FES | |||||||
|
|
Japan: die Folgen der Bubble / von Michael Ehrke. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1996. - 18 S. = 54 Kb, Text . - (FES-Analyse) Electronic ed.: Bonn: Bibliothek der FES, 1998 © Friedrich-Ebert-Stiftung
[Essentials]
* Die Wiederankurbelung der japanischen Konjunktur läßt auf sich warten. Die konventionellen Ansätze der Krisenbekämpfung sind ausgereizt: Der Zentralbankzinssatz liegt bei nicht mehr unterbietbaren 0,5 Prozent, und auch 600 Mrd. Dollar staatliche Konjunkturspritzen in vier Jahren haben die erhoffte Dynamik nicht einleiten können. * Der rapide Strukturwandel der elektonischen und - in geringerem Maße - der Automobil-Industrie beeinflußt eine strukturell steigende Importneigung vor allem bei Komponenten und Teilen japanischer Auslandsunternehmen. Der Handelsbilanzüberschuß geht tendenziell zurück. * Die zukünftigen jährlichen Wachstumraten werden sich auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in der Vergangenheit einpendeln: Überkapazitäten und Überbeschäftigung schränken die Wachstumsmöglichkeiten der japanischen Wirtschaft ein. Zusammen mit Elementen wie alternde Bevölkerung, steigende Sozialkosten und saturierten Märkten ergeben sich Konvergenzen zur Entwicklung der westlichen Industriestaaten. * Nach dem Platzen der "bubble" haben sich die Kapitalkostenvorteile verflüchtigt, und aufgrund der Yen-Aufwertung sind auch die Lohnkosten im internationalen Vergleich gestiegen und dürften jetzt die Weltrangliste anführen. * Bankenpleiten belegen eine Krise des Finanzsystems und die Notwendigkeit, die privaten Banken zu restrukturieren und die kontrollierenden Behörden zu reorganisieren. Aber das japanische Finanzsystem wird unter dem Druck notleidender Kredite ebensowenig zusammenbrechen wie die Wirtschaft unter dem Kapazitäts-. und Beschäftigungsüberhang.
[Einleitung]
Seifenblasen platzen, ohne Folgen zu hinterlassen. Daher trifft das Schlagwort "Bubble", das die Inflation der Aktien- und Immobilienpreise in Japan in der zweiten Hälfte der der 80er Jahre bezeichnet, die Realität nur zum Teil: Die Bubble hat Folgen. Es gibt zwei Verbindungsglieder zwischen der ökonomisch nur scheinbar irrelevanten Spekulationswelle auf den Aktien- und Immobilienmärkten und der realen Wirtschaft. Ein Verbindungsglied ist das Kreditsystem, das sich den spekulativen Exzessen ausgeliefert hat und nun zu hohen Kosten saniert werden muß. Das zweite Verbindungsglied sind die in der Zeit der Bubble extrem niedrigen Kapitalkosten der Unternehmen. Die Unternehmen konnten ihre Investitionen fast zum Nulltarif finanzieren; sie weiteten Produktionskapazitäten und Beschäftigung weit über den Bedarf hinaus aus und errichteten Überkapazitäten, die sich bis das nächste Jahrhundert hinein als Wachstumshemmnis erweisen werden.
Im Februar 1996 kündigte die Economic Planning Agency (EPA) wieder einmal die lange erwartete konjunkturelle Erholung an. Die Anzeichen der bevorstehenden Erholung seien zwar noch "mäßig", aber doch deutlich wahrnehmbar. Die EPA stützte sich dabei auf drei Indikatoren: die Auftragseingänge des Maschinenbaus, die im 4. Quartal 1995 um 11,5% zunahmen; den Bezug neuer Häuser und Wohnungen, der 1995 um 4,8% wuchs; und die Industrieproduktion, die sich zwischen Oktober 1995 und Januar 1996 steigerte. Doch sind diese Indikatoren keineswegs eindeutig. Bei den Auftragseingängen des Maschinenbaus wird für das erste Quartal 1996 wieder ein Rückgang erwartet. Angesichts der unausgelasteten Kapazitäten der verarbeitenden Industrie bleibt die Nachfrage nach Maschinen und Ausrüstungsgütern instabil. Die positiven Daten beim Bezug neuer Häuser und Wohnungen verdanken sich in erster Linie dem Wiederaufbau in der vom Erdbeben verwüsteten Region von Kobe; ihnen liegt kein nationaler Trend zugrunde. Und auch hinsichtlich der industriellen Produktion zeichnet sich noch kein stabiler positiver Trend ab, im Gegenteil lassen die hohe Lagerhaltung und die Notwendigkeit des Lagerabbaus eher eine Verlangsamung erwarten. Zugleich aber sprechen die Probleme auf der Nachfrageseite nach wie vor gegen eine schnelle Belebung. Der private Verbrauch ist 1995 im dritten aufeinanderfolgenden Jahr gesunken, um 1,1%. Die Einkommen stagnieren, und der Anteil des Verbrauchs an den Einkommen ist 1995 um 0,9% auf 72,5% gefallen. Die niedrigen Unternehmensgewinne - von Ausnahmen wie der Halbleiterindustrie abgesehen - sprechen gegen die baldige Wiederbelebung der Investition. Von den Exporten ist ein negativer Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu erwarten, und mit einer weiteren staatlichen Konjunkturspritze in der Dimension des im Herbst 1995 verabschiedeten Ausgabenpakets von 14,7 Bio Yen kann angesichts des wachsenden staatlichen Defizits nicht gerechnet werden. Eher muß man befürchten, daß sich die Niedrigzinspolitik - der Zentralbankszinssatz liegt bei 0,5% - aufgrund der staatlichen Defizitfinanzierung nicht aufrechterhalten läßt und der Zinssatz in der Mitte des nächsten Fiskaljahrs (April 96 bis März 97) auf 1 oder 1,5% angehoben werden muß - womit sich die Aussichten auf eine baldige Erholung weiter verschlechtern würden. Wie schon vor zwei Jahren deutlich wurde, sind die konventionellen Ansätze der Krisenbekämpfung, staatliche Ausgabenprogramme und die Senkung des Zinssatzes, ausgereizt. Die Regierungen Miyazawa, Hosokawa, Hata und Murayama haben der Wirtschaft innerhalb von vier Jahren insgesamt etwa 60 Billionen Yen, zum derzeitigen Wechselkurs mehr als 600 Mrd. US$, in der Form von "Konjunkturpaketen" zugeführt, ohne daß dies einen merklichen Wachstumseffekt hervorgebracht hätte. Allerdings muß die mit diesen Konjunkturpaketen zusätzlich geschaffene Nachfrage geringer eingeschätzt werden als die offiziell angekündigten Zahlen nahelegen; gleichwohl fügte allein die letzte Konjunkturspritze der japanischen Volkswirtschaft Mittel im Umfang des dänischen Sozialprodukts zu, von denen etwa 40% als zusätzliche Nachfrage gelten können. Inwieweit die Wirkung der Konjunkturspritzen auf die Wachstumsrate vernachlässigenswert war, wird sich kaum ermitteln lassen; die Verteidiger der expansiven Ausgabenpolitik behaupten jedenfalls, ohne die entsprechenden "Pakete" hätte man anstelle der Stagnation einen schweren Einbruch hinnehmen müssen. Ihr Preis ist allerdings ein wachsendes Defizit des Staatshaushalts. Noch Anfang der 90er Jahre war Japan das einzige große Industrieland, das einen Haushaltsüberschuß aufwies. Aus dem Überschuß wurde ein Defizit, das 1996 bei 4,2% des BSP liegen wird - bzw. bei 7,7%, wenn die Überschüsse der Rentenversicherung nicht in die Rechnung einbezogen werden. Dem Economist zufolge würde das Defizit auf 18% steigen, wenn die künftigen Ausgabenverpflichtungen budgetiert würden. Damit droht Japan in eine Finanzkrise zu geraten, wie das Land sie bereits in den 70er Jahren erfahren hatte. Damals wie heute wurden Deficit Covering Bonds ausgegeben, die im Unterschied zu den Construction Bonds nicht der Finanzierung staatlicher Investitionen, sondern des staatlichen Defizits generell dienen. Einer Prognose des Finanzministeriums zufolge soll der Anteil der Bonds an der Deckung der Staatsausgaben von 17,7% 1995 auf 27,8% 1999, ihr Anteil am Sozialprodukt soll im selben Zeitraum von 47 auf 55% steigen. Diese Vorhersage ist insofern optimistisch, als sie ab 1997 deutlich steigende Steuereinnahmen (um 13,5%) voraussetzt. Laut einem Parlamentsbeschluß von Ende 1993 soll im Herbst 1996 entschieden werden, ob die Mehrwertsteuer von derzeit 3% auf 5, 7 oder 10% erhöht wird soll. Dies wäre freilich eine politisch äußerst sensible Entscheidung, insbesondere für eine konservative Regierung: 1989 verlor die LDP aufgrund der Einführung der Mehrwertsteuer ihre Mehrheit im Oberhaus, und 1994 scheiterte die Regierung Hosokawa an dem Versuch, die Mehrwertsteuer von 3 auf 5% anzuheben. Ein neuer Trend zeichnet sich im Außenhandel ab: Der Überschuß der Handelsbilanz ist 1995 erstmals seit vier Jahren zurückgegangen. Damit hat sich der als normal erachtete Zusammenhang zwischen Wachstumsrate und Handelsbilanz verschoben. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre war der Handelsüberschuß infolge der Yen-Aufwertung und des von der Bubble ausgelösten Booms deutlich gesunken; die Rezession ab 1991 leitete dann wieder die umgekehrte Entwicklung ein. 1994 lag der Überschuß auf dem Rekordniveau von 145 Mrd. US$. Seit 1993 jedoch stiegen die Importe schneller als die Exporte, und 1995, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte, schrumpfte der Überschuß trotz anhaltender Stagnation. Bis 1997 soll er von 3 auf 1% des Sozialprodukts zurückgeführt worden sein. Im Januar 1996 war der Außenhandelsüberschuß im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar um 83% auf 467 Mio US$ geschrumpft. Dieser in seiner Dimension nicht erwartete Rückgang ist um so bemerkenswerter, als das Erdbeben von Kobe im Vergleichsmonat 1995 bereits eine Senkung der Exporte und eine Steigerung der Importe ausgelöst hatte. Das Außenhandelsergebnis vom Januar 1996 läßt sich zum Teil mit den Wechselkursbewegungen des Yen erklären. Im Frühjahr 1995 hatte der Yen nach einer mehrjährigen Aufwertungsbewegung den Höchststand von 79,75 pro US$ erreicht; seit dem Sommer desselben Jahres wertete er sich wieder auf 104 pro US$ ab. Das niedrige Ergebnis vom Januar 1996 könnte dem Verlauf der J-Kurve folgend eine kombinierte Wirkung des Mengeneffekts der früheren Aufwertung und des Preiseffekts der späteren Abwertung widerspiegeln. Dies erklärt die Außenhandelsentwicklung aber nur zum Teil. Der Abbau der Überschüsse muß auch als Ergebnis einer strukturell steigenden Importneigung interpretiert werden. Diese geht auf einen rapiden Strukturwandel der japanischen elektronischen und - in geringerem Ausmaß - Automobilindustrie zurück. Dabei lassen sich zwei Entwicklungen unterscheiden. Erstens sind die Auslandsinvestitionen der japanischen elektronischen Industrien insbesondere in den Ländern Ost- und Südostasiens stark angewachsen. Aus Kostengründen ist die japanische Industrie gezwungen, Beschaffung und Produktion, aber auch Forschung und Entwicklung ins Ausland zu verlagern; damit steigen auch die Importe aus den asiatischen Entwicklungsländern, die allein im dritten Quartal 1995 trotz der Stagnation des Binnenmarktes um über 27% zunahmen. Zum großen Teil handelte es sich um Komponenten und Vorprodukte japanischer Auslandsunternehmen. Dieser Trend zur Verlagerung von Produktion und Arbeitsplätzen wird sich aller Voraussicht nach verstärken. Heute werden nur 6% der Produktion japanischer Industrieunternehmen im Ausland erwirtschaftet (USA: 20%), und unter den gegenwärtigen Bedingungen können es sich die japanischen Unternehmen nicht leisten, auf Effizienzreserven zu verzichten, die in der Auslagerung von Wirtschaftsaktivitäten liegen. Zweitens hat die elektronische Industrie Japans neben der Verlagerung der Komponentenfertigung in Niedriglohnländer einen Internationalisierungsschub erfahren, der sich einem dramatischen Wandel der Computerindustrie verdankt. 1995 sind die Importe von Geräten der Büroautomatisierung um 71,5%, von Telekommunikationsausrüstungen um 59,4 und von elektronischen Komponenten um 69,8 gestiegen. Noch vor drei Jahren wurde der japanische Computermarkt von heimischen Herstellern dominiert, deren Geräte mit firmeneigenen Betriebssystemen liefen und aus heimisch gefertigten Komponenten zusammengesetzt waren. Innerhalb von drei Jahren jedoch hat sich auf dem japanischen Markt der internationale Standard bei Betriebssystemen durchgesetzt; die japanischen Hersteller sind weitgehend zu Montageunternehmen geworden, die in erster Linie importierte Komponenten verwenden. Dieser Wandel wurde durch zwei Schocks markiert, den "Compaq-Schock" 1993 und den "Fujitsu-Schock" 1995. 1993 brachte Compaq Personal Computer zur Hälfte des üblichen Preises auf den japanischen Markt; und 1995 kündigte Fujitsu an, das Unternehmen werde Personal Computer zu niedrigen Preisen anbieten, auch wenn dies mit Verlusten verbunden sei. Fujitsu steigerte seine Verkäufe auf über 1 Million Einheiten und verdoppelte seinen Marktanteil von 9 auf 18%. Beim Verkauf 1,5 Mio Einheiten hofft das Unternehmen, wieder in die Gewinnzone zu kommen. Die Produktionskosten senkte es durch den Import preiswerter Komponenten: Keyboards aus Taiwan, Memory-Chips aus Korea, Soundkarten aus Singapur und Mikroprozessoren aus den USA. Das größte Opfer beider Schocks war NEC, das noch 1991 den japanischen PC-Markt mit einem Marktanteil beherrscht hatte. Allein 1995 sank der Marktanteil von NEC um 6,7 Prozentpunkte auf mittlerweile 40%. Aber auch NEC hat sich den neuen Entwicklungen angepaßt und den Anteil importierter Komponenten bei Desktop-Computern von 20% 1992 auf 90% 1995 gesteigert. Die Importe von Automobilteilen nahmen 1995 um 38,4% zu. Auch die Automobilindustrie verlagert einen wachsenden Teil ihrer Beschaffung in das Ausland, in erster Linie in die USA. Der amerikanisch-japanische Streit um Importquoten, der im April 1995 noch Schlagzeilen machte, ist damit von der Entwicklung überholt geworden: Auch die großen japanischen Automobilhersteller sind gezwungen, ihre Kosten zu senken und auf billigere Importe zurückzugreifen. Die Importneigung der japanischen Wirtschaft wird auch deshalb weiter steigen, weil Barrieren im heimischen Distributionssystem (Groß- und Einzelhandel) abgebaut wurden. Dies geht weniger auf den Abbau administrativer Regulierungen durch die Regierung zurück, der nur schleppend verläuft, als auf die auch nach den Abwertungstendenzen des letzten Jahres nach wie vor hohe Bewertung des Yen, die einige Handelsketten veranlaßt hat, auf Importe zurückzugreifen. Damit wurden die Aufwertungsgewinne des Yen erstmals in nennenswertem Umfang via Preissenkungen an die Konsumenten weitergegeben. Man hat dies "Preisrevolution" genannt, sicherlich eine dramatisierende Übertreibung. Bei einzelnen Produkten und Produktgruppen jedoch ist ein Rückgang der Preise infolge ausgeweiteter Importe unübersehbar - wenn er sich auch nicht im Konsumentenpreisindex niederschlägt.
Wie immer die kurz- und mittelfristigen konjunkturellen Perspektiven beurteilt werden: Die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten der japanischen Volkswirtschaft werden in Zukunft weit unter denen der Vergangenheit liegen. Die Prognose von 2% Wachstum für 1996 gilt bereits als optimistisch - und 2% Wachstum hätte man in Japan noch vor wenigen Jahren als Anzeichen einer Rezession bewertet. Es gibt einen breiten Konsens, daß die derzeitige Stagnation den Übergang zu einer "reifen Industriegesellschaft" mit niedrigen Wachstumsraten, einer alternden Bevölkerung, steigenden Sozialkosten und saturierten Märkten markiert. Diese Beurteilung ist freilich nicht neu: Seit der Erdölkrise in den 70er Jahren wurde immer wieder das Ende der "aufholenden Entwicklung" und das Eintreten in das Reifestadium konstatiert. Gleichwohl verfolgten Unternehmen und Staat Strategien, die noch bis in die 90er Jahre hinein eine im Industrieländervergleich extrem hohe Investitionsrate beförderten. Die längst "gereifte" japanische Volkswirtschaft wies noch Anfang der 90er Jahre eine Investitionsrate auf, wie sie für ein erfolgreiches Entwicklungsland typisch ist. Beim Anteil der Ausrüstungsinvestitionen am Sozialprodukt haben sich die Unterschiede zwischen Japan und den anderen Industrieländern in den 80er Jahren gegenüber den 70er Jahren vergrößert. Eine Ursache hierfür war in der ersten Hälfte der 80er Jahre eine unterbewertete Währung, die es erlaubte, die Exporte auszuweiten; und in der zweiten Hälfte der 80er Jahre konnten japanische Unternehmen ihre Investitionen nicht zuletzt dank der Bubble Economy zu äußerst niedrigen Kapitalkosten finanzieren. Das Ergebnis ist, daß die japanischen Unternehmen am teuersten Standort der Welt massive Überkapazitäten aufgebaut haben. Ein Beispiel ist die Automobilindustrie: In den 80er Jahren investierten Toyota, Nissan und Mazda umgerechnet 3 Mrd. US$, um in Japan vier hochautomatisierte Fertigungswerke zu errichten, die Anfang der 90er Jahre mit voller Kapazität zu operieren begannen. Seit 1992 ist keines dieser Werke ausgelastet (allein Nissan zog die Konsequenz und kündigte 1993 die Schließung eines Automobilwerks an). In einer heroischen Überschätzung der künftigen Marktentwicklung wurden - nicht nur in der Automobilindustrie - Investitionen getätigt, die für lange Zeit keine oder nur niedrige rates of return erbringen werden. Die physischen Produktionskapazitäten, die bis weit in das nächste Jahrhundert hinein den Bedarf übersteigen und die Investitionsrate senken werden, sind nicht das einzige Problem: Japanische Unternehmen stellten in den 80er Jahren - dem Mythos folgend, die Alterung der Gesellschaft werde schnell zu einer Verknappung verfügbarer Arbeitskräfte führen - in einem Ausmaß Arbeitskräfte ein, das sich heute als exzessiv erweist. Die Unternehmen können aber nicht wie ihre europäischen und amerikanischen Pendants Arbeitskräfte in größerem Umfang entlassen, sie sind gezwungen, Arbeitskräfte zu "horten". Das System der "lebenslangen Beschäftigung" in Großunternehmen kann zwar auf vielfältige Weise unterlaufen werden, offene Massenentlassungen und ein schnelles ädownsizing" sind jedoch nicht möglich. Dies betrifft insbesondere den Bereich der festangestellten white collar-Arbeiter, die in der verarbeitenden Industrie Japans 50% der Beschäftigten ausmachen. Zwar gaben viele Großunternehmen bekannt, sie würden ihre Beschäftigung abbauen - ohne Massenentlassungen. Anders als amerikanische und europäische Firmen, die auf brutale Weise "restrukturiert" wurden, können die japanischen Unternehmen ihre Überbeschäftigung allenfalls langfristig angehen - durch die Verringerung von Neueinstellungen bzw der Neueinstellung fest Angestellter. Auf diese Weise wird zwar das System der "lebenslangen Beschäftigung" unterminiert, da immer weniger Arbeitnehmer in den Genuß einer "lebenslangen" Einstellung kommen; die offizielle Arbeitslosenrate bleibt aber niedrig. Das Gegenstück der hohen Arbeitslosigkeit in Europa ist in Japan die inhouse-Arbeitslosigkeit. Der Schock der Massenarbeitslosigkeit blieb den japanischen Arbeitnehmern bislang erspart, gleichwohl hat eine starke Verunsicherung hinsichtlich der Stabilität der Beschäftigung um sich gegriffen. Es wird den japanischen Unternehmen nicht mehr möglich sein, sich aus den mit den Überkapazitäten und der Überbeschäftigung verbundenen Problemen "herauszuexportieren". Zum einen würden es weder die USA, noch die EU hinnehmen, wenn eine neue Welle japanischer Exporte die heimischen Märkte überrollte und Produktion und Arbeitsplätze in Gefahr brächte. Zum anderen, und dies ist der wichtigere Aspekt, sind die japanischen Unternehmen auf der Kostenseite heute, vor allem infolge der nach wie vor hohen Bewertung des Yen, weniger wettbewerbsfähig als in der Vergangenheit. Nach dem Platzen der Bubble hat sich der Vorteil niedriger Kapitalkosten verflüchtigt. Im Gegenteil müssen die Unternehmen heute Optionsanleihen zurückzahlen, von denen sie vermutet hatten, sie würden in Anteile umgewandelt werden (allein die Automobilindustrie hatte in den Jahren der Bubble 820 Mrd. Yen an Optionsanleihen ausgegeben). Aufgrund der Yen-Aufwertung sind auch die Lohnkosten im internationalen Vergleich angestiegen und dürften jetzt die Weltrangliste anführen. Und nicht zuletzt leiden die japanischen Exportfirmen unter den hohen Preisen für lokal bezogene Vorprodukte (etwa Stahl) und Inputs wie Energie, Wasser, Transport, Land, Dienstleistungen usw. Da der Binnenmarkt stagniert, können die Exporteure auch nicht mehr dank der hohen Inlandspreise auf dem Binnenmarkt hohe Gewinne erwirtschaften, um die Exportoffensiven zu finanzieren. Sie müssen statt dessen die Preise ihrer Produkte auch auf den Auslandsmärkten den gestiegenen Kosten angleichen. Es kommt hinzu, daß sich viele westliche Konkurrenzunternehmen erfolgreich restrukturiert haben, so daß die japanischen Exporteure heute oft mit stärkeren Rivalen konfrontiert sind als noch in den 80er Jahren. Überkapazitäten und Überbeschäftigung werden die Wachstumsmöglichkeiten der japanischen Wirtschaft auch in Zukunft einschränken. Die derzeitige Stagnation ist also nicht allein ein Hinweis auf die "Reife" der japanischen Volkswirtschaft, sie ist auch ein Resultat der Überinvestitionen in der Vergangenheit, die die Wirtschaft bis weit in das nächste Jahrhundert hinein belasten werden.
Seit Ende 1995 konzentriert sich die Berichterstattung der japanischen Medien auf ein Phänomen: Die Jusen, sieben Hypothekenbanken, die aufgrund ihrer riskanten Kreditvergabe in der Bubble in die roten Zahlen geraten sind und nun - wie der Haushalt für das Fiskaljahr 1996/97 vorsieht - mit Hilfe von Steuergeldern ausgelöst werden sollen. Die Auslösung der Jusen wird die japanischen Bürger pro Kopf 5.500 Yen (etwa 80.- DM) kosten. Neun von zehn Japanern haben sich in Umfragen gegen den Einsatz von Steuergeldern ausgesprochen, und die anfänglich hohe Popularität des Pemiers Ryutaro Hashimoto ist aufgrund des Sanierungsplans für die Jusen um 10 Prozentpunkte gesunken. In den Bürgermeisterwahlen von Kyoto konnte ein von allen nichtkommunistischen Parteien unterstützter Kandidat seinen lediglich von den Kommunisten gestützten Rivalen nur um Haaresbreite schlagen - ebenfalls ein Hinweis auf die Verärgerung der Bevölkerung durch die Jusen-Affäre. Um die Unzufriedenheit auf ihre eigenen Mühlen zu lenken, hat sich die Oppositionspartei Shinshinto in einer parlamentarischen Farce zum Anwalt der Bevölkerungsmehrheit gemacht und die Haushaltssitzungen des Parlaments durch einen Sitzstreik blockiert. In den hierbei anfallenden Handgreiflichkeiten mußte Ministerpräsident Hashimoto, so die FAZ, gar "um seine kunstvolle Pomadenfrisur fürchten". Der Sitzstreik ist trotz seines possenartigen Charakters nicht nur deshalb von hoher politischer Bedeutung, weil er die rechtzeitige Verabschiedung des Haushalts für das Fiskaljahr 1996/97 verhindert, sondern auch, weil er die Regierungskoalition, insbesondere die dominierende LDP, zu spalten droht. Als Wortführer einer LDP-Minderheitsgruppe, deren Mitglieder bei den nächsten Wahlen um ihre Parlamentssitze fürchten, forderte der Abgeordnete Junichiro Koizumi bereits, die Jusen-Angelegenheit wieder aus dem Haushalt herauszunehmen. Es ist nicht ausgeschlossen (zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber auch nicht wahrscheinlich), daß der Streit um die Jusen in eine Regierungskrise mündet und zum Anlaß von Neuwahlen wird. Die Jusen sind 1971 von den großen Geschäftsbanken gegründet worden, um Mittel für die Wohnungsfinanzierung der privaten Haushalte bereitzustellen. Von dieser ursprünglichen Aufgabe sind sie freilich in den Jahren der Bubble abgekommen, in denen sie sich - nicht zuletzt, weil sie im Hypothekengeschäft der wachsenden Konkurrenz ihrer Gründungsbanken ausgesetzt waren - der Finanzierung von Bau- und Immobiliengeschäften zuwandten. In einer Zeit rapide steigender Immobilienpreise, in der der Bodenwert Japans offiziell auf 60% des Bodenwerts dieses Planeten taxiert wurde, schien es attraktiv zu sein, im Zentrum Tokyos und Osakas kleinere Grundstücke zu größeren Einheiten zusammenzufassen und zu "entwickeln", indem man höherwertigen Büroraum schuf. Das gesamte Bankensystem band seine Kreditvergabe immer enger an den Immobilienmarkt, sei es, daß Immobilien als Kreditsicherheiten akzeptiert wurden - wobei Grundstücke bis zu 120% ihres Verkehrswerts beliehen wurden, in der Erwartung, die Preissteigerungen würden die Lücke innerhalb weniger Monate ausgleichen, sei es, daß der Kauf und die "Entwicklung" von Immobilien direkt finanziert wurde. Die zunehmende Verknüpfung des Kreditsystems mit dem Immobilienmarkt wurde von den Finanzbehörden schließlich als kritisch angesehen, und im März 1990 untersagte das Finanzministerium den Banken, ihre Kreditvergabe für den Bau- und Immobiliensektor schneller steigen zu lassen als ihre Kreditvergabe insgesamt. Ab 1991 gingen die Bankkredite an den Immobiliensektor praktisch auf Null zurück. Die Hypothekenbanken freilich fielen nicht unter diese Bestimmung und weiteten ihr Immobiliengeschäft aus. Die Immobilienpreise hatten sich in den 80er Jahren weit von dem Niveau der Einkommen (Mieten) gelöst, die aus der Nutzung der erworbenen Immobilien zu beziehen waren. Grundstücke wurden - wie Aktien - nicht in erster Linie in Erwartung hoher Einnahmen, sondern künftiger Wertsteigerungen gekauft. Vor allem aber war der künftige Bedarf insbesondere an Büroraum massiv überschätzt worden. 1993 standen 16% des in den 23 inneren Bezirken Tokyos angebotenen Büroraums leer, und dieser Anteil wird 1994-96 aufgrund der stagnierenden Wirtschaftsentwicklung gestiegen sein (der Immobilien-Beratungsfirma Halifax zufolge reicht der in den drei Zentrums-Bezirken leerstehende Büroraum, um den Büroraum ganz Hongkongs aufzunehmen). Nach dem Austrocknen der Bubble sanken nicht nur die Aktien-, sondern auch die Immobilienpreise, und zwar in einer Dimension, die vom offiziellen Immobilienpreisindex der National Land Agency nicht erfaßt wird. Grundbesitzer, die in den Zentralbezirken von Tokyo oder Osaka Immobilien veräußern wollen, müssen sich mit 40 bis 50% des Kaufpreises von 1990 zufriedengeben: rechnet man den Wertverlust von 50 bis 60% auf den gesamten Bodenwert der Großstädte hoch, hätte die japanische Volkswirtschaft in nur vier Jahren einen Wertverlust von 17 Billionen DM zu verzeichnen. Freilich handelt es sich hierbei um eine theoretische Größe, da die Grundbesitzer nur in seltenen Ausnahmesituationen ihre Immobilien wirklich veräußern. De facto sind die Transaktionen auf dem Immobilienmarkt zum Erliegen gekommen, da Grundbesitzer wie Banken nichts mehr fürchten als den massiven Verkauf von Grundstücken, der die wirklich markträumenden Preise deutlich machen, die theoretischen in wirkliche Verluste umwandeln und die Kreditsicherheiten der Banken entwerten würde. So unbeweglich der Immobilienmarkt ist, so beweglich ist aber der Markt für die Vermietung von Büroraum. Die Neuverhandlung von Mietverträgen und Abschläge von bis zu 60% sind die Regel. Das Ergebnis: Die Einnahmen der Bau-, Immobilien- und Entwicklungsfirmen reichen nicht aus, um die aufgenommenen Kredite zu bedienen. Die Unternehmen mußten entweder Bankrott anmelden oder durch fortlaufende Umstrukturierungen die Bedienung ihrer Schulden strecken. Auf diese Weise wurden auch die Finanzinstitute, die sich der Finanzierung der Immobiliengeschäfte verschrieben hatten, in den Pleitenstrudel gerissen. Hierzu gehören an prominenter Stelle die Jusen: Von den über 12 Bio Yen an Außenständen der Jusen sind heute 74% als notleidend einzustufen, die Hälfte muß als Verlust abgeschrieben werden, ein Viertel könnte durch den Veräußerung der Kreditsicherheiten gerettet werden. Rechtlich gehören die Jusen zu den "Nichtbanken", d.h. sie dürfen den japanischen Vorschriften zufolge keine Einlagen halten, sondern müssen sich durch Bankkredite finanzieren. Ihre Geschäfte machen bzw. machten sie, indem sie ihre Mittel zu einem höheren Zinssatz an Immobilien- und Bauunternehmen und damit an "riskante Kunden" weiterverliehen. Mit der de facto-Pleite der Jusen kehrt das Risiko freilich zu den Banken zurück, die die Jusen mit Krediten ausgestattet hatten: Die Gründungsbanken der Jusen müssen etwa 3,5 Bio Yen an Krediten abschreiben, andere Geschäftsbanken müssen einen Verlust von 1,7 Bio Yen tragen. Zum Politikum wurde die Jusen-Affäre dadurch, daß die landwirtschaftlichen Kreditkooperativen mit 5,5 Bio Yen an Krediten den Hauptteil der Jusen-Finanzierung tragen. Die landwirtschaftlichen Kreditkooperativen hatten ursprünglich die Aufgabe gehabt, bei den Bauern Einlagen einzusammeln und landwirtschaftliche bzw. landwirtschaftsnahe Aktivitäten zu finanzieren. In der Praxis ging jedoch lediglich ein Viertel der Kredite der Kooperativen in die Landwirtschaft und angrenzende Bereiche. Indem die Kooperativen statt dessen u.a. die Jusen mit Mitteln versorgten, konnten sie höhere Zinsen erwirtschaften und indirekt an den Segnungen des Immobilienbooms teilhaben. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Kooperativen dank der Subventionierung der Landwirtschaft, der hohen Einkommen auf dem Lande sowie der oft beträchtlichen Geldvermögen von Bauern, die in Großstadtnähe Boden verkaufen konnten, über umfangreiche Mittel verfügten, gleichzeitig aber wenig professionell gemanagt wurden. Die politische Bedeutung der Jusen-Affäre liegt darin, daß die landwirtschaftlichen Kreditkooperativen anders als die Banken dem Sanierungsplan der Regierung zufolge sämtliche Kredite an die Hypothekenbanken zurückerhalten. Anstelle der Kreditkooperativen springt der Staat, d.h. der Steuerzahler, ein. Die Kredite der Kooperativen werden so behandelt wie Bankeinlagen, deren Sicherheit staatlich garantiert ist, wenn sie die Summe von 10 Mio Yen nicht übersteigen. Der Grund für diese Vorzugsbehandlung ist einfach zu ermitteln: Die regierende LDP ist auf die politische Unterstützung der Bauern angewiesen. Im Detail sieht die Jusen-Sanierung die Bildung einer Abwicklungsorganisation (Jusen Disposal Organization) vor, die mit den verbliebenen und u.U. durch Immobilienverkäufe zu rettenden assets der Hypothekenbanken, mit Bankkrediten und frischen Krediten der Agrarkooperativen operieren soll. Die Sanierung wird mit 685 Mrd. Yen (ca. 10 Mrd. DM) Steuermitteln bezuschußt. Die steuerliche Belastung von ca. 80.- DM pro japanischem Bürger scheint nicht so groß zu sein, daß sie die öffentliche Empörung rechtfertigt. Doch es ist weniger die Summe von 5.500 Yen, die Empörung auslöst, als die Umstände, unter denen die Jusen in die Krise geraten waren. Obwohl die Regierung beteuert, die für die Jusen-Krise Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen, läßt sich die Verantwortung gerade in diesem Fall nur schwer ausmachen. An ihr haben teil: Das Management der Jusen, der Gründungsbanken und der Agrarkooperativen, einschließlich der Norinchukin Bank, der "Zentralbank" der Agrarkooperativen (die siebtgrößte Bank der Welt), die das Kreditrisiko falsch beurteilten; die Schuldner der Jusen, in der Mehrheit bankrotte Bau- und Immobilienformen, andere Finanzierungsgesellschaften, Golfplatz-Entwickler usw. zu einem erheblichen Teil aber auch Organisationen der Unterwelt (Yakusa), die Immobiliengeschäfte in den Jahren der Bubble als attraktive Alternativen zu ihrer normalen Tätigkeit entdeckten; und nicht zuletzt die Behörden: Das Landwirtschaftsministerium als Interessenvertretung der Agrarkooperativen, die Zentralbank und vor allem das Finanzministerium. Das Finanzministerium, so der Vorwurf, hatte die Jusen vom Verbot der weiteren Ausweitung von Immobiliengeschäften ausgenommen, und nicht zuletzt besetzten ehemalige Beamte des Finanzministeriums 1990 fünf bzw. zwei der sieben Vorsitzenden- und Präsidentenposten bei den gescheiterten Hypothekenbanken. Die Praxis des amakudari, des Wechsels hoher Beamter nach Abschluß ihrer Karriere auf hochdotierte Posten des privaten Sektors, meist in den Branchen, die sie vorher reguliert hatten, erwies sich gerade anhand der Jusen-Affäre als desaströs.
Die Jusen sind ein vergleichsweise kleines Segment des japanischen Kreditsystems. Der Zusammenbruch fünf anderer Kreditinstitute 1995 - zweier Kreditgenossenschaften, zweier Kreditassoziationen und einer Regionalbank - zeigt, daß sich das Problem notleidender, weil mit Aktien- und Immobiliengeschäften verknüpfter Kredite keineswegs auf die Jusen beschränkt. Die Verluste der sieben Jusen betragen im besten Fall 6 Bio, im schlimmsten Fall 12 Bio Yen. Das Volumen der auf die eine oder andere Weise mit dem Immobilienmarkt verbundenen Kreditgeschäfte, d.h. sowohl direkte Immobiliengeschäfte als auch andere Kredite, für die Immobilien als Sicherheiten akzeptiert wurden, wird auf 450 Bio Yen oder 80% der Außenstände des Kreditsystems geschätzt. Das Finanzministerium gibt an, daß 37 Bio Yen an ausstehenden Krediten als notleidend einzustufen seien, unabhängige Beobachter rechnen mit einer weit größeren Summe (CIA: 80 Bio). Wie, so muß gefragt werden, sieht es mit dem Rest der Problemkredite aus? Zunächst gibt es die 19.000 Nichtbanken - Konsumentenkreditgesellschaften, Leasing-Unternehmen, Kreditkarten-, Hypothekenfirmen und andere Finanzierungsgesellschaften - deren Kreditvergabe zu 60% an Bau-, Immobilien- und Entwicklungsunternehmen ging, an andere Nichtbanken, die ihrerseits Immobiliengeschäfte finanzierten, sowie an Firmen, die ursprünglich nicht dem Immobiliensektor angehörten, in den Jahren der Bubble aber in ihm tätig wurden. Das Volumen der notleidenden Kredite dieser Nicht-Banken wird von der Wirtschaftszeitung Nihon Keizai auf 40 Bio Yen geschätzt. Einige dieser Nicht-Banken sind bankrott gegangen, so im Februar 1996 die Aichi Co. und die Equion Co., ohne daß dies größeres Aufsehen erregt hätte, und eines der bekanntesten Institute, Nichiboshin, hat bereits die zweite Restrukturierung hinter sich gebracht. Insgesamt sollen sich etwa 40% der Nicht-Banken in Schwierigkeiten befinden. Die Frage ist, was geschieht mit den Gläubigern dieser Nicht-Banken? Sofern es sich um die großen Geschäftsbanken handelt, sind keine größeren Schwierigkeiten zu erwarten. Anders ist es bei den lokalen Kreditassoziationen oder zweitrangigen Regionalbanken, die selber in schweres Fahrwasser geraten sind; Zusammenbrüche in diesem Bereich werden nicht zu vermeiden sein. Und auch die landwirtschaftlichen Kreditkooperativen kommen wieder ins Spiel: Sie haben 4,7 Bio Yen an Nicht-Banken verliehen, eine Summe, die nicht viel kleiner ist als ihre Kredite an die sieben Hypothekenbanken. Die schwächeren Segmente des japanischen Bankensystem werden in nächster Zukunft schweren Belastungen ausgesetzt sein. Dies betrifft die über 450 Kreditgenossenschaften und Kreditassoziationen, die eigentlich in ihrem lokalen Umfeld Einlagen sammeln und ihre Mitglieder, in erster Linie lokale Kleinunternehmer, mit Krediten versorgen sollten. Natürlich waren auch die Assoziationen und Genossenschaften direkt oder über die Nicht-Banken am Immobiliengeschäft beteiligt, so die Anfang 1995 bankrott gegangenen Tokyo Anzen und Tokyo Kyowa. Bei der Tokyo Kyowa war der größte Kreditnehmer der Präsident der Genossenschaft selbst gewesen, Harunori Takahashi, gleichzeitig Eigentümer der Golfplatz-Entwicklungsgesellschaft EIE, eines der typischen Bubble-Unternehmen, das mit dem Kauf und Verkauf von Golfplätzen und Hotels im asiatisch-pazifischen Raum eine Billion Yen hatte akkumulieren können. Dies betrifft aber auch die schwächeren der Regionalbanken, von denen eine, die Hyogo Bank, 1995 zum Sanierungsfall wurde. Anders als die großen Geschäftsbanken haben die Regionalbanken keine oder nur unzureichende stille Reserven, die sie als Sicherheiten gegen notleidende und uneinbringliche Kredite in Feld führen könnten. Die elf großen Geschäftsbanken (City Banks) selbst befinden sich unmittelbar nicht in Gefahr. Der Anteil notleidender Kredite an ihren Außenständen wird auf 4,7% geschätzt. Ca. 25% ihrer Kredite sollen direkt mit Immobiliengeschäften verbunden sein, er dürfte jedoch höher sein, wenn die als Sicherheiten für andere Kreditgeschäfte eingebrachten Immobilien eingerechnet werden. Insbesondere wird ein Großteil der die Kredite an Kleinunternehmen, denen sich die Banken in den 80er Jahren verstärkt zuwandten - ihre traditionellen Kunden, die Unternehmen der Großindustrie hatten sich längst kostengünstigere Finanzierungsquellen erschlossen,- durch Immobilien gedeckt sein. Aber die City Banks sind die größten Anteilseigner der japanischen Industrie und verfügen in der Form umfangreicher Aktienpakete über ausreichende stille Reserven, um einer möglichen Kreditkrise zu begegnen. Allerdings hängt der Wert dieser stillen Reserven vom Aktienindex und damit einer beweglichen Größe ab. Der Nikkei-Index liegt sich derzeit zwischen 20.000 und 22.000 Punkten, auf einem Niveau, das den Banken keine Sorgen bereitet. Sollte er sich aber wieder - wie im Sommer 1993 - der 14.000 Punkt-Grenze nähern, kämen auch einige der großen Geschäftsbanken in Schwierigkeiten. - Problematischer ist die Lage der drei Long Term Credit Banks, bei denen der Anteil notleidender Kredite offiziell 7% der Außenstände ausmacht, sowie der sieben Trust Banks, bei denen dieser Anteil bei 12% liegt. Wenn es um die Verwendung von Steuergeldern zur Auslösung gefährdeter Banken geht, ist auch an die Cooperative Credit Purchasing Corporation (CCPC) zu erinnern, die 1993 von den Banken und der Regierung gegründet wurde. Aufgabe der CCPC ist es, notleidende Kredite von den Banken zu einem Discount-Preis aufzukaufen und die Außenstände durch den Verkauf der Sicherheiten auszugleichen. Die CCPC hat offiziellen Angaben zufolge bis Ende 1995 10,3 Bio Yen an "faulen" Krediten erworben. Durch den Verkauf von Sicherheiten hat sie bis jetzt lediglich 4% dieser Summe wieder hereingeholt. Die Gründung der CCPC ermöglicht es des Banken, ihre Bilanzen zu sanieren, aber um den Preis, daß eine neue Sammelstelle für "faule Kredite" etabliert wurde. Die Gründung der CCPC, deren Lebensdauer auf 10 Jahre angelegt ist, hat den positiven Effekt, das Abschreiben von Krediten und den Verkauf von Sicherheiten zu Dumpingpreisen zu verhindern, in der Erwartung, daß der Lauf der Zeit und die Inflation das Kreditproblem schon lösen werden. Doch wie wird mit den bei der CCPC gesammelten Krediten verfahren, wenn sich das Problem bis 2003 nicht in Nichts aufgelöst hat? Die Rettung der Jusen ist nur ein Schritt auf dem Wege der Sanierung des japanischen Kreditsystems, unter Einsatz von Steuergeldern. Es ist nicht der erste Schritt. Schon 1995 hatte die Zentralbank 1,2 Bio Yen (17 Mrd. DM) an Krediten an Auffanggesellschaften für gestrandete Banken vergeben - ohne Sicherheiten. Und es ist auf keinen Fall der letzte Schritt. Fast mutet es an, als hätten die Bankenzusammenbrüche des Jahres 1995, die entgegen der japanischen Tradition im Scheinwerferlicht der Øffentlichkeit abliefen, die Funktion gehabt, Politiker und Steuerzahler darauf einzustimmen, daß noch weitaus stärkere Belastungen auf sie zukommen werden.
