FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 98 (Fortsetzung)]

A. Braun: Ich darf Sie jetzt alle aus den Zwiegesprächen und Dreierrunden wieder sozusagen in die Öffentlichkeit dieser Tagung zurück holen. Wir haben als erstes Länderbeispiel die Bundesrepublik Österreich und wir haben, wie gesagt, die interessante Konstellation, daß dort die Alternative, die bei uns auch lange in der Diskussion war, nämlich ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz als Lösungsmöglichkeit der Kostentragung in der Pflege, im Gegensatz zu unserer Versicherungslösung, gewählt wurde und fast zum gleichen Zeitpunkt, das heißt Ihr wart ein bißchen früher dran und die Erfahrungen sind halt um ein Jahr länger. Obwohl wir ja schon öfter in diesem Haus dieses Konzept Leistungsgesetz diskutiert haben, bin ich gespannt zu hören, wie es da inzwischen bei Euch gelaufen ist. Herzlich willkommen, Eduard Olbrich!

[Seite der Druckausg.: 99]

Eduard Olbrich: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, der Ausflug an die frische Luft trägt Früchte und alle sind in wilder Frische zurück gekehrt. Ich arbeite im Bundesministerium für Arbeit - Gesundheit ist uns zugewachsen vor zwei Jahren - und Soziales in einem koordinativen Rahmen, also nicht auf einem einzelnen Fachgebiet. Von daher ist die Pflegesicherung ein wichtiger Bereich, der einerseits auch korreliert mit dem sonstigen Sozialversicherungsbereich, aber auch mit Arbeitsmarkt, Hoffnungen und Potentialen der Arbeitsmarktentwicklung. Ich bin nebenbei auf der Ebene der sozialdemokratischen Fraktion des ÖGB auch in der Bildungsarbeit tätig, mache also Bildungsarbeit mit Betriebsräten und Funktionären im Gewerkschaftsbund und dabei haben wir so ziemlich mit allen Bevölkerungsgruppen von Jugendlichen bis hin zu Seniorengruppen zu tun.

Ich möchte relativ wenig Zeit aufwenden zur historischen Genese unseres Pflegegesetzes; das auch wirklich das Attribut historisch verdient, weil es auch relativ unendlich lange gedauert hat: alleine die parlamentarischen Vorbereitungsarbeiten, Berichtlegungen usw. haben viele Jahre in Anspruch genommen. Daß die Pflegevorsorge heute ein eminent wichtiges Thema in der sozialpolitischen Diskussion geworden ist, hat demographische und gesellschaftspolitische Entwicklungen zum Hintergrund: Pflegebedürftig zu werden ist ganz einfach von einem individuellen Risiko zu einem gesamtgesellschaftlichen Risiko geworden. Und daraus resultieren auch die verschiedenen (Neu-)Regelungen dazu in den unterschiedlichen Ländern. Das entsprechende österreichische Gesetz, das Bundespflegegeldgesetz (BPGG) ist am 1. Juli 1993 - also mit Brustvorsprung beim Zieleinlauf gegenüber dem deutschen Pflegeversicherungsgesetz sozusagen - in Kraft getreten.

Es ist eine bundesweit einheitliche Regelung, basierend auf einem Verfassungsvertrag zwischen den Bundesländern und der Republik Österreich. In Bundeszuständigkeit sind also - einfach formuliert - alle, die irgendwelche Sozialversicherungsansprüche haben und pflegebedürftig sind, Pflegegeldbezieher geworden; auf der Länderebene diejenigen, denen es noch nicht gelungen ist, in ein Versicherungsverhältnis hineinzukommen. Das können Kinder oder Jugendliche sein, die noch nie berufstätig waren, oder Leute, die nicht lang genug berufstätig waren usw.; das sind Angehörige,

[Seite der Druckausg.: 100]

Mitversicherte und dergleichen mehr. Das heißt also, die gesamte Bevölkerung steht unter diesem Schutz der Pflegevorsorge.

Die Pflegevorsorge ist final orientiert, das heißt, ganz gleich welche Ursache der Pflegebedürftigkeit zugrunde liegt, es geht darum, in welcher Situation befindet sich der Mensch. Ob das jetzt ein Arbeitsunfall oder ob es ein Verkehrsunfall war, ob es eine Erkrankung war; wenn jemand im Rollstuhl sitzt, dann kommt er in die entsprechende Pflegestufe. Das österreichische System ist weit stärker gegliedert von den Leistungsstufen her als das deutsche: Wir haben sieben Stufen. Das wurde in der Diskussion vor der Beschlußfassung zum Teil positiv, zum Teil negativ aufgenommen; die negativen Argumente lauteten ganz einfach, so viele Stufen machen die Administration und die Zuordnung wahnsinnig schwierig, es ist zu stark ausdifferenziert. Die Befürworter haben wiederum gesagt, gerade diese Ausdifferenzierung ermöglicht eine gerechtere Zuordnung, das heißt also je stärker die Abstufung ist, desto weniger habe ich Negativa zu befürchten bei den Einstufungen.

Wir haben bis dahin ja natürlich viele höchst unterschiedliche Leistungen gehabt. Auf Bundesländer-Ebene und im Bereich der Pensionsversicherung hat es einen sogenannten Hilflosenzuschuß gegeben; das war eine Leistung im Umfang von circa 400 Mark monatlich. Bei dem einen würde ich meinen, war es eine Überdotierung, bei vielen also ganz einfach eine katastrophale Minderleistung. Diejenigen, die diesen Hilflosenzuschuß bezogen haben, wurden dann mit der Einführung des Pflegegeldgesetzes automatisch in die Pflegestufe 2 überstellt. Dieses siebenstufige System reicht von Stufe eins mit 2000 Schilling, also etwa 300 Mark, bis zur Stufe sieben mit 21 100 Schilling, also 3000 Mark in etwa.

Das Pflegegeldgesetz ist in der österreichischen Rechtssystematik und auch in der sozialpolitischen Systematik ein völlig eigenständiges System, hat mit dem Sozialversicherungsrecht nichts zu tun, auch nichts mit anderen Versorgungsrechten und ähnlichem. Die Versicherungsträger sind ausschließlich Auftragsverwalter, das heißt sie sind Auszahlungsstelle, nehmen auch Anträge an, administrieren auch die Durchführung der ärztlichen Begutachtung und ähnliches - auf der Bundesländerebene läuft das ein bißchen anders. Aber ansonsten haben sie keine Gestaltungsmöglich-

[Seite der Druckausg.: 101]



keit, sondern sie sind nur beauftragt mit der Administration, weil man nicht ein eigenes Parallel-System aufbauen wollte und weil die Daten ja alle bei den Sozialversicherungen gespeichert sind.

Sehr lange und höchst kontrovers war in der Diskussion - wie auch hier in der Bundesrepublik Deutschland - die Frage Sachleistung oder Geldleistung. Es hat einen starken argumentativen Abtausch gegeben, das Endergebnis war ein Sowohl-als-auch, und zwar mit einem, finde ich, durchaus vernünftigem Kompromiß, der - man kann es so einfach sagen - Priorität der Geldleistung, komplementär dazu die Sachleistung vorsieht. Aber Sachleistung jetzt nicht in diesem deutschen Verständnis, so wie das hier in Deutschland abgerechnet wird. Sondern Sachleistungen in dem Sinn, daß die Länder sich verpflichten mußten, in einem Vertrag über viele Jahre, also das geht jetzt bis zum Jahr 2010 in drei Etappen, soziale Dienste, Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Die mußten erst aufgebaut werden, das heißt, im Regelfall gibt man dem Pflegegeldbezieher das Geld erstmal in die Hand, um autonom überhaupt für sich die Entscheidung zu

[Seite der Druckausg.: 102]

treffen, bleibe ich in meiner Wohnung, gehe ich in ein Heim, wähle ich betreutes Wohnen, nehme ich Heimhilfe in Anspruch. Also der Leistungsbezieher hat die volle Wahlmöglichkeit, aber die öffentliche Hand muß über die diversen Rechtsträger, Wohlfahrtsverbände im Regelfall, die Möglichkeit schaffen, daß ich überhaupt in ausreichendem Maße diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann. Der Leistungsbezieher bekommt das Geld und gesagt, Du darfst Dir aussuchen, Du darfst wählen, sofern, das ist die Grundvoraussetzung natürlich, also die notwendigen Pflegeleistungen auch erfolgen. Das wird stichprobenartig auch kontrolliert und die öffentliche Hand hat die Verpflichtung, den Dienstleistungssektor soweit aufzubauen, daß ich überhaupt die Möglichkeit habe, das Angebot in Anspruch nehmen zu können. Und das reicht jetzt von ambulanten Diensten, teilstationären Diensten bis zu stationären Diensten und dergleichen mehr; es gibt erhebliche Schwierigkeiten, Österreich ist topographisch ein relativ kompliziertes Land und auch von der Besiedlung her, wir haben also weite Niedrigflächen mit Kleinstgemeinden auf einer relativ großen Fläche zerstreut, dazu wiederum Gebirgsdörfer und dergleichen; also daher hat man diese Ausformungen auch den Ländern ganz einfach überlassen, weil die das besser handhaben können. Es gibt auch ganz unterschiedliche Initiativen von freiwilligen Zusammenschlüssen, die also mit Trägerschaften im herkömmlichen Sinn überhaupt nichts zu tun haben, die auch Subventionen bekommen, aber natürlich auch kontrolliert werden. Also lose Vereinigungen bis zu den klassischen Wohlfahrtsverbänden, die da Caritas und Volkshilfe usw. in Österreich heißen und also durchaus vergleichbar sind mit deutschen Strukturen.

Zur Kostenfrage vielleicht noch: ich spreche jetzt nur von dem Mehraufwand gegenüber den bis 1.7.1993 bestehenden höchst unterschiedlichen Leistungsansprüchen; es hat sich ein jährlicher Mehraufwand von etwa 8 Milliarden Schilling ergeben, also das sind

A. Braun: 1,1 Milliarden Mark

E. Olbrich: Ja, also so in der Größenordnung eine sehr gute Milliarde.

A. Braun: Bei einer vergleichbar großen Bevölkerung, wie hier im Land Baden-Württemberg.

[Seite der Druckausg.: 103]

E. Olbrich: Ja, 8 Millionen Bevölkerung, also etwa ein Zehntel der deutschen Bevölkerung. Die Schätzungen, die prognostisch durchgeführt worden waren aufgrund von Stichproben in einzelnen Bundesländern usw., sind also eingetroffen. Obwohl wir ein bißchen skeptisch waren, weil wir bei der Vorbereitung die Auflage hatten, zweistellig dürfte die Prognose nicht werden. Also sprich, die 10 Milliarden-Grenze durften wir nicht überschreiten, sonst bringen wir das Gesetz nicht durch, ganz einfach. Es war ein hartes Ringen mit vielen Kompromissen, aber ich gehe davon aus, daß es so ziemlich der letzte Zeitpunkt war, politisch und budgetär betrachtet, zu dem es überhaupt noch zu realisieren war; ich glaube 2 Jahre später wäre es nicht mehr möglich gewesen, also angefangen von nationalen budgetären Schwierigkeiten bis hin über Maastricht-Kriterien und dergleichen.

Die wesentlichen Grundsätze dieses Pflegegeldrechtes möchte ich jetzt einmal präsentieren. Also es werden alle Gruppen von behinderten, pflegebedürftigen Menschen erfaßt, auch geistig oder psychisch Behinderte sowie auch behinderte Kinder. Die Leistungen sind nach finalen Grundsätzen ausgerichtet, gleichem Pflegebedarf entsprechen gleiche Leistungen, unabhängig von der Ursache der Pflegebedürftigkeit, unabhängig von Alter, Geschlecht und dergleichen mehr. Das Pflegegeld orientiert sich ausschließlich am Bedarf: Maßgebend für die Höhe des Pflegegeldes ist ausschließlich der konkrete Betreuungs- und Hilfsbedarf, also ohne Berücksichtigung von Einkommenssituation und dergleichen. Das Pflegegeld hat den Zweck, pflegebedingte Mehraufwendungen pauschal abzudecken. Es stellt aber nur einen Beitrag dar; es ist uns völlig bewußt, daß wir insbesondere bei den schwierigen Pflegefällen natürlich keine volle Kostenabdeckung vornehmen können, war auch nie so angedacht, weil es nicht möglich ist. Letztlich, dann kommt die Einkommenssituation natürlich ins Spiel, dort wo pensions- oder sonstige Leistungen plus Pflegegeld nicht ausreichen und kein Vermögen vorhanden ist, springt die Sozialhilfe jedenfalls als Kostenträger ein.

