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TEILDOKUMENT:


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3. Themenfeld "Virtualität"



3.1 Begriff der "Virtualität" bzw. der virtuellen Organisationsstrukturen

Jede Ausarbeitung zum Thema beginnt mit dem Rückgriff auf den Begriff "virtuell" und seine ursprüngliche Bedeutung laut Duden. Dort findet sich als Erklärung für "virtuell": "der Kraft, der Möglichkeit nach vorhanden". Zur Erläuterung wird dabei gerne der Begriff des virtuellen Speichers aus der Informatik herangezogen. Dieser offeriert dem Nutzer eine Leistungsfähigkeit, der keine physikalische Instanz in Form eines unteilbaren Arbeitsspeichers mit der Leistungsfähigkeit x gegenübersteht, sondern die nur "logisch" vorhanden ist durch jeweilige Auslagerung von Verarbeitungsjobs auf Festplattenbereiche, ohne dass der Nutzer hiervon etwas spürt. Damit sind bereits Grundprinzipien der Virtualisierung genannt:

  • Das Bereitstellen einer Leistung / einer Eigenschaft / eines "Scheins",

  • der keine exakte physikalische Instanziierung entspricht,

  • was vom jeweiligen Nutzer jedoch nicht unbedingt nachvollzogen werden kann oder, zumindest, nicht als echt einschränkend für den intendierten Effekt empfunden wird.

Allgemeiner ausgedrückt: Etwas kann als virtuell bezeichnet werden, wenn seine Wahrnehmung nicht der hierfür üblichen "Tathandlung" entspricht. Virtualisierung kann sich dabei auf unterschiedliche Zielobjekte beziehen:

  • z.B. eine virtuelle Reise (am Computer), bei der die Wahrnehmung (das Betrachten von Orten, das Hören charakteristischer Geräusche) nicht der eigentlichen Tathandlung "Reisen" = Ortswechsel entspricht;

  • z.B. ein virtuelles Meeting, bei dem man sich über Telemedien "trifft", bespricht, gemeinsam eventuell Dokumente bearbeitet, ohne hierfür tatsächlich die Tathandlung "Dienstreise" vollziehen zu müssen;

  • z.B. ein virtuelles Produkt, das komplett spezifiziert und begutachtbar gemacht wird (in der Regel durch Rechnerunterstützung), ohne dass es hierfür bereits in materialisierter Form vorliegen muss;

  • z.B. ein virtuelles Unternehmen, das am Markt als unternehmerische Einheit auftritt, Leistungen erstellt, Transaktionen vornimmt, Kunden bedient, ohne dass es hierfür die üblichen statischen Grundeigenschaften besitzt wie Gebäude, Räume, festangestellte Mitarbeiter etc.

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Die genannten Beispiele zeigen bereits, dass eine "vollständige" Virtualisierung im Sinne einer möglichst großen Annäherung an das "physikalische Vorbild" nicht immer erreichbar ist / erreicht werden soll oder sogar auch übertroffen werden kann. Es handelt sich somit nie "nur" um einen möglichst perfekten "Nachbau", sondern in der Regel um eine Fokussierung auf einzelne Eigenschaften, gezielte Verbesserungen (z.B. die Überwindung von Distanz ohne die hierfür notwendige Fortbewegung, die Erreichung von Reversibilität z.B. im Produktdesign), für die aber auch "Verschlechterungen" (wie z.B. im Sinne einer sehr eingeschränkten sensuellen Wahrnehmung bei der Durchführung der virtuellen Reise) in Kauf genommen werden.

Virtualisierung ist immer ein Prozess, an dessen Endergebnis nicht immer die gleichen Qualitätsmaßstäbe wie an die ursprüngliche "Tathandlung" angelegt werden (sollten). Diese "Substitutionszielrichtung" würde erfahrungsgemäß viel zu kurz greifen und damit einen guten Teil der erzielbaren Potentiale verschenken.

Ob in der virtuellen Realität, am virtuellen Bankschalter oder im virtuellen Buchladen, der auch nachts um 23 Uhr im Internet aufgesucht werden kann: Virtualität ist ein in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen spürbarer Trend.

Virtuelle Leistungserstellung: Virtuelle Unternehmensstrukturen und -netzwerke

Von virtuellen Unternehmensstrukturen und -netzwerken spricht man analog dann, wenn einzelne Unternehmen so zusammenarbeiten und am Markt auftreten, "als ob" sie eine Einheit, also ein Unternehmen, wären. Ziel der Zusammenarbeit ist es, Produkte und Dienstleistungen anzubieten oder Märkte und Kundengruppen zu bedienen, die das einzelne Unternehmen alleine nicht erstellen oder erreichen kann.

Solche virtuellen Unternehmensnetzwerke funktionieren, obwohl ihnen einiges von dem fehlt, was normalerweise mit ihnen assoziiert wird: z.B. langfristig aufgebaute hierarchische Strukturen oder ein Firmenhauptgebäude, ein fester Stamm von eigenen Mitarbeitern etc. So gibt es heute z.B. Netzwerke von Unternehmen, die sich zusammen am Markt verhalten wie ein einziges Unternehmen, in Wahrheit jedoch eben aus einem Netzwerk einzelner, unabhängiger Unternehmen bestehen. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien und organisatorische Integrationsmaßnahmen erlauben es ihnen, so zusammenzuarbeiten, als ob sie an einem Standort agieren; oder auch entfernt sitzende Personen nahtlos einzubinden, ohne dass z.B. der Kunde dies bemerkt.

Es geht im Prinzip also immer darum, räumlich verteilte Einheiten (einzelne Arbeitnehmer, Teams oder ganze Unternehmen) so zu integrieren, dass diese Distanz nicht wirklich spürbar ist. Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, kann diese Integration durch den Einsatz geeigneter Technologien, Organisationskonzepten oder aber auch durch soziale Maßnahmen erfolgen.

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Abbildung 1: Integration und Verteilung als Parameter der Virtualisierung

Entsprechend finden sich virtuelle Unternehmensstrukturen auf mehreren Ebenen:

Virtuelle Arbeitsplätze:

Anbindung von Telearbeits-/Einzelarbeitsplätzen, mobile Vertriebsarbeitsplätze, virtuelle Büros.

Virtuelle Teams:

Standortübergreifende, unternehmensinterne- oder -übergreifende Teams, die zum Zweck der besseren Integration der jeweiligen Experten in virtueller Form zusammenarbeiten.

Virtuelle Unternehmensnetzwerke:

Netzwerk unabhängiger (Einzel-)Unternehmen / Unternehmer zu einem virtuellen Gesamtunternehmen mit einheitlicher Kunden"oberfläche". Die folgende Grafik zeigt diese Stufen im Überblick. In vielen Unternehmen finden sich auch Zwischenstufen oder auch Realisierung von Virtualität auf mehreren Ebenen; nicht selten verläuft die Entwicklung auch von der Auslagerung einzelner Arbeitsplätze über die Realisierung virtueller Teams bis hin zu virtuellen Netzwerken. Mit den Stufen wächst in der Regel auch die Komplexität dieser Organisationsformen. Es ist einfacher, in der eigenen Organisation die Lokation von einzelnen Arbeitsplätzen zu verändern als in einem Verbund mit mehreren Unternehmen mit ihrer individuellen Kultur, ihrer Infrastruktur und Standards eine einheitliche Arbeitsweise oder Marktschnittstelle zu schaffen.

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Damit zeigt sich: Virtuelle Unternehmensstrukturen sind mehr als "normale" Unternehmenskooperationen. Denn maßgeblich ist hier, inwieweit die entkoppelten Einheiten so miteinander arbeiten, "als ob" sie Tür an Tür agieren, "als ob" sie ein ganz "normales" Unternehmen sind. Zudem unterscheiden sich virtuelle Unternehmenskooperationen in unserem Verständnis von "normalen" Kooperationen (wie z.B. Einkaufskooperationen) dadurch, dass sie von vornherein auf eine gemeinsame Planung der Geschäftstätigkeiten ausgerichtet sind und nicht nur auf das Einbringen vorab spezifizierter Teilleistungen, wie z.B. im klassischen Unterauftragsverhältnis. Damit verbunden ist auch die Erwartung, dass in solchen virtuellen Unternehmenskooperationen eine partnerschaftliche Herangehensweise erforderlich ist. Die folgende Grafik arbeitet diese Unterschiede nochmals heraus. Doch es muss festgestellt werden: Messerscharfe Grenzziehungen sind nicht möglich.

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Virtuelle Geschäftsanbahnung und Leistungsübergabe:
Präsentation und Transaktion


Weit verbreitet sind inzwischen auch verschiedene Formen der virtuellen Leistungsübergabe. Prominentestes Beispiel hierfür sind Online-Shops, in denen, z.B. bei amazon.de, Güter wie Bücher und Zeitschriften online präsentiert, ausgewählt, bestellt und (teilweise) auch bezahlt werden können. Dabei variieren diese Angebote noch recht stark im erzielbaren Zusatznutzen für den Käufer (z.B. das Angebot von Leserrezensionen) und dem Ausmaß, in dem auch Online-Bezahlmöglichkeiten angeboten werden. Vielen Kunden und Anbietern erscheinen heute noch die Sicherheitsmechanismen im Internet zu unbefriedigend und wählen zwar die Bestellmöglichkeit auf virtuellem, realisieren die Bezahlverfahren jedoch (noch) auf klassischem Weg z.B. durch Nachnahme. Stellen für viele Unternehmen diese elektronischen "Schaufenster" einen zusätzlichen Vertriebskanal dar, gibt es heutzutage jedoch auch erfolgreiche Unternehmen wie z.B. den Computerhändler Dell, der seine komplette Vertriebs- und Bestellabwicklungsvorgänge auf virtuellem Weg realisiert – und damit erhebliche Einsparungen in bezug auf Vertriebsstrukturen erzielt und mittlerweile zu den Marktführern gerechnet werden kann.

Eine andere, zunehmend wichtige Form der virtuellen Geschäftsanbahnung stellen virtuelle Marktplätze dar, auf denen, häufig nach Branchen segmentiert, Angebot und Nachfrage gebündelt und Produkte und Dienstleistungen online präsentiert und gekauft werden. Hier ist der Trend zu beobachten, dass branchenspezifische Angebote geschneidert werden (z.B. der Marktplatz "Covisint" für den Automobilbau), auf dem Ausschreibungen und Angebote wesentlich schneller abgewickelt werden und zusätzlich eine bessere Bündelung von Kaufinteressen erfolgen kann. Damit ist auch eine weitere Konzentration in einzelnen Branchen gegeben.

Eine interessante Form virtueller Communities stellen auch Vorhaben dar, die auf Basis webbasierten Austausches eine neue Form der internationalen Exportförderung und des Technologietransfers realisieren wollen. So fördert zur Zeit die Weltbank gemeinsam mit dem Staat Bayern und der Fraunhofer-Gesellschaft ein Angebot mit der Bezeichnung "Technology matcher", mit dem eine internetbasierte Plattform geschaffen wird, auf der sich exportierende und interessierte Abnehmerunternehmen "treffen" und Käufe und Verkäufe sowie längerfristige Beziehungen aufgebaut werden sollen (Mack 2001).

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3.2 Virtualisierung: Eine Reaktion auf Wettbewerbsanforderungen

Virtuelle Formen der Leistungserstellung bzw. der Leistungsübergabe sind kein Selbstzweck. Sie entstehen in Reaktion auf herrschende wettbewerbliche Anforderungen in der westlichen Industriegesellschaft, die im folgenden kurz erläutert werden:

  • Zwang zur Konzentration auf Kernkompetenzen und zur Fixkostenreduktion: Dieser macht die flexible (temporäre) Integration von Mitarbeitern, Arbeitsmitteln und Ma-

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    schinen sinnvoll. Damit können, zumindest grundsätzlich, die individuellen Stärken unterschiedlicher (Einzel-)Akteure kombiniert werden, ohne dass erhebliche Fixkosten durch festeingestellte Mitarbeiter oder aufzubauende Unternehmensbereiche entstehen. Gerade für junge Unternehmen stellt dies in der Anfangsphase eine verbreitete Strategie dar.

  • Nachfrageseitige Veränderungen: Zu beobachten sind zum einen eine zunehmende Nachfrage nach komplexen Dienstleistungen "aus einer Hand", die auf Seiten der Anbieter eine erhebliche Komplexitätssteigerung mit sich bringen. Das integrierte Gebäudemanagement ist hierfür ein gutes Beispiel. Haben große Firmen oder Verwaltungen bisher eine Vielzahl von Einzeldienstleistern unter Vertrag, die sich um die Erhaltung und Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften kümmern (wie Gebäudereinigung, Energiemanagement, Sanitär- und Klimafachleute etc.), suchen sie zunehmend Anbieter, die dies alles integriert leisten. Umgekehrt bedeutet dies, dass sich hierfür neue Anbieterkonstellationen bilden müssen. Dies lässt sich u.a. auf Ebene größerer Handwerkskooperationen beobachten, wie z.B. die Hamburger Facility Management AG, einer Aktiengesellschaft aus mehreren hundert einzelnen Handwerksunternehmen.

  • Globalisierung / Internationalisierung: Beide Trends machen prinzipiell auch eine Erweiterung von Vertriebsstrukturen und regionalen Präsenzen sinnvoll. Auch diese können in Partnerschaften schneller und tendenziell kostengünstiger aufgebaut werden.

  • Die Virtualisierung von Leistungsübergabeprozessen entspricht der zunehmenden Flexibilisierung von Kaufgewohnheiten auf Ebene von Privatkunden und der zunehmenden Realisierung von Prozessvereinfachungen und -verkürzungen auf Ebene von Geschäftskunden. Einkaufen mitten in der Nacht – online-shops im Internet machen es möglich. Und auf Ebene elektronischer Marktplätze werden nicht nur erhebliche Geschwindigkeits- und Transparenzvorteile für Käufer und Anbieter erwartet, sondern auch erhebliche Prozessverkürzungen und damit Kosteneinsparungen auf der Ebene einkaufender Unternehmen.

Möglich gemacht wird diese Virtualisierung durch hoch leistungsfähige Informations- und Kommunikationssysteme, die das Verteilen von Arbeiten, den Abruf von Dateien und Dokumenten, die Übertragung von hoch standardisierten Datenformaten ermöglichen. Mit der explosionsartigen Verbreitung des Internet und betriebsinterner bzw. geschlossener Intranets oder Extranets haben sich die netzwerkseitigen Voraussetzungen hierfür massiv verbessert. Technologie ist nicht alles – aber ohne die dadurch ermöglichte massive Verbesserung der "Arbeit über Distanz" der letzten vier Jahre wäre eine so ausgeprägte Virtualisierung kaum möglich gewesen.

Fest steht, dass die gesamte Lebens- und Geschäftswelt eine grundlegende Veränderung von Raum und Zeit erfahren haben. Das Verhältnis zwischen "innen" und "außen", zwi-

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schen "global" und "lokal" verschiebt sich. Die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Transaktionsprozesse haben sich stark verändert. Produkte und Dienstleistungen können verteilt erstellt, virtuell "übergeben" werden, auf der Basis des Internet ist zumindest prinzipiell ein schlagartig vergrößertes, prinzipiell weltweites Marktfeld realisierbar. Ein wesentliches Veränderungspotenzial neuer Technologien liegt auch darin, dass elektronische Kommunikationsmittel dazu dienen, die Verteilung von Marktmacht erheblich zu beeinflussen und somit die dominanten Player in immer kürzeren Zeitabständen neu zu bestimmen.

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3.3 Empirische Evidenz virtueller Unternehmensstrukturen

Virtuelle Formen der Leistungserstellung und der Leistungsübergabe treten nicht in allen Branchen und allen Unternehmensgrößen gleich häufig auf. Eine repräsentative Studie in Unternehmen aller Branchen in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2000 (Gölz, Hofmann, Holzschuh 2000) belegt, dass virtuelle Organisationsstrukturen vor allem in der Branche der unternehmensnahen bzw. wissensintensiven Dienstleister auftreten sowie in technologieintensiven Unternehmen der Automobilzuliefererbranche und in technologieintensiven Handwerksunternehmen. Diese Unternehmen verfügen über Produkte und Dienstleistungen, die auch in virtuellen Netzwerken erstellt bzw. besonders effizient bereitgestellt werden können, wie z.B. Beratungsleistungen, oder sie haben mittels flexibler Kooperationen die Möglichkeit, international zu agieren und globalen Nachfragern eine entsprechende "Gegenmacht" darzustellen.

Damit sind sie vor allem in den Unternehmen aktuell, in denen heute noch in nennenswertem Ausmaß Arbeitsplätze entstehen und in denen es noch zu Unternehmensneugründungen kommt – und mithin ein Segment, das für Standortpolitik in Kommunen und Regionen eine hoch attraktive Zielgruppe darstellt.

Die folgende Grafik zeigt die prozentuale Häufigkeit der beiden Kooperationsformen, die am häufigsten in virtuellen Netzwerken realisiert werden, und belegt deren überproportionale Häufigkeit in der Branche der unternehmensnahen Dienstleister. Sie entstammt der "Strategiestudie virtuelle Unternehmen Baden-Württemberg", an der sich über 1200 Unternehmen aller Branchen (außer dem primären Sektor und öffentlichen Dienstleistern) beteiligt haben.

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Abbildung 4:

Häufigkeit von Entwicklungskooperationen und Kooperationen zum Angebot neuer Dienstleistungen in unterschiedlichen Branchen bzw. Unternehmensgrößengruppen (Quelle: Strategiestudie virtuelle Unternehmen Baden-Württemberg 2000)

Die folgende Grafik kontrastiert die Ausprägungshäufigkeit verschiedener virtueller Organisationsformen in der Branche der wissensintensiven Dienstleister mit dem untersuchten Gesamtsample der Studie. Auch sie unterstreicht die Spitzenposition dieser Dienstleistungsunternehmen bezüglich der Virtualisierung.

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Abbildung 5: Empirische Relevanz virtueller Unternehmensstrukturen in Baden-Württemberg

    [Anmerkung der Online-Red.
    Da die GRAFIK-Beschriftung nur eingeschränkt lesbar ist,
    werden diese Beschriftungen zusätzlich wiedergegeben:

    1. Säulengruppe: Kundenarbeit vor Ort
    2. Säulengruppe: Telearbeit
    3. Säulengruppe: Freie Mitarb.
    4. Säulengruppe: Team unt. Standorte
    5. Säulengruppe: Team unt. Abt.
    6. Säulengruppe: Team unt. Untern.
    7. Säulengruppe: Ent.wick.- Koop.
    8. Säulengruppe: Einkaufs- Koop.
    9. Säulengruppe: Vertriebs- Koop.
    10. Säulengruppe: Koop. Angebot neue DLs]

Virtualisierung ist somit ein klar erkennbarer, jedoch in der baden-württembergischen Wirtschaft keinesfalls gleichverteilter Trend. Die Studie hat gezeigt, dass es eindeutige Schwerpunkte gibt, die branchen- und größenabhängig sind. Im einzelnen zeigt sich

  • dass Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern durch die Einführung von Telearbeit und der Realisierung virtueller Teams verstärkt auf virtuelle Organisationsformen setzen. Begründet wird dies bei diesen Unternehmen mit dem Wunsch nach einer besseren Ausnutzung der internen Mitarbeiterkapazitäten und einer aufgabengerechten Flexibilisierung der internen Prozesse.

  • dass, über alle befragten Unternehmen hinweg, Unternehmen aus dem Sektor "unternehmensbezogene Dienstleistungen", also z.B. Unternehmensberater, Softwareentwickler, Multimedia-Dienstleister, am stärkstem in virtuellen Strukturen arbeiten. Dies zeigt sich durch einen hohen Anteil freier Mitarbeiter, einen hohen Anteil unternehmensübergreifender Teamarbeit, und den großen Anteil (mehr als 50%) dieser Unternehmen, die unternehmensübergreifende Kooperationen eingehen, um gemeinsam mit Partnern neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Begründet wird dieses Vorgehen mit einem starken Umsatzwachstum und einer hohen Entwicklungsdynamik, die in statischen Strukturen gar nicht realisierbar wären.

Ein Beispiel ist die Firma Creaprodi Schulte-Wieking GmbH in Stuttgart. Diese junge Firma bietet Dienstleistungen rund um das Thema Unternehmensauftritt, Unternehmenskommunikation, Messepräsenz an. Sie bewältigt sehr vielfältige Aufgaben durch die Schaffung eines sogenannten Partnerpools, in dem unterschiedliche Personen aus unterschiedlichen Firmen zusammenarbeiten – immer unter der Marke Creaprodi. Nur

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diese flexible Kombination erlaubt das Angebot der kundenindividuellen Dienstleistungen in einem noch jungen Markt.

  • dass Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie ebenfalls in überdurchschnittlichem Maß virtuelle Unternehmensverbünde realisieren. Sie tun dies vor dem Hintergrund einer wachsenden Technologieintensität der Produkte und der immer konzentrierteren Nachfragemacht der Kunden. Virtuelle Unternehmensverbünde bieten für diese Unternehmen die Chance, eine stärkere Angebotsposition aufzubauen.

Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die Firma Behr in Stuttgart. Dieser bekannte Automobilzulieferer hat einen virtuellen Zuliefererverbund aufgebaut, mit dem er sich als Systemintegrator den wachsenden Anforderungen der Kunden stellt. Mit sechs Partnerfirmen soll hier zum einen der wachsenden Entwicklungskomplexität der Produkte entsprochen werden, zum anderen auch der wachsenden Nachfragemacht der Kunden durch die ständig wachsende Globalisierung und Fusionswelle ein stärkeres Gegengewicht entgegengebracht werden.

Die genannten drei Gruppen von Unternehmen sind auch führend in bezug auf die Bemühungen, die verteilten Einheiten (auf Arbeitsplatz-, Team- oder Unternehmensebene) durch eine ausreichende technologische Unterstützung (mit Hilfe von Intranets, Electronic-Mail, gemeinsame Datenbestände) und organisatorische Maßnahmen (z.B. durch Schaffung von Projektgruppen, standardisierte Prozesse) zu re-integrieren.

Die zukünftig wachsende Bedeutung virtueller Wertschöpfung wird auch in einer vom IAO im Jahr 2001 durchgeführten Expertenbefragung zur "Zukunft der Arbeit" bestätigt (vgl. Bullinger, Bauer, Klein et al 2001). Hierfür wurden insgesamt 516 nationale und internationale Experten nach den zukünftigen Entwicklungen der Arbeit befragt. Dabei wurden den Teilnehmern unterschiedliche Szenarien präsentiert, deren Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. -geschwindigkeit in der Folge abgefragt wurde. Dazu gehören folgende Szenarien:

  • die Zunahme der Fusionen zwischen großen Unternehmen, die damit zu Großkonzernen werden und im Einzelfall die Größe von Staaten bekommen können (gemessen am Umsatz)

  • die weitere Verbreitung von virtuellen Kleinstunternehmen (sogenannte E-Lancer), die mit anderen Unternehmen zeitlich begrenzte Verbindungen eingehen

  • die zunehmende Verbreitung von so genannten Global Engineering Networks, also vernetzte globale Teams, in denen Forschungs- und Entwicklungsarbeit aus Zeitgründen in virtueller Form rund um die Uhr durchgeführt wird

  • die zunehmende Verbreitung von Telearbeit auf rund ein Drittel aller Beschäftigten

Die folgende Grafik zeigt die Einschätzung dieser Experten, und sie unterstützt vor allem die Einschätzung, dass gerade kleine, flexible Netzwerke von Einzelunternehmern eine wesentlich größere Bedeutung erhalten werden.

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Abbildung 6:

Geschätzte Entwicklung der Organisation der Arbeit nach der IAO Expertenbefragung "Zukunft der Arbeit" im Jahr 2001

    [Anmerkung der Online-Red.
    Da die GRAFIK-Beschriftung nur eingeschränkt lesbar ist,
    werden diese Beschriftungen zusätzlich wiedergegeben:

    1. Säulengruppe: Großkonzerne in Größe von Staaten
    2. Säulengruppe: Virtuelle Kleinstunternehmen
    3. Säulengruppe: Global Engineering Networks
    4. Säulengruppe: Unternehmen mit ca. 1/3 Telearbeit

    1. Zeile rechts: = bereits realisiert
    2. Zeile rechts: = in 5 Jahren
    3. Zeile rechts: = in 10 Jahren
    4. Zeile rechts: = später
    5. Zeile rechts: = nie]


Interessant ist ebenfalls die Einschätzung in bezug auf die erwartete Qualifikationsentwicklung in den nächsten Jahren. Klar erkennbar ist der Trend in Richtung einer stärkeren Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften.

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Abbildung 7:

Geschätzte Entwicklung der Situation bei den Qualifizierungstrends der Arbeit nach der IAO Expertenbefragung "Zukunft der Arbeit" im Jahr 2001

    [Anmerkung der Online-Red.
    Da die GRAFIK-Beschriftung nur eingeschränkt lesbar ist,
    werden diese Beschriftungen zusätzlich wiedergegeben:

    1. Säulengruppe: Starke Zunahme qualifizierter Erwerbstätigkeit
    2. Säulengruppe: Starke Zunahme unqualifizierter Erwerbstätigkeit
    3. Säulengruppe: Starke Zunahme der Nichterwerbsarbeit
    4. Säulengruppe: Starke Abnahme der Arbeitslosenzahl

    1. Zeile rechts: = bereits realisiert
    2. Zeile rechts: = in 5 Jahren
    3. Zeile rechts: = in 10 Jahren
    4. Zeile rechts: = nie]


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3.4 Erfolgsfaktoren der Virtualisierung

Virtuelle Organisationsformen bieten große Flexibilitätspotentiale, doch ist ihre erfolgreiche Umsetzung an eine Reihe von Faktoren geknüpft.

Das Fraunhofer-IAO hat im Rahmen der zitierten Strategiestudie und einer Reihe von Beratungsprojekten folgende Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Virtualisierungsstrategie festgemacht:

  • Erwartungsgemäß spielen Umfang und Qualität der informations- und kommunikationstechnischen Unterstützung (Intranets, Telekooperationstechniken) eine große Rolle. Kritisch sind Fragen der bestmöglichen Erreichbarkeit der Kollegen, des einfachen Zugriffes auf aktuelle gemeinsame Dokumente und Informationen, der Nutzung gemeinsamer Datenbanken, eines leistungsfähigen Projektmanagements. Hierfür spielt auch eine weitgehende Digitalisierung der Arbeitsprozesse eine große Rolle, sowie die Verfügbarkeit leistungsfähiger Basis-Infrastrukturen im Sinne von Telekommunikationsnetzen und Diensteanbietern. Hierin liegt eine infrastrukturelle Aufgabe, die auch zur Standortpolitik gezählt werden kann.

  • Der zielgerichtete Kooperationsaufbau und das laufende Kooperationsmanagement, also die Suche von Partnern, die Festlegung der Zusammenarbeit, die Fixierung von Verantwortlichkeiten, gemeinsamen und getrennten Geschäftsfeldern ist ebenfalls erfolgskritisch. Entgegen mancher euphorischer Veröffentlichungen zeugen virtuelle Unternehmensnetzwerke zwar von einer kürzeren Reaktionsfähigkeit auf Kundenwünsche, aber ihre Bildung ist in keinem Fall "per Knopfdruck" zu bewerkstelligen. Vor allem im Falle des Aufbaus unternehmensübergreifender, virtueller Verbünde müssen die strategische Ausrichtung der einzelnen Partner, des Verbundes, die Festlegung des Zielmarktes und die Verteilung der Rollen und Verantwortlichkeiten in einem moderierten Prozess diskutiert und festgelegt werden. Im Vorfeld hierzu müssen mögliche Kooperationsinteressen, -dispositionen und die anvisierten Märkte entwickelt und bekannt sein. Gerade für klein- und mittelständische Unternehmen, die nicht selten auch noch inhabergeführt sind, stellt dies eine neuartige Aufgabe dar, die mit externer Moderation unterstützt werden kann.

  • In virtuellen Strukturen ist der geeignete Umgang mit den wichtiger werdenden Telemedien für die tägliche Zusammenarbeit erfolgskritisch. Dabei steht der Begriff der Telemedien hier als Überbegriff für eine Reihe von Kommunikationsmöglichkeiten, wie Electronic Mail, Videokonferenzen oder Datenkonferenzsysteme. Ihr Einsatz macht eine weitgehende Verteilung von Arbeit erst möglich – umgekehrt muss ihre verstärkte Nutzung auch entsprechend geschult werden, um unerwünschte Nebeneffekte, wie Verständnisschwierigkeiten, oder unzureichende Information einzelner Personen, zu vermeiden.

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3.5 Virtualität, Wertschöpfung und Standort

Was bedeutet die Realisierung virtueller Unternehmensstrukturen und der Leistungsübergabe für die Art der mit ihnen erzielten Wertschöpfung und die Bedeutung des Standortes?

  • Auf den ersten Blick: "The death of distance". Wo mittels moderner Telemedien zusammengearbeitet werden kann, wird der tatsächliche Standort von Akteuren und Produktionsressourcen tendenziell unbedeutend. Das Lohngefälle kann besser ausgenutzt werden, um z.B. in strukturschwachen Gebieten Arbeitsplätze anzusiedeln. Damit können die Örtlichkeiten der Wertschöpfung verschoben werden. Dennoch kommt der räumlichen Nähe, trotz oder vielleicht gerade wegen der neuen "Raumüberwindungstechniken" eine wesentliche Bedeutung zu. Fuchs (2000) fasst die spezifische Bedeutung räumlicher Nähe als Umfeldbedingung der Wirtschaft in vier Stichworten zusammen:
    • die Konzentration spezifischer, gesuchter Arbeitskräfte
    • die Entstehung von vorgelagerten, spezialisierten Produkten
    • die schnelle Verbreitung von neuem Wissen
    • bzw. der erleichterte Austausch von Wissen zwischen verschiedenen Akteuren, die "Knowledge spillovers".

    Räumliche Nähe erlaubt eine einfachere, unkompliziertere Kontaktaufnahme und Treffen ohne zu große Transaktionskosten, sie erlaubt "zufällige" Begegnungen und sie steht nicht zuletzt, zumindest bis heute, auch für eine kulturelle Nähe der Beteiligten, die die Kommunikation, das Umgehen miteinander, den Austausch von Wissen maßgeblich erleichtern kann. "Bis heute" deshalb, weil erwartet wird, dass sich mit der zunehmenden Durchdringung auch der privaten Lebenswelt bis in das Kleinkindalter durch "das Internet" (als Sinnbild zunehmender kommunikativer Vernetzung und Kontaktplattform) auch diese primäre Sozialisation zunehmend "enträumlichen" wird.

  • In eine ähnliche Richtung argumentiert Heidenreich (2000), der die Vorteile regionaler Vernetzungen zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren herausarbeitet: Sie biete die erleichterte Nutzung lokaler Ressourcen, Transaktionskostenersparnisse, Spezialisierungsvorteile vor allem in bezug auf den Arbeitsmarkt sowie Lern- und Innovationschancen, die ebenfalls mit dem Begriff des knowledge spillovers umschrieben werden. Uns erscheint der Hinweis auf den lokalen Arbeitsmarkt wesentlich, denn es muss beachtet werden, dass gerade in den Branchen, in denen virtuelle Leistungserbringung oder -übergaben häufig vorzufinden sind, vor allem die Ressource "Humankapital" im Sinne qualifizierter Unternehmer und Arbeitnehmer in der Wissensökonomie das wichtigste Produktionsgut ist.

  • Genauso wichtig wie diese personellen Ressourcen ist ein dienstleistungsorientiertes, innovationsförderliches Milieu – was auch an eine bestehende Ausbildungs- und

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    Kulturinfrastruktur sowie schlicht an ein bestehendes Einkommensniveau gekoppelt ist, das die Kaufkraft besitzt, nach diesen Dienstleistungen nachzufragen. Dies bedeutet, dass entsprechende Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, attraktive Wohnmöglichkeiten, eine ansprechende kulturelle Szene und eine entsprechende Nachfrage für diese Dienstleistungen vorhanden sein müssen. Milieus in diesem Sinne entstehen aber an Standorten, und nicht im virtuellen Raum. Gerade die Mischung dieser Faktoren in einem Lebensraum ist erfolgskritisch. Damit ergeben sich die Aufgaben einer Standortpolitik in Zeiten virtueller Wertschöpfung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2002

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