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Die Zivilgesellschaft als treibende Kraft

Die Krise des politischen Systems in Kenia gründet so tief, daß eine Reform allein aus sich selbst heraus nicht möglich ist. In modernen Gesellschaften und Demokratien ist das politische System nicht streng vom gesellschaftlichen System abgeschottet; es gibt mannigfaltige Wechselwirkungen und einen intensiven Austausch. So nimmt die Politik immer wieder Impulse aus der Gesellschaft auf und setzt sie in politische Entscheidungen um, die ihrerseits zur Weiterentwicklung der Gesellschaft führen, damit ist Politik auch Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung.

Autoritäre politische Systeme trachten typischerweise danach,. möglichst lange ohne diese Rückkoppelung mit der Gesellschaft auszukommen. Sie sind bestrebt, ihren Kokon aufrechtzuerhalten und müssen dafür zunehmend Gewalt und Unterdrückung einsetzen. Die sich damit verschärfenden Widersprüchen treiben jedoch die Politisierung der Gesellschaft voran und damit auch ihre Bereitschaft, sich gegen die Repression zur Wehr zu setzen.

Es sind vor allem gesellschaftliche Gruppen der mittleren Einkommens- und Bildungsschichten, die für diese sich verstärkende Politisierung in Kenia zugänglich sind. Die wohlhabende Oberschicht ist meist bereits mit der politischen Klasse verwoben, so werden von ihr keine Impulse für einen Wandel ausgehen; die Mittelschichten aber haben Zugang zu Bildung und zu politischen Konzepten aus dem Ausland, die ihren Wunsch nach Veränderung fördern. Sie haben auch ihren bescheidenen Wohlstand zu verteidigen und leiden am stärksten unter Korruption, Mißwirtschaft und politischer Repression.

Kenia unterscheidet sich von den meisten Ländern der Region dadurch, daß es eine einigermaßen ausgeprägte Mittelschicht aufweisen kann. Die relativ stabilen Zeiten seit der Unabhängigkeit, das Fehlen sozialistischer Experimente, das Entstehen einer lokalen Industrie und Verwaltung, die Investitionen aus dem Ausland sowie der stetige Zustrom von Touristen aus Europa haben eine Mittelschicht geschaffen, die deutlich größer und stärker ist als die der Nachbarländer. Bei fehlenden natürlichen Ressourcen, bei einer knappen Landausstattung, einer stark wachsenden Bevölkerung und schwierigen klimatischen Bedingungen ist diese Mittelschicht das vielleicht entscheidende Potential für die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes.

Sie hat in den letzten Jahren ihre politische Rolle zunehmend ausgefüllt, hat sich organisiert und zu Wort gemeldet, sie hat ihre Forderungen gestellt und die Regierung zum Handeln gezwungen. Die organisierten Gruppen der Mittelschichten haben ihre Funktion in den vergangenen Jahren gefunden und sind zur treibenden Kraft für Wandel und Veränderung geworden:

Als Ende der achtziger Jahre die politischen Tabus des repressiven Regimes Kenias fielen, begann die Zivilgesellschaft, sich zu organisieren. Es waren zunächst vor allem Juristen, Vertreter der christlichen Kirchen (überwiegend auch aus der mittleren Bürgertum stammend) und das Bildungsbürgertum aus dem Umfeld der Universitäten, die ihre Stimme erhoben und nach Veränderungen verlangten. Im Gleichklang mit der Forderungen aus den Industrieländern nach einem Wandel des politischen Systems waren sie es, die Moi dazu zwangen, den Paragraph 2A der Verfassung aufzuheben, der Kenia als Einparteienstaat definierte. Der Druck nach Veränderung waren seinerzeit so groß, daß es diesen Gruppen gelang, einerseits größere Menschenmengen vor allem aus den Städten für ihre Ziele zu gewinnen, so daß die Bewegung die nötige Tiefe erhielt, sie weckten andererseits aber auch diejenigen Teile der traditionellen politischen Elite zu neuer Aktivität, die mit Moi gebrochen und sich zurückgezogen hatten und die nun ihre Chance sahen, es ihrem ehemaligen Regierungschef gleichzutun oder gar heimzuzahlen. Insofern brachte die neue Bewegung einerseits größere und in der Regel kritische Bevölkerungsschichten wieder in das politische Geschehen hinein, gleichzeitig aber auch einen Teil der frustrierten Elite, die keine Änderungen in Kenia wollte, sondern lediglich Moi zu beerben trachtete.

Die grundsätzliche Öffnung war geglückt und fand ihren Niederschlag in den ersten Mehrparteienwahlen im Dezember 1992; das traditionelle autoritäre System von Präsident Moi hatte aber noch weiterhin die Kraft, die Spielregeln zu diktieren und damit seine eigene Machtbasis abzusichern. Die traditionellen Oppositionsführer waren ihm dabei die unfreiwilligen Gehilfen, die mit ihren internen Querelen und ihrer Unfähigkeit, sich zu einigen, Moi noch einmal den Wahlsieg geschenkt hatten. Spätestens nach den Wahlen 1992 wurde damit der Interessenkonflikt sichtbar zwischen den Parteifürsten einerseits und den aktiven Gruppen der Zivilgesellschaft sowie einigen kritischen Aktivisten im Parlament andererseits.

Die Vertreter der Zivilgesellschaft begriffen, daß es für eine grundlegende Veränderung in Kenia mehr bedurfte als der Abschaffung des Paragraphen 2A der Verfassung; sie einigten sich deshalb darauf, eine komplette und umfassende Verfassungsrevision anzustreben, und sie schlossen sich zu einer Interessensgemeinschaft Civil Coalition for Constitutional Change, kurz: 4Cs, zusammen. Die wichtigsten Vertreter waren weiterhin Juristen und Kirchenleute, zunehmend nun auch unterstützt von politisch aktiven Frauengruppen. Auch einige der weiterhin engagierten Jungtürken aus dem Parlament waren bei 4Cs aktiv. Abseits blieben die Gewerkschaften, die in einer dauerhaften Umarmung durch die Regierung verharrten, sowie die Vertreter der Wirtschaft, die sich lieber als unpolitisch definierten und Schwierigkeiten mit ihren Lizenzen befürchteten.

4Cs startete eine aktive Kampagne für eine Verfassungsreform, merkte aber bald, daß die Widerstände aus der Politik so groß waren, daß nur eine längerfristig und breiter angelegte Bewegung auf Dauer den Druck produzieren konnte, der nötig war, um das Ziel zu erreichen. Kurzfristig schien zunächst der Erfolg zum Greifen nahe, denn Moi verkündete in seiner Neujahrsansprache 1995, daß er selbst nun eine gründliche Verfassungsrevision einleiten wollte, zu der er die weltweit besten Experten einzuladen plane. Ein paar Monate später nahm er aber sein Versprechen wieder zurück, da er seine letzte Amtsperiode, die er nach den Wahlen 1997 anzutreten gedachte, nicht mit einer Minderung seiner Vollmachten trüben wollte. Auch die Oppositionsführer blieben den Zielen von 4Cs skeptisch gegenüber, denn auch sie zogen es vor, eine Präsidentschaft mit der bisherigen Machtfülle anzustreben. So kämpften die Vertreter der Zivilgesellschaft weitgehend allein für eine Änderung des politischen Systems.

Als das Wahljahr 1997 nahte, waren es wieder die Vertreter der Zivilgesellschaft, die darauf aufmerksam machten, daß ein Wahlkampf unter den bisherigen Bedingungen zum Nachteil der Opposition sein werde; der Zugang zu Medien, die Versammlungs- und Organisationsfreiheit, das ganze politische System war einseitig zum Vorteil der Regierung und der Regierungspartei ausgerichtet. Jede Wahl würde somit nicht free and fair sein, was fehlte, war eine level playing field. Schon früh erhoben vor allem wieder Kirchenvertreter und Juristen die Forderungen nach minimal reforms vor den Wahlen, wenn schon eine gründliche Verfassungsrevision bis dahin nicht mehr möglich sei. Der Staats- und Regierungsapparat reagierte auf diese Forderungen mit dem Vorwurf der Subversion oder mit Hinweisen auf die verzweifelte Situation der in sich völlig zerstrittenen Opposition.

Doch der Funke zündete: Die Opposition stellte nicht nur fest, daß die Zivilgesellschaft ein erfolgsträchtiges Wahlkampfthema hatte, sondern auch, daß ihre Chancen auf eine etwas fairere Wahl ohne einige grundlegende Veränderungen des Systems gleich Null sein würden. Sie sprang auf den fahrenden Zug auf und ging ein Bündnis mit den treibenden Kräften der Zivilgesellschaft ein, um gemeinsam den Forderungen mehr Schubkraft zu geben. Im April 1997 fand schließlich die lange angekündigte National Convention Assembly (NCA) statt, auf der alle aktiven Gruppen der Gesellschaft und auch alle wichtigen Oppositionsparteien ein Mindestprogramm für Reformen vor den Wahlen beschlossen. Für diese minimal reforms sollte der Regierung eine Frist bis Juni gesetzt werden, danach wurde ziviler Ungehorsam angedroht.

Wie zu erwarten war, bewegte sich die Regierung innerhalb der gesetzten Frist um keinen Zentimeter, und so begann der von der NCA nunmehr eingesetzte National Convention Executive Council (NCEC) am 7.7. mit der ersten größeren Demonstration in Nairobi, der am 8.8. eine zweite folgte. Bewußt wurde auf eine Lizensierung der Versammlung verzichtet, da diese Bestimmung in den Augen der Organisatoren ohnehin illegal war. Was geschah, hat die Weltpresse vermeldet: prügelnde Polizisten, die selbst in die Kathedrale eindrangen, marodierende Jugendbanden, Gewalt und Gegengewalt. In den internationalen Medien erschienen nun auch zunehmend kritische Kommentare über die Zustände in Kenia, und dies hat zusätzlichen Druck auf die Regierung ausgeübt, nun doch einige Schritte in Richtung Reformen zu tun.

Zunächst versuchte es die Regierung mit offensichtlich nicht ganz ernst gemeinten Gesprächsangeboten an den "Offiziellen Führer der Opposition" und an die Vertreter der Kirchen. Als dieses nicht reichte, wurde vereinbart, mit "der Opposition" zu sprechen, die sich dann in unendlich mühsamen Vorgesprächen darauf einigte, sich unter dem Dach des NCEC zu formieren. Als die Regierung einwandte, daß der NCEC kein gewähltes Organ sei, wurde eine kirchliche Vermittlungsgruppe ausgedacht, die aber genauso lange brauchte, um sich über ihre eigene Zusammensetzung zu einigen. (Durch diesen geschickten Schachzug der Regierung, wurden die Kirchen neutralisiert, denn als Vermittler konnten sie kaum mehr Partei in dieser Auseinandersetzung sein.) Schließlich fielen die lange erwarteten Gesprächen dann doch aus, denn die Regierungsdelegation erschien nicht, weil - siehe oben - der NCEC eben nicht durch Wahlen legitimiert sei. So sah sich der NCEC gezwungen, wieder Großdemonstrationen anzudrohen und den zivilen Ungehorsam erneut auszuweiten.

Immerhin waren für einen kurzen Augenblick die gesamte Opposition und die Zivilgesellschaft unter dem Dach des NCEC vereint gewesen - ein historisches Ereignis in der Geschichte der zerstrittenen Opposition Kenias. Es dauerte dann aber auch nicht lange, bis einer der diversen Oppositionsführer dem NCEC wieder die Legitimität für seine Aufgaben entzog, womit der alte Zustand der Spaltung rasch wieder hergestellt war.

Dieser langwierige Prozeß von zivilem Ungehorsam, von Gewalt und Gegengewalt, von Gesprächen auf vielen Ebenen, die zu keinen Ergebnissen führten, von ethnischen Auseinandersetzungen an der Küste, von Kreditkürzungen durch Weltbank und IWF, von ausbleibenden Touristen und schließlich von zunehmend kritischeren Kommentaren in der Weltpresse hat bei vielen Beteiligten der kenianischen Politik offensichtlich doch einen Bewußtseinswandel verursacht, denn nun bot sogar die Regierungspartei KANU oppositionellen Abgeordneten Gespräche zu den geforderten minimal reforms an. So entstand IPPG, die Inter-Parties Parliamentary Group, die sich innerhalb von nur zwei Wochen auf ein Reformpaket einigte, das ein Großteil der Forderungen der Opposition erfüllte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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