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4. Ein Schlaglicht aus der Politik: Die Bürgermeisterwahlen in Tokyo

Am 11. April wurden landesweit die Kommunal- und Präfekturparlamente und die Bürgermeister der großen Städte gewählt. Von entscheidender Bedeutung waren die Bürgermeisterwahlen in Tokyo, da diese schlaglichtartig die politische Szene ganz Japans beleuchteten. Gewonnen wurden sie mit Abstand (30,5 Prozent der Stimmen) von Shintaro Ishihara, einem preisgekrönten Schriftsteller und ehemaligem LDP-Politiker, der der ultranationalistischen bis rechtsradikalen Szene zuzuordnen ist. Ishiharas politischer Bestseller "The Japan That Can Say No" (Koautor: der Sony-Gründer Akio Morita) ist ein Manifest gegen die amerikanische "Bevormundung" Japans; das Buch wurde fortgesetzt mit "The Asia That Can Say No" (Koautor: der malaysische Ministerpräsident Mahatir). Ishihara war in der Mitte der laufenden Legislaturperiode abgetaucht; er hatte sein Unterhausmandat zur Verfügung gestellt "aus Unzufriedenheit mit der japanischen Politik". In Tokyo tauchte der 67jährige, der in den 70er Jahren schon einmal gegen den profiliert linken Bürgermeister Tokyos, Minobe, angetreten war und knapp verloren hatte, als Unabhängiger wieder auf - und gewann.

Die Wahl Ishiharas - bei einer Beteiligung von 57 Prozent, sieben Prozentpunkte mehr als bei den letzten Bürgermeisterwahlen - ist erstens ein Schlag gegen die offizielle LDP (Ishihara war aus der Partei ausgeschlossen worden, als er seine unabhängige Kandidatur anmeldete). Die LDP hatte den ehemaligen stellvertretenden UNO-Generalsekretär Yasushi Akashi aufgestellt, einen weltbekannten Diplomaten, aber in Tokyo ein krasser Außenseiter (weit abgeschlagen landete der ebenfalls als Unabhängiger angetretene LDP-Politiker und ehemalige Außenminister Koji Kakizawa). Die Wahl Ishiharas ist aber auch ein Schlag gegen die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei Japans. Der ihr nahestehende Kandidat Kunio Hatoyama, Bruder der Parteigründers Yukio, hatte sich zunächst ebenfalls als Unabhängiger aufstellen lassen. Er war eigens aus der Partei ausgetreten, weil er davon ausging, in einem Umfeld der "Parteienverdrossenheit" werde ihm eine Parteibindung eher schaden; dann hatte er jedoch wieder die Unterstützung der Demokraten und der buddhistischen Komei-Partei gesucht, was ihm aber keinen Erfolg bescherte. Hatoyama landete auf dem zweiten Platz - was angesichts der Hoffnungen, die die Demokratische Partei auf die großstädtischen Wähler setzt, als Niederlage verbucht werden muß. Noch weiter zurück lag der Vertreter der Kommunistischen Partei Mikami, nachdem die Kommunisten aus den letzten Bürgermeisterwahlen in Tokyo noch als zweitstärkste Kraft hervorgegangen waren.

Die Wahl Ishiharas ist in erster Linie die Wahl eines Außenseiters. Die Bindung an eine etablierte Partei ist in den Großstädten Japans ein wahlpolitischer Nachteil. In den letzten Bürgermeisterwahlen in Tokyo gewann der parteilose Komödienschreiber Aoshima (der sich 1999 nicht wieder aufstellen ließ), in Osaka der TV-Komiker "Knock" Yokoyama (der 1999 wiedergewählt wurde). Eine durch Parteipolitik nicht oder nur am Rande beeinträchtige Popularität, "schillernde" Persönlichkeitsmerkmale, eine gewisse Außergewöhnlichkeit und eine symbolische Oppositionshaltung gegen das "Establishment" scheinen das Erfolgsrezept für einen Bürgermeisterkandidaten auszumachen, ganz unabhängig von seiner sonstigen Verortung im Parteienspektrum. Dies ist insofern verständlich, als in den meisten Städten und Präfekturen in der Regel eine Koalition aller etablierten Parteien gegen den Kandidaten der Kommunisten antritt, was nicht nur der Auswahl für die Wähler enge Grenzen setzt, sondern auch die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition auf nationaler Ebene ad absurdum führt. In den Großstädten - und nur hier - ist das nicht durch Parteien, persönliche und Klientelbeziehungen gebundene Wählerpotential (die floating votes) groß genug, daß ein Außenseiter die Allparteienkoalitionen aus dem Felde schlagen kann.

Doch mit Ishihara wurde ein Außenseiter der extremen Rechten zum Bürgermeister gewählt. Dies heißt nicht, daß eine relative Mehrheit der Wähler und eine starke Minderheit der Bürger zum Rechtsradikalismus tendieren. Es heißt aber, daß ein rechtsextremer Kandidat in einer Stadt, die im nationalen Vergleich immer eher zur Linken tendierte, akzeptabel und wählbar geworden ist (wenn auch eher wegen seiner Außenseiterposition als wegen der politischen Inhalte). Damit deutet sich in Tokyo, dessen Wählerverhalten seismographisch Stimmungsveränderungen auf nationaler Ebene anzeigt, ein Stimmungsumschwung an: Die Rückwirkung der Asien- und Japankrise auf die Gefühlswelt nimmt politische Formen an. So wie die wirtschaftlichen Erfolge Japans in der Vergangenheit ja nicht nur als Ergebnis ausschließlich ökonomischer Vorgänge, sondern als Symbol nationaler Überlegenheit interpretiert wurden (und zwar im Westen wie in Japan selbst, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen), so ist auch die als Niedergang wahrgenommene Krise symbolisch besetzt. Die wirtschaftliche Supermacht Japan ein Pflegefall, den höhnischen Kommentaren und guten Ratschlägen des Westens hilflos ausgesetzt: Dieser als Demütigung wahrgenommene Rückschlag schafft ein politisches Klima, in dem Schuldzuweisungen an den Westen, insbesondere an die USA, gut gedeihen können.

Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist ein Interview Ishiharas mit dem Spiegel aus dem Jahre 1998, in dem er sich zur Pleite von Yamaichi Securities äußerte: Die Tränen, die der Präsident des Unternehmens vergoß, als er den Bankrott seiner Firma ankündigen mußte - das Bild des weinenden Yamaichi-Präsidenten wurde zur Ikone des asiatischen Niedergangs - waren, so Ishihara, keine Tränen der Scham über die Fehlleistungen des Wertpapierhauses (das immerhin mit dem organisierten Verbrechen kooperiert hatte), sondern Tränen des Entsetzens über amerikanische Brutalität (wobei unklar blieb, welchen Anteil die Amerikaner am Bankrott von Yamaichi hatten). So wie viele westliche Japan-basher im wirtschaftlichen Aufstieg Japans nur die Fortsetzung des Pazifikkrieges mit anderen Mitteln sahen, so drohen heute viele Japaner die Krise ihres Landes als eine Art zweiter Kapitulation auf der "Missouri" zu empfinden - eine Empfindung, die Politiker wie Ishihara offensichtlich auszunutzen wissen. Nicht zufällig war eine seiner wichtigsten Ankündigungen, er werde als Bürgermeister den Status der U.S.-Luftwaffenbasis Yokota einer Revision unterziehen, diese solle als internationaler Flughafen Tokyos genutzt werden, andernfalls werde Japan seine Zahlungen für die Stationierung amerikanischer Truppen (die im amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag festgelegt sind) einstellen.

Dies alles ist, wie gesagt, unabhängig von den ökonomischen Vorgängen. Wenn etwa japanische Großunternehmen Verbindungen mit westlichen Firmen eingehen, ist dies nur ein Stück wirtschaftlicher Normalisierung, die auch den japanischen Unternehmen nutzen kann. Aber derartige Vorgänge (zu denen auch das Scheitern von Unternehmen gehört) werden von japanischer wie von westlicher Seite so interpretiert, als handele es sich um die Aufgabe nationaler Identität, sie werden politisch-symbolisch überfrachtet - insbesondere wenn ein Unternehmen wie Nissan betroffen ist, die Nummer Zwei der japanischen Autoindustrie. Die eher höhnischen Bemerkungen von Jürgen Schrempp zum fehlgeschlagenen Daimler-Nissan-Deal (s. den Spiegel vom 12.4.99) oder der triumphierende Kommentar von Clyde Prestowitz, dem Erz-Japan-Basher im Auftrag der amerikanischen Autoindustrie ("The Japan That Can Say Yes"), verstärken mit Sicherheit die Wahrnehmung normaler Geschäfte als einer nationalen Schande (stereotyp reagierte auch das MITI auf den Verkauf von Nissan-Anteilen an Renault. Das Ministerium kündigte an, es werde überprüfen, ob hiervon nicht die nationale Sicherheit betroffen sei: Immerhin gehen 0,5 Prozent der Produktion Nissans in das H2-Raketenprojekt).

Die Wahl Ishiharas bedeutet nicht, daß die politische Zukunft Japans vom Rechtsradikalismus und Antiamerikanismus bestimmt sein wird. Es gibt eine rechtsradikale Subkultur (in enger Verbindung zum organisierten Verbrechen), und seit Jahren und Jahrzehnten plärren die schwarz lackierten Lautsprecherbusse der extremen Rechten in den Straßen Tokyos ihre Parolen. Bei Wahlen waren ihre Chancen bisher Null. Aber es gibt auf höchster Ebene osmotische Verbindungen zwischen Teilen des Managements, der Bürokratie und der LDP zu rechtsradikalen Aktivitäten. Und es fehlt an einer öffentlichen Auseinandersetzung um den Rechtsradikalismus, einschließlich der Vergangenheit Japans, die als Korrektiv gegen extreme Trends wirken könnte. Unter diesen Umständen geht die Wahl Ishiharas weniger auf genuin rechtsradikale Überzeugungen zurück als auf die Defizite politischer Öffentlichkeit - was sie nicht weniger gefährlich macht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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