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TEILDOKUMENT:
Sozialökonomische Entwicklung Die zentralasiatischen Staaten sind reich. Selbst der ärmste unter ihnen, Tadschikistan, verfügt über einen Rohstoffposten, mit dem er sich zumindest potentiell auf dem Weltmarkt hervorhebt, nämlich 14% der weltweiten Uranvorkommen. Außerdem spielt er eine Schlüsselrolle im hydroenergetischen System Mittelasiens. Als ein Rohstoffgigant steht Kasachstan neben Rußland im exsowjetischen Raum. Es verfügt über strategische Ressourcen wie Erdöl, Erdgas, Metalle, über relevante Vorkommen bei angeblich 99 von den 105 chemischen Elementen, über einen Rohstoffreichtum, von dem bisher nur ein Bruchteil gefördert wird. Turkmenistan hat die viertgrößten Erdgasreserven der Welt. Selbst das an Ressourcen vergleichsweise ärmere Kirgistan, das die Entwicklung von "human capital" in den Vordergrund stellt, kann auf einen relevanten Rohstoffposten, auf Goldvorkommen, hinweisen. Die zentralasiatischen Staaten sind arm. Sie wurden als Entwicklungsländer klassifiziert, Tadschikistan gar als ein "least developed country". Der Rohstoffriese Kasachstan wurde 1996 von einer Energiekrise geplagt, weil er Rechnungen für Energieimporte aus Rußland nicht begleichen konnte und Lieferungseinstellungen oder -kürzungen hinnehmen mußte. Potentielle Rohstofflieferanten für Erdgas und Erdöl in der Region konnten ihre Ressourcen bislang nicht moblisieren und dem Weltmarkt zuführen. Sie haben vorläufig ein gravierendes Vermarktungsproblem, da ihre Exportkanäle in Abhängigkeit von Rußland ausgelegt wurden und alternative Routen umstritten sind und erst entwickelt werden müssen. Die Stagnation der siebziger Jahre hatte sich in den achtzigern verstärkt und mündete in einen rasanten Schrumpfungsprozeß nach dem Zerfall der Sowjetunion ein. Die Republiken verloren die finanziellen Subventionen aus dem Zentrum, die einen beträchtlichen Teil ihrer Budgets ausgemacht hatte. Der Zerfall der innersowjetischen Lieferbeziehungen betraf ihre Wirtschaften hart, da diese stark in die gesamtsowjetische Volkswirtschaft integriert waren. Die Verflechtung mit dem sowjetischen Integrationsraum war eine Determinante der wirtschaftlichen Situation in sowjetischer Zeit, eine andere war die Verzerrung der regionalen Wirtschaftsstrukturen - z.B. durch die Spezialisierung auf den Baumwollanbau in Mittelasien bei starker Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten und generell auf die Bereitstellung von Rohstoffen bei starker Vernachlässigung der weiterverarbeitenden Sektoren. Dies stellte die nachsowjetischen Führungen vor grundlegende Aufgaben wirtschaftlichen Strukturwandels. So bemühten sich die ehemaligen sowjetischen "Baumwollrepubliken" Usbekistan und Turkmenistan, ihre Landwirtschaft zu rediversifizieren und ihre Importabhängigkeit bei Nahrungsmitteln zu reduzieren, blieben aber weiterhin auf den Export von Baumwolle angewiesen. Fast alle GUS-Staaten erlebten eine rasante Wirtschaftsschrumpfung, die es verhinderte, die gerade gewonnene Eigenstaatlichkeit der eigenen Bevölkerung mit einer zuversichtlichen Entwicklungsperspektive schmackhaft zu machen. In Zentralasien bestanden erhebliche Unterschiede in den Ausmaßen der Schrumpfung: Sie fiel in Usbekistan glimpflich aus (nach den offiziellen makroökonomischen Daten am glimpflichsten in der gesamten GUS) , dramatisch dagegen in Kirgistan, Kasachstan und vor allem in Tadschikistan. In einer unheilvollen Kombination von Unterentwicklung, Wirtschaftsschrumpfung und Konflikthäufung sank Tadschikistan nicht in eine "Dritte" sondern in eine "Vierte Welt" hinab. Nimmt man die von der offiziellen Statistik gelieferten makroökonomischen Daten zwischen 1991 und 1994, mußte man sich bei einigen Ländern fragen, wie ihre Gesellschaften mit ihnen physisch überleben konnten. Der Statistik entgehen freilich Sektoren, die hier schon in sowjetischer Zeit eine wichtige Rolle spielten und mit dem Sammelbegriff "Schattenwirtschaft" bezeichnet wurden. So schätzte im November 1996 der Vorsitzende einer Parlamentskommission für Korruptionsbekämpfung den Wert der Schattenwirtschaft in Kirgistan auf 4 Mrd. Som (235 Mio. US-$) - bei einem Volumen des Staatshaushalts von 6 Mrd. Som. Statistisch weist Taschikistan die schlechteste Wirtschaftslage in der gesamten GUS auf. Nach Angaben von 1996 sank hier das schon vorher reduzierte Bruttoinlandsprodukt in