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SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 67/68 - 1944

Oktober - November

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HITLERS TOTAL WAR AGAINST THE GERMAN OPPOSITION
Wilhelm Leuschner - Rudolf Breitscheid - Ernst Thälmann

Eine sehr gut besuchte, international zusammengesetzte Kundgebung der "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien" am 7. Oktober in der Caxton-Hall in London gedachte der jüngsten Opfer des Terrors der Nazis gegen die innerdeutsche Opposition.

Die Kundgebung wurde von dem Vorsitzenden der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter, Hans Gottfurcht, dem Versammlungsleiter, mit einer

Sympathiekundgebung für die Kämpfer von Warschau

eröffnet. - "Das tragische Ende des Kampfes in Warschau war noch nicht bekannt, als wir die Einladungen zu unserer heutigen Veranstaltung verschickten. Wir haben daher den aufrichtigen Wunsch, unsere Feier mit einer Ehrung der heldenhaften Kämpfer von Warschau zu beginnen und den Arbeitern und Bauern, den Soldaten und all den anderen Mitstreitern unseren Dank und unsere Anerkennung zu zollen, die in einem beispiellos tapferen Kampf versuchten, ihre Stadt zu befreien. Viele Tausende von ihnen gaben willig ihr Leben, damit Demokratie und Freiheit eine neue Heimstätte in einem neuen Polen finden konnten. Wir betrauern aufs tiefste die Opfer dieses Kampfes, sie werden in der Erinnerung kommender Generationen als Helden und Vorkämpfer fortleben.

Innerhalb Deutschlands versucht das Terror-Regime die Reste des aktiven und bewussten Widerstands zu vernichten. Wilhelm Leuschner, der Gewerkschaftsführer, Rud. Breitscheid, der Sozialist, Ernst Thälmann, der Kommunist, wurden ermordet. Sie wurden ermordet, weil sie entschlossen waren, den Kampf gegen das Naziregime fortzuführen.[1]

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Leuschner, Breitscheid und Thälmann sind nur drei Namen. Seit fast zwölf Jahren hat die Gestapo die Gegner des Regimes gemordet und zusammen mit diesen drei Männern Hunderte oder Tausende offen ermordet, sei es durch Hinrichtungen oder in der Stille und Dunkelheit der Gefängniszellen oder der Konzentrationslager.

Wir ehren alle diese Kämpfer, die bekannten und die unbekannten, die Sozialisten und Demokraten in ganz Europa, in den jetzt befreiten Ländern und in den Ländern, die noch unter der Herrschaft des Faschismus leiden, die Antifaschisten innerhalb Deutschlands, in Buchenwald und Sachsenhausen und in all den anderen Gestapokerkern. Allen diesen Kämpfern und Opfern, all den unvergesslichen Kameraden in allen Ländern gilt unsere Ehrung."

Als erste Rednerin sprach dann

Ellen Wilkinson, M.P.

Vorsitzende des Exekutivkomitees der britischen Labour Party. Sie führte unter anderem aus:

"Wir sind heute hier zusammengekommen, um an die grossen Kämpfer der Arbeiterklasse zu denken, die typisch sind für die vielen, die gefallen sind und noch fallen werden in diesem gigantischen Ringen.

Wir leben in einer Zeit, in der täglich die historischen Dokumente europäischer Kultur zerstört werden. In Grossbritannien haben wir gesehen wie unsere kulturellen Denkmäler zerstört wurden, wir haben gesehen, wie besonders die Wohnviertel der Arbeiterschaft dem Luftterror zum Opfer gefallen sind. Wir wissen, dass auch in Europa Städte und Kulturdenkmäler zerstört werden. Aber heute denken wir nicht an zerstörte Städte. Es ist leider so, dass die zerstörten Schätze der Vergangenheit nicht wieder aufgebaut werden können. Aber wir können einer Zukunft entgegensehen, in der es bessere und schönere Städte geben wird. Noch wichtiger aber ist es, dass der menschliche Geist nicht zerbrochen wird von den Dingen, die zutiefst böse und schlecht sind.

Viele Engländer, Menschen, die ganz ehrlich und überzeugt und guten Willens sind, bekämpfen sich heute bitter wegen eines besonderen Problems: ob es wirklich anständige Deutsche gibt. Wenn man mir diese Frage stellt, dann erinnere ich die Fragesteller daran, dass Hunderttausende von Sozialisten und Kommunisten in Deutschland schon 6 Jahre vor Ausbruch dieses Krieges in den Konzentrations-

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lagern litten, weil sie nicht erst 1939 anfingen, gegen die Nazis zu kämpfen.

Unsere Soldaten haben grosse Dinge vollbracht. Sie sind durch Tod und Qualen gegangen; aus ihren Leiden wird unsere neue Welt entstehen. Die Männer und Frauen aber, die gegen die Gestapo gekämpft haben und kämpfen, sind ganz allein. Für sie gibt es nicht die Kameradschaft und gegenseitige Hilfe des Soldaten. In den Schreckenszellen der Gestapo sind sie ganz allein mit ihren Qualen, und sie sind ganz allein, wenn sie zu ihrer Hinrichtung gehen. Jeder sollte sich fragen, ob sein Glaube in [!] den Sozialismus wirklich stark genug ist, dass er das ertragen könnte. Wenn er das wirklich wäre, wenn er auch nur ein Tausendstel so stark wäre wie der brennende Glaube dieser heldenhaften Männer und Frauen, dann würden viele von uns mehr Zeit für unsere Bewegung opfern, in einem Lande, in dem sie es frei und ungehindert tun können.

Von den drei Männern, deren wir heute gedenken, kannte ich Breitscheid am besten. Er kam aus dem Bürgertum und war in seiner Jugend ein Liberaler, aber sehr bald fand er den Weg zum Sozialismus. Im letzten Kriege war er im Schützengraben, und seine Gegnerschaft gegen den Krieg war über jeden Zweifel erhaben. Er war der Führer der Unabhängigen Sozialdemokratie und später nach der Vereinigung wurde er der aussenpolitische Sachverständige der Sozialdemokratie. Er hatte einen unglaublichen klaren und scharfen Geist. Er sah ganz klar, was kommen werde, wenn es den Nazis gelänge, zur Macht zu kommen.

Ich weiss, dass es Bitterkeit gibt zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Beide haben in der Vergangenheit Fehler begangen, aber beide haben schwer dafür zahlen müssen. Ich erinnere mich, wie Breitscheid einer grossen politischen Versammlung in Potsdam, auf der ich auch anwesend war, so unerhört klar die Gefahren des kommenden Faschismus aufzeigte. Nachdem die Nazis zur Macht kamen, ging Breitscheid nach Frankreich, um den Kampf gegen den Faschismus fortzusetzen und die Welt vor der kommenden Gefahr zu warnen. Er und ein anderer grosser deutscher Sozialist, Rudolf Hilferding, wurden nach dem Zusammenbruch von Frankreich von Vichy an die Nazis ausgeliefert.

Thälmann und Leuschner kannte ich nicht so gut wie Breitscheid. Leuschner war der typische Gewerkschaftler, zuverlässig, kühl, gescheit. Ich sah ihn zuletzt in Genf, er vertrat dort den Allgemeinen Deutschen Gewerksch[afts]bund.[2]

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Thälmann war der typische norddeutsche Prolet, wuchtig, schwerfällig in seinen Bewegungen und im Denken, aber von einer ungeheuren Zähigkeit und voll Glaubens an seine Idee. Leuschner, Thälmann, Breitscheid, der deutsche Gewerkschafter, der deutsche Prolet und der deutsche Intellektuelle, diese drei Männer sind Symbole aller derer, die nicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern im Kampf gegen den Faschismus zu Tode gemartert worden sind. Wir denken an alle, die in allen Ländern in den Schreckenslagern der Nazis dahingemordet worden sind. Wir denken an die Juden, die so viel beigetragen haben zur Kultur Europas. Sie wurden vernichtet - nicht mal wie Vieh - wie Ungeziefer.

Eine Welt, in der so etwas möglich ist, muss zutiefst in Unordnung geraten sein. Diese Ereignisse zeugen von einem Uebel im menschlichen Geist, das noch weit hinausgeht über den Kreis der eigentlichen Verbrecher.

Im Grunde sind es die sozialen Verhältnisse, die so sind, dass sie den menschlichen Geist vergiften und pervertieren, dass sie nicht das Beste, sondern das zutiefst Schlechte im Menschen ans Tageslicht bringen. Ein grosser Teil der Menschheit ist heute verdorben und abwegig - Menschen, die besser sein würden, wenn unsere Gesellschaftsordnung besser wäre. Wir müssen ein für allemal Schluss machen mit gesellschaftlichen Verhältnissen, die den menschlichen Geist degradieren.

Wir glauben, dass der Sozialismus das tun kann. Wenn jeder von uns auch nur einen tausendsten Teil des brennenden Glaubens und der geistigen Integrität und Hingabe an die Bewegung, die es Breitscheid, Thälmann und Leuschner möglich machten, den Gestapo-Martern standzuhalten, für die Erringung des Sozialismus aufwenden würden, dann hätten wir alle Aussicht, unser Ziel zu erreichen."

Louis Lévy - Frankreich,

der Londoner Vertreter der Sozialistischen Partei Frankreichs, sprach als nächster Redner. Seinen Ausführungen entnehmen wir:

"Für kontinentale Sozialisten ist es manchmal sehr schwierig, sich über bestimmte Probleme zu einigen. Was aber diese Gedenkfeier anbetrifft, so muss ich doch sagen, dass ich überzeugt bin, dass alle meine Genossen in Frankreich mich gebeten haben würden, hierher zu kommen und ihre Grüsse der Brüderlichkeit zu übermitteln.

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Ich kann Euch ganz bestimmt versichern, dass sie begeisterte und treue Internationalisten geblieben sind. Breitscheid und Hilferding besonders werden von ihnen fast als Landleute betrachtet. Sie haben nicht vergessen, dass diese beiden bereits im letzten Kriege offen und energisch gegen den deutschen Militarismus gekämpft haben. Als die Vichy-Verräter diese beiden Genossen an die Gestapo aushändigten, da herrschte in ganz Frankreich, nicht nur bei den Sozialisten, ein Gefühl von Trauer und Scham.

Ich bin gerade zwei Wochen in Paris gewesen. Paris in diesen Septembertagen war für mich, einen alten Pariser, eine ganz neue Stadt. Es war nicht die Stadt von 1940, die ich in den trüben Junitagen verlassen hatte. Es war auch nicht die Stadt von 1936 oder von 1924[3] oder auch nur die Stadt meiner Jugenderinnerungen vor dem letzten Weltkrieg. Um ein Gleichnis zu finden, musste ich in der Geschichte meines Landes im 19. Jahrhundert nachforschen. Ueberall fand ich Spuren des Kampfes. Die Steine, aus denen die Barrikaden errichtet waren, lagen noch immer in den Strassen. Man konnte immer noch den Geruch von Pulver in der Luft spüren, und auf den Brücken waren immer noch die Tank-Fallen zu sehen. Im Zentrum von Paris, auf dem Platz der Republik, der Faubourg St. Denis und St. Martin, wo 1830 und 1948 die historischen Kämpfe stattgefunden hatten[4], war immer noch der Geist der glorreichen Augusttage 1944 lebendig.

Die Gesichter der Männer, Frauen und Kinder in Paris zeigten die Spuren des Hungers, aber ihre Augen glänzten von einem überströmenden Glück und voll Stolz. Sie konnten es noch nicht ganz fassen, dass sie wirklich frei waren. Sie schüttelten den amerikanischen Soldaten und den Soldaten der heimgekehrten französischen Armee die Hand. Sie fragen: Ist es wirklich wahr? Das war Glück. Aber die Pariser waren auch stolz darauf, dass sie sich ihrer Vorfahren aus der grossen französischen Revolution und aus den Tagen der Pariser Kommune würdig erwiesen hatten. Sie waren stolz darauf, dass sie selber es gewesen sind, die ihre Stadt befreit hatten.

Das Volk in Frankreich ist absolut gesund in seinen Ansichten. Es ist überzeugt demokratisch und nicht im geringsten chauvinistisch. Die Hitlerideologie hat seinen Geist nicht vergiften können. Es ist ganz und gar nicht antisemitisch.

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Ihr habt vielleicht die Rede Bidaults[5] gelesen, des französischen Aussenministers. Er sagte ganz klar, dass Frankreich keine territorialen Forderungen habe. Das ist auch die Ansicht unserer Genossen in Frankreich. Daniel Mayer[6], der junge und mutige Sekretär der Pariser Partei, betonte ganz besonders, dass die französischen Genossen internationaler denn je dächten. Natürlich wissen sie, dass es gilt, nicht nur ein Naziproblem, sondern auch ein deutsches Problem zu lösen. Sie wollen Wiedergutmachung, sie wollen, dass viele Nazis und Militaristen getötet werden, - je mehr je besser. Sie wollen, dass Deutschland und sein Erziehungssystem überwacht werden. Sie wollen, dass die Ländereien der Grossgrundbesitzer aufgeteilt werden, sie wollen die Junker und grossen Industrialisten loswerden, aber sie werfen nicht Nazis und die, die ihnen halfen, in einen Topf mit denen, die von Anfang an gegen sie gekämpft haben.

Hitler, Papen, Schacht und alle ihre Freunde und Anhänger sind die Feinde. Aber die Freunde von Leuschner, Thälmann und Breitscheid sind auch ihre Freunde. Mit denen hoffen sie, gemeinsam für ein demokratisches Europa arbeiten zu können.

Als ich Paris verliess, waren meine Eindrücke nicht die der ersten Septembertage. In den Augen der Pariser strahlte nicht mehr Glück und Stolz. Natürlich, sie sind immer noch froh, dass sie frei sind, aber sie machen sich Sorgen über die Zukunft. Die ökonomischen Zustände sind denkbar schlecht. Es gibt Nahrungsmittel, aber nicht genug, es gibt immer noch Schwarzhandel. Es herrscht ein sehr ernster Mangel an allen Verbindungsmitteln. Paris ist völlig abgeschlossen vom übrigen Land. Wenn es nicht gelingt, das Transportsystem wiederherzustellen, wird es diesen Winter keine Kohle in Paris geben, die Menschen werden frieren, und es wird eine schreckliche Arbeitslosigkeit herrschen. Die politische Situation ist ungeklärt. Die Säuberung geht zu glatt vonstatten. Es gibt immer noch eine Fünfte Kolonne. Petainisten und Vichy-Elemente kommen schon wieder aus ihren Löchern hervor. Und das bringt mich wieder zu dem eigentlichen Zweck dieser Versammlung. Heute ehren wir das Andenken der neuesten Opfer des deutschen Faschismus. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen. Wir ehren Leuschner, den Gewerkschafter, Thälmann, den stolzen und tapferen Führer der Kommunisten,

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und meinen lieben Freund Rudolf Breitscheid, der mit solcher Hingabe, nicht nur für die deutsche, sondern auch für die französische Demokratie gearbeitet hat. Wir ehren heute alle sozialistischen, kommunistischen und demokratischen Opfer des deutschen Faschismus. Sollten wir nicht in der Lage sein, endlich das zu lernen, was wir nach dem Ersten Weltkrieg nicht gelernt hatten? Was immer auch Lord Vansittart sagen mag, dieser Krieg ist ein internationaler Bürgerkrieg. Er wird nicht mit dem Sieg der alliierten Armeen, der, wie wir hoffen, sehr bald kommen wird, beendet sein. Nach diesem Krieg wird unser Krieg für die Errichtung der europäischen Demokratie fortdauern, und im Jahre 1944 bedeutet Demokratie: Sozialismus. Die Arbeiter Europas müssen sich vereinigen, sonst werden sie besiegt werden."

Jim Middleton,

Generalsekretär der britischen Labour Party, erhielt als dritter Redner das Wort:

"Vorige Woche sprach unser Freund, Pethick Lawrence, im House of Commons über das Schicksal jener tapferen britischen Fallschirmtruppen, die in Arnheim ihr Leben hingegeben haben.[7] Er sagte: 'Es hat mich mit tiefer Demut erfüllt und ich habe mich gefragt: Wer bin ich, dass ich weiterleben soll, dass ich atmen soll und mich an allem, was das Leben lebenswert macht, freuen kann, während diese Männer ihr junges Leben so grossmütig hingegeben haben, damit die Flamme der Freiheit nicht erlöschen soll und die Pestflut des Nazismus zurückgedrängt werden soll von den Ufern der Zivilisation? Die Namen der meisten dieser Männer werden unbekannt bleiben, aber trotzdem wird ihre Tat Teil unserer Zivilisation und unsterbliches Besitztum der ganzen Menschheit sein.'

Wir, die wir hier in London zusammenkommen, unserer alten Stadt, die der Krieg so tief gezeichnet hat, denken zurück an die vergangenen Jahre, und wir erinnern uns aller der deutschen Genossen, die Unterdrückung, Folter und Tod erlitten haben, Seite an Seite mit denen, die ein ähnliches Schicksal erlitten in den besetzten Ländern Europas und hinter den Grenzen Russlands. Wir denken an die Juden, die in ganz Europa verfolgt und getötet wurden, nur weil sie Juden sind. Wir wollen auch Matteottis und seiner italienischer Freunde Schicksal nicht vergessen.

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Wenn wir an alle diese Qualen denken, an die Leiden und Foltern und das Sterben, das überall unseren gemeinsamen Feinden auf dem Fusse folgte, dann fühlen auch wir uns zutiefst gedemütigt angesichts dieses unübersehbaren Heeres von Kronzeugen für unsere gemeinsame Verbundenheit in unserem Kampf um die Menschheit. Hier und in anderen Ländern gab und gibt es eine ganze Anzahl Narren, deren Grundsatz ist, dass der einzige gute Deutsche ein toter Deutscher ist. Diese Leute wissen nichts von den Opfern, die so viele unserer deutschen Genossen im Kampfe gegen den Faschismus gebracht haben.

Man sagt heute oft, dass die, die gegen Hitler gekämpft haben und 1933 von ihm besiegt worden sind, jämmerlich versagt haben. Man sagt, dass ihre Bemühungen ganz unzureichend gewesen sind. Es stimmt schon, dass sie eine Niederlage erlitten haben. Zweifellos, Hitler hat gesiegt, und Terror und Folter haben unseren Genossen eine Niederlage beigebracht. Aber aus den Jahrhunderten menschlicher Geschichte wissen wir, dass Niederlage oft der Beginn eines umso grösseren Sieges gewesen ist.

Ich kannte nur einen der drei Genossen, deren wir heute gedenken. Ich erinnere mich an Breitscheid, als er vor ungefähr zwanzig Jahren hier nach London kam. Ich erinnere mich, wie er teilhatte an unserer Freude darüber, dass wir uns endlich eine Labour-Regierung erkämpft hatten.[8] So haben wir oft von Zeit zu Zeit teilgenommen an der Freude über den Erfolg unserer Genossen in allen Ländern, weil wir uns immer bewusst waren, dass wir alle für dieselbe Sache kämpften. Im Krieg oder im Frieden bewahren wir Sozialisten diesen Glauben.

Hier in Grossbritannien kennen wir nicht die Prüfungen, die der Terror dem menschlichen Geist auferlegt, wir wissen nicht, was es heisst, vor körperlichen Folterungen zittern zu müssen. Das ist vielleicht der Grund, warum manche so leichtfertig reden und schreiben können von dem unzureichenden Kampf unserer Genossen, die Tag für Tag solche Foltern erwarten oder ertragen mussten.

Nun sehen wir dem Frieden entgegen, einem Frieden der Freiheit. Georges Bidault, der Führer der französischen Widerstandsbewegung, hat das klar ausgedrückt am 24. August nach der Kapitulation der deutschen Garnison in Paris. Sein erster Besuch galt den Franzosen, die auf den Barrikaden verwundet worden waren. Er sagte:

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'Im Namen der Nation, die jetzt schon frei und siegreich ist, unseren Dank.' Dann folgte eine der denkwürdigsten Episoden dieses Krieges. Bidault geht zu den deutschen Verwundeten und sagt in seiner ruhigen, klaren und unsentimentalen Art: 'Deutsche Soldaten! Ich bin der Führer der französischen Widerstandsbewegung. Ich bin gekommen, um Euch gute Besserung zu wünschen. Mögt ihr euch morgen in einem freien Deutschland wiederfinden und in einem ebenfalls freien Europa.'

Das ist, was wir alle wünschen. All Ihr Genossen im Exil, seid versichert, dass es in unserer grossen britischen Arbeiterbewegung Hunderttausende von Männern und Frauen gibt, die Eure Hoffnung auf ein freies Heimatland teilen - ein Heimatland, in dem Eure Kinder denen Ehre erweisen werden, die starben, damit sie in Freiheit leben können. Möge dieser Tag bald kommen!"

Hans Vogel,

Vorsitzender der "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien" sprach als letzter Redner:

"In der Einladung zu der heutigen Veranstaltung sind nur drei der in letzter Zeit von den Nazis getöteten Persönlichkeiten genannt: Leuschner, Breitscheid und Thälmann. Es gibt deren unendlich viel mehr. Zeitungen berichteten in den letzten Tagen, dass Gustav Noske, ein bald Achtzigjähriger, von den Nazis langsam stranguliert und dass der frühere sozialdemokratische Abgeordnete Jul[ius] Leber von ihnen hingerichtet wurde.[9]

Wir wissen von den mysteriösen Unglücksfällen deutscher Generale und von anderen Generalen, die erschossen oder gehängt wurden. Wir haben Kenntnis von dem hingerichteten Personenkreis um Goerdeler.[10] Wir wissen von dem Massaker unter den 7.500 Insassen des Konzentrationslagers Buchenwald, das die Nazis auf alliierte Flieger abzuwälzen versuchten. Buchenwald dürfte ein Vorspiel für das sein, was die Insassen anderer Konzentrationslager in Deutschland zu erwarten haben.

Seit dem 20. Juli, dem Tag des Bombenanschlags auf Hitler, geht eine ununterbrochene Verhaftungswelle durch Deutschland, die alle Anti-Nazigruppen erfasst. Von dem Ausmass der Verhaftungen kann man sich ein Bild machen, wenn man weiss, dass die Sozialdemokratische Partei allein vor Hitlers Machtergreifung rund 400 Reichstags- und Landtagsabgeordnete, fast 2.500 Bürgermeister,

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Stadträte und Gemeindevorsteher, 4.000 Provinziallandtags- und Kreistags-Abgeordnete und 30.000 Gemeindevertreter hatte. Diese Zahlen können gut verdreifacht und vervierfacht werden, wenn alle Vertreter demokratischer und antifaschistischer Parteien hinzugerechnet werden.

Fortlaufend hört man Nachrichten über Todesurteile und Hinrichtungen wegen des Abhörens der Londoner BBC. In der ersten Oktoberwoche wurden in Bielefeld vier solcher Urteile ausgesprochen und vollzogen. Zwei der Hingerichteten - Brockmann und Sauer - waren früher Funktionäre der SPD, ein dritter - Giesselmann - war ein Funktionär der KPD.[11] Einige Zeit zuvor wurde in Paderborn Jos. Oehlenschlägel[12], ein Funktionär des katholischen Jugendverbandes, wegen des gleichen Vergehens hingerichtet.

Trotz dieser neuesten Terrorwelle gegen alle Anti-Nazis gibt es immer noch Menschen, die behaupten, dass man in Deutschland nicht zwischen Nazis und Deutschen unterscheiden könne. Das Schreckensregiment, das heute in Deutschland einen neuen Höhepunkt erreicht, bestätigt nur von neuem, dass die Nazi ihren inneren Gegnern gegenüber die gleichen Ausrottungs-Methoden anwenden wie gegenüber den von ihnen unterdrückten Völkern, ja, sie haben diese Methoden in Wahrheit zuerst am eigenen Volke erprobt.

Wer wollte, konnte sich schon lange vor dem Machtantritt Hitlers von dem, was von den Nazis zu erwarten war, ein zuverlässiges Bild machen. Er brauchte nur einen Blick in die [in] fast allen Sprachen erschienene Nazi-Bibel, Hitlers 'Mein Kampf', zu werfen. Dort sagte Hitler u.a., dass es im August 1914 die Pflicht einer besorgten Regierung gewesen wäre, die sozialdemokratischen Verhetzer des deutschen Volkes unbarmherzig auszurotten und dass man zur Ausrottung dieser Pestilenz alle militärischen Machtmittel hätte einsetzen müssen. An anderer Stelle dieses Buches heisst es: 'So wie es sich im Jahre 1918 blutig gerächt hat, dass man 1914 und 1915 nicht dazu überging, der marxistischen Schlange für immer den Kopf zu zertreten, so musste es sich auf das unseligste rächen, dass man im Frühjahr 1923 nicht den Anlass nahm, den marxistischen Landesverrätern und Volksmördern entgültig das Handwerk zu legen.' Selbst die Giftgaskammern spukten damals schon in Hitlers Gehirn. 'Hätte man', so schreibt er, 'zu Beginn des Krieges und während des Krieges einmal 12 bis 15.000 dieser hebräischen Volksverderber ... unter Giftgas gehalten, so wäre das Millionenopfer

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der Front nicht vergeblich gewesen.'

Damals und heute geht es den Nazis darum, die durch Alter, Verfolgung und Krieg ohnedies bereits dezimierte Führerschicht der Opposition total aktionsunfähig zu machen. Gelingt das den Nazis, so bedeutet das für sie, bereits eine Nachkriegsschlacht gewonnen zu haben. Indem die Nazis dem Volk immer wieder zu suggerieren versuchen, dass die Alliierten nicht daran dächten, den Oppositionellen zu erlauben, die Nazis zu überleben, versuchen sie, eine geschlossene Solidarität für den Untergang herzustellen. Allgemeine Apathie und Verwirrung sind die Folgen des Terrors und der Nazipropaganda. Die Durchschnittsdeutschen haben keine Ahnung, was die Nazis noch tun werden, aber sie fürchten von ihnen das Schlimmste. Leider gilt das auch im Hinblick auf die Absichten der Alliierten.

Meine Freunde und ich haben immer wieder unsere aufrichtige und ehrliche Zustimmung zu sehr einschneidenden Absichten der Alliierten bezgl. der Nachkriegsbehandlung Deutschlands zum Ausdruck gebracht. Durchaus einverstanden sind wir auch jetzt wieder mit der von dem englischen Aussenminister Eden vertretenen Notwendigkeit totaler Wachsamkeit nach der totalen Abrüstung Deutschlands und der weiteren Notwendigkeit, die Naziideologie in den jungen fanatischen Nazis mit der Wurzel auszurotten.

Sollte aber jetzt nicht die Zeit gekommen sein für eine Erklärung der Alliierten an das deutsche Volk darüber, was dieses von den Aliierten zu erwarten hat? Eine solche Erklärung könnte ein wirksames Mittel gegen Goebbels verzweifelte Appelle an das deutsche Volk sein, und in ihrem Endeffekt würde sie bestimmt auch die militärischen Auktionen der Alliierten wirksam unterstützen.

Es gibt in Deutschland eine wirkliche Opposition, die es verdienen würde, von den Alliierten anerkannt, ermutigt und aktiv wirksam unterstützt zu werden. Eine starke psychologische Wirkung müsste beispielsweise die Aufhebung des Gewerkschafts- und Parteienverbots in den von den Alliierten besetzten deutschen Gebieten auslösen.

In der letzten Zeit bin ich wiederholt gefragt worden, wie die Verbindung Leuschners mit dem Goerderler-Kreis zu erklären sei. dass die Absichten Leuschners absolut lauteren Charakters waren, steht ausser jedem Zweifel. Der lange Aufenthalt im Konzentrationslager konnte seinen Geist nicht brechen. Die aussergewöhnlichen Verhältnisse des Krieges und die Diktatur

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der Nazis allein machen die Verbindung erklärlich. Als einer unserer Freunde am 20. August 1939 das Dritte Reich verliess, gab ihm Leuschner folgende Botschaft an seine englischen Freunde mit:

'Ich befürchte, dass es diesen Herbst zum Krieg kommen wird und dass dieser Jahre dauern wird. Frankreich und England haben eben erst begonnen, sich auf den Krieg vorzubereiten. Sage unseren dortigen Freunden, besonders Walter Citrine, dass wir sind, was wir waren. Aber wir sind gänzlich unfähig, die Katastrophe zu verhindern. Wir sind Gefangene in einem grossen Zuchthaus. Zu rebellieren wäre genauso Selbstmord, als wenn Gefangene sich gegen ihre schwer bewaffneten Aufseher erheben würden. Diesmal werden wir nicht die bankerotte Firma liquidieren. Die Nazis und ihre Generale werden um Waffenstillstand zu bitten und den Friedensvertrag zu unterzeichnen haben. Dann werden wir wieder beginnen aufzubauen, ohne durch den Vorwurf von dem Dolchstoss im Rücken gehindert zu sein.'

Es kann keinerlei Zweifel bestehen, dass Leuschner und die anderen gemordeten Freunde den Zusammenbruch des Dritten Reiches genauso wie wir gewünscht und herbeigesehnt haben. Wir wünschen ihn auch heute noch, wo er sich unter Umständen zu vollziehen droht, die wir mit unverhohlener Sorge betrachten. Aber wir wünschen ihn, weil wir seine tiefe geschichtliche Notwendigkeit erkennen. Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches endet auch die abscheulichste Despotie.

Leider erscheint es im Augenblick nicht so, als ob der Zusammenbruch der Diktatur auch den Sieg der deutschen Demokratie bedeuten wird. Die Schwäche der Demokratie war ganz allgemein die letzte Ursache, dass es zu diesem Krieg kam. In Deutschland zeigte sich die Demokratie zu schwach, um sich zu behaupten, und ausserhalb Deutschlands war sie nicht willensstark genug, den Kampf gegen die Diktatur rechtzeitig aufzunehmen und durchzuführen. Soll deshalb nun aber die Demokratie in Deutschland überhaupt aufhören zu existieren? Wäre es im Gegenteil nicht richtiger, aus den Fehlern zu lernen, sie besser und stärker zu machen?

Die Enttäuschung beruht gewiss auf Gegenseitigkeit. In dieser Zeit gemeinsamer Not hat es keinen Sinn, sich

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gegenseitig Vorwürfe zu machen. Wohl aber sind bestimmte Feststellungen notwendig, wenn man trotz aller Widrigkeiten zu einer Verständigung kommen soll.

Eine solche scheint mir besonders dringlich bezüglich der Formel der bedingungslosen Kapitulation. Soll sie nur für das Dritte Reich und die Armee gelten oder für die gesamte deutsche Bevölkerung? Soll mit der bedingungslosen Kapitulation die Forderung nach dem bedingungslosen Gehorsam gemeint sein, die gerade an die Instinkte appelliert, die Hitler gross gemacht haben? Soll dieser bedingungslose Gehorsam auch für die deutsche Demokratie und ihre tatsächlichen Träger, die Sozialdemokratische Partei, die Gewerkschaften und die anderen demokratischen Kräfte gelten? Ich fürchte sehr, dass bedingungslose Kapitulation in diesem Sinne zur Folge haben könnte, dass der heilsame Riss, der in Deutschland zwischen der Demokratie und dem Nationalismus entstanden ist, sich sehr rasch wieder schliessen, und die Welt wieder in den alten Fehlerkreis zurückgeworfen würde.

Ich fürchte weiter, dass Deutschland für lange Zeit führerlos sein könnte und dass es unter diesen Umständen den Nazis umso leichter fallen würde, die Zukunft Deutschlands in den düstersten Farben auszumalen, um damit ihre eigne Anarchie innerhalb Deutschlands und in den von ihnen besetzten Ländern zu vertuschen.

Wahrscheinlich würde sich unter diesen Umständen auf Jahrzehnte eine starke militärische Besetzung Deutschlands als notwendig erweisen, die wohl kaum eine der alliierten Nationen durchzuhalten vermöchte. Der Fehlschlag einer solchen Aktion aber müsste sich zu einer Katastrophe im Weltmasstabe auswirken. Darin aber liegt unserer grösste Besorgnis. Es geht uns bei all diesen Betrachtungen nicht allein oder in erster Linie um Deutschland, sondern um den Frieden und die Wohlfahrt Europas und der ganzen Welt.

Immer haben es die deutschen Sozialisten und die Gewerkschaften als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachtet, die Deutschen zu guten Europäern und darüber hinaus zu guten und wirklichen Weltbürgern zu erziehen. Dieser Aufgabe wollen wir auch jetzt treu bleiben. Jetzt, wo sich die ganze Welt gegen uns zu richten scheint.

So handeln wir bestimmt auch im Geiste aller jener Freunde, deren gewaltsamen frühzeitigen Tod wir beklagen und derer wir ehrend gedenken, heute und für alle Zeiten."

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Dank der Flüchtlinge an das britische Volk

In seiner Schlussansprache dankte der Versammlungsleiter den Rednern für ihre packenden und eindrucksvollen Ausführungen und brachte vor allem den Dank der deutschen politischen Flüchtlinge an das britische Volk und die britische Arbeiterbewegung für das den Opfern des Faschismus gewährte Asylrecht zum Ausdruck. Sein

Dank an die kämpfenden Armeen der Alliierten,

die durch ihren Einsatz an Gut und Blut das Ende der Hitlerdiktatur erst zur Gewissheit gemacht haben, wurde von der Versammlung mit stürmischem Beifall aufgenommen. Die gleiche herzliche Zustimmung fand der Vorsitzende, als er den Genossen Louis Lévy bat, den französischen Sozialisten die Grüsse der deutschen Sozialisten und ihren Wunsch für die baldige, enge und freundschaftliche Zusammenarbeit beim Aufbau eines neuen Europa zu übermitteln. - Die Kundgebung wurde mit dem gemeinsamen Gesang der "Internationale" geschlossen.

Der "DAILY WORKER" veröffentlichte in seiner Ausgabe vom 9. Oktober folgenden Bericht über die Kundgebung der "UNION" am 7. Oktober in der Caxton Hall:

"German Social Democrats may resist Allies

A threat that German Social Democrats might resist the Allies' entry into Germany was implied by Hans Vogel, chairman of the German Social Democratic Party, speaking on London on Saturday.

He was addressing a memorial meeting in memory of R. Breitscheid, E. Thälmann and the other victims of the Nazi massacre at Buchenwald concentration camp. The Germans, he said, are quite rightly as much afraid of the Allies as they are of the Nazis. 'We German Social Democrats', he declared, 'still want the breakdown of the Third Reich, but we look with apprehension at the circumstances under which this breakdown seems to be coming about, because the defeat of Hitler will not at the same time be a victory for democracy. We are for unconditional surrender of the Hitler gang and the generals but we are against unconditional surrender of the German people. The German Social Democratic Party, the

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standard-bearer of democracy in Germany, cannot possibly capitulate because, if the plans now put forward for the treatment of Germany by the victorious Allies are carried through, it is difficult to see how the fate of Germany could be very different from the dark picture painted by the Nazis. And against this we too will fight, even if, as it looks today, the whole world is turning against us.' Other speakers at the meeting were Ellen Wilkinson, M.P., and J. Middleton, secretary of the Labour Party."

Am 10. Oktober sandte Genosse Hans Vogel der Redaktion des "DAILY WORKER" die folgende Richtigstellung:

"I was surprised to note that the report in your issue of October 9th, 1944, on my address in memory of Breitscheid and Thälmann not only gives an oblique representation of the trend of my address but also claims to quote literally sentences which I have not used. In fairness, will you therefore print the following corrections:

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This statement is clear and unambiguous. It can by no stretch of imagination be construed as carrying the implication your report claims it contains and the conclusions you draw from it."

Der "DAILY WORKER" hat die Richtigstellung nicht veröffentlicht. Die Gründe dieses ungewöhnlich unfairen Verhaltens der Redaktion des "DAILY WORKER" liegen auf der Hand. Die neue kommunistische Linie, die deutschen Sozialdemokraten als die Feinde der Vereinigten Nationen zu diffamieren, darf durch eine Mitteilung des wahren Sachverhalts nicht erschüttert werden.

Dass es den Kommunisten nur auf eine neue politische Brunnenvergiftung ankommt, zeigt noch deutlicher der Bericht, den Heinz Schmidt in der Oktober-Nummer der sogenannten "FREIE TRIBUENE" über die gleiche Kundgebung unter der Ueberschrift: "Gegen die ganze Welt" veröffentlicht. Heinz Schmidt lässt Hans Vogel sagen:

"Wenn die Pläne über die Behandlung Deutschlands, die jetzt im alliierten Lager vorgeschlagen werden, Wirklichkeit werden, dann ist schwer zu sehen, wie Deutschlands Schicksal verschieden sein sollte von dem düsteren Bild, das die Nazis entwerfen. Dagegen werden wir kämpfen, selbst wenn sich wie jetzt die ganze Welt gegen uns zu wenden scheint."

In Wirklichkeit hat Hans Vogel gesagt:

"Immer haben es die deutschen Sozialisten und die Gewerkschaften als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachtet, die Deutschen zu guten Europäern und wirklichen Weltbürgern zu erziehen. Dieser Aufgabe wollen wir auch jetzt treu bleiben. Jetzt, wo sich die ganze Welt gegen uns zu richten scheint. So handeln wir bestimmt auch im Geist aller jener Freunde, deren gewaltsamen und frühzeitigen Tod wir beklagen und derer wir ehrend gedenken, heute und für alle Zeiten.

Kommentar überflüssig.

DNB[13] meldet drohend: "Die Berliner Arbeiter Fr[iedrich] Lüben, Albert Brust und Heinrich Haase, die sich seit Jahren staatsfeindlich betätigen, haben regelmässig Londoner Rundfunksendungen abgehört und überdies die verlogenen Feindmeldungen weiterverbreitet. L. erlaubte sogar 2 ausländischen Arbeitern mitzuhören ..." (ITF, 11.X.44)

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werden in einem Brief behandelt, den Pietro Nenni, der Führer der italienischen Sozialisten, in der in Rom erscheinenden Zeitung "Avanti"[14] veröffentlicht. Die gleichen Probleme werden in einem Bericht behandelt, der von einer Delegation des IGB nach Italien herausgegeben wurde[15], und von einer politischen Erklärung, die die Gruppe Internationaler Sozialisten unter dem Vorsitz des Gen. Prof. Harold Laski kürzlich veröffentlichte.

Alle diese Aufführungen gehen weit über die lokale Bedeutung Italiens hinaus. Sie behandeln Probleme der politischen Kriegsführung und politische und ökonomische Probleme der europäischen Nachkriegsgestaltung. Wir werden deshalb nachfolgend wichtige Auszüge aus diesen drei Dokumenten unseren Lesern zur Kenntnis bringen.

In Pietro Nennis offenem Brief an die British Labour Party heisst es u.a.: "Nach Ansicht der italienischen Sozialisten ist der Zeitpunkt gekommen, um die Sozialistische Arbeiter-Internationale und die Gewerkschafts-Internationale zusammenzurufen, damit sie der Welt die Ideen und Absichten der Arbeiterklasse hinsichtlich der Friedensprobleme verkünden. Es wäre, Genossen von der Labour Party, ein schwerer Fehler, wenn die internationale Arbeiterbewegung vor dem Friedensschluss keinen Kontakt aufnehmen würde, wie es 1919 der Fall war, denn es würde dann wieder zu spät sein ...

Italien erleidet gegenwärtig eine geistige und materielle Tragödie, an der 20 Jahre Mussolinischer Diktatur und die Räubereien der Nazi-Eindringlinge schuld sind. Diese Tragödie ist durch den Zustand, der zur Zeit die Beziehungen des italienischen Volkes zu den Alliierten bestimmt, nicht genügend gemildert worden.

Dies ist die geistige Tragödie Italiens: Als unser Volk zum Nutzen Hitlers und gegen seinen eigenen Willen in den Krieg gezwungen wurde, empfand es sofort, dass seine Sache nicht die des Nazi-Faschismus war. Die Italiener taten alles, was sie konnten und wo sie konnten, um Mussolinis Krieg zu sabotieren ...

Worauf hoffen die Italiener? Sie hoffen, durch ihre Opfer die Verbrechen von 20 Jahren Faschismus zu sühnen. Was wollen sie? Sie wollen eine nationale Armee organisieren, um bei der Befreiung ihres Landes mitzuhelfen.

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Stattdessen erkennt das Volk, nachdem Provinz auf Provinz befreit worden ist, dass die Alliierten in Italien ihren Krieg gegen Deutschland mit grosser Menschlichkeit, aber gleichzeitig auch mit grosser Scheu uns gegenüber führen. Diese Scheu beleidigt und demütigt uns, weil sie uns zeigt, dass das Italien der Arbeiter und Partisanen oft mit dem faschistischen Italien Mussolinis und des Königs, mit dem Italien der Schwarzhemden auf eine Stufe gestellt wird ...

Die moralische Seite der Problems ist durch die materielle erschwert. Die Nazis haben uns alles geraubt: Maschinen, Vieh, Lebensmittelreserven. Die Alliierten marschieren durch ein Land, in dem fast nichts übriggeblieben ist. Das Lebensmittelproblem der Städte ist tragisch, weil wir keinen Transport haben.

Wir müssen pflügen, aber wir haben keinen Treibstoff für die Traktoren. Das Preis-Chaos ist derart, dass die Löhne nicht die Kosten des Lebens decken.

Es ist klar, dass die Alliierten für diese Zustände nicht verantwortlich sind. Aber die Alliierten sind hier. Und das Land kann sich nur an sie wenden.

Worum also bitten wir? dass man unser Volk nicht für die Verbrechen des Faschismus und der faschistischen Monarchie büssen lässt ... Wir bitten, uns die Möglichkeit zum Kampf zu geben. Wir bitten darum, sich in keiner Weise in unsere innere Politik einzumischen. Wir bitten um Hilfe bei der Reorganisation unseres Transportsystems, das der Schlüssel zum materiellen Wiederaufbau ist. Wir bitten darum, wir, die wir nicht verkleidete Faschisten sind, sondern 20 Jahre lang den Faschismus offen bekämpft haben, gemeinsam mit den Arbeitern Frankreichs, Englands, Hollands, Belgiens und gemeinsam mit dem deutschen Volke ... Niemand kann besser als ihr, Genossen von der Labour Party, verstehen, dass das italienische Problem nur ein Teil des europäischen Problems ist ...

Wir kämpfen mit aller unserer Kraft für die Demokratisierung unserer Landes. Deshalb sind wir Republikaner, weil aus historischen Gründen die Republik für unser Land eine Voraussetzung der Demokratie ist. Deshalb haben wir uns mit der Kommunistischen Partei verbündet, um eine Spaltung der Arbeiterklasse in zwei verschiedene Richtungen zu vermeiden. Deshalb haben wir uns für eine Union mit den katholischen Arbeiterorganisationen auf

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gewerkschaftlichen Gebiete entschieden, und wir hoffen dieses Abkommen auf das politische Gebiet ausdehnen zu können. Deshalb sind wir in die Regierung zu einer Zeit eingetreten, in der es so leicht wäre, in der Opposition einen demagogischen Erfolg zu erringen.

Die Genossen von der Labour Party wissen, dass zu den Gründen der Zerstörung der demokratischen Entwicklung in Deutschland die Politik von Versailles gehörte, die dem deutschen Volk die Schuld der preussischen Militärkaste aufbürdete, aber zu gleicher Zeit mithalf, diese Kaste vor der Vernichtung zu bewahren.

Es gibt Anzeichen dafür, dass dieselbe Politik jetzt in Italien befolgt wird. Und wenn wir auf diese ersten Anzeichen, die beklagenswerte Folgen haben können, hinweisen, dann erfüllen wir Sozialisten unsere Pflicht als Italiener, Demokraten und Europäer."

hat die nach Italien entsandte Gewerkschafts-Delegation, der Walter Schevenels, der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Will Lawther[16] und Thomas O'Brien[17] vom Britischen Gewerkschaftskongress, Luigi Antonini[18] von der amerikanischen Federation of Labor und George Baldanzi[19] vom amerikanischen CIO angehörten, in einem Bericht veröffentlicht. Nach dem Besuche von Rom, Neapel, Lucera, Bari, Tarent, Palermo und Catania gaben die obengenannten Gewerkschafter eine Erklärung ab, in der es heisst:

"Es ist unmöglich, den sozialen und wirtschaftlichen Zustand im befreiten Teil Italiens zu beschreiben. Trotz der Stabilisierung der Lira auf einen Pfundkurs von 400 Lire und einen Dollarkurs von 100 Lire hat das Geld keinen wirklichen Wert. Die Mehrheit der Bevölkerung ist ohne normale Beschäftigung. Wer eine Arbeit hat, verdient von 50 bis 150 Lire pro Tag. Eine Anzahl Lebensmittel sind rationiert, und im allgemeinen sind die Rationen erhältlich, aber ihre Quantität genügt nicht zur Aufrechterhaltung eines minimalen Gesundheitsstandards, besonders für solche, die arbeiten. Zusätzliche Lebensmittel müssen auf dem freien Markt gekauft werden, wo die unrationierten Lebensmittel gehandelt werden, oder im Schleichhandel. Eine sehr bescheidene Mahlzeit in einem drittrangigen

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Restaurant kostet zwischen 100 und 200 Lire. Olivenöl kostet 4 Lire der Liter, falls es auf Rationen erhältlich ist. Die Schleichhandelspreise bewegen sich von 50 Lire in Bari bis zu 550 Lire in Rom. Wenn man diese phantastischen Preise mit den 65 bis 150 Lire vergleicht, die der Durchschnittsarbeiter oder Angestellte täglich verdient (Beamte, Richter, Polizisten und Carabinieri verdienen weniger), dann erkennt man, dass jede Basis für das soziale Leben der Bevölkerung fehlt. Das Ergebnis ist Korruption, Plünderung und Schleichhandel in grossem Masstab, oder aber Hungersnot (die Sterblichkeit der Kinder unter einem Jahre ist doppelt so hoch wie vor dem Kriege).

Ausser in Teilen Siziliens und der Provinz Neapel gibt es keine nennenswerten Verkehrsmöglichkeiten ausser denen, die vom Militär und der Alliierten Beratungskommission geleitet werden. Es herrscht auch Knappheit an Rohstoffen aller Art, besonders Kohle und Elektrizität, die vor dem Kriege grösstenteils importiert wurden. Infolgedessen besteht wenig Aussicht, die Arbeitsmöglichkeiten und damit die sozialen Bedingungen der Arbeiterschaft zu bessern.

Der gewerkschaftliche Geist, den die Delegation überall antraf, war viel höher und lebendiger, als sich angesichts der Tatsache erwarten liess, dass zwanzig Jahre Faschismus das freie Denken unterdrückt und den Geist des Volkes vergiftet hatten. Es muss auch bedacht werden, dass Italien, besonders in den jetzt befreiten Gebieten, industriell und sozial viel weniger entwickelt ist als die meisten west- und mitteleuropäischen Länder.

Trotz dieser beiden ungünstigen Umstände hat ein beträchtlicher Teil der italienischen Arbeiter in Industrie wie in Landwirtschaftsgebieten spontan und instinktiv dem Ruf nach gewerkschaftlicher Organisation entsprochen. Freilich muss festgestellt werden, dass der grössere Teil der Arbeiterklasse bisher noch nicht in die Bewegung gebracht wurde, und es lässt sich sogar annehmen, dass sie von den Gewerkschaften noch nicht erreicht worden sind.

Im Norden Italiens gibt es viele Anzeichen dafür, dass dort die Wiederbelebung der Gewerkschaften und die Wiedererrichtung von Organisationen viel schneller verläuft als im Süden. Wie das Beispiel von Florenz und anderen seither befreiten Städten zeigt, lässt sich erwarten, dass die Gewerkschaften im Norden sofort nach der Befreiung

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aktionsbereit sein werden.

Bei den ersten Versuchen, die Gewerkschaften zu reorganisieren, kamen die Initiatoren vor allem von den drei wichtigsten politischen Richtungen: Sozialisten, Kommunisten, und Christlich-Demokraten [!]. In der Zeit vor dem Faschismus und sogar unter dem Faschismus hatten diese verschiedenen Ideologien die Arbeiter-Organisationen voneinander getrennt. Die furchtbaren Leiden und schrecklichen Prüfungen, die das italienische Volk durchmachte, erschwert durch die Tatsache, dass die Trennungen die Widerstandskraft des Volkes noch mehr geschwächt hatten, liessen die absolute Notwendigkeit der Einheit der Arbeiter auf sozialem Gebiet klarwerden und führten zu der Entschlossenheit der grossen Mehrheit, diese Einigkeit nach der Befreiung zu verwirklichen.

Erst in Bari, dann in Neapel und schliesslich in Rom fand dieser starke Wunsch nach Einigkeit seinen Ausdruck im sogenannten Pakt von Rom, in dem die Vertreter der drei politischen Hauptideologien sich verpflichteten, eine geeinte, national unabhängige Gewerkschaftsbewegung zu errichten. Man erkannte in diesem Anfangsstadium, dass es unerlässlich war, die ersten regionalen und nationalen Gewerkschaftsvorstände auf der Basis einer Drei-Parteien Vertretung zu bilden, aber dass es unbedingt notwendig war, die geeinigte Gewerkschaftsbewegung von den politischen Parteien zu trennen. Nur wenn es der Bewegung gelänge, alle ihre Bestandteile in eine einzige grosse Bewegung zusammenzuschliessen, in der die Führer auf Grund ihrer gewerkschaftlichen Verdienste und Fähigkeiten gewählt würden und von der sie ihre Parteibindungen ausschlössen, könnte die künftige Gewerkschaftseinheit gesichert werden. ... Feierliche Versprechungen sind von den Gewerkschaftsführern, die zu den bereits erwähnten Parteien gehören, gegeben worden, sich jeder politischen Einmischung zu enthalten und jede Art Parteipolitik von der wiedergeborenen Gewerkschaftsbewegung fernzuhalten. Es ist zu hoffen, dass alle beteiligten Parteien ihre Versprechungen aufrichtig halten werden. Aber in letzter Instanz ist der sicherste Schutz gegen jede Wiederkehr parteipolitischer Einmisch[un]g in die Gewerkschaften die Bildung der nötigen moralischen Kräfte und des Verständnisses innerhalb der Gewerkschaften, um jeder politischen Einmischung, falls sie erfolgt, Widerstand zu leisten."

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Die Unterzeichneten grüssen die italienische Demokratie, die, vom Faschismus zum Schweigen gezwungen, aber nie überwunden, seit der militärischen Niederlage Mussolinis so wirkungsvoll ihre Stimme wiedergefunden hat.

Ereignisse der jüngsten Zeit haben bewiesen, dass die demokratische Tradition Italiens ihre Lebenskraft bewahrt hat und dass seine sozialistische Tradition, gestärkt durch den langen Kampf eines kühnen Proletariats und geklärt durch die Propaganda einer grossen Partei und die Lehren grosser Führer, nach wie vor imstande ist, die Arbeitermassen zu begeistern.

In dieser Stunde, da die Befreiung des Landes noch nicht vollendet ist, da die arbeitenden Massen im Norden ihre Freiheit erst zurückzugewinnen haben und da es daher schwer sein muss, den Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen, ist die italienische Demokratie dennoch imstande gewesen, ihre Stärke und Entschlossenheit, aber auch einen klaren Sinn für politische Aktion, den mehr als zwanzig Jahre Faschismus nicht stumpf machen konnten, durch Taten zu beweisen.

Trotz ideologischer Differenzen, die natürlich und notwendig sind, da sie aus der Verschiedenheit ökonomischer und sozialer Bedingungen entspringen, ist es den verschiedenen Fraktionen der italienischen Demokratie gelungen, jene Einheit im Handeln zu verwirklichen, welche die Umstände erforderten. Sie waren imstande, eine Regierung zu bilden und sich so jenes Badoglio zu entledigen, den fremde Interessen ihnen aufzwingen wollten. Es gelang ihnen zu verhindern, dass ein Verbrecher des abessinischen Krieges mit der Aufgabe betraut bleibt, die Freiheit Italiens zu schützen. Sie haben erfolgreich ihre Freiheit des Handelns gegenüber dem Hause Savoyen zurückgewonnen. Sie waren imstande, dem Lande eine vorläufige Organisation zu geben, die elastisch genug ist, um unmittelbare Aktion zu gestatten, ohne jedoch den Aenderungen vorzugreifen, die zweifellos notwendig sein werden, wenn die noch vom Feinde besetzten Landesteile ihren Willen unmittelbarer zum Ausdruck bringen können.

Für Demokraten ist es eine Freude, solche Taten feststellen zu können, denn sie rechtfertigen eine optimistische Einschätzung der Zukunft eines freien Italien.

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Es genügt jedoch nicht, die Erfolge der Volksparteien festzustellen und ihnen Beifall zu zollen. Hilfe muss gewährt werden, und weil wir, die Unterzeichneten, zu helfen wünschen, fühlen wir uns verpflichtet, vor der Oeffentlichkeit aufzuzeigen, wie paradox, widerspruchsvoll, ja unmöglich die internationale Situation ist, in welche Italien heute gestellt ist. Technisch ist das Land noch immer im Kriegszustande mit den Verbündeten...

Die italienischen Arbeiter haben den Mut gehabt, gegen die Deutschen im besetzten Gebiet und gegen jene Faschisten, die vor so kurzer Zeit noch ihre Herren waren, Streiks zu führen, so ausgedehnt und so erfolgreich wie irgendeiner im besetzten Europa. ... Sie sind es, die das neue Italien bilden, jenes Italien, dessen Festigung so dringend erforderlich ist, im Interesse Italiens ebenso wie in dem der Welt. Sie sind es, die schliesslich Italiens Politik bestimmen werden, wenn im Einklang mit den Verheissungen der Atlantic Charter dem Land gestattet werden soll, die Regierung seiner Wahl zu haben.

Es ist daher wesentlich, dass dieses wiedergeborene Italien jetzt seinen Platz in der grossen Völkerfamilie findet und dieselben Rechte geniesst und dieselben Pflichten auf sich nimmt wie alle Nationen, die jetzt frei sind. Das Land muss sein eigener Herr sein, es muss in Rat und Tat ein gleichberechtigtes Glied der neuen internationalen Ordnung sein.

Nichts ist dringender und wichtiger, als dass alle sozialistischen Parteien, denen es die Umstände erlauben, mit den sozialistischen Organisationen Italiens Beziehungen herstellen, vor allem durch Entsendung von Delegierten. So werden Bande der Freundschaft und gemeinsamer Aktion geschmiedet werden und die lebenswichtige Aufgabe der Erneuerung der Internationale wird einen Fortschritt verzeichnen.

Lord Ammon[20], Mildr. Bamford, Aneurin Bevan, M.P., Cove, M.P., Brailsford, J. Braunthal, L. de Brouckère, K. Czernetz, G. Daggar, M.P., Lord Faringdon, Vict. Gollancz, Barbara Ayrton Gould, D.R. Greenfell, M.P., J. Griffiths, M.P., John Hynd, M.P.[21], W. Jaksch, H. J. Laski, Louis & Marthe Lévy, Berl Locker, F. Messer, M.P., Lucy Middleton, E. Ollenhauer, A. R[amos] Oliveira, John Parker, M.P., O. Pollak, Ben Riley, M.P., W. Schiff, R. Sorensen, M.P., R.G. Strauss, M.P., Ivor Thomas, P. Tofahrn, Paolo & Perro Treves[22], H. Vogel, W. Warbey[23].

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gibt es seit dem 2. Mai 1933 nicht mehr. Den Konsumgenossenschaften, die Ende 1932 durch 13.406 Verteilungsstellen 3,5 Millionen Mitgliederfamilien versorgten, wurde die Selbstverwaltung genommen. Aber auf Einspruch des Generalstabs, der den Verteilungsapparat, der 12-15 Millionen Verbraucher versorgte, für die Kriegswirtschaft retten wollte, wurden die Konsumgenossenschaften nicht, wie dem Mittelstand versprochen worden war, privatisiert, und auch der Plan, die Verteilungsstellen an gesinnungstüchtige Nazis zu verpachten, wurde nicht durchgeführt. Nazi-Kleinhändler wurden 5 Jahre lang mit enteigneten jüdischen Ladengeschäften reichlich entschädigt.

Einer neuen Mittelstandspropaganda im Dritten Reich verdanken wir einige Ziffern über die in Deutschland und Oesterreich noch vorhandenen Unternehmungen der ehemaligen Konsumgenossenschaften. In Deutschland und Oesterreich zusammen bestehen heute noch ca. 12.000 Verteilungsstellen. Ausserdem gibt es noch: 300 Bäckereien, 5 Mühlen, 3 Teigwaren-, 5 Fleischwaren- und 2 Fischverarbeitende, 2 Seiten- und 7 Tabakfariken, die früher Eigentum der Konsumgenossenschaften waren. In Oesterreich besteht noch je eine ehemals genossenschaftliche chemische und Papierfabrik.

Der Umsatz der Verteilungsstellen, der von ca. 810 Millionen RM (1932) auf 553 Mio. (1938) zurückgegangen war, stieg auf 1.200 Mio. RM, da von den Konsumgenossenschaften übernommene leistungsfähige Betriebe viele Zwangsarbeiterlager und Garnisonen versorgen.

Der Bericht, den Dr. Ley jetzt veröffentlicht, verspricht dem Mittelstand, dass das ehemals genossenschaftliche Eigentum nach dem Krieg endgültig Nazihändlern übergeben werden soll.

Nach dem Kriege wird das gestohlene genossenschaftliche Eigentum allerdings zurückgefordert und die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen werden. (ITF)




Issued by the London Representative of the German
Social Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW.7.






Editorische Anmerkungen


1 - Rudolf Breitscheid wurde nicht ermordet, sondern kam am 24.8.1944 bei einem Bombenangriff auf das KZ Buchenwald und Weimar ums Leben. Thälmann, ebenfalls KZ Buchenwald, wurde am 18.8.1944 ermordet; Leuschner wurde am 29.9.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

2 - Bei der IAO bzw. beim IAA.

3 - Mit 1936 ist das Paris der Volksfrontregierung gemeint; mit 1924 das Paris der allgemeinen Wahlen, bei denen das Linkskartell von Radikalsozialisten und Sozialisten einen Sieg errungen hatten.

4 - Gemeint ist die Julirevolution von 1830, bei der es um die Frage einer konstitutionell-monarchistischen (Bürgertum) oder republikanischen (Arbeiterschaft) Staatsform ging. Während der Revolution von 1848 fand ein Aufstand der Pariser Arbeiterschaft statt, der blutig niedergeschlagen wurde.

5 - Georges Bidault (1899 - 1983), französischer Politiker, seit 1941 im Widerstand, Präsident des Conseil Nationale de la Resistance und Führer des Aufstandes in Paris im August 1944, 1944 Mitbegründer und 1949-1952 Vorsitzender des Movement Republicain Populair (MPR). In der Nachkriegszeit verschiedentlich Außenminister und Ministerpräsident; entschiedener Gegner der Algerienpolitik De Gaulles; 1963-1968 im Exil in Brasilien und Belgien. G. Bidault hatte am 24.9.1944 in Paris vor der ausländischen Presse über die künftige Außenpolitik Frankreichs gesprochen.

6 - Daniel Mayer (geb. 1909), französischer sozialistischer Politiker und Journalist, Mitglied des Nationalrats der Widerstandsbewegung, 1943 Generalsekretär der illegalen SFIO, in verschiedenen französischen Nachkriegsregierungen. 1958-1975 Präsident der französischen Sektion der Liga für Menschenrechte.

7 - Die Schlacht um Arnheim und Nimwegen dauerte vom 17.bis 26.9.1944.

8 - Zum ersten Mal in seiner Geschichte regierte ein Kabinett der Labour Party (unter James Ramsay MacDonald) das Land, und zwar von Januar bis November 1924.

9 - Gustav Noske wurde nicht ermordet (er starb 1946 in Hannover), war aber nach dem 20.7.1944 verhaftet worden. Julius Leber, hingerichtet am 5.1.1945, lebte noch zur Zeit der Rede Vogels.

10 - Carl Friedrich Goerdeler (1884 - 1945), Verwaltungsjurist und deutschnationaler Politiker, seit 1930 Oberbürgermeister von Leipzig, 1937 Rücktritt, führender Zivilist in der Widerstandsbewegung, für den Fall eines geglückten Staatsstreiches als Reichskanzler vorgesehen. Februar 1945 hingerichtet.

11 - Rudolf Sauer und Paul Brockmann waren auch Mitglieder des DMV. Otto Giesselmann (1904 - 1944) war ebenfalls Gewerkschaftsfunktionär und von 1933-1936 im KZ. Alle drei wurden im September 1944 enthauptet.

12 - Zu Jos. Oehlenschlägel konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

13 - = Deutsches Nachrichtenbüro; verbreitete von 1933 bis April 1945 alle amtlichen Nachrichten.

14 - "Avanti", italienische sozialistische Tageszeitung, 1896 gegründet, 1926 verboten; 1943 in Bari wiedergegründet unter Mithilfe des deutschen sozialdemokratischen Exilanten Hans Jahn. Der Nenni-Brief erschien am 13. August 1944.

15 - Vgl. Harold Laski u. a.:" Manifesto on Italy" in "The Left News", September 1944.

16 - William Lawther (1889 - 1976), britischer Gewerkschaftsführer (Bergarbeitergewerkschaft) und Labour-MP 1929-1931.

17 - Thomas O' Brien (1900 - 1970), britischer Gewerkschaftsführer und Labour-MP 1945-1959.

18 - Luigi Antonini (geb. 1883), amerikanischer Gewerkschaftsfunktionär.

19 - George Baldanzi (geb. 1907), amerikanischer Gewerkschaftsfunktionär.

20 - Charles George Ammon (1875 - 1960), Labour-MP 1922-1931 und 1935-1944.

21 - J. Griffiths ist James Griffith, siehe SM 33, 1. Jan. 1942, Anm. 16.
John Burns Hynd (1902 - 1971), brit.-schottischer Gewerkschaftsführer, Autodidakt, Labour-MP seit 1944, Chancellor of the Duchy of Lancaster, Minister für die britisch besetzte Zone Deutschlands (im sog. Kontrollamt für Deutschland und Österreich).

22 - Zu P(i)erro Treves konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.
Zu Paolo Treves siehe SM 30, 1. Okt. 1941, Anm. 32

23 - William Warbey (1903 - 1980), Labour-MP 1945-1950.




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