Das Pflegegeld soll die Möglichkeit des Betroffenen verbessern, sein Leben selbst zu gestalten, das heißt in der gewohnten Umgebung zu bleiben oder meinetwegen sich außerhäuslich irgendwohin zu begeben ins Pflegeheim oder in eine Alterswohnung, wie auch immer. Auf die Gewährung

[Seite der Druckausg.: 104]

des Pflegegeldes besteht ein Rechtsanspruch. Rechtsstreitigkeiten fallen als soziale Rechtssachen im Sinne des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes - also wir haben da eine eigene Gerichtsbarkeit für diesen Rechtstitel - in die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte. Ich habe es schon erwähnt, das Pflegegeld wird unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt. Zu dem Punkt werde ich dann auch noch aufgrund einer Untersuchung zurückkommen, die für die Evaluierung der doch hier relativ jungen Gesetzesmaterie notwendig war und dann auch für entsprechende Novellierungen gesorgt hat. Der Aufwand für das Pflegegeld ist für den Bund und die Länder im Rahmen der ihnen verfassungsrechtlich zugeordneten Kompetenzbereiche zu tragen, die Finanzierung erfolgt grundsätzlich aus allgemeinen Budgetmitteln. Bei der Einführung des Gesetzes hat es allerdings einen kleinen budgetären Trick gegeben, es wurde die Krankenversicherung um 0,4 Prozentpunkte angehoben, gleichzeitig wurde ein Bundeszuschuß zur Krankenversicherung nicht mehr gewährt und damit war also diese eine Teillücke abgedeckt, aber das war nur bei der Einführung, jetzt ist es so, daß es rechtens ist zu sagen, das wird ausschließlich aus dem Budget finanziert.

A. Braun: Bei uns hieß es ja immer, das PfVG wird die Gemeinden entlasten, der tatsächliche Ausgleich ist dann aber nie nachgerechnet worden; die Kommunen haben auch keinen Staatsvertrag gehabt, um das Finanzgefüge zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu zu ordnen. Die Gemeinden sind dabei schwer reingefallen, wenn sie jetzt nachrechnen, was sie immer noch leisten im Bereich der Sozialhilfe.

E. Olbrich: Das Pflegegeld wird zwölfmal jährlich gewährt, das hört sich irgendwie ganz logisch an, aber ich muß es trotzdem sagen, weil der Hilflosenzuschuß, der vormalige, wurde in Österreich vierzehnmal gewährt. Vierzehnmal bekommt man eine Pension und daher kam das; ein Kuriosum, ganz einfach. Da waren die Staatskassen offensichtlich, wie das eingeführt worden ist, noch etwas voller als jetzt. Also man durfte in Österreich vierzehnmal hilflos sein, pflegebedürftig kann man jetzt nur zwölfmal sein.

Das Pflegegeld kann mit Ausnahme jener Leistungen, die über die Unfallversicherung abgewickelt werden, nicht exportiert werden. Das heißt aber

[Seite der Druckausg.: 105]

nicht, daß pflegebedürftige Menschen nicht urlauben dürfen, aber man sollte, wenn man sich mehr als 2 Monate im Ausland aufhält, das zumindest melden und begründen. Also damit soll allfälligem Mißbrauch, wie auch immer er zustande kommen könnte, vorgebeugt werden.

Vielleicht einmal so ganz kurz erste Ergebnisse über die Zufriedenheit mit diesem neuen Rechtssystem, mit den Einstufungen und dergleichen mehr. Also 68 Prozent der Pflegegeldbezieher sind mit ihrer Einstufung zufrieden. In Einzelgesprächen wurde Kritik geäußert, daß die Einstufungen zu sehr medizinisch oder fast ausschließlich medizinisch orientiert sind. Und daß kaum Angehörige, Pflegebetreuer usw., die also wirklich mit dem Umfeld und den Rahmenbedingungen des Lebens von dem betroffenen Menschen vertraut sind, Gehör gefunden haben. Dem wurde in der jüngsten Novelle u.a. mit 1.1.1999 Rechnung getragen: also es können jetzt Vertrauenspersonen oder betreuende Personen bei der Untersuchung, die dann die Grundlage für die Einstufung bietet, beigezogen werden.

Des weiteren hat es Probleme gegeben bei den Einstufungen von stark Sehbehinderten, von Blinden und von Rollstuhlfahrern, deren Behinderungen ganz einfach unterschiedlich wahrgenommen worden sind. Auch diesem Kritikpunkt wurde in der zitierten Novelle Rechnung getragen, in dem man jedenfalls Mindest-Einstufungen festgelegt hat für diese Gruppen. Diese im Gesetz normierten Mindesteinstufungen betreffen „hochgradig Sehbehinderte, Blinde, taubblinde Personen sowie Personen, die zur eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den aktiven Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen sind." Für die Einstufungsvoraussetzungen - ehe sie den Stufen zugeordnet werden - wurde der Zeitaufwand nach Kriterien eben wie Anziehen, Waschen usw. auch nicht viel anders als hier in Deutschland geregelt, wo man auch eben ganz einfach abgetestet hat und versucht hat, irgendwie nach diesen Kriterien zu irgendwelchen Normen zu kommen.

Vielleicht noch zum Rechtsanspruch, um das Bild abzurunden. Es gibt im Jahr circa 5000 Klagen, das sind etwa 5 Prozent von allen Entscheidungen, die getroffen werden; also die werden beim Sozialgericht angefochten. Etwa 4500 Verfahren werden im Jahr abgeschlossen, 13 Prozent der Berufungsverfahren wird stattgegeben, also das heißt, es gibt einen Anspruch

[Seite der Druckausg.: 106]

überhaupt oder es gibt eine höhere Einstufung, 38 Prozent der Verfahren enden in einem Vergleich, der Rest wird abgelehnt.

