S O Z I A L I S T I S C H E

M I T T E I L U N G E N

News for German Socialists in England

No. 87

Juni 1946



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Reichsparteitag

der SPD

HANNOVER

8. - 11. MAI 1946[1]

Im grossen, einfach und geschmackvoll hergerichteten Speisesaal der Hanomag[2] in Hannover traten in dreitägigen ernsten Beratungen die in den 22 Parteibezirken der drei Westzonen Deutschlands gewählten 258 Delegierten zum Reichsparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zusammen. In mitreissenden und gedankenreichen Referaten der Genossen Dr. Kurt Schumacher und Dr. Victor Agartz und einer auf hohem geistigem Niveau stehenden Aussprache wurden die Aufgaben und die politischen Probleme der Gegenwart (Abrüstung, Sicherheit, Entnazifizierung, Ruhr- und Rheinproblem, Sozialisierung, Landreform, Produktionskontrolle, demokratische Neugestaltung und Entwicklung sozialistischer Formung, Ernährungs-, Jugend- und Flüchtlingsnot) behandelt. Sozialismus als Gegenwartsaufgabe, konstruktive Gestaltung, Offensivgeist und Unabhängigkeit der Partei, das waren Inhalt und Forderung dieser denkwürdigen Tagung deutscher Sozialdemokraten in Hannover.



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begannen bereits, nachdem auf der Konferenz der Amerikanischen Zone (Zonenkonferenz) in Offenbach am 27. Februar 1946 beschlossen worden war, einen Parteitag anzuregen. Die Zonenkonferenz in Hannover fuer die Britische Zone schloss sich der Anregung an. Es war das Ziel des Westzonenbueros, den Parteitag so frueh wie moeglich zu veranstalten, um die Voraussetzungen fuer die Organisationsbildung zu schaffen und die Vorbedingungen fuer einen etwa kommenden Wahlkampf zu erfuellen.

Voraussetzung fuer die innere Gueltigkeit der Beschluesse des Parteitages muesste sein, dass alle stimmberechtigten Delegierten in echtem Sinne beauftragt, also gewaehlt waren und die Mitgliedschaft ihres Bezirkes vertraten. Dieses Prinzip ist streng beachtet worden, und eine Mandatspruefungskommission, die der Parteitag einsetzte (die uebrigens einem alten Brauch der SPD entspricht) kontrolliert die schriftlich niedergelegten Mandate der Delegierten.

Es gehoert zu den wichtigsten Grundsaetzen der SPD, dass die Leitung der Parteitage nicht in der Hand der Parteileitung, also der Exekutive, liegt, sondern dass eine besondere Parteitagsleitung aus dem Kreise der Delegierten gewaehlt wird. Damit wird die Souveraenitaet des Parteitages betont, dem die Parteileitung, der kuenftige Parteivorstand also, verantwortlich ist. Zu Vorsitzenden dieses ersten Parteitages nach dem Zusammenbruch der Weimarer Republik (wie Schumacher seine Eroeffnung formulierte) wurden gewaehlt Fritz Henssler (Dortmund), Julius Lossmann (Nuernberg) und Franz Boegler (Neustadt), also aus jeder der drei westlichen Zonen ein Delegierter. Neben ihnen sind sechs Beisitzer taetig, zwei aus jeder Zone.

Die Hannoversche Parteiorganisation hat im Verlaufe dieses ersten Jahres der Parteiarbeit wiederholt in kuerzester Frist die sehr schwierige Aufgabe einer Aufnahme, Unterbringung und Verpflegung einer grossen Zahl von Gaesten bewaeltigt, die zu besonderen Veranstaltungen der SPD nach Hannover kamen. Sie bestand auf einer besonders wuerdigen Festlichkeit fuer die Delegierten des ersten Parteitages und erntete den Beifall und Dank, die ihrer Muehe und den ausserordentlich guten Darbietungen gebuehrten.

Die Veranstaltung fand in der Galerie an den Herrenhaeuser Gaerten statt, jenen weitgedehnten Parkanlagen, die einst Besitz der Koenige von Hannover waren und zum Eigentum des Hannoverschen Volkes wurden.

Die Leonoren-Ouvertuere von Beethoven leitete den festlichen Abend ein. Es spielte das Orchester des Staedtischen Opernhauses unter der Leitung des Kapellmeisters Arno Grau. Vereinigte gemischte Choere sangen Nobels "Morgenrot". Hans Beuthner sprach "Die heilige Alliance" von Jean de Béranger und aus dem Drama "Franz von Sickingen" von Lassalle den Appell "Mit ganzer Kraft". Die Symphonie Nr. 20 von Mozart beendete die kuenstlerischen Darbietungen, die eine Begruessungsansprache des Bezirkssekretaers von Hannover, Egon Franke, umrahmten. Mit stuermischem, demonstrativem Beifall wurde der Vorsitzende der Berliner Parteiorganisation der SPD, Franz Neumann, begruesst, der zu den Versammelten sprach.

wird durch die Tatsache gezogen, auf die Schumacher in seiner Eroeffnungsansprache auch besonders hinwies, dass dieser erste Kongress der SPD in einer Fabrikanlage stattfindet. Schumacher nannte diese Tatsache symptomatisch. Das Haus, in dem die Tagung stattfindet, gehoert zum Hanomag-Betrieb. Es war durch Bomben stark beschaedigt. Die Waende mussten zum Teil neu gezogen werden. Da es keinen Saal mit Nebenraeumen in Hannover gibt, der nicht noch schwerer beschaedigt waere, erschien dieses Haus als besonders geeignet. Es wurde in besonders emsiger und schneller Arbeit hergestellt und gerade rechtzeitig fuer den Termin des Parteitages fertig. Der Vorsitzende des Betriebsausschusses des Werkes teilte in seiner Begruessungsansprache vor dem Parteitag mit, dass der Vorstand dem Vorschlag, die Gebaeude fuer den Zweck des Parteitages herzugeben, sogleich zugestimmt habe. Der Saal wurde geweisst und ist mit Blumen und Lebensbaeumen geschmueckt. Die helle Maisonne, die ueber Hannover liegt, durchflutet ihn von allen Seiten und taucht ihn in ein weisses Licht, das nirgendwo einen Schatten entstehen laesst.

sind in erster Linie ordentliche Delegierte. Auf je 200[0 ! vgl. Hinweis S. 12] Mitglieder
ueber die ordnungsmaessig abgerechnet werden konnte, sollte im Prinzip ein Delegierter entsandt werden. Der relativ doch nur geringe Raum, die grosse Schwierigkeit der Unterbringung in Quartieren und auch Ernaehrungssorgen, liessen es nicht zu, dass eine groessere Zahl von Teilnehmern und von Gaesten zu diesem Parteitag zugelassen werden konnten. Es musste streng abgegrenzt werden. Etwa vierhundert Personen sind in offizieller Eigenschaft auf dem Parteitag anwesend. Zu ihnen gesellen sich doch noch zahlreiche Gaeste. Zwoelf Berliner Sozialdemokraten sind anwesend. Die Schilder auf den Tischen, die anzeigen, welche Bezirke auf den bezeichneten Plaetzen

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sitzen, weisen nach, dass Mittel-, Nord-, West- und Sueddeutschland ohne Ausnahme vertreten sind. Es werden alle Dialekte laut, Oberbayern und Hamburger, Maenner aus Konstanz und aus der Rheinebene, aus Braunschweig, dem oestlichsten Bezirk der Westzonen, und aus Schleswig-Holstein - und Frauen nicht minder - sind vereinigt.

Die Teilnehmer, die Delegierten, sitzen an langen Tischreihen. Quer dazu hat das Buero der Westzonen seinen Platz, wo auch Schumacher sitzt, der bisher der Beauftragte der Westzonen der SPD war. Auf der andern Seite des Saales sitzen zahlreiche Gaeste, besonders viele Vertreter der Militaerregierungen, und zwar nicht nur aus der Britischen Zone, sondern auch aus Muenchen und aus Berlin. Schumacher unterliess es nicht, besonders zu betonen, dass diese Maenner in Uniformen nicht zur Aufsicht gekommen seien, sondern als Gaeste in des Wortes rechter Bedeutung teilnaehmen. Etwas erhoeht sitzen an der Stirnseite des Saales die Mitglieder der Leitung des Parteitages und die Referenten und Sachbearbeiter, die der SPD zur Verfuegung stehen.

Es ist in der SPD nicht ueblich, mit Namen Kult zu treiben. Die Frauen und Maenner, die in ein Amt eintreten und danach eine Amtsbezeichnung erhalten oder einen Titel tragen, nahmen die Arbeit immer um der Pflicht und der Sache willen auf und wollten ihrer Idee dienen. Aber viele machten sich eben durch ihre Taetigkeit und Leistung einen Namen und sicherten ihm in vielen Jahren einen guten Klang. Wenn es gar moeglich ist, dass er ueber ein Jahrzehnt des tiefen Schweigens hinweg in vielen Herzen lebendig blieb, so mag dies ein Beweis fuer die Bedeutung der Maenner sein, die sich als Charaktere wie als Arbeiter am Werk des Staates oder der Partei, der sozialistischen Idee bewaehrten.

Unsere im Ausland lebenden Genossen werden sicher interessiert sein, die Namen der in den Parteibezirken gewaehlten Delegierten kennen zu lernen. Die Delegierten waren:

Vom Bezirk Schleswig-Holstein: Auhagen, Otto, Hennstedt, Kreis Segeberg; Albrecht, Karl, Luebeck; Arp, Erich, Elmshorn; Damm, Walter, Elmshorn; Eckstrand, Hans, Ahrensburg; Fischer, Heinrich, Einfeld; Gayk, Andreas, Kiel; Kock, Heinz, Luebeck; Kukiezinski, Max, Schoenwalde/Holst.; Kublinski, Wilhelm, Kiel-Kronshagen; Kuskopf, Peter, Heide; Lachs, Friedrich, Timmendorferstrand; Lurgenstein, Walter, Husum; Oldorf, Hans, Luebeck; Petersen, Christian, Wentorf; Ratz, Karl, Kiel; Reiser, Nikolaus, Flensburg; Schroeder, Hans, Kiel, Steinhoerster, Willi, Wilster; Stoecken, Eckernfoerde; Voelker, Gertrud, Kiel; Warstatis, Heinrich, Preetz; Wirthel, Berta, Luebeck;

vom Bezirk Hamburg: Bugdahn, Paul, Gr.-Flottbeck; Dahrendorf, Gustav, Hamburg-Wellingbuettel; Elsner, Willy, Hamburg; Hass, Peter, Hamburg; Heydorn, Heinz-Joachim, Hamburg-Rissen, Karpinski, Paula, Hamburg-Fuhlsbuettel; Keilhack, Irma, Bergstedt; Keilhack, Adolf, Bergstedt; Heitmann, Karl, Hamburg; Nevermann, Dr., Paul, Hamburg-Blankenese; Schmedemann, Walter, Hamburg-Langenhorn II; Schmedemann, Willy, Hamburg; Schoenfelder, Adolf, Hamburg-Fuhlsbuettel; Woehrmann, Grete, Hamburg-Blankenese; Zelck, Max, Wellingbuettel;

vom Bezirk Bremen-Nordwest: Bockmann, Conrad, Osnabrueck, Boehm, Josef, Bremen; Fischer, Johann, Norden/Ostfriesland; Frerichs, Elisabeth, Zetel; van Heukelum, Gerhard, Wesermuende; Juergens, Ludwig, Stade; Kaisen, Wilhelm, Bremen; Osterloh, Hermann; Schwarz, Max, Nordenham; Stiegler, Anna, Bremen; Ziegler, Fred, Berne/Oldenburg;

vom Bezirk Hannover: Ernst, Willi, Klein-Haeuslingen; Fahlbusch, Ernst, Weende; Feuerstack, Kaethe, Hannover/Isernhagen; Franke, Egon, Hannover; Gerlach, Erich, Nordheim; Hahn, Heinrich, Lueneburg; Hasselbring, Hermann, Hannover; Heuer, Albert, Hannover-Hermingen; Holweg, August, Hannover-Linden; Helfers, Rosa, Hameln; Holzhausen, Georg, Hannover-Isernhagen; Kellner, Robert, Hannover-Badenstedt; Koehler, Albert, Celle; Kraft, Felix, Goettingen; Lau, Johannes, Hannover-Isernhagen; Noelting, Dr., Ernst, Hannover-Isernhagen; Partzsch, Richard, Hannover; Poth, Karl, Holzminden; Prueter, Karl, Sulingen; Rinne, Heinrich, Alfeld; Roeber, Hermann, Hannover; Sack, Hermann, Peine; Schreyer, Wilhelm, Clausthal-Zellerfeld; Schulz, Karl, Rinteln; Schulze, Hanni, Hannover; Wendt, Willy, Hannover;

vom Bezirk Braunschweig: Arnholz, Otto, Braunschweig; Bosse, [Rudolf], Goslar; Burgdorf, Erich, Braunschweig; Hartmann, Fritz, Lebenstedt; Kubel, Alfred, Braunschweig; Ossenkopf, Schlowecke; Roloff, Albert, Gandersheim; Treichel, Herbert, Braunschweig; Voigt, Richard, Helmstedt;

vom Bezirk Oestliches Westfalen: Berlin, August, Detmold; Bollbri[nk], Walter, Bielefeld; Gross, Emil, Bielefeld; Grube, Otto, Herford; Hoecker, Heinrich, Herford; Ittig, Oskar, Minden; Luecking, Heinrich, Paderborn; Meinke, Willy, Bielefeld; Michel, Willy, Minden; Reuther, Franz, Stadthagen; Strieker, Heinrich, Rahden; Walkenhorst, Robert, Bielefeld;

vom Bezirk Westliches Westfalen: Agatha, Emil, Gelsenkirchen; Barnefski, Hermann, Dortmund; Fliege, Willi, Dortmund; Freitag, Walter, Hagen; Gleisner, Alfred, Hamm; Grobe, Willi, Hagen-Hattingen; Harich, Walter, Iserlohn; Henssler, Fritz, Dortmund; Jacobi, Werner, Iserlohn; Kastner, August, Recklinghausen; Koetzsch, Kurt, Bochum; Kappius, Josef, Bochum; Loebl, Arnold, Dortmund; Moehle, Oskar, Muenster; Nowak,

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Walter, Bochum; Olejnik, Wilhelm, Recklinghausen; Pztulla, Siegen, Olpe-Wittgenstein; Schaefer, Rolf, Dortmund; Schaefer, Paul, Bochum; Schaub, Kaethe, Dortmund; Schoenewolf, Erich, Bochum; Steinhoff, Fritz, Hagen; Stoffers, Hugo, Hamm; Welke, Erwin, Altena-Luedenscheid; Wenke, Heinrich, Dortmund;

vom Bezirk Niederrhein: Agnes, Lore, Duesseldorf; Berten, Peter, Duesseldorf; Flamme, Ewald, Solingen; Gnoss, Ernst, Duesseldorf; Hellenbrock, Josef, Krefeld; Jochem, Heinrich, Oberhausen; Kiewen, Alois, Remscheid; Lenschen, Johann, Neuss; Nieswandt, Wilhelm, Essen; Richter, Georg, Duesseldorf, Runge, Hermann, Moers; Runge, Mi[e]nchen, Moers; Sack, Fritz, Wuppertal; Strahl, Ferdinand, Muenchen-Gladbach;

vom Bezirk Oberrhein: Boeckler, Hans, Koeln-Bickendorf; Eichler, Willi, Koeln-Suelz; Fette, Christian, Koeln-Hoehenberg; Goerlinger, Robert, Koeln-Suelz; Haerdle, Mine, Koeln-Marienburg; Schirrmacher, Willi, Koeln-Muehlheim; Woeske, Willi, Bergisch-Gladbach; Hecker, Josef, Dueren;

vom Bezirk Hessen-Kassel: Braunholz, H., Kassel; Freidhof, R., Kassel; Herrmann, K., Kassel; Herzog, August, Eschwege; Nitsche, Johann, Kassel; Schroeder, K., Kassel; Selbert, E., Kassel; Voelker, Georg, Kassel; Wittrock, Chr., Kassel;

vom Bezirk Hessen-Frankfurt: Apel, Wilhelm, Frankfurt; Bittorf, Marie, Frankfurt; Buch, Georg, Wiesbaden; Caspary, Friedrich, Frankfurt; Gumbel, Konrad, Giessen; Harth, Jean, Ruesselsheim; Kegel, August, Wetzlar; Knothe, Willi, Frankfurt; List, Fritz, Frankfurt; Lorenz, August, Erzhausen; Mayer-Schreiber, Berty, Giessen; Metzger, Ludwig, Darmstadt; Mueller, Heinrich, Sandbach-Odenwald; Niebergall, Wilhelm, Idstein/Taunus; Otto, Hans, Dillenburg; Reinhard, Heinrich, Semd, Kreis Dieburg; Wagner, Albert, Fuerfurth/Oberlahn; Weybrecht, Georg, Offenbach/Main; Wittig, Bruno, Butzbach; Sandmann, Karl, Lauterbach; Schneider, Heinrich, Marbach; Sommer, Walter, Schotten/Oberhessen; Stierle, Georg, Frankfurt; Zinnkann, Heinrich, Darmstadt;

von Wuerttemberg-Baden: Denker, Max, Stuttgart; Ebert, Heidelberg; Geist, Schwenningen; Grosshans, Heini, Heilbronn; Kalbfell, Oberbuergermeister, Reutlingen; Krieg, Willi, Bietigheim; Helmstaedter, Fritz, Stuttgart; Hettig, Karl, Esslingen; Holzhauer, Schwenningen[3]; Hund, Franz, Hockenheim; Rosner, Dr., Tuebingen; Schmid, Prof. Dr., Tuebingen[4]; Sommer, Jakob, Mannheim; Trumpfheller, Jakob, Mannheim; Ulrich, Fritz, Stuttgart; Veit, [Hermann,] Karlsruhe; Wagner, Anton, Ulm/Donau; Wolf, Albert, Pforzheim;

vom Bezirk Oberpfalz-Niederbayern: Ecker, Fritz, Weiden; Grassl, Landshut; Hoehne, Franz, Regensburg; Hoellinger, Passau; Hofmann, Leo, Regensburg; Laumer, Josef, Straubing; Linssis, Josef, Regensburg; Renner, Fritz, Amberg;

vom Bezirk Ober- und Mittelfranken: Ammon, Lina, Nuernberg; Behrisch, Arno, Hof; Faenger, Wilhelm, Rodach; Graessler, Fritz, Fuerth; Hass, Franz, Nuernberg; Jacker, Erich, Schwabach; Kerner, Georg, Bamberg; Lossmann, Julius, Nuernberg; Mayer, Robert, Lauf; Meier, August, Nuernberg; Meyer, Ludwig, Coburg; Roell, Franz, Marktleuthen, Bezirk Wunsiedel; Schoenauer, Friedrich, Kulmbach; Schuberth, Ludwig, Kueps/Oberfranken; Seeser, Karl, Bayreuth; Vetter, Wilhelm, Rehau; Ziegler, Hans, Nuernberg; Zink, Peter, Erlangen;

von Unterfranken: Maag, Johann; Waldbuettelbrunn; Op deen Orth, Schweinfurt;

von Schwaben: Baur, Valentin, Augsburg; Eberlein, Dr., Hans, Augsburg; Kiss, Alfred, Augsburg; Wolff, Eugen, Augsburg; Ulrich, August, Augsburg;

von Oberbayern: Albert, Martin, Muenchen; Menzel, Dr., Muenchen; Vater, Hans, Muenchen; Weinberger, Hans, Muenchen; Spoegel, Karl, Rosenheim; Grandl, Benno, Rosenheim; Braun, Josef-Bruno, Rosenheim;

von Rheinland-Koblenz-Trier: Berthold, Josef, Trier; Bettgenhaeuser, Emil, Koblenz; Schmidt, Otto, Giesenhausen;

von Rheinland-Mainz: Bardorf, Ludwig, Worms; Bund, Karl, Mainz; Harasin, Heinrich, Mainz; Wedekind, Otto, Ingelheim;

von der Pfalz: Boegler, Franz, Speyer; Hoffmann, Rudolf, Ludwigshafen; Kuraner, Maxim, Speyer, Luthringshauser, Jakob, Frankenthal; Ludwig, Adolf, Neustadt; Nees, Philipp, Kaiserslautern; Schardt, Ferdinand, Kirchheimbolanden; Volkemar, Fritz, Pirmasens;

aus der Saar: Glauben, Saarbruecken; Michely, Saarbruecken; Roth, Saarbruecken; Ott, Saarbruecken, und

vom Westzonenbuero: Schumacher, Dr., Kurt, Hannover; Heine, Fritz, Hannover; Kriedemann, Herbert, Hannover; Nau, Alfred, Hannover; Ollenhauer, Erich, Hannover.

Gastdelegierte des Bezirks Berlin: Aussner, Gerhard; Bodin, Ute; Neumann, Franz; Swolinski, Kurt; Germer, Karl-J.; Schulz, Dr. Klaus Peter; Hannemann, Maria; Suhr, Dr. Otto; Schroeder, Louise; Moewes, Ernst; Schmitt, Kurt; Schoepflin, Alfons.

erfolgt durch den Genossen Kurt Schumacher. Er stand am Pult und die Lautsprecher gaben seine helle, durchdringende Stimme klar und etwas feierlicher wieder als sie in der Natur ist. Er bedarf aber kaum einer Lautverstaerkung:

"Ich eroeffne den ersten Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nach dem Zusammenbruch der Weimarer Republik. Ich moechte in dieser Stunde nicht mit dem droehnenden Pathos der Propaganda zu Ihnen reden, das Sie die letzten dreizehn Jahre erleiden mussten ..."

Bei diesem Tenor blieb es waehrend des ganzen ersten Verhandlungstages. Es wurde keine "Politik der grossen Worte" gemacht, sondern um Erkenntnisse und um Klarheit gerung[en.]

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Schumachers Gruesse an die Bruderparteien im Ausland wurden von lebhaftem Beifall unterstrichen.

Ohne Pathetik, aber ergreifend gedachte ein Sprecher der Toten, aller Toten dieses Krieges und des Kampfes gegen den Terror in allen Nationen und aus allen Rassen. Die Liste der Toten der Partei konnte nicht verlesen werden. Sie haette Stunden und Stunden in Anspruch genommen und waere wohl doch nicht vollstaendig gewesen.

Genosse Schumacher begruesste alle Gaeste des Parteitages aufs herzlichste und besonders die Vertreter der Emigration, die Genossen Cohen-Rouss (Paris), Herta Gotthelf (London), Markscheffel (Paris) und Wilh. Sander (London). "Unseren Genossen im Ausland unseren herzlichen Dank und Gruss, den Dank deshalb, weil sie in den ganzen Jahren tapfer fuer das gestritten haben, wofuer die deutsche Sozialdemokratie im Rahmen der Internationale kaempft."

Auf diese herzlichen Worte antwortete Genosse Sander mit folgenden Worten fuer die Emigration: "Es ist ein erhebendes Gefuehl, nach dreizehnjaehriger Emigration wieder in die Heimat zurueckkehren zu koennen und im Auftrage der Genossen in der Emigration dem ersten Parteitag der deutschen Sozialdemokratie nach dem Hitlerzusammenbruch herzliche Gruesse und Wuensche ueberbringen zu koennen. Die Londoner Vertretung der SPD und alle Sozialdemokraten, die durch die Hitler-Diktatur in die verschiedensten Laender der Welt getrieben wurden, begruessen Euch auf das herzlichste. Viele Freunde, die Euch persoenlich bekannt sind, haben mir nach London geschrieben und mich gebeten, Gruesse auszurichten. Der letzte Kartengruss enthielt nur wenige Zeilen, alte muede Zuege, aber wie mir berichtet wurde, von einem Manne, der geistig noch frisch ist und im Geiste unter uns weilen wird, der alte Genosse Otto Landsberg. (Lebhafter Beifall)

Ein Telegramm aus den Vereinigten Staaten von Amerika, von Friedrich Stampfer unterzeichnet, unterstreicht noch einmal, dass ich versichern soll, dass alle Genossen drueben ueber dem grossen Meere im Geiste bei Euch sind.

Die unerwartet herzlichen und anerkennenden Worte des Genossen Schumacher machen es ueberfluessig, weitere Ausfuehrungen ueber die Arbeit der Emigration zu machen. Ich darf mich deshalb nur auf zwei kurze Bemerkungen beschraenken.

Als Ihr, Genossinnen und Genossen, durch den Druck der Diktatur zum Schweigen verurteilt wurdet, hatten wir die Moeglichkeit, im Auslande zu sprechen, und wir haben gesprochen, immer und ueberall, wo wir glaubten, die Stimme der deutschen unterdrueckten Arbeiterklasse verkuenden zu muessen. Es war nicht immer leicht, und es bestand auch nicht immer Einmuetigkeit in unseren Reihen. Es waere falsch zu verschweigen, dass es auch in unseren Reihen Meinungsverschiedenheiten und auch einige Abtruennige gab, aber der Glaube an den endgueltigen Sieg der deutschen Arbeiterbewegung und der Glaube an die Genossen daheim und an ihre Arbeit war ungebrochen. Deshalb erfuellt es mich mit besonderem Stolze, dass hier auf dem ersten freien Parteitag der deutschen Sozialdemokratie solche Worte der Freundschaft und der Anerkennung aus dem Munde des Genossen Schumacher der Emigration zuteil wurden.

Und noch eine zweite Bemerkung. Wir wissen, dass wir zu Euch gehoeren, wir wissen, dass wir ein Stueck von Euch sind, und wir haben den Wunsch, mit Euch gemeinsam wieder auf heimatlichem Boden arbeiten zu koennen. Wir wissen, die Schwierigkeiten sind im Augenblick noch gross, und der Prozess der Rueckfuehrung der politischen Emigration in die Heimat wird viel mehr Zeit brauchen, als wir erst gehofft hatten. Fuer den einen wird der Tag frueher, fuer den anderen spaeter kommen, wieder mit Euch gemeinsam zu arbeiten. Bis dahin werden wir dort, wo wir leben, und dort, wo wir wirken, uns als Stueck der deutschen Arbeiterbewegung betrachten und werden dort in unserem Geiste und Sinne fuer die gemeinsame Aufgabe und das gemeinsame Ziel arbeiten.

Ich moechte Euch die Versicherung geben, im Namen der deutschen Genossen draussen in den verschiedensten Laendern, dass wir es als unsere Pflicht betrachten, Euch zu helfen, wo immer wir koennen und wie immer wir koennen. (Grosser Beifall)

Ein letztes Wort von unseren englischen Freunden. Wenige Tage bevor ich die Reise von London nach Hannover antrat, hatte ich im Transporthouse eine Aussprache mit dem Internationalen Sekretaer der Labour-Party.

Der Genosse Healey sagte mir, dass die Exekutive der Labour-Party mit grossem Interesse die Wiederaufrichtung der deutschen Sozialdemokratie beobachte, anerkenne und bewundere und dass die Labour Party Wert darauf lege, einen offiziellen Vertreter nach Hannover senden zu koennen. Er hat mir als moegliche Vertreter der Labour-Party den Genossen Gordon Walker oder Crossman genannt, und ich hoffe, dass wir den Vertreter bald begruessen koennen. Genosse Healey hat mir die herzlichsten Gruesse an den Parteitag aufgegeben und gesagt: Ich kann nur wiederholen, was wir in unserer Botschaft an die deutsche Bruderpartei den Genossen Erich Ollenhauer und Fritz Heine mitgaben und was Genosse Morgan Philipps in der Maibotschaft Euren deutschen Genossen zugerufen hat. Im Geiste dieser beiden Botschaften bitte ich, die Genossen drueben in Hannover zu begruessen." (Lebhafter Beifall)

Auch die Ansprache des Genossen Cohen-Reuss (Paris) wurde mit lefhaftem Beifall begruesst, und als am vorletzten Verhandlungstag der Gen. Kurt Heinig (Stockholm) die Gruesse der SPD-Genossen in Schweden ueberbrachte und auch die Gruesse und Wuensche der schwedischen und daenischen Bruderpartei, wurde ihm dafuer lebhafter Beifall zuteil.

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gingen ein von Jim Middleton, dem frueheren Generalsekretaer der Labour Party, von Lucie Middleton, Mitglied des englischen Unterhauses, von Mary Sutherland, Frauensekretaerin der Labour Party, Barbara Gould, Mitglied des britischen Unterhauses, Mrs. Quinley, Mitglied des britischen Unterhauses und Vorstandsmitglied der Gross-Londoner Genossenschafen, saemtlich in London.

Aus Paris schrieb das fuehrende Mitglied der franzoesischen Sozialistischen Partei Boudien, aus London der Londoner Vertreter des Bundes der Juedischen Arbeiterpartei in Polen Lucjan Blit, aus Norwegen lag ein laengeres Schreiben der Arbeiterpartei Norwegens vor, weiter lagen Begruessungsschreiben von brasilianischen Demokraten und Sozialisten vor, der Sozialistischen Erziehungsinternationale (Willy Hocke), der gemeinsamen Maifeier deutscher und sudetendeutscher Sozialdemokraten in London, ferner ein Schreiben der Genossen aus Amerika mit den Unterschriften der Genossen Brauer, Rudolf Katz, Alfred Braunthal, Gustav Ferl, Fritz Karsen, Paul Lyan[5], Martin Plettl, Gerhart Seger, Willy Snell, Friedrich Stampfer, Fr. W. Wagner und Helmut Wickel.

Aus der Schweiz hatte die "Union deutscher Sozialisten und Gewerkschafter" und aus Stockholm das fruehere Parteivorstandsmitglied Emil Stahl geschrieben. Waehrend der Tagung wurde auch ein laengeres politisches Schreiben von der Partei der Arbeit in Holland mit den guten Wuenschen der hollaendischen Genossen vom Praesidenten des Parteitages verlesen. (Einige hier nicht aufgefuehrte Begruessungsschreiben sind verspaetet eingegangen.)

Im Verlauf der Diskussion zu den zwei grossen Referaten des Parteitages sprach auch das Mitglied der Unabhaengigen Arbeiterpartei in Grossbritannien (I.L.P.), Mitglied des Unterhauses, Fenner Brockway, vom Parteitag lebhaft begruesst. Er spreche, so sagte er, als der erste Auslaender vor den deutschen Sozialdemokraten nach diesen dreizehn Jahren des Unheils. Er sprach aber nicht zum ersten Male in Deutschland, das er 1931 und in diesem Jahre besucht habe. Der Kampf gegen den Kapitalismus sei das Gebot der Stunde. Nur ein sozialistische Deutschland sei ein wirklicher Garant gegen den Krieg. Sicherheit koenne nicht dadurch erreicht werden, dass den deutschen Arbeitern die Industrien genommen wuerden, sondern nur, wenn sie die internationale Hilfe erhielten, die sie brauchten. Es sei wichtig, dass die Nazidiktatur von gestern nicht von der kommunistischen Diktatur von morgen abgeloest werde. Sozialismus sei die Grundlage der neuen Welt, Demokratie und Freiheit seien ihre Bestandteile. Nach Schumachers starker politischer Rede sei es nicht mehr noetig zu betonen, dass Selbstvertrauen die Voraussetzung erfolgreicher politischer Arbeit sei. Die KPD sei in Deutschland Agent einer fremden Macht. Die SPD muesse darauf achten, dass nicht auch sie Agent einer fremden Macht werde (starker Beifall).

Brockway sprach englisch, aber seine temperamentvolle Ansprache wurde nicht minder temperamentvoll uebersetzt. Dann wandte er sich deutsch an seine Freunde und schloss: "Genossen, Freundschaft, Friede, Freiheit! Auf Wiedersehen!" - Ihm dankte herzlicher Beifall.

Mit starkem, herzlichem Beifall des gesamten Parteitages begruesst, begab sich Kurt Schumacher zum Rednerpult, um das Hauptreferat des Parteitages zu halten.

Die Situation ist fuer die Sozialdemokratische Partei nach den dreizehn Jahren des Terrors und der illegalen Arbeit in vieler Beziehung wesentlich veraendert. Die oekonomischen Voraussetzungen, die geistige Lage, die politischen Kraefte sind anders als 1932. Aber es sind noch keine vollendeten Tatsachen zu verzeichnen, nicht einmal ist abzusehen, welches die wirkenden Kraefte sind, die in Deutschland zu formen sein werden. Von dieser Voraussetzung ging Schumacher aus, als er ueber "Aufgaben und Ziele der deutschen Sozialdemokratie" sprach. Er beantwortete zuerst die Frage, warum noch kein Programm beraten und verabschiedet werden koenne, forderte dann auf, die praktische Arbeit aber sogleich und mit starker Initiative zu beginnen und im kleinen zu versuchen,

das grosse Ziel vorzubereiten, das die Sozialisierung sein muesse.

Besonders sorgfaeltig grenzte Schumacher die SPD gegen andere Parteien und nach Lage der politischen Auseinandersetzung der letzten Wochen vor allem gegen die KPD ab. Sein Bekenntnis zur Demokratie und besonders der Satz "Wir wuerden Demokraten sein, auch wenn die Englaender und Amerikaner Faschisten waeren", wurde von besonders starkem Beifall unterstrichen. Er gebrauchte ihn zur Bekraeftigung seiner These, dass die Sozialdemokraten es nicht noetig haetten, ihr demokratisches Herz erst nach der Besetzung des Landes zu entdecken und die demokratischen Kraefte genau so weit zu entwickeln, wie es die Militaerregierung wuensche oder andere Maechte zuliessen. Dies war einer der Hauptpunkte der Rede, der sich in mancherlei Variationen und bei der Behandlung anderer Themen wiederholte. Schumacher stellte

die Unabhaengigkeit der SPD, ihre Souveraenitaet gegenueber den Problemen
der Zeit und den beherrschenden Maechten

damit unzweideutig heraus.

Der andere wichtige Abschnitt seines Referates war die Forderung nach Lebensfreiheit fuer das deutsche Volk, seine scharfe Polemik gegen den Wirtschaftsplan.[6] Deutschland muesse selbst mit Hand anlegen, wenn seine Zukunft geformt werde, und duerfe nicht zusehen.

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Darum muesse es auch mitsprechen, wenn ueber die Chancen seines Lebens gesprochen werde. Es werde heute, so sagt Schumacher, ein bisschen zu viel von der Gefahr der deutschen Wiedererstarkung gesprochen, jedenfalls so viel, dass dadurch der deutsche Wiederaufbau behindert werde. Diesen Satz konnte sich der Sozialdemokrat, und zwar gerade dieser Sozialdemokrat, erlauben, ihn konnten nicht viele andere Deutsche neben ihm sprechen, wenn sie auch berechtigt sind, ihn mit Zustimmung anzuhoeren. Das tat der Parteitag mit Nachdruck.

Ein Deutschland der Arbeitslosigkeit und des Elends muss ein Herd der Faeulnis
und ein Seuchenherd fuer Europa werden.

Scharf geisselte Schumacher in diesem Zusammenhang, die in der Ostzone benutzte Methode, die Vereinigung der KPD mit Sozialdemokraten damit zu beguenstigen, dass die Demontage der Wirtschaft aufhoeren sollte, wenn die Vereinigung Tatsache werde. Dann aber habe ausgerechnet ein ehemaliger Sozialdemokrat erklaeren muessen, dass dieses Geruecht falsch und unbegruendet sei.

Es war von vornherein deutlich, dass dieser Parteitag besondere Betonung auf die Notwendigkeit legen wuerde, sozialistische Aktivitaet zu fordern. Wenn es in Deutschland eine sinnvolle Arbeit geben soll, dann kann sie nur darauf gerichtet sein, sogleich und ohne Zoegern Massnahme zur Sozialisierung zu treffen. Schumacher unterstrich diese These des Parteitages auch besonders. Unsere grundsaetzlichen Thesen sind bekannt. Im heutigen Deutschland ist kein Raum mehr fuer Profite und fuer den Reichtum weniger, der Ausgleich der Lasten ist das aktuellste und wichtigste Ziel der politischen und wirtschaftlichen Arbeit in der Gegenwart. Dabei hob Schumacher hervor, dass die Sache der Fluechtlinge die Sache der SPD sei. Niemals habe der Nationalismus klaeglicher versagt als in der Behandlung der Fluechtlingsfrage.

Die Abgrenzung der Begriffe "national" und "nationalistisch", die beide miteinander unvereinbar seien, fand lebhaften Beifall. Ein nationaler Deutscher koenne kein Nationalist sein. Aber das neue Deutschland wolle ueber seine Grenzen doch hinausgreifen und zwar in

freiwilliger Unterordnung unter ein groesseres Ganzes, Europa.

Damit zeichnete Schumacher einen Weg der deutschen Aussenpolitik vor, der zwar noch keine praktische Bedeutung hat, der aber nicht frueh genug erkannt werden kann, weil er der einzige ist, den Deutschland wieder betreten kann, sobald es mit den anderen Voelkern wieder an einem Tische sitzt. Dass die SPD damit gegen eine Abtrennung von Teilen des Reiches aus dem Koerper des Landes ist, bedarf keiner Erwaehnung mehr. Europa moege internationalisiert werden, nicht nur Teile Europas, so rief der Sprecher der SPD in den Saal, der ihm lebhaft zustimmte.

Die SPD hat den Willen zur Macht, aber nicht um der Macht willen, sondern sie will dem Land endlich geben, was es braucht, das Recht. Diese Welt, so hatte Schumacher an anderer Stelle seiner Rede gesagt, habe noch nicht das Recht, um das der Krieg gefuehrt worden sei. Die Sozialdemokratie muesse und werde ihre Kraft einsetzen, dass das Recht und nur das Recht das oberste Gesetz in der Welt werde und bleibe. Darum ist die Partei - Schumacher sprach es als letzten Satz seiner fast zweistuendigen Rede aus - der entscheidende Faktor in Deutschland, weil sie

die Traegerin des Gedankens des Rechtes sei und bleibe,
fuer Deutschland, Europa und die Welt.

sprach nach einer Mittagspause als zweiter Hauptredner des Parteitages der Genosse Dr. Victor Agartz, Leiter des Zentralamtes fuer die Wirtschaft in der britischen Zone. Dr. Agartz gab einen umfassenden Ueberblick ueber die gegenwaertige deutsche Wirtschaftslage und ueber die Plaene der SPD zur Wiederherstellung eines ertraeglichen Lebens.

Der Redner ging auf die volkswirtschaftlichen Erscheinungsformen ein und formulierte die Stellungnahme der SPD zu ihnen. Er sagte,

die SPD bekaempfe keineswegs die Initiative des Unternehmers.

Im Gegenteil, sie foerdert sie in allen Formen, wenn sie nicht zur Entstehung neuen sozialen Unrechtes fuehren. Sie lehnt jedoch jede private Machtballung ab. Ueber den Umfang und ueber die Verteilung der Produktion darf in Zukunft nur noch der demokratische Rechtsstaat entscheiden. An die Stelle des privatkapitalistischen Gewinnstrebens hat die staatliche Planung zu treten.

Das in Deutschland schon hochentwickelte Genossenschaftswesen erkannte Dr. Agartz an. Der Staat koenne ueber die Betriebe des Bergbaus, der Eisen- und Stahlerzeugung durch ihre Uebernahme in die oeffentliche Hand einen weitgehenden Einfluss auf das gesamte wirtschaftliche Leben bekommen.

Was die Landwirtschaft angeht, so komme ihr als Ernaehrungsgrundlage des deutschen Volkes eine besondere Bedeutung zu. Der ordentlich wirtschaftende Bauer muesse auf eigener Scholle Haupttraeger der landwirtschaftlichen Erzeugung sein. In diesem Zusammenhang verdienten die landwirtschaftlichen Genossenschaften besondere Foerderung durch den demokratischen Staat. Fuer Grossgrundbesitz sei im neuen Deutschland kein Platz mehr. Die unerlaessliche Aufsiedlung muesse aber so vorgenommen werden, dass mit ihr nicht eine Produktionssenkung, sondern durch Intensivierung eine Produktionssteigerung verbunden ist. Dr. Agartz sagte: "Bei der Besitzreform soll der Grundbesitzer, sofern er unbelastet ist, nicht von Haus und Hof vertrieben werden, sondern nur in seinem Besitz auf das gebiets-

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uebliche Ausmass einer durchschnittlichen Bauernwirtschaft beschraenkt werden."

Dr. Agartz sprach sich weiter gegen jede wirtschaftliche Autarkie-Bestrebungen aus und befuerwortete eine

weitestgehende Eingliederung in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen,

um den Bedarf des deutschen Volkes zu decken und eine groesstmoegliche Produktivitaet der deutschen Arbeit zu erreichen.

Die Hoehe des zur Zeit umlaufenden Geldes in Deutschland schaetzte Dr. Agartz auf 60 bis 80 Milliarden Mark. Da diese zusaetzliche Kaufkraft in absehbarer Zeit durch Gueter nicht belegt werden koenne, muesse dieses Bargeld wie auch die Einlagen bei Kreditinstituten zum groesseren Teil durch Blockierung unschaedlich gemacht werden.

Mit einzelnen Beispielen belegte Dr. Agartz, dass

die deutsche Industrie nur noch beschraenkte Zeit lebensfaehig

sei, weil es an den notwendigen Rohstoffen fehle. Nur ein erheblicher Guetereinschuss von aussen her koenne den gegenwaertigen kriegswirtschaftlichen Verfallprozess in Deutschland aufhalten. Dr. Agartz fuehrte aus: "Es ist notwendig, dass

1. in der Frage des Kohlenexportes Deutschland eine Atempause gewaehrt wird, um die eigene Wirtschaft wieder in Gang bringen zu koennen. Es ist

2. notwendig, dass Rohstoffe zur Verfuegung gestellt werden, um die Wirtschaft wieder in Funktion zu bringen, und um den Menschen die voellige Hoffnungslosigkeit zu nehmen, vor der sie heute stehen."

Dr. Agartz untersuchte abschliessend

Deutschlands industrielle und wirtschaftliche Einschraenkungen

auf Grund der Potsdamer Verhandlungen. Er bezeichnete den Potsdamer Plan "als den erstmaligen Versuch der gesamten Wirtschaftsgeschichte, die Struktur eines hochentwickelten Industriestaates auf kuenstliche Weise zurueckzuentwickeln". Sollte der Plan zur Durchfuehrung kommen, werde man mit einer ununterbrochenen Wanderung der arbeitenden Bevoelkerung rechnen muessen. Die Auswirkungen des Potsdamer Planes auf die europaeische Wirtschaftslage bezeichnete Dr. Agartz als "unvorstellbar".

Er wies die Alliierten darauf hin, dass ihre Politik Deutschland gegenueber sich auf die Gewerkschaften und auf die neuen demokratischen Parteien stuetzt, d.h. im weitesten Masse auf die Stimme des deutschen Arbeiters, aber

gerade diesem Arbeiter entziehe die alliierte Wirtschaftspolitik die
Existenzgrundlage, naemlich seine Fabrik.

Der Potsdamer Plan lasse drei Moeglichkeiten zu:

1. Bei einer Bevoelkerungsdichte von mehr als 200 Menschen je Quadratkilometer kann die deutsche Privatwirtschaft nur als gemischte Agrar- und industrielle Wirtschaft neu aufgerichtet werden. Die deutsche Wirtschaft entsprechend zu entindustrialisierten, wuerde ein Todesurteil ueber Millionen deutscher Menschen bedeuten.

2. Falls man darauf verzichtet, dieses Massensterben einzuleiten, muessten sich die Alliierten bereitfinden, eine dauernde Arbeitslosenunterstuetzung an einem grossen Teil des Volkes aufzubringen.

3. Die weitere Moeglichkeit besteht in der Aufhebung dieses Planes.

Dr. Agartz schloss mit den Worten: "Die SPD glaubt, dass die alliierte Politik von den ersten beiden Moeglichkeiten keinen Gebrauch macht. Sie fuehlt sich zu der Forderung berechtigt, dass derartige ungeheuerliche Methoden nicht gegenueber dem deutschen Volke angewandt werden.

Die Wirtschaft des neuen Europas ist aufzubauen im Rahmen einer europaeischen Arbeitseinteilung, so dass die enge Verzahnung und Verknuepfung jede Moeglichkeit eines Krieges fuer jeden Staat in Europa ausschiessen. Es ist die Aufgabe, nicht die deutsche Wirtschaft zu zerstoeren, sondern Europa wieder aufzubauen."

Fuer die Sozialdemokratische Partei ist die Aussprache von entscheidender Bedeutung. Es gehoert zum Prinzip demokratischer Willensbildung, dass nicht nur eine Meinung angehoert und ihr zugestimmt wird - so war es und so ist es in diktatorischen Regimen - sondern dass sie kritisch betrachtet und gewogen, dass sie ergaenzt, geklaert oder abgeaendert oder verworfen wird. Es gibt kein Amt, und sei es noch so hoch, und keine Person, und sei sie noch so anerkannt und geschaetzt, die es rechtfertigen koennten, irgendeine Aeusserung als gueltig und verbindlich zu bezeichnen, ehe nicht die hoechste Instanz, das ist der Parteitag, seine Entscheidung getroffen hat. Er aber trifft sie erst nach sorgfaeltiger Aussprache.

Der Diskussion kam darum auf den Parteitagen der SPD immer eine besondere Bedeutung zu. Hier klaerten sich die Meinungen, hier kamen sie vor dem Forum der gewaehlten Vertreter aus dem ganzen Reich zum Ausdruck und standen im Lichte der Kritik, die sich aus den verschiedenen Motiven ergeben musste, die fuer die verschiedenen Bezirke massgeblich waren.

Die Zahl der Diskussionsteilnehmer war auf diesem ersten Parteitag begreiflicherweise besonders gross. Fuer jeden Redner war von vornherein eine Redezeit von 10 Minuten festgesetzt worden. Dennoch standen 20 Anmeldungen auf der Liste, als der Parteitag

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schliesslich nach fast sechsstuendiger Aussprache diese durch einmuetigen Beschluss beendete.

An der Aussprache beteiligten sich: Franz Neumann - Berlin, Karl Ebert - Heidelberg, Heinz-Joachim Heydorn - Hamburg, Wilhelm Knothe - Frankfurt/Main, Karl Meitmann - Hamburg, Otto Schmid - Koblenz, Willi Eichler - Koeln, Klaus-Peter Schulz - Berlin, Gustav Dahrendorf - Hamburg, Friedrich Caspary - Frankfurt, Willy Fliege - Dortmund, Franz Boegler - Speyer, Berty Mayer-Schreiber - Giessen, Robert Goerlinger - Koeln, Konrad Gumbel - Giessen, Arno Behrisch - Hof, Fritz Ulrich - Stuttgart, Hermsdorf - Chemnitz, Rosa Helfers - Hannover, Ludwig Metzger - Darmstadt, Grete Woehrmann - Hamburg, Peter Hass - Hamburg, Hans Boeckler - Koeln, Maria Hannemann - Berlin und Ernst Gross - Duesseldorf.

Die von den Teilnehmern an der Aussprache angeschnittenen Themen waren vielfaeltig.

Mit dem Vordergrund stand
die Situation der Jugend. Generalamnestie fuer sie, so lautete eine mit starkem Beifall aufgenommene Forderung, damit die Jugend die Moeglichkeit habe, sich in einem demokratischen Vaterlande einzurichten, das sie nicht kenne, fuer das sie sich aber einzusetzen bereit sei. Das Zoegern der Jugend, das heute festzustellen sei, muesse als das tragische Moment unserer Zeit angesehen werden. Die SPD muesse mit ihren Idealen vor die Jugend treten, die sie gewinnen koenne und werde. Es wurde besonders auf die Lage an den hoeheren und Hochschulen hingewiesen, wo aktive Kraefte der ehemaligen HJ bemueht seien, die Jugend aufsaessig zu machen. Die Jugendlichen seien staerker als die Erwachsenen Parolen und Luegen zugaenglich und benoetigten klare Information ueber das Wesen der Demokratie und ihre Praxis.

Dicht neben diesem Thema lag eine von einer Reihe von Rednern angestellte Untersuchung ueber
die aktuelle Bedeutung der marxistischen Theorien und Thesen. Es war kein Zufall, dass es vornehmlich Redner der juengeren Generation waren, die kritisch zu der Behauptung Stellung nahmen, dass Karl Marx und Friedrich Engels heute wie ehedem Geltung und mittelbare Bedeutung haetten. Die oekonomische Entwicklung sei zum Teil auch andere Wege gegangen, als sie in der Theorie des Sozialismus vorausgesehen worden seien. Diese Tatsache zwinge zu neuen Ueberpruefungen von Grundsaetzen, die nur scheinbar unveraenderlich seien. Freilich trat diesen Auffassungen auch mancher entgegen, der an den Lehren der Vorkaempfer des Sozialismus bedingungslos festhielt. In allen wesentlichen und entscheidenden Momenten, so lautete das Argument auf dieser Seite, bleibe die Richtlinie unveraendert. Vielleicht liege manche Gegnerschaft gegen einen kompromisslosen Marxismus darin begruendet, dass zu wenige die marxistische Literatur wirklich beherrschten.

Im Gegensatz zu diesen Eroerterungen, die in vollem Umfange die Theorie der Politik der SPD behandelten, stand der Teil der Aussprache, der sich mit der
Haltung der Kirchen beschaeftigte und der nicht in eine grundsaetzliche Auseinandersetzung fuehrte, sondern Erscheinungen der Zeit zum Anlass kritischer und warnender Ausfuehrungen nahm. Der von der Kirche in einem Flugblatt[7] aufgeworfenen Frage, wie es moeglich sei, dass Christen einer marxistischen Partei angehoerten, wurde die These entgegengestellt, dass kein Christ den Sozialismus ablehnen koenne und duerfe. Die Kirche sei in vielen ihrer verantwortlichen Glieder ein Aktivposten fuer die Reaktion. So sei es in Deutschland gewesen, und so scheine es wieder zu werden. Das Ausland muesse aus der Geschichte der inneren Politik in Deutschland erkennen, dass die Kirche keine Institution sei, die sich gegenueber den Bestrebungen der Sozialdemokratie neutral verhalte. Solange sie gegen den Sozialismus und gegen die Partei des Sozialismus Stellung nehme, sei sie ein Gegner. Diese kaempfende Kirche muesse wissen, dass die politische Partei den Kampf auf religioesem Gebiet nicht suche und nicht wuensche, ihn aber aufnehme. Die Kirche habe ihre Rechte und Pflichten. Beide hielten sie ausserhalb der Politik.

Die Fluechtlingsfrage
bot besonderen Anlass, auf Massnahmen hinzuweisen, die zur Besserung des Loses dieser Millionen in Deutschland erforderlich seien. Die SPD werde mit allen Mitteln dafuer eintreten, dass die Fluechtlinge in Westdeutschland so behandelt wuerden, als seien sie Eingesessene. Es duerfe unter Deutschen keinen Unterschied geben. Das gelte fuer alle sozialen, wirtschaftspolitischen, politischen, kulturellen oder administrativen Massnahmen. Eine Hilfsaktion in dem Sinne, dass voruebergehend geholfen werden muesse, wurde abgelehnt. Die Fluechtlinge muessten sesshaft werden und muessten vollberechtigte Glieder in ihren neuen Gemeinschaften sein.

In diesem Zusammenhang eroerterten einige Redner die Frage der unmittelbaren Hilfe durch Zugriff auf den Besitz.

Die Sozialisierung, so wurde unter starkem Beifall wiederholt betont, sei eine Aufgabe der unmittelbaren Gegenwart und duerfe nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Hilfeleistung gesehen werden, sondern als Prinzip der Wirtschaftsgestaltung in einem neu zu bauenden Deutschland, das in diesem Sinne fuer Europa vorbildliche Arbeit leisten koenne. Dabei wurde die Frage des
Schutzes des Kleinbesitzes angeschnitten, und es wurde gefordert, dass die SPD auch offiziell erklaere, dass sie den Bauern und Handwerker, den Kaufmann und Klein-Besitzer jeder Art nicht meine, wenn sie von fuer die Sozialisierung reifen Betrieben spreche. Das sei kein willkuerlicher Schutz von Teilen des Besitzes, sondern eine natuerliche Abgrenzung

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von fuer die Sozialisierung tauglichen und nicht tauglichen Objekten, ein Eintreten fuer den Schutz der Voraussetzungen fuer die Arbeit von vielen Tausenden, die klassenmaessig zu den Arbeitenden gehoeren, auch wenn sie ihre Arbeitskraft im eigenen Besitz voll ausschoepften.

Die Aussprache nahm schliesslich, wenn nur die hauptsaechlichsten Themen der Diskussion genannt werden, auch zu
aussenpolitischen Vorgaengen Stellung, mindestens soweit sie deutsche Angelegenheiten tangierten. Dabei wurde der Wille der SPD unzweideutig klar, eine
Politik des Friedens und der Verstaendigung zu fuehren. Sie muesse nach Westen und nach Osten gerichtet sein, und alle Nationen seien in gleicher Weise fuer eine friedliche Gestaltung der Verhaeltnisse in der Welt verantwortlich. Die neuen Bruecken, die ueber Rhein und Mosel geschlagen wuerden, muessten auch die Voelker zusammenfuehren. Mit Sorge sah mancher Sprecher nach Osten. Die deutsche Grenze ist dort noch nicht erkennbar. Im Westen muessten Rhein und Ruhr unveraendert bei Deutschland verbleiben. Eine Reihe von Rednern aus den Westgebieten, aus der Pfalz, aus dem Rheinland und aus Westfalen, betonte die Verbundenheit mit dem Ganzen des Reiches und ihren Willen, jeden Separatismus zu bekaempfen. Sie liessen keinen Zweifel aufkommen, dass sie dabei jeden Nationalismus ebenso scharf bekaempfen wuerden. Die Grundlage einer nationalen deutschen Regelung koenne nur

der ungeschmaelerte Wille zur Zusammenarbeit mit allen Voelkern
an allen Grenzen Deutschland sein.

In einer umfangreichen Vorlage hatte das Westzonenbuero den Entwurf eines neuen Parteistatuts erarbeitet. Eine besondere Kommission, die am ersten Tage des Kongresses gebildet worden war, hat in mehreren Sitzungen die Vorlage bearbeitet und unterbreitet sie nun mit einigen Aenderungen wieder dem Parteitag und empfahl sie zur Annahme. Berichterstatter war der Vertreter des Bezirks Braunschweig, der vor wenigen Tagen zum Ministerpraesidenten des Landes Braunschweig berufene Delegierte Alfred Kubel.

Der Parteitag wuerdigte die Arbeit der vorbereitenden Kommission, indem er den neuen Entwurf insgesamt und ohne Einzelberatung annahm. Der Beschluss erfolgte einstimmig. Er wurde in dem Bewusstsein gefasst, dass dieses neue Organisations-Grundgesetz der SPD unter den obwaltenden Verhaeltnissen seine Brauchbarkeit erweisen muesse. Der naechste Parteitag, der nach dem neuen Statut jaehrlich stattfinden soll, hat die Moeglichkeit der Korrektur.

Das neue Statut regelt auch die Mitgliedschaft und die Beitragsleistung der im Ausland lebenden deutschen Sozialdemokraten.

Das neue Statut der SPD hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands konstituiert. Es regelt die Errichtung eines Parteivorstandes, der alsbald gewaehlt wurde, und gab somit die Grundlage einer ordentlichen nach demokratischen Prinzipien gewaehlen Leitung. Dieser Parteivorstand hat seinen Sitz in Hannover, wie vom Parteitag beschlossen wurde. Auf Einladung der hessischen Parteiorganisation beschloss der Parteitag als Tagungsort des naechsten Parteitages Frankfurt am Main.

Von 258 stimmberechtigten Delegierten wurden 250 Stimmzettel abgegeben. Es erhielten von 245 gueltigen Stimmzetteln Stimmen:


Kurt Schumacher, Hannover, Vorsitzender

244


Erich Ollenhauer, Hannover, 1. Stellvertretender Vorsitzender

230

Wilhelm Knothe, Frankfurt/Main, 2. Stellvertretender "

191

als besoldete Sekretaere des Parteivorstandes:


Alfred Nau, Hannover

228


Fritz Heine, Hannover

224

Herbert Kriedemann, Hannover

202

und als Mitglieder des Vorstandes:


Victor Agartz, Minden (242), Fritz Henssler, Dortmund (212), Ernst Noelting, Hannover (203), Fritz Helmstaedter, Stuttgart (203), Julius Lossmann, Nuernberg (197), Walter Menzel, Muenster (194), Adolf Grimme, Hannover (193), Ernst Gnoss, Duesseldorf (192), Franz Boegler, Neustadt-Pfalz (189), Andreas Gayk, Kiel (186), Ludwig Metzger, Darmstadt (183), Wilhelm Kaisen, Bremen (181), Willi Eichler, Koeln (178), Valentin Baur, Augsburg (172), Elisabeth Selbert, Kassel (170), Emil Gross, Bielefeld (168), Anna Beier, Frankfurt/Main (161), Robert Goerlinger, Koeln (160) und Hermann Veit, Karlsruhe (151).

Es lagen insgesamt 36 Wahlvorschlaege vor, von denen die oben genannten 25 vom Parteitag gewaehlt wurden. Der Wahlvorgang verlief peinlich genau. Es waren Stimmzettel vorbereitet worden, auf denen die Namen der vorgeschlagenen Kandidaten verzeichnet waren. Der einzelne Delegierte kreuzte die von ihm Gewaehlten an. Zwei Frauen mussten darunter sein. Als der Punkt der Tagesordnung zur Erledigung anstand, wurde nach Besprechung der

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Formalitaeten eine Pause eingelegt, in der die Stimmzettel gegen Vorlage der Delegiertenausweise ausgegeben und alsbald wieder eingesammelt wurden. Sie wurden der Mandatspruefungskommission uebergeben, die nun zugleich als Wahlpruefungs-Kommission amtierte. Die Wahlhandlung verlief ohne jeden Zwischenfall.

Die vom Parteitag gewaehlte Kontrollkommission waehlte Schoenfelder aus Hamburg zu ihrem Vorsitzenden und Wittrock aus Kassel zu seinem Vertreter.

Im weiteren Verlauf des Parteitages wurde der gewaehlte Vorstand ermaechtigt, aus regionalen Gruenden bis zu drei Mitglieder mit dem Vorstand zu kooptieren. Die Zugehoerigkeit dieser Zugewaehlten soll bis zur naechsten Wahl des Parteivorstandes gelten.

die einmuetige politische Kundgebung des Parteitages waere wert, hier im Wortlaut zu erscheinen, sie ist jedoch fuer unsere Raumnot zu umfangreich und wird voraussichtlich im Wortlaut gemeinsam mit den Referaten der Gen. Kurt Schumacher und Victor Agartz erscheinen. (Fuer unsere Freunde in den verschiedensten Laendern haben wir bereits je an einen Vertrauensmann eines Landes die "SPD-Wochenschrift fuer Sozialismus und Demokratie"[8] mit dem Wortlaut dieser Kundgebung und einige deutsche Zeitungen: "Rhein-Echo" (Niederrhein)[9], "Freie Presse" (Bielefeld)[10], "Neuer Hannoverscher Kurier"[11], "Hamburger Echo", "Telegraf"[12] und die Broschueren "Die Internationale gruesst die neuerstandene SPD" und "Was wollen die Sozialdemokraten" geschickt und erwarten, dass diese Sachen an die SPD-Genossen herumgereicht werden[13]. Leider war der Vorrat nur begrenzt.

Bestellungen auf die Referate und die politische Kundgebung und das voraussichtlich im Druck erscheinende Protokoll des Parteitages koennen unter Beifuegung eines Betrages an
Wilh. Sander, 33 Fernside Avenue, London N.W.7, geschickt werden.

Im Rahmen des Parteitages hatten sich die Frauen, die als Delegierte anwesend waren, zu einer Sonderbesprechung zusammengebunden. Sie legten dem Parteitag eine Entschliessung vor, in der sie es als besonders dringende Aufgabe bezeichneten, nicht nur die sichtbaren Truemmer in Deutschland zu beseitigen, sondern auch die in den Hirnen und Herzen der Menschen. Sie wiesen besonders auf die Notwendigkeit der Arbeit an der Jugend hin, die im Geiste der Demokratie, das heisst voller Freiheit und Verantwortung erzogen werden muesse. Die Frauen sprachen den auslaendischen Freunden demokratischer, sozialistischer und pazifistischer Ideen den Dank fuer die Hilfe aus, die sie den deutschen Demokraten gewaehrt haben und die in materiellen Massnahmen vielfacher Art ihren sichtbaren Ausdruck fand und immer von neuem findet. Sie sandten ihre freundschaftlichen Gruesse den Frauen und Muettern aller Laender, die unter dem nationalsozialistischen Kriegsverbrechen gelitten haben, und versprachen unermuedliche Arbeit fuer den Weltfrieden und die Voelkerversoehnung.

Es kann nicht uebersehen werden, dass dieser Parteitag der SPD von einer auffallend grossen Zahl jugendlicher Delegierter beschickt wurde. Die Maenner zwischen 32 und 45 machen einen grossen, wenn nicht den groessten Teil der stimmberechtigten Mitglieder des Parteitages aus. Die Befuerchtung, es koenne eine Zusammenkunft der Veteranen von 1933 werden, war unbegruendet. In allen Bezirken haben sich die Vertreter der Kriegsgeneration durchgesetzt, und manche sind gar darunter, die sicher noch keine 30 Jahre alt sind, Maenner und Frauen. Besonders die Berliner Gaeste fielen auf, deren Vorsitzender der Generation der Dreissiger angehoeren mag, und deren Glieder nur wenige aelter, aber auch juenger sind, darunter eine Studentin.

Die Jungen auf dem Parteitag, die auch durch manche helle und beachtliche Stimme in der Generalaussprache zu Wort gekommen sind, hatten sich zusammengefunden und erliessen einen Aufruf an die deutsche Jugend. Gemeinsam ist die Jugend durch Chaos und Grauen gegangen, gemeinsam muss sie an den Neubau gehen. Das Alte ist zerbrochen. Die Zukunft liegt in der Hand der Jugend. Die Grundlage der alten Ordnung, so heisst es in der Entschliessung weiter, ist jenes System des Kapitalismus, das immer wieder das nationale Bewusstsein der Voelker missbraucht hat, um mit dem Blute der Jugend seine eigensuechtigen Interessen zu verwirklichen.

Heute stehe die Jugend vor einer Entscheidung, vor der noch niemals eine Jugend gestanden habe. Sie muesse und wolle kaempfen fuer Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Voelkerverstaendigung. Die Jugend muesse das Ziel ihrer Sehnsucht erkennen, das sie im Herzen trage. Sie muesse es in die Klarheit des politischen Bewusstseins uebertragen und in die politische Tat. "Dann werdet Ihr Traeger eines Geistes sein, der wie ein Sturmwind ueber alle Laender geht und alle Grenzen sprengt! Sozialismus ist die Aufgabe der Gegenwart!"

Die Jugend, auch die bis in das vierte Jahrzehnt hinein (zwischen 30 und 40 Jahre alt) bedarf im Sinne der sozialistischen Theorie einer umfassenden Schulung und praktischen Erziehung. Der Parteitag der SPD forderte darum die Untergliederung der Partei und die Ortsvereine auf, die Mitglieder zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr zu

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"Jungsozialistischen Arbeitsgemeinschaften" zusammenzufassen und ihnen dort Gelegenheit zu geben, das geistige Ruestzeug fuer die politische Arbeit zu gewinnen. Jede geistige Arbeit aber habe nur dann Sinn, wenn die jungen Sozialisten zugleich Aktivisten in der Parteiarbeit sind.

In der Zeit des Nationalsozialismus entstanden keine Schulen zur politischen Schulung und zur Erforschung politischer oder gesellschaftlicher Phaenomene. Ordensburgen waren das Gegenteil dessen, was einem politisch interessierten und zu bildenden Volke noetig gewesen waere. Der Parteitag der SPD, der erste seit dem Zusammenbruch des braunen Regimes, befasste sich mit mehreren Auftraegen, die eine gruendliche Schulung des politischen Nachwuchses und des bereits amtierenden Funktionaers zum Ziele hatten. Der Unterschied ist deutlich. Es kommt auf sachliche Arbeit, auf Kenntnisse und auf das Koennen an und nicht auf Parteitheatralik und Pathos. Eine Parteischule fuer Forschung und Lehre auf den Gebieten der Oekonomie, Soziologie, Sozialpsychologie und Philosophie soll errichtet, und ihr soll eine Abteilung zur systematischen Erforschung der oeffentlichen Meinung und ihrer wirksamsten Bildung angegliedert werden. Vor allem sollen dort Wirtschaftsfuehrer geschult werden. Die Schule soll dazu helfen, die Voraussetzungen fuer die Verwirklichung der Forderung nach Sozialisierung zu schaffen.

Wenn in Deutschland wieder aufgebaut werden soll, muss Kohle vorhanden sein. Sie gibt den Fabriken Arbeitsmoeglichkeit, sie schafft Energie, sie ist die erste Vorbedingung jeglicher Arbeit. Die Kohlenfoerderung aber, so stellte eine Entschliessung auf dem Parteitag der SPD fest, ist seit dem Januar dieses Jahres um rund 15% zurueckgegangen, und zwar, weil die Bergarbeiter zu schlecht ernaehrt sind, weil sie zu gering entlohnt werden und weil die ins Ruhrgebiet gebrachten auswaertigen Arbeiter keine genuegenden Wohnmoeglichkeiten haben. Der Parteitag forderte darum alle Behoerden auf, diese Ursachen zu beseitigen. Die Lebensmittelrationen muessten mindestens wieder auf den Stand vom Januar 1946 gebracht werden, und zwar fuer die Bergarbeiter und ihre Familien. Es muessten schaerfste Massnahmen zur Abgabe der Agrarprodukte getroffen werden, und jede Tauschaktion sei zu unterbinden. Im kommenden Jahr muessten aehnliche chaotische Zustaendige auf dem Lebensmittelmarkt, wie in diesem, verhindert werden. Der Reallohn des Bergarbeiters muesse gesteigert werden durch Steuererleichterungen, durch Lohnzuschuesse fuer die von auswaerts gekommenen Bergarbeiter, durch Verbilligungsscheine fuer die Kuechenverpflegung und durch Klaerung der Situation des Bergbaues, der sozialisiert werden sollte. In grossem Umfange sollen die Provinzen und Laender dazu beitragen, die erforderlichen Hilfsmassnahmen zu ermoeglichen.

Es kann kein Zweifel sein, dass die Ernaehrungskrise das groesste Hindernis fuer eine gesunde Entwicklung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in Deutschland ist. Zuerst aber, so heisst es in einer Entschliessung, die vom Parteitag angenommen wurde, sei es die Pflicht der deutschen Landwirtschaft, dem Volke zu helfen. Eine monopolistische Ausbeutung der Abhaengigkeit anderer Teile des deutschen Volkes durch die Produzenten der Nahrungsmittel koenne nicht geduldet werden. Die Landwirtschaft andererseits muesse Arbeitskraefte, Geraete, Maschinen, Motoren, Kunstduenger und Saatgut in ausreichendem Umfange bekommen, damit sie produzieren koenne. Die SPD tritt entschieden fuer die Ueberwindung der sozialen und wirtschaftlichen Unterbewertung der Landarbeit ein. Sie wolle, um der Steigerung der Leistung willen und um das Ansehen der Landwirtschaft zu staerken, notfalls auch einen Betrieb in die Hand eines besseren Wirtes geben, wenn der bisherige Besitzer seine Pflichten nicht voll erfuellt und sich nicht in die Notwendigkeiten fuegt, die sich aus der Lage des deutschen Volkes fuer ihn ergeben.

Deutlich wandte sich die Entschliessung gegen die getarnten Ueberreste des Reichsnaehrstandes. Seine Befugnisse sind voll auf die staatlichen, demokratisch kontrollierten Behoerden zu uebertragen.

In einer besonderen Entschliessung entbot der Parteitag den Ostfluechtlingen und den sudetendeutschen Sozialdemokraten seinen Gruss. Sie haben viel verloren, so heisst es in der Entschliessung, aber sie haben ihre politische Heimstaette, die deutsche Sozialdemokratie, behalten. Nun seien sie aufgerufen, an ihren neuen Wohnsitzen in der alten Partei mitzuarbeiten.

Die Fluechtlingsfrage war Gegenstand einer besonderen Entschliessung, die von dem Mitglied des Parteivorstandes Herbert Kriedemann begruendet wurde. Die Partei betrachte es als ihre besondere Pflicht, sich dieser Verlassenen anzunehmen. Im Juni spaetestens werde eine besondere Konferenz von Vertretern der Fluechtlinge, die der SPD angehoerten, stattfinden, in der alle Fragen zu diesem Thema eingehend behandelt werden sollen. Es duerfe nicht bei Worten und Erklaerungen sein Bewenden haben. Es muessten schnell und durchgreifend Taten folgen, fuer die die Entschliessung Hinweise und Richtlinien

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geben soll. Unter Beifall nahm der Parteitag die Entschliessung einstimmig an.

war ein Thema, das waehrend der Generalaussprache mehrfach erwaehnt wurde. Jetzt lag eine Entschliessung vor, die diese Forderung der SPD besonders hervorhob und betonte. Sie fand einmuetige Zustimmung des Parteitages.

Die auf dem Parteitag anwesenden bayrischen Delegierten nahmen die vielfachen Geruechte und Mitteilungen ueber einen bayrischen Separatismus zum Anlass, in einer eindeutigen Erklaerung zu bekunden, dass "die bayrischen Sozialdemokraten bedingungslos fuer die Reichspartei sind". Die Errichtung einer bayrischen Landesorganisation der SPD sei keinesfalls Ausdruck eines bayrischen Partikularismus. Die Sozialdemokraten Bayern erklaerten, dass die Landeskonferenz der SPD sich einstimmig fuer einen deutschen Bundesstaat ausgesprochen haette (nicht fuer einen Staatenbund). Sie brachen damit allen Anschuldigungen und Verleumdungen die Spitze ab.

Es gab keine Meinungsverschiedenheit darueber, dass die SPD eine durchgreifende Entnazifizierung fordern und betreiben muesse. Jedoch eroerterte eine temperamentvoll gefuehrte Diskussion die Frage, in welchem Umfang die Jugend vollstaendig aus den Massnahmen zur Entnazifizierung herausbleiben muesste. Es wurde wieder der bereits in der Generalaussprache wiederholt vertretene Gedanke betont, dass die Jugend die Chance haben muesse, ihr Leben unter den neuen demokratischen Voraussetzungen neu zu beginnen.

Einmuetig nahm der Parteitag eine Entschliessung an, in der es kritisiert wurde, dass nicht sofort nach dem Zusammenbruch eine umfassende Fahndung nach allen Schuldigen einsetzte. Die zoegernde Durchfuehrung der Entnazifizierung hat die notwendige beschleunigte Selbstreinigung leider verhindert und habe tiefes Misstrauen im deutschen Volke entstehen lassen. Darum wurden sofortige Massnahmen verlangt, die zur Aufspuerung aller derer fuehren, die Deutschland die Verachtung der ganzen Welt eingetragen haben, der Moerder der SS und SA, der Peiniger in den KZ-Lagern, der Richter, die auf Befehl urteilten, und der Vollstrecker der Todesurteile. Wer aktiv an verantwortlicher Stelle fuer den Nationalsozialismus taetig war, soll getroffen werden, gleichgueltig, ob er Mitglied der Partei war oder nicht. Geschlossene Nazisiedlungen sind endlich aufzuloesen. Wer von den Aktiven noch immer besser wohnt als die Opfer des Nationalsozialismus, soll endlich seine Wohnung raeumen. Kein Nazi ist unersetzlich. Die Mitlaeufer aber sollen Gelegenheit erhalten, ihre Mitschuld durch Teilnahme am Neubau Deutschlands zu suehnen. Sie sollen zerstoerte Staedte wieder aufbauen und sollen sich freiwillig an jeder sozialen Arbeit beteiligen.

Die um Jugend und Glauben betrogene Generation habe ein Recht darauf, so sagt die Entschliessung, dass alle Schuldigen nach der Schwere ihrer Schuld zur Rechenschaft gezogen werden. Die jungen, von der Propaganda des Nationalsozialismus und Militarismus verfuehrten Menschen aber, soweit sie nicht Aktivisten waren oder kriminell belastet sind, betrachtet die Sozialdemokratische Partei als nicht verantwortlich. Sie will darum allen jungen Menschen helfen, ihr Eigenleben im neuen demokratischen Deutschland wieder aufzubauen und damit die Zukunft des deutschen Volkes mitzugestalten.

In der Geschichte der Weimarer Republik hat sich erwiesen, dass der Beamte, der fuer sich in Anspruch nimmt, politisch neutral sein zu muessen, immer zugleich reaktionaer war. Die SPD zieht aus dieser Erfahrung, die zu bitteren Vorkommnissen gefuehrt hat, jetzt den Schluss, sich mit aller Entschiedenheit gegen den Grundsatz zu wehren, dass die Beamten sich nicht politisch betaetigen duerften. In einer Entschliessung, die vom Bezirk Hamburg vorgelegt wurde und die die einstimmige Annahme fand, forderte der Parteitag, anzuerkennen, dass es Aufgabe und Pflicht der Beamten sein muesse, am Leben der politischen Parteien unmittelbar teilzunehmen.

Die britische Militaerregierung hat im Zuge grundsaetzlicher Verwaltungsmassnahmen in ihrer Zone die Polizei und die Justiz aus der deutschen Verwaltung ausgegliedert. Gegen diese Massnahme wurde auf dem Parteitag der SPD entschieden Einspruch erhoben. Schumacher hatte bereits in seinem Hauptreferat scharf gegen die Gefahr Stellung genommen, dass die Polizei wieder ein Herd des Militarismus werde und hatte gesagt, dass er glaube, dass in diesem Lande die Polizei bereits wieder die Keimzelle einer Schwarzen Reichswehr[14] sei. In diesem Sinne lag dem Parteitag eine Entschliessung vor, die forderte, dass der Parteivorstand alles tue, um zu erwirken, dass Justiz und Polizei wieder der Kontrolle deutscher Behoerden unterstellt wuerden.

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Mit einem starken, sich immer wiederholenden Bekenntnis zu den Grundsaetzen und Praktiken der Demokratie schloss der nun von einem ordentlichen Parteitag zum ersten Vorsitzenden der SPD gewaehlte Dr. Kurt Schumacher den ersten Kongress der Sozialdemokratie in Deutschland.

Die SPD, so sagte Schumacher, halte fest an ihren ueberkommenen grossen und unveraeusserlichen Ideen, sie halte fest am Marxismus als der Methode, die die besten Erkenntnisse der kuenftigen Chancen ermoegliche. Die Partei sei nicht konservativ gegenueber Ideen oder Personen, sondern begreife, dass die Methode des Marxismus den Weg zum Aufstieg erschliesse. Dabei erstarre sie nicht im Materiellen.

Die staendig auftauchenden neuen Probleme gestatteten es noch nicht, ein Programm vorzulegen. Noch habe in Deutschland keine deutsche politische Kraft die Macht. Die Macht im heutigen Deutschland sei vielmehr nur eine verschiedenartige Schattierung der Ohnmacht. (Beifall.) Aber es fehle auch noch am sozialistischen Aktionswillen in den unteren Gliederungen, in den Ortsvereinen. Die Deutschen haetten seit Jahrhunderten einen Komplex des Fuehrungsbeduerfnisses. Jetzt muesse in der letzten und kleinsten Gemeinde gezeigt werden, dass die Maenner unseres Vertrauens, so sagte Schumacher, mit eigenen Gedanken und Entscheidungen die sozialistische Sache vertreten und foerdern. Jetzt komme es auf die konkrete Handlung, nicht auf Programme an.

Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sei das naechste Ziel. Sie sei nicht nur eine Verstaatlichung, sondern eine Mannigfaltigkeit der Betriebsformen werde insgesamt sozialistische Grundsaetze beachten koennen und muessen. Es sei nicht das Eigentum schlechthin, das die Klassengrenzen schaffe. Die SPD anerkenne viele Formen des privaten Eigentums. Jedes Eigentum aber, sei es auch noch so klein, muesse im Dienste der Allgemeinheit stehen, zum Nutzen der Allgemeinheit verwendet werden. Die Interessen der Allgemeinheit muessten in jedem Falle vorgehen. Die SPD lasse jedem sein Eigentum, der es nicht gegen die Interessen der Gemeinschaft verwende oder verwerte, aber sie entbinde niemanden von der Pflicht, an der grossen allgemeinen Last mitzutragen, die dem deutschen Volke durch das Verbrechen des Nationalsozialismus und des Militarismus aufgebuerdet wurde.

Wenn in der SPD jeder so arbeite und sich so verhalte, dass er selbst alsbald ueberfluessig sei, weil neue Kraefte, junge vor allem, bereit seien, dann bleibe sie, was sie sei, das beste Stueck deutscher Geschichte in den letzten Jahrzehnten, trotz aller Fehler, die sie begangen habe. (Lebhafter Beifall.) Es muessten immer die Probleme des Tages und der Zukunft sein, die in Meinungskaempfen auszutragen seien. Dieser Kampf sei dann nicht zu scheuen und nicht zu fuerchten. Denn eine recht gefuehrte Sozialdemokratie, an deren Spitze die Persoenlichkeit stehen muesse und in der nicht der Parteiapparat herrsche, werde mit der

Kraft ihrer Ideen und dem wachen Sinn fuer das Moegliche

immer erfolgreich sein. Die Tat entscheide in der naechsten Zukunft mehr als jemals vorher. Es sei viel Zeit verlorengegangen in den letzten Monaten, nicht durch die Schuld der SPD.

Schuld am deutschen Unglueck sei die Klassenpolitik des deutschen Grossbesitzes und der Nationalismus und Militarismus als ihre Ausdrucksformen.

Schuld aber an der aktuellen Situation in Deutschland seien die Besatzungsmaechte. (Starker Beifall.) Am Beispiel der Behandlung der Frage des Beamtentums erlaeuterte Schumacher die Methode, die nicht richtig sei. Sollen denn Typen vom Schlage des Staatssekretaers Meissner unsterblich sein? - so rief er aus und fand erneute lebhafte Zustimmung. Er wandte sich in unmittelbarer Anrede an die Vertreter Grossbritanniens. Wenn wir diesen Weg weitergehen, dann schaffen Sie den Meissner-Typ als Sinnbild der fuenften Aera der modernen deutschen Geschichte.

Die SPD sei und bleibe unabhaengig gegenueber den Exponenten des Kapitalismus, gegenueber den vereinigten Kommunisten und gegenueber allen Militaerregierungen. Die Partei werde ihren Sinn und Zweck verloren haben, wenn sie einmal in der Politik so funktionieren sollte wie die KPD als Beauftragte der oestlichen Besatzungsmacht. Wenn das grosse Problem, das mit deutscher Kraft nicht geloest werden koenne und dessen Loesung darauf beruhe, dass die Siegermaechte sich auf einen gemeinsamen Generalnenner gegenueber Deutschland einigten, nicht anders angepackt werde, dann muesse die SPD auch unter den heute noch so schwierigen Umstaenden aktiv werden. Die Zeit des Abwartens und des Geschehenlassens sei vorueber. Die sozialistische Aufgabe muesste jetzt angefasst werden, regional und lokal. "Wir werden mit unserer Forderung nicht mehr Worte machen, wir wollen die Sozialisierung der Schwerindustrie, wir wollen die Bodenreform." Hunger sei Faschismus. Der Gefahr der Reaktivierung der faschistischen Massen muesse begegnet werden. Nichts habe die SPD mit dem neuen Nationalismus gemein, der eine Gefahr sei fuer Deutschland und die Welt.

Schumacher wandte sich mit dieser Parole der Auseinandersetzung um die Vereinigung der Arbeiterparteien zu und sagte etwa: Wir wollen die realen Ursachen der Spaltung wegraeumen. Wir wollen die Einheit! Das letzte Hindernis jedoch koenne nur das Agreement der Siegermaechte beseitigen. Fuer die SPD gelte noch immer das Wort:

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"Proletarier aller Laender, vereinigt Euch!" Heute aber haetten sich die Nationalisten vereinigt. Die SPD wolle mit allen Siegermaechten zusammenarbeiten, sie wolle auch mit der Sowjetunion zusammenarbeiten. Sie habe keine Reservate gegenueber diesen Notwendigkeiten. Sie fuehle keine Feindseligkeiten gegenueber diesem Lande, das unter dem Hitler-Krieg so schwer gelitten habe. Aber wenn die SPD auch nicht die Spur einer Feindschaft fuehle - ihre Selbstaendigkeit lasse sie sich auch von diesem Lande nicht nehmen.

Jedoch auch andere Laender trieben ein besonderes Spiel, und mit Aufmerksamkeit muesse verfolgt werden, was im Rheinland und im Westen vor sich gehe. Der Mangel an notwendiger politischer Intelligenz scheint nicht ein deutsches Reservat zu sein. Sehr scharf wandte sich Schumacher gegen die Separatisten: Auf sie wenden wir die Spielregeln der Demokratie nicht an, sie sind das feindliche Prinzip an sich, sie versuendigen sich an ihrem Lande, an der Menschheit und am Frieden. (Ungewoehnlich starker Beifall unterstrich diese Worte.)

Die Sozialdemokratie aber sei und bleibe der Friede. Sie kaempfe und sie werde sich durchsetzen!


Der Parteitag antwortete auf dieses Schlusswort Schumachers mit einer lebhaften Ovation, die dem Manne und die den Idealen galt, fuer die er der Sprecher war. Nach dreizehn langen und opferreichen Jahren war diese Kundgebung zum ersten Male wieder ein eindrucksvolles Bekenntnis der kaempfenden Sozialisten, und die "Internationale", von allen Anwesenden stehend gesungen, war der Ausdruck des Bewusstseins der Verbundenheit der deutschen Sozialdemokratie mit allen Gesinnungsgenossen in allen Laendern.

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[Hinweise]

Das neue Buero des Parteivorstandes in Hannover
ist ab 15. Mai 1946 nur noch unter folgender Adresse zu erreichen:

Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(20) Hannover, Odeonstrasse 15/16

(Telefonnummern: 24646 bis 24649 )


Ein Frauensekretariat der SPD,

dessen Leitung ab 1. Juli 1946 die Genossin Herta Gotthelf uebernehmen wird, hat gleichfalls die obige Adresse.


Eine Zentralstelle fuer Arbeiterwohlfahrt,

deren Leitung die Genossin Lotte Lemke uebernommen hat, wird in Hannover errichtet. Die provisorische Adresse ist (20) Hannover, Jacobstr. 10, ptr.


Die Zusammenfassung der Arbeitersaenger

hat der Genosse Fritz Eikermann[15], Bielefeld, Ditfurthstrasse 72, bis 1933 Gauvorsitzender des Arbeiter-Saengerbundes fuer Westfalen und Lippe, uebernommen. Ziel dieser Fuehlungnahme ist der Wiederaufbau des Arbeiter-Saengerbundes.


Fuer den deutschen Arbeiter-Sport

ist beim Parteivorstand eine Zentralstelle fuer deutsche Sportfragen errichtet worden, dessen Leitung der Genosse Carl Wildeis[16] uebernommen hat. Die Adresse ist die des Parteivorstandes.

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In einer Sonderkonferenz traten die Redakteure und Lizenztraeger der SPD, die auf dem Parteitag anwesend waren, zusammen, um die besonderen Angelegenheiten der Presse zu eroertern. Von den fuenf Zonen, in die Deutschland heute zerfalle, so sagte Fritz Heine, der im Parteivorstand die Angelegenheiten der Presse und Propaganda bearbeitet, seien vier in der Konferenz vertreten, ein Zeichen dafuer, dass in der fuenften keine Freiheit herrsche, die es den Freunden ermoeglicht haben wuerde, ebenfalls anwesend zu sein. Die letzte Redakteurskonferenz der SPD habe 1928 in Koeln auf der Pressa[17] stattgefunden. Im Bereich der Britischen Zone haetten sich schon zweimal sozialdemokratische Journalisten versammelt. Er teilte mit, dass zur Zeit von 27 Zeitungen in der Britischen Zone nur elf sozialdemokratisch seien, und zwar sei der Charakter dieser Zeitungen jetzt eindeutig klargestellt. Es sei zu hoffen, dass in Kuerze zwei weitere Zeitungen fuer die SPD hinzukommen wuerden, darunter eine in Hannover. Auch Berlin werde neben dem unabhaengigen "Telegraf" eine besondere Parteizeitung erhalten.

Johannes Richter[18], Chefredakteur des "Hamburger Echo", berichtete ueber "Aufgaben und Gestaltung der sozialdemokratischen Presse". Er forderte, dass die neue Presse der SPD kein "Vereinsblatt" sein duerfe, sondern sich der groesseren Aufgaben einer umfassenden Presse in Inhalt und Aufmachung bewusst sein muesse. Sie habe die Pflicht, einen objektiven Nachrichtendienst zu bieten, der den Freund und den Feind nicht

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unterscheide; sie werde daneben in Artikeln und Glossen und in Kommentaren ihre sozialistische Meinung unzweideutig zum Ausdruck bringen muessen. Sie muesse einen guten Wirtschaftsteil und die gute Unterhaltung pflegen, den Sport und die lokalen Ereignisse in der Welt nicht nur berichten, sondern auch Informationen und Aufklaerung verbreiten.

In einer ausgedehnten Aussprache wurden diese Grundsaetze ohne Einschraenkung gebilligt. Es wurde dabei gefordert, dass die deutsche Presse sichtbar machen muesse, was tatsaechlich ist, auch die tiefe Not in Deutschland, wo Millionen hungern und Zehntausende verkommen und wo die Jugend verzweifelt und hoffnungslos sei. Die Presse duerfe nie behaebig und selbstgefaellig werden, sie muesse kaempfen und die Dinge beim Namen nennen, die niemand leugnen koenne. Eine Presse, die nur das Vertrauen der Behoerden habe, aber nicht das der Leser, tauge nichts. Eine verbotene Zeitung sei wertvoller als eine gleichgeschaltete.

Die Aussprache ergab, dass Einmuetigkeit herrschte in der Forderung, dass die SPD-Presse nicht wieder zur Funktionaerszeitung zurueckkehren duerfe. Sie muesse den Wirtschaftsteil ausbauen, sie muesse sozial-kaempferisch sein, sie muesse das gute Bild und den auf hohem Niveau stehenden Unterhaltungsteil pflegen. Dieser muesse den Leser hinaufheben und duerfe nicht zu einem Massengeschmack hinabsteigen.

Zur Hilfeleistung fuer die Presse der SPD wurde - zunaechst in bescheidenem Umfange - ein "Sozialdemokratischer Pressedienst" eingerichtet, der die Tradition des 1933 verbotenen Dienstes gleichen Namens aufnehmen soll[19]. Er wird zunaechst nur Artikel bieten und darin die Stimme der SPD laut werden lassen. Ueber Organisation und Ziel des Dienstes berichtete Fritz Saenger[20], Braunschweig, Chefredakteur der "Braunschweiger Zeitung"[21], der die Herausgabe des "Sozialdemokratischen Pressedienstes" uebernommen hat.

Die Konferenz waehlte einen aus sechs Mitgliedern bestehenden Ausschuss, der die Aufgabe hat, die organisatorische Mitwirkung der sozialdemokratischen Journalisten in allen in Frage kommenden Koerperschaften und Verbaenden zu sichern.

Ihren Uebertritt zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands haben die beiden kommunistischen Senatoren von Bremen Ehlers[22] und Wolters[23] mit einer Erklaerung vollzogen, die am Vortage des kommunistischen Bezirksparteitages im Bremer "Weserkurier"[24] vom 16. Mai veroeffentlicht wird.

Die beiden Senatoren, die zu den bekanntesten kommunistischen Fuehrern in der Britischen Zone gehoeren, stellen in einer laengeren Erklaerung fest, dass sich an den Methoden der frueheren Zeit in der KP nichts geaendert hat:

"Wichtige politische Entscheidungen werden nicht diskutiert,
sondern von oben wird eine fertige Meinung dekretiert.
"

Die Senatoren stellen fest, dass die Demokratie in der KP mit Fuessen getreten wird und dass selbstaendig denkenden Kommunisten ein Redeverbot auferlegt wird, weil sie versuchen, innerhalb der Partei fuer eine Politik einzutreten, die nach ihrer ehrlichen Auffassung den Interessen der deutschen Arbeiter entspricht.

Ehlers und Wolters wenden sich gegen den schematischen Zentralismus des Parteiapparates der KP, dessen tiefere Ursache sie auf die aussenpolitische Abhaengigkeit der Partei zurueckfuehren.

"Die KPD" - so schreiben sie - "fuehrt eine Politik der mechanischen Uebertragung politischer Direktiven, die unvereinbar sind mit den Grundsaetzen einer selbstaendigen sozialistischen Politik."

Sie stellen fest, dass eine sozialistische Partei in Deutschland die Aufgabe hat, eine voellig unabhaengige sozialistische Politik zu fuehren. Sie muss frei sein von allen fremden Einfluessen und darf unter keinen Umstaenden ein Instrument der Aussenpolitik eines anderen Staates sein:

"Sie darf nicht in einseitiger Weise fuer die wirtschaftliche, politische und nationale Einheit in den westlichen Gebieten eintreten und vor den gleichen Fragen in der oestlichen Zone stumm resignieren. Man kann auch nicht einer Demontage der lebensnotwendigsten Betriebe im Osten seine weitestgehende Unterstuetzung leihen und im Westen eine gegenteilige Politik betreiben."

Die beiden Senatoren begruenden ihren Uebertritt zur Sozialdemokratie mit der Feststellung, dass fuer eine Politik der internationalen Verstaendigung und der gegenseitigen Hilfe aller Sozialisten heute nur Platz in den Reihen der SPD ist, und schliessen mit der Aufforderung:

"Aus allen diesen Gruenden erklaeren wir unseren Austritt aus der KPD und fordern unserer Freunde auf, mit uns gemeinsam in die SPD einzutreten und diese Partei zu staerken fuer die sozialistischen Aufgaben der Gegenwart."


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[Hinweis]

An unsere Leser !

Die hohen Kosten an Papier, Druck, Porto, stencils usw. machen es uns unmoeglich, die SM weiterhin unentgeltlich an einen Teil unserer Bezieher zu entsenden. Die Belieferung erfolgt deshalb nur noch an zahlende SPD-Mitglieder und Leser, die 1946 bereits einen Unkostenbeitrag leisteten.

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Eine Internationale Sozialistenkonferenz fand am 17. Mai in Clacton in Anwesenheit von 16 Nationen statt und nahm Berichte der einzelnen Ländervertreter entgegen. Die Labour Party wurde mit der Schaffung eines provisorischen internationalen Informationsbüros[25] beauftragt. Ein Vertreter der SPD war nicht geladen. Im Herbst soll eine weitere Sitzung stattfinden.

Der National Council of Labour wird seine erste Delegation nach dem Pfingstparteitag der Labour Party nach Deutschland entsenden. Sie soll bestehen aus Laski und Morgan Phillips für die LP, Coldrick[26] und Woods[27] für die Genossenschaften und Charles Dukes und George Gibson[28] für den TUC.

Versammlungen in Bremen und Hamburg mit Dr. Kurt Schumacher als Redner fanden mit grossem Erfolg nach dem Parteitag der SPD in Hannover statt. In Bremen sprach er in einer Versammlung des deutsch-amerikanischen Informationsbüros[29], in Hamburg in einer Riesenkundgebung, die mit 80.000 Besuchern einen stärkeren Besuch aufzuweisen hatte als die Maifeier. Er beschäftigte sich u.a. auch mit der politischen Stellung Englands und der USA, um dabei ausdrücklich hervorzuheben, dass beide Länder europäische Mächte geworden seien und daraus auch die Konsequenzen ziehen müssten.

Weissbuch der Emigration. Wegen technischer Schwierigkeiten musste ein neues Druckverfahren durchgeführt werden. Wir bitten die Besteller, die Verzögerung in der Zustellung der bestellten und zum Teil bereits bezahlten Exemplare zu entschuldigen.

In memoriam ... Robert Grötzsch. Gedenkblätter von Roberts Freunden in Schweden, England und Amerika an seine Freunde in der Heimat. Beiträge von Edgar Hahnewald, Friedrich Stampfer, Julius Bab[30] und Toni Sender. Diese Blaetter wurden besonders nach Deutschland versendet, es koennen noch einige Exemplare abgegeben werden. Auch Deutschlandadressen zur Weiterversendung werden angenommen. Bestellungen und Geldbeiträge zugunsten dieser Aktion an W. Sander, 33 Fernside Avenue, London N.W.7.




Issued by the London Representative of the SPD.
33, Fernside Avenue, London, N.W.7. 'phone: MIL 3915






Editorische Anmerkungen


1 - Vgl. Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 9. bis 11. Mai 1946, Hamburg 1947. Verschiedentlich - so u. a. in der Presse - wurde im 1. Nachkriegsjahr der Hannoveraner Parteitag als "Reichsparteitag" der SPD bezeichnet. Diese Bezeichnung wurde jedoch bei dem gedruckten Protokoll von 1947 (s.o.) nicht verwandt. Auf biographische Anmerkungen zu den im folgenden Parteitagsbericht genannten Personen wurde verzichtet.

2 - Hanomag = Hannoversche Maschinenbau AG, ein 1871 in Hannover-Linden gegr. Unternehmen zur Herstellung von Kleinautos, Lastkraftwagen, Schleppern und maschinellen Anlagen.

3 - "Holzhauer": Herbert Holtzhauer, siehe SM 111/112, Mai/Juni 1948, Anm. 23.

4 - Carlo Schmid (1896 - 1979), in Südfrankreich geboren, bis 1914 französische Staatsangehörigkeit, dann Kriegsfreiwilliger auf deutscher Seite, Studium von Rechts- und Staatswissenschaften, 1924 ff. Rechtsanwalt, Landgerichtsrat in Tübingen, Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, 1929 Habilitation, 1940-1945 Wehrmachtsbeamter (Kriegsverwaltungsrat). Nach 1945 Prof. in Tübingen, 1945 SPD-Mitglied, 1947-1950 Justizminister von Württemberg-Hohenzollern, 1947-1973 Mitglied des SPD-Parteivorstandes, 1948/1949 SPD-Mitglied des Parlamentarischen Rats, 1949-1972 MdB, 1966-1969 Bundesratsminister.

5 - "Paul Lyan": Schreibfehler, da sich Paul Lévi im amerikanischen Exil "Lynn" nannte.

6 - Die Zusammenfassung des Hannoveraner Referates von K. Schumacher ist an dieser Stelle etwas zu kurz geraten und zudem irreführend. Schumacher wendet sich in seiner Rede nicht gegen einen Wirtschaftsplan und gegen Wirtschaftsplanung überhaupt, sondern, allerdings in diesem Referat nicht expressis verbis, gegen den am 28. März 1946 vom Alliierten Kontrollrat veröffentlichten Plan über die deutsche Nachkriegswirtschaft. Dieser Plan gab eine Übersicht über zugelassene Rohstoffe und Fertigungsindustrien; die Produktionshöhe sollte 50-55% des Maximums von 1938 betragen. Eine Reihe von Fertigungsindustrien wurde verboten; die der Chemie, des Maschinenbaus, der Elektro- und Optikindustrie sollten drastisch eingeschränkt werden.

7 - Das Flugblatt konnte nicht nachgewiesen werden.

8 - Die "SPD-Wochenschrift für Sozialismus und Demokratie" erschien von Mai 1946 bis Januar 1950 in Hannover. Die Wochenschrift wurde zwar von der "SPD, Region Hannover" herausgegeben, sollte aber anfänglich - vielleicht unter Umgehung der Bestimmungen der Militärregierung - als überregionales Organ der SPD gelten. Den Platz der Wochenschrift nahm die "SPD-Rundschau" (Mitteilungsblatt der SPD/Bezirk Hannover) ein.

9 - Das "Rhein-Echo"(Düsseldorf) erschien als SPD-nahe Tageszeitung von März 1946 bis Dezember 1951. Anfang 1952 wurden die "Rheinische Zeitung" und das "Rhein-Echo" durch die "Westdeutsche Neue Presse" (Köln) ersetzt. Die letztgenannte Zeitung mit der gleichen politischen Tendenz wie die oben genannten erschien bis Januar 1954.

10 - Die sozialdemokratische bzw. SPD-nahe Tageszeitung "Freie Presse" (Bielefeld) erschien von April 1946 bis Ende Juni 1967.

11 - "Neuer Hannoverscher Kurier" (Untertitel: Nachrichtenblatt der Alliierten Militärregierung), erschien von Mai 1945 bis Juli 1946.

12 - Der "Telegraf" (Berlin) erschien von März 1946 bis Juni 1972 als SPD-nahe Tageszeitung.

13 - SPD-Parteivorstand (Hrsg.): Die Internationale grüßt die neuerstandene Sozialdemokratische Partei Deutschlands, o. O., o. J. [1946]; (o. Hrsg.): Was wollen die Sozialdemokraten?, o. O., o. J.[1946].

14 - Anspielung auf die sog. Schwarze Reichswehr, die in den Anfangsjahren der Weimarer Republik bestand. Sie setzte sich - direkt von der offiziellen Reichswehr eingesetzt bzw. geduldet - aus Zeitfreiwilligen zusammen. Wegen ihrer rechtsradikalen Tendenzen stellte sie innenpolitisch eine Gefahr für die junge Demokratie dar, außenpolitisch bedeutete sie eine Verletzung des Versailler Vertrages.

15 - Zu Fritz Eikermann konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

16 - Zu Carl Wildeis konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

17 - Die Internationale Presseausstellung in Köln, die Pressa, war im Mai 1928 eröffnet worden. Einige Monate später fand am Rande der Pressa, an der sich auch die Presse der Arbeiterbewegung beteiligt hatte, eine Konferenz der sozialdemokratischen Redakteure statt.

18 - Johannes Richter (1895 - 1970), Schriftsetzer, seit 1912 Mitglied der sozialistischen Jugendbewegung, seit 1915 in der SPD, 1919-1922 SAJ-Bezirksleiter Pommern, gleichzeitig Redakteur am sozialdemokratischen "Volksboten", der von 1884 bis 1933 als Tageszeitung in Stettin erschien; ab 1922 in der Redaktion des "Hamburger Echo", nach dem 20. Juli 1944 im KZ Fuhlsbüttel. 1945 im Vorbereitenden Vorstand der SPD Hamburg, August 1945 - März 1946 SPD-Parteisekretär für Presse und Propaganda in Hamburg, 1946-1959 Chefredakteur des "Hamburger Echo", 1966-1970 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft.

19 - Der "Sozialdemokratische Pressedienst" erschien von 1924 bis 1933, ein Vorläufer, der "Sozialdemokratische Parlamentsdienst", von 1921 bis 1924. Der "Sozialdemokratische Pressedienst" der Nachkriegszeit erschien zum ersten Mal von Mai 1946 bis Oktober 1946 in Braunschweig, von November 1946 bis Juni 1951 in Hannover, ab Juni 1951 in Bonn.

20 - Fritz Sänger (1901 - 1984), Volksschullehrer, danach Volontär bei einer Lokalzeitung seiner Heimatstadt Stettin, seit 1920 Mitglied der SPD, 1927-1933 Redakteur der "Preußischen Lehrerzeitung" und Geschäftsführer des Preußischen Lehrervereins, ab 1935 Mitglied der Berliner Redaktion der "Frankfurter Zeitung". Nach Einstellung der "FZ" 1943 bis Kriegsende Mitarbeiter des "Neuen Wiener Tageblatts", Verbindungen zur sozialdemokratischen Widerstandsbewegung. 1946/47 Hrsg. und Chefredakteur des von ihm gegründeten "Sozialdemokratischen Pressedienstes", 1947-1959 Geschäftsführer und Chefredakteur der "Deutschen Presse-Agentur" bzw. ihrer Vorgängerin, maßgeblich an den Vorarbeiten zum Godesberger Programm der SPD beteiligt, 1961-1969 SPD-MdB.

21 - Die erste Ausgabe der "Braunschweiger Zeitung", eines ursprünglich der SPD nahestehenden Organs, erschien am 8.1.1946.

22 - Adolf Ehlers (1898 - 1978), kaufmännischer Angestellter und Metallarbeiter, in der Anfangszeit der Weimarer Republik Betriebsratsvorsitzender der AG "Weser", 1921 ff. KPD-Funktionär und journalistische Tätigkeit, 1923-1927 Mitglied der Bremer Bürgerschaft, 1924 aus der KPD ausgeschlossen, 1926 wiederaufgenommen, 1929 erneut ausgeschlossen, dann KPO-Mitglied, 1932 zur SAP, illegale politische Betätigung für die SAP in Bremen, Kontakte zu Willy Brandt. Nach dem Krieg Wiedereintritt in die KPD, Austritt im Mai 1946 und Übertritt zur SPD, Nov. 1945 - Nov. 1946 Bremer Senator für Öffentliche Arbeiten und Wohlfahrt, dann bis 1948 Senator für Wohlfahrt und Gesundheit, 1948-1963 mehrfach Innensenator und 2. Bürgermeister in Bremen.

23 - Hermann Wolters (geb. 1910), kaufmännischer Angestellter und Seemann (Bremen), ab 1929 KPD-Mitglied, in der Endphase der Weimarer Republik Reichsjugendleiter der KPD für Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer, 1933 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 7 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1940 nach KZ-Entlassung illegale Widerstandstätigkeit. 1945-1958 Senator in verschiedenen Bremer Landesregierungen, Mai 1946 Austritt aus der KPD und Übertritt zur SPD.

24 - Der "Weserkurier" erschien als unabhängige Tageszeitung seit 1945 in Bremen.

25 - = Socialist Information and Liaison Office. Die Konferenz in Clacton (17.-19.Mai 1946), an der 19 Partei-Delegationen teilnahmen, "reduzierte sich auf den Austausch von Informationen". (Vgl. Rolf Steininger: Deutschland und die Sozialistische Internationale nach dem Zweiten Weltkrieg. Darstellung und Dokumentation, Bonn 1979, S. 44 ff.).

26 - William Coldrick (1894 -1975), Bergarbeiter, später Mitglied des National Council of Labour Colleges, chairman des National Committee of Co-operative Party, 1945 ff. Labour-MP.

27 - George Seville Woods (1886 -.1951), Geistlicher (Reverend) der Unitarischen Kirche, Direktor der co-operative press, Labour-MP seit 1935.

28 - George Gibson (1885 - 1953), Generalsekretär einer im Gesundheitswesen tätigen Gewerkschaft, 1928 ff. Mitglied des General Council des TUC, 1940/41 dessen chairman.

29 - Über das deutsch-amerikanische Informationsbüro konnte nichts Näheres in Erfahrung gebracht werden. Nach Peter Brandt: Antifaschismus und Arbeiterbewegung. Aufbau - Ausprägung - Politik in Bremen 1945/46, Hamburg 1976, sprach Kurt Schumacher am 19. Mai 1946 in Bremen, und zwar auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen.

30 - Julius Bab (1880 - 1955), Schriftsteller, Theaterkritiker, Dramaturg Regisseur, vor 1933 Mitarbeiter bekannter Berliner Zeitungen und Zeitschriften, 1933-1938 Mitarbeit im Jüdischen Kulturbund, 1935 aus der Reichskulturkammer ausgestoßen, 1939 Emigration nach Paris, 1940 nach New York, dort journalistisch tätig für amerikanische und deutsch-amerikanische Zeitungen.



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