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Markus von Lutterotti
Humanes Sterben


Was heißt humanes Sterben? Wenn über dessen moralische, ethische und rechtliche Bedingungen gesprochen werden soll, wird man sich vorher einigen müssen, was man darunter versteht - falls eine Einigung möglich ist. Gemeinsam dürfte uns allen die Vorstellung sein, daß man als human jenes Sterben bezeichnen sollte, das dem Menschen erlaubt, seinen je eigenen Tod zu sterben, d. h. in der seinem Leben, seiner Personalität, seinem Selbstbestimmungsrecht adäquaten Weise. Weiterhin werden alle mit humanem Sterben auch das Freisein von Leiden, Schmerzen und Verlassenheit verbinden. Aber hier enden die Gemeinsamkeiten, denn in der zeitgenössischen ethischen Kontroverse gehen die Ansichten auseinander, worin letztlich die Menschenwürdigkeit in der Phase des Sterbens zu sehen ist.

Die prinzipienorientierte, deontologische Ethik (griech. to deon = das Bindende, die Pflicht), der wir im westlichen Abendland seit 2000 Jahren anhängen, die ihre Basis letztlich in den Zehn Geboten hat, sieht ein Sterben dann als human an, wenn der Kranke nicht nur durch Schmerzbekämpfung und palliative Medizin optimal versorgt, sondern auch mitmenschlich betreut und nicht allein gelassen wird. Aktive Sterbehilfe wird abgelehnt, auch als Tötung auf Verlangen; auf der anderen Seite soll eine sinnlose Behandlung unterlassen werden, wenn sie nur Leiden und Schmerzen verlängert. Die ethische Wertung einer Handlung geschieht nach den Absichten des Handelnden und nicht primär auf Grund der Folgen, wenngleich diese nicht ganz vernachlässigt werden dürfen. Auch darf die prinzipienorientierte Ethik nicht zu reiner Gesinnungsethik erstarren, denn man trägt Verantwortung für den Anderen und Vorschriften sind nicht um ihrer selbst willen, sondern um des Menschen willen da.

Alle westlichen Ärztegesellschaften, mit Ausnahme von Holland, folgen in ihren Verlautbarungen zum Thema Sterbehilfe den Vorstellungen dieser Ethik. Wer Sterbende schon häufiger begleitet hat, weiß um das Gelingen letzter menschlicher Reifung, eine Entwicklung, die durch "Euthanasie", wie die Tötung in Holland genannt wird, meist abgeschnitten würde. Auch ist allen, die zumal in der Hospizbewegung in der Begleitung Sterbender tätig sind, bekannt, daß medizinisch und menschlich gut betreute Kranke so gut wie nie nach "Euthanasie" (aktiver Sterbehilfe) verlangen.

Anders argumentiert die primär folgenorientierte, utilitaristische Ethik, die ihren Ursprung im 18. Jahrhundert zur Zeit der Aufklärung hat. Die prinzipielle Unverletzlichkeit fremden Lebens sieht sie letztlich nur religiös begründet. Da aber religiöse Voraussetzungen in der heutigen pluralistischen Gesellschaft den meisten Menschen nicht mehr bindend zu vermitteln wären, müßte Ethik durch rationale Überlegungen begründet werden. Bei der ethischen Beurteilung einer Handlung müßte primär auf die Folgen und zwar den Nutzen unserer Handlungen auf den Betroffenen oder eine möglichst große Zahl von Menschen geachtet werden. Wenn nun, so wird argumentiert, ein Kranker auf Grund seines Selbstbestimmungsrechts die Abkürzung von Leiden und Schmerzen durch die rasche Herbeiführung des Todes wünsche, wenn dies in seinem Interesse sei, so müßte der Arzt diesem Wunsche nachkommen dürfen. Euthanasiegesellschaften, die es in vielen Ländern gibt, streben eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen für solche besonderen Fälle an. Die Gefahr von Mißbrauch wird bestritten, falls entsprechende gesetzliche Kautelen vorgesehen würden.

Wie allgemein bekannt ist, wird in Holland seit Jahren die sogenannte "Euthanasie" bei Kranken und Sterbenden unter weitgehender Billigung der Öffentlichkeit und Billigung der Ärztegesellschaft praktiziert, wobei nicht mehr zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Euthanasie unterschieden wird. Es wird keine Anklage erhoben, wenn gewisse Regeln eingehal-

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ten werden, die ein Gesetz von Februar 1993 festgelegt hat. Als Todesursache darf offen "Euthanasie" angegeben werden. Herr Dr. Admiraal wird sicher darüber berichten, so daß ich mich kurz fassen kann. Heft 2 des Hastings Center Report von 1992 bringt im übrigen einen objektiven und ausführlichen Bericht über die Praxis, die von den Holländern selbst bestätigt wurde. Bei Kranken, die nicht mehr entscheidungsfähig sind, sei es für Ärzte, die sich zur "Euthanasie" entschließen, allgemein üblich, durch Morphin ein Koma herbeizuführen und dann Curare zur "Beendigung des Lebens" zu geben. Ethische Bedenken gebe es dabei nicht mehr. Auf diese Weise lassen sich, wie man bemerken kann, auch Pflegeprobleme in Altersheimen auf elegante Weise lösen.

Es würde diesen Rahmen überschreiten, ausführlicher auf einige grundsätzlich Irrtümer des Utilitarismus einzugehen. In der demnächst erscheinen Nummer (Heft 2) der "Zeitschrift für Medizinische Ethik" (früher "Arzt und Christ") habe ich mich mit der Bagatellisierung des Mißbrauchsarguments und verschiedenen Irrtümern auseinandergesetzt.

Aus den dort genannten und vielen anderen Gründen bekenne ich mich zur traditionellen Ethik, die das Töten prinzipiell verbietet. Die Antwort auf Leiden und Schmerzen und die Absicht, Sterben human zu gestalten, kann ich nicht in Töten sehen, sondern nur im Bemühen vermehrter Fürsorge für den Kranken, einer Fürsorge, die nicht nur medizinisch für optimale Schmerzbekämpfung und Palliativmedizin sorgt, sondern auch das Bemühen um mitmenschliche Begleitung einschließt. Dieses Bemühen um eine so verstandene Menschenwürdigkeit des Sterbens verwirklicht sich in der Hospizbewegung, wie sie von Cicely Saunders in London gegründet worden ist. Es war die Antwort auf die schon 1932 in London gegründete Euthanasiebewegung. Wann immer nichts mehr gegen die Grundkrankheit getan werden kann, sagte Cicely Saunders, dann kann noch sehr viel für den Kranken getan werden, ja er bedarf noch größerer Zuwendung als zuvor. Wichtig ist der Hinweis, daß es sich dabei nicht primär oder ausschließlich um stationäre Einrichtungen handelt, sondern um eine Philosophie des Helfens, die auch in ambulanter Tätigkeit verwirklicht werden kann. In Zusammenarbeit mit vorhandenen Sozialdiensten und mit Ärzten, die dafür offen sind, werden von freiwilligen Helfern, die eine entsprechende Ausbildung und regelmäßige Supervisionen erfahren, die Kranken und Sterbenden in Wohnungen, Altersheimen aber auch Krankenhäusern aufgesucht. Begleitung und Hilfe wird nicht nur den Kranken, sondern auch den Angehörigen angeboten. Aber natürlich wäre in jeder größeren Stadt auch die Möglichkeit zu stationärer Behandlung im Sinne der Hospizidee für solche Kranke erforderlich, die entweder wegen der Art ihres Leidens oder aus sozialen Gründen zu Hause nicht mehr ausreichend behandelt werden können. Lange nicht in allen Krankenhäusern ist eine qualitative Betreuung möglich, wie sie von der Hospizbewegung angestrebt wird. Aber wie sieht es mit stationären Möglichkeiten bei uns aus? Neben den 160 stationären Hospizen in England lassen sich jene in Deutschland fast an den Fingern einer Hand aufzählen.

Hier besteht Handlungsbedarf, denn die Einrichtung kleiner stationärer Palliativeinheiten, die im Sinne der Hospizidee arbeiten könnten, stößt in Deutschland meist auf unüberwindliche Hindernisse. Die Hospiztätigkeit lebt bisher nur von freiwilligen Spenden. Dies betrifft nicht die Patienten und deren häusliche medizinische Versorgung oder die Unterbringung in Pflegeheimen, vielmehr die Tätigkeit der freiwilligen Hospizhelfer und die Organisation der Hospiztätigkeit. Eine öffentliche Unterstützung ist nicht nur im Interesse der Kranken, sondern auch als Antwort auf die Euthanasiebewegung dringend zu wünschen. Wann immer keine Möglichkeit zur Förderung stationärer Einheiten gesehen wird, sollten wenigstens die Hospizbüros der freiwillig arbeitenden, ambulanten Hospiztätigkeit finanziell unterstützt werden.

Ein weiterer Handlungsbedarf besteht in der gesetzlichen Erleichterung der Morphinverschreibung, dem souveränem Mittel zur Bekämpfung der Krebsschmerzen. Das für die Verordnung erforderliche bürokratische Verfahren führt dazu, daß von den niedergelassenen Ärzten nur ein Viertel über die entsprechenden Rezeptformulare verfügt; die gesetzliche Erschwerung der Verschreibung hatte nicht den geringsten Einfluß auf den Drogenkonsum, er-

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schwert jedoch die Versorgung jener Kranken, die es dringend nötig hätten. Deutschland gehört zu jenen Ländern, in denen am wenigsten Morphin verschrieben wird.

Literatur:

Lutterotti, Markus von: Der Arzt, das Tötungsverbot und die Kontroverse zwischen deontologischer und konsequentialistischer Ethik. Zeitschrift für medizinische Ethik 40 (1994), 119-130.


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