Dann gibt es noch relativ viele Details; also ich glaube, ich werde mich bemühen, einmal das Gröbere rüberzubringen. Wir haben etwas mehr als 8 Millionen Bevölkerung in Österreich, wir haben rund 310 000 Personen, die Pflegegeld beziehen, das entspricht etwa 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zwei Drittel der Pflegegeldbezieher sind Frauen. Altersspezifisch betrachtet ist bis zum 60. Lebensjahr zwischen Männern und Frauen kaum ein Unterschied zu verzeichnen, über dem 60. Lebensjahr steigt der Frauenanteil sprunghaft an, in der Altersgruppe der über 80-Jährigen beträgt dann der Anteil bereits rund 80 Prozent, das hängt natürlich mit der wesentlich höheren Lebenserwartung zusammen.

Interessant ist der Unterschied, aber ich meine von der Rechtssystematik her erklärbar, zwischen den Leistungen und der Altersstruktur auf Bundesebene und der der Länderebene. Bei der Bundesebene dominiert der ältere Sektor natürlich ganz stark, weil die meisten in einem Pensionsversicherungsverhältnis sich befinden, bei den Ländern ist es eher anders. Die Pensionsempfänger sind eben nicht im Sozialhilfebereich angesiedelt, also dort sind eher die, die nicht ins Erwerbsleben eintreten konnten oder wie auch immer, berufsunfähig wurden oder dort nicht ausreichende Versicherungszeiten aufweisen.

Jetzt möchte ich noch zurückkommen auf die Diskussion „Einkommens- anrechnung oder nicht". Ich weiß nicht, wie die Diskussion hier läuft, in Österreich ist es nach wie vor eine relativ brisante Diskussion. Wir haben die Einkommensstruktur der Pflegegeldleistungsbezieher erhoben. Ein Viertel davon hat ein monatliches Einkommen von bis zu 1.000 Mark, weitere 41 Prozent haben ein Einkommen von 1.000 bis 1.500 Mark, dann haben wir 29 Prozent in etwa mit 1.500 bis 3.000 Mark. Über der Höchstbeitragsgrundlage haben wir dann überhaupt nur mehr 1,25 Prozent, also dort, wo ich wirklich sagen könnte, es würde aus dem Anspruch der sozialen Gerechtigkeit heraus Sinn machen, die Pflegegeldsätze degressiv zu staffeln, aber da macht es schon budgetär gar keinen Sinn. Und abgesehen davon wäre das natürlich eine höchst komplizierte verfassungsrechtliche Frage. Aber die will ich gar nicht andenken, denn ich meine von der

[Seite der Druckausg.: 107]

Einkommensstruktur der Leistungsbezieher her macht es überhaupt keinen Sinn, in diese Richtung zu gehen und budgetär kämen ganz einfach nur Peanuts heraus. Weil das immer so ein Thema und eine Diskussion ist, das nicht umzubringen ist, glaube ich, das kann man tausendmal veröffentlichen, das Thema wird immer gleich bleiben.

Jetzt möchte ich von den Betroffenen zu den Mit-Betroffenen kommen, zu den privaten Pflegepersonen. Also das geht auch auf diese zitierte Studie zurück. 80 Prozent der Pflegepersonen sind Frauen, ich nehme an, das wird hier in Deutschland nicht viel anders sein. Mehr als die Hälfte von ihnen ist zwischen 40 und 60, die Sandwich-Generation wurde das, glaube ich, vorhin genannt, knapp ein Drittel ist schon älter als 60. Die Männer stehen primär erst dann für Betreuungsarbeiten - und da nur in beschränktem Umfang - zur Verfügung, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Bei der Frage nach dem Verhältnis der Pflegepersonen zum Pflegegeldbezieher bzw. –bezieherin fällt auf, daß 88 Prozent aller Hauptbetreuungspersonen mit der betreuten Person verwandt sind. Mehr als 42 Prozent der Betreuungsleistungen werden von Kindern, hier wiederum primär von Töchtern, für Eltern und Schwiegereltern erbracht; 28 Prozent pflegen ihre Ehe- bzw. Lebenspartner.

Ich möchte jetzt vielleicht auch ein paar Probleme anreißen, weil das klingt ja bisher so, als ob eh alles palletti wäre. 88 Prozent werden also von Verwandten gepflegt, das haben wir gerade gehört. Den meisten Pflegenden fehlt es aber an spezifischem Fachwissen. Zum Teil am simplen Fachwissen, sofern das nicht schon ein paradoxer Begriff ist. Ein eklatanter Mangel liegt darin: man schiebt oder neigt dazu, bis zum Tag X, auch wenn man weiß, daß er schon knapp bevorsteht, alles aufzuschieben. Offensichtlich will man solche einschneidenden Ereignisse im Leben von Eltern und Verwandten, Partnern usw. nicht wahrhaben, sonst würde man früher Beratung in Anspruch nehmen, würde man sich früher zumindest für minimale Erst- und Fachausbildung einmal beraten lassen. Die Pflegebedürftigkeit eines Menschen bringt häufig die komplette Umstellung der Familienstruktur und des familiären Lebensbereiches mit sich. Ein oftmals sehr unterschätzter Faktor, der auf verschiedenen Ebenen des Beziehungsgeflechtes innerhalb einer Familie völlig neue Strukturen, Verantwortlichkeiten und dergleichen und auch Einschränkungen mit sich bringt.

[Seite der Druckausg.: 108]

Die pflegerische Tätigkeit führt oft zum Verlust von sozialen Kontakten, von Ansprech- und Aussprachemöglichkeiten, zur Einschränkung von persönlicher Verwirklichung oder wie immer man das nennen mag, gekoppelt mit psychischen und physischen Überforderungen bis hin zur Selbstausbeutung.

Aufgrund von Informations- und Beratungsangeboten, aber auch aufgrund von dieser zitierten Studie können wir also im Großen und Ganzen folgende Problemkreise, jetzt also im Groben hingeworfen, orten:

  • das ist der nach wie vor mangelnde Ausbau sozialer Dienste. Und zwar zum Teil qualitativ, jedenfalls aber quantitativ. Wir haben Bundesländer mit schon traditionell gut ausgebauten sozialen Diensten wie Vorarlberg und Wien und andere Bundesländer, die in diesem Bereich katastrophal nachhängen. Nach wie vor, trotz Staatsvertrag. Dieser Staatsvertrag ist richtig, wichtig, hat auch eine Funktion, weil man sagen kann, da drinnen steht’s und ihr müßt. Und welches Bundesland läßt sich im Vergleich zu einem anderen an den Pranger stellen: irgendwo wird auch immer gewählt. Also es macht schon einen Sinn, solche handfesten Verträge zu haben.

  • Ein weiterer Problemkreis ist die mangelnde Erholungs- und Vertretungsmöglichkeit für Pflegepersonen. Es ist unheimlich schwierig, Urlaub in Anspruch zu nehmen oder auch nur irgendwo einen Kurs zu besuchen und sonst, nur für wenige Tage weg zu sein.

  • Der nächste Mangel besteht darin, daß es viel zu wenig flexible Angebote für spezifische Betreuungsbedürfnisse gibt. Also wir haben, ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber wir haben so ähnliche Probleme fast wie bei der Kindergartenbetreuung, nur von 8 bis 16 oder 8 bis 17 Uhr. Ich übertreibe jetzt ganz bewußt, aber wenn ich jetzt sagen würde, ich möchte meine Mutter, Großmutter von 18 Uhr bis 23 Uhr sicher versorgt wissen, weil ich einmal ins Theater oder zu irgend einem Vortrag gehen will, dann macht das viel größere Probleme, als jemanden einen Monat lang irgendwo in ein Heim zu geben. Das ist eben ein ärgerlicher Mangel.

    [Seite der Druckausg.: 109]

  • Nächster und letzter großer Problempunkt ist nach wie vor ein eklatanter Informationsmangel und zwar für alle Bereiche. Also das ist der unmittelbare Rechtsbereich, weil sich niemand auskennt, obwohl das Gesetz relativ einfach ist. Ein Informationsmangel über bestehende Anlaufstationen und –stellen, ein Informationsmangel zwischen den Stellen selbst, es läuft vieles unkoordiniert, ein Informationsmangel darüber, was gibt es überhaupt für Möglichkeiten. Wo sind meine Ansprechpartner, wie bringe ich im optimalen Fall diese Ansprechpartner soweit zusammen, daß ich eine umfassende Beratung habe, daß ich nicht zu drei Stellen gehe und ich bekomme womöglich noch drei divergierende Auskünfte, wie es am besten laufen könnte.

  • Ein wichtiger Problembereich ist oder war noch - bei den Frauen natürlich primär - der Ausfall von Versicherungszeiten für die Anspruchsbegründung einer eigenen Pension bei Aufgabe des Berufes und Übernahme quasi einer Vollzeit- oder nahezu Vollzeitpflege. Diesem Problem ist der österreichische Gesetzgeber gerecht geworden: den Arbeitgeberbeitrag zur Pensionsversicherung übernimmt der Bund aus dem allgemeinen Budget für die Frauen - natürlich Männer auch - aber es betrifft überwiegend Frauen, die sich um 10,25 Prozent Beitragsleistung, das ist die normale Arbeitnehmerbeitragsleistung, freiwillig weiter versichern können; also zu einem relativ guten Preis, wenn ich es so einfach sagen kann. Das ist ja, glaube ich, ein guter Schritt gewesen, ob er schon ausreichend war, wage ich zu bezweifeln. Das ist eher leicht durchzuziehen, wenn diese Betreuungstätigkeit zwei, drei Jahre währt, aber es gibt auch viele Betreuungsfälle, die eineinhalb, zwei, drei Jahrzehnte oder so dauern und ob das dann so durchzuhalten ist, ist doch sehr die Frage.

Ich möchte jetzt noch kurz zu den sozialen Diensten in Österreich kommen. Also, die Zielsetzung war, habe ich schon angesprochen, monetäre Leistungen auf der einen Seite sowie Schaffung, Ausbau und Qualitätsstandards für die sozialen Dienste auf der anderen. Diese Mindeststandards sind auch in diesem Vertrag zwischen der Republik Österreich und den neun Bundesländern niedergeschrieben. Im Zentrum stehen die freie Wahl zwischen den angebotenen Diensten, das ganzheitliche Angebot

[Seite der Druckausg.: 110]

und die Vernetzung der Dienste, das Angebot auch an Sonn- und Feiertagen und eine Qualitätssicherung und –kontrolle durch die Länder.

  • Also ich nehme jetzt wieder Bezug auf diese schon mehrfach angesprochene Studie. 56 Prozent der befragten Personen beziehen eine oder mehrere Dienstleistungen. Etwa ein Drittel der Pflegegeldbezieher kann seit Einführung des Pflegegeldes mehr soziale Dienste beziehen als vorher. Die Dienstleistungen, die vor allem auf Landes- bzw. Gemeindeebene angeboten werden, weisen große Unterschiede zwischen Kommunen, zwischen Bundesländern aus usw., Wien, Vorarlberg habe ich schon angesprochen. Es gibt aber eben eine Reihe von Bundesländern mit einer gegenwärtig noch relativ schlechten Versorgungssituation. Das liegt auch an der Topographie, aber trotzdem können wir uns nicht immer darauf hinausreden, daß wir so hohe Berge oder zu weite Flächen haben. Wenn man etwas tun will, dann bringt man etwas zusammen. Es liegt auch an den Kommunen, sich zusammen zu schließen. Ich weiß schon, daß man nicht in einem jeden 800-Einwohner-Dorf einen großartigen sozialen Dienst aufbauen kann.

  • Vielleicht noch zu Grundsätzen für die stationären Dienste: kleine, überschaubare Heime, Integration der Heime in die Gemeinden, Mindestausstattung der Zimmer, Mindestangebot an Räumen und Dienstleistungen, jederzeitiges Besuchsrecht, freie Arztwahl, rechtlicher Schutz der Heimbewohner, Aufsichtsregelungen durch die Länder. Verstehen Sie das sozusagen als Zielorientierung.

  • Wir sind in vielen Bereich noch relativ weit weg von dem, was wir angepeilt haben. Also manche Dinge laufen ganz einfach irrational. Wir haben verfassungsrechtlich prüfen lassen, daß wir in der Lage sind, ein Bundesgesetz zu erlassen. Wir wollen aber eigentlich gar nicht unbedingt ein Bundesgesetz erlassen, wir wollen nur, daß sich die neun Bundesländer auf einen Mindestkriterienkatalog verständigen können, der dann verbindlich für diese neun Bundesländer ist. Alles, was sie draufsatteln wollen, das dürfen sie, mit Handkuß. Es ist bis jetzt noch nicht gelungen, die einen, weil es sie etwas mehr kosten würde, die anderen, weil sie glauben - völlig verblödeter Weise - sich sinkende Standards einzuhandeln. Das wäre so, wie wenn ich einem Arbeitgeber

    [Seite der Druckausg.: 111]

    sage, du darfst nicht über dem Tariflohn bezahlen. Ein irrationales parteipolitisches Länderphänomen, und Wahlen sind bekanntlich immer und überall.

  • Wir müssen doch zu einer einvernehmlichen Regelung kommen von Rechten der Heimbewohner und Pflichten des Heimträgers bzw. Heimverwalters. Das kann ja nicht so schwierig sein; und wenn wir diese einheitliche Regelung haben, dann haben wir ein gewisses Druckmittel auf diejenigen, die völlig privatwirtschaftlich organisiert sind. Und ich möchte jetzt nicht denen irgend etwas vorwerfen, da sind ganz tolle Dinge auch drunter; es ist nur die Frage, ob man es sich leisten kann oder nicht. Aber es gibt auch einige schwarze Schafe drunter, die alte Pensionen und Gasthöfe ein bißchen aufmöbeln und das als Seniorenwohnheim in den Zeitungen inserieren. Und wenn man dann nur nachfragt über die Preise, dann dämmert es einem, daß da irgend etwas nicht richtig sein kann. Aber ich meine, da habe ich dann auch einiges an psychologischen Druckmitteln dahinter.

  • Die Schnittstellenprobleme, nehme ich an, die werden so ziemlich ähnlich sein wie in Deutschland auch. Wenn jemand aus dem Krankenhaus entlassen wird, dann wird er ganz einfach entlassen. Es wird der Hausarzt im Regelfall nicht verständigt, es werden die sozialen Dienste im Regelfall nicht verständigt, manchmal werden nicht einmal die Angehörigen verständigt. Die kommen unter Umständen erst drauf, wenn sie ins Krankenhaus zu Besuch kommen. Es liegt wirklich - ich glaube der Kollege Schilling hat das ähnlich angesprochen - daran, daß die Intentionen und die Realität ein bißchen auseinanderlaufen. Also, ich denke, die Intentionen sind vielleicht ein wenig zu idealistisch angelegt, das mag sein. Daß die Realität aber so weit davon läuft, das muß nicht sein. Ich verstehe auch nicht, wieso es immer wieder darum den Aufschrei gibt, es muß eine Verordnung her, eine ländergesetzliche, eine bundesgesetzliche Regelung, das liegt primär an den handelnden Personen. Wenn ich als Primar auf meiner Station meine Oberschwester anweise: ein jeder Patient, der entlassen wird, und es ist absehbar, daß er sich alleine nicht zurecht findet oder man weiß, die Familie wird nicht dafür sorgen, daß sie dann bei einem Sozialsprengel anruft und den Hausarzt kontaktiert oder von mir aus die Caritas oder wen auch

    [Seite der Druckausg.: 112]

    immer, das ist doch machbar. Da brauche ich doch kein Gesetz dazu. Das liegt an den handelnden Personen, da brauchen wir auf keine politische Vorgabe warten, auf überhaupt nichts. Also da gibt es viele Dinge, die wir jederzeit umzusetzen im Stande sind. Wenn nur die Zeit auf die Umsetzung aufgewandt worden wäre, die aufgewandt worden ist für die Diskussion zu diesem Thema, da wäre sehr viel Positives in dieser Zeit geschehen.

  • Vielleicht noch ganz kurz zur Arbeitssituation sowohl im stationären und natürlich vor allem im ambulanten Bereich, wo ja diese berühmten geringfügig Beschäftigten, ich glaube bei Euch heißen sie 630-Mark-Jobs oder so, also diese ganzen prekären Arbeitssituationen boomen. Da hat sich jetzt ein Dachverband gegründet von den größeren, den fünf großen Wohlfahrtsverbänden in Österreich, und die haben jetzt die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt bekommen. Das heißt, sie haben jetzt erstmals die Möglichkeit, und auch für ihre Beschäftigten besteht jetzt die Möglichkeit, aufgrund eines soliden rechtsverbindlichen Kollektivvertrags Entlohnungen, Arbeitszeiten usw. zu fixieren. Und das betrifft jetzt also fürs Erste immerhin circa 40 000 Personen. Die haben natürlich vorher auch hauptamtliche Angestellte und dergleichen gehabt, aber alles, was so drum herum war, das sind 40 000 Personen, und ich glaube, für die ist das unheimlich wichtig.

  • Auch wenn es jetzt nicht unmittelbar zum Thema gehört, aber die Lösung in Österreich mit den geringfügig Beschäftigten, die im Rahmen der Pensionsreform getroffen worden ist, sieht so aus: die Arbeitgeber sind zur Beitragsleistung nicht nur aufgefordert, sie müssen es auch erbringen, das heißt sie müssen die Beiträge zur Pensionsversicherung abliefern, wenn sie mehrere geringfügig Beschäftigte haben. Das betrifft insbesondere die Bereiche Reinigung, Gastronomie und dergleichen, also das ist schon eine ganze Menge, also die Anzahl ist steigend natürlich, der Hauptanteil weiblich. Die geringfügig Beschäftigten selbst haben die Option, in die Pensionsversicherung einzuzahlen, dann erwerben sie sich Versicherungszeiten mit Rechtsansprüchen auf eine Pensionsleistung. Sie müssen nicht, ihre Arbeitgeber müssen Beiträge abliefern, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben die Option, das heißt, sie können, wenn sie wollen. Aber es ist eine ganz wichtige

    [Seite der Druckausg.: 113]

    Geschichte, weil wir haben noch immer die besten 15 Jahre; irgendwann sind es dann die besten 18 Jahre, die für die Pensionsbemessung herangezogen werden. Wenn ich jetzt 10 Jahre geringfügig beschäftigt bin, weil ich meinetwegen nur einen Nebenjob haben will oder weil ich keinen anderen Job im Moment finde und ich habe vorher ein ordentliches Arbeitsverhältnis gehabt mit einem guten Einkommen, dann kann das pensionsbegründend, eigenpensions-begründend wirken und ich bin nicht mehr auf die abgeleitete Pension von Witwenpension oder Witwerpension angewiesen. Ich glaube das ist eine relativ wichtige Angelegenheit.

Zum Schluß vielleicht: wir haben ungefähr 29 000 Fragebögen, also Rückantworten von Fragebögen, ausgewertet mit Fragen zur Zufriedenheit, zur Wohnsituation, zu den ganzen Umwelt- und Rahmenbedingungen, unter denen Pflegebedürftige leben, ob beim stationären Aufenthalt und dergleichen. Ich will aber jetzt nicht einen großen Zahlenfriedhof ausbreiten.

A. Braun: Das sind ja fast 10 Prozent Rücklauf!

E. Olbrich: Ja, aber weil die Gruppen so heterogen sind, hat man es nicht mit einer einfachen repräsentativen Stichprobe machen können, sondern man hat sozusagen eine 10fache repräsentative Stichprobe gemacht und wie gesagt 68 Prozent, das sind mehr als zwei Drittel, sind also relativ zufrieden oder sehr zufrieden. Ich glaube, diese Regelung hat sich fürs Erste einmal bewährt; wir müssen natürlich permanent beobachten, wie die Entwicklungen weitergehen.

Ich möchte da jetzt quasi so in einer nachträglichen Diskussion noch anmerken, daß ich glaube, der Pflegebedarf insgesamt wird steigen, aber fast ausschließlich, weil jene Altersgruppe, in der Pflegebedürftigkeit statistisch wahrscheinlich zu erwarten ist, zunimmt. Die Pflegebedürftigkeit wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht zunehmen, weil die Menschen älter werden. Also aus nahezu allen wissenschaftlichen Untersuchungen aus dem europäischen, aber auch aus dem amerikanischen Raum, wissen wir, daß die meisten Kosten, medizinische oder Gesundheitskosten, Pflegekosten, in den letzten beiden Lebensjahren, aber vor allem konzentriert im letzten Lebensjahr anfallen und ob dieses letzte Le-

[Seite der Druckausg.: 114]

bensjahr jetzt mit 80 oder mit 86 Jahren stattfindet, spielt vergleichsweise eine nicht so erhebliche Rolle. Das heißt: allein aus der Ausweitung der Zahl älterer Menschen ist ein Großteil der Zunahme an Pflegebedarf zu erwarten, aber nicht in dem Unfang aus der Tatsache, daß die Menschen älter werden.

A.Braun: Das war das letzte Wort; vielen Dank an Eduard Olbrich. Ich versuche nun, meine Seminarökonomie zu retten mit dem Vorschlag, daß wir jetzt nur eine Nachfragerunde machen. Also nur Nachfragen, wenn etwas noch geklärt werden muß und weniger Meinungen.

Ute Francke: Mein Name ist Ute Francke, ich arbeite im Geriatrischen Zentrum der Medizinischen Klinik in Tübingen und zwar im Sozialdienst. Gibt es in Österreich in den Kliniken keine Sozialdienste? Frage Nummer eins. Frage Nummer zwei: Sie sagten, die Frauen können 10 Komma irgendwas Prozent einzahlen, wieviel ist das in Schilling oder in Mark? Also wieviel Geld ist das, wieviel kostet die das?

U. Kruse: Sie haben bei der Einkommensstruktur erwähnt, daß also Pensionen, Pflegegelder und Vermögen berücksichtigt werden und dann Sozialhilfe. Was wird den Leuten als Vermögen belassen, denn das ist bei uns eine große Diskussion, weil wir glauben, es ist zu wenig, was sie selbst behalten dürfen?

H. Schmidt-Nebgen: Herr Olbrich, Sie hatten gesagt, daß die Priorität in Geld besteht und erst in zweiter Linie in Sachleistungen. Sind die gleich hoch oder ist es wie bei uns, da sind die außerhäuslichen Leistungen sehr viel höher? Das zweite ist die Frage, Sie hatten gesagt, daß es aus dem normalen Budget gezahlt wird und unabhängig von Sozialversicherungen. Wie gehen Sie mit Migranten um, die ja dann keine Bürger sind, die aus dem Budget zu zahlen sind, die aber doch wohl Sozialversicherung gezahlt haben?

A. Braun: Also, nehmen wir diese drei noch; vielleicht kommen wir damit davon.

[Seite der Druckausg.: 115]

G. Hartmann: Ich habe verstanden, daß vor allem Rollstuhlfahrer und Blinde die Leute sind, die in den Genuß der Pflegegelder, Pflegeversicherung kommen?

A. Braun: Nein, nur automatisch sozusagen eine bestimmte Stufe des Pflegegeldes kriegen.

G. Hartmann: Also in der ersten Stufe drin sind, ja. Weil bei uns ja die große Frage ist, inwiefern die geistig verwirrten und so einbezogen werden.

E. Olbrich: (überreicht Frau Hartmann eine Broschüre) Ist alles im Detail hier nachzulesen.

Ich will jetzt nicht Stundenaufwand usw. erzählen, weil das merkt sich niemand und ist relativ langweilig. So darf ich bei der Frau Francke beginnen: natürlich gibt es soziale Dienste, natürlich gibt es zu wenig soziale Dienste, natürlich werden die sozialen Dienste in unzulänglichem Ausmaß in das medizinische Geschehen eingebunden. Da gibt es ganz einfach Defizite, vielleicht, ich spreche nicht für alle Kliniken in Deutschland oder in Österreich oder sonstwo, vielleicht können die beiden Disziplinen von ihren Ansprüchen her nicht so gut miteinander. Das mag auch sein. Die Sozialarbeiter sagen, das sind die Techniker da drüben, nicht, und die sagen, das sind die Sozialromantiker. Ich sage es jetzt ein bißchen flapsig, aber da gibt es schon Schwierigkeiten da drinnen.

