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Diskussion

Im Anschluß an die Referate öffnete Thomas Meyer die Diskussion für das Publikum. Hier ging es vor allem um die Frage, welchen Stellenwert die Diskussion um den Dritten Weg innerhalb der SPD hat und wie man diese, von allen als notwendig erachtete Diskussion intensivieren könne. Daneben wurde die grundsätzliche Haltung der SPD zur Marktwirtschaft und zum Kapitalismus sowie die Frage nach dem kritischen Potential der Sozialdemokratie auf dem Dritten Weg diskutiert. Auch konkrete politische Maßnahmen der Regierung wurden daraufhin befragt, ob sie der Philosophie des Dritten Weges entsprechen.

Der erste Diskussionsbeitrag kam von Karl-Heinz Kummereg, SPD-Mitglied und Vorstand eines Multimediaunternehmens aus Mainz. Kummereg kritisierte die SPD. Entgegen der Aussagen Ottmar Schreiners gebe es in der SPD kein Forum für eine Diskussion um die Neue Mitte und die Partei schotte sich durch ihre Organisationsstruktur gegen Diskussionsbeiträge von außen ab. Alfred Wollenburg, Lehrer mit zahlreichen weiteren Berufsqualifikationen, wies auf die Wichtigkeit des Bildungssystems hin. In der Schule gebe es so viele Reglementierungen, daß die Schüler hier nicht die intellektuelle Flexibilität erlernen könnten, die sie für ihre Zukunft brauchten. Markus Rosenthal, stellvertretender Juso-Landesvorsitzender von Berlin fragte Werner Perger nach den Möglichkeiten, innerhalb der Debatte um den Dritten Weg eine Kapitalismuskritik zu formulieren. Auch Frau Dr. Zdenka Weber von der kroatischen Botschaft in Berlin richtete ihre Frage an Werner Perger. Sie bat ihn, seine Aussage zum Zusammenhang zwischen dem Dritten Weg und der Außenpolitik, speziell dem Jugoslawienkrieg zu präzisieren.

Mit den Antworten begann Ottmar Schreiner. Er bezeichnete die Kritik Kummeregs als zum Teil zutreffend. Vor allem auf der Ebene der Kreisverbände und der Unterbezirke sei die Diskussion oft noch nicht angekommen. Hier müsse man die Diskussion anregen, da sonst der Gesamtpartei jenseits der intellektuellen Zirkel die gesellschaftlichen Entwicklungen davonliefen. An Markus Rosenthal gerichtet gestand er ein, im Rahmen der Diskussion um den Dritten Weg sei bisher die Debatte um die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital sowie an den staatlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsbefugnissen vernachlässigt worden. Er regte an,

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zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stifung diesen Diskussionsprozeß zu fördern.

Frank Vandenbroucke stimmte Ottmar Schreiner in bezug auf die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit zu und relativierte seine zuvor gemachte Aussage von den extrem hohen Kosten der aktiven Arbeitsmarktpolitik.

