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Diskussion II

In der anschließenden Diskussion, die zunächst nur auf dem Podium und anschließend mit dem Publikum geführt wurde, standen konkrete Auswirkungen des Dritten Weges auf die Arbeitszeitverkürzung, die Teilzeitarbeit und die Bildungspolitik im Vordergrund. Daneben wurde die Rolle der EU diskutiert und auch der Krieg in Jugoslawien, die Möglichkeit einer europäischen Lösung des Konflikts wurden wieder thematisiert.

Die erste Diskussionsrunde auf dem Podium eröffnete Johano Strasser mit Fragen nach den konkreten Auswirkungen des Dritten Weges auf die Problematik der Arbeitszeitverkürzung und der Teilzeitarbeit. Zudem bat er um Stellungnahmen zu den bildungspolitischen Konsequenzen der neuen Politik.

Jaques-Pierre Gougeon wies in seiner Antwort darauf hin, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein vorrangiges Ziel der französischen sozialistischen Regierung darstellt. Die Arbeitszeitverkürzung sei zunächst umstritten gewesen, jetzt werde sie aber ab dem Jahr 2002 auf 35 Stunden pro Woche herabgesetzt. Man erwarte dadurch die Schaffung von etwa 200.000 bis 400.000 neuen Arbeitsplätzen. Ein spezifisch französisches Problem sei die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit von 21 % gewesen. In diesem Zusammenhang diskutiere man auch über eine Bildungsreform, die aber in Frankreich traditionsgemäß Jahre dauere. Als kurzfristige Maßnahme habe man spezifische Jugendarbeitsplätze geschaffen, die allerdings keinen Beamtenstatus hätten. So hätten die Jugendlichen aber zumindest die Chance, innerhalb von 5 Jahren einen Beruf zu erlernen und seien durch ein Einkommen auf dem Niveau des Mindestlohns finanziell abgesichert. Die ersten vorliegenden Zahlen zu diesen Programmen ließen sich durchaus positiv bewerten, die Arbeitslosenquote sei um fast zwei Prozentpunkte zurückgegangen.

Als nächstes sprach Peter Robinson. Er konstatierte zunächst, Arbeitszeitverkürzung und Teilzeitarbeit werden in Großbritannien nicht diskutiert, weil beide nicht als Mittel zur Verringerung der Arbeitslosigkeit betrachtet werden. Bildungspolitik sei dagegen in den Augen aller Parteien ein ausgesprochen wichtiger Aspekt in bezug auf die Probleme am Arbeitsmarkt. Dies sage allerdings wenig aus, da dieser Aussage mit Sicherheit

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alle demokratischen Parteien Europas zustimmen würden. Er führte aus, der Lebensstandard in Großbritannien sei entgegen vieler Kommentare aus dem Ausland nicht gesunken. Es ließen sich für die letzten Jahre demgegenüber sogar größere Einkommenszuwächse verzeichnen als in den meisten anderen europäischen Ländern. Allerdings seien in Großbritannien im Laufe der Thatcher-Ära die Einkommensunterschiede stark gewachsen. Die genaue Bedeutung der Bildung für diese Einkommensunterschiede könne man aber nicht einfach ausmachen. Die Einkommensunterschiede in Abhängigkeit von der Qualifikation seien in Großbritannien nicht größer als in Deutschland. Daher bleibe auch unklar, ob Veränderungen im Bildungssystem die Ungleichheit mindern könnten. Die Ursache liege vermutlich eher in den Institutionen des Arbeitsmarkes selbst, z. B in der zurückgegangenen Macht der Gewerkschaften oder in den von der Thatcher-Regierung eingeführten Änderungen in der Steuer- und Sozialpolitik.

Anschießend richtete Johano Strasser an Felice Besostri die Frage, wie die in anderen Ländern oftmals gerühmt aktive und dezentrale italienische Beschäftigungspolitik aus der Sicht eines Italieners aussähe. Besostri antwortete, die Italiener hielten ihre Gesetze meist für die besten der Welt, die entscheidende Frage sei allerdings, wie diese umgesetzt werden. Die Verkürzung der Arbeitszeit stelle seit dem Austritt der Kommunisten aus der Regierung kein zentrales Thema mehr dar. Er selbst glaube, die Verkürzung der Arbeitszeit habe keine großen beschäftigungspolitischen Implikationen, trage allerdings dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern. In bezug auf die Bildungspolitik führte er aus, hier gebe es genügend Angebote, es fehle allerdings eine Qualitätsprüfung von Seiten der Regierung. Hier zeige sich ein generelles Problem der Bewertung von Politik: Oftmals werde ungerechtfertigterweise die Erhöhung der Ausgaben mit einer Steigerung der Qualität gleichgesetzt.

Als letztes bat Johano Strasser die Podiumsteilnehmer, zur Frage möglicher Kooperationen über den Nationalstaat hinaus und zur Rolle der EU Stellung zu nehmen.

Peter Robinson führte aus, Großbritannien mache seit dem Ausscheiden aus dem Wechselkurssystem 1992 eine unabhängige Wirtschaftspolitik. Diese Wirtschaftspolitik sei sehr erfolgreich gewesen und die Arbeitslosenrate sei deutlich gesunken. Man könne das auch als Beweis dafür verstehen, daß die Nationalstaaten jenseits der Rhetorik von der Globalisierung

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immer noch in der Lage seien, ihre wirtschaftliche Zukunft zu kontrollieren. Dies gelte natürlich nicht in bezug auf Politikfelder wie die internationale Handelspolitik oder den gemeinsamen Markt. Hier sei eine europäische und darüber hinaus eine internationale Politik nötig. Trotzdem dürfe man den Handlungsspielraum der Nationalstaaten nicht unterschätzen. Wichtig sei allerdings eine Koordination bei der Unternehmenssteuer. Eine Studie in Großbritannien habe gerade noch mal gezeigt, daß sich die Besteuerung der Unternehmen in den OECD-Ländern während der letzten 20 Jahre nicht wesentlich verändert habe. In Großbritannien sei beispielsweise die Unternehmenssteuer viel höher als etwa in Deutschland. Insgesamt müsse genau überlegt werden, was auf der Ebene der Nationalstaaten entschieden werden könne und was auf der Ebene der EU oder darüber entschieden werden solle - von der Rhetorik über die Globalisierung sollte man sich aber nicht übermäßig vereinnahmen lassen.

Felice Besostri sprach für Italien von einer einmütigen Zustimmung zu Europa, die so weit gehe, daß eine Diskussion darüber kaum noch geführt werde. Er selbst plädierte für die Schaffung einer Verfassung für Europa als Grundlage der europäischen Demokratie. Zudem müsse man auch die nationalen Parlamente in die europäische Demokratie einbinden, z. B. durch die Schaffung einer Zweiten Kammer. Anschließend sprach er das Problem an, daß in Europa zunehmend auch Menschen aus nicht-europäischen Staaten lebten. Wenn man nicht an den historischen Anfang der Demokratie mit einer geringen Zahl von Bürgern bei einer großen Zahl von Einwohnern zurückfallen wolle, müsse man für dieses Problem eine Lösung finden.

Auch Jaques-Pierre Gougeon plädierte für institutionelle Reformen. Konkret nannte er eine Verkleinerung der Kommission, eine andere Stimmgewichtung und eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidung. Noch wichtiger sei aber heute eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik, allem voran die gemeinsame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. In bezug auf den französischen Vorschlag zur Schaffung einer „Wirtschaftsregierung" sprach Gougeon von einem Mißverständnis in der deutsch-französischen Diskussion, Es ginge Frankreich nicht um die Schaffung einer der Europäischen Zentralbank übergeordneten Instanz, sondern lediglich um ein politisches Gegengewicht. Existiere ein solches Gegengewicht nicht, sei beispielsweise zu befürchten, daß für politische Anliegen wie eine Verbesserung der Kaufkraft oder die Einführung eines europaweiten Mindestlohns

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keine Durchsetzungschance bestehe. Als weiteres zentrales Anliegen nannte Gougeon die Steuerharmonisierung. Er bezeichnete es als nicht akzeptabel, daß Unternehmen ihre Standorte verlagern, weil sie in einem anderen Land weniger Steuern bezahlen. Der Wettbewerb unter den europäischen Ländern sei in diesem Fall schädlich für die europäische Zukunft.

Anschließend öffnete Johano Strasser die Diskussion für das Publikum. Markus Rosenthal bat Peter Robinson um einen Kommentar zu der Annahme, daß sich die „Neue Mitte" in Großbritannien wirklich jenseits von rechts und links bewege, während sie in der SPD ein Projekt des rechten Flügels der Sozialdemokratie sei. Anschließend fragte er nach Robinsons Meinung zum möglichen Einfluß einer Politik des „Caring Conservatism", die der potentielle Clinton-Nachfolger George Bush proklamiere. Detlef Albers, Vorsitzender der Bremer SPD, merkte an, die Gegenüberstellung der ersten und zweiten Diskussionsrunde mache deutlich, welche Vielzahl konkreter Politiken sich unter dem Dach des „Dritten Weges" verberge. Er nehme als wichtige Anregung mit, daß es notwendig sei, einen spezifisch deutschen Beitrag zum Dritten Weg zu entwickeln, der aber von Anfang an in einen europäischen Kontext gestellt werden müsse. Besostri und Gougeon hätten sehr deutlich gemacht, daß neben der amerikanischen, britischen und deutschen Variante des Dritten Weges auch eine spezifisch romanische Sichtweise, besonders zum Problem der politischen Steuerung, existiere. Diese müßte bei der Entwicklung einer kontinentaleuropäischen Perspektive berücksichtigt werden und könne auch dazu beitragen, die Kritiker der gegenwärtigen, an den USA und Großbritannien orientierten SPD-Linie, innerhalb der deutschen Sozialdemokratie zu stärken und die Skepsis gegenüber dem Dritten Weg konstruktiv zu wenden. Als letzter Redner aus dem Publikum merkte Tilman Fichter an, es gäbe in jeder Epoche ein bis zwei Fragen, an denen es sich entscheide, ob Europa mehr als eine Marktgesellschaft sein werde. Zur Zeit sei dies die Frage, ob wir im Kosovo einen amerikanischen Krieg führten oder eine europäische Lösung fänden. Die Richtung sei von der italienischen Regierung mit dem Vorschlag, den Weltsicherheitsrat anzurufen und Rußland und China einzubeziehen, vorgegeben worden. Wenn dies nicht zu einem Einlenken Milosevics führe, müsse man mit einem europäischen Landheer in den Kosovo gehen. Er fragte nach der Sichtweise der französischen, englischen und italienischen Regierung sowie auch der deutschen SPD zu einer gemeinsamen europäischen Lösung.

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Mit den Antworten begann Peter Robinson. Er führte aus, es gäbe nach wie vor Flügelkämpfe zwischen Rechts und Links, die zwar zur Zeit kaum an die Öffentlichkeit drängen aber in Zeiten politischer Krisen mit Sicherheit verstärkt sichtbar würden. Clinton werde von den Historikern später vermutlich wie Eisenhower eingeschätzt werden: als jemand, der durch die positiven äußeren Umstände begünstigt worden sei und dessen Erfolge allein auf diese Umstände zurückzuführen seien, nicht auf seine eigene Politik. Der „Caring Conservatism" sei auch für die britische Debatte sehr wichtig. Der Führer der britischen Konservativen habe sich gerade erst mit George Bush junior getroffen und zwei Wochen später habe sein Stellvertreter öffentlich erklärt, es sei nie die Absicht der britischen Konservativen gewesen, das Erziehungssystem oder die Gesundheitsversorgung Marktprinzipien zu unterwerfen. Auch die Konservativen stellten sich nicht gegen den Sozialstaat und akzeptierten Grenzen des freien Marktes. Der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt habe nach der Amtszeit Magret Thatchers mit 40% noch den gleichen Wert gehabt wie vorher. Heute versuchten die britischen Konservativen wie auch George Bush junior aus dieser Tatsache das beste zu machen. Sie wendeten sich von der neoliberalen Rhetorik ab und beeilten sich anzuerkennen, daß es bestimmte Aufgaben gebe, die nur der Staat selbst lösen könne. Dies zeige noch mal sehr deutlich, wie sehr man durch die Rhetorik der Politiker - auf der rechten oder der linken Seite - geblendet werden könne.

Zur Frage Tilman Fichters nach dem Krieg im Kosovo führte er aus, es gebe eine historisch gewachsene, sehr enge Beziehung zwischen den USA und Großbritannien in bezug auf militärische Aktionen. Bodentruppen befürworte Blair erst seit zwei Wochen und diese Haltung sei - so Robinson -nicht sehr durchdacht. Die Kritik an einer mangelnden konsistenten Strategie lasse sich im übrigen auf die gesamte Kriegsführung übertragen. Zentral sei dabei der Widerspruch, daß sich die proklamierten Ziele ganz offensichtlich mit den angewandten Mitteln nicht erreichen ließen.

Felice Besostri argumentierte, wenn die Europäer mit der amerikanischen Politik nicht zufrieden seien, bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als eine eigene Sicherheitspolitik zu entwickeln. Gerade für die linken Partien sei dies allerdings angesichts der innerparteilichen Differenzen schwierig. Daß das Kosovo ein Problem werden würde, habe Rugova schon vor zehn Jahren verkündet und er hoffe, daß das nächste sich ankündigende Problem Mazedonien schon frühzeitiger ernst genommen werde. Anschließend

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ging er auf die These Detlef Albers von den weiter links stehenden romanischen Sozialisten ein. Die Schwierigkeit bestünde hier nicht in einem unterschiedlichen Tempo der einzelnen sozialdemokratischen Parteien auf dem Dritten Weg, sondern darin, daß man noch nicht genau absehen könne, wohin dieser Weg führe. Nicht das Tempo sei entscheidend, sondern daß man die richtige Richtung finde.

Auch Jacques-Pierre Gougeon ging auf Albers Frage nach dem typisch lateinischen „Dritten Weg" ein. Er regte an, die Debatte stärker politisch als wissenschaftlich zu führen. Zur Zeit ergreife jedes Land bei der Umsetzung der Rahmenvorstellungen des Dritten Weges unterschiedliche Maßnahmen. Da alle EU-Staaten im wesentlichen die gleichen Probleme hätten, sei es sinnvoll, auch gemeinsame Entscheidungen über konkrete politische Maßnahmen herbeizuführen und diese dann sofort umsetzen. Nur so könne der Dritte Weg zu einer echten Alternative werden und die Politik des Dritten Weges komme aus der Defensive heraus, in der sie sich zur Zeit befinde.

In bezug auf das Kosovo ergänzte Gougeon dann noch, das entscheidende Problem sei die fehlende europäische Verteidigung. Hier gebe es noch große Differenzen vor allem zwischen Deutschland und Frankreich und eine Einigung sei sehr schwierig. Gerade die Deutschen hätten bisher militärische Bündnisse außerhalb der Nato abgelehnt. Frankreich habe schon in den achtziger Jahren den Vorschlag gemacht, die WEU auszubauen. Dies sei sogar für Länder wie Österreich, die aufgrund ihrer vormaligen Neutralität einem Nato-Beitritt noch immer skeptisch gegenüberstünden, eine akzeptable Möglichkeit militärische Verantwortung zu übernehmen. Solange es kein eigenes europäisches Instrument gebe, sei aber eine Unterstützung der Nato und damit auch der Amerikaner ohne Alternative.

Nach dieser letzten Diskussionsrunde bedankte sich Thomas Meyer in

seinem Schlußwort bei allen Podiumsteilnehmern, Diskutanten und Zuhörern. Er kündigte an, daß die Debatte um den Dritten Weg weitergeführt werde, sowohl in der Friedrich-Ebert-Stifung als auch in der SPD. Am 28. und 29. November gebe es die nächste Veranstaltung in Berlin, bei der Politiker aus den „Think-tanks" der sozialdemokratischen Parteien zum Teil auch öffentlich über den Dritten Weg diskutieren werden. Im Oktober sei in Bonn eine Veranstaltung zum Vergleich der Bildungspolitiken in unterschiedlichen sozialdemokratisch geführten Ländern Europas geplant.

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Die Beiträge des heutigen Tages hätten gezeigt, daß es viele wichtige offene Fragen gebe, vor allem in bezug auf die konkreten politischen Reformprojekte. Der „Dritte Weg" habe sich als geeignetes und öffentlich wirksames Label für die Diskussion solcher Fragen erwiesen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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