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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 55]


Anhang

Zukünftige Energiepolitik:
Rahmenbedingungen und Ziele


Thesen zum Auftakt des Energiedialogs 2000
am 23. Juni 1999 in der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn


Vorbemerkungen

I.

Die bisherige Diskussion über die Ausgestaltung und den Weg der deutschen Energiepolitik hat zu der breit akzeptierten Einsicht geführt,

  • daß eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland von großer wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und damit politischer Bedeutung ist;

  • daß deutsche Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung nur dann realisiert werden kann, wenn sie von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird.

Auch über die grundlegenden Ziele der künftigen deutschen Energiepolitik gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung; so über

1. Die sichere Versorgung mit Energie durch die Gewährleistung eines nach Energieträgern und Bezugsquellen breit gefächerten Energieangebots.

2. Die volkswirtschaftlich effiziente Erzeugung und Nutzung von Energie, bei der die Preise für Energie möglichst alle verursachten Kosten widerspiegeln, Subventionen langfristig abgebaut werden, die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten und die unternehmerische Entscheidungsfreiheit für Investitionen in diesen Bereich gewährleistet wird.

3. Die Umweltverträglichkeit bzw. Vermeidung von Umweltschäden bei der Produktion, bei der Verteilung und beim Verbrauch von Energie, insbesondere die in bezug auf den Klimaschutz eingegangenen Verpflichtungen. Energieeinsparung und rationelle Energieverwendung sind dabei wichtige Elemente nachhaltiger Energieversorgungsstrukturen ebenso wie die weitere Entwicklung erneuerbarer Energien, die in Zukunft verstärkt zur Versorgung beitragen sollen.

4. Die nach vorn gerichtete Nutzung des wirtschaftlichen Strukturwandels, um Deutschland als Standort für die Erzeugung von Energie wettbewerbsfähig zu halten und über neue Produkte und Dienstleistungen neue Wertschöpfungsmöglichkeiten zu erschließen, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen.

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5. Die Notwendigkeit der Erhaltung und Stärkung einer leistungsfähigen Verbund- und Regionalstufe ebenso wie die einer kommunalen Versorgungsstufe, die arbeitsteilig dazu beitragen, daß Strom und Gas jederzeit für Konsumenten und Industrie verfügbar sind.

II.

Noch nicht ausreichend ins öffentliche Bewußtsein gedrungen sind die dramatisch veränderten Rahmenbedingungen für die deutsche Energiepolitik, die sich auch weiterhin in hohem Tempo verändern werden. Dieser Mangel kann verhängnisvolle Folgen haben. Denn wenn die neuen Rahmenbedingungen nicht beachtet, nicht oder nur unvollkommen ins Kalkül gezogen werden, wird die deutsche Energiepolitik den Anforderungen des neuen Jahrhunderts kaum gerecht werden.

Diese veränderten Rahmenbedingungen sind vor allem:

1. Die Ablösung der bislang monopolistisch strukturierten Strom- und Gasversorgung durch die Einführung von Märkten für Strom und Gas.

2. Die Herausbildung untereinander vernetzter europäischer und transeuropäischer Märkte, die über die Grenzen der Europäischen Union hinausreichen werden.

Die Folgen dieser veränderten Rahmenbedingungen sind:

  • Trotz bislang üblicher langfristiger Kapitalbindung der Energieproduktion wird der Wettbewerb mehr Flexibilität einfordern und zu entsprechend veränderten betriebswirtschaftlichen und technischen Lösungen führen;

  • Das bisherige Instrumentarium der nationalen Energiepolitik wird in vielen Fällen nicht mehr greifen bzw. obsolet werden.

  • Für Strom bekommen Unternehmen und Haushalte ein differenzierteres Angebot nicht nur mit Blick auf die verschiedenen Energiearten und deren jeweilige Preise, sondern auch im Hinblick auf neue Produkte und Dienstleistungen einschließlich individueller Lieferkonditionen.

III.

Diese fundamentalen Veränderungen in einem Bereich der Wirtschaft, auf den jeder Haushalt und jeder Betrieb direkt oder indirekt angewiesen ist, der also Infrastrukturcharakter hat, werden in der breiten Öffentlichkeit, sowie selbst in Fachkreisen, in ihrer wahren Bedeutung erst nach und nach wahrgenommen. Vielfach wird eine polarisierte Debatte fortgeführt, obwohl bei nüchterner wirtschaftlicher Betrachtungsweise viele ihrer Argumente im Zeitablauf an Relevanz verlieren werden. Dieser Streit behindert die dringend notwendige Diskussion über Ziele und ihnen angemessene Instrumente einer Energiepolitik, die ihre veränderten Rahmendaten annimmt.

Der Energiedialog 2000 ist unser gemeinsames Angebot, die Diskussion über eine deutsche Energiepolitik, die den Anforderungen des neuen Jahrhunderts genügt, so rechtzeitig, so breit und so offen zu führen, daß alle, die an diesen Fragen besonders interessiert sind und die den Mut haben, ihre eigenen Positionen und Argumente auf den Prüfstand der öffentlichen Debatte zu stellen, sich in den Ergebnissen dieses Dialogs wiederfinden können.

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Wir stellen uns vor, daß dieser Diskussionsprozeß etwa ein Jahr dauert, und wir erwarten uns davon, daß es gelingt,

  • die polarisierte Debatte der Vergangenheit zu beenden, weil sie uns für die Zukunft behindert;

  • einen Korridor zu beschreiben, auf den sich die Mehrheit der politischen Parteien, der Gewerkschaften, der Unternehmen und der Umweltverbände verständigen kann; dabei geht es nicht um die Veränderung von Grundüberzeugungen, sondern um pragmatische Lösungen mit dem Blick nach vorn.

  • sich auf der Basis der genannten Ziele auf Kooperationsformen zwischen Politik und Wirtschaft zur Lösung der Zukunftsaufgaben zu einigen.

Auf dem Hintergrund der dann gefundenen Verabredungen beabsichtigt die Bundesregierung, ihr Energiekonzept zu konkretisieren.

Den Skeptikern sei gesagt, daß wir wohl wissen, welch ehrgeiziges Ziel wir uns vorgenommen haben. Wenn nichts dabei herauskommt, sind wir in der Situation, wie wir sie heute haben und wie sie seit zwanzig Jahren besteht:

Damit würden wir dem Strukturwandel und den energiepolitischen Zukunftsaufgaben mit Sicherheit nicht gerecht werden.

IV.

Wir wollen nach der Auftaktveranstaltung am 23. Juni in Bonn-Bad Godesberg, die sich mit den Rahmenbedingungen und Zielen einer deutschen Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung beschäftigt, in weiteren öffentlichen Debatten die wichtigsten Aspekte einer solchen Politik ausleuchten.

Als Themenkreise schlagen wir vor:

  • Wie können wir ausreichendes Energieangebot in Deutschland sichern?

  • Wie können wir die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im Wettbewerb innerhalb Europas und weltweit gewährleisten?

  • Wie können wir zu einem nachhaltigen Energieangebot kommen?

  • Wie können wir den Standort Deutschland als Standort für Energieerzeugung und -verteilung sichern und ausbauen?

  • Welche erneuerbaren Energien können am ehesten wirtschaftlich/marktgängig den größten Beitrag leisten?

  • Wohin soll der Staat Hilfen lenken?

  • Welche Techniken, die heute erst am Horizont aufscheinen, können einen Durchbruch erzielen?

Mit den folgenden Thesen wollen wir für diese Diskussionen provozieren, Fragen stellen und auf Punkte hinweisen, die uns in der energiepolitischen Debatte bislang zu kurz gekommen scheinen.

Wir stoßen die Diskussion nicht zuletzt deshalb an, weil wir persönlich, aber auch die Institutionen, die wir vertreten, weit davon entfernt sind, schon heute alles zu wissen, was eine deutsche Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung ausmacht. Wir wollen neue Argumente und Aspekte kennenlernen; wir wollen, daß Einsichten und Erfahrungen im Dialog überprüft werden und wachsen können, kurz gesagt: Wir wollen lernen.

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Wir wollen gemeinsam mit allen, die sich an diesem Energiedialog 2000 beteiligen, fragen:

  • Was gehört angesichts der grundlegend veränderten Rahmenbedingungen zu einer Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung?

  • Wie könnte und sollte diese Energiepolitik in ihren Eckpunkten und Leitlinien aussehen?

  • Welche Instrumente können und sollten für die Realisierung der gemeinsamen Ziele dieser Energiepolitik eingesetzt werden?

Wir wünschen uns, daß sich möglichst viele in demokratischer Offenheit und mit konstruktivem Grundverständnis an der Debatte beteiligen. Wir danken jetzt schon allen, die bereit sind, mit uns dafür ihre Zeit und ihre Kraft einzusetzen.



Dr. Werner Müller
Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie

Dr. Rolf-E. Breuer
Vorsitzender des Kuratoriums
des Forums für Zukunftsenergien




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VERÄNDERTE RAHMENBEDINGUNGEN

These 1:

Der Strukturwandel der Energiemärkte in Deutschland und Europa geht in einem Ausmaß und in einem Tempo vor sich, dem die Diskussion um die deutsche Energiepolitik nicht mehr folgt. Alle politischen Parteien und wichtige gesellschaftlichen Gruppen diskutieren in weiten Teilen – bewußt oder unbewußt – noch auf der Ebene von Voraussetzungen und Strukturen, die nicht länger gültig sind oder sich rasch verändern werden.

  • So wird etwa die Einführung nationaler Quoten für Kraft-Wärme-Kopplung, Braunkohle oder erneuerbare Energien gefordert: Diese Instrumente werden die damit verfolgten Ziele nur unzureichend oder gar nicht erreichen.

  • So wird die Pro- und Contra- Debatte um die Kernenergie fortgesetzt, obwohl sich deren ökonomischen Grundlagen schon verändert haben und sich ändern werden. Diese Auseinandersetzung hat schon in der Vergangenheit Problemlösungen verhindert. Für die Zukunft bedeutet ihre Fortsetzung, daß nationale energiepolitische Interessen im europäischen Kontext nicht angemessen vertreten werden können, weil es in Deutschland an einem Konsens zu energiepolitischen Fragen mangelt.

  • So wird von Unternehmensseite die Auffassung vertreten, wenn man für die Effizienz des Energieangebotes in der Bundesrepublik sorge, sei die gesamtwirtschaftliche Verantwortung erfüllt. Die Sicherstellung der Zukunftsaufgaben sei Angelegenheit der Politik. Sie habe für Nachhaltigkeit in Form der Berücksichtigung von Umweltbelangen, für Langfrist-Aspekte wie für Versorgungssicherheit und für rechtzeitige Technologieentwicklungen einzustehen.

Um eine deutsche Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung entwickeln und realisieren zu können, ist deshalb als erstes ein breites Bewußtsein über die veränderten Rahmenbedingungen nationaler Energiepolitik in Deutschland sowohl in Fachkreisen, als auch in der interessierten Öffentlichkeit zu schaffen.



VERÄNDERTE RAHMENBEDINGUNGEN

These 2:

Eine deutsche Energiepolitik hat für eine zukunftsfähige Energieversorgung von europaweiten Wettbewerbsmärkten und deren zunehmender Verflechtung in allen Bereichen der Energiewirtschaft auszugehen.

  • So bewirkt die europäische Integration eine zunehmende Kohärenz nationaler Energiepolitiken, auch bei Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Benachbarte Politikbereiche wie etwa die Beihilfeaufsicht im Rahmen der Wettbewerbspolitikpolitik der EU engen den nationalen Handlungsspielraum zunehmend ein.

  • So ist Deutschland internationalen Verträgen (so z.B. der Klimarahmenkonvention von Rio, dem Kyoto Protokoll) beigetreten und hat Verpflichtungen übernommen.

Bislang gewohnte Erwartungen und Ansprüche an die nationale Energiepolitik müssen entsprechend dem veränderten Handlungsrahmen angepaßt werden. Das gilt auch für die Instrumente. Die Steue-

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rungseffizienz „klassischer„ Instrumente hat abgenommen. Nationale ordnungsrechtliche Vorgaben werden immer weniger greifen.

Es ist zu erwarten, daß die Steuerung über Preissignale und neue Formen der Kooperation zwischen den Marktpartnern und dem Staat in Zukunft größere Bedeutung haben werden. Ihre Einbettung in den europäischen Kontext ist unabdingbar.



VERÄNDERTE RAHMENBEDINGUNGEN

These 3:

Eine deutsche Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung geht auch heute von den elementaren Zielen jeder Energiepolitik, also Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit aus. Deren Gewichtung wird sich aber entsprechend den sich verändernden Rahmendaten verschieben.

Die Effizienz der Versorgungsstrukturen mit Energie muß zugunsten der Verbraucher und zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weiter vorangetrieben werden. Politik und Wirtschaft haben entschieden, daß marktwirtschaftliche Prozesse diese Effizienz am besten sicherstellen können.

Für die sich dabei zwangsläufig ergebenden Zielkonflikte, etwa zwischen den Zielen Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit, sind neue Verfahren und Instrumente sowie neue Kooperationsformen zwischen Politik und Energiewirtschaft zu entwickeln, um diese Zielkonflikte produktiv aufzulösen.

Das Konsensprinzip wird dabei auch in der Zukunft tragend bleiben, weil der Gestaltungsrahmen deutscher Interessen im europäischen Zusammenhang nur gemeinsam ausgeschöpft werden kann. Auch kann es auf diesem Wege am besten gelingen, den Markt als zentralen Steuerungsmechanismus wirken zu lassen und gleichwohl die demokratisch legitimierte Aufgabe des Staates in der Sozialen Marktwirtschaft, den ordnungspolitischen Rahmen und den funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten, sicherzustellen.



VERÄNDERTE RAHMENBEDINGUNGEN

These 4:

Die deutsche Energiepolitik muß langfristig – bei Wahrung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit mit Blick auf Investitionen in der Energiewirtschaft – zu subventionsfreien Versorgungsstrukturen kommen.

  • So werden die haushaltspolitischen Spielräume aller staatlichen Ebenen zunehmend enger; das gilt in Zukunft umso mehr, wenn eine moderne Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft zugunsten mehr Eigenverantwortung der Bürger über ihre Einkommen und für ihre Zukunftssicherung weiter vorangetrieben wird.

[Seite der Druckausg.: 61]

  • So wird zunehmend dem Faktum Rechnung getragen werden müssen, daß der Staat sich auf seine Kernaufgaben zurückziehen wird und nur dort flankierend tätig werden kann, wo es erforderlich ist.

  • So werden Energiekonzepte für die Zukunft nur in engen Grenzen gegen den Markt gerichtet sein können, wissend, daß Marktgeschehen weit mehr Kurzfristaspekten genügt, denn langfristigen Notwendigkeiten.

Der marktwirtschaftliche Ordnungsrahmen der Energiepolitik ist mit dem Ziel der Nachhaltigkeit nur dann zu vereinbaren, wenn und solange sich die Marktpartner konsens- und zukunftsorientiert verhalten. Sie sind also in der Pflicht, Lösungen für Zukunftsaufgaben vorzulegen, die, wie die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung, von der Politik zu Recht eingefordert werden.

Es wird in Zukunft in der Verantwortung der Marktpartner liegen, daß die Ergebnisse des Marktgeschehens auch den Zielen Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit entsprechen.

Hier wird sich erweisen, ob freiwillige, staatsfreie Lösungen für Zukunftsaufgaben in der Energiepolitik die gleiche Qualität aufweisen und zu vergleichbaren Ergebnissen kommen wie gesetzliche Regelungen.



VERSORGUNGSSICHERHEIT

These 5:

Versorgungssicherheit kann heute nur im internationalen Kontext gesehen werden. Sie wird vor allem gewährleistet durch eine Vielfalt von Energieträgern und eine Vielfalt von Bezugsquellen und Herkunftsländern für diese Energieträger. Dazu gehören internationaler Handel, Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland und die heimische Produktion.

  • So wird die Europäische Union immer mehr zum Bezugsrahmen für die Sicherheit der Versorgung mit Energieträgern.

  • So werden sich auch die bislang wichtigen Energieträger in der Stromerzeugung der Bundesrepublik, Steinkohle und Kernenergie, wie andere vor ihnen, den veränderten Rahmenbedingungen, vor allem denen eines liberalisierten Strommarktes zu stellen haben.

  • So kommen deutsche Investitionen im Ausland auch der Versorgungssicherheit zugute, wenn sie z.B. Abhängigkeiten in der Öl- oder Gasversorgung vermindern helfen. Diese Investitionen dienen gleichzeitig dem Export deutscher Unternehmen.

Sicherheitsprämien zur Aufrechterhaltung nicht wettbewerbsfähiger heimischer Produktion oder gar nationales Autarkiedenken sind nur noch begrenzt zukunftsfähig.

[Seite der Druckausg.: 62]



VERSORGUNGSSICHERHEIT

These 6:

Wer, wie in der Vergangenheit geschehen, den volkswirtschaftlichen Energiemix auch in Zukunft zielgenau vorschreiben will, der wird nicht zu einer deutschen Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung gelangen. Heute wird über Angebot und Nachfrage die Entwicklung auf den Energiemärkten bestimmt. Anteils- und Absatzquoten, unabhängig um welchen Energieträger es sich handelt, passen nicht in Wettbewerbsmärkte.

Das traditionelle Denken in Zuteilungskategorien ist überholt. Regulierende Eingriffe des Staates haben vorrangig das Ziel, funktionierende Märkte zu schaffen, aufrecht zu halten oder wiederherzustellen.



VERSORGUNGSSICHERHEIT

These 7:

Zur sicheren Energieversorgung in Deutschland gehört die Vielfalt der Erzeugungs- und Versorgungsstrukturen. Leistungsfähige Verbundunternehmen gehören genauso dazu wie eine kommunale Stufe. Gleiches gilt auf der Erzeugungsseite für zentrale und dezentrale Erzeugungsstrukturen.

  • So wird für die Verbundunternehmen ihre zukünftige europäische Marktposition im Mittelpunkt unternehmerischer Entscheidungen stehen. Nationale Energiepolitik wird darauf gerichtet sein müssen, ihre Ausgangsbedingungen für den europäischen Wettbewerb so zu gestalten, daß sie gleiche Chancen und gleiche Vorteile wie ihre anderen europäischen Wettbewerber erhalten.

  • So steht für die kommunale Stufe die Sicherung fairer Marktchancen für Stadtwerke im Vordergrund, insbesondere ihre Möglichkeiten, sich unabhängig von den Fesseln des Gemeindewirtschaftsrechts im Markt frei zu bewegen und ihre Möglichkeiten, sich Synergie-Effekte über vertikale und horizontale Kooperationen zu beschaffen.

  • So sind kleine Anbieter, die auf Strom- oder Wärmeerzeugung aus Wind, aus Kraft-Wärme-Kopplung oder andere ökologisch vorteilhafte Energieerzeugung setzen, für die Ausgewogenheit des Angebotes für die Bedürfnisse der Verbraucher von Bedeutung.

Für alle steht die Sicherung der Marktchancen im Vordergrund.



WETTBEWERBSFÄHIGKEIT

These 8:

Sinkende Energiepreise, die im Zuge der Liberalisierung der Energiemärkte im Grundsatz zu erwarten sind, tragen dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu stärken und die Verbraucher zu entlasten.

[Seite der Druckausg.: 63]

Im Zuge des europaweiten und globalen Wettbewerbs ist damit zu rechnen, daß die unternehmenspolitische Ausrichtung auf Kosteneinsparung, Effizienzsteigerung, optimale Verzinsung des eingesetzten Kapitals weiter intensiviert wird. Die so erreichten Effizienzgewinne kommen der Volkswirtschaft zugute.

Die Marktpreise spiegeln die volkswirtschaftlichen Kosten allerdings nicht immer vollständig wider.

  • So können sie z.B. die im Hinblick auf umweltpolitische Zielsetzungen notwendigen Bemühungen zur Energieeinsparung und zum Einsatz erneuerbarer Energien erschweren.

  • So können spezifische Aspekte der Versorgungssicherheit, z.B. inländische Stromproduktion zu sichern, in Konflikt geraten mit wettbewerblichen Notwendigkeiten.

  • So kann der Einsatz des ökologisch und ökonomisch vorteilhaften Energieträgers Gas unter dem Aspekt der Abhängigkeit von wenigen Bezugsquellen kritisch gesehen werden.

Eine wirklich befriedigende Antwort auf solche Zielkonflikte gibt es bislang nicht. Sie können voraussichtlich nicht mehr durch generelle Regelungen gelöst werden, sondern müssen fallbezogen entschieden werden.



WETTBEWERBSFÄHIGKEIT

These 9:

Für die Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs auf den leitungsgebundenen Energiemärkten (Strom und Gas) ist von zentraler Bedeutung, daß die vorhandenen Netze allen Marktteilnehmern diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen.

  • So dürfen Netzkosten allen Nutzern grundsätzlich nur verursachungsgerecht zugeordnet werden.

  • So muß die Entflechtung von Erzeugung und Netzbetrieb gewährleisten, daß der Netzinhaber die ihm notwendigerweise zu übermittelnden Informationen nicht wettbewerbswidrig für andere Zwecke benutzt.

  • So müssen alle Kunden den Anbieter wählen können, der ihren Preisvorstellungen und ihren Qualitätsanforderungen sowie ihrem Dienstleistungsbedarf am besten entspricht.

Es besteht die große Chance, daß der gesetzlich verankerte diskriminierungsfreie Netzzugang durch eine staatsfreie Lösung abgesichert werden kann (Verbändevereinbarung), die den Gesichtspunkten Transparenz, Börsenfähigkeit und Kostengerechtigkeit genügt. Der Vorteil einer solchen Lösung liegt in seiner Anpassungsflexibilität an neue Marktentwicklungen. Diese Chance sollte genutzt werden, um eine staatliche Regulation des Netzzugangs zu vermeiden.



NACHHALTIGKEIT

These 10:

Infrastrukturcharakter, die Existenz erheblicher externer Effekte und der hohe Kapitaleinsatz mit langfristiger Bindung haben in der Vergangenheit nicht nur in Deutschland ein hohes Maß an staatli-

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cher Regulation in der Energieversorgung gerechtfertigt. Ihre infrastrukturelle Bedeutung wird auch in Zukunft so hoch sein, daß Energiemärkte nicht mit Märkten für Äpfel und Birnen verglichen werden können. Sie dürfen auch künftig nicht allein unter kurzfristigen Aspekten beurteilt werden.

  • So ist die Kapitalbindung in fast allen Bereichen der Energieversorgung besonders hoch (z.B. Kraftwerksbau, Pipelines, Raffinerien, Tief- und Tagebau).

  • So werden unzweifelhaft in nahezu allen Energieproduktions- und -verwendungsbereichen Kosten verursacht, die in der einzelwirtschaftlichen Betrachtungsweise ausgeblendet sind.

  • So kommt einer reibungslosen Stromversorgung in einer hochentwickelten Automatisations- und Informationsgesellschaft hohe volkswirtschaftliche Bedeutung zu.

Deshalb brauchen wir auch in Zukunft eine aktive Energiepolitik, denn Marktergebnisse werden nicht immer den energie-, wirtschafts- und umweltpolitischen Zielsetzungen entsprechen können. Nicht das Ob einer regulierenden Funktion der Politik, sondern ihre Instrumentierung steht zur Diskussion.

Einer Unterstützung durch Politik ergänzend zu den Anstrengungen der Wirtschaft bedarf es insbesondere im Forschungsbereich (rechtzeitige Entwicklung neuer Technologien), bei der Förderung erneuerbarer Energien und der Energieeinsparung. Diese Bereiche sind für die Zukunft unverzichtbar, um den Vorsorge- und Umweltschutzverpflichtungen für zukünftige Generationen nachkommen zu können.



NACHHALTIGKEIT

These 11:

Bei der Energieerzeugung ist der technische Fortschritt noch lange nicht ausgereizt. Technische Wirkungsgradsteigerungen können die Effizienz der Bereitstellung von Strom, Wärme und Mobilität verbessern und den Energiebedarf reduzieren.

  • So birgt die Effizienzsteigerung bei der Stromerzeugung mit Hilfe neuer Kraftwerksgenerationen und durch Anlagen zur Wind- oder zur Solarenergienutzung erhebliche Chancen. Inwieweit sie nutzbar gemacht werden, hängt davon ab, wie schnell neue Technologien im Markt eingesetzt werden.

  • So ließe sich der Energiebedarf durch Erschließung der Potentiale sparsamer und rationeller Energieanwendung aus technischer Sicht erheblich reduzieren.

  • So tragen erneuerbare Energieträger in Deutschland heute lediglich ca. 2% zur Deckung des Primärenergiebedarfs bei. Das technische Potential für die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen ist bereits heute gegeben und wird von Experten auf beachtliche Größenordnungen geschätzt.

  • Das gleiche gilt für den Bereich der Mobilität beispielsweise für neue Antriebskonzepte oder im Wärmemarkt für neue Beheizungskonzepte. Neue Technologien wie die Brennstoffzelle könnten Energieversorgungsstrukturen heutiger Prägung tiefgreifend verändern.

Es gilt, diese Wachstumsmärkte für die Wirtschaft zu erschließen. Allerdings gilt auch hier: In erster Linie werden die Marktpartner in Zukunft entscheiden müssen, wann, wie und in welcher Form neue Technologien eingesetzt werden.

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NACHHALTIGKEIT

These 12:

Es ist die Aufgabe künftiger deutscher Energiepolitik, ein Klima zu schaffen, in dem technisch fortschrittliche Lösungen für die Bereitstellung von Strom, Wärme und Mobilität auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einsatzfähig werden.

Dazu gehört, daß die Möglichkeiten intelligenter betriebswirtschaftlicher Planungs- und Finanzierungsinstrumente wie Least-Cost-Planning und Contracting ausgelotet werden.

  • So können Contracting- oder Betreibermodelle die Energiebereitstellung optimieren durch

    • Überwindung des „Investor/Nutzer-Dilemmas„ bei Energieeinsparinvestitionen bei Wohn- und Verwaltungsgebäuden,
    • Überwindung des Kapitalmangels der öffentlichen Hände bei energieeinsparenden Investitionen,
    • Outsourcing von Energieumwandlungsvorgängen und dadurch Konzentration auf die eigentlichen Unternehmensziele bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie Industrie.
  • So werden Geschäftsfelder für eine neue Dienstleistungsbranche geöffnet, bei den „Contractoren„ und durch die Einsparinvestitionen Arbeitsplätze geschaffen sowie die Umweltbelastungen verringert, ohne den Verbraucher mit zusätzlichen Kosten zu belasten.


NACHHALTIGKEIT

These 13:

Der Versorgungsbeitrag der Kraft-Wärme-Kopplung ist unter technischen Gesichtspunkten noch ausbaufähig. Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß ein entsprechendes Absatzpotential auf der Wärme-Seite bestehen muß.

Das Energiewirtschaftsgesetz von 1998 mißt der Kraft-Wärme-Kopplung eine besondere Bedeutung bei. Hier muß das politisch Wünschbare am wirtschaftlich Machbaren gemessen werden, aber auch die Verantwortung der Marktpartner für Zukunftsaufgaben gesehen werden.

  • So wird bereits jetzt im Industriebereich über 70% der Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt.

  • So müssen im Bereich Nah- und Fernwärmeversorgung Kostenreduktionspotentiale der Wärmevermarktung ermöglicht und ausgeschöpft werden.

  • So müssen neue Wärmevermarktungspotentiale erschlossen und ausgeschöpft werden.

[Seite der Druckausg.: 66]



NACHHALTIGKEIT

These 14:

Erneuerbare Energieträger können kurz- und mittelfristig keinen strukturell bedeutenden Versorgungsbeitrag leisten, aber sie sind wichtig, um eine Technologiebrücke in das nächste Jahrtausend zu bauen.

  • So befinden sich die realen Energiepreise zur Zeit auf einem historischen Tiefstand. Sie senden unter ökologischen und Versorgungssicherheitsaspekten gesehen falsche Signale an die Marktakteure aus und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energien.

Erneuerbare Energieträger werden auf Dauer im Markt keine Rolle spielen können, wenn die Marktpartner nicht auch ihre Verantwortung für diese Zukunftsaufgabe sehen, die die Politik nicht allein schultern kann.



ENERGIESTANDORT DEUTSCHLAND

These 15:

Der Standort Deutschland für die Energieerzeugung muß gesichert und ausgebaut werden. Die Energiewirtschaft ist einer der wichtigsten Investoren der deutschen Volkswirtschaft, sie stellt qualifizierte Arbeitsplätze bereit, und sie hat im internationalen Vergleich einen hohen technologischen Stand erreicht.

  • So ist die Investitionsquote der Stromwirtschaft mit 9,5% mehr als doppelt so hoch wie dieser Wert im Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes.

  • So arbeiten in der Energiewirtschaft insgesamt rund 300.000 Menschen

  • So geht es bei der Energieerzeugung, -verteilung und -verwendung auch um Arbeitsplätze in den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, im Dienstleistungssektor und in der Bauwirtschaft.

Vor diesem Hintergrund müssen alle politischen Parteien und die Gesellschaft insgesamt an optimalen Rahmenbedingungen für die deutsche Energiewirtschaft interessiert sein.



ENERGIESTANDORT DEUTSCHLAND

These 16:

Im Rahmen der Diskussion um eine europäische Netzzugangs-Regelung muß die Chancengleichheit der deutschen Stromunternehmen am Markt gesichert werden.

  • So kann es nicht sein, daß wir den deutschen Markt noch weiter öffnen, während andere Länder noch nicht einmal die Mindestbedingungen der Binnenmarkt-Richtlinie zur Marktöffnung erfüllen.

[Seite der Druckausg.: 67]

  • So werden die bisherigen Tarifvorstellungen der Europäischen Kommission zum Netzzugang vor allem eines zur Folge haben: Der attraktive Verbrauchermarkt Deutschland kann von Portugal bis Schweden ohne Berücksichtigung der Transportkosten bedient werden.

  • So darf nicht sein, daß Wettbewerbsverzerrungen zu unseren Lasten entstehen, weil Umweltstandards und Steuern im europäischen Rahmen nicht harmonisiert sind.

In den europäischen Verhandlungen muß mit allem Nachdruck klargemacht werden, daß die Interessen und die Existenz der deutschen Stromwirtschaft nicht zur Disposition stehen. Anpassungslasten des Strukturwandels im Energiebereich dürfen nicht nur allein zu Lasten Deutschlands gehen.



ENERGIESTANDORT DEUTSCHLAND

These 17:

Die zunehmende internationale Verflechtung der Energiemärkte wird den Strukturwandel in Deutschland beschleunigen. Wie jeder Strukturwandel wird auch dieser unvermeidliche Anpassungslasten mit sich bringen.

  • So haben in der Vergangenheit Gewerkschaften, Unternehmen und Politik (etwa im Rahmen des Kohlekompromisses) vorgemacht, wie in gemeinsamer Verantwortung Strukturwandel sozialverträglich gestaltet werden kann. Kooperation ist dafür der Schlüsselbegriff.

  • So wurden nach Angaben der Gewerkschaften in den letzten vier Jahren 40.000 Arbeitsplätze in der Elektrizitätswirtschaft abgebaut. Dies ist die Folge eines Rationalisierungsprozesses zu Lasten des Faktors Arbeit, der im Strukturwandel notwendig sein kann, um als Branche insgesamt wettbewerbsfähig zu bleiben.

  • So entspricht es aber auch einer unternehmerischen und marktwirtschaftlichen Grundhaltung, wenn die Energieunternehmen, wie andere Branchen, im Modernisierungsprozeß neue Produkte entwickeln und neue Geschäftsfelder erschließen. Sie können damit neue Wertschöpfungsmöglichkeiten eröffnen, die Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.

Die Reaktion auf diese Herausforderung des Strukturwandels muß deshalb sein, die veränderten Rahmenbedingungen aktiv aufzunehmen, sie mehr als Chance für die Entwicklung neuer Wertschöpfungsmöglichkeiten denn als Hindernis zu begreifen.

Der Strukturwandel bleibt aber politisch nur gestaltbar, wenn die beteiligten Gruppen auch in Zukunft auf das Prinzip Kooperation setzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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