tübinger Projekt, aber ich frage mich jetzt, wie sieht es denn im ganzen Lande aus, in der ganzen BRD ? Ich habe vorhin so den Gedanken gehabt, na wenn mein Vaterchen dann mal soweit ist, dann versuche ich nach Tübingen zu kommen. Ich meine das in Anführungsstrichen, nicht. Da sieht es doch traurig aus, also, wenn ich da an unsere Ecke denke, ich weiß nicht, ich komme aus Berlin, aus dem sogenannten, na man kann auch sagen aus dem Ostteil, aber das hat jetzt nichts damit zu tun, da ist eigentlich vieles, was vorher bestanden hat, ist zerbrochen, das wissen wir ja auch alle und jetzt kostet es Mühe, das alles wieder aufzubauen, und ich frage jetzt mal, Sie haben ja noch viel mehr Möglichkeiten. Wie bringt man das unter unsere Politiker, daß denn geboren werden und sterben, das ist einfach wie eine Einheit und das sind eigentlich mit die ernsthaftesten und wichtigsten Momente. Das Kind bei der Geburt wird begleitet mit aller Fürsorge - das ist wunderschön hier rausgekommen - und als Sterbender, wo man wieder dringend die Hilfe braucht und wenn es nur eine Hand halten ist. Wenn ich das schon immer höre „er hört ja doch nichts mehr", „er versteht ja gar nichts mehr". Nein, also ich habe auch zwei Jahre eine alte Tante

[Seite der Druckausg.: 67]

betreut, ich weiß das, wie wichtig das ist. Und wenn es nur die Hand halten ist und man spürt manchmal sogar noch den Druck. Und da bin ich der Meinung, das ist ein allgemeines Problem. Das ist wunderschön Ihr Projekt, aber ich seh das im Moment noch als Tröpfchen auf dem heißen Stein. Und das ist mein Anliegen, das irgendwie zu verallgemeinern.

Braun

Ja; also solange es nicht in den Vorwurf an solche „Tropfen" ausartet, sie sollten es doch lieber bleiben lassen, weil es so arg zischt ! Also Frau Battran war vorhin auch ganz nahe dran zu sagen, könnt ihr mir nicht ein schönes Projekt vorstellen, das übertragbar ist und sauber finanziert, das wäre mir lieber. So dürfen wir aber nicht diskutieren.

Schlunk

Baden-Württemberg hat in diesem Bereich also echt eine Position eingenommen, wo sie führend sind, das zu sehen und auch Wege zu schaffen. Es gibt etwa zwölf solche Dienste, die lange Pflegedienste machen. Davon macht Stuttgart demnächst dicht, weil sie es nicht finanzieren können. Es gibt also auch welche, die Pleite machen. Die Beurteilung durch ein Institut aus Saarbrücken hat uns sehr gut eingestuft und die haben gesagt, also wenn so ein Dienst klappen soll, muß er wie in Tübingen aufgebaut sein, daß er effektiv arbeitet. Ich würde wünschen, daß so ein Bericht an das Ministerium auch anderen Ländern geschickt wird, daß andere Sozialbereiche auch das vorbildhaft sich anschauen. Wenn man sich überlegt, es werden immer mehr Menschen, auch daheim, von solcher Hilfe abhängig. Es ist eigentlich paradox, daß man nur die Wahl hat im alten System entweder ganz wenig Hilfe daheim oder Krankenhaus; es gab keine Zwischenstufe. Und wir haben die Möglichkeit, die Schwelle, ab wann man Krankenhaus braucht, erheblich anzuheben durch eine gezielte Hilfe. Und die Familien sind uns so dankbar. Ein Beispiel: ich habe jetzt gestern einen Patienten besucht, die Ehefrau ist - wie er auch - 80 Jahre alt. Es war ihr ein Alptraum. Er war in einem Krankenhaus in der Intensivstation gewesen, sie konnte ihn kaum besuchen. Und sie hatten beide den Wunsch, es soll auch daheim

[Seite der Druckausg.: 68]

gehen. Und jetzt geht es daheim mit einer Schmerzpumpe, alle sind sehr, sehr dankbar und glücklich. Und es ist auch viel würdiger von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen daheim, wenn man nicht mehr sterile Umgebung hat als nötig. Man hat nur eine Schmerzpumpe und sonst daheim das Schlafzimmer als Krankenbett. Es viel menschlicher und man hilft den Familien erheblich, mit dem Verlust klarzukommen, wenn sie den Patienten begleiten in dieser Phase und nicht ihn ins Krankenhaus geben müssen. Gerade alte Ehepartner können ja kaum den Weg zum Krankenhaus bewältigen, geschweige denn jeden Tag. Es ist also auch eine Prophylaxe im Grunde, die Familien sind wesentlich besser betreut daheim, sie haben ihr nachbarschaftliches Umfeld, sie haben ihre wichtigen Stützen, die sie jeden Tag brauchen in der schweren Zeit auch.

N.N.

Ganz kurz nochmal. Wie sieht es mit der finanziellen Seite jetzt aus. Kommt da im Schnitt bei den Sachen, die Sie uns gesagt haben wirklich positiv etwas raus ? Daß wirklich Kosten eingespart werden oder ist das so, daß über längere Zeit hinaus sich das etwa gleich bleibt ?

Schlunk

Es ist bestimmt billiger mit diesem Dienst. Ein Hausarzt, dessen Patient Bronchialasthma hat, dessen Tod an Ersticken eintreten könnte, hat eine große Panik, einen Patienten ohne gute Hilfe daheimzulassen, weil er Angst hat, daß er am Wochenende, wo er vielleicht nicht da ist, in Not kommt. Er weist ihn ein, bereits drei Wochen vorher, ehe überhaupt der Fall da ist. Hat er ein Projekt und er weiß, die stehen auf der Matte, wenn es klemmt und zwar auch wenn ich weg bin am Wochenende, denn das Projekt schaut nach dem Patienten. Und wenn die Lage sich verändert, wird nicht gefragt, wo ist die Verordnung, sondern man handelt und hinterher sagt man, wir haben eine Nachtwache gemacht, verschreiben Sie die rückwirkend. Also der Dienst hat den großen Vorteil, daß die Hausärzte den Mut haben können und auch Hilfe haben, die Patienten zu betreuen und zu behalten. Und das spart bestimmt Geld.

(Zwischenfrage: Kann man das nicht auch den Politikern klarmachen ?)

[Seite der Druckausg.: 69]

Schlunk

Die Krankenkassen haben da eine ganz abenteuerliche Rechnung aufgemacht. Die sagen mir folgendes: wenn Sie Herrn Müller daheim betreuen, dann liegt in seinem Bett im Krankenhaus Frau Maier. Wir zahlen dann für Frau Maier. Läge Herr Müller in dem Bett, hätten wir nur einen Patienten zu bezahlen. (Gelächter) AOK Tübingen.

Schmidt-Nebgen

Eine Frage habe ich noch. Hatten Sie bei Aufbau Ihres Projektes Kompetenzschwierigkeiten oder Widerstände bei anderen Institutionen oder Hilfediensten zu überwinden.

Braun

Ich hätte auch noch eine Nachfrage dranzuhängen. Sie haben gesagt, Sie sind so ein einsamer Fall eines im stationären Bereich Tätigen, der auch ambulant raus darf. Wie selten ist das und wie schätzen Sie ein, daß andere das mitmachen. Es geht ja um niedergelassen und nicht niedergelassen, nicht ?

Schlunk

Zur letzten Frage erstmal. Es ist einmalig und der Herr Kühn, der Kreisärzteschafts-vorsitzende kämpft, das zu ermöglichen. Und dank des Vorlaufes im Projekt, wo es bereits das gab und wir argumentieren konnten. Effektiv haben mich vielleicht etwa vierzig Ärzte konkret gefragt, auch mit Besuchen mit gebeten. Das Argument war stark genug, um den Bedarf nachzuweisen. Es geht immer darum: eigentlich gibt es zuviel Ärzte. Man muß einen Bedarf in einem speziellen Sektor nachweisen und wir haben mit dieser Schmerzpumpe eine Art Monopol, das hat sonst niemand im Landkreis Tübingen und darum ist der Bedarf nachweisbar. Kein Hausarzt kann das anbieten, weil er die Pumpe nicht vorhalten kann und die Erfahrung nicht hat. Und mit diesem Pluspunkt haben wir einfach da den ersten Stein geworfen. Ich muß sagen, mein Krankenhaus ist natürlich extrem kulant mit mir; toll, daß ein Kranken-

[Seite der Druckausg.: 70]

haus einem Oberarzt diese Freiheit gibt, daß er während der Dienstzeit telefonische Anfragen beantworten kann, daß er auch mal, wenn es klemmt, mittags wegfahren kann und sagen kann, ich habe noch etwas dienstliches, ich mache einen Hausbesuch; das ist ein Phänomen. Das kann man lange suchen wahrscheinlich. Es rechnet sich bestimmt nicht. Ich bekomme natürlich eine Abrechnung dafür. Das deckt bei weitem nicht den Arbeitseinsatz, wobei das natürlich auch meine Freizeit ist, also es ist kein Gebiet um Geld zu verdienen, überhaupt nicht. Aber es ist eine sehr befriedigende Arbeit. Die Gespräche und die Entwicklungen sind so lohnend für mich, wenn ich jetzt konkret an einem ganz wunden Punkt helfen kann, daß ich eigentlich keine Abrechnung bräuchte. Ich brauche sie nur als legale Möglichkeit, daß ich im ambulanten Bereich tätig sein darf, ohne auch jemanden zu finden, der mir an den Karren fährt.

Und Ihre Frage war noch nach den Widerständen und Kompetenzschwierigkeit. Ja, das war im Tübinger Fall ideal gelöst durch diesen großen Kreis mit vierzig Teilnehmern. Alle die da beitragen konnten, Probleme hatten, hätten das einbringen können. Und weil es eben gemeinsam als Projekt geboren wurde, haben hinterher auch alle gesagt, das ist unser Projekt, das wollen wir haben. Auch momentan, wo jetzt die Gelder ausgehen, ist ein Konsens im Landkreis Tübingen, das muß gehalten werden. Und wir haben auch jetzt vom Träger die Zusage, wir machen das weiter auch trotz der unklaren Finanzierung, irgendwie muß es klappen, vom Krankenhausträger aus. Ich muß sagen, vor zwei Jahren gab es ja gar nichts an Finanzierung und jetzt gibt es schon immerhin sagen wir mal drei Viertel, also es muß doch klappen vollends.

Gotlind Braun

Meine Frage geht daraufhin. Sie sind ja an einer Institution, die eine ganz besondere ist, das Paul-Lechler-Krankenhaus. Nun gibt es ja sicher gerade im Bereich der Kirchen auch andere Institutionen, die etwas besonders in ihrem Bereich sind. Kann man erwarten, daß in solchen Einrichtungen ihr Beispiel vielleicht doch Schule machen wird ? Also es gibt doch innerhalb der Diakonie noch kleinere Gruppen oder kleinere Stiftungen, die vielleicht mit da drin hängen, die aus ganz bestimmten

[Seite der Druckausg.: 71]

Gründen oder mit ganz bestimmten Absichten gegründet worden sind. Wäre es denkbar, daß mindestens in diesem Bereich ihre Arbeit so beispielgebend wirkt, daß da sich was tut, weil ja hier die Leute danach gefragt haben, wie kann das in anderen Orten umgesetzt werden ?

Schlunk

Wir haben zwei günstige Bedingungen: Wir haben ein Krankenhaus, das diesen Bereich sehr wichtig findet und auch da etwas Neues machen wollte, und wir haben im ambulanten Bereich Hilfe bekommen von dem Kreisärzteschaftsvorsitzenden, der das ganze Projekt auch mit am runden Tisch entwickelt hatte und der den Bedarf einfach zugeben mußte. Er kann auch vertreten, in dem Bereich ist echt ein Mangel, obwohl es Ärzte genug gibt; in dem Bereich herrscht ein Mangel und wir haben nachweisbar Bedarf in diesem engen Bereich. Wenn das woanders auch zu haben ist, diese beiden Bedingungen oder persönliche Bedingungen da sind, daß man das möglich macht durch Engagement von wenigen Einzelnen, das reicht aus, ein Krankenhauschef vielleicht oder ein Krankenhausträger entschließt sich dazu und geht auf die Ärzteschaftvorsitzenden zu und guckt, ob das auch machbar ist. Man braucht halt einfach Leute, die persönlich engagiert sind.

Braun

Das war fast ein Schlußwort und ich nehme es jetzt auch so. Bedanke mich noch einmal bei Ihnen recht herzlich für diesen heutigen Nachmittag. Wir unterbrechen jetzt für eine halbe Stunde. Draußen gibt es nochmal Kaffee.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

Previous Page TOC Next Page