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TEILDOKUMENT:
[Essentials]
[Einleitung] Sechs Jahre nach dem politischen Umbruch haben Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn, die vier hier betrachteten Länder Ostmitteleuropas, weitreichende Fortschritte im Transformationsprozeß von der sowjetisch dominierten Parteidiktatur und Planwirtschaft hin zu einer in Europa integrierten, demokratischen Marktwirtschaft gemacht: Alle vier Länder verfügen über demokratische Verfassungen, entsprechende Durchführungsgesetze und Institutionen. In mehreren Wahlen bestimmten sie demokratische Regierungen und vollzogen Machtwechsel zwischen konkurrierenden Parteien und Koalitionen. Die Wirtschaftsreform ist in allen Ländern weit vorangeschritten. Der Privatsektor produziert - nach Schätzungen der EBRD - mindestens 60% des BSP. Nach einer tiefen Rezession zwischen 1990 und 1993 wächst die Wirtschaft in allen vier Ländern wieder. Damit haben sich die ersten beiden Teile einer Einschätzung bewahrheitet, die Ralf Dahrendorf 1990 unmittelbar nach dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa machte: ''Der Formalprozeß der Verfassungsreform braucht mindestens sechs Monate; ein allgemeines Empfinden, daß die Wirtschaftsreform erfolgreich war und die Dinge auf gutem Wege sind, breitet sich wahrscheinlich erst nach sechs Jahren aus; die dritte Bedingung des Weges in die Freiheit liegt in der Schaffung der sozialen Grundlagen, durch die Verfassung und Volkswirtschaft von Schönwetter- zu Allwetterinstitutionen werden, die äußeren und inneren Stürmen widerstehen können, und sechzig Jahre sind kaum genug, um diese Fundamente zu legen.'' Der Zeitrahmen der dritten Behauptung erscheint sehr anspruchsvoll. Nur wenige Demokratien können auf 60 Jahre Stabilität zurückblicken. In den jüngeren Demokratien Deutschland, Italien und Japan, die nach 1945 die Freiheit erlangten, vermuten Skeptiker angesichts aktueller politischer und sozialer Krisen auch heute noch eine im Vergleich zu den älteren Demokratien schwächere gesellschaftliche Verankerung der Demokratie. Selbst bei vielen der relativ stabilen Demokratien finden sich immer wieder Aspekte, die Analytiker der ostmitteleuropäischen Entwicklung für problematisch halten, so z.B. Zentralismus, Präsidialsystem, geringe Wahlbeteiligung, hohe Wählerfluktuation, Minderheitenfragen, regionale Konflikte, überlastete Sozialsysteme, außenwirtschaftliche Schwächen, außenpolitische Verunsicherung angesichts vertiefter europäischer Integration und globaler ökonomischer Abhängigkeiten. Insofern hat sich Ostmitteleuropa durch den Tunnel der Transformation gekämpft, um im unsicheren Nebel einer Vielfalt europäischer Problemlagen anzukommen. Was aber die Lage in Ostmitteleuropa kritischer gestaltet, ist die Verbindung solcher traditioneller (Zentralismus, Wahlbeteiligung, Minderheiten, etc.) und moderner (überlastete Sozialsysteme, Integration, Globalisierung) Herausforderungen der Demokratie vor dem Hintergrund einer Erblast alter Strukturen und gänzlich anderer historischer Erfahrungen und Erwartungshaltungen. Die These lautet: Es gibt bemerkenswerte, aber nicht zu dramatisierende Risiken für die demokratische Stabilität in Ostmitteleuropa, deren spezifischer Charakter sich im Kontext von Transformation und europäischer Integration ergibt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |