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2. Wege zur Entscheidung



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2.1 Ist Kultur planbar?

Manche Einsicht überlebt jeden Umbruch. So auch die, daß weder höhere Wesen oder Volkstribunen, noch Bund und Sponsor den Ländern, Kommunen und freien Trägern die Sorge abnehmen, wie das kulturelle Leben ins dritte Jahrtausend christlicher Zeitrechnung überzuleiten sei. Die für Kenner des DDR-Systems nachvollziehbare Annahme, potente Industrieunternehmen des real existierenden Kapitalismus setzten nach der Wende auf ihre Weise über Sponsoring die kulturfördernden Traditionen der VEBs, LPGs und Kombinate fort, hat sich nicht erfüllt. Vertreter von Großfirmen, die in Westdeutschland über Jahrzehnte hinweg betriebseigene Kulturangebote unterhalten haben, verweisen im Verlauf der Diskussionen über betriebliches Kulturengagement zunehmend darauf, daß sie in ihren Stammwerken diese Leistungen nicht mehr finanzieren könnten.

So hat sich die Frage „Was tun?" zum Erstaunen mancher und zur Ernüchterung aller mit dem Ende des leninistischen Imperiums nicht erübrigt. Dabei schien es doch, als hätten die „Bundis" 1990 alle nötigen Antworten parat gehabt! Verkürzt gesagt, kam da meist der schon erwähnte Ratschlag, sich Sponsoren zu halten. Außerdem wurde den soeben dem Planungs-Staat entronnenen „Zonis" mitgeteilt, daß erfolgreiches Kulturmanagement mit Planung beginne. „Kulturentwicklungsplanung" lautete das zu erwartende Zauberwort aus dem Katechismus der selbst schon in die Jahre geratenen „Neuen Kulturpolitik".

Kulturentwicklungspläne – soviel zur Historie – wurden in der Alt-Bundesrepublik erstmals Mitte der 70er Jahre in Göttingen, Osnabrück und Nürnberg erarbeitet. Nach einer spürbaren „Planungsmüdigkeit" als Reaktion auf die planungseuphorischen 70er Jahre wuchs das Interesse Ende der 80er Jahre wieder leicht an. Wie wenig das bedeutet, zeigt die Feststellung Reinhart Richters, daß nur rund 5 % der deutschen Städte und nur 1 % der Landkreise schon über einen Kulturentwicklungsplan verfügten (Reinhart Richter: Kulturmanagement beginnt mit Kulturplanung. Vorgehensweise und Instrumente, um einen in sich stimmigen Kulturentwicklungsplan zu konzipieren. In: Handbuch KulturManagement, Stuttgart 1992 ff.).

Kultur planen? Ihren Freiraum (schon wieder) einschränken? Dieses sei das zentrale Gebot westdeutscher Kulturpolitik?

Was ist also „Kulturentwicklungsplanung" oder einfach „KEP"? Referieren wir kurz die reine Lehre:

Ein Kulturentwicklungsplan

  • beschreibt die kulturelle Situation, die Ziele und den Stand der kommunalen Kulturarbeit;
  • formuliert für einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren die Ziele, nach denen sich die Entwicklungsbedingungen und -schritte der Kulturarbeit innerhalb einer Gebietskörperschaft vollziehen sollen;
  • schafft die planerische Grundlage für die Entwicklung und Förderung eines vielfältigen kulturellen Lebens in der Kommune;
  • beschreibt Maßnahmen und Projekte sowie Programme „vernetzter" Kulturarbeit;
  • berechnet für die unterschiedlichen Entwicklungsphasen (ggf. in mehreren Alternativen) Personal-, Sach- und Investitionskosten;
  • beschreibt einen Zeitplan für die Finanzierung und die Verwirklichung der kulturellen Prozesse und Einzelvorhaben.

Nicht Kunst und Kultur sollen mit diesem Verfahren „geplant" werden, sondern der Entwicklungsrahmen und die Freiräume, in denen sich künstlerisches und kulturelles Leben bewegen können. Der Ansatz der Kulturentwicklungsplanung geht dabei von einem erweiterten Kulturbegriff aus, der die Gestaltung der Lebenswelten (Wohnumfelder), der Arbeitskultur, der Kommunikation der Menschen miteinander und die Gestaltung der natürlichen Umwelt einbezieht. Entsprechend einem Grundsatz der „Neuen Kulturpolitik" werden Kulturpolitik und Kulturarbeit dabei als „Querschnittsaufgabe" aufgefaßt, die neue Wege des Zusammenwirkens in der Stadtentwicklungsplanung bedingt. „Kulturinvestitionen" werden gleichermaßen unter den Gesichtspunkten der Attraktivitätssteigerung (Standortwettbewerb) und ihrer sozialen Funktion im Alltag bewertet.

An die (Kultur)Verwaltung und den Rat stellt eine KEP vielfach ungewohnte Ansprüche – keinesfalls nur in den neuen Bundesländern. Sie setzt neben den üblichen und oft erheblichen Belastungen durch Verwaltungsabläufe die Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung voraus. Sinnvoll sei es deshalb, einen solchen Planungsprozeß auf 12 oder sogar 24 Monate auszudehnen, ihn jedoch ohne längere Unterbrechungen konsequent durchzuführen.

Unabhängig von einer möglichen Moderation und Beratung des Planungsprozesses durch externe Fachleute müsse eine KEP als gemeinsame Leistung der Kulturverwaltung und ihrer Partner (z. B. freie Kulturträger) projektiert sein. Nur mit diesem Planungsverständnis lasse sich die nötige Identifikation mit den erarbeiteten Analysen und Zielformulierungen erreichen, die wesentliche Voraussetzung einer späteren engagierten Umsetzung sei.

Eine Kulturentwicklungsplanung solle die breite Einbeziehung aller am künstlerischen und kulturellen Leben einer Stadt/eines Landkreises beteiligten Institutionen und Personen sichern. Dieses Anliegen erfordere einen offenen, transparenten Planungsprozeß. Durch die Vorstellung und öffentliche Diskussion der Zielkataloge und Maßnahmen entstehe eine neue Qualität kulturpolitischer Diskussion, die ihrerseits wiederum Voraussetzung für einen ausgeprägteren Kooperationswillen bei der Umsetzung und Fortschreibung der Planung sei.

Initiatoren von Kulturentwicklungsplänen streben zudem an, den ausgearbeiteten Entwurf im Rat zu diskutieren und ihn für einen zu vereinbarenden Zeitraum als Rahmenplan für die kommunale Kulturarbeit zu verabschieden. Der Zeitpunkt der Fortschreibung (i.d.R. nach zehn Jahren) solle ebenfalls festgelegt werden. Diese freiwillig eingegangene Planungsverbindlichkeit könne einen Kulturentwicklungsplan zu einem wirksamen Instrument kommunalpolitischer Diskussion und Beschlußfassung machen. Unabhängig davon erhalte ein veröffentlichter Plan den Charakter einer Leitlinie, die über einen längeren Zeitraum hinweg zur politischen Argumentation herangezogen werden könne.

Die Gliederung des Planungsablaufes sieht in der Regel fünf Abschnitte vor, die in der Praxis (gerade bei starkem Entscheidungsdruck) meist ineinander verschränkt sind:

  1. Bestandserhebung der kulturellen Situation sowie der öffentlich getragenen und der freien Kulturarbeit.
  2. Formulierung der allgemeinen und grundlegenden Ziele der kommunalen Kulturarbeit (Allgemeiner Zielkatalog).
  3. Erarbeitung spezieller Zielkataloge („Unterzielsysteme") für Institute, Ämter oder besondere Funktionen in der Kulturarbeit (z. B. Kulturamt, Musikschule, Volkshochschule, Künstlerförderung, soziokulturelle Arbeit, Theater- und Musikangebote).
  4. Formulierung von Maßnahmen zur Verwirklichung der Unterzielsysteme und von Programmen „vernetzter" Kulturarbeit bzw. -angebote (z. B. Zusammenarbeit mit dem Jugend- und Sozialbereich oder mit freien Trägern).
  5. Erarbeitung von Finanzierungs-, Zeit- und Maßnahmeplänen (ggf. in mehreren Alternativen).

Diese Skizze einer Kulturentwicklungsplanung läßt deutlich werden, daß umfangreiche Planungsprozesse nicht gerade darauf ausgelegt sind, in oftmals nur kurzen Zeitfenstern, die heute für Grundsatzentscheidungen zur Verfügung stehen, die gewünschten Alternativen und Antworten hervorzubringen. Ein- bis zweijährige Planungen konnte man sich in Zeiten leisten, in denen akute Gefährdungen der Angebote nicht bestanden, allenfalls latente, immer wieder aufflackernde Diskussionen über die Kostenstruktur und Effizienz einzelner Angebote auszuhalten waren. Schließlich ist die KEP auch Kind einer planungseuphorischen westdeutschen Epoche, in der Kulturpolitik darauf aus war, Aufwüchse in den Kulturhaushalten zu erzielen und neue (zumeist soziokulturelle) Angebote zu erschließen. Ein wesentliches Zeugnis dieser Erwartungshaltung ist der 1977 vorgelegte Ergänzungsplan „musisch-kulturelle Bildung" zum Bildungsgesamtplan gewesen. Auch wenn einige Kulturentwicklungsplanungen noch Ende der 80er Jahre durchgeführt wurden, um der absehbaren Finanzierungskrise öffentlicher Haushalte zu trotzen, haben wir einige Zweifel am Wert der klassischen KEP für Entscheidungssituationen, deren heutige Dramatik im Verlaufe vieler Planungen nicht absehbar war.

Kulturentwicklungsplanung hat aber auch das Ziel, erschlossene Felder abzustecken und nachhaltig konzeptionell zu sichern, auch unter verschlechterten Rahmenbedingungen. Unter diesem Aspekt wäre die KEP in der Tat ein nützliches Instrument gewesen, „finanzierte Bedenkzeit" aktiv zu nutzen, um bewußt zu neuen, leistungsfähigen und finanzierbaren Angebotsstrukturen zu gelangen. Im Rückblick muß heute festgestellt werden, daß dieses Instrumentarium weder in der nachwendischen DDR, geschweige denn nach dem 3. 10. 1990 erfolgreich zur Anwendung gekommen ist.

Der Verzicht auf Kulturentwicklungsplanungen oder ihre halbherzige Durchführung in der Phase zu Anfang der 90er Jahre in den neuen Ländern mag bedauert werden. Sicherlich sind damit einige Chancen vertan worden. Andererseits müssen die teilweise chaotischen Umstände berücksichtigt werden, in denen sich gerade die Kulturverwaltungen in den Kommunen neu orientieren mußten. Die zeittypische Diskrepanz zwischen Einsicht in planerische Notwendigkeiten und Planungsvermögen wird aus der Mitteilung eines Dezernenten deutlich: „Wir können heute nicht planen, denn wir müssen dringend arbeiten".

Eine bundesweite „neue Aktualität" der Kulturentwicklungsplanung sieht Reinhart Richter im Kontext der Verwaltungsreformbestrebungen und der Einführung des Prinzips der dezentralen Ressourcenverantwortung (Kommunalverwaltung im Umbruch? Die Umwandlung der kommunalen Kulturverwaltung nach dem Prinzip der dezentralen Ressourcenverantwortung, in: Handbuch KulturManagement, A 2.4). Wenn damit die Anwendung des klassischen Planungsszenarios gemeint ist, sind wir mehr als skeptisch. Denn in der kommunalen Praxis und dementsprechend in der Kommunalberatung ist die Begleitung konkreter Transformationsprozesse weitaus eher angesagt.

Unübersehbar ist jedoch, daß in solchen Kommunen, in denen man wenigstens die Methodik der Kulturentwicklungsplanung in überschaubare Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebracht hat, durchaus vorzeigbare Reformschritte nachzuweisen sind.

Deshalb raten wir Kommunen dazu, auf umfangreiche Planungsszenarien zu verzichten, jedoch wenigstens phasenweise mit bewährten Planungsmethoden an Entscheidungen heranzugehen. Wie das Produkt dann heißt, ob „Kulturentwicklungspan", „Kulturkonzept" oder „Strategiepapier", ist dabei gleichgültig. Wichtiger ist, daß man sich in Verwaltung und Rat auf die Dauer dieser notwendigen „finanzierten (Be)denkzeit" einigt bzw. sich vor Augen führt, welche Zeiträume für Veränderungen aus haushaltstechnischen oder z. B. tarifrechtlichen Gründen realistisch sind. Die Panikstimmung, in der öffentliche Haushalte zunehmend diskutiert werden, duldet keine jahrelangen Sandkastenspiele. Sie darf aber ebenso wenig dazu führen, gerade die Analyse der Handlungsvoraussetzungen und die Festlegung von Zielperspektiven sträflich zu vernachlässigen. In den von uns in jüngster Zeit begleiteten Reformprojekten und Organisationsuntersuchungen hat sich zudem immer wieder gezeigt, daß wirksame Veränderungen der Haushaltseckwerte für Kultureinrichtungen selten unter einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren zu realisieren sind. Reorganisationsmaßnahmen können zwischenzeitlich allenfalls zu einer Ausgabendeckelung führen.

Da vermehrt aber auch die Finanzpolitik nach verbindlichen Szenarien verlangt und die Neuen Steuerungsmodelle darauf aufbauen, wächst die Chance, Ziele der Kulturentwicklung künftig in einem System von Strukturplänen, Kontrakten und Zielvereinbarungen zu praktizieren, das einen hohen Grad von beiderseitiger Verbindlichkeit erhält.

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2.2 Zwischen Sparbüchse und Kunstfreiheit:
Die „unternehmerische Entscheidung"


In Nachrichtensendungen sind wir beinahe täglich Zeugen unternehmerischer Entscheidungen über Produktionsstätten und Angebote. Solche Festlegungen beinhalten zumeist Beschlüsse über den Fortbestand oder den Wegfall von Arbeitsplätzen. Sie werden deshalb selten nur nach reiner Unternehmerlehre getroffen, sondern vor allem auch unter dem Aspekt der „sozialen Abfederung" heftig öffentlich diskutiert und von öffentlichen Interventionen begleitet. Der Druck, den hier die Handelnden auszuhalten haben, potenziert sich in der Landes- und Kommunalpolitik angesichts des politischen Wettstreites um Wählerreservoire erheblich. Kein Wunder, daß gerade im Kultur- und Sozialbereich jedes Fettnäpfchen lieber ins Kühlfach geschoben als in öffentlicher Sitzung erhitzt wird. Das in Deutschland hoffähige Modell des „Aussitzens" hat ausgedient. Wo das nicht erkannt wird, bleibt immer weniger Zeit für geordnete politische Szenarien, so daß Entscheidungen dann überstürzt und unbedacht getroffen werden. Die jüngere Geschichte der Schließung von Theatern und Sparten, insbesondere aber die nachfolgenden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen sind Zeugnisse wachsender Nervosität und des Verlustes an politischer Entscheidungskraft in Verwaltungen und Parlamenten, die gefährlich inkompetentes Handeln bei der Fassung unternehmerischer Beschlüsse und ihrer Durchführung zur Folge haben können.

(Kommunale) Politik schreckt noch immer oft davor zurück, sich den unternehmerischen Entscheidungen zu stellen, die ihr abgefordert werden. Menschen, die hier handeln, müssen sich ihrer Unternehmerfunktion bewußt sein. Amt und Mandat verlangen heute mehr Zivilcourage als in „fetten Jahren".

Das vieldiskutierte „Neue Steuerungsmodell", wie es die „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt)" in Köln in ihrem Bericht 5/1993 anpreist, geht von einem Leitbild „Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung" aus, vom Aufbau einer „unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur" mit klarer Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung. Die Forderung „Leistungssteigerung statt Größenwachstum" sei nur zum Preis eines Aufgabenabbaus und vor allem „tiefgreifender Struktur- und Verhaltensänderungen" zu erfüllen. Die KGSt wendet sich vor diesem Hintergrund gegen eine „Verantwortungsdurchmischung" von Politik und Verwaltung, gegen eine bürokratische Instrumentalisierung der Politik ebenso wie gegen die Politisierung des Verwaltungsapparates. Das bisher gängige System lenke das oberste Kommunalorgan, den Rat, von seiner Hauptaufgabe ab, in der es durch kein anderes ersetzt werden könne, nämlich „zu definieren, was sich in den einzelnen Politikfeldern oder gegenüber bestimmten Zielgruppen verändern soll – m.a.W. welche kommunalpolitischen Ziele erreicht werden sollen – sowie zu kontrollieren, ob der Verwaltungsapparat diese Ziele konsequent verfolgt und erreicht." (Das Neue Steuerungsmodell. Begründung, Konturen, Umsetzung. KGSt-Bericht Nr. 5/1993, S. 16)

Kommunalpolitische Praxis in Ost und West ist von diesem Ideal meist weit entfernt und wird es trotz wachsender Freude an der Vertilburgung der Republik wohl auch bleiben, solange „Unternehmensphilosophien", „Ziele", „Leistungsaufträge", „Produktbudgets" und „Controlling" beiderseits des Tisches schlicht auf die Größe „Mensch" treffen.

Was wir neben oft überstürzt vorgenommenen und sich in ihr Gegenteil verkehrenden Reformansätzen beobachten, ist der verbreitete Hang, sich Scheinwahrheiten und Scheinlösungen zu ergeben. Diese bieten den schönen (aber irrigen) Vorteil, konsequenten Entscheidungen ausweichen zu können. Probleme werden durch Verschiebung gelöst – mit Vorliebe durch Verschiebung in eine neue Rechtsform. In eine privatrechtliche Form, versteht sich, denn ist das Problem erst zusammen mit der Einrichtung „privatisiert", braucht es nur noch bezuschußt zu werden. Der Rest funktioniert – das beinhaltet eben das freie Spiel der Kräfte – nach dem Modell „Münchhausens Zopf", oder es funktioniert eben nicht. Diese Abwicklung auf Raten, wie wir es empfinden und erfahren, geschieht dann aus der Sicht der politisch Verantwortlichen einer Kommune außerhalb ihres Verantwortungsbereiches. Daß die Förderungen solchermaßen privatisierter Einrichtungen meistens von Beginn an „degressiv" veranschlagt werden, beschleunigt das Verfahren der Abschiebung von Verantwortung in privatrechtlich organisierte Abwicklungsmodelle.

Grundvoraussetzung kommunalpolitischer Problemlösung – zumal in der Kulturpolitik – sind offene Eingeständnisse und noch offenere Diskussionen. Es ist legitim, den finanziellen Rahmen dessen zu bestimmen, was man sich an kulturellen Aufgaben leisten will und zu können glaubt. Die Gründe für Einschnitte kann man vielleicht noch teilweise außerhalb des kommunalen Wirkungskreises sehen (z. B. in der Verteilung des Steueraufkommens oder der Zuweisungen). Die Folgen – Kürzungen und Streichungen – sind dennoch selbst zu verantworten. Kommunalpolitische Akteure sind unabdingbar immer in der Situation, den Rahmen für Kunst und Kultur auch finanzpolitisch abzustecken. Dieses Spiel muß auch den „Kunst- und Kulturschaffenden" bewußt sein, denen es leider in den neuen Ländern noch zu oft an der Unbescheidenheit mangelt, sich in den allgemein- und finanzpolitischen Auseinandersetzungen wirksam in den politischen Streit einzubringen.

Einige unserer Praxisbeispiele werden zeigen, daß politische Scheinlösungen für die Betroffenen und kulturell Handelnden Scheinlösungen und gefährliche Sackgassen bleiben.

Wundersamerweise verschanzen sich im Finanzierungsstreit Entscheidungsträger und Betroffene übereinstimmend hinter dem Grundgesetzgebot der Kunstfreiheit. Die einen zur Begündung unternehmerischer Enthaltsamkeit, die anderen zur Warnung vor jeglichem Eingriff. Es sei gestattet, daß wir zur Bewertung dieser Schachmatt-Position uns einmal selbst aus der „Studie zur Vorbereitung der Theater- und Orchesterkonferenz Sachsen-Anhalt" zitieren:

„Aus dem bisher Gesagten folgt unweigerlich, daß sich (Kultur)Politik nicht davor drücken kann, in Entscheidungsprozessen zuerst zu bestimmen, welches Angebot für wen und von wem vorgehalten werden soll. Anders ausgedrückt: Steht eine solche Entscheidung an, ist sie nicht an einen (neuen) Intendanten delegierbar, auch wenn bei diesem Verfahren Glücksfälle vorkommen sollen. Es ist umgekehrt durchaus legitim, künstlerische und kulturpolitische Grundvorgaben zum Auswahlkriterium für künstlerische Leiter und zum Gegenstand von Verträgen zu machen. Die gesamtdeutsche Scheu hiervor ist erklärbar, ändert jedoch nichts an der Gültigkeit der Aussage. Sie gründet sich auf negative Erfahrungen politischer Einflußnahme, mehr aber noch auf Schwierigkeiten im politischen Umgang mit der Grundgesetzgarantie der Freiheit der Kunst. Wer sich in Verteidigungspositionen vor dem Rotstift der Finanzpolitiker auf dieses Verfassungsgebot beruft, verkennt, daß es sich nicht auf den Aspekt des Schutzes vor Eingriffen in Inhalte beschränkt. Es schließt vielmehr auch die Pflicht der öffentlichen Hand ein, den politischen Gestaltungsrahmen so zu nutzen, daß Kunst und Kultur in großer Vielfalt möglich werden bzw. bleiben. Freiheit der Kunst begründet keinen Schutzraum der Kultur vor politischer Entscheidung und Gestaltung, sondern umgekehrt die politische Pflicht, das Verfassungsgebot umzusetzen.

Der Widerspruch zwischen der Flut inflationärer politischer „Bekenntnisse" zur Sicherung der Kultur seit dem Vollzug des Einigungsvertrages und der kulturpolitischen Abstinenz von VerantwortungsträgerInnen zeigt, wohin die Freiheit der Kunst bei gleichzeitigem Fehlen von verantwortlicher Zuwendung führen kann." (Werner Hartung/Reinald Wegner: Studie zur Vorbereitung der Theater- und Orchesterkonferenz Sachsen-Anhalt. Im Auftrage des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt. Magdeburg, März 1995.)

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2.3 Prüfsteine vor einer Strukturentscheidung

Wenn Verantwortliche der Meinung sind, daß ein kulturelles Angebot umgestaltet und gar in eine andere Rechtsform überführt werden solle, dann sollte dieser Entschluß unter Berücksichtigung einiger „Prüfsteine" gefaßt werden, die wir nachfolgend vor allem für eine „Entlassung" in die beliebte „freie Trägerschaft" formulieren:

Bevor eine Kommune sich entschließt, Einrichtungen in freie Trägerschaft zu überführen, müssen sich die Entscheidungsgremien der Tatsache bewußt sein, daß damit nur indirekt ein haushaltswirksamer Beschluß gefaßt wird. Zwar kann der Kämmerer (Finanzdezernent) den kommunalen Stellenplan „bereinigen", da z. B. das Personal vom freien Träger beschäftigt wird, zahlen aber muß er weiterhin über die Beihilfe (sinnvollerweise als „institutionelle Förderung" gewährt).

Gerade wenn Haushaltsengpässe zu Einschnitten zwingen, ist es unerläßlich, am „runden Tisch" unter Einbeziehung möglichst vieler Beteiligter und Betroffener darüber nachzudenken, welche Ziele und Aufgaben für wesentlich gehalten, wie und von wem sie am besten umgesetzt werden können. Dieser notwendige Dialog findet aber innerhalb der Verwaltungen zwischen den Ämtern und Dezernaten nur unzureichend statt, geschweige denn unter angemessener Einbeziehung von Politikern, Vereinen usw. VertreterInnen und MitarbeiterInnen freier Träger gegenüber herrscht vielfach noch Unverständnis und ein autoritärer Umgangsstil vor. Dort, wo hingegen Dialogfähigkeit besteht, kommt es nach unseren Erfahrungen immer wieder zu einfallsreichen und tragfähigen Lösungen, die sich auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Bündelung von Aktivitäten auszahlen.

Aus der gängigen Praxis bei Trägerschaftswechseln lassen sich folgende 15 Erfahrungen und Grundfragen thesenartig zusammenfassen:

  1. Eine bestehende Struktur wird durch einen Trägerwechsel nur selten billiger.
  2. Nicht jede Strukturveränderung erfordert einen Trägerwechsel.
  3. Ein Trägerwechsel ist noch lange kein Strukturwandel.
  4. Eine Namensänderung ist kein Strukturwandel, und ein Strukturwandel muß sich nicht immer an einer Namensänderung ablesen lassen.
  5. Es gibt Strukturen, deren Eigendynamik ein geschlossenes Trägerschaftsmodell sprengt; hier sind innovative, vernetzende Lösungen erforderlich.
  6. Die Strukturfrage kann nur gelöst werden, wenn ein inhaltliches Konzept vorhanden ist. Auch dafür braucht man Köpfe.
  7. Wenn die Strukturfrage gelöst scheint, ist die Suche nach einem geeigneten Träger nur in Verbindung mit der Suche nach geeigneten Personen erfolgreich.
  8. Eine betriebswirtschaftliche Analyse ersetzt kein inhaltliches Konzept.
  9. Die Delegierung eines Problems an einen anderen Träger löst nicht das Problem.
  10. Das Vorhandensein von Arbeitsplätzen ist allein keine Rechtfertigung für eine kulturelle Einrichtung, „soziale Sicherheit" keine kulturtheoretische oder -politische Kategorie, die ein inhaltliches Konzept ersetzen könnte.

    Die weiteren Prüfsteine für eine Abwägung, ob eine Trägerschaftsänderung sinnvoll ist, betreffen Inhalte und Rahmenbedingungen einer Einrichtung und ihrer Angebote:
  11. Ist eine privatrechtliche Organisation vorteilhaft, weil die Fördersystematik der Kommune selbst oder die Fördergrundsätze Dritter (Land, Bund, EU, Arbeitsverwaltung usw.) freie Träger begünstigen bzw. freie (gemeinnützige) Trägerschaft voraussetzen?
  12. Ergeben sich bei einer privatrechtlichen Betriebsform – neben eventuell günstigeren Förderungs- und Kreditbedingungen – Steuervergünstigungen (z. B. Steuervorabzug von der Umsatzsteuer bei Investitionsmaßnahmen)?
  13. Ist eine aktivere Einbindung des Personals oder auch der Personalvertretung (z. B. bei Theaterbetrieben) in ein Steuerungsmodell durch eine privatrechtliche Organisationsform besser zu erreichen?
  14. Ist die Mitwirkung bzw. Einbeziehung Dritter (Einzelpersonen, Vereine, andere öffentlich-rechtliche Körperschaften) ein wesentlicher oder sogar unabdingbarer Grund, eine Einrichtung privatrechtlich zu organisieren?
  15. Geht es politisch darum, einer Lobby Gelegenheit zur verantwortlichen Gestaltung kommunaler Angebote zu geben, die ihr Anliegen im politischen Raum zugleich wirksam und unabhängig vertreten kann?

Hinter diesen Fragen verbergen sich Prüfaufträge sowie politisch zu beantwortende Grundfragen zur Gestaltung des kulturellen Lebens in der Kommune.

Anmerkungen zur Risikoabwägung:

  • Die rechtliche „Entkommunalisierung" eines bis dahin in der Form des Regiebetriebes vorgehaltenen Angebotes hat unweigerlich Folgen für die Intensität des städtischen Engagements. Darüber können noch so „wasserdichte" Förder- und Überlassungs- sowie Personalüberleitungsverträge nicht hinwegtäuschen. Ein solcher Beschluß muß deshalb auf der Grundlage einer bewußten Abwägung der Vor- und Nachteile nach dem obigen Kriterienkatalog vorbereitet werden.

  • Bei Ausgliederungen kleinerer Organisationseinheiten aus der Verwaltung ist die sog. „Kleinbetriebs-Klausel" zu beachten, wonach bei einer Beschäftigtenzahl von bis zu zehn Personen der Kündigungsschutz entfällt und keine Möglichkeiten der Personalvertretung gegeben sind (Betriebsobfrau bzw. -mann).

  • Es ist notwendig, die öffentlichen und privaten Fördervoraussetzungen genauestens zu analysieren und sie denkbaren Betriebsformen gegenüberzustellen. Die meisten Zuwendungsrichtlinien im Kulturbereich bevorzugen freie Träger, auch wenn es in den Haushalten mancher neuen Bundesländer, resultierend aus der Systematik der Übergangsfinanzierung, noch viele Titelgruppen gibt, die als Adressaten ausschließlich Kommunen angeben.

  • Zur Klärung besorge man sich die Sammlungen der Förderrichtlinien, die die Einzelministerien oder die Landesregierungen insgesamt in Abständen neu auflegen. Förderungen sind in vielen Fällen auch z. B. aus Programmen der für den Jugend- und Sozialbereich zuständigen Ministerien möglich. Dies trifft z. B. für Spitzenfinanzierungen zum AFG zu oder für Mittel aus dem „Europäischen Sozialfonds" (ESF). Vieles bleibt hier der Phantasie der Antragsteller überlassen.

  • Bislang besteht für freie Träger in den neuen Bundesländern eine erhebliche Gefährdung durch ihre bisherige Benachteiligung im Zuwendungswesen. Sofern nicht eine vertragliche institutionelle Förderung die Gewährung regelmäßiger Abschlagszahlungen vorsieht oder – wie nur in Ausnahmefällen – eine institutionelle Förderung des Landes besteht, hangeln sich Trägervereine von Projektförderung zu Projektförderung. Obwohl auf Projektzuschüsse kein Rechtsanspruch besteht, hat sich bei Ländern und Kommunen die Gewohnheit herausgebildet, sie als verdeckte institutionelle Förderungen einzusetzen. Dies geschieht dann zu Lasten tatsächlicher Projekte anderer Gruppen und freier Träger, für die kaum noch eine „freie Spitze" im Fördertopf bleibt. Andererseits werden Projektmittel meist sehr zögerlich ausgereicht, da die Haushalte oft noch immer spät verabschiedet bzw. von der Kommunalaufsicht genehmigt werden und die Mittel von der Verwaltung zur Deckung des eigenen Haushaltes erst in der zweiten Jahreshälfte oder Ende des Jahres ausgezahlt werden. Die Probleme beginnen dann mit dem sog. „vorzeitigen Maßnahmenbeginn" und enden im Konkurs, da sich größere Träger daran gewöhnt haben, durch Kreditaufnahme, Schuldenvortrag und verzögerte Gehaltszahlungen in bis zu sechsstelliger Höhe in „Vorleistung" zu gehen.

  • Eine freie Trägerschaft ist, beherzigt man die in Kapitel 3.1 geschilderten Probleme, auch im Bereich der Arbeitsförderung in den meisten Fällen günstiger. Vor Übermut muß hier allerdings angesichts degressiver Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit und abnehmender Bereitschaft zur „Spitzenfinanzierung" Dritter eindringlich gewarnt werden.

  • Soll ein künftiger freier Träger Investitionen vornehmen und Baumaßnahmen durchführen können, müssen die Eigentumsverhältnisse entsprechend geregelt werden (Übertragung, Kauf zu symbolischem Preis oder Erbbaupacht-Vertrag). Grundstück und Gebäude müssen beleihbar sein, was z. B. für die ideellen Bereiche und Zweckbetriebe nicht zutrifft!

  • Angebote in interkommunaler Zusammenarbeit finden oft nur politische Akzeptanz, wenn sie unterhalb der organisatorischen Schwelle eines Zweckverbandes bleiben. Vielfach sind auch die gesetzlichen Vorgaben für einen Zweckverband hinsichtlich des Finanzierungsaufkommens und der Einbeziehung juristischer Personen des privaten Rechts unzureichend. Dazu siehe Kapitel 6 und 7.1.

  • In vielen Fällen kann es sachlich wünschenswert sein, Einzelpersonen oder privatrechtlich organisierte Dritte in die Gestaltung eines Kulturbetriebes einzubeziehen. Für solche „Kooperationsgesellschaften" und andere „public-private-partnerships" bieten sich ebenfalls nur privatrechtlich organisierte Träger an (Siehe als Beispiel Kapitel 4.3).

  • Mit der Überführung in freie Trägerschaft kann die Hemmschwelle politischer „Entscheidungsfreude" über finanzielles Engagement und Personal erheblich sinken. Flexibilität im Betrieb wird zweifelsohne bei vielen Einrichtungstypen, in denen eine schwächere tarifvertragliche und gewerkschaftliche Position besteht, mit dem anteiligen Verlust schützender Hürden vor unternehmerischen Entscheidungen der kommunalen Gremien erkauft.

    Im Bereich der Ehrenamtlichkeit (begrifflich präziser: Freiwilligkeit, da meist kein Ehrenamt!) gibt es schließlich in den neuen Bundesländern zum Teil gravierende Unterschiede zur Alt-Bundesrepublik, die bei Trägerschaftsentscheidungen zu berücksichtigen sind:

  • Nach der Wende scheiterten freie Trägermodelle zumeist daran, daß sich keine Menschen fanden, die bereit und – meist aufgrund der eigenen ungewissen wirtschaftlichen Situation – in der Lage waren, ehrenamtliche Funktionen in Vorständen zu übernehmen. Oft bildeten und bilden noch heute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtung allein die Mitgliedschaft ihres Trägervereins und nehmen sogar Vorstandspositionen wahr. Gewaltenteilung und Kontrolle, die unser Rechts- und Organisationssystem voraussetzt, sind vielerorts bis heute nicht gegeben. Dies ist eine zwar nachvollziehbare, jedoch unakzeptable und in Krisensituationen gefährliche Tatsache. Wo Bedienstete solcher Einrichtungen über sich selbst abstimmen und im äußersten Falle sogar mit sich selbst Verträge schließen – nach § 181 BGB („Insichgeschäft") im Grundsatz ausgeschlossen, sofern nicht beispielsweise in einem Gesellschaftsvertrag ausdrücklich gestattet –, sind rechtliche Konflikte erheblichen Ausmaßes vorprogrammiert.

    Hinzu kommt, daß das diesbezügliche „Unrechtsbewußtsein" bei Menschen, die nicht in einem System der Gewaltenteilung sozialisiert worden sind, sich nur zögernd entwickelt. Die Tendenz zum „Insichgeschäft" bzw. zum „Selbstkontrahieren" bei Vereinen entspricht dem fehlenden Bewußtsein zum Thema Befangenheit in politischen Gremien der neuen Länder (Diese Entwicklung gipfelte jüngst darin, daß das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg faktisch die Trennung von Amt und politischem Mandat in Kommunen aufhob, was zum Rücktritt des Verfassungsrechtlers von Arnim aus dem Gremium führte).

    Wo es nicht anders geht, sollte in Vereinssatzungen die Möglichkeit eröffnet werden, ein „geschäftsführendes Vorstandsmitglied" zu wählen, das den Verein gemäß § 26 BGB nach außen vertreten kann und zugleich hauptamtlich tätig ist. Hier ist dann aber eine dem Wahlbeamtentum vergleichbare Stellung geschaffen worden, die ein Ausscheiden aus dem bisherigen Arbeitsvertrag erfordert. Eine Rückkehroption muß dann mit der Mitgliederversammlung oder dem Restvorstand ausgehandelt werden, sofern eine Satzung dazu nichts bestimmt.

  • Freiwilliges Engagement ist die einzige Garantie, eine öffentliche Lobby für ein Angebot zu schaffen. Viele hauptamtliche Kräfte in Kultureinrichtungen der neuen Länder haben die schmerzliche Erfahrung gemacht, daß ihr „Eigeninteresse" als Angestellte bei weitem nicht so viel Gewicht in der Waagschale kommunaler Entscheidungen hat, wie das eines unabhängigen Trägervereinsvorsitzenden. Allerdings ist diese wechselseitige Rollenzuweisung noch lange nicht auf dem Niveau „geordneter Westverhältnisse", betrachtet man die noch immer vorkommende Geringschätzung freier Träger und ihre herablassende Behandlung durch viele Behörden.

  • Geht es „nur" darum, eine Lobby für eine Einrichtung zu bilden, muß sie selbst nicht zwingend privatrechtlich organisiert werden. Um die Unterstützung einer Musikschule durch Eltern und Förderer zu erreichen, braucht nicht die Schule selbst in einen e.V. verwandelt zu werden. Gibt es dafür keine weiteren Gründe (z. B. bessere Fördervoraussetzungen durch die Richtlinien des Landes), genügt ebenso die Gründung eines gemeinnützigen Förder- oder Elternvereins. Auch dieser kann selbständig Mittel einwerben, mit denen er das Musikschulangebot durch besondere Veranstaltungen oder Anschaffungen unterstützt.

Entwicklung des Trägers:

Ist die Grundsatzabwägung erfolgt, sollte der Weg zur Entwicklung geeigneter freier Träger folgende wesentliche Stationen (ggf. wiederholt) durchlaufen:

1. Die Zielbestimmung

Voraussetzung dazu sind eine interne, auf die Einrichtungen bezogene Situationsanalyse oder Trendbestimmung sowie eine externe, auf ihren Wirkungsradius bezogene Analyse der zu erwartenden Entwicklung und der zu lösenden Aufgaben (Umfeldanalyse).

Nicht die bestehende Einrichtung ist das beste Argument, sondern ihre vorhandene oder mögliche Kompetenz, Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen.

Es ruft bei uns immer wieder Erstaunen hervor, daß Angebotskataloge der Betreiberkonzeptionen nur sehr selten mit Analysen der Bedürfnislagen und Verhaltensweisen möglicher Zielgruppen abgeglichen werden. Konkurrierende Angebote werden oft nicht einmal zur Kenntnis genommen. Vielen Konzepten mangelt es nicht an Ideen, was alles getan werden könnte, hingegen an jedem Realitätsbezug zu ihrem möglichen Einzugsfeld und dem Verhalten der zu umwerbenden Menschen.

2. Bestimmung des optimalen strukturellen Aufwandes

Hierbei geht es noch nicht um Personen, sondern um die Beschreibung eines Organisationsmodells, das der Aufgabenstellung gerecht wird.

Einrichtungen freier Träger geraten in den neuen Ländern oftmals deswegen in eine Krisensituation, weil sie nach der Wende ihre Personalstruktur ziemlich unverändert beibehalten und nicht an ihren ggf. neu zu definierenden Zielen und dem sich daraus ergebenden Bedarfsumfang orientiert haben. Unter gewitzter Ausnutzung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und z. T. tätiger Unterstützung der Arbeitsämter sind viele Kultureinrichtungen zu Beschäftigungsgesellschaften geworden, deren Wirkungs- und Ertragsstruktur in gefährlicher Abhängigkeit zum Fortbestand einer solchen Drittmittelfinanzierung steht. Solche Einrichtungen haben meist keine nachvollziehbare und angemessene Organisationsstruktur, schleppen in vielen Fällen ein erhebliches strukturelles Defizit von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr mit und stehen infolgedessen bei finanziellen Einbrüchen am Rande des Trägerkonkurses (siehe Kapitel 3.1).

3. Bestimmung des nötigen Freiraumes

Prüfung und Vergleich der möglichen juristischen, finanziellen und organisatorischen Bewegungsspielräume (aufbauend auf den Ergebnissen von 1 und 2).

Haushalts- und Steuerungsprobleme in sogenannten „optimierten Regiebetrieben" oder bei neuen Trägern entstehen dadurch, daß die funktional notwendigen Handlungsspielräume unter dem Diktat des Rotstiftes nicht bedacht oder vernachlässigt werden (siehe Kapitel 5.2).

4. Ermittlung der nötigen Ressourcen

Hier muß über einen Stellenplan nachgedacht werden, über Betriebskosten für die Sicherung dauerhafter Angebote und möglicher Projekte.

Finanzpolitische Akzeptanz ist nur gewährleistet, wenn der Bedarf an personellem und sachlichem Aufwand der definierten Aufgabe angemessen erscheint. Eine entscheidende Größe dabei ist das Verhältnis von Strukturkosten (Personal, Verwaltung usw.) zu den zielbezogenen Kosten.

In den meisten Fällen sind die Verwaltungen bzw. die Vertragspartner nicht in der Lage, die für diese Entscheidung und zur späteren Erfolgskontrolle notwendigen Bemessungsgrößen zu ermitteln und auf realistischer Grundlage zu vereinbaren. Hier rächt sich beispielsweise die Intransparenz vieler Sammelnachweise.

5. Bestimmung der Finanzierungsquellen

In dieser Phase muß vor allem der mögliche Umfang wiederkehrender öffentlicher Unterstützung bestimmt werden. Spekulationen über eigene Einkünfte oder andere öffentliche und private Geldquellen sind gefährlich, sofern solche Zuwendungen oder Kooperationen nicht zu kalkulierbaren Größen entwickelt werden können.

Hierbei ist vor dem fatalen Irrtum zu warnen, Eigeneinnahme-Potentiale der Träger, insbesondere gerade kleinerer Einrichtungen der Breitenkultur, zu optimistisch anzusetzen. Auch sinkt spürbar die Möglichkeit, Drittmittel (vor allem nach dem AFG und Spitzenfinanzierungen) einzuwerben. Die degressive Zuschußpolitik vieler Kommunen treibt viele Einrichtungen immer wieder zur Verschleierung der strukturellen Haushaltsdefizite, indem z. B. völlig unrealistische Spenden- oder Beitragseinnahmen in einen nur fiktiv ausgeglichenen Haushaltsentwurf aufgenommen werden.

6. Beschreibung des Trägers

Sie verbindet die bisherigen Schritte und kann beispielsweise zur Beschreibung und Formulierung von Satzungsinhalten für einen eingetragenen, gemeinnützigen Verein führen.

7. Auswahl des geeigneten Personals

Eine mit einer Betriebsform- oder Trägerschaftsveränderung einhergehende Strukturreform kann in nahezu allen Fällen nur mit qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Aufgrund tarifvertraglicher oder anderer rechtlicher Bindungen haben Kommunen und privatrechtliche Betreiber hingegen nur selten die Möglichkeit, im Stellenplan Veränderungen vorzunehmen oder Personal auszutauschen. Wir haben viele sinnvolle Einrichtungen in den Ruin steuern sehen, die von überfordertem Personal geleitet wurden. In solchen Fällen hilft auch die beste Fortbildung und Beratung nicht weiter. Viele Kommunen „entsorgen" ihre „Personalüberhänge" in kulturellen Einrichtungen und staunen dann darüber, daß die erwarteten Wunder freier Trägerschaft ausbleiben. Diese globalen Probleme kommunaler Personalwirtschaft wirken sich auf kulturelle Einrichtungen und Angebote besonders fatal aus. Hierfür gilt die Faustregel, daß der gute Wille, mit Kultur Arbeit zu schaffen, nicht zur Abwicklung von Arbeitsplätzen durch falsche Steuerung und durch fachliche Inkompetenz führen sollte.

Ein Muster für einen Personalüberleitungsvertrag findet sich im Anhang.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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