Zu den Beitragsleistungen für die Pensionen. Das sind 10,25 Prozent; Betrag kann ich keinen sagen, weil die 10,25 Prozent werden vom Letztbezug der Frau, bevor sie ausscheidet aus dem Berufsleben, berechnet. Das heißt, wenn die 2000 Mark - sage ich jetzt mal - vorher verdient hat, dann zahlt sie 10,25 Prozent davon. Hat sie 4000 Mark oder 1000 Mark, also von diesem Bezug vormals.

Zur großen Vermögensfrage: so stellt sich die Frage für uns nicht. Das was ich gesagt habe ist, die Pflegegeldleistung erfolgt unabhängig vom Einkommen und Vermögen. Reichen Pensionseinkommen und Pflegegeld nicht aus, dann kommt die Sozialhilfe als Kostenträger. Die Sozialhilfe, die

[Seite der Druckausg.: 116]

regressiert sich aber am Vermögen oder die Kinder erbringen die Leistungen. Ob sie jetzt nachher das Haus erben wollen oder ob jetzt sozusagen die Hypothek oder Grundbucheintragung schon bei der Sozialhilfe liegt, also das ist ein Problem, das soll und darf ein jeder höchstpersönlich gestalten. Aber ich habe kein Verständnis dafür, daß die Kinder 3 Millionen Mark meinetwegen erben können und der Staat, die öffentliche Hand soll für die Pflegeleistung aufkommen.

A. Braun: Das ist der schwäbische Königsweg: die Kinder erben und man muß keine Sozialhilfe zurückzahlen.

E. Olbrich: Zum anderen ist zu sagen, wenn also die Geldleistungen nicht ausreichen und auch die Sozialhilfe in Anspruch genommen wird, verbleiben an Pensionsleistungen 20 Prozent der monatlichen Pension. Und in Österreich gibt es ja zwei Sonderzahlungen für die Pension, also 13. und 14. Pensionsleistung, die verbleiben zur Gänze. Weil man ja auch nur 12 Monate im Heim lebt und nicht 14. Und genauso verbleibt auch ein Mindestbetrag, das sind ungefähr 600 Schilling vom Pflegegeld im persönlichen Einkommen. Zusätzlich zu den 20 Prozent der Pensionsleistung. Also ich glaube, für jemanden, der in einem Heim wohnt und doch mehr oder weniger voll versorgt ist, es ist ein ausreichendes „Taschengeld".

Das Auseinanderrechnen zwischen Sach- und Budgetleistung, das ist so nicht möglich, weil da müßte ich einen jeden sozialen Dienst in den Ländern budgetär quantifizieren. Der große Brocken logischerweise mit rund 18 Milliarden jährlich insgesamt ist die Pflegegeldleistung. Und die sozialen Dienste, die sind auch sehr unterschiedlich von der Finanzierung her, da gibt es andere Träger, die werden mehr subventioniert oder weniger; dort wird Personal subventioniert usw., also da möchte ich lieber die Finger weglassen von einer Quantifizierung.

Die Pflegegeldleistung ist gebunden an den gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Aber das bedeutet jetzt nicht, wenn ich in der Nähe von Salzburg verunfalle, daß ich über die Grenze fahre und sage, jetzt ist mein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich und ich kassiere jetzt das Pflegegeld. Also so einfach ist es nicht. Aber für denjenigen, der tatsächlich nachvollziehbar seinen gewöhnlichen

[Seite der Druckausg.: 117]

Aufenthalt in Österreich hat, ist es ganz gleich, ob er jetzt Jugoslawe oder Türke oder Österreicher ist. Er muß allerdings, und das habe ich auch schon gesagt, das gilt aber auch für die Österreicher, er muß im Inland bleiben. Er darf natürlich auf Urlaub in die Türkei fahren. Aber es kann nicht so sein, daß Pflegegeldleistungen immer und per se ad infinitum oder ad finitum ausbezahlt werden. Es gibt ja auch Pflegefälle, wo sich die Situation wieder verbessert. Es gibt längerwierige Rehabilitationsgeschichten und dergleichen, wo Pflege dazwischen notwendig ist, wo Pflegegeldbezug erfolgt, aber dann wieder erlischt. Und daher muß man ein bißchen eine Aufsicht haben, wenn ich das so sagen darf.

A. Braun: Vielen Dank, dann erkläre ich hiermit diese Runde auch für beendet. Da draußen müßte Kaffee stehen und ich bitte relativ pünktlich um 17 Uhr weiter machen zu können, damit wir die verschiedenen Bedürfnisse bei den unterschiedlichen Videos noch klären können, bevor wir uns auseinander begeben.

A. Braun: Jetzt wären wir eigentlich am Beginn der zweiten Videorunde. Nachdem wir aber die erste heute Nachmittag der heute Morgen irgendwo untergegangenen Diskussion geopfert haben, sind wir jetzt in einer etwas schwierigeren Gefechtslage: ich kann eigentlich insgesamt nur drei Sachen anbieten:

  • nämlich einen Streifen, der ist knapp eine Stunde lang, den würde ich unten, also einen Stock tiefer in dem anderen Lehrsaal, abspielen lassen. Es ist die Aufnahme einer Diskussion auf Südwest 3, die in der Reihe „Service inklusive" gesendet wurde, sie beschäftigt sich mit pflegenden Angehörigen im Allgemeinen, hat auch ein paar Beispiele drin, eine Diskussionsrunde unter anderem mit Irene Steiner.

  • und die beiden anderen, die halbstündigen, das ist einmal ein etwas älterer, von Anfang der 90er Jahre, über die Probleme von zwei erwachsenen Geschwistern, die ihre Eltern praktisch ständig zuhause in deren Wohnung pflegen, den werde ich hier oben zeigen;

    [Seite der Druckausg.: 118]

  • das andere ist ein neuerer, vom Frühjahr letzten Jahres, über eines dieser zur Zeit immer wieder so stark diskutierten Hospizbeispiele, genauer über Bethanien, und der wird dann in der zweiten Runde hier gezeigt.

Morgen machen wir es dann umgekehrt für die, die dann noch da sein können. Also, wenn Sie sich bitte entscheiden, was Sie angucken wollen, in fünf Minuten geht es los.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

Previous Page TOC Next Page