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Unzulängliche Unternehmensstrukturen? Positionen und Argumente

Position 1:

Der Weltmarkt stellt neue Ansprüche, denen viele deutsche Unternehmen mit ihren überkommenen Organisationsformen nicht gerecht werden.

Bislang ging man davon aus, daß auf dem Weltmarkt zwei unterschiedliche Strategien erfolgversprechend sind: Entweder ein Unternehmen strebte Kostenführerschaft an, oder es bemühte sich um Leistungsführerschaft
- entweder es bot standardisierte Produkte zum günstigsten Preis an, oder es bot Produkte an, die kein Konkurrent so ohne weiteres imitieren und für die es daher einen hohen Preis erzielen konnte. Die Stärke der deutschen Industrie lag in der Vergangenheit in der zweiten Gruppe - die Produkte des Maschinen- und Anlagenbaus, der Automobilindustrie, der elektrischen Industrie und anderer standen für die Leistungsführerschaft.

Heute jedoch geht es auf dem Weltmarkt immer weniger um Leistungs- oder Preiswettbewerb; denn Konkurrenten aus anderen Ländern können technologisch und qualitativ gleichwertige (oder sogar überlegene) Produkte zu günstigeren Preisen anbieten. Ein international wettbewerbsfähiges Unternehmen muß heute in der Lage sein, in vier Richtungen gleichzeitig zu optimieren: Effizienz, Qualität, Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit. Viele deutsche Unternehmen haben damit Probleme, weil sie überkommene Organisationsmuster aufweisen. Ihre Versuche, sich den neuen Erfordernissen anzupassen, waren deshalb vielfach unangemessen und scheiterten. Generell zeigt sich

  • eine Überbetonung von Technik gegenüber Organisation (z.B. bei der Verknüpfung von Entwicklung und Produktion mittels CAD/CAM und CIM, bei Rationalisierungs- und Flexibilisierungsstrategien, bei der Qualitätssicherung);

  • eine Überbetonung der Technik gegenüber der Wirtschaftlichkeit;

  • ein einseitiges Bestreben, Produktionszeiten zu verringern, aber nicht den ausufernden Zeitaufwand für Koordinierung (Vernachlässigung von organisatorischen Transaktionskosten);

  • eine Vernachlässigung des Qualifikations- und Kreativitätspotentials der Mitarbeiter.

Als Ergebnis der unternehmerischen Mängel liegt der Produktivitätsrückstand deutscher Unternehmen gegenüber den international führenden Konkurrenten in einigen Branchen (z.B. der Automobilindustrie) in der Größenordnung von 30%. In der Elektronikindustrie sind es sogar 42 - 51 %.

Aber deutsche Unternehmen stellen nicht nur zu wenig effizient her. Sie haben auch beim Absatz ihrer Produkte einige Defizite: Wenige deutsche Unternehmen sind wirkliche global players. Bei den meisten ist die Orientierung auf Europa zu stark, die Präsenz in Nordamerika hingegen unzureichend und in Ostasien minimal. Gerade in den schnell wachsenden Märkten Asiens verpaßt die deutsche Industrie viele Chancen.

Die fällige Umstrukturierung muß von den Unternehmen selbst geleistet werden. Der Staat kann diesen Prozeß allenfalls punktuell durch Unterstützung und Anreize fördern. Von Arbeitnehmerseite hingegen können sowohl Impulse als auch Widerstände kommen.

Fazit: Bei den Unternehmen ist forcierte Modernisierung angesagt.

Position 2:

Der Prozeß der Anpassung an die neuen Herausforderungen ist bei den deutschen Unternehmen bereits in vollem Gange.

Es ist normal, daß Organisationen auf stark veränderte äußere Bedingungen zunächst nicht angemessen reagieren. So fallen auch Unternehmen typischerweise gegenüber den Pionieren neuer Leistungsstandards zeitweilig zurück. Die Tendenz, zuerst einmal so weiterzumachen wie bisher, ist bei bislang erfolgreichen Unternehmen besonders stark ausgeprägt. Ein markantes Beispiel sind die amerikanischen Automobilhersteller, die auf die japanische Herausforderung über viele Jahre hinweg nur mit oberflächlichen Anpassungen reagierten. Bevor der Rahmen bestehender - und bislang bewährter - „kognitiver Paradigmen" verlassen wird, versucht man, auf den Feldern zu experimentieren, die das geltende Paradigma als „variabel" einstuft: neue Verpackung, neue PR-Konzepte, neue Produktmodelle, neue Herstellungstechniken. Grundlegenderes, wie z.B. Arbeitsablaufmuster oder gar Unternehmenshierarchien, stellt man (typischerweise) erst dann in Frage, wenn es nicht mehr anders geht. Es ist illusorisch, diesen - für sich genommen durchaus funktionalen - sozio-psychologischen Abwehrmechanismus ausschalten und organisatorische Anpassungsprozesse über ein bestimmtes Maß hinaus beschleunigen zu wollen. Die Prozesse sind langsam, aber sie finden dennoch statt.

Die Veränderungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten im Weltmarkt stattgefunden haben, sind so gravierend, daß man sich die Anpassung daran nur als langen, von vielerlei Irrwegen und Fehlschlägen gekennzeichneten Prozeß vorstellen kann. Die Diskussion über neue Unternehmensstrategien und -Strukturen ist Teil dieses Prozesses. Man sollte jedoch bei aller angemessenen Kritik an erkennbaren Unzulänglichkeiten nicht die Perspektive aus dem Auge verlieren, daß wir es mit einer Anpassungs-Dynamik zu tun haben und daß die meisten Defizite von heute nicht mehr die von morgen sein werden. Der generalisierte Vorwurf des „Managementversagens" wird bald der Vergangenheit angehören.

Fazit: Kein Handlungsbedarf, der nicht ohnehin unter den Dauerimperativ der fortwährenden Effizienzsteigerung fiele!

Position 3:

Zwar haben die deutschen Unternehmen begonnen, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Aber ihre Anpassungsfähigkeit stößt an strukturelle Grenzen.

Sicher setzt sich die Einsicht in neue Anforderungen an Arbeitsabläufe, Managementkonzepte und dergleichen immer mehr durch. Die deutschen Unternehmen sind heute bereits viel moderner als vor 10 Jahren. Aber es gibt Blockaden, die die weitere Modernisierung behindern und deshalb - bei aller Anerkennung des Zeitbedarfs für grundlegende Anpassungsprozesse - eine Bedrohung für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit darstellen. Diese Blockaden liegen im gesellschaftlich-kulturellen Bereich und in den gewachsenen Industriestrukturen selbst.

  1. Unternehmen sind nicht nur Organisationen zur Herstellung und Vermarktung von Produkten. Sie sind auch der Ort, wo für einen Großteil der erwachsenen Bevölkerung der soziale Status zugeteilt wird, und zwar nach einem immer noch recht hierarchischen Grundverständnis. Wenn effizientere Organisationsformen und Abläufe zur Statusbedrohung werden, treten Widerstände auf, die das Unternehmensmanagement allein kaum aufbrechen kann - zumal diese Widerstände bis ins Top-Management hineinreichen. Viele deutsche Unternehmen tun sich deshalb schwer mit einer Unternehmensorganisation,

    • die das Teamprinzip durchgreifend vor das Hierarchieprinzip stellt;

    • in der Kompetenzabgrenzungen entsprechend flexibel nach den jeweiligen Sachanforderungen vorgenommen werden;

    • in der Kommunikationsflüsse sich weitestgehend an Sach- und nicht an Machtkriterien orientieren;

    • die das Kreativitätspotential ihrer Mitarbeiter auf allen Ebenen nutzt.

  2. Die vorherrschend mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft, in der Vergangenheit oft als Stärke gepriesen, behindert viele notwendige Anpassungen an neue Marktkonstellationen. Mittelständlern fehlt häufig die Möglichkeit, in bezug auf Marktpräsenz und strategische Kooperation global zu agieren. Ihnen bleibt vielfach nur übrig, sich auf Europa zu beschränken. Dies führt zu Effizienznachteilen, die z.B. in der Nahrungsmittelverarbeitung ganz offensichtlich sind. Aber auch im Maschinenbau zeichnet sich eine zunehmende Bedeutung von Kostenvorteilen ab, die nur durch Fertigung im großen Stil erreichbar sind und die durch Qualitätsvorsprünge nicht umgangen werden können. Die einstmalige Stärke der mittelständischen deutschen Maschinenbauindustrie kommt hier nicht mehr zum Zuge. Andererseits lassen sich mittelständische Strukturen auch nicht ohne weiteres in großindustrielle umwandeln.

    Die gesellschaftlichen Strukturen, die der Unternehmensmodernisierung im Wege stehen, lassen sich wohl nur durch allmähliche Aufweichung ändern. Das Brechen von Tabus ist Teil dieser Aufweichung. Darüber hinaus müßte sozialer Status freilich auch irgendwie entkoppelt werden von herkömmlichen Karrieremustern.

    Auf der Ebene der Industriestrukturen läßt sich daran denken, bestimmte großbetriebliche Funktionen außerhalb der Unternehmen zu organisieren - sei es überbetrieblich, sei es staatlich. Die Nachteile der geringen Unternehmensgröße lassen sich so evtl. bis zu einem gewissen Grad kompensieren.

Fazit: Tabus brechen! Mangelnde Größe durch Hilfsstrukturen wettmachen!

Position 4:

Per Saldo sind die deutschen Unternehmen nicht schlechter als ihre ja panischen und amerikanischen Konkurrenten. Wie diese haben sie Schwachstellen und begehen sie strategische Fehler. Aber es führt in die Irre, aus einigen augenfälligen Mankos auf eine generelle Strukturschwäche zu schließen.

Der Blick der Öffentlichkeit ist zu stark fixiert auf einige publizitätsträchtige Fälle, in denen die deutsche Industrie vor allem gegenüber der japanischen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten ist. Dazu gehört das „Verpassen" der mikroelektronischen Revolution in den entsprechenden Grundlagenindustrien Halbleiter- und Computerherstellung (nicht jedoch in der Anwendung). Dazu gehört der anhaltende Produktivitätsrückstand der deutschen Automobilindustrie. Und dazu gehört die geringe Präsenz auf den asiatischen Märkten. Dabei wird übersehen, daß Unternehmen einem ständigen Zwang unterliegen, neue Marktchancen zu erschließen. Dies ist ein Suchprozeß, in dem immer wieder und überall auch strategische Fehler gemacht werden. Man sollte nicht den ganzen übrigen Bereich der deutschen Industrie übersehen, dessen Stärke sich immerhin in Jahr für Jahr ganz beachtlichen Weltmarktanteilen (trotz DM-Stärke!) manifestiert.

Fazit: Das Augenmerk auf die eigentlichen Standortprobleme konzentrieren!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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