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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 91 ]


Peter Robinson
Die Labour Regierung in Großbritannien:
ein dritter Weg für die Sozialdemokratie?


„Anders als die alte Linke wollen wir eine Marktwirtschaft. Anders als die neue Rechte wollen wir keine Markt-Gesellschaft. Wir wollen eine erneuerte Sozialdemokratie." (Tony Blair, November 1998, seine Betonung)

„Die hervorstechenden Fehler der Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, sind ihr Versagen, wenn es darum geht, Vollbeschäftigung zu schaffen und ihre willkürliche und ungerechte Verteilung von Wohlstand und Einkommen". (Keynes, 1936)

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Einleitung

Mittlerweile sind in den meisten EU-Mitgliedsstaaten Mitte-Links-Regierungen im Amt, daher gibt es einige Aufregung über die Möglichkeit einer erneuerten sozialdemokratischen Initiative. Diese Aufregung legt sich allerdings schnell wieder, wenn man fragt: Was haben Blair, Jospin und Schröder eigentlich gemeinsam?

Der Dritte Weg der neuen Labour-Regierung kann definiert werden als Versuch einer Kombination von effizienter, prosperierender Marktwirtschaft und einer in sozialer Hinsicht integrativen Gesellschaft. Diese Formulierung könnte natürlich auch die Ziele jeder sozialdemokratischen Regierung in Europa seit dem Krieg definieren.

Nun werden Regierungen eher nach dem beurteilt, was sie tun, als was sie sagen. Bücher, Aufsätze und Seminare über den Dritten Weg ermangeln im allgemeinen einer klaren politischen Rezeptur. Wenn die Blair-Regierung besonderen Wert darauf legt, ihre unideologische und pragmatische Ausrichtung hervorzuheben, so muß doch zu ihrem Verständnis genau untersucht werden, was sie in den folgenden Bereichen tut:

  • Wirtschaftspolitik (einschließlich der Umweltpolitik),

  • Reform des Wohlfahrtsstaates, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheits- und Bildungspolitik, und

  • Verfassungsreform einschließlich der Beziehungen zu Europa.

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Ist das Regierungsprogramm kohärent?

Anscheinend werden kohärente Regierungsprogramme immer erst rückblickend augenscheinlich, wenn man ihre wichtigsten Erfolge betrachtet. Am Beispiel der Thatcher-Zeit wird dies deutlich: Im Rückblick scheint die Privatisierung eine ihrer großen Hinterlassenschaften zu sein. Allerdings wurde im Wahlprogramm der Konservativen von 1979 der Ausverkauf der meisten öffentlichen Unternehmen nicht einmal erwähnt.

Das Wahlprogramm, mit dem Labour gewonnen hat, war bewußt bescheiden, zugeschnitten auf breite Wählerschichten. Viele Strategien und spezifische Maßnahmen der Regierung gewinnen erst jetzt sichtbare Gestalt und scheinen sich aus sieben Schlüsselkomponenten zusammenzusetzen:

  1. ein scheinbar orthodoxer Ansatz zu makroökonomischer Politik in Einklang mit niedriger Inflation und nachhaltigen öffentlichen Ausgaben.

  2. New Labour-Subventionen, unter der Überschrift „von Sozialhilfe weg hin zur Arbeit", sollen mehr Arbeitsplätze zur Verringerung der Armut schaffen, während andere Subventionsmaßnahmen die Schließung der „Produktivitätslücke" bezwecken sollen.

  3. Akzeptanz der Wichtigkeit des Wettbewerbs im produzierenden und Kapitalmarkt bei gleichzeitiger besserer Ausbalancierung des Arbeitsmarktes durch abgewogene Umstrukturierung.

  4. Eine Strategie für Fairness und gegen soziale Ausgrenzung; großzügige Handhabung der Kernleistungsbereiche im öffentlichen Dienst, Gesundheits- und Erziehungswesen, und die „heimlich" in erheblichem Maß betriebene Umverteilung durch Steuern und Sozialleistungen.

  5. Eine Unterstützung von „nachhaltiger Entwicklung" mit erklärter Hilfe von fiskalischen und Umstruktierungsmitteln für Umweltziele.

  6. Einschneidende Verfassungsänderungen.

  7. Ein Versuch, Großbritannien ins Herz Europas einzubringen.

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A Wirtschaftspolitik

„Bei der Wirtschaftspolitik reden wir nicht mehr von Makro-Ökonomie:

wir sind jetzt alle Globalisten" (Tony Blair, April 1998)

Als die Labour-Regierung ihr Amt antrat, erbte sie von den Konservativen eine robust wachsende Wirtschaft mit stetig fallenden Arbeitslosenzahlen. 1997 waren es offensichtlich nicht „die Wirtschaftsblinden", die den Wahlausgang bestimmten. Die guten Wirtschaftszahlen der ersten Amtsperiode der Labour-Regierung sind zum Teil diesem Erbe geschuldet.

Die Wirtschaftsstrategie der Regierung hat vier erklärte Ziele:

  1. Eine orthodoxe makroökonomische Wirtschaft, die Preisstabilität und finanzierbare öffentliche Ausgaben zum Ziel hat, wobei die Bank von England halbwegs unabhängig sein soll und die Steuerpolitik mittelfristig festgelegt wird.

  2. Ein fester Vorsatz, Beschäftigungsmöglichkeiten für alle zu schaffen, sei es durch verschiedene New Deals oder aktive Arbeitsmarktpolitik, Steuer- und Sozialleistungsreformen sowie Bildungs- und Ausbildungsinitiativen.

  3. Die Schließung der „Produktivitätslücke" zwischen Großbritannien und vergleichbaren Industrieländern durch Anregung des Wettbewerbs, von Unternehmergeist und Innovationen, Fähigkeiten und Investitionen, einschließlich der Wiederherstellung des Niveaus öffentlicher Netto-Investitionen und der Wissenschaftsförderung.

  4. Schaffung einer gerechteren Gesellschaft und Schutz der Umwelt, ersteres durch Reformen im Besteuerungs- und Sozialleistungssystem, letzteres größtenteils durch steuerliche Anreize.

Das erste Ziel weist auf eine Regierung hin, die daran glaubt, daß makroökonomische Politik in erster Linie auf Preisstabilität abzielen sollte statt auf Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Dies liegt in der Akzeptanz der Ansicht begründet, daß es eine „natürliche" Arbeitslosenrate gebe, die durch ein Nachfrage-Management nicht zu beeinflussen ist, und ist nicht das Ergebnis der Auffassung, durch die Globalisierung werde eine unabhängige makroökonomische Politik unhaltbar. Also zeigt das Blair-Zitat am Anfang dieses Kapitels A, daß dem Premierminister die Basis der Wirtschaftspolitik seines Schatzkanzlers nicht bewußt ist. Arbeitslosigkeit wird als größtenteils strukturelles Problem angesehen, und das zweite Ziel,

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„Beschäftigungsmöglichkeiten für alle", wird angestrebt mittels „sozialdemokratischer Subventionspolitik", zwecks Unterscheidung von ihren konservativen Vorläufern. Es sollte angemerkt werden, daß die Formulierung des zweiten Ziels die Regierung nicht darauf festlegt, Vollbeschäftigung herzustellen, noch gibt es genaue Vorgaben bezüglich der Zahlen von Erwerbstätigen und Arbeitslosen als Maßstab für die Erreichung des Ziels „Beschäftigungsmöglichkeiten für alle".

Das vierte Ziel mit dem sprachlichen Ausdruck „eine gerechtere Gesellschaft schaffen" soll wohl die sozialdemokratischen Referenzen des Finanzministers deutlich herauszustellen, dessen Ministerium ausdrücklich das Vorhaben der Armutsbekämpfung in seine Veröffentlichungen hineinschreibt. Zu Beginn des Jahres 1999 hat der Premierminister außerdem ausdrücklich zur Armutsbekämpfung bei Kindern aufgefordert, was den Akzent ein wenig verlagerte.

Eine fünfte Auswahl an politischen Maßnahmen soll das Konzept eines „dritten Weges" mit Leben erfüllen:

  1. Eine Fortführung und Stärkung von politischen Maßnahmen zur Wettbewerbsankurbelung und De-Regulierung auf den Produkt- und Kapitalmärkten, gleichzeitig aber die „richtige Gewichtsetzung" in der Arbeitsmarktregulierung. Die relativ geringe Regulierung in der angelsächsischen Wirtschaft wird als echte Stärke angesehen.

Zwei der fünf frühen Labour-Versprechen bezogen sich direkt auf die ersten beiden Ziele für die Wirtschaftspolitik, einschließlich des Versprechens, 250.000 jugendlichen Arbeitslosen Arbeit zu beschaffen mit Geld aus den Erträgen der Privatisierung.

Die erste politische und wirtschaftliche Amtshandlung der Labour-Regierung war jedoch überhaupt nicht die Durchführung eines im Wahlkampf gegebenen Versprechens, - an ihrem ersten Tag im Amt gaben der Premierminister und der Schatzkanzler der Bank von England die operative Kontrolle über Zinsentscheidungen, sie gaben also eines der wichtigsten Wirtschaftsinstrumente aus der Hand. Dies sollte die „Kreditwürdigkeit" der neuen Labour-Regierung in den Augen der Finanzmärkte erhöhen. Da die Finanzmärkte sorglos waren und das Hauptproblem der Wirtschaft des Vereinten Königreichs im Mai 1997 nicht die Flucht vor dem Pfund war, sondern ein überhöhter Wechselkurs, wurde dieser Schritt seinerzeit als „fighting the last war" kritisiert.

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Der Schatzkanzler und seine Berater versuchten nicht zu verbergen, daß ihrer Ansicht nach die Bank von England die Leitzinsen zur Bremsung der Wirtschaft 1997 zu langsam erhöht hatte, damit die Inflation unter Kontrolle blieb. Die Veröffentlichungen seines Ministeriums sind voller Anspielungen dahingehend, daß die Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte 1997 „im Trend" war, was soviel besagt wie: die Arbeitslosigkeit hatte ihren natürlichen Stand erreicht, im Einklang mit der stabilen Inflationsrate, und hätte nicht weiter fallen können, ohne die Inflationsrate zu erhöhen. Die Bank von England hatte jedoch einen pragmatischeren Kurs verfolgt und senkte im Herbst 1998 die Zinssätze drastisch, obwohl die Arbeitslosenzahl unterhalb den konventionellen Schätzungen lag. In der Praxis hat die Bank eher so gehandelt wie die US Föderal Reserve als die Europäische Zentralbank, was das Herangehen an den Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenzahlen und die Transparenz ihrer Entscheidungen angeht. Die Ironie ist, daß durch die Kontrolle der Nationalbank über die Zinssätze die Geldpolitik expansiver geworden ist, als man normalerweise erwartet hätte.

Der unverändert hohe Wechselkurs des Pfund hat die herstellende Industrie unter Druck gesetzt - das von der alten Regierung geerbte „zwei-Geschwindigkeiten-Wachstum" (der Dienstleistungssektor weist ein gesundes Wachstum aus, der produzierende Bereich kämpft sich durch) stellt ein ungelöstes Problem dar. Eine drohende Rezession, wie sie Ende '98 zu befürchten war, hat sich wieder beruhigt, auch wenn es im Frühjahr '99 immer noch unklar war, ob und wie sehr die Arbeitslosigkeit ansteigen würde.

Die beiden ersten Labour-Haushalte haben die Steuerpolitik angespannt, indem sie erhebliche Steuermehreinnahmen von Unternehmen und Mittelstand verlangten. Der dritte Haushalt war überwiegend neutral, doch gewisse Steuererleichterungen wurden auch hier abgebaut. Im Juli 1998 veröffentlichte die Regierung die Ergebnisse ihres „Comprehensive Spending Review" (Ausgabenbericht), der den öffentlichen Ausgaben für die verbleibende Legislaturperiode Obergrenzen setzte. Was dabei herauskam, war eine Umkehrung der bisherigen Steuerpolitik. Statt Haushaltsüberschüsse vor sich herzuschieben, beschloß die Regierung, mehr oder weniger ausgeglichene Bilanzen zu führen und die Steuer-Überschüsse für erhebliche öffentliche Mehrausgaben zu nutzen. Ausgaben für Gesundheitswesen und Bildungswesen sowie auch Sozialhilfe werden als Teil des

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Bruttoinlandsprodukts steigen, und auch in ähnlichem Umfang. Insgesamt werden die öffentlichen Ausgaben wie die Besteuerung im gleichen Maße wachsen wie das BIP.

Das Kernstück des ersten Labour-Haushalts war die Finanzierung der „New Deals". Die Kernaussage lautete, die Zahl der jugendlichen Langzeitarbeitslosen um 250.000 zu verringern - was schon überholt war, als die Wahl stattfand, da die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 1993 und 1997 stark zurückgegangen war. Diese Arbeitslosen sind der Regierung bei ihrer aktiven Arbeitsmarktpolitik am wichtigsten, sie bekommen etwa drei Viertel der Sondermittel für Initiativen. Was ansonsten an „New Deals" für Behinderte, Alleinerziehende, Ehegatten von Arbeitslosen und erwachsene Langzeitarbeitslose vorhanden ist, kann man sich als Pilotprojekte für diese Gruppen vorstellen, damit die Arbeitslosenzahlen sinken und dem Arbeitsmarkt neue Arbeitskräfte zugeführt werden.

Die innovativste Komponente der New Deals war das „Tor" bestehend aus besserer Beratung und Plazierung von Arbeitssuchenden inklusive Beratungstips für Sozialleistungen am Arbeitsplatz. Dieser Ansatz, bestehend aus einem gezielten Arbeits- und Leistungs-„Tor" zum Arbeitsplatz hin, mit persönlichen Beratern, wird nach und nach allen Leistungsempfängern zugänglich gemacht. Selbstverständlich hängt der Erfolg der Aktion davon ab, wie genau und passend, also wie fähig die Arbeitsvermittler beraten.

Die New Deals machen Anleihen bei den Erfahrungen mit amerikanischen Sozialreformen wie auch bei den in Ländern wie Schweden als sehr wichtig erachteten aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen. Von 1999 bis 2000 werden die Ausgaben für „Welfare-to-Work"-Programme etwa 0,1 % des BIP ausmachen, zusammengerechnet mit den laufenden Arbeitsmarktinitiativen werden das dann 0,5 % des BIP sein. Dies entspricht in etwa den Ausgaben von 1994-95. Schweden hat 1997 etwas mehr als 2 Prozent seines BIP für diesen Zweck ausgegeben, und bei den fortschrittlicheren Industrieländern waren es im Durchschnitt etwas weniger als 1 Prozent. Großbritannien hat demnach den Schritt hin zu mehr gesundem Menschenverstand gemacht, und legt mehr Wert auf Arbeitsmarktinitiativen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, bleibt aber bei den Ausgaben moderat, wenn man es mit anderen EU-Mitgliedsländern vergleicht.

Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir die Effekte der New Deals auf die mittelfristigen Jobaussichten ihrer Zielgruppen spüren können, bzw. auf

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das zugrundeliegende Funktionieren des Arbeitsmarktes. Die Regierung glaubt jedenfalls, daß diese New Deals zusammen mit anderen Arbeitsmarkt- und Steuer- und Sozialleistungsreformen in den Jahren 1999 bis 2001 die „natürliche" Arbeitslosenrate von ca. 7 auf 5,75 % senken können. Dafür müßten es dann aber die schnellstwirksamen Subventionsmaßnahmen in der Geschichte sein.

Die Haushalte der Jahre 1998 und 1999 beinhalteten weitaus großzügigere Unterstützung für berufstätige Eltern und einen großzügigen Kinderbetreuungsfreibetrag. Die Regierung akzeptiert es, daß die Marktwirtschaft viele Jobs schaffen wird, wo die Löhne zu niedrig sind, um den Familien einen vernünftigen Lebensstandard zu bieten. Seit den frühen 70er Jahren war die Antwort darauf, die Einkommen dieser Haushalte mit Beihilfen und mit Steuervergünstigungen aufzubessern. Der Mindestlohn ist darauf ausgerichtet, geringfügige Einkommen so weit es geht nach unten zu begrenzen, Bildungs- und Ausbildungsinitiativen könnten solchen Leuten helfen, die ihre Produktivität erhöhen wollen - obwohl das Auseinanderklaffen der Einkommensschere in Großbritannien kaum mit höheren Einkommen aufgrund Berufsqualifizierung erklärt werden kann, dürften die Profite aus größeren Investitionen in berufliche Fähigkeiten enttäuschend gering sein.

Der 99er Haushalt der Regierung enthielt einige Maßnahmen zur Schließung der „Produktivitätslücke", die sich jedoch als weitaus bescheidener entpuppten als erwartet. Laut Aussagen der Schatzkanzlei sei eine Aufstockung der zugrundeliegenden Wachstumsrate um 0,25 % im Jahr ein sehr ehrgeiziges Ziel, so daß in der Praxis die Herangehensweise der Regierung eigentlich sehr vorsichtig war. Die wichtigste Maßnahme zur Steigerung der Produktivität ist schon bereit: ein neues Wettbewerbsgesetz von 1998 bringt GB auf eine Linie mit dem EU-Ansatz zur Wettbewerbspolitik, der aktiver den Mißbrauch von Marktherrschaft bekämpfen soll und verbesserte Resourcen für die Wettbewerbshüter vorsieht.

Der Regierungsansatz zur Arbeitsmarktregulierung wie in dem Weiß-Buch „Fairness bei der Arbeit" beschrieben, sowie die Verpflichtung, einen nationalen Mindestlohn einzuführen, hebt diese Regierung ganz klar von ihrer Vorgängerin ab. Zusammen mit dem Wettbewerbsgesetz zielen diese Maßnahmen auf die „richtige Gewichtung" bei Eingriffen in den Produkt- wie den Arbeitsmarkt, um mehr Beschäftigung und Produktivität zu schaffen. Es sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die widerstandsfähigsten und

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kohärentesten Maßnahmen, die die Regierung eingeführt hat. Die Initiative der „Mindestlohnstandards" auf dem Arbeitsmarkt wurden 1997 durch die Unterschrift der Regierung unter den Sozial-Vertrag von Maastricht in Gang gesetzt. Der Sozialvertrag selbst ist ein bescheidenes Instrument, das im Verein mit anderen EU-Gesetzen das Vereinte Königreich in die Richtung schiebt, die es bereits vor 1997 eingeschlagen hatte, was die Kodifizierung und Ausweitung individueller Beschäftigungsrechte angeht. „Fairness bei der Arbeit" signalisiert weitere kleinere Modifikationen auf dem Arbeitsmarkt. Widerstandsfähiger als erwartet war es, weil das Department for Trade and Industry (Handel und Industrie) erfolgreich Versuche des Premierminister-Büros abwehrte, das Dokument zu verwässern. Dessen Vorsicht rührt zum Teil von dem Wunsch der neuen Regierung her, ausdrücklich als den Belangen der Geschäftsleute gegenüber aufgeschlossen zu gelten.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist, daß die Regierung die Sozialpartner anhält, sich im Vorhinein über Mindestlöhne und über Arbeitsmarktmaßnahmen zu einigen, bevor die konkrete Politik beschlossen wird. Ohne die tatkräftige Einlassung der Regierung würde das nicht passieren, und von den Traditionen der Sozialpartnerschaft auf dem Kontinent ist es noch weit entfernt. Die Regierung hat auch verlautbart, daß verantwortungsbewußte Tarifverhandlungen wünschenswert seien, doch die britischen Sozialpartner lassen zur Zeit keine Fähigkeit bzw. den Willen zu einer besser koordinierten Tariffestlegung nicht erkennen.

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Nachhaltige Entwicklung

In der Regierungsrhetorik wird wenig Betonung auf die Umweltpolitik gelegt, vielleicht weil Umweltthemen zur Zeit in GB nur ein bescheidenes Maß an Aufmerksamkeit erregen. Die Regierung soll eine Mischung aus steuerlichen und regulativen Maßnahmen und geänderten Ausgaben-Prioritäten benutzen, um umweltpolitische Ziele zu erreichen. Steuern auf Treibstoff werden real um 6 % pro Jahr erhöht, und im 99er Haushalt wird die Regierung verpflichtet, ab April 2001 eine Klimaänderungsabgabe zu erheben. Die Einführung erfolgt auf einer steueraufkommensneutralen Basis: die Energiesteuer wird ausgewogen durch Mindereinnahmen bei den Lohnsteuern. Dieses steueraufkommensneutrale Paket war jedoch mehr von dem Wunsch bestimmt, die Industrie zufrieden zu stimmen, als von der Überzeugung, daß umfassende Senkungen der Arbeitskosten etwa

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einen positiven Einfluß auf die Beschäftigungszahlen haben könnte. Außerdem verpflichtet sich die Regierung, weitere Konsultationen wegen des Handels mit Schadstoffen zu führen.

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung bestand darin, das Verkehrsressort in das Umweltressort einzugliedern. Die Verkehrspolitik will den Schwerpunkt weg vom Straßenverkehr legen, auch wenn es schwierig ist, die Gelder für Investitionen in öffentlichen Nahverkehr zu sichern. Was an Sonderausgaben für Verkehr im Comprehensive Spending Report steht, wird den Ausgaben der frühen 90er Jahre gleichen. Die Kommunen sind gefordert, lokale Verkehrspläne zu erstellen und Einnahmen aus Straßenbenutzer - und Parkgeldern als Hypotheken für den Bau von öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu sammeln. In London soll diese Initiative starten, auch wenn die Gesetzgebung zu ihrer landesweiten Ausbreitung nachhinkt.

Ein Brenn- oder Siedepunkt könnte die Landnutzungsplanung werden. Einige neue regionale Entwicklungsbehörden wurden im April 1999 mit dem Schwerpunkt auf wirtschaftliche Ziele hin gegründet. Es gibt in GB dieses Jahr einige Gebiete mit relativ engen Arbeitsmarktsituationen, wo eine der größten Herausforderungen darin besteht, die weitere wirtschaftliche Entwicklung mit der nötigen Umwelterhaltung in Einklang zu bringen. Beobachter weisen auf das Paradox hin, daß regionale Planungsbehörden nicht wissen, wie sie noch weitere Zuwächse pro Gemeinde aufnehmen sollen, während andere Wirtschafts-Planungsstellen nur darauf aus sind, mehr Investoren heranzuholen, die dann noch mehr Druck auf die Bebauungspläne ausüben, und weitere neue Bewohner heranlocken. Dieser politische Bereich ist ein richtiggehender Test für die Fähigkeit der Regierung, ihre wirtschaftlichen und umweltpolitischenzielsetzungen miteinander in Einklang zu bringen.

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B Die Reform des Sozialstaates

„Die Pläne ... werden das Soziale System um das folgende Prinzip herum neu aufbauen: Arbeit für diejenigen, die dazu in der Lage sind, und Sicherheit für diejenigen, die nicht dazu in der Lage sind"- Tony Blair im Oktober 1998, seine Betonung.

Wenn eine Sache GB von anderen EU-Mitgliedsländern unterscheidet, ist es nicht die Produktivitätslücke, sondern die größere Armutsrate. Es gibt

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außerdem Belege, daß die gesundheitliche Versorgung mehr Ungleichheiten aufweist, und daß im Bildungsstandard größere Ungleichheiten vorkommen als in anderen Ländern. Die relativen Armutsraten wuchsen in den 80er Jahren in GB scharf an, Ungleichheiten in Bildungsergebnissen ergeben eine größere Schere: Also ist hier eindeutig Handlungsbedarf, und von einer Mitte-Links-Regierung sollte man einige klare Prioritäten in ihrer Politik erwarten.

Es gibt vier wichtige Regierungsansätze zur Sozialpolitik:

  • Die Labour-Partei hat in ihrer Rhetorik und ihren Ausgaben immer starke Betonung gelegt auf das Gesundheitswesen. Sie will die Gesundheit der Nation verbessern helfen und gegen Ungerechtigkeiten in der Versorgung angehen. Dieses zweite Ziel hebt die jetzige Regierung von ihrer Vorgängerin ab.

  • Das Bildungswesen hat für den Premierminister höchste Priorität. Bildung wird als unerläßlicher Begleiter für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen und als ein Mittel gegen soziale Ausgrenzung. Ob diese beiden Ziele gegeneinander abgewogen werden (trade-off), steht im Zentrum der Spannungen um die Bildungspolitik.

  • Die Reform des Sozialen Sicherungssystems war ursprünglich darauf aus, drei Ziele gleichzeitig zu erreichen: anzugehen gegen Armut und Ungleichheit, gleichzeitig aber Sozialleistungen zu streichen; anzugehen gegen Betrug; Arbeitsanreize zu verbessern.

  • Eine Initiative gegen soziale Ausgrenzung wird vorerst durch die Bildung einer Sozialausgrenzungs-Arbeitsgruppe im Kabinettsbüro versinnbildlicht.

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Soziale Sicherung, Armut und Ausgrenzung

Der dritte Regierungsansatz zur Sozialpolitik, mit seinen drei Zielen zur Reform der Sozialen Sicherheit, macht die größten Schwierigkeiten, die ursprüngliche Ministeriumsriege wurde im Sommer 1998 ersetzt. Ursprünglich war eines der drei Teilziele anders formuliert, gegen Armut und Ungleichheit anzugehen war nur das halbe Ziel, und daher wohl auch nur halb so wichtig wie .anzugehen gegen Betrug' und .Arbeitsanreize zu verbessern'. Mittlerweile drückt die Regierung deutlicher aus, wie wichtig die

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Armutsbekämpfung an sich ist. Implizit hat sie damit das Ziel gestrichen, die Ausgaben für Sozialhilfe zu senken, die nunmehr proportional zum BIP steigen sollen.

Soziale Ausgrenzung ist ein diffuser Begriff, er meint Personen und auch ganze Bereiche, die unter einer Kombination aus Arbeitslosigkeit, schlechtem Gesundheits- oder schlechtem Bildungsgrad leiden. Der Untersuchungsbericht der Sozialausgrenzungs-Arbeitsgruppe im September 1998 kommt zu vier Ergebnissen, mit denen sich der Erfolg von Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung messen läßt: weniger Kriminalität, bessere Bildungsgrade, weniger Arbeitslosigkeit und bessere Gesundheitsgrade. Gerade durch ihr nicht-Erscheinen auf dieser Ergebnis-Liste fiel eine niedrigere Armeneinkommens-Rate auf. Keine der 32 „Erfolgs-Maßnahmen" für das Sozialstaats-Reform-Programm der Regierung in einem Grün-Buch im März 1998 bezog sich ausdrücklich darauf, die Einkommensarmut zu senken. Das kürzlich zu hörende ausdrückliche Engagement des Premierministers gegen die Kinderarmut scheint eine Verlagerung in der Gewichtung zu bedeuten.

Einige Befürworter des „dritten Wegs" sprechen im Zusammenhang mit der „Globalisierung" von den untragbaren Kosten des Wohlfahrtsstaates. Die Ausgaben für die Soziale Sicherung proportiona zum BIP sind in GB niedriger als in irgendeinem Mitgliedsland der EU, und GB ist eines der wenigen Länder, das keinerlei Finanzierungskrise der öffentlichen Altersrenten zu befürchten hat. Stattdessen hat GB allerdings eine der höchsten Armutsraten im allgemeinen und Rentnerarmutsraten im besonderen, da diejenigen ohne Zugang zu Privatrenten vorlieb nehmen müssen mit den öffentlichen Renten, die seit den 80er Jahren an die Preissteigerung statt an die Lohnerhöhungen gebunden waren. Im Dezember 1998 veröffentlichte die Regierung ein Grün-Buch mit einer Reihe von Rentenreformvorschlägen, einschließlich der Kopplung von staatlichen Mindestrenten an die Entwicklung der Löhne und der Verbesserung von staatlichen Renten für die unteren Einkommensränge. Stakeholder pensions (Teilhaberenten; anteilig vom Staat und vom Arbeitnehmer) sind als preiswertere private Altersvorsorge für diejenigen gedacht, die genau zwischen den unteren und den Durchschnittseinkommen liegen. Die staatlichen Ausgaben für die Renten werden proportional zum BIP weiter sinken und die Renten werden weiterhin gering sein.

[Seite der Druckausg.: 102 ]

Das Glanzlicht der Haushalte 98 und 99 war die direkte Umverteilung durch die Steuern und Sozialleistungen. Von 1998 bis 2002 wird die höhere Besteuerung von Hausbesitzern, Verheirateten und Autofahrern herangezogen für mehr Kindergeld, Zuschüsse zum Einkommen für Alleinerziehende, ein großzügiges Zuschußsystem für berufstätige Familien und einen großzügigen Kinderbetreuungssteuerfreibetrag. Unter dem Strich wird für die Arbeitsanreize nicht viel herauskommen. Doch auf die Verteilung der Einkommen wird sich das auswirken. Diese Umverteilungsmaßnahmen kamen aus dem Finanzministerium, nicht aus dem Sozialministerium, also legt der Schatzkanzler es auf die öffentlichen Reaktionen auf implizite Umverteilung an, statt sich um die Globalisierung zu kümmern.

Fast 90 % der Sozialhilfe geht an Alte, Behinderte und Familien mit Kindern. Nun gibt die Regierung mehr aus für Familien mit Kindern und für die ärmsten Alten. Stakeholder pensions werden den Zugang zur privaten Altersvorsorge auch den etwas unteren Einkommensempfängern ermöglichen, doch für viele mit niedrigen Einkommen werden die staatlichen Mindestrenten maßgeblich bleiben. Reformen bei den Leistungen für Behinderte und Hinterbliebene werden in den nächsten zwei Jahrzehnten nur geringe Einsparungen bringen. Sonderleistungen für Alleinerziehende sind in der Auslaufphase. Reformen bei den Leistungen für Behinderte sparen bei einigen Leistungsempfängern 800 Millionen Pfund ein, doch nur 85 Millionen Pfund davon kommen den Ärmsten und Schwerstbehinderten zugute. Den Rest erhält das Finanzministerium. Dieses Element in der Regierungsplanung klingt mehr nach Kostensenkung als nach Umverteilung, und die Reformen werden in den weniger begüterten Kreisen nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer schaffen.

Die Fortsetzung der Politik der vorigen Regierung, die Sozialhilfen zu streichen und stattdessen die Einkommen zu verlagern, bedeutet, daß Blair eine der wichtigsten Forderungen der Kommission für Soziale Gerechtigkeit zurückweist, die sein Vorgänger im Amt des Labour-Vorsitzenden, John Smith, zum Zweck einer Modernisierung des Sozialen Systems eingesetzt hatte. Zeitgleich dazu führt das Sozialministerium unpopuläre Kürzungen im Bereich einiger Sozialleistungen durch, reicht die Einsparungen weiter an das Finanzministerium, das wiederum das Geld für seine eigenen Leistungsreformen ausgibt!

Soziale Ausgrenzung - wie auch immer definiert und bemessen - soll durch die weitläufigeren Wirtschafts- und Sozialmaßnahmen bekämpft

[Seite der Druckausg.: 103 ]

werden, durch einzelne Initiativen zugunsten kleiner, aber extrem empfindlicher Gruppen wie die Obdachlosen, sowie für solche Gegenden, wo die allgemeine Not am größten ist.

Die öffentlichen Maßnahmen der letzten drei Jahrzehnte zur Armutsbekämpfung waren am aktivsten auf der lokalen und der Nachbarschaftsebene. Dieses Engagement hat jüngst zur Gründung von Beschäftigungszonen (Employment Zones), von Bildungs- und Gesundheits-Zonen (Education and Health Action Zones) und zu New Deals für die Gemeinden geführt. Die meisten „armen" Leute leben nicht in strikt „armen" Gegenden, und viele Leute in „armen" Gegenden wollen nicht als „arm" gelten. Daraus ergibt sich ein Bedarf an komplementären Maßnahmen, und das hat die Regierung erkannt, die ihre Regional-Programme getragen sieht von landesweiter Politik zur Behebung von sozialen Mißständen, die der sozialen Ausgrenzung zugrunde liegen.

Diese Zonen sind eigentlich „Pilotprojekte" zum Austesten aktiver Arbeitsmarktpolitik, und neuer Wege zur Hebung der Bildungsraten und Gesundheitsstandards. Das New Deal zur Regenerierung (einschließlich des New Deal für die Gemeinden und das ältere Einzel-Regenerierungsbudget) ist viel substantieller, was die Ausgaben angeht. Es ist jedoch nicht ohne Vorläufer: Die Ausgaben für dieses New Deal von 2001 bis 2002 werden real 11 Prozent weniger ausmachen, als die Konservativen 1993 bis 1994 für die urbane Regenerierung ausgegeben haben.

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Gesundheit und Langzeitpflege

Die Labour Partei hat dem National Health Service (NHS) sowohl rhetorisch als auch finanziell immer erste Priorität eingeräumt. Sie will die Gesundheit der Nation verbessern und Ungerechtigkeiten in der Gesundheitsversorgung bekämpfen. Es ist dieses zweite Ziel und die erklärte Einsicht, daß Armut und andere soziale Faktoren Gründe für Krankheiten sind, was die jetzige Regierung von der vorigen unterscheidet.

Geerbt hat die Regierung die „Krisenrhetorik" wegen der Finanzierung des NHS und der Behandlungswartelisten, was ihre Versuche unterminieren könnte, ein größeres Verständnis für das Thema Gesundheit zu schaffen und Ungerechtigkeiten in der Versorgung zu bekämpfen. Die Finanzierung des NHS stellt seit seiner Gründung vor fünfzig Jahren ein Problem dar, doch der Comprehensive Spending Review sieht für die laufende Parlamentszeit

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für den NHS Ausgabensteigerungen von drei Prozent Volumen pro Jahr vor, was eine respektable Steigerung ist. Ob diese Sonderausgabe es dem NHS ermöglichen wird, steigenden Erwartungen gerecht zu werden, bleibt abzuwarten.

Einige der Labour-Reformen im Gesundheitswesen, z.B. die Gründung von Primary Care Groups und der Entschluß, die Effizienz der Kliniken zu verbessern, bauen auf vorausgegangenen Reformen zur Steigerung der Effizienz auf der Angebotsseite der Gesundheitsversorgung auf. Die zentrale Idee dabei bleibt, die „Käufer" der Gesundheitsversorgung von den „Anbietern" zu trennen. Doch die neue Regierung betont die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, und die Wiederherstellung eines Arbeitsethos für den Pflegedienst und ihre Verpflichtung, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, stellen eine signifikante Veränderung in der Politik dar.

Eine Königliche Kommission berichtete im Februar 1999 über Langzeitpflege und befürwortete, daß der Staat aus Gründen der Effizienz und Fairness die Pflegekomponente der laufenden Altenpflege übernimmt. Die Ausgaben für diese Verpflichtung wüchsen demnach von 1,0 Prozent in 1995 auf insgesamt 1,4 % des BIP im Jahr 2051. Die geplanten Kürzungen bei den staatlichen Rentenausgaben würden diesen Zuwachs bezahlbar machen. Trotzdem war die Reaktion der Regierung auf diesen Bericht ziemlich kühl. Es bleibt eine große Herausforderung, die Rentenreform mit der Langzeitpflegereform zu verknüpfen, und das Ergebnis hier wird besser als alles andere zeigen, ob die Regierung bereit ist, zu akzeptieren, daß der Wohlfahrtsstaat effizienter ist, oder ob es ihr hauptsächlich darum geht, die Kosten zu kontrollieren.

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Bildung

Der Schlüssel zum Verständnis der Bildungspolitik von Labour ist die Erkenntnis, daß ihre Formgeber beinahe blind an den Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit glauben. Dem Premierminister zufolge ist „Bildung die beste Wirtschaftspolitik, die wir haben". Im besonderen glaubt man daran, daß es zwischen GB und den anderen Ländern eine „Ausbildungslücke" gibt, die die „Wettbewerbsfähigkeit" Großbritanniens unterminiert, oder weniger platt gesagt, die die „Produktivitätslücke" des Landes erklären hilft.

[Seite der Druckausg.: 105 ]

Gleichzeitig werden Bildungs- und Ausbildungsinitiativen als wesentlich für die Steigerung der „beruflichen Eignung" einzelner Arbeitssuchender angesehen, wodurch wiederum strukturelle Arbeitslosigkeit und Lohnungerechtigkeit gemindert werden. Diese Sorge um die Verteilung von Fähigkeiten führt zwangsläufig zu der Frage nach dem möglichen Beitrag von Bildung und Ausbildung bei der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung.

Da wird sofort die Frage laut: welches Ziel hat denn nun die höchste Priorität für Bildung und Ausbildung: die .Fähigkeit zum internationalen Wettbewerb' zu verbessern oder die ,soziale Ausgrenzung' zu bekämpfen? Es wird zwar behauptet, daß diese beiden Ziele nicht miteinander kollidieren, doch dies ist schwerlich aufrecht zu erhalten.

Labour hat ein Bildungssystem geerbt, das unter der vorigen Regierung einen immensen Wandel hatte durchmachen müssen. Das Bildungsniveau der Schulabschlüsse bei den Sechzehnjährigen war signifikant gestiegen, was wiederum nach den Pflichtschuljahren einen Zuwachs an den weiterführenden Schulen nach sich zog. Zwischen 1987 und 1993 hatte sich die Zahl der Anmeldungen an weiterführenden Schulen verdoppelt. Mitte der 90er Jahre war diese Zahl wieder etwas zurückgegangen, und es hielt sich weiterhin der Glaube, daß die Arbeitnehmer in GB sehr viel weniger qualifiziert seien als in anderen Ländern. Außerdem waren die Ergebnisse bei den Zwischenprüfungen bei den Sechzehnjährigen sehr stark polarisiert, denn die guten Abschlüsse rangierten beim unteren Viertel viel weiter hinten.

Der im Sommer 1998 angekündigte Comprehensive Spending Review stellte das Regierungsziel heraus, den Anteil an öffentlichen Ausgaben für Bildung proportional zum BIP zu erhöhen. In 1996-97 betrugen die Ausgaben für die Bildungspolitik 4,8 % vom BIP. In 2001-2 sind 5 % vom BIP dafür vorgesehen. Dies stellt einen Bruch mit der bisherigen Politik dar und gibt dem Bildungswesen einen sehr vernünftigen finanziellen Rahmen. Viele von diesen Sondermitteln werden wohl aber zentral verwaltete Bildungsinitiativen finanzieren und gar nicht erst bis zur kommunalen Ebene oder sogar bis zu einzelnen Schulen gelangen.

Zwei der ehrgeizigsten Verpflichtungen der Regierung waren es, die Klassenstärken bei den Fünf- bis Siebenjährigen zu senken und die Leistungen von Elfjährigen in Muttersprache und Mathematik zu verbessern. Der Minister für Bildung und Beschäftigung hat erklärt, daß er zurücktreten wird,

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falls diese Leistungssteigerungen nicht erreicht werden. Sie könnten erreicht werden, wenn die Grundschulen sich auf die mittlere Leistungsstufe konzentrieren würden, wobei diejenigen mit schlechteren Leistungen nicht sehr viel davon hätten. In diesem Sinne könnten diese Teilziele eine allgemeine Steigerung der Leistungen erreichen und gleichzeitig zu einer größeren Polarisierung bei den Ergebnissen führen, ähnlich wie bei den Prüfungen nach Abschluß der Pflichtschule mit 16.

Es ist das erste Mal, daß die weiterführenden Schulen den Sechzehnjährigen am Ende der Pflichtschulzeit Leistungsziele setzen. So wie diese Ziele formuliert sind, werden sich die Anreize für die Sekundarstufenschulen nicht ändern, wenn die Prüfungsergebnisse in „league tables" (Tabellen) veröffentlicht werden. Durch hohe Prämien für die höchsten Leistungsebenen ermutigen solche „Liga-Tabellen" die Schulen, sich auf die mittlere Leistungsebene der Schülerschaft zu konzentrieren, die eigentlich zu mehr Leistungen angespornt werden könnte, statt die unteren Ebenen zu fördern. Es ist auch das erste Mal, daß eine Regierung zentral zu definieren sucht, wie viel Zeit für den Unterricht von Sprache und Mathematik aufgewendet werden soll und wie man die Klassen organisiert, um bessere Standards zu erzielen. Dieses Mehr an zentraler Steuerung setzt einen Trend der vorherigen Regierung fort. Eine große Gefahr bei diesem ehrgeizigen Regierungsprogramm für die Pflichtschule besteht darin, daß es Anordnungen und Kontrolle ausüben will, was die Unabhängigkeit und das Selbstbewußtsein der Lehrerschaft unterminieren könnte, während es gleichzeitig die Leistungsanforderungen so hoch hängt, daß Polarisierungen in den Resultaten noch verschärft werden.

Die Regierung war bisher sehr vorsichtig, was Reformen der Leistungsprüfungen angeht, die von den 16- bis 19-jährigen abgelegt werden, das A-Level (Abitur) eingeschlossen. Das schwächste Glied in der Kette der Regierung ist vielleicht ihre Politik des „lebenslangen Lernens", auch wenn gerade sie viel rhetorische Unterstützung bekommt. Die Regierung hat viel weniger Fortschritte beim freiwilligen Schulbesuch sowie bei der Ausbildung und beim lebenslangen Lernen gemacht als bei ihrer Pflichtschulpolitik. Je weiter man vom reinen Schulprogramm wegkommt, desto vager und kraftloser erscheint die Regierungspolitik.

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C. Verfassungsreformen

Das Radikalste an der neuen Labour-Regierung sind ihre Verfassungsreformen. Ein neues Parlament für Schottland und eine Versammlung für Wales wurden im Mai 1999 gewählt. Zusammen mit einem gewählten Bürgermeister und einer Versammlung für London, Reformen im Oberhaus (House of Lords) und einer neuen Menschenrechts-Gesetzgebung, sind diese Veränderungen die weitreichendsten Reformen der Verfassung des Vereinten Königreichs seit den frühen Tagen des 20. Jahrhunderts. Zusätzlich empfiehlt der Jenkins-Report ein neues, aber immer noch kein Verhältnis-Wahlrecht für das Unterhaus (House of Commons).

Es sind Reformen vorgeschlagen worden, die den Kommunen eine neue Aufgabe stellen: sich der wirtschaftlichen, umweltpolitischen und sozialen Entwicklung in ihren Gemeinden anzunehmen und eine gesetzliche Grundlage zu haben, wonach ihre Dienstleistungen klaren Effizienzkriterien unterliegen. Die zukünftigen Reformen erlauben neue politische Strukturen in der englischen Kommunalpolitik, wobei man auf die Erfahrungen in London aufbaut. Neue Regionale Entwicklungsbehörden (Regional Development Agencies) in England sind keine gewählten Körperschaften und passen daher nicht in das Bild von der Verfassungsreform, aber gewählte regionale Kammern könnte es bereits in einer zweiten Amtsperiode der Labour-Regierung geben. Das Verhältnis zwischen den neuen regionalen Strukturen und den Kommunen muß noch erarbeitet werden.

Die größte Ironie bei all dieser radikalen Reformerei ist, daß man sie als „alt-Labour" bezeichnen könnte, insofern als der jetzige Premierminister sie von seinem Vorgänger (im Amt des Parteivorsitzenden; A.d.U.) geerbt hat. Herr Blair hat tatsächlich ein kleines Sicherheitsmoment in den Reformprozeß eingebaut, das es wahrscheinlich nicht gegeben hätte, wenn John Smith Premierminister geworden wäre. Die wirklich bedeutenden Verfassungsreformen werden nicht mit dem gleichen Eifer an den Mann gebracht wie z.B. die unvollständige Reform des Wohlfahrtsstaates.

Verfassungsreformen sind ja auch dem Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen unterworfen. Labour hat keine Mehrheit im Schottischen Parlament gewonnen (was zu erwarten war) noch in der Walisischen Versammlung (wo Labour eine Mehrheit erwartet hatte). Es ist wahrscheinlich, daß die Schottische und die Walisische Labour Party einige Modifikationen in ihrer Politik vornehmen müssen, damit sie Unterstützung von

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anderen Parteien bekommen, und das könnte für sie einen Konflikt mit der Blair-Regierung in London herbeiführen. Es ist auch noch nicht klar, daß der bevorzugte Kandidat Bürgermeister von London wird. Die Verfassungsreformen passieren vor dem Hintergrund einer Regierung, die wirklich hinter ihrer Machtübertragung und Dezentralisierung steht, aber ganz klar möchte, daß diese „nachgeordneten Stellen" ihre Politik an den Mann bringen.

Zusammen mit der Machtübertragung ist die wichtigste Komponente der Verfassungsreform in GB die Reform des Wahlrechts für das Unterhaus, die Einführung eines Verhältniswahlrechts. Sowohl das Schottische Parlament wie auch die Walisische Versammlung und die Londoner Versammlung haben alle das Verhältniswahlrecht (ähnlich dem Überhangmandatsystem in Deutschland). Die Erfahrungen mit diesen neuen Versammlungen könnte Einfluß nehmen auf die Debatten um die Wahlreform in West-minster.

Doch der Jenkins-Report empfiehlt ein anderes als das Verhältniswahlrecht für das Unterhaus. Das Kabinett und die Labour-Party sind sogar bei dieser bescheidenen Reform gespalten, wobei die meisten Minister und Abgeordneten wohl für die Beibehaltung des jetzigen Systems sind. Bedenkt man, daß Labour seine riesige Mehrheit im Unterhaus 1997 mit 43 % der Stimmen bei der niedrigsten Wahlbeteiligung bei einer landesweiten Wahl seit 1935 gewann, ist der Anreiz, das System zu ändern, nicht sehr augenfällig. Für viele Labour-Abgeordnete wäre das so, als „würden Gänse für Weihnachten stimmen". Doch wenn die Regierung sich nicht auf ein Verhältniswahlrecht für das Unterhaus einläßt, wird ihr Anspruch, eine wirklich radikale Reform-Regierung zu sein, immer hohl klingen. Wenn es bei einem nicht-proportionalen Wahlrecht bleibt, wird es sogar noch wichtiger werden, andere Verfassungsreformen durchzusetzen, um die „gewählten Diktatoren" in Schach zu halten, ein Ausdruck, der die Machtfülle der Exekutive im politischen System Großbritanniens beschreibt. Da wäre auch eine zweite Kammer mit mehr Macht denkbar.

Der Premierminister hat großes Gewicht gelegt auf die formelle Zusammenarbeit mit dem Führer der Liberal Democrats, der einem Kabinettsausschuß angehört, der sich ursprünglich mit der Verfassungsreform befassen sollte, dessen Aufgaben jetzt aber erweitert wurden. Das ist ein Zeichen dafür, wie sehr Blair ein neues „radikales Zentrum" in der Politik Großbritanniens schaffen will, aber dies wird nur dann gelingen, wenn die

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Zusammenarbeit das erbringt, was die Liberal Democrats am meisten wünschen - eine Wahlrechtsreform für das Unterhaus.

Die Feststellung, daß die Pläne für die Verfassungsreform nur geerbt sind und außerdem noch bei weitem nicht erfüllt sind, soll die Wichtigkeit der Verfassungsreformen, die schon angegangen wurden, nicht in Frage stellen, nur anmerken, daß es weder wünschenswert noch praktisch ist, jetzt noch viel weiter zu gehen.

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Europa

Eindeutig ist das wichtigste Verfassungs-, politische und wirtschaftliche Thema die Zukunft von GB in Europa und hier seine Teilnahme an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Der Beschluß der Regierung, in der ersten Beitrittswelle nicht dabei zu sein, wurde aus politischen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen gefaßt. Wenn man sagt, daß die entscheidenden Faktoren politischer Natur waren und nicht wirtschaftlicher Art, so ist das kein Vorwurf. Das ganze Konzept einer einheitlichen Währung ist eine politische Schöpfung, die wirtschaftlichen Erwägungen kommen später hinzu.

Großbritannien wird der Währungsunion nicht beitreten, wenn wirtschaftliche Kriterien erfüllt sind, sondern erst, wenn die Regierung überzeugt ist, daß die öffentliche Meinung umgestimmt werden kann. Regierungen halten keine Volksbefragungen ab, es sei denn, sie wissen, daß sie gewinnen. Zur Zeit könnte man den größten Meinungsblock als „Owen-ite" bezeichnen: im allgemeinen für Europa, aber skeptisch gegenüber der Währungsunion. Wenn es der europäischen Wirtschaft unter der Währungsunion gut geht, und ironischerweise der Wirtschaft in GB schlecht, könnte das die Meinung ändern. Doch seit 1997 haben die Währungsmaßnahmen in GB ganz gut gegriffen und stehen damit in Kontrast zur undurchsichtigen, erklärungsbedürftigen Europäischen Zentralbank.

Die Gegnerschaft der Wirtschafts- und Währungsreform kommt nicht nur von der politischen Rechten, wie irrtümlich angenommen wird. Viele Mitte-Links-Anhänger sind wegen der EZB dagegen. Wenn die EZB die Struktur und die Ziele der Föderal Reserve hätte (Alan Greenspan war für ihre Führung bereits nominiert), wären mehr Leute für das Projekt. Sogar der Schatzkanzler und seine Ratgeber, deren makroökonomischer orthodoxer Glaube erklären hilft, warum sie für die Währungsunion sind, teilen

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anscheinend die Bedenken gegen die Haltung einiger EZB-Vorstandsmit-glieder.

Die Labour-Regierung hätte Großbritannien gern im Herzen Europas, aber im Herzen Europas kann man nicht sein, wenn man nicht der Währungsunion beitritt. Die politischen Umstände machen es in der nahen Zukunft schwierig, beizutreten; deshalb kann Großbritannien nicht im Herzen Europas sein. Diese unausweichliche Logik hat die Labour-Regierung nicht davon abgehalten, zu signalisieren, daß sie gerne konstruktiver dastünde. Die Unterzeichnung der Sozialcharta war so ein Signal, im Wissen darum, daß sie wenig praktischen Einfluß auf den relativ wenig regulierten Arbeitsmarkt in GB hat. Der Vorschlag, der EU eine neue Verteidigungsdimension zu geben, ist ein weiteres Signal, nachdem die Regierung die Ergebnisse ihres Strategie Defense Review (Strategischer Verteidigunsbe-richt) bekanntgegeben hatte, der die Rahmenbedingungen für ihre Verteidigungspolitik festsetzen sollte. Der letztgenannte Punkt wirft die Frage auf, ob die Regierung eine gut durchdachte Strategie für Europa hat oder ob die Strategie großenteils ad hoc ist.

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Schlußfolgerungen

Wie sollte eine moderne sozialdemokratische Strategie aussehen - wirtschafts- und sozialpolitisch gemeint - und ist der von New Labour gemachte Ansatz eine solche Strategie?

Bevor die Frage beantwortet werden kann, muß man grob die britischen, amerikanischen und „kontinentalen" Modelle anhand von drei politischen Dimensionen skizzieren, als da sind makroökonomische Politik, das Ausmaß an Produktwettbewerb und Arbeitsmarktregulierung, und das Ausmaß, in dem der Wohlfahrtsstaat zentrale Dienstleistungen wie Gesundheitswesen, Bildungswesen und soziale Sicherungssysteme anbietet.

Die Amerikaner kombinieren einen Keynes-Ansatz zur makroökonomischen Politik, dank der Föderal Reserve, mit einer relativ geringen Regulierung des Arbeitsmarktes und starker Wettbewerbssituation, mit unangemessener Gesundheits- und Sozialfürsorge. Ihr Resultat ist eine beneidenswerte Wirtschaftsbilanz und große Armut wie auch soziale Ausgrenzung.

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Großbritannien hat in den letzten 20 Jahren einen in der Hauptsache orthodoxen makroökonomischen Ansatz kombiniert mit einer relativ geringen Regulierung des Arbeitsmarktes und dem Wunsch nach mehr Wettbewerb, mit einem als sehr gut eingeschätzten Gesundheitssystem und sehr gering geschätzten sozialen Absicherungen. Die Beschäftigungszahlen sind zwar hoch, aber das Armutsniveau ebenso.

Die 11 Euro-Länder satteln einen ultra-orthodoxen Ansatz zur makroökonomischen Politik und kombinieren ihn mit relativ hoher Arbeitsmarkt-und Produktionsregulierung in einigen Ländern, aber dafür mit einem großzügigeren Wohlfahrtsstaat. Das Ergebnis könnte der Fortbestand enttäuschender Beschäftigungszahlen sein, bei abgeschwächten sozialen Konsequenzen.

Sollte ein neuer sozialdemokratischer europäischer Arbeitsplan damit arbeiten, die Föderal Reserve zu bitten, sich um die Währungspolitik zu kümmern und der britischen und beispielsweise der holländischen Regierung nachzueifern, die „richtige Balance" in der Arbeitsmarkt- und Wettbewerbsregulierung zu finden, gleichzeitig aber (und im Falle Großbritanniens sehr deutlich) den Wohlfahrtsstaat als Bollwerk gegen die Ungleichheiten zu festigen, die nun einmal zur Marktwirtschaft dazu gehören?

Kann sich New Labour im Vergleich mit so einem Plan messen lassen? Der Ansatz der britischen Regierung, was die richtige Balance angeht, kann sich sehen lassen. Die Bank von England hat zwar mehr Ähnlichkeit mit der Föderal Reserve als mit der EZB, so daß ihre makroökonomische Politik letzten Endes expansiver ist, als es der Fall gewesen wäre, hätte das Schatzamt die Kontrolle über die Zinssätze behalten. Doch die Verpflichtung, die man gegenüber den zentralen Dienstleistungen eingegangen ist, wird noch verstärkt durch die Bereitschaft zu akzeptieren, jedenfalls implizit, daß der Kampf gegen die Armut mit größter Wahrscheinlichkeit mehr öffentliche Ausgaben für einige Sozialleistungen erfordert.

New Labour offenbart sich mehr und mehr als eine Regierung, die sich gegen altmodische „Besteuern- und Ausgeben "-Politik wendet. Sie steigert die öffentlichen Ausgaben und Besteuerungen proportional zum BIP. Sie wendet sich gegen altmodische Umverteilung, und betreibt eine ganze Menge Umverteilung durch Steuer- und Leistungssysteme. Sie ist gut Freund mit Geschäftsleuten - und hat die allgemeine Steuerlast für Unternehmen

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erhöht und eine angemessene Neuregulierung des Arbeitsmarktes eingeführt.

Es besteht eine Lücke zwischen der Rhetorik und der Wirklichkeit von New Labour. Die Rhetorik hebt den Bruch mit den Ansätzen vergangener Labour-Regierungen hervor. Die Wirklichkeit dagegen läßt mehr Kontinuität erkennen. In der Praxis setzt New Labour erfolgreich viele Maßnahmen durch, die man mit Oskar Lafontaine assoziiert! Der „dritte Weg" mag in der Praxis darin bestehen, einiges an Mitte-Links-Politik durchzusetzen, geschickt verdeckt durch eine neue Rhetorik. Auf der anderen Seite mögen die Realitäten der Regierungsarbeit und der Instinkt so mancher Minister den „dritten Weg" einfach als irrelevant erscheinen lassen, als Überschrift für gute Seminare , aber als Beschreibung der wirklichen britischen Labour-Regierung ist er nicht geeignet.'

Übersetzt von Heike Kupfer, Bonn


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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