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Wie geht es weiter mit dem Friedensprozeß?

Die größten Erwartungen an den Regierungswechsel in Israel knüpfen sich auf Seiten der internationalen Gemeinschaft und natürlich vor allem der arabischen Staaten an Fortschritte im seit drei Jahren stagnierenden Friedensprozeß. Netanjahu hat insbesondere auf diesem Feld ein verheerendes Erbe hinterlassen.

Das von Rabin und Peres mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis zu arabischen Führern, wie Palästinenser-Präsident Arafat und dem ägyptischen Präsidenten Mubarak ist nachhaltig gestört; mit Ägypten und Jordanien, den einzigen arabischen Staaten, die einen Friedensvertrag mit Israel abgeschlossen haben, herrscht ein „kalter Friede". Die zaghaften Öffnungsversuche vor allem der nordafrikanischen Staaten und der Golfstaaten sind vorerst auf Eis gelegt.

Von vielen israelischen Meinungsträgern wird die tiefe Vertrauenskrise zwischen ihrem Land und den USA, dem wichtigsten Verbündeten Israels, als schlimmste Hypothek der Netanjahu-Ära gewertet. Der ursprünglich Israel-freundlichste Präsident aller Zeiten, Clinton, sieht mittlerweile in Arafat einen verläßlicheren Partner.

Israel ist wegen der Blockade-Politik Netanjahus im Friedensprozeß wieder in eine internationale Isolation geraten, die viele Israelis nicht mehr für möglich gehalten hatten; Israels Image vor allem auch in Europa hat schwer gelitten. Und schließlich ist der ungewisse Zustand im Nahen Osten dafür mitverantwortlich, daß es in Israel die letzten Jahren wirtschaftlich bergab ging.

Diesen Scherbenhaufen muß Barak zunächst einmal wegräumen, bevor er an eigene Initiativen denken kann. Dabei steht der gewiefte Stratege, der am liebsten langfristig plant und jeden Schritt genau kalkuliert, in zweierlei Hinsicht unter Zeitdruck: Im Verhältnis zu den Palästinensern steht die von seinem Vorgänger Netanjahu immer wieder hinausgezögerte Erfüllung des Wye-Abkommens vom Oktober 1998 an. Gleichzeitig müssen die Endstatus-Verhandlungen unverzüglich aufgenommen werden, sollten diese doch gemäß dem Oslo-Vertrag bis 4. Mai 1999 beendet sein. Daß Arafat darauf verzichtete, zu diesem Zeitpunkt einen unabhängigen Palästinenser-Staat auszurufen, verpflichtet Barak um so mehr, da dies seine Wahlchancen beträchtlich erhöhte. Als neue Daten nennen die Palästinenser den 15. November 1999, während Amerikaner und Europäer auf den Mai 2000 abzielen.

Mit seinem Wahlversprechen die israelischen Truppen binnen eines Jahres aus der Sicherheitszone im Süd-Libanon zurückzuziehen, hat sich Barak selbst unter Zeitdruck gesetzt. Da jedermann weiß, daß dies ohne eine Abmachung mit der syrischen Protektionsmacht im Libanon nur schwer zu bewerkstelligen ist, steht gleichzeitig auch das Thema eines Friedensvertrages mit Syrien, dem hartnäckigsten Gegner Israels, auf der Tagesordnung.

In beiden Fällen handelt es sich um Probleme, die am Grundverständnis des israelischen Staates rühren. Mithin bedeutet ein Handeln unter Zeitdruck so ziemlich das letzte, was sich der neugewählte Regierungschef wünschen kann. Sicher ist damit vor allem eines: Barak und seine Mitstreiter werden ihre ganze Kraft und Konzentration zunächst der Lösung dieser beiden außenpolitischen Fragen widmen müssen, womit das von den meisten Israelis als vordringlich empfundene und von Barak im Wahlkampf auch in den Vordergrund gestellte Thema der Spaltung der israelischen Gesellschaft vorerst wohl zweite Priorität genießen wird.

Die Palästina-Frage steht zweifellos im Zentrum der friedenspolitischen Bemühungen, da von ihrer Lösung die meisten arabischen Staaten eine Normalisierung ihres Verhältnisses zu Israel abhängig machen. Diese Frage rührt zugleich an das Selbstverständnis des jüdischen Staates. Es handelt sich dabei um nichts weniger als die Aufgabe des alten Traumes vom verheißenen Land, „Eretz Israel", das sich vom Mittelmeer bis zum Jordan (und für manche darüber hinaus) erstreckt. Auch wenn heute nur noch die hartgesottenen Rechten und Religiösen diesem Traum nachhängen und zwei Drittel der Israelis sich mit einem eigenen Palästinenser-Staat abgefunden haben, so bedeutet doch die Aufgabe des 1967 – in Abwehr eines gesamtarabischen Angriffes – besetzten Landes einen tiefen Schnitt in das israelische Bewußtsein. Und auch die Linke, die nichts mit ideologischen oder religiösen Motiven verbindet, tut sich im Detail schwer bei der Aufgabe von Land, das im Zweifelsfall als Sicherheitspuffer gegenüber einer feindlichen Umwelt dienen kann.

Ehud Barak hatte noch in der Wahlnacht seine vier „essentials" einer Friedensregelung mit den Palästinensern laut und deutlich wiederholt, die auf wenig Begeisterung in der arabischen Welt stießen: ein ungeteiltes Jerusalem als israelische Hauptstadt; keine Rückkehr zu den Grenzen von 1967; keine reguläre Armee (außer der israelischen) westlich des Jordans; der größte Teil der israelischen Siedler in der Westbank (wenn auch nicht unbedingt der Siedlungen) verbleibt unter israelischer Souveränität.

Die Palästinenser hatten ihrerseits schon im Vorfeld der Wahlen diese bekannten Vorstellungen gekontert, indem sie die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947 aus der Mottenkiste holten. Mit dieser Resolution hatten die Vereinten Nationen die Teilung des damaligen britischen Mandatsgebietes Palästina in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat dekretiert. Die Juden akzeptierten. Die Araber nicht – mit dem bekannten Ergebnis, daß im Unabhängigkeitskrieg (von den Palästinensern als nakwa – Katastrophe – bezeichnet) das israelische Staatsgebiet erheblich ausgeweitet wurde.

Damit haben beide Seiten ihre Verhandlungspositionen abgesteckt, die auf einem wechselseitigen Paradoxon beruhen: Die Palästinenser berufen sich auf eine UN-Resolution, die sie seinerzeit abgelehnt hatten; die Israelis wollen für den Frieden auf Land „verzichten", das ihnen nie gehört hat. Hinter diesem Eröffnungsgeplänkel sind jedoch bereits die Konturen einer Lösung sichtbar, wie sie der prominente Awoda-Politiker und Architekt des Oslo-Abkommens, Jossi Beilin, in einem non-paper mit dem Arafat-Stellvertreter Abu Mazen ausgehandelt hat. Danach bleibt Jerusalem die Hauptstadt Israels, doch wird durch die Eingemeindungen und die Schaffung gewisser administrativer Strukturen für die Palästinenser eine „Ko-Hauptstadt" geschaffen, womit deren Anspruch auf Jerusalem gewahrt bleibt. Etwa zehn Prozent der Westbank würden bei Israel verbleiben, doch leben in diesen grenznahen Gebieten über 80 Prozent der knapp 200 000 israelischen Siedler. Israelische Sicherheitskontrollen entlang der Außengrenzen des zukünftigen palästinensischen Staates ergänzen dieses Konzept, das in abgewandelter Form wohl die Basis einer Friedensregelung bilden wird.

Noch längst nicht gelöst ist damit aber das Problem der palästinensischen Flüchtlinge in den Nachbarländern und deren Rückkehrrecht sowie die brisante Frage der Wasserverteilung zwischen den Kontrahenten. Und vorher steht die Einhaltung des Wye-Abkommens an, die Barak am liebsten mit den Endstatus-Verhandlungen verknüpfen würde. Nach diesem Abkommen müssen die Israelis aus weiteren 13 Prozent der Westbank abziehen und eine „sichere" Verbindung zwischen Westbank und Gaza schaffen. Doch sind dies nur Zwischenetappen auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat, und die entscheidende Frage lautet letztendlich: Wird dieser Staat völlig souverän sein, und wenn nicht, welche Einschränkungen bzw. Rechte kann die jeweilige Seite akzeptieren? Wird es sich um ein halbwegs geschlossenes Staatsgebilde handeln oder wird er einem von jüdischen Siedlungen und Militärstützpunkten durchsetzten Flickenteppich gleichen? Wird er seine Außengrenzen mehr oder weniger autonom kontrollieren können oder wird sich ein israelischer Sicherheitskordon um ihn herum legen? Und schließlich: wie wird sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern gestalten, eher kooperativ, wie sich dies die Palästinenser vor allem aus ökonomischen Gründen wünschen, oder eher getrennt, wie Barak dies aus Sicherheitserwägungen heraus wohl anstrebt?

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Syrien zuerst?

Bis zu einem Endstatus-Abkommen ist es also noch ein weiter, dorniger Weg, zumal Barak im Wahlkampf versprochen hat, darüber ein Referendum abzuhalten. Und weil für die Israelis auf der Westbank viel Herzblut in Form von uralten heiligen Stätten begraben liegt, fürchten die Palästinenser nicht zu Unrecht, daß die neue Regierung den Weg des dringend benötigten schnellen Erfolges wohl eher in einem Abkommen mit Syrien (und dem Libanon) suchen wird. Hier sieht sich Barak mit seinem Wahlversprechen eines Rückzuges aus dem Libanon im Zugzwang, und hier spielen weniger ideologische und religiöse als vielmehr sicherheitspolitische Faktoren eine Rolle. Diese fallen heute aber weniger ins Gewicht, da im Zeitalter moderner Waffensysteme der räumliche Vorteil nicht mehr jene entscheidende Rolle spielt wie zu Zeiten der konventionellen Kriege nach dem Muster des Yom-Kippur-Krieges von 1973. Jetzt geht es nur noch darum, unter Wahrung des Gesichtes und mit Sicherheitsgarantien versehen sich aus der Sicherheitszone im Süd-Libanon zurückzuziehen, die schon längst keinen Schutz mehr gegen die Angriffe der fundamentalistischen Hisbollah bietet und in der jedes Jahr um die zwei Dutzend israelische Soldaten sterben.

Dieses Geschäft kann jedoch nur zustande kommen, wenn man sich mit den syrischen Schutzherren des Libanon (und der Hisbollah) einigt. Dies bedeutet zugleich die Aufgabe der 1967 besetzten syrischen Golan-Höhen. Dort leben nur knapp 20 000 israelische Siedler, die meisten aus ökonomischen Gründen, denn dort gibt es nur wenig heilige Stätten. Über die Grundlinien eines Abkommens mit Syrien nach dem Motto „je mehr Frieden, desto mehr Land", hatte sich die Regierung Rabin angeblich schon zu 80 Prozent mit dem syrischen Herrscher Assad geeinigt. Netanjahu weigerte sich, daran anzuknüpfen und verpaßte damit wohl die Chance für seine Wiederwahl; Barak ist offensichtlich dazu bereit, war er doch am Zustandekommen dieser Vereinbarung maßgeblich beteiligt. Natürlich liegt auch hier der Teufel im Detail: Sollen sich die Israelis auf die internationalen Grenzen von 1947 zurückziehen oder – wie von den Syrern gefordert – auf die Waffenstillstandslinie von 1949, die den Syrern den Zugang zum See Genezareth gewähren würde? Wie sollen die Sicherheitsvorkehrungen zu beiden Seiten der zukünftigen Grenze aussehen? Wie weit sich die Demilitarisierung erstrecken? Können amerikanische oder gar israelische Soldaten die Überwachung dieser Vereinbarungen von Stellungen am Berg Hermon aus übernehmen ?

Wahrscheinlich ist, daß Barak schon aus innenpolitischen Gründen eine rasche Verständigung mit Syrien anstrebt und damit auch das leidige Libanon-Problem löst, das immer mehr Menschen – vor allem Mütter der dort stationierten Soldaten – auf die Straße bringt. Ein solches Friedensabkommen brächte ihm einige gewichtige Vorteile: Israel hätte mit allen Nachbarstaaten Frieden geschlossen, und Barak könnte sich Zeit lassen bei den Endstatus-Verhandlungen mit den Palästinensern, weil diese zu allen Zeiten nur ein Pfund in der Hand der arabischen Nachbarn waren, mit dem diese zu ihren eigenen Gunsten wucherten. Mit der Rückgabe des Golan hätte Assad seinerseits ein wichtiges innenpolitisches Ziel erreicht, nämlich die außenpolitisch abgesicherte Nachfolge seines Sohnes in die Wege zu leiten, so daß die Palästina-Frage in den Hintergrund treten könnte. Für Barak wäre ein ähnlicher Vorteil damit verbunden: Er könnte das für einige seiner Koalitionspartner schwer zu schluckende Palästinenser-Problem zeitweise ausklammern und sich den innenpolitischen Herausforderungen stellen, die für seine Wiederwahl im Jahr 2003 mindestens genauso wichtig sind wie die Lösung der Friedens-Frage.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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