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TEILDOKUMENT:
Humankapital -weiterhin eine Stärke des Standort D? Positionen und Argumente Position 1: Der Standort D ist im internationalen Vergleich gut ausgestattet mit Humankapital. Das Qualifikationsniveau der deutschen Arbeitskräfte ist insgesamt sehr hoch. Der Anteil von un- und angelernten Arbeitskräften liegt bei nur etwas über 20% aller Beschäftigten. Dies ist ein wichtiger Aktivposten des Standorts Deutschland. Dahinter steht das deutsche Ausbildungssystem, das in mehrerlei Hinsicht international als vorbildlich gilt:
Ein weiterer Pluspunkt der deutschen Arbeitskräfte ist ihre hohe Kooperationsbereitschaft, sowohl was Einordnung in die vom Management vorgegebenen Betriebsabläufe als auch was Identifizierung mit der Arbeit" und Internalisierung von Qualitätsstandards etc. betrifft. Die hohe Qualität des Humankapitals am Standort D ist eine wichtige Voraussetzung für hohe Produktivität und für die Qualitätsprämie, die Produkte made in Germany" im Weltmarkt erzielen. Alles, was die Produktion" von Humankapital in Deutschland gefährden könnte, ist deshalb unter standortpolitischen Gesichtspunkten von äußerstem Übel. Hierzu gehören die Kürzung von Bildungsausgaben (z.B. unter dem Druck öffentlicher Haushaltsdefizite) und die Beschneidung von Ausbildungsmöglichkeiten (Lehrstellen!).
Position 2: Die Ausstattung des Standort D mit Humankapital weist beträchtliche Mängel in Schlüsselqualifikationen auf. Im Vergleich mit Japan z.B. ist der Standort D relativ schlecht mit naturwissenschaftlich-mathematisch-technischer Kompetenz ausgestattet. Statt dessen überwiegen Qualifikationen im organisatorischen, sozialen und kulturellen Bereich. Folglich sind die Voraussetzungen für Innovativität im Hochtechnologie-Bereich eher ungünstig. Die gegenwärtigen Qualitätsprämien", die deutsche Produkte auf dem Weltmarkt erzielen, verdekken insofern eine strukturelle Schwäche, die sich auf die Dauer immer stärker bemerkbar machen wird. Das deutsche Bildungssystem muß mehr darauf ausgerichtet werden, die von der Wirtschaft für die anspruchsvollen Jobs der Informationsgesellschaft nachgefragten Qualifikationen bereitzustellen. Demgegenüber muß der kulturelle Bildungsauftrag etwas zurückgestuft werden. Insbesondere die Hochschulen dürfen sich nicht vornehmlich als ein Ort begreifen, in dem über die Gesellschaft, ihren Zustand und die Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung reflektiert wird.
Position 3: Die Bildung von Humankapital ist am Standort D zu teuer und zu langsam. Äußerst lange Ausbildungszeiten im akademischen Bereich (Durchschnittsalter eines Hochschulabsolventen in Deutschland 28, in Japan 23 Jahre) verschlingen unnötig viele öffentliche Mittel, die anderen Zwecken verloren gehen. Unter dem Sparzwang der öffentlichen Haushalte tendieren sie dazu, die Ausbildungsqualität zu verringern (widrige Studienbedingungen). Außerdem führen sie dazu, daß Lebensalter-gebundene Dynamik- und Mobilitätsvorteile der Wirtschaft nur während einer geringen Zeitspanne zur Verfügung stehen. Sie begünstigen eine generelle Sklerosetendenz.
Position 4: Auf Humankapital kann sich die Wettbewerbsfähigkeit des Standort D immer weniger stützen. Die hohe Qualifikation der Arbeitskraft war bisher ein Eckpfeiler des deutschen Hochleistungsstandorts". Er begründete wesentlich jene Produktivitäts-, Qualitäts- und Innovationsvorsprünge, die der Weltmarkt mit Einkommensprämien belohnte. Inzwischen aber wird hochwertiges Humankapital anderswo zu wesentlich niedrigeren Löhnen verfügbar. Dadurch verliert das deutsche Humankapital tendenziell an (Knappheits-)Wert. Diese Tendenz setzt sich in dem Maße durch, wie die billigeren Ingenieure, Programmierer, Wissenschafter, Facharbeiter etc. an ihrem Heimatstandort in das Hochleistungssyndrom" der Industrieländer-Unternehmen inkorporiert werden können, Produktionsaktivitäten also dorthin ohne übermäßigen Effizienzverlust verlagerbar werden. Punktuell ist dies bereits zu beobachten. In dieses Bild fügt sich nahtlos die Beobachtung ein, daß es in Deutschland viele überqualifizierte Arbeitskräfte gibt, Produkte" eines Bildungs- und Jobzuweisungssystems, das aus verschiedenen - wirtschaftlich eher dysfunktionalen - Gründen einen gewissen Qualifikations-Mythos kultiviert.
Position 5: Das Humankapital ist in Zukunft immer weniger an den Standort D gebunden. Bis heute gilt die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Arbeitskräften für die diversen Produktionsaktivitäten als einer der wichtigsten Faktoren für die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes als Wirtschaftsstandort. Sie bildet eine entscheidende Voraussetzung für hohe Produktivität und für die Herstellung von Produkten, die auf den international umkämpften Märkten eine Qualitäts-" oder Innovativitätsprämie" in Form besonders hoher Preise erzielen. So gesehen ist Humankapital ein Mitgarant dafür, daß trotz internationaler Konkurrenz hohe Löhne gezahlt werden können, der Staat hohe Steuern erheben kann, strikte Auflagen zum Schutz der Umwelt möglich sind. In zunehmendem Maße gilt jedoch, daß gut ausgebildete Arbeitskräfte nicht um jeden Preis an ihren nationalen Herkunftsstandort gebunden sind (ebenso wenig, wie sie an den Ort ihres Elternhauses gebunden bleiben). Dieser Trend gewinnt u.a. an Bedeutung aufgrund einer zunehmenden politisch-gesellschaftlich-kulturellen Konvergenz innerhalb der westlichen Welt, insbesondere innerhalb Europas. Der Standort D konkurriert dann nicht mehr nur mit, sondern auch (wie Unternehmen) um Humankapital. Einkommenschancen spielen bei dieser neuen Art der Konkurrenz eine große Rolle. Sie sind um so besser, je dichter und dynamischer die Wirtschaftsaktivität und je höher demzufolge die Nachfrage nach Humankapital ist. Durch zunehmende Mobilität von Humankapital wird dessen Verfügbarkeit also immer mehr auch eine Konsequenz von Standortqualität. Florierende Standorte werden in zunehmendem Maße Humankapital von weniger florierenden abziehen. Die Bildung von Humankapital ist bis heute Teil der Vorsorge, die die Gesellschaft für ihren Wirtschaftsstandort zu treffen hat. Sie ist Teil der Investition in den nationalen Standort. Mobiles Humankapital wird jedoch andere Anforderungen an Standortfürsorge stellen. Seine nationale Produktion" wird leicht zur Subventionierung attraktiverer fremder Standorte, wie es z.B. der brain drain" aus der Dritten Welt zeigt.
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |