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1. Überblick

Südostasien gilt – neben Nordostasien – seit einigen Jahrzehnten als die dynamischste Wachstumsregion in der Welt. Die Vorstellung vom „Pazifischen Jahrhundert", das das „Atlantische Zeitalter" ablösen soll, geht einher mit dem überaus schnellen Aufstieg dieser beiden Regionen (und einer geopolitischen Umorientierung der USA).

Diese Erfolge sind möglich geworden durch die Internationalisierung der einzelnen Nationalökonomien, vor allem der Produkt- und der Finanzmärkte. Die fortgeschritteneren Länder zogen ab einem gewissen Reifestadium (Lohnhöhe, Produktionskosten, Kapitalakkumulation) eine nachfolgende Gruppe von Ländern durch Kapitalexport und Öffnung der Märkte jeweils nach. Sie sahen sich dadurch gleichzeitig gezwungen, in technologisch anspruchsvollere und damit exklusivere Produktionsbereiche sowie in den Dienstleistungssektor mit einer immer höheren Wertschöpfung vorzudringen, wollten sie nicht der Konkurrenz der nachfolgenden Generation dynamischer Wachstumsökonomien auf ihren bisher besetzten Wirtschaftsfeldern erliegen. Diese Verkettungseffekte hat man mit dem Bild der „fliegenden Gänse" zu illustrieren versucht: Dem Frühstarter Japan folgte die erste Generation der Schwellenländer mit Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur, diesen die zweite Generation mit Thailand, Malaysia und Indonesien. Mittlerweile versuchen China, Vietnam und die Philippinen, ihnen zu folgen und sie von ihren bisherigen Plätzen zu verdrängen.

Das Jahr 1997 hat jedoch gezeigt, daß die auch finanzwirtschaftliche Internationalisierung der Ökonomie und deren regionale Vernetzung nicht nur eine wachstumsorientierte Vorderseite, sondern auch eine Kehrseite haben. Nationale Krisen drohen, Dominoeffekte auszulösen, denen sich die anderen Teilnehmer dieses regionalen Verbundes kaum entziehen können und die – angesichts der Bedeutung der Region – auch auf die übrige Weltwirtschaft ausstrahlen.

Die gegenwärtige Krise trägt in einigen Ländern der Region, Thailand und insbesondere Indonesien, z.T. panikartige Züge. Sie beruht auf einem Vertrauensverlust in die weitere Entwicklung und kontrastiert eindrücklich mit den bisher eher euphorischen (und damit auch überzeichneten) Vorstellungen in die offenbar grenzenlosen Möglichkeiten der Boomökonomien. Die Dramatik der Ereignisse wird durch diesen Umschwung von der Euphorie zum Pessimismus verstärkt. Auch „Experten" in etablierten Institutionen, wie etwa dem IWF und der Weltbank, aber auch in den großen Konzernen, sahen ihn nicht voraus. Die Staatsmänner der nur begrenzt demokratisch organisierten Boomstaaten schöpften aus den bisherigen wirtschaftlichen Erfolgen einen Teil ihrer Legitimität und vor allem ihres Selbstbewußtseins, mit dem sie westlichen Demokratisierungs- und Menschenrechtsforderungen durch Propagierung sog. „asiatischer Werte" entgegenzutreten versuchten. Angesichts der Krise wird man an die Sprichwörter erinnert „Wer hoch steigt, kann tief fallen" und durchaus auch an „Hochmut kommt vor dem Fall".

Ob wir gegenwärtig ein reinigendes Gewitter beobachten, das helfen wird, Wachstumsblockaden zu überwinden und überfällige Reformen voranzutreiben, die dann ein weiteres solideres Wachstum ermöglichen, oder ob nun schon „das Ende des asiatischen Wirtschaftswunders" eingeleitet wird, muß sich erst noch erweisen.

Die bisherige Entwicklung wie auch die gegenwärtige Krise zeigen, wie ausschlaggebend in globalisierten Märkten das Vertrauen privater Akteure in die Zukunft ist. Der Staat und die Politik spielen hierbei eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen die mittel- und langfristigen Rahmenbedingungen, aber auch die unmittelbar wirksamen Perzeptionen der Marktteilnehmer. Der Staat kann die Bedeutung des Handelns privater Akteure minimieren, indem er versucht, selbst Wachstum und Entwicklung voranzutreiben. Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, ist dies nicht notwendigerweise mit besseren Ergebnissen verbunden.

Im folgenden wird der politische Faktor in seiner Wirkung für Wachstum und nun auch für die Krise untersucht. Systematisch ist zu unterscheiden zwischen strukturellen politischen Faktoren, die mittel- und langfristige Entwicklungen begründen und beeinflussen, und politischen (Fehl-)Handlungen, die unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Hier können nur die strukturellen politischen Faktoren diskutiert werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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