den letzen vier Jahren nochmals um 60 Prozent, arbeiten die Industriebetriebe mit weniger als einem Drittel ihrer Kapazität, hat sich die Produktion von Baumwolle und Aluminium, den Hauptprodukten des Landes, halbiert. In Tadschikistan lebte 1996 nach Einschätzung des World Food Programme die Mehrheit der Bevölkerung (85%) unterhalb der Armutsgrenze. Einige Landesteile hängen von der Versorgung durch ausländische Organisationen wie der Welthungerhilfe und der Agha-Khan-Stiftung ab. Über den tatsächlichen wirtschaftlichen Zustand südlicher GUS-Staaten gibt es kaum ein verläßliches Bild. Deshalb sind auch neuerliche positive Wachstumsdaten mit vorsichtigem Optimismus entgegenzunehmen. Die meisten der hier behandelten Staaten haben um 1996 die Talsohle durchschritten. Anfang 1996 wurden Wachstumstendenzen in der Produktion gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt verzeichnet - mit Ausnahme Tadschikistans. Positives Wirtschaftswachstum geht hier aber von tiefstem Niveau aus und zeigt noch keine Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung an. In den rohstoffreichen Republiken öffnet sich eine brisante Kluft zwischen den Erwartungen und der vorläufigen Realität, insbesondere in Kasachstan, das seine Vision vom "Kuwait Zentralasiens" seinen verarmten Bürgern kaum vermitteln kann. Das schlagendste Symptom für die sozialökonomische und finanzielle Krise sind Rückstände in den Lohn- und Rentenzahlungen. Bei Umfragen in Kasachstan bekundeten 1996 60% gegenüber dem Präsidenten und der Regierung Mißtrauen. Nur 10% der Befragten gehörten zu den "Wohlhabenden" (ab 150 US-$ Monatseinkommen, durchschnittliches Monatseinkommen im März 1996 bei 91 $), von denen 72% der Regierung ihr Vertrauen aussprachen. Dabei hat Kasachstan durchaus Anstrengungen bei der Wirtschaftstransformation unternommen und hat seine Wirtschaftstrukturen und -institutionen umgebaut. In der Reformperiode zwischen 1992 und 1995 wurden insgesamt 16.000 Staatsbetriebe privatisiert. Von der Gesamtzahl der Wirtschaftssubjekte gelten heute rd. 80% als "privatisiert", nur noch 15% sind in reinem Staatseigentum verblieben. Es gibt inzwischen 130 Banken mittlerer Ebene, von denen 32 Privatbanken, 77 Aktionärsbanken und 6 ausländische Banken sind. Ende 1996 verzeichnete das Land ein leichtes BIP-Wachstum von einem Prozent. Es hat seine ehemals astronomische Inflationsrate auf 30% gesenkt und insgesamt ausländische Investitionen im Volumen von rd. 2 Mrd. US-$ angezogen. Allerdings werden von ausländischen Geschäftsleuten die Korruption in der Staatsverwaltung, die Starrheit der Bürokratie, die Reformfeindlichkeit in Provinzverwaltungen und eine Reihe anderer interner Reformbarrieren beklagt. Auch Usbekistan hat seine Wirtschaftsstrukturen und -institutionen umgebaut - mit kontrollierten Reformschritten und unter Absage an radikale Reformstrategien und "Schocktherapien". In der internationalen Geschäftswelt wird, laut Financial Times, seine wirtschaftliche Entwicklung als die erfolgreichste in der Region bezeichnet. Den konsequentesten Übergang zur Marktwirtschaft hat seit der Präsidentschaft Akajews (ab 1990) Kirgistan beschritten und dafür soziale Kosten und Risiken in Kauf genommen. Seit 1996 spiegelt sich ein Erfolg dieser Reformpolitik in ersten Anzeichen für ein künftiges Wirtschaftswachstum - nach fünf Jahren einer dramatischen Wirtschaftskrise. In Turkmenistan stand dagegen die "starke Sozialpolitik" im Mittelpunkt der Staatsideologie des Präsidenten, der Schutz der Bevölkerung vor der - bislang allerdings noch kaum in Angriff genommenen - Transformation. Der Staat wendet hier angeblich 60% seiner Ausgaben für entsprechende Zwecke auf. Der Rohstoffreichtum, hohe Außenstände bei der Bezahlung von Gaslieferungen aus Turkmenistan durch GUS-Staaten wie der Ukraine und Georgien und die Aussicht auf positive Wachstumsraten wecken Erwartungen an eine bessere Zukunft. Dennoch sinkt der Lebensstandard. Die Sozialschutz-Parolen und eine linkskonservative Subventionspolitik konnten die Bevölkerung nicht vor den Einbrüchen im schon vorher niedrigen Lebensstandard schützen. Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitern und Rentnern, Lücken in der Versorgung mit Lebensmitteln, die kostenlos zur Verfügung stehen sollten, schüren Unzufriedenheit in dem Land, das sich als Hort der Stabilität darstellt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |