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TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 49]

Juliane Freifrau von Friesen, Berlin
Deutscher Juristinnenbund, Berlin

Gesetzliche Anknüpfungspunkte zur wirksameren Frauenförderung in der Privatwirtschaft

Meine Damen und Herren,

der Deutsche Juristinnenbund hat bereits im ersten Bericht der Gleichstellungskommission 1989 und seither bis zum gerade in Kraft getretenen Vergaberechtsänderungsgesetzes ohne Unterlass, um nicht zu sagen: gebetsmühlenartig darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass der Gesetzgeber die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft vorantreibt, indem er nach US-amerikanischem Vorbild öffentliche Auftragsvergabe und freiwillige staatliche Leistungsgewährung in erster Linie mit Frauenförderung, aber auch mit Familienförderung verknüpft. Viel mehr steht ihm als Instrumentarium für den privaten Sektor - anders als für den öffentlichen Dienst - auch gar nicht zur Verfügung, wenn man von der Verankerung eines Mitbestimmungsrechts 'Frauen- und Familienförderung' im Betriebsverfassungsrecht und der grundsätzlich geschlechterparitätischen Besetzung von Betriebsratsgremien und Aufsichtsräten einmal absieht.

Letztendlich sind finanzielle Anreize das Einzige, was Unternehmen konjunkturunabhängig bewegen dürfte, das nach wie vor offenkundig nur mäßig geschätzte weibliche Potential am Arbeitmarkt einzukaufen und im Unternehmen voranzubringen. Externe Anreizsysteme werden - wie das US-amerikanische Vorbild zeigt -zur Schaffung interner Anreizsysteme führen. Einfach ausgedrückt: Männer werden für Frauenförderung belohnt oder für unterbliebene Anstrengungen bestraft.

Wunder darf man/frau hiervon zwar auch nicht erwarten, aber immerhin gibt es in den USA derzeit nur noch eine 60-prozentige Männerquote im mittleren Management, wohingegen deutsche Unternehmen wahre Män

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nerbiotope sind, in denen Frauen äußerstenfalls in Form exotischer Spurenelemente vorkommen. Darauf, dass die Männerquote von 95 Prozent sich von selbst abbaut, dürfen wir vielleicht nicht bis zum „Sanktnimmerleinstag" warten, aber vor dem nächsten konjunkturellen Superhoch werden die Männer bei abnehmendem Stellenkegel und ausgedünnten Führungspositionen eher prozentuale Zuwächse verzeichnen. Oder glauben Sie vielleicht, dass in Krisenzeiten nach sozialer Kompetenz Ausschau gehalten wird? Wohl kaum. Zum einen gibt die Industrie derzeit eindeutig eher „toughen" Typen à la John Wayne: „Erst schießen, dann fragen!" den Vorzug. Zum anderen haben auch Männer inzwischen gemerkt, dass man seine Leute motivieren muss, weil anbrüllen alleine - der Himmel weiß warum! - nicht mehr genügt. Und da Männer lernfähig sind, bzw. sich für lernfähig halten, trainieren sie eben bei Bedarf ein wenig sog. weibliche Eigenschaften. Ich würde Ihnen gerne dazu ein wenig mehr erzählen, aber die Zeit drängt.

In der „Süddeutschen Zeitung" stand vor einiger Zeit: „Die Pyramiden der Stellung im Beruf nehmen sich aus wie Mahnmale der Nichtgleichberechtigung". Damit daraus nicht Grabmale der Gleichberechtigung werden, hat der Deutsche Juristinnenbund über die eigentliche Kommentierung der inzwischen geltenden gesetzlichen Regelungen in Berlin und Brandenburg sowie einiger Gesetzentwürfe, wie zuletzt der der Landesregierung des Freistaates Thüringen, hinaus sowohl einen Musterentwurf eines Ermächtigungsgesetzes in Anlehnung an §§ 13, 14 LGG Berlin erarbeitet als auch eine Muster- Ausführungsverordnung. Ingrid Weber, die daran maßgeblichen Anteil hatte, hat diese Vorschläge, so wie wir sie für sinnvoll und vor allem mit nationalem und EU-Recht vereinbar erachten, 1995 in Berlin erstmals öffentlich vorgestellt. (s. Anhang).

Die Thematik ist - wie bei allen Fragen, bei denen es um Geschlechterproporz geht - politisch brisant und juristisch zumindest knifflig. Aber wie gesagt: Wir sind der Auffassung, dass zur Beseitigung der evidenten Gleichstellungsdefizite in der Privatwirtschaft letztendlich nur Anreizsysteme der beschriebenen Art taugliche Instrumente sind. Erst wenn Gleichstellung zum ebenso anerkannten wie hartnäckig verfolgten Un-

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ternehmensziel geworden ist, wird eine spür- und messbare Veränderung der Unternehmenswirklichkeit eintreten.

Maßstab der rechtlichen Zulässigkeit derartiger gleichstellungspolitischer Einwirkungen auf die Privatwirtschaft sind in erster Linie das AGB-Gesetz auf nationaler Ebene sowie das EU-Recht, soweit der Auftrag bestimmte Grenzwerte übersteigt. Da bei der öffentlichen Auftragsvergabe allgemeine Vergabebedingungen gelten, ist § 9 AGBG zu beachten. Insbesondere darf der Vertragspartner durch die Vergabebedingungen nicht mit ihm unzumutbaren Zusatzkosten und Kostenrisiken belastet werden.

Eine auf Einhaltung von Diskriminierungsverboten bzw. auf Kompensation bestehender Nachteile für Frauen ausgerichtete Vergabepolitik ist prinzipiell unbedenklich. Ansonsten müssten gegenüber jedweder vertraglichen Absicherung gesetzlicher Vorgaben, soweit ihre Erfüllung mit Kosten verbunden ist, rechtliche Bedenken erhoben werden. Es ist jedoch niemals bezweifelt worden, dass öffentliche Auftragsvergabe u. a. von der Vorlage bestimmter Unbedenklichkeitsbescheinigungen, etwa durch Finanzbehörden und Berufsgenossenschaften, sowie von der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften abhängig gemacht werden kann. So gibt es z. B. im Land Berlin die Ausführungsvorschriften für umweltfreundliche Beschaffungen und Auftragsvergaben.

Zum EU-Recht: Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn die EU eine Richtlinie verabschieden würde, in der ausdrücklich Frauenförderung bzw. die Herstellung und Sicherung von Chancengleichheit als zulässiges Kriterium im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe festgeschrieben würde. Doch selbst ohne eine solche Richtlinie erscheint das Vorhaben, die Vergabe öffentlicher Aufträge vom Nachweis frauenfördernder Maßnahmen abhängig zu machen, keineswegs zum Scheitern verurteilt zu sein. Im sog. Beentjes-Urteil vom 20.09.1988 hat der EuGH Grundsätze hinsichtlich der Auswahlkriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge aufgestellt, nach denen eine Einbeziehung sozialer Kriterien mit dem EG- bzw. EU-Recht durchaus vereinbar ist.

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In dieser Entscheidung hatte der EuGH u. a. darüber zu befinden, ob ein Bieter bei der Vergabe ausgeschlossen werden durfte, weil er nicht in der Lage war, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen. Das Gericht stellte hierzu fest, dass die Bedingung der Beschäftigung Langzeitarbeitsloser weder mit der fachlichen Eignung des Bieters etwas zu tun hatte noch mit den in der einschlägigen EG-Richtlinie genannten Zuschlagskriterien. Daraus hat der EuGH jedoch nicht den Schluss gezogen, das Kriterium „Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen" sei mit EG-Recht unvereinbar. Er hat vielmehr Voraussetzungen genannt, unter denen dies besondere Erfordernis ggfs. gegen EG-Recht verstoßen könnte, nämlich insbesondere dann, wenn darin eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit läge; dies wiederum sei der Fall, wenn eine solche Bedingung nur von einheimischen Bietern erfüllt werden könnte bzw. Bieter aus anderen Mitgliedsstaaten sie nur mit größeren Schwierigkeiten erfüllen könnten. Im übrigen müssten alle Bieter in der Lage sein, von der zusätzlichen Bedingung Kenntnis zu nehmen.

Somit ist davon auszugehen, dass für die Anwendung von sozialpolitischen Auftragsbedingungen innerhalb der EU folgende Grundsätze gelten:

  1. Die Auftragsbedingung muss unabhängig sein von der Beurteilung der Fähigkeit des Bieters, den Auftrag auszuführen, oder von den Zuschlagskriterien.
  2. Sie darf nicht gegen die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstoßen, insbesondere gegen die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit; dies ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.
  3. Es sind nur solche Auftragsbedingungen zulässig, mit denen Ziele im Gebiet des Staates des öffentlichen Auftraggebers erreicht werden sollen.

Diese Voraussetzungen sind in dem schon erwähnten Vorschlag des Deutschen Juristinnenbundes grundsätzlich erfüllt.

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Ganz bewusst sind alle Bieter erfasst worden, die sich je nach Größe unterschiedlich aus dem Katalog frauen- und familienfördernder Maßnahmen bedienen können. Die Mindesthöhe für den Auftragswert beträgt DM 10.000.

Der Deutsche Juristinnenbund vertritt hinsichtlich der Mindesthöhe die Auffassung, dass ein deutlich höherer Auftragswert im Hinblick auf das mit der Verknüpfung von öffentlicher Auftragsvergabe und Frauenförderung verfolgte Ziel ineffizient ist. Aufträge werden vielfach gestückelt, um Klein- und Mittelbetriebe bei der Vergabe zu beteiligen. Deren Interesse kann anders durchaus sachgerecht Rechnung getragen werden; der Deutsche Juristinnenbund hat dies in seinem Vorschlag zumindest versucht. Klein- und Mittelbetriebe jedoch völlig von einer Verpflichtung zur Frauen- und Familienförderung auszunehmen, hieße, die Mehrheit erwerbstätiger Frauen zum Schutze des mittelständischen Patriarchats von einer Förderung auszuschließen.

Ebenso kontraproduktiv im Hinblick auf das angestrebte Ziel erscheint mir der schon vor einiger Zeit vorgelegte sächsische SPD-Vorschlag, nach dem Großaufträge jenseits der EU-Schwellenwerte völlig ausgeklammert werden. Hier kämen ohnehin noch verfassungsrechtliche Bedenken hinzu, da der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG auch auf juristische Personen Anwendung findet. Warum sollen ausgerechnet diejenigen Unternehmen, die nach den größten Happen schnappen - z. B. 5 Millionen Euro und mehr bei Bauaufträgen -, und damit mutmaßlich selber zu den großen Fischen der Branche zählen, vom Nachweis aktiver unternehmensinterner Gleichstellungspolitik ausgeschlossen werden? Zielsetzung muss vielmehr eine dem nationalen Recht wie dem EU-Recht gleichermaßen Rechnung tragende Regelung sein.

Bei Bedenken gegenüber einer großen Lösung käme als mögliche Alternative eine Beschränkung der Nachweispflicht auf deutsche Unternehmen in Betracht, d. h., nur inländische Unternehmen müssten im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe frauenfördernde Maßnahmen in ihren Unternehmen nachweisen. Diese kleine Lösung würde sicherlich im Inland nicht unbeträchtliche Entrüstung hervorrufen. Sie wäre jedoch mit EU-Recht in Einklang zu bringen. In seiner Entscheidung vom

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28.02.1991 hat der EuGH eine nur gegenüber inländischen Anbietern geltende Ausschließlichkeitsbindung im Rahmen eines Bierlieferungsvertrages als zulässig angesehen und darauf hingewiesen, dass das EU-Recht allein auf den Schutz der Freiheit des zwischenstaatlichen Handels abzielt und nicht auf den Inlandsmarkt. Entsprechend konsequent sind zwar deutsche Bierbrauer nach wie vor verpflichtet, das mittelalterliche Reinheitsgebot zu beachten, sonstige EU-Anbieter dürfen jedoch ungehindert ihr „unreines" Bier auf dem deutschen Markt anbieten.

Der Deutsche Juristinnenbund präferiert die vorstehend skizzierte „große Lösung". Dies um so mehr, als auch die EU-Kommission, die sich unter der Überschrift „Öffentliches Auftragswesen - Regionale und soziale Aspekte" eingehend mit dem Beentjes-Urteil des EuGH befasst hat, im Ergebnis zu dem Aspekt der Frauenförderung Folgendes festgestellt hat:

„Im Bereich der Chancengleichheit wäre eine Verpflichtung zur Beschäftigung einer bestimmten Anzahl oder eines bestimmten Prozentsatzes von Frauen oder Personen anderer Kategorien ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit offensichtlich ebenfalls unproblematisch; ..."

In ihrer fast 40seitigen Mitteilung vom 11.03.1998 mit dem Titel „Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union" fordert die Kommission im Kapitel „Vergabewesen und soziale Belange" die Mitgliedsstaaten geradezu dazu auf, ihre öffentliche Kaufkraft für die Verfolgung der von ihr genannten sozialen Ziele zu benützen und versichert - in Fettdruck - sie, die Kommission, werde für ihre eigenen Beschaffungen ähnlich handeln. Wörtlich heißt es auf Seite 32 in dieser sogenannten Mitteilung: „So besteht eine Reihe von Möglichkeiten, um sozialen Aspekten bei Beschaffungen durch öffentliche Stellen Rechnung zu tragen:

  • Die Vorschriften der Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen ermöglichen den Ausschluss von Kandidaten, die gegen sozialrechtliche Vorschriften, so auch jenen gegen die Förderung der Gleichbehandlung, verstoßen.

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  • Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Einhaltung von Pflichten sozialen Inhalts zur Vorbedingung für die Ausführung der zu vergebenden öffentlichen Aufträge zu machen, um beispielsweise die Beschäftigung von Frauen oder den Schutz bestimmter benachteiligter Personengruppen zu fördern.

Selbstverständlich sind nur Ausführungsbedingungen zulässig, die sich weder mittelbar noch unmittelbar diskriminierend auf die Bieter aus anderen Mitgliedsstaaten auswirken. Im übrigen muss durch die Angabe dieser Bedingungen in den Bekanntmachungen oder in den Ausschreibungsunterlagen eine entsprechende Transparenz gewährleistet sein.

Die öffentlichen Auftraggeber und sonstigen Beschaffungsstellen können daher angehalten werden, die verschiedenen Anliegen der Sozialpolitik im Zuge eines Vergabeverfahrens zu verwirklichen. Die öffentlichen Beschaffungen können tatsächlich ein bedeutendes Orientierungsmittel der Maßnahmen der Wirtschaftsteilnehmer darstellen."

Das Beentjes-Urteil und die Schlussfolgerungen, die die EU-Kommission daraus und aus dem Amsterdamer Vertrag gezogen hat, und die ihren Niederschlag in dem genannten Grünbuch der Kommission vom November 1996 zur Zukunft des öffentlichen Auftragswesens in der Europäischen Union bzw. in der ebenfalls zitierten Mitteilung der Kommission vom März 1998 gefunden haben, sollten - ungeachtet einer möglichen und sogar wahrscheinlichen Überprüfung durch den EuGH - hinreichend sein, um der Frauenförderung in der Privatwirtschaft durch entsprechende gesetzgeberische Initiativen auf nationaler Ebene neue Impulse zu geben.

Ich denke, es gibt noch einiges zu tun, damit Gleichstellung nicht nur die Utopie der Empörten bleibt.

Ein Instrument - ich hatte es eingangs schon erwähnt - wäre die Verankerung eines Initiativrechts des Betriebsrates zur Frauen- und Familienförderung im Rahmen des Mitbestimmungskatalogs des § 87 Betriebsverfassungsgesetzes. Dieses wiederum wird mutmaßlich nur dann
verstärkt ausgeübt werden, wenn Betriebsratsgremien zwingend ge-

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schlechterparitätisch oder zumindest proportional zum Beschäftigtenanteil besetzt werden müssen. Die heutige Soll-Vorschrift hat - wie wir alle wissen - in den über 27 Jahren ihrer Existenz kaum etwas bewirkt. Eine Geschlechterquote in Aufsichtsräten wäre m. E. ebenso angeraten. Wenn wir nämlich auf die Einsicht der männlichen Amts- und Sitzinhaber bauen, benötigen wir unter Beibehaltung des heutigen Tempos bis zum Patt einen langen Atem: erst im Jahr des Herrn 2330 ist der Geschlechterproporz erreicht.

Dies ist aus weiblicher Sicht offenkundig eine lange Zeitspanne. Bei den Herren der Schöpfung weckt scheinbar jedoch bereits die Aussicht, dass in den Vorständen der heute noch frauenfreien 30 Dax-Riesen durch das Vordringen des weiblichen Geschlechts die Herrenclub-Atmosphäre zunehmend schwindet, massive Ängste. Und hierbei handelt es sich keineswegs um eine bloße Vermutung: Eine Umfrage hat kürzlich ergeben, dass Männer vor Frauen an sich mehr Angst haben als vor Impotenz. Das ist ein kaum lösbares Problem.

Männerängste, speziell vor Verdrängung und femininer Überfremdung, sind offenbar da und dürfen auch nicht auf die leichte Schulter genommen werden, denn Männer vertragen keinen Stress. Die sterben dann einfach weg. In den neuen Bundesländern sank ihre Lebenserwartung unmittelbar nach der Wende um fast 12 Monate und hat sich bis heute noch nicht wieder völlig stabilisiert. Die Frauen sind hingegen völlig unbelastet vom Anpassungsstress geblieben. Im Gegenteil: ihre Lebenserwartung ist um mehr als ein Jahr gestiegen. Wenn noch etwas gefehlt haben sollte, damit ist nun der letzte Beweis erbracht, dass Frauen mit dem besseren genetischen Material ausgestattet sind.

Nun lassen Sie uns an dieser Stelle nicht in den hinlänglich geübten Altruismus verfallen, der Frauen immer wieder in erster Linie für andere, d. h. meist für Männer, sorgen lässt. Auch wenn Männer für das Leben außerhalb ihrer angestammten Bewahranstalten, den Unternehmen, im allgemeinen alleine nicht tauglich sind, was frau schon daran sieht, dass sie mit dem Haushalt ohne Hilfe nur in den seltensten Fällen klarkommen und die absolut höchsten Abwesenheitszeiten von zu Hause dann aufweisen, wenn aus der Ehe eine Familie mit ein oder mehreren Kin-

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dern geworden ist, so ist das noch kein Grund, von den Möglichkeiten zur aktiven Gleichstellungspolitik keinen Gebrauch zu machen, die der Vertrag von Amsterdam zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik eröffnet.

Darin heißt es in Artikel 119 Absatz 4:

„Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung einen Mitgliedsstaat nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen."

Und in der Erklärung zu Artikel 119 Absatz 4 für die Schlussakte heißt es:

„Maßnahmen der Mitgliedstaaten nach Artikel 119 Abs. 4 sollten in erster Linie der Verbesserung der Lage der Frauen im Arbeitsleben dienen."

Dieses Statement sollte nun wirklich genügen, um zu verhindern, dass mit Rücksicht auf männliche Befindlichkeiten ein Aufbauprogramm zum Erhalt bestehender Männerbiotope ins Leben gerufen wird. Die nächste Erkenntnisstufe auf Seiten der Männer wäre dann, endlich zu begreifen, dass Frauen mehr sind als genetische Fehlversuche, für die man möglichst nutzbringende, aber vordringlich Männerkreise nicht störende Einsatzfelder suchen sollte. Dass eine solche Einsicht schwer ist, vor allem, wenn man sich als Mann - wie Schopenhauer, und sicherlich nicht nur er! - für den eigentlichen Menschen hält, wissen wir.

Nun muss man nicht alles für bare Münze nehmen, was Schopenhauer über Frauen gesagt hat, die er u. a. als zu Rückenschmerzen und Verstopfung neigende Wesen klassifizierte. Dass diese merkwürdigen Geschöpfe gut wirtschaften können, belegt eindrucksvoll eine durch das französische Wirtschaftsmagazin „L`Entreprise" 1996 in Auftrag gegebene Studie. Die Analyse von nicht weniger als 22.000 französischen

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Unternehmen ergab, dass die Durchschnittsrendite, also das Verhältnis des Reingewinns zum Umsatz, in von Frauen geführten Unternehmen mittlerer Größe dreimal so hoch war wie der Durchschnitt dieser Kategorie. Auch in Klein- und Großunternehmen hatten die Managerinnen und Unternehmerinnen einen beträchtlichen Vorsprung erwirtschaftet: ihre Unternehmen waren in der Regel doppelt so rentabel wie der Durchschnitt und wiesen ein deutlich stärkeres Wachstum auf.

Auf der Suche nach Erklärungen kam das Wirtschaftsmagazin zu dem Schluss, dass Ursachen des Erfolges vor allem weibliche Intuition, ein aus dem Drahtseilakt zwischen Beruf und Familie erwachsender Sinn für das Notwendige und generalistisch-transversales Denken seien. Frauen hätten keine Angst vor Geschlechterstereotypen, dächten nicht so schwarz-weiß wie Männer und seien daher mehr im Konkret-Pragmatischen verhaftet. Vor allem aber seien sie stressresistenter. Die Studie belegt damit eindrucksvoll, dass Frauen mitnichten allein zur Klimaverbesserung im Unternehmen taugen, wobei ich keinesfalls den Wert eines guten Betriebsklimas unterschätze.

Die Förderung von Frauen müsste also speziell in Krisenzeiten vorangetrieben werden. Stattdessen wollen gerade dann, jedenfalls hierzulande, die tough guys im Management und möglichst auch in allen übrigen Funktionen unter sich bleiben in der irrigen Annahme, dass nur durch Härte, Tatkraft und Entschlossenheit, auf die sie ein Monopol zu haben glauben, der Karren aus dem Dreck gezogen werden kann. Sie halten sich - um noch einmal auf Schopenhauer zurückzugreifen - wider besseres Wissen für die eigentlichen Menschen.

Dessen ungeachtet sollten wir Frauen - ggfs. zusammen mit einigen schon geläuterten Männern - noch eine Zeitlang unverdrossen an der Förderung der männlichen Einsichtsfähigkeit arbeiten. Dass hierbei das Risiko besteht, dass mein fröhlicher Optimismus zur bloßen Utopie gerät, ist unbestritten. Aber drücken Sie mir doch einfach die Daumen, dass weder John D. Pristley noch Karl Valentin Recht behält:

Der eine hat gesagt, ein Optimist sei in der Regel ein Zeitgenosse, der ungenügend informiert sei; der andere hat gemeint, der Optimist sei ein

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Mensch, der die Dinge nicht so tragisch nähme, wie sie seien. Zum Glück haben sich beide Herren nur mit Optimisten, nicht jedoch mit Optimistinnen befasst.

Ich danke Ihnen.




Link zum Anhang des Vortrags von Freifrau von Friesen


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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