Werner Perger führte an Ottmar Schreiner gerichtet aus, er glaube ihm sein Interesse an einer innerparteilichen Diskussuion um den Dritten Weg. Trotzdem sei es in der Realität der Partei noch ein langer Weg bis zu einer offenen Debatte. Vor allem in bezug auf die Aspekte der Entbürokratisierung und der Flexibilisierung gelte es, bestehende Tabus in der Diskussion zu überwinden. Als konkrete Beispiele nannte Perger hier die Regelungen zur Ladenöffnungszeit sowie das Gesetz über die Scheinselbständigkeit, das eine zusätzlich Bürokratisierung bewirke. Hieran werde deutlich, daß es beim Dritten Weg nicht nur um eine theoretische Debatte gehe, sondern daß es nötig sei, auch in der konkreten Durchführung von Politik die entsprechenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Ottmar Schreiner räumte daraufhin ein, daß das Scheinselbständigengesetz das „Seziermesser" nicht an der richten Stelle ansetze. Man habe die extreme Ausbeutung von Arbeitnehmern, beispielsweise in Speditionsunternehmen, verhindern wollen und übersehen, daß gerade jungen Menschen, die beim Eintritt in den Arbeitsmarkt notwendige Flexibilität dadurch genommen werde. Schreiner verteidigte allerdings vehement das 630,- DM-Gesetz. Hier gäbe es eine schiefe öffentliche Debatte und wenn man genau hinsehe, erwiesen sich die Widerstände einzelner Firmen oft als Scheinwiderstände, die sich nach der Umstellung der Arbeitsvertäge oft von selbst erledigt hätten. Als Beispiele nannte er hier die Unternehmen Dussmann und H&M, die trotz anfänglicher massiver Proteste mittlerweile die Arbeitsverträge auf sozialversicherungspflichtige Teilzeitverträge umgestellt hätten und nun selbst von einer größeren Arbeitszufriedenheit ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sprächen. Die Anti-Kampagne der CDU gegen das 630-DM-Gesetz sei reine Wahlkampftaktik einer Partei die keine eigenen Einfälle mehr hätte, mit denen sie bei der Europawahl Wähler für sich gewinnen könne.

Anschließend ging Werner Perger dann auf die an ihn gerichteten Fragen ein. Zur Kapitalismuskritik sagt er, Kapitalismus sei so wenig wie Sozialismus ein Thema in der Debatte um den Dritten Weg. Die zunehmende

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Globalisierung werde als unverrückbare Tatsache hingenommen und die Überlegungen richteten sich ausschließlich auf Möglichkeiten zur Gestaltung dieser Entwicklung. Die „Machtfrage" werde heute nicht mehr gestellt. Die Politiker des Dritten Weges hätten hierfür selbst nicht genug Macht. Anstelle einer Kapitalismuskritik bliebe ihnen höchstens eine „Kapitalistenkritik", die sich gegen einzelne Unternehmer richte, die der Politik die Kooperation verweigerten. Wenn allerdings Tony Blair den Schulterschluß mit Rupert Murdoch suche, dann tue er das auch deshalb, weil es wisse, daß Murdoch nicht zu besiegen sei. Die Zusammenarbeit mit den Kapitalisten und die unternehmerfreundliche Rhetorik seien heute die einzige Möglichkeit, unter dem Deckmantel des „Dritten Weges" eine effektive sozialdemokratische Politik zu machen. Die fehlende Kapitalismuskritik sei daher zur Zeit gar kein Verlust - langfristig dürfe man allerdings die Frage nach den tatsächlichen Machtverhältnissen nicht vergessen.

In bezug auf die Frage Frau Webers zum Krieg in Jugoslawien antwortete Perger, auch er selbst sei der Meinung, man könne Menschenrechtsverletzungen wie im Kosovo nicht hinnehmen. Er habe mit dem Hinweis auf den Krieg aber verdeutlichen wollen, zu welchen Konsequenzen der Anspruch auf die eigene moralische Überlegenheit, der im Kern eine „Kreuzrittermentalität" beinhalte, führen könne.

Frank Vandenbroucke ging abschließend auch noch auf die Frage Markus Rosenthals nach der Möglichkeit der Kapitalismuskritik ein. Diese sei zu einer bestimmten Zeit der zentrale Punkt in der Sozialdemokratie gewesen. Eine solche Kritik benötige aber einen Maßstab, der seines Erachtens in der Verteilungsgerechtigkeit und der Gleichheit in der Gesellschaft zu finden sei. Diesem Maßstab müsse heute, wie er bereits ausgeführt habe, ein neues, verantwortungssensibles Konzept der Gerechtigkeit zugrunde gelegt werden. Es müsse in diesem Zusammenhang aber nicht nur über die Verantwortung der Arbeitslosen gesprochen werden, sondern sehr wohl auch über die Verantwortung der Reichen und Mächtigen. Berücksichtige man dies, dann habe die Sozialdemokratie auch auf dem „Dritten Weg" noch ausgesprochen kapitalismuskritische Implikationen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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