Das japanische Finanzsystem wird unter dem Druck notleidender Kredite ebensowenig zusammenbrechen wie die japanische Wirtschaft unter dem Kapazitäts- und Beschäftigungsüberhang. Gleichwohl wird es im Finanzsystem wohl noch zu Überraschungen kommen: Zum Zusammenbruch kleinerer Banken (Kreditkooperativen, Kreditassoziationen und Regionalbanken), zum Zusammenschluß größerer Geschäftsbanken (wie im April 1996 der Mitsubishi Bank mit der Bank of Tokyo; dem wird aller Voraussicht nach ein merger der Daiwa Bank mit der Sumitomo Bank folgen) und - in fernerer Zukunft - zu Zusammenschlüssen der Long Term Credit und Trust Banks mit den City Banks. Aus den zu erwartenden mergers werden die größten Banken der Welt hervorgehen. Allerdings hat der Vorrang der Größe - gemessen am Marktanteil - nicht unwesentlich zur gegenwärtigen Bankenkrise beigetragen: Wie die Industrieunternehmen haben auch die japanischen Banken dem Marktanteil anstatt den rates of return zu große Aufmerksamkeit geschenkt. Daher wird die organisatorische Restrukturierung des Bankensektors von einer sachlichen Restrukturierung der Bankaktivitäten begleitet sein müssen. In diesem Zusammenhang wird auch ein Abbau des Filialnetzes und der Beschäftigung - letzterer wurde im Februar von drei Großbanken angekündigt - unvermeidlich sein. Ebenso wichtig wie die Restrukturierung der privaten Banken ist die Reorganisation der kontrollierenden Behörden, in erster Linie des Finanzministeriums. So betreibt derzeit eine noch minoritäre Gruppe von Politikern der Opposition wie der Regierungsparteien die Aufsplitterung des Finanzministeriums in mindestens zwei Einheiten, von denen eine mit dem Staatshaushalt und eine zweite mit der Kontrolle des Bankensystems betraut werden soll. Die Deregulierung des Finanzsystems ohne Einführung unabhängiger Aufsichtsgremien ist einer der Gründe, warum die Kreditkrise die Ausmaße annehmen konnte, die sie heute erreicht hat. Zur Reorganisierung des Bankensystems gehören auch eine Veränderung der Bilanzkontrolle, die das "Verstecken" fauler Kredite in den Büchern erschwert, sowie eine Stärkung der Einlagenversicherung. Der dem Finanzministerium zugeordnete Financial System Research Council schlägt eine Versiebenfachung der Mittel der Einlagensicherung vor; außerdem sollem Steuergelder für die Banksanierung nur für Kreditgenossenschaften, und diese nur noch für fünf Jahre, eingesetzt werden. In der Industrie ist eine Übergang der Management-Prioritäten von der Betonung des Marktanteils zu den rates of return bereits im Gange. Dies wird die Seite der Anteilseigner auf Kosten des firmeninternen Managements und der Belegschaften stärken; ob allerdings damit - wie der Economist vermutet - das japanische Modell der stakeholder company zugunsten der angesächsischen shareholder company der Vergangenheit angehören wird, ist zumindest fraglich. Denn viele der nach dem Muster der stakeholder company organisierten japanischen Firmen sind nach wie vor in Wachstumssektoren äußerst wettbewerbsfähig. In der Halbleiterindustrie, deren Nachfrage 1995 um 40% wuchs, halten japanische Unternehmen 39,5% des Weltmarkts, gegenüber den 39,8% der USA, den 12,1% Asiens ohne Japan und den 8,6% Europas. Vor allem der Markt für Geräte der Halbleiterherstellung wird von japanischen Unternehmen dominiert. In der Produktion von Flachbildschirmen führen japanische Unternehmen mit einem Output von 1,63 Mio Einheiten pro Monat die Weltrangliste an; der nächste Konkurrent, Südkorea, bringt es auf 120.000 Stück. Bei der Entwicklung neuer Informations- und Bildträger (Laser-Disk usw.) spielen japanische Firmen eine führende Rolle, und nicht zuletzt könnte der entstehende Markt für PKW-Navigationssysteme, der Verbindung elektronischer Straßenkarten mit der Infrastsruktur der Verkehrsleitsysteme, zu einem attraktiven Expansionsfeld japanischer Unternehmen werden. Doch dies ist nur eine Seite der Medaille. Die seit langem geschützen Unternehmen der Papier-, Zement-, Gummiindustrie oder Petrochemie, die sich nur durch kartellähnliche Arrangements gegen Importe schützen konnten, und die ihre Produkte zu extrem hohen Preisen anbieten (so verkauft eine große Baustoffirma die Tonne Zement im Inland zu 10,750 Yen und exportiert sie zu 3,500 Yen), sind zu einer Belastung der modernen Exportindustrie geworden. Deren Interessenvertretung, der Unternehmerverband Nikkeiren, spricht sich daher auch für die Öffnung des Marktes aus, um die niedrige Produktivität und die hohen Preise der Branchen anzugehen, die nicht der internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind. Aber auch viele Dienstleistungsunternehmen - Friseurgeschäfte, Reisebüros, Restaurants, Hochzeitsagenturen -, die von grö-ßeren Firmen nicht gegründet wurden, um Gewinne zu machen, sondern um überzählige Beschäftigte aufzunehmen, werden den Strukturwandel kaum überstehen. Man mag zweifeln, ob eine Restrukturierung der Wirtschaft auf Kosten der weniger produktiven Branchen gelingt - doch wenn sie gelingt, wird Japan seine niedrige offizielle Arbeitlosenquote von 3,5% kaum aufrechterhalten können. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998 |