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[STABSABTEILUNG DER FES]
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Auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion

In der im Mai 1996 gebildeten Regierung Prodi stehen an der Spitze der Schlüsselressorts Politiker und Technokraten, die sich durch Kompetenz, Erfahrung und hohes öffentliches Ansehen auszeichnen. Das Schatz- und Haushaltsministerium wird von dem langjährigen Gouverneur der Zentralbank Carlo Azeglio Ciampi geleitet, das Außenministerium von dem ebenfalls aus der Banca d’Italia kommenden vorherigen Regierungschef Lamberto Dini, das Innenministerium von dem früheren „Außenminister" des PCI und ehemaligen Parlamentspräsidenten Giorgio Napolitano (PDS) und das Verteidigungsministerium von Beniamino Andreatta (PPI), als Bologneser Wirtschaftswissenschaftler Lehrer von Romano Prodi und einer der führenden Köpfe der DC-Linken. Stellvertretender Ministerpräsident und jüngstes Kabinettsmitglied als Minister für Kulturgüter ist der mediengewandte PDS-Politiker Walter Veltroni (Jg. 1955), der neben der Riege von „elder statesmen" den Aufstieg einer neuen Politikergeneration symbolisiert.

Zu den vorrangigen Aufgaben, die sich die Regierung Prodi gesteckt hat, zählen: die Sanierung der Staatsfinanzen mit dem Ziel, Italiens Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion zum 1. Januar 1999 zu ermöglichen; eine Verfassungsreform, um die Regierbarkeit des Landes zu verbessern und durch eine Föderalisierung der Herausforderung der Lega Nord zu begegnen; der Übergang zu einem „schlanken Staat", der durch die Privatisierung von Staatsunternehmen und eine Reform der öffentlichen Verwaltung verwirklicht werden soll; eine Justizreform, die auf eine Beschleunigung der Gerichtsverfahren und den Abbau des Berges unerledigter Zivilprozesse zielt, sowie die Modernisierung des Bildungswesens, dem zentrale Bedeutung für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung Italiens zuerkannt wird.

Diese mitnichten vollständige Aufzählung macht deutlich, daß auch eine volle Legislaturperiode, die Prodi sich als Amtszeit seiner Regierung vorgenommen hat, kaum ausreichen dürfte, um ein derart ehrgeiziges Programm einzulösen.

Der Kalender und die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages verleihen der Sanierung der Staatsfinanzen besondere Dringlichkeit. Seit Monaten ist die Aufnahme Italiens in die dritte Stufe der Währungsunion zum 1. Januar 1999 Gegenstand einer fast neurotischen öffentlichen Debatte. Jede Äußerung von Bundesbankpräsident Tietmeyer über die strikte Einhaltung der Konvergenzkriterien oder von Chirac oder Waigel bekundete Zweifel an Italiens Fähigkeit, die Kriterien rechtzeitig zu erfüllen, verursachen einen Sturm der Entrüstung im Blätterwald und werden als Bestätigung dafür gewertet, daß Deutschland und Frankreich sich verschworen haben, Italien von der ersten Runde auszuschließen. Staatspräsident Scalfaro verbittet sich Benotungen der italienischen Wirtschaftspolitik aus Bonn und Frankfurt, während Prodi gegenüber der ZEIT für seine Politik wirbt und deutsche Führung zugunsten einer schnellen Entscheidung über die Währungsunion anmahnt. Deutschland erscheint in Italien vielfach als Hegemonialmacht, welche die Spielregeln der Währungsunion diktiert. Dabei wird weithin anerkannt, was der Wirtschaftsjournalist Rampini so formuliert hat: „… die deutsche Hegemonie tut Italien gut. Sie erlegt uns Einschnitte im öffentlichen Sektor auf, die wir schon seit langer Zeit hätten vornehmen müssen, nicht so sehr um in irgendeinen europäischen Club aufgenommen zu werden, sondern in unserem eigenen Interesse und dem der künftigen Generationen."

Kein Zweifel, der Ausschluß Italiens von der Kerngruppe der Währungsunion würde als Kränkung eines Gründungsmitgliedes der Europäischen Gemeinschaft empfunden und einem Marginalisierungskomplex Vorschub leisten, der Italiens europapolitische Kooperationsbereitschaft wahrscheinlich nicht gerade fördern würde. Daß dadurch die Sezession „Padaniens" ausgelöst würde, wie gelegentlich zu hören ist, gehört wohl eher zu den Dramatisierungen, zu denen politische Akteure und die Medien vielleicht auch aus taktisch motiviertem Zweckpessimismus neigen. Jenseits von Prestigeerwägungen und der Wahrung des kollektiven Selbstwertgefühls ist aber zu berücksichtigen, daß die Regierung Prodi nicht nur die Perspektive der Währungsunion braucht, um die Sanierung der Staatsfinanzen innenpolitisch voranzubringen, sondern auch auf den ökonomischen Synergieeffekt setzt, der zwischen dem Abbau der Staatsverschuldung und der Mitgliedschaft in der Währungsunion bzw. der von den Finanzmärkten honorierten Aussicht darauf besteht.

Mit einer Politik der Haushaltskonsolidierung und der Inflationsbekämpfung sucht die Regierung weitere Zinssenkungen zu ermöglichen; diese sollen wiederum die Annäherung des öffentlichen Defizits an die in Maastricht vereinbarte 3-Prozent-Marke erleichtern. Ohne die Aussicht auf die Mitgliedschaft in der Währungsunion ab Anfang 1999 wären weitere Zinssenkungen schwerer zu erreichen, und der Ausschluß Italiens von der ersten Gruppe würde den finanzpolitischen Konsolidierungskurs wegen des dann zu erwartenden Zinsanstiegs, den das Risiko Italien erzwingt, gefährden.

Erfolge beim Abbau des Staatsdefizits, das 1992, als Italien den Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems verließ, noch 10 Prozent des BIP überstieg, hat die Regierung Prodi zweifellos vorzuweisen. Schon einen Monat nach ihrem Amtsantritt legte sie einen Nachtragshaushalt vor, der Ausgabenkürzungen und Einnahmeverbesserungen im Umfang von 16.000 Mrd. Lire vorsah und das Defizit für 1996 auf die Zielgröße von 5,9 Prozent zurückführen sollte. Mit dem vom Parlament Ende Dezember 1996 verabschiedeten Haushaltsrahmengesetz 1997 sollte das Budgetdefizit für 1997 auf 3,0 Prozent des BIP gesenkt werden, und zwar durch Ausgabenkürzungen, Steuer- und Abgabenerhöhungen sowie Maßnahmen des Schatzamtes in einer Gesamthöhe von 62.400 Mrd. Lire. Obwohl darin Elemente der Haushaltskosmetik und eine einmalige Europasteuer (13.000 Mrd. Lire) enthalten sind, handelt es sich um einen Kraftakt, der die Zielstrebigkeit der Regierung unterstreicht. Durch Schonung der Renten und des Gesundheitswesens hat diese auch die Zustimmung der RC und der Gewerkschaften gewonnen. Mit den Spitzenverbänden der Arbeitgeber und der Gewerkschaften hatte die Regierung Prodi schon im September einen „Pakt für die Arbeit" geschlossen, der insbesondere Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vorsieht. Mit der Rückkehr der Lira in das Europäische Währungssystem (November 1996) hat Italien sich von einer Politik der kompetitiven Abwertungen verabschiedet und einen wichtigen Schritt in Richtung Währungsunion getan.

Wegen der ungünstigen Konjunkturentwicklung zeichnete sich freilich schon zu Beginn dieses Jahres die Notwendigkeit weiterer Konsolidierungsmaßnahmen ab. Das Haushaltsdefizit für 1996 wird mittlerweile auf 6,6 bis 7 Prozent des BIP geschätzt, und für 1997 wurden auf der Basis des Haushaltsgesetzes 3,7 Prozent veranschlagt. Mit einem vorösterlichen Nachtragshaushalt hat die Regierung Prodi Einnahmeerhöhungen und Einsparungen in Höhe von 15.500 Mrd. Lire beschlossen, um das Konvergenzziel von 3 Prozent zu erreichen. Das Gros der Maßnahmen besteht dabei aus vorgezogenen Abgaben und Steuervorauszahlungen sowie Ausgabenverlagerungen ins folgende Jahr, womit keine dauerhafte Entlastung des Haushalts verbunden ist. Eingriffe in das im europäischen Vergleich überaus großzügige und zugleich hochdefizitäre Rentensystem, wie sie auch im Bericht einer von der Regierung eingesetzten Expertenkommission (Onofri-Kommission) zur Reform des italienischen Wohlfahrtsstaates vorgeschlagen werden, hat die Regierung Prodi wegen des Widerstandes der Rifondazione Comunista und der Gewerkschaften vertagt. Diese verhalten sich bei der Verteidigung der Sozialausgaben im wahrsten Sinne des Wortes strukturkonservativ und verfügen über eine Vetomacht, die den Handlungsspielraum der Regierung bei der Sanierung der Staatsfinanzen stark einengt. Während die Regierung die Weiterführung der Rentenreform von 1995 schon im Sommer dieses Jahres auf die politische Tagesordnung setzen will, wollen die Gewerkschaften, bei denen die Rentner einen wachsenden Anteil des Mitgliederbestandes ausmachen, die Diskussion darüber erst 1998 aufnehmen.

Auch wenn die Entscheidung nach Art. 109j EG-Vertrag über den Mitgliederkreis der dritten Stufe der Währungsunion auf der Grundlage der Ist-Daten für 1997 getroffen werden soll, kommt dem Haushalt 1998 große Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der italienischen Finanzpolitik zu. Dies gilt um so mehr, als die gesamte Staatsschuld 1996 nach Schätzungen der Deutschen Bank bei 124,8 Prozent des BIP liegen dürfte und bei einem geschätzten Rückgang auf 124,3 Prozent (1997) und 121,5 Prozent (1998) allenfalls in einem eingeschränkten Sinn davon die Rede sein kann, daß das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt „hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert" von 60 Prozent nähert (Art. 104 c, Abs. 2 EG-Vertrag). Dieses zweite Fiskalkriterium wird in der italienischen Debatte meist verdrängt. Der Haushalt 1998 wird deshalb die Nagelprobe auf die Fähigkeit der Regierung Prodi darstellen, über kurzfristige Aushilfen hinaus strukturelle Entlastungen des Budgets durchzusetzen und einen europapolitisch glaubwürdigen Sanierungskurs einzuhalten. Daß sie dabei ihren Sturz riskiert und vermutlich innenpolitische Kompromisse eingehen muß, wird es ihr nicht gerade erleichtern, Vorbehalte der europäischen Partner gegenüber der Aufnahme Italiens in die Währungsunion abzubauen. Von daher ist es verständlich, wenn scharfsichtige Beobachter innerhalb wie außerhalb Italiens einen engen Zusammenhang herstellen zwischen der Sanierung der Staatsfinanzen und einer Verfassungsreform, die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Exekutive steigern soll.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998

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