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[Seite der Druckausg.: 84 ]


Felice Besostri
Dritter Weg?


Der Ausdruck „Dritter Weg" ist nicht neu, auch wenn er nicht stets dasselbe meint beziehungsweise gemeint hat.

Heutzutage scheint diese Wortprägung am Titel des Aufsatzes von Anthony Giddens Der Dritte Weg - Die Erneuerung der Sozialdemokratie sowie an der Politik der großbritischen New Labour gebunden zu sein.

Doch bereits während des ersten Weltkriegs, als der sozialistische Internationalismus wegen des Krieges in die Brüche ging, versuchten kleine Gruppierungen einen „dritten Weg" zu entwickeln.

Hinsichtlich des Krieges erfand die Sozialistische Partei Italiens z.B. die Parole „Nicht zustimmen und nicht sabotieren", und zielte somit auf die Gründung einer neuen Internationale, welche jedoch - einmal entstanden - bekanntlich nicht als die „dritte", sondern als die „zweieinhalbte" Internationale bezeichnet wurde.

In den zwanziger und dreißiger Jahren konnte der „Dritte Weg" als der Weg des Korporativismus gelten. Demnach hat es sogar einen dritten faschistischen Weg zwischen dem kapitalistischen Liberalismus und dem kommunistischen Sozialismus gegeben.

Als Dritter Weg wurde allerdings auch die Sozialdemokratie betrachtet und innerhalb des kommunistischen Lagers hat es einen jugoslawischen sowie später einen eurokommunistischen Dritten Weg gegeben.

* * *

Der Ausdruck „Dritter Weg" ist wegen des Adjektivs „Dritter" zweideutig. Ein „Drittes" sollte zwar das sein, was in einer bestimmten Reihe nach dem „Zweiten" kommt (z.B. die „Dritte Internationale"), aber gemeint ist nicht so sehr die Fortsetzung einer durchgängigen Folge, sondern vielmehr etwas ganz Verschiedenes, fast ohne Vergleich hinsichtlich des Ersten und des Zweiten. Und manchmal trifft das sogar zu (man denke z.B. an die Dritte Welt).

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Im Bereich der sozialdemokratischen Bewegung in Europa markiert der Ausdruck „Dritter Weg" eine doppelte Ablehnung - gegen die „neue Rechte" und gleichzeitig gegen die „alte Linke" - eine doppelte Ablehnung, die nun eine neue politische Dimension erzeugen sollte, wodurch Annäherungen und Allianzen mit nicht-sozialistischen Reformparteien in Europa oder auch in den Vereinigten Staaten ermöglicht werden.

In diesem politisch-strategischen Sinn besteht zwischen dem Dritten Weg und der Neuen Mitte kein wesentlicher Unterschied. Denn - wie Anthony Giddens in After the left's paralysis schreibt - „vertritt der Dritte Weg eine reformistische Bewegung der Mitte".

Der Dritte Weg läßt sich somit auf zwei verschiedenen Weisen bestimmen:

1) Negativ: Durch das, was er nicht ist. Und 2) positiv: Durch das, was er vorschlägt.

Die Kritik gegen die alte Linke ist eine ziemlich leichte Aufgabe, besonders dann, wenn sie von einer lang andauernden Opposition kommt.

Nicht per Zufall sind der „Dritte Weg" in Großbritannien und die „Neue Mitte" in Deutschland entstanden, wo die Tories respektive die Union die Labouristen beziehungsweise die SPD während mehr als fünfzehn Jahre in der Opposition gehalten haben.

Die Konzepte zum „Dritten Weg" beziehungsweise zur „Neuen Mitte" waren weitgehend das Ergebnis einer politisch-programmatischen Arbeit, die darauf bedacht war, Wahlkämpfe zu gewinnen, wie dies dann auch in der Tat der Fall gewesen ist. So ist in den Wahlprogrammen, im Propagandastil, in den Gesichtern der Leaders bei den britischen Laburisten und bei den deutschen Sozialdemokraten alles neu.

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Eine neue Strategie ist notwendig, weil zwei traditionelle Pfeiler der Sozialdemokratie, das heißt die Arbeiter der Großindustrie sowie der feste Glaube an die Verstaatlichung verschwunden sind.

Gleichzeitig hat der Staat als einziger politischer Spielraum eine allmähliche Schwächung erfahren.

Angesichts der Globalisierung der Wirtschaft und eines sich weltweit durchsetzenden Kommunikationsnetzes ist der Nationalstaat nicht mehr

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imstande, eine unabhängige Politik zu betreiben, obwohl in unseren Ländern die demokratische Legitimation der politischen Macht noch immer auf nationalstaatlicher Ebene, und nur auf dieser Ebene, stattfindet.

Ganz anders ist die Lage bei den internationalen Organisationen, bis auf die UNO, da auf dieser Ebene Regierungen - und nicht Völker durch ihre Parlamente - vertreten sind.

In der Europäischen Union koexistieren demokratische und nicht-demokratische Elemente nebeneinander.

Am dreizehnten Juni werden wir das europäische Parlament wählen, dem man mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam mehr Macht zugesprochen hat. Gleichwohl bleibt es von einem demokratischen Vorbild weit entfernt.

Anthony Giddens predigt zwar die Demokratisierung als ein Hauptkennzeichen des Drittens Wegs. Aber, wenn die Demokratie als Praxis auf internationaler Ebene nicht experimentiert wird, bleibt sie ein bloßes Lippenbekenntnis.

Die Entscheidung, die Jugoslawische Föderation zu bombardieren, ist nicht von der NATO-Versammlung (wo die Parlamente vertreten sind) und auch nicht von den nationalen Parlamenten getroffen worden.

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Die Sozialdemokratie kann nicht auf die demokratischen Prinzipien - das heißt auf die demokratische Methode zur Macht-Erlangung und -Verwaltung - verzichten.

Keine sozialdemokratische Partei ist eine Klassen-, sondern eher eine progressive Volkspartei. Muss sie schon deshalb die real-existierenden Machtverhältnisse als „Recht und Billig" einfach hinnehmen?

Auf dieser Weise können die Sozialdemokraten bei einem Wahlgang die Siegespalme davon tragen. Aber dann haben die sozialdemokratischen Regierungen und Parteien auch und vor allem auf dem harten Boden der Arbeitslosigkeitsbekämpfung - ganz konkret, ohne Abweichungen vom Maastrichts-Vertrag - ihren Weg zu suchen. Das ist leichter gesagt als getan. Wäre das der „Dritte Weg"? Gefunden hat ihn bis dahin noch niemand.

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Davon abgesehen, ist es eine völlig falsche Perspektive, alles nur von einem europäischen Standpunkt her zu betrachten. Ist z.B. für die in Burundi und Ruanda lebende Bevölkerung ein progressives, rotes Europa wichtig oder eher unerheblich? In diesem Kontext neige ich dazu anzunehmen, dass - Tertium non datur- eigentlich kein Drittes gegeben ist.

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Erlauben Sie mir, bitte, mit einer kleinen yiddischen Geschichte zu schließen.

An einem heißen Sommer spaziert ein Mann in der unendlichen ukrainischen Ebene.

Endlich begegnet er einem Mann auf einer Pferdekutsche. Der erste Mann fragt: „Wie weit ist das Dorf von Cernigov?". - „Ungefähr eine halbe Stunde", antwortet der Mann auf der Kutsche.

„Ach, ich bin zu müde, um noch zu Fuß zu gehen! Dürfte ich auch auf die Kutsche?" - fragt der zu Fuß Gehende, worauf der andere ihn unverzüglich hinauf bittet.

Nach einer halben Stunde fragt der erste Mann: „Wie weit ist Cernigov?" „Von hier eine gute Stunde", - antwortet der Zweite.

„Wie ist es möglich?! Vor einen halben Stunde haben Sie mir gesagt, dass das Dorf dreißig Minuten entfernt war".

„Ja, das ist richtig, aber wir fahren in die Gegenrichtung".

Moral der Geschichte: Es ist nicht so wichtig, ob man zu Fuß geht oder auf einer Kutsche fährt; wichtig ist vielmehr die genaue Richtung.

Vom „Dritten Weg" wissen wir ungefähr, wo er liegt und auch woher er kommt. Wohin führt er? Das wissen wir noch nicht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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