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TEILDOKUMENT:
2. Wege zur Entscheidung 2.1 Ist Kultur planbar? Manche Einsicht überlebt jeden Umbruch. So auch die, daß weder höhere Wesen oder Volkstribunen, noch Bund und Sponsor den Ländern, Kommunen und freien Trägern die Sorge abnehmen, wie das kulturelle Leben ins dritte Jahrtausend christlicher Zeitrechnung überzuleiten sei. Die für Kenner des DDR-Systems nachvollziehbare Annahme, potente Industrieunternehmen des real existierenden Kapitalismus setzten nach der Wende auf ihre Weise über Sponsoring die kulturfördernden Traditionen der VEBs, LPGs und Kombinate fort, hat sich nicht erfüllt. Vertreter von Großfirmen, die in Westdeutschland über Jahrzehnte hinweg betriebseigene Kulturangebote unterhalten haben, verweisen im Verlauf der Diskussionen über betriebliches Kulturengagement zunehmend darauf, daß sie in ihren Stammwerken diese Leistungen nicht mehr finanzieren könnten. So hat sich die Frage Was tun?" zum Erstaunen mancher und zur Ernüchterung aller mit dem Ende des leninistischen Imperiums nicht erübrigt. Dabei schien es doch, als hätten die Bundis" 1990 alle nötigen Antworten parat gehabt! Verkürzt gesagt, kam da meist der schon erwähnte Ratschlag, sich Sponsoren zu halten. Außerdem wurde den soeben dem Planungs-Staat entronnenen Zonis" mitgeteilt, daß erfolgreiches Kulturmanagement mit Planung beginne. Kulturentwicklungsplanung" lautete das zu erwartende Zauberwort aus dem Katechismus der selbst schon in die Jahre geratenen Neuen Kulturpolitik". Kulturentwicklungspläne soviel zur Historie wurden in der Alt-Bundesrepublik erstmals Mitte der 70er Jahre in Göttingen, Osnabrück und Nürnberg erarbeitet. Nach einer spürbaren Planungsmüdigkeit" als Reaktion auf die planungseuphorischen 70er Jahre wuchs das Interesse Ende der 80er Jahre wieder leicht an. Wie wenig das bedeutet, zeigt die Feststellung Reinhart Richters, daß nur rund 5 % der deutschen Städte und nur 1 % der Landkreise schon über einen Kulturentwicklungsplan verfügten (Reinhart Richter: Kulturmanagement beginnt mit Kulturplanung. Vorgehensweise und Instrumente, um einen in sich stimmigen Kulturentwicklungsplan zu konzipieren. In: Handbuch KulturManagement, Stuttgart 1992 ff.). Kultur planen? Ihren Freiraum (schon wieder) einschränken? