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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 3]
Seit dem politischen Kurswechsel in den 80er Jahren wird der sozialstaatliche Gesellschaftsvertrag, der in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik einen Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit ermöglicht hat, schrittweise zurückgenommen. Er ist auch politisch aufgekündigt worden, denn die Bundesregierung zieht sich mehr und mehr aus der politischen Gestaltung der Rahmenbedingungen zurück. Unter den veränderten sozialen und ökonomischen Bedingungen, die von der Verschmelzung der Weltmärkte geprägt werden, hat sich - teils aus politischer Überzeugung, teils aufgrund der verschärften Wettbewerbszwänge - die Ideologie des Neoliberalismus durchgesetzt. Sie stellt bisherige Vereinbarungen, Normen und Sicherheiten in Frage. Neue Antworten und neue Wege für die soziale und ökologische Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft sind notwendig, um von neuem einen Gestaltungsrahmen für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Doch statt diese Herausforderung anzunehmen, kommen heute die globale Neustrukturierung der Ökonomie und die Stagnation in Politik und Gesellschaft zusammen. Statt die Herausforderungen aktiv zu gestalten, werden die Zwänge weitgehend hingenommen. Dabei ist unbestritten: Die Deregulierung der internationalen Währungs-, Finanz- und Produktionsmärkte, neue Wettbewerber und hohe Überkapazitäten auf den Weltmärkten, die globale Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung, große Rationalisierungsschübe durch umfassende Vernetzung und Beschleunigung mit Hilfe der Informationstechnologien sowie billige Transportkosten, die die wahren Kosten nicht annähernd berücksichtigen, haben den nationalen Gestaltungsspielraum der Politik eingeschränkt. Hinzu kommen ökologische Grenzen des Wachstums und wachsende Unterschiede in den sozialen Lebenschancen. Alles zusammen entzieht bisherigen Reformstrategien den Boden. Gestaltungsdefizite und neoliberale Politik verschieben das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Die Umweltpolitik wird als Kostenbelastung diskreditiert, statt ihre Chancen für Modernisierung und Erneuerung zu sehen. Denn in der Regel sprechen die volkswirtschaftlichen Grenzkosten deutlich zugunsten der ökoeffizienten Wirtschaftsweise. So vergrößern sich die Ungleichgewichte in Wirtschaft und Gesellschaft. Das Ergebnis von Deregulierung und Neoliberalismus ist verheerend: Weltweit mehr Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheit und eine tiefe Kluft zwischen dem Norden und großen Teilen des Südens der Erde. Im eigenen Land steigende Staatsverschuldung, strukturelle Innovationsschwäche, Niedergang vieler Klein- und Mittelbetriebe, Erosion der sozialen Sicherheit, [Seite der Druckausg.: 4] zunehmende Ausgrenzung sowie eine wachsende Belastung der Mittelschichten. Und in allen Ländern nehmen Ressourcenauszehrung und Umweltzerstörung zu. Dennoch heißt das neoliberale Programm unverändert: noch mehr liberalisieren und deregulieren, noch mehr Anpassung an die Zwänge der globalisierten Märkte. Dies führt immer tiefer in eine ausweglose Situation. Ein sich selbst überlassenes und zudem durch Konzentrationsprozesse erheblich gestörtes Marktsystem ist nicht in der Lage, die Bedingungen seiner eigenen Verwertungslogik zu ändern. Im Gegenteil: Mit der Verschärfung ungleicher Wettbewerbsbedingungen geraten soziale und ökologische Interessen immer stärker in die Defensive. Das gilt besonders für den Umwelt- und Naturschutz, die keinen Anwalt im Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit haben. Mit der Globalisierung der Wirtschaft nehmen die Koordinierungs- und Gestaltungsaufgaben der Politik, um die Gesellschaft im Gleichgewicht zu halten und einen Interessenausgleich zwischen Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen, sogar weiter zu. Der private Charakter des Marktaustausches ist endgültig vorbei. Für die Durchsetzung gesellschaftlicher Ziele wie Klimaschutz, Zukunftsfähigkeit oder die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen bedarf es des Primats der Politik. Eine Verlängerung heutiger Trends ergibt keine gute Zukunft mehr, sondern führt in eine sich wechselseitig beschleunigende Abwärtsspirale. Die wirtschaftlichen Instabilitäten, sozialen Konflikte und ökologischen Gefahren müssen in einem engen Zusammenhang mit unserer Art zu produzieren und zu konsumieren gesehen werden. Sozialstaat und Umweltschutz sind keine Gegensätze zur Ökonomie, im Gegenteil: Eine zukunftsfähige Wirtschaft braucht soziale und ökologische Leitplanken. Sie dürfen nicht gegen kurzfristige wirtschaftliche Verwertungsinteressen ausgespielt werden. Die großen Chancen der ökologischen Modernisierung werden heute nicht genutzt. Die Umweltpolitik hat an Bedeutung verloren, sie wird von vielen nicht als Motor für Modernisierung, sondern als teurer Reperaturbetrieb gesehen. Die Bundesregierung mißachtet die im Grundgesetz verankerte Verantwortung für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Statt politischer Entscheidungen, setzt sie auf Selbstverpflichtungserklärungen, die hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Auch sind die behaupteten komparativen Vorteile dieser "neuen Instrumente" nirgendwo zu belegen. Der Arbeitskreis "Produkte der Zukunft" plädiert dafür, die ökologische Modernisierung zum Ansatz, Motor und Ziel für einen neuen Aufbruch zu sozialem und ökologischem Wohlstand zu machen. Es liegt an den politischen Rahmensetzungen und der Motivierung der Menschen, ob die Chancen aus der dritten industriellen Revolution und der zunehmenden Globalisierung von Wirtschaft, Informationen und Kulturen genutzt werden. Auch wer Bewahrenswertes erhalten will, muß heute zu grundlegenden Reformen bereit sein. Ein neuer sozialer und ökologischer Gesellschaftsvertrag ist notwendig. Er schafft die Grundlagen für eine neue Verständigung [Seite der Druckausg.: 5] und für einen neuen Interessenausgleich. Das ist eine entscheidende Voraussetzung, um die Jahrhundertaufgabe der ökologischen Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich zu bewältigen. Der Arbeitskreis legt mit dieser Publikation ein Grundlagenpapier vor: Der Teil A beschreibt unsere Überlegungen für eine realitätstaugliche Strategie der ökologischen Modernisierung, der Teil B listet Beispiele und Anwendungsfelder auf. Anregungen und Kritik sind willkommen und erbeten. Michael Müller, MdB [Seite der Druckausg.: 6 = Leerseite] [Seite der Druckausg.: 7-8 = Inhaltsverzeichnis © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000 |