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TEILDOKUMENT:

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I. Die "digitale Revolution" als politische Herausforderung




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1. Ausgangslage

Die Industriegesellschaften befinden sich mitten in einem Prozess des tiefgreifenden gesellschaftlichen Strukturwandels, der Unsicherheiten und Ängste, aber auch große Erwartungen weckt. Im öffentlichen Bewusstsein wird dieser Strukturwandel verbunden mit Schlagworten wie „postindustrielle Gesellschaft„, „Informationsgesellschaft„ oder „Wissensgesellschaft„. Alle diese Begriffe machen deutlich, dass dieser Wandel mit Veränderungen zu tun hat, welche die Grundlagen unserer bisherigen technisch-industriellen Produktionsformen berühren und zu einer grundlegenden Neubewertung des Faktors „Information„ führen.

Der Faktor „Information„ prägte die Entwicklung der westlichen Gesellschaften während der letzten 500 Jahre entscheidend. Diese Entwicklung begann mit der Erfindung des Buchdrucks, setzte sich im letzten Jahrhundert fort mit der Erfindung von Telefonie und Telegrafie und mündete schließlich in die Einführung der elektronischen Massenmedien Radio und Fernsehen, die es ermöglichten, mit der Suggestivkraft von Ton und Bild unmittelbar und gleichzeitig ein unüberschaubares Millionenpublikum zu erreichen. Damit wurde nicht nur ein Instrument der Masseninformation, sondern zugleich der Massenbeeinflussung, -manipulation und –mobilisierung geschaffen, dessen ambivalente Möglichkeiten sich einerseits in der Demokratiebewegung, andererseits in den Diktaturen dieses Jahrhunderts manifestierten.

Das Wesensmerkmal all dieser Informationsmedien ist ihre Eingleisigkeit. Ausgehend von einer Quelle richten diese Medien ihre Botschaft – sei es in Gestalt von Presse oder Rundfunk – an eine grundsätzlich unbestimmte Vielzahl von Adressaten, eben ein Massenpublikum. Dieses ist stummer Rezipient des vom Veranstalter bzw. Verlag gestalteten Programms. Der Rezipient kann ein- oder ausschalten bzw. kaufen, aber nicht wirklich kommunizieren. Die Informationswege sind analog, d.h. an den jeweiligen Informationsmodus – den geschriebenen Text, die Sprache, das Bild – gebunden, und damit jeweils eigenständig und nicht austauschbar. Als unmittelbares akustisches oder visuelles Abbild des Originals ist die analoge Information zugleich „authentisch„, d.h. nicht oder jedenfalls nur sehr begrenzt veränderbar.

Das neue Informationszeitalter, dessen Anfänge wir derzeit erleben, hat seine Grundlagen in der Ablösung der analogen durch die digitale Informationsübertragung. Aufgrund der Zerlegung jeder Information in bits und bytes als die gemeinsame „Ursprache„, das heißt die Trägereinheit für Text, Sprache und Bild, werden die Informationswege austauschbar.

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Informationen, die in Art, Inhalt und Darstellungsform unterschiedlich sind, lassen sich miteinander verknüpfen, ja sogar synthetisch erzeugen. Dank der gleichzeitig stattfindenden, mit nahezu mathematischer Gesetzmäßigkeit verlaufenden Fortschritte auf den Gebieten der Speicher- und Übertragungstechnik sowie der Datenkompression lassen sich immer größere Informationsmengen in immer kürzerer Zeit übertragen, speichern und verarbeiten. Grenzen dieser Entwicklung sind nicht absehbar.

Die Digitalisierung erfasst alle Arten elektronischer Informationsübertragung, ganz gleich ob Rundfunk, Datenübertragung oder Telefonie. Mit der Verknüpfung dieser bisher eigenständigen Netze verschwimmen auch die Unterschiede zwischen Individual- und Massenkommunikation. Jede Art der Information kann zielgenau an individuell bestimmte Empfänger adressiert werden, die ihrerseits wieder Informationen absenden können. Absender und Empfänger werden austauschbar, das einseitig gerichtete Informationssystem wird zu einem echten interaktiven Kommunikationssystem.

Ausgehend von der angelsächsischen Diskussion und einschlägigen EU-Studien hat sich für diese Entwicklung die Bezeichnung „Konvergenz„ durchgesetzt. Der Begriff suggeriert, alle Arten von Informationssystemen und -netzen würden in einer einzigen Informationspipeline oder einem Daten-Highway zusammenfließen und über einen Einheitsterminal eingespeist bzw. sicht- oder hörbar gemacht.

Davon kann jedoch – zumindest auf absehbare Zeit – sicher noch keine Rede sein. Ausgehend von den bestehenden Punkt-zu-Punkt- bzw. Verteilnetzen für Individualkommunikation und Rundfunk wird es auch auf längere Sicht noch unterschiedliche Netze geben. Diese Netze werden jedoch durchlässiger und – möglicherweise über Hybridnetze (z.B. UMTS) – miteinander verknüpft, ebenso wie die Terminals – seien es Fernsehgeräte, PCs, Laptops oder Mobiltelefone –, die zwar für jeweils spezifische Zwecke entworfen werden, darüber hinaus jedoch für vielfältige Anwendungen offen sind. Zutreffender ist es daher, von „Vernetzung„ zu sprechen. In einer vernetzten Struktur wird es zwar noch Radio, Fernsehen, Presse und Telefonie sowie eine wachsende Vielfalt individueller geschäftlicher Datendienste (Electronic-Commerce) geben. Diese werden jedoch nur noch unselbstständige Teile eines übergreifenden Informations- und Kommunikationssystem (IuK-Systems) darstellen.

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2. Entwicklungstendenzen

Worin liegt nun die politische Bedeutung dieser „digitalen Revolution„? Welche Auswirkungen wird sie auf die Entwicklung unserer Wirtschaft und Kultur, auf das soziale Zusammenleben insgesamt haben? Eine umfassende, schlüssige Antwort ist heute sicher noch nicht möglich. Bestimmte grundlegende Tendenzen sind jedoch erkennbar und lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen:

  • Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist eine alle Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft durchdringende Schlüsseltechnologie. Sie kommt überall zur Anwendung, wo Informationen erfasst, verarbeitet und übertragen werden (können). Die An-

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    wendungsgebiete reichen also weit über den engeren Informationssektor hinaus. Sie betreffen Systeme der industriellen Fertigung und Prozesssteuerung, sämtliche informationsverarbeitende Sektoren im Dienstleistungsbereich (z.B. Verwaltung, Banken, Handel etc.) sowie das Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungswesen. Ähnlich wie z.B. die Bio- oder Gentechnologie bildet die IuK-Technologie keinen in sich geschlossenen wirtschaftlichen und technologischen Teilsektor, sondern führt zu strukturellen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt.

  • Je mehr die IuK-Technologien Wirtschaft und Gesellschaft durchdringen, desto mehr gewinnt der Faktor „Information„ an Bedeutung. Die durch menschliche Arbeitskraft geprägte Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts wird durch die „Informations- und Wissensgesellschaft„ abgelöst, in der herkömmliche Prozesse der industriellen Fertigung oder der routinemäßigen Informationsverarbeitung und -verwaltung weitgehend automatisiert werden. Der menschliche Arbeitseinsatz wird sich dementsprechend vorwiegend auf kreative Funktionen in Forschung und Entwicklung, auf Bereiche der Planung und Steuerung sowie auf persönliche Dienstleistungen konzentrieren.

    Daraus ergeben sich völlig neue Herausforderungen an die Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Dabei kann es sicher nicht allein darum gehen, den Menschen und die bestehenden sozialen Strukturen an die Technik anzupassen und die technisch-wirtschaftliche Sachlogik zum alleinigen Maßstab von Veränderungen zu machen. Vielmehr gilt es umgekehrt, sich auch darum zu bemühen, die Entwicklung so zu steuern, dass sie dem Menschen und einem befriedigenden, sinnerfüllten menschlichen Zusammenleben dienlich ist.

  • Das Potential der Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologie ist erst in Ansätzen erkennbar. Im Zuge der weiteren Ausweitung und Entwicklung werden eine Vielzahl neuer, heute noch unbekannter Anwendungsmöglichkeiten und Nutzungsformen entstehen. Es handelt sich um einen dynamischen, zukunftsoffenen Prozess, der sowohl auf der Anwenderseite als auch auf dem Hardware- und Infrastruktur-Sektor enorme Wachstumspotentiale beinhaltet.

    Die stärksten Wachstumskräfte liegen vermutlich nicht so sehr im Bereich der Medien als vielmehr auf dem Gebiet der geschäftlichen Kommunikation (E-Commerce), wobei gleichzeitig die Grenzen zwischen beiden Bereichen durch Dienste wie Teleshopping immer offener werden.

  • Innerhalb des Medienbereichs selbst führt die Digitalisierung einerseits zu einer enormen Erweiterung und Ausdifferenzierung der Angebote, andererseits zu einer allmählichen Auflösung der Grenzen zwischen den einzelnen Medien. Es entstehen neue Mischformen von audiovisuellen und Textdiensten und mit dem Ausbau interaktiver Netze eine neue Gemengelage von massenkommunikativen und individualisierten Angeboten. Fernsehen und interaktive Online-Systeme verknüpfen sich und werden zunehmend austauschbar. Der „Flaschenhals„ der Entwicklung wird ver-

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    mutlich weniger auf der Seite der Technik als beim „Content Engineering„, der Entwicklung von Programmen und Software, liegen.

    Mit dem Übergang zu digitalen Programmbouquets und der Einführung von Pay-TV und Pay-Per-View wird auch der Rundfunk sein Erscheinungsbild tiefgreifend verändern. Voraussichtlich wird sich ein weitgehend individualisierter Nachfragemarkt entwickeln, wo die heutige Funktion des „Programmveranstalters„ mehr und mehr durch die des „Programmvermarkters„ verdrängt wird und gleichzeitig neue Wertschöpfungsketten entstehen, in denen der Programmproduzent und der Rechteinhaber zentrale Rollen einnehmen.

  • Hand in Hand mit dem Ausbau der Rechner- und Übertragungsnetze und ihrer Verknüpfung durch weltumspannende Satellitennetze findet ein Prozess der Globalisierung des IuK-Systems statt. Raum und Zeit verlieren als Begrenzung immer mehr an Bedeutung. Die Vision Marshall McLuhans von der „Welt als globalem Dorf„ gewinnt zunehmenden Realitätsgehalt.

    Sinnbild dieser Entwicklung ist das Internet, über das theoretisch jeder mit jedem kommunizieren und Informationen von den entferntesten Rechnern abrufen kann. Menschliche Arbeit kann dezentralisiert und global verfügbar gemacht werden. In Sekundenbruchteilen können weltumspannende Finanztransaktionen und sonstige Geschäfte getätigt werden. Mit Hilfe dieser weltumspannenden Rechner- und Übertragungsnetze sind virtuelle Schulen und Universitäten, transnationale Unternehmen, Forschungs- und Planungsgruppen möglich.

    Die Globalisierung findet zunächst nur an der technisch-wirtschaftlichen Oberfläche unserer Gesellschaften statt. Die kulturellen Verschiedenheiten, die Unterschiede in Sprache, Lebensform und Wertordnung bleiben bestehen. Es ist eine offene Frage, ob die Globalisierung des IuK-Systems gesellschaftliche Unterschiede und Kulturbrüche abbauen oder verschärfen wird.

  • Der Chance größerer Selbstbestimmung in der „Wissensgesellschaft„ steht die Gefahr des Entstehens neuer Abhängigkeiten gegenüber. Mediale Information bedeutet fremdbestimmte Information. Auswahl und Aufbereitung dieser Information ist von Interessen bestimmt, die für den Einzelnen nur schwer durchschaubar, geschweige denn überprüfbar sind. Damit ist die Gefahr der Manipulation verbunden, die durch die Möglichkeit der digitalen Bearbeitung von Tönen und Bildern und der Erzeugung virtueller Bildwelten eine ganz neue Dimension erfährt.

    Hochentwickelte IuK-Systeme vermitteln Macht, beinhalten zugleich aber auch neue Störanfälligkeiten. Besondere Gefahren drohen auch im Bereich des Persönlichkeitsschutzes und der informationellen Selbstbestimmung.

  • Zwiespältig sind auch die Auswirkungen der IuK-Technologien auf die demokratischen Institutionen und Prozesse. Den Chancen erweiterter Information und verstärkter Partizipation der Bürger an öffentlichen Diskussions- und Entscheidungsprozessen steht die

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    Gefahr wachsender Manipulation und Meinungsbeeinflussung gegenüber. Diese Gefahr besteht nicht nur auf Seiten der Bürger, sondern auch der Politiker, die etwa durch E-Mail-Kampagnen, Blitzumfragen etc. einem erheblichem Meinungsdruck ausgesetzt werden können. Die repräsentative Demokratie kann zu einer Medien- und Stimmungsdemokratie entarten.



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3. Politische Herausforderungen

Die digitale Revolution stellt die politischen Institutionen und ihre Akteure somit vor völlig neue Herausforderungen. Folgende Aspekte dieser Entwicklung sind besonders hervorzuheben:

  • Unser gesamtes Rechtssystem ebenso wie die Funktionsweise unserer demokratischen Institutionen beruhen im Wesentlichen auf tradierten Kommunikations- und Medienstrukturen. Verträge bedürfen grundsätzlich der Schriftform und der handschriftlichen Unterzeichnung, Urkunden werden nur in körperlicher Form anerkannt, die politische Willensbildung vollzieht sich in Wahlen und Abstimmungen unter real anwesenden Personen, die parlamentarischen Institutionen leben vom unmittelbaren mündlichen Argumentationsaustausch im Parlament als zentralem Ort der politischen Auseinandersetzung. Die Nutzung des digitalen IuK-Systems, insbesondere des Internets, für den rechtsgeschäftlichen Verkehr erfordert daher eine grundlegende Überprüfung und Fortentwicklung unserer Rechtsordnung. Darüber hinaus werden sich auch die politischen und administrativen Institutionen der Frage ihrer Reformfähigkeit stellen müssen, um die Chancen der neuen digitalen Techniken zu nutzen.

  • Das digitale IuK-System erfasst und durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche. Im Bereich der Politik darf es daher nicht als sektorales Thema betrachtet werden, sondern als Querschnitts-Thema, das zahlreiche traditionelle Politikfelder gleichzeitig betrifft. Die Vernetzung des IuK-Systems auf der technischen wie auf der Anwendungs- und Wirkungsebene erfordert auch einen vernetzten politischen Denk- und Handlungsansatz. Ausgehend von übergreifenden politischen Zieldefinitionen gilt es, die verschiedenen politischen Handlungsfelder zusammenzuführen oder zumindest zu koordinieren und die Regelungsinstrumente zielorientiert aufeinander abzustimmen.

  • Die „digitale Revolution„ verläuft mit wachsender Dynamik. Die Entwicklung wird im Wesentlichen von Marktkräften bestimmt und ist in ihren Folgen noch weitgehend offen. Sie erfordert daher auf der politischen Ebene ein prozessorientiertes Denken, einen entsprechend weiten und offenen politischen Handlungsrahmen und ein flexibles Handlungsinstrumentarium.

  • Die Entwicklung der IuK-Technologien und ihre Auswirkungen haben eine globale Dimension. Soll dieser Prozess politisch gesteuert werden, muss der nationale politische Handlungsrahmen daher international erweitert werden. Die verschiedenen (nationalen und internationalen) Regelungsebenen und
    -instrumente müssen inhaltlich und funktio-

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    nal aufeinander abgestimmt werden. Die Europäische Union als transnationaler politischer Handlungs- und Rechtsraum mit unmittelbarer, originärer Normsetzungsbefugnis wird und muss dabei eine zunehmend wichtigere Rolle übernehmen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000

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