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TEILDOKUMENT:
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1. Gemeinwohlorientierung oder Interessenbindungen
Ministerien sind Organisationen mit eigenen Einflüssen und eigenen Steuerungsinteressen. Sie sind grundsätzlich dem Gemeinwohl verpflichtet, das jedoch konkret immer in Form von Kompromissen zwischen Partialinteressen daherkommt. Dabei sind die Einflüsse der einzelnen am Entscheidungsprozeß beteiligten Gruppen sehr unterschiedlich. Je nach ihrer Organisations- und Artikulationsfähigkeit entfalten sie einen mehr oder weniger starken Druck auf die politische Entscheidung. Aus unvermeidbaren Parteilichkeiten im politischen Prozeß können jedoch ausgesprochene Verzerrungen entstehen. Sie sind vor allem dort zu beobachten, wo kleine Interessengruppen (Berufsgruppen, Wirtschaftszweige), gestützt auf eine sehr starke Organisation und verstärkt dadurch, daß ihre Stimmen eine Schlüsselbedeutung in zahlreichen Wahlkreisen erhalten können, sehr weitgehende Maßnahmen zugunsten ihrer Mitglieder fordern, ohne dabei auf die Ausgewogenheit zu achten. Statt Wirksamkeit oder Relevanz der Ziele wird ausschlaggebend, inwieweit wichtige Gruppen zufriedengestellt werden können. Die Politik präsentiert dann nicht selten Scheinlösungen, weil große Gruppen das, was andere als Mißstand ansehen, als unvermeidbar hinnehmen wollen oder weil sie daraus sogar Vorteile ziehen. Scheinlösungen als Folge von konfliktreichen Interessen sind ein wiederkehrendes Phänomen. Das Problem solcher Einflußverzerrungen in der Politik ist Gegenstand einer Flut von Analysen der Politikwissenschaft oder auch der New Political Economics. Stellvertretend sei hier auf Ohlsons Aufstieg und Fall der Nationen" verwiesen, der in breiter Analyse darstellt, daß in alten Demokratien eine Vielfalt hochspezialisierter Interessen auf die Politik einwirkten, um die Wohlfahrt und das Einkommen der Mitglieder der jeweils gut organisierten Gruppen durch politische Maßnahmen (nicht durch eigene Leistungssteigerung), nach Möglichkeit auch durch Verringerung des Wettbewerbs, zu Lasten des Staatsbudgets oder zu Lasten der Nachfrager ihrer Leistungen zu erhöhen. Eine Bürokratie kann sich aktiv an diesem Machtspiel beteiligen und in Allianz mit solchen Gruppen eigenen Einfluß gewinnen und damit im Ergebnis zum Lobbyisten für Gruppeninteressen werden. Nehmen solche Interessensallianzen zu, dann geht die Qualität der Beratung durch Ministerien zurück. Die Fachbürokratie wird zum Parteigänger und verliert ihre Fähigkeit, sich abwägend und ausgleichend an der politischen Diskussion zu beteiligen, weil sie nicht mehr versucht, alle Interessen und betroffenen Ziele unabhängig von der Artikulationsfähigkeit der beteiligten Gruppen einzufangen, sondern sich auf ein Interessenspiel einläßt, in dem die eigene Kontaktklientel bevorzugt wird. Als Ergebnis werden dann nicht Leistungswettbewerb gefördert oder Verteilungsziele nach Dringlichkeit bearbeitet. Auch die Bürokratie bringt frühzeitig eigene politische Opportunitätsziele ein, deren Kriterium eher ein bequemes Leben und weniger nüchterne Präsentation der Betroffenheiten und Dringlichkeiten aller Beteiligten sind. Damit werden Privilegien geschützt oder auch Enklaven des Wettbewerbsschutz aufrechterhalten. Es läßt sich zeigen, daß eine große Zahl staatlicher Interventionen letzten Endes spezielle Gruppen vor einem Leistungswettbewerb schützen und immer wie- [Seite der Druckausg.: 32] der Konsumentinteressen gegenüber Produzenteninteressen zurückstellen. Die Bürokratie ist Teil dieses Machtspiels. Man darf ihren Einfluß nicht überschätzen. Aber sie hat jeweils die Chance, die nicht repräsentierten und gut organisierten Interessen im politischen Konkurrenzkampf bewußt zu berücksichtigen und ihre Positionen gleichgewichtig darzustellen. Die Bürokratie wird hier zum Vollzugsorgan für Nichtvollziehbarkeiten. Die Reaktionen der beteiligten Ministerialbeamten sind unterschiedlich.
Die Ministerialbürokratie ist für eine hinreichende Qualität öffentlicher Maßnahmen in solchen Fällen nicht verantwortlich. Es stellt sich die Frage, ob in solchen Situationen Bürokratie eine autonome Aufklärungsmöglichkeit wahrnehmen kann, indem nachprüfbare und nachvollziehbare Wirkungsanalysen präsentiert werden, auch dort, wo Politik solche Analysen nicht wünscht. Allerdings darf man nicht erwarten, daß neutrale" Bürokratien durch einseitige Artikulation und Durchsetzungsfähigkeit geprägte politische Prozesse regelmäßig korrigieren können. Ministerien sind Teil dieses politischen Prozesses und können seine Verzerrungen und Verwerfungen durchaus verstärken. Ob sie ein Gegengewicht, insbesondere ein die Öffentlichkeit aufklärendes Gegengewicht bilden, hängt unter den gegenwärtigen Bedingungen eher von Zufällen ab. Es bleibt zu prüfen, wie ein höheres Engagement für die Sache" und gleichzeitig eine stärkere Verpflichtung zur Neutralität erreicht werden können. Bürokratien können jedoch keine Ersatzopposition sein. Sie können kritische Wirkungsanalysen vorlegen, die sich auf allgemein anerkannte Ideen beziehen. Sie können Informationen bereitstellen, die politische Kontroversen aufhellen. Solche Beiträge können angesichts einer oft erheblichen Orientierungslosigkeit und Faktenunsicherheit in der öffentlichen Diskussion Verbesserungen bringen.
2. Zur Rolle von Ministerien im politischen Prozeß
2.1 Langfristorientierung
Es gibt typische Stärken, die sich aus der Stabilität und Langfristorientierung der Ministerien ergeben. Der politische Prozeß ist durch sehr kurzfristige Orientierung und durch eine Dominanz der aktuellen Ereignisse, durch ständige Krisen, Aufregungen und Verschiebungen der Machtkonstellationen gekennzeichnet. Dabei stehen Politiker vielfach unter dem Druck, auf akute Krisen und Schwierigkeiten mit rasch wirkenden oder einfach nur spektakulären Maßnahmen zu reagieren. Wenn unter dem hohen Zeitdruck keine entsprechenden Maßnahmen verwirklicht werden können, kommt es auch zu Scheinlösungen. Bürokratie hat demgegenüber eher die Tendenz zur Langfristorientierung und die stärkere Neigung, die Wirksamkeit von Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen. Bürokraten müssen nicht wieder gewählt werden. Sie sind an Scheinlösungen kaum interessiert. Es sei denn, sie sonnen sich in der hohen Aufmerksamkeit, von denen ihr Arbeitsfeld in Perioden hektischer Forderungen nach Maßnahmen erfaßt wird. Insofern ergeben sich durch die Distanz zur Hektik der Politik und durch die Unabhängigkeit gegenüber dem politischen Konkurrenzkampf [Seite der Druckausg.: 33] typische Orientierungen, die den Verzerrungen im politischen Prozeß z. T. entgegenwirken. Ihr Organisationsinteresse zielt darauf ab, technisch saubere" Lösungen zu realisieren. Allerdings fehlt auch hier ein systematisches Kosten-Nutzen-Denken, wenn man von dem Wunsch absieht, die eigenen Verwaltungsstränge, z. B. die Finanzverwaltung, gegen Überforderungen zu schützen. Auch von daher ergibt sich ein Gegengewicht gegen Lösungen, die lediglich Stimmen bringen, Konsens stiften oder befrieden, ohne real große Bedeutung zu haben. Welche der Faktoren im Einzelfall die Oberhand behalten, läßt sich theoretisch nicht darstellen. Hier spielen oft Zufälligkeiten der personellen Konstellationen eine Rolle.
2.2 Politische Zuarbeit = ständige Hektik
Bei der Reform der Ministerien müssen auch die konkreten alltäglichen Arbeitsbedingungen politiknaher Betätigung realistisch ins Kalkül gezogen werden. Der politische Prozeß ist
Ministerien sind sehr stark in den politischen Prozeß eingebunden. Sie haben Vorbereitungsfunktionen. Das bedeutet:
Man muß diese Bedingungen berücksichtigen, wenn es darum geht, die Art und den Umfang der Kapazitäten und das Ausmaß der Flexibilität festzulegen, die in den einzelnen Ressorts verfügbar sein müssen. Es darf nicht unterschätzt werden, wie wenig Zeit für typische Lösungen im Ministerienalltag oft zur Verfügung steht. Nicht selten kommt ein Koalitionsausschuß oder ein Vermittlungsausschuß in einer kurzfristig einberufenen Nachtsitzung zusammen. Unter Zeitdruck kommen politische Kompromisse zustande, die dann in Stunden in Gesetzesnovellierungen, Programmtypen oder Grundsatzpapiere umgesetzt werden müssen. Die Folgen und Konsequenzen für unterschiedliche Bereiche sind ad hoc zu bewerten. Aus all dem folgt, daß Ministerien gleichsam Wissen auf Vorrat erarbeiten und vorhalten müssen. Der Zuständige für ein bestimmtes Fachgebiet muß möglichst alle Bereiche sei- [Seite der Druckausg.: 34] ner Zuständigkeit ständig systematisch erfassen, durchkneten" und nach Möglichkeit präsent haben. Ein guter Referatsleiter beobachtet die politische Diskussion genauso wie die strukturellen Veränderungen, die sich in Statistiken niederschlagen. Er muß die Wirkungsweisen bestehender Regelungen abschätzen können, muß wissen, welche Verwaltungskapazitäten wo mit welchen Reserven und Fähigkeiten eingesetzt werden können bzw. einsetzbar sind. Wer erst anfängt zu denken und zu analysieren, wenn neue politische Entscheidungen gefällt sind, kommt mit Sicherheit zu spät. Daraus folgt, daß Phasen der relativen Entlastung von politischem Druck intensiv für die Erarbeitung solchen Vorratswissens" genutzt werden müssen. Ruhezeiten können und sollten als Zeit des Auftankens für Wissensreserven genutzt werden.
2.3 Lähmung der Arbeit durch eine Politik ohne Ergebnisse
Immer wieder erfreut sich Max Webers Hinweis, daß Politik ein Bohren dicker Bretter" bedeute, großer Beliebtheit. Für die beteiligten Beamten bedeutet dies oft ein ermüdendes Arbeiten am gleichen Thema ohne Ergebnis. Viele Referatsleiter können ein Lied davon singen, daß schon ihre Vorgänger Novellen und Konzeptionen entwickelt, umformuliert oder neu formuliert haben, ohne daß jemals ernsthafte Entscheidungen zustande kamen. Viele politisch dringliche oder sinnvolle Maßnahmen können auf eine lange Geschichte gescheiterter Versuche zurückblicken. Allerdings gibt es auch Sternstunden, wo nach 10 oder 20 Jahren der Debatte plötzlich eine Konstellation entsteht, in der eine Veränderung möglich wird. Die Ministerialbeamten, die vor Jahren erste Reformvorschläge und Konzepte formulierten, sind dann oft längst in Pension. Ihre Enkel" bauen auf ihren Vorarbeiten auf, wenn sie sie noch zur Kenntnis nehmen. Auch Bürokratien haben kein unendliches Gedächtnis. Viele Themen werden von einer neuen Generation von Beamten neu entdeckt, neu erfunden, neu formuliert und neu analysiert. Die Dauer des Prozesses insgesamt ist für die Qualität der Lösung allerdings nahezu unbedeutend. Man muß eher befürchten, daß langfristig eingefahrene Diskussionsgleise innovatives Denken erschweren und neue Reformansätze behindern. Für die Bürokratie ergibt sich in solchen Konstellationen die Aufgabe, Diskussionserfahrung kondensiert aufbereitet bereitzuhalten, zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen und ihre Rückwirkungen auf die möglichen Maßnahmen aufzubereiten und zu analysieren.
3. Der Einfluß der politischen Leitung auf die Qualität der Ministerien Beziehungen zwischen Minister und Ministerium
3.1 Parteipolitik und Bürokratie, kritische und meist loyale Kooperation
Minister kommen und gehen; die Beamten bleiben. Dieser Sachverhalt verweist auf ein gewisses Dilemma. Beamte müssen bereit sein, für unterschiedliche Personen und Politiken loyal mit vollem Engagement zu arbeiten und sollen sich dabei selbst treu bleiben. Man könnte diese Loyalität zu wechselnden Personen und Politiken als einen strukturellen Opportunismus" negativ apostrophieren. Tatsächlich sind die Verhältnisse komplizierter. So läßt sich fast jede neue Politik nicht so umsetzen, wie es in Parteiprogrammen zu lesen ist. Die Beamten schleifen parteipolitische Ecken und Kanten oder auch Auswüchse ab, weil sie automatisch zu Repräsentanten der bisherigen Politik werden und weil sie das Einpassen neuer Maßnahmen in schon geregelte und durch historische Politiken mit Interessen und Umsetzungsengpässen vorgeprägte Wirklichkeit technisch bewerkstelligen müssen. Aus dieser Rolle heraus können sie sich mit der Aufgabe einer neuen parteipolitisch geprägten Politik, deren Grundrichtung ihnen vielleicht fremd ist, dennoch identifizieren, weil sie zu Anwälten von Kontinuität und zu Zuständigen für den möglichst reibungslosen Einbau neuer Politik in bestehende Systeme werden. Eine konstruktive Kooperation entsteht in der Regel auch deshalb, weil neue Politik aus der [Seite der Druckausg.: 35] Sicht der Beamten niemals eindeutig gut oder schlecht ist. Neue Politik bringt immer auch Innovationen nach längeren Perioden der Innovationsdefizite. Fachleute können neuen Strategien zumindest eine technokratische Faszination abgewinnen, weil es darum geht, die neuen Maßnahmen in ein komplexes Umfeld zu implantieren. Die Öffentlichkeit ist dabei geneigt, die überbetonten Unterschiede im Parteiprogramm für bare Münze zu nehmen. Da wird von Freiheit statt Sozialismus" geredet, wenn de facto nur begrenzte Korrekturen vorgenommen werden. Da werden Wenden propagiert, wenn es um kleine Veränderungen geht. In der Wirklichkeit kann man deshalb von einer grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft der Ministerien gegenüber wechselnden Personen und Politiken ausgehen, ohne dies als Zeichen von mangelndem Rückgrat interpretieren zu müssen. Das Zusammenspiel zwischen politischer Leitung und Fachabteilungen wird auch dadurch geprägt, daß beide aufeinander angewiesen sind. Minister brauchen um erfolgreich zu sein das Fachwissen der Bürokratie. Die Ministerien ihrerseits brauchen die Minister zur Durchsetzung fachlicher Ziele. Diese Situation ähnelt fast schon einem bilateralen Monopol. Dabei befinden sich neue Minister in großen Ressorts oft in einer schwachen Situation, weil sie aus dem Stand heraus in technisch komplizierten Bereichen, zu denen sie bisher kaum Vorstellungen entwickelt hatten, Konzeptionen formulieren und vertreten müssen. Sie können dann vorliegende Argumentationen übernehmen und sich des Beifalls ihres Fachpublikums meist sicher sein. Man kann in den ersten Reden neuer Fachminister vielfach feststellen wie klassische Konzeptionen der Fachabteilungen fortleben. Diese partielle Abhängigkeit der Minister ist nicht unbedingt negativ zu beurteilen. Das in Ministerien geronnene Wissen, die etablierten Wirkungshypothesen, die in Jahren gefundene Interessensbalance stellen einen Wert dar. Politiker, die ein Ressort neu übernehmen, können ihre" Fachbereiche weiterentwickeln und, aufbauend auf den bisherigen Politiken, Innovationen in Gang setzen.
3.2 Neue Politiken stellen besondere Anforderungen an die Qualität der Leistungen
Alte Politiken sind häufig ausgebrannt, in ihrer Wirkung reduziert und entwertet. Sie genügen neuen Anforderungen nicht mehr. Dabei gibt es nach Jahren des Stillstandes oft Schübe der Veränderungen. Das auf der Stelle Treten" ist oft ohne lange Vorwarnungen beendet. Neue Politiken sind dann nicht nur abgewandelte Fortsetzungen bisheriger Strategien. Solche Veränderungen sind meist mit einem politischen Wechsel an der Spitze der Ministerien verbunden. Personalwechsel ist häufig die Voraussetzung für Innovationen. Dabei muß dieser Wechsel nicht unbedingt mit einem Parteiwechsel verbunden sein. In Perioden der politischen Innovationen sind technokratisch hochqualifizierte Bürokratien besonders wichtig, weil gerade der Start neuer Politiken ohne einen ausreichenden technokratischen Unterbau in der Regel nicht gelingt. Es gilt die Regel: Gerade Politikeuphorie in Phasen innerer Reformen und neuer Strategien braucht eine nüchterne Bürokratie. Allerdings leidet die Qualität der Arbeit der Ressorts, bezogen auf die Innovationsanforderungen, wenn es den Beteiligten nicht gelingt, sich aus den traditionellen Loyalitäten und festgefahrenen Meinungen und Instrumentenvorstellungen zu befreien. Dort, wo Kontakte und Interessenverflechtungen zu eng geworden sind und politische Innovationen neuer Minister durch viele kleine Tricks, durch Unterstützung von Gegeninteressen, durch Zusammenspiel mit Medien oder auch mit der Opposition ersticken, bleibt nur der Weg eines drastischen Personalaustauschs. Es gehört zur Kunst der Politiker, herauszufinden, in welchen Bereichen sie Interessen- und Fachachsen zerbrechen müssen und wo eine konstruktive Kooperation und Weiterentwicklung möglich und sinnvoll ist. Dabei stehen Minister in der Regel nicht allein. Hier kommt den Ministern meist zugute, daß keine Organisation völlig homogen ist:
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bisher nicht zum Zuge kamen. Man kann sich fast immer auf abweichende Fachmeinungen stützen. Dennoch ist die Qualität der Leistungen nach einem politischen Wechsel oder bei Personenwechsel bzw. bei einem Versuch, neue Politiken zu starten, nicht automatisch gesichert. Ministerien sind immer Organisationen mit Eigengewicht, Eigeninteressen und eigenen Einflußmöglichkeiten. Dies kann zu einer hohen Qualität der Leistung gegenüber der jeweiligen Leitung führen, allerdings auch zu Verwerfungen und Verzerrungen, die bei der Formulierung und Umsetzung neuer Politiken hinderlich sind. Schübe von politischen Innovationen, die auch hohe technische Innovationen erfordern, haben sich in der letzten Zeit in der Abfallwirtschaft und in gewissem Umfang in der Energiepolitik ergeben. Auf der kommunalen Ebene hat die Welle der Privatisierungen und der starken Produkt- statt Inputorientierung zu drastischen Veränderungen geführt. Solche Situationen sind die Stunde einer Politik, die selbst über technokratisches Wissen verfügt, um wesentliche Weichenstellungen für neue Umsetzungsstrategien zu treffen. Solche Situationen können aber auch die Stunde einer engen Kooperation zwischen Politik und (traditioneller) Bürokratie sein, die ganz unabhängig von den politischen Zielen von der technokratischen Aufgabe der Gestaltung neuer Bereiche fasziniert ist. Der Fall einer innovationsfeindlichen Bürokratie ist genauso typisch wie der Fall euphorischer, mit überzogenen Erwartungen ausgestatteter politischer Innovationen, die in der Wirklichkeit nicht das halten, was versprochen wurde. Zwar ist überzogene Euphorie beim Start neuer Politik fast unvermeidbar, weil sie sonst nicht durchsetzbar wird. Dennoch ist die nüchterne und ernüchternde kritische Analyse von Bürokratien jeweils als Gegengewicht nützlich. Die Grenze zur bornierten Blockade ist dabei nicht leicht zu ziehen. Es ist eine der spannendsten Aufgabe für Politiker, relevante skeptische Argumente vom bloßen, sturen Beharrungsvermögen zu unterscheiden. Bürokratien, die Politiken kommen und immer wieder scheitern sahen, bewahren gegenüber der üblichen politischen Euphorie eine kritische Distanz. Eine erfahrene Ministerialbürokratie kann schon früh zum Euphoriekiller werden. Dies wird von Parteipolitikern vielfach als kritische Gegnerschaft oder Ablehnung interpretiert. Oft wird jedoch nur die Routine erfahrener Pragmatiker sichtbar, die wissen, wie gutgemeinte Innovationen zwischen den Mühlsteinen der praktischen Anwendungszwänge zerrieben werden. Eine erfahrene Bürokratie wird Adaptionsreformen schon in die erste Lösungsrunde" einbauen und spätere volkswirtschaftlich und politisch teure Adaptionen vermeiden helfen. Nicht selten übersteigt der Steuerungsanspruch neuer Politiken die Kapazitäten der Verwaltung und die Regelungsfähigkeit. Politiker reagieren dann fast mit Empörung, wenn man ihre Euphorie mit dem Hinweis auf ökonomische Disziplin, Sparsamkeit, Effektivität, Verständlichkeit und Einfachheit der Regeln dämpfen will. Später, wenn die Kosten explodieren, kommt es dann zu typischen Phasen der Adaption, in denen die Leichtfertigkeiten der euphorischen Startphasen wieder korrigiert werden. Aus der Sicht der Politiker wird die Funktion von Bürokratie bei politischen Innovationen vielfach als lähmend, als behindernd oder sogar als destruktiv angesehen. Es ist sehr schwer, hierzu allgemeine Urteile zu formulieren. Insbesondere ist es nur im Einzelfall möglich zu verdeutlichen, wo Bürokratie überzogene Euphorien gedämpft hat oder wo ein stures Beharrungsvermögen die Innovationspotentiale unterschätzte und die Dringlichkeit von Innovationen aufgrund einseitiger Erfahrung nicht zur Kenntnis nahm. Ein Zusammenspiel, das bei politischen Innovationen zu Qualitätsverbesserungen der Maßnahmen führt, kann nicht allgemeingültig beschrieben werden. Politiker müssen mit der [Seite der Druckausg.: 37] kritischen Skepsis der Bürokratie konstruktiv umgehen können. Die Bürokratie darf kritische Skepsis nicht in bornierte Blockade umschlagen lassen. Die Chancen für eine konstruktive Kooperation sind jedoch hoch, weil beide Seiten an einem Erfolg interessiert sind.
3.3 Parteipolitische Personalpolitik eine Ursache von Qualitätsverschlechterungen?
Ministerien sind in der Regel Organisationen der Selbstrekrutierung. Neue Mitarbeiter werden durch die Fachabteilungen zusammen mit den Personalreferaten eingestellt. Immer häufiger spielen bei solchen Einstellungen aber auch politische Motive eine Rolle. Die Minister oder auch die politischen Beamten nehmen auf Einstellungen, vor allem in Schlüsselbereichen, Einfluß, indem Parteigänger des Ministers mit Vorrang in solche Schlüsselpositionen gebracht werden. Über die quantitative Relevanz solcher Praktiken gibt es keine verläßlichen Daten. In fast allen Ressorts hört man jedoch Klagen über die ständig zunehmende Parteiwirtschaft. Dem stehen immer wieder Beispiele gegenüber, daß parteilose Ministerialdirektoren oder Staatssekretäre, die ihre Karriere unter verschiedenen Ministern, oft unterschiedlicher Parteien, gemacht haben, bei ihrer Pensionierung darauf verweisen, daß man auch ohne Parteibuch Karriere machen könne. Vor allem in kleinen Ressorts, in denen Minister häufig wechseln, entsteht die Schwierigkeit, daß ehemalige Pressesprecher oder persönliche Referenten nach dem Ausscheiden des Ministers im Ressort versorgt werden müssen, was zu erheblichen Verwerfungen führen kann. Man kann davon ausgehen, daß die Erwartungen an die Funktionsfähigkeit der eigenen Parteigänger vielfach überzogen sind. Nicht selten fehlt es an Fachkompetenz, die erst allmählich erworben wird. Dort, wo Fachkompetenz aufgrund ähnlicher vorangegangener Tätigkeit vorliegt, sind Unterschiede zu den traditionellen Laufbahnbeamten gering. Im besten Fall bleibt die Qualität der Ministerien durch Einstellungen und Parteibuchbeförderungen weitgehend unbeeinflußt. Im negativen Fall entstehen Küchenkabinette und informelle Informationsstränge vorbei an den offiziellen Hierarchien und im extremen Fall Günstlings- und Vetternwirtschaft mit problematischen Folgen. Loyalität zur politischen Leitung wird dann oft wichtiger als die fachliche Qualifikation. Entwicklungen dieser Art sind immer wieder kritisiert worden. Sie sind eher Zeichen einer wachsenden Unsicherheit der Minister gegenüber der ständig komplexer gewordenen Aufgabe ihrer Ressorts. Durch das Einstreuen der Vertrauensleute soll das unbekannte Ministerium heimatlicher, bekannter, steuerbarer, transparenter und kontrollierbarer werden. Personen, mit denen man politisch übereinstimmt, sollen sicherstellen, daß die eigenen politischen Ziele auch dort zur Geltung kommen, wo Minister in der Regel nicht präsent sein können. Dabei dürfte sich zeigen, daß eine offene Kooperation, eine direkte Auseinandersetzung mit den Fachabteilungen in der Regel zu einer hohen Loyalität führt. Wer in der Lage ist, dieses Wissen und die hohe Leistungsfähigkeit der Kapazitäten zu nutzen, wird auf loyale, konstruktive und effiziente Zuarbeit stoßen. Parteibuchmitarbeiter werden weniger gebraucht als viele Minister annehmen. Immer mehr gebraucht werden technokratische Fähigkeiten, denn der Anteil politischer Mißstände, die auf technokratisch unzureichend untermauerte Politiken zurückgeht, dürfte eher zunehmen. Gerade in Politikfeldern, die sich neuer Wertschätzung erfreuen (wie Abfallwirtschaft oder Naturschutz), hat sich gezeigt, wie schwierig es ist, politische Innovationen wirklich funktionsfähig zu gestalten. Die Erfahrungen mit größeren Innovationsschüben in der Politik zeigen, wie schwer neue Bereiche technisch sauber organisierbar sind. Der Datenschutz wird in den statistischen Ämtern immer mehr zu einem Ausbau ihrer Monopolmacht und ruft immer häufiger bürokratische Hindernisläufe bei der Auswertung öffentlicher Daten hervor. Neue Politiken brauchen z. T. lange Zeit bis pragmatische Abwägungsregeln und eine effiziente Routine der Anwendung entstehen. [Seite der Druckausg.: 38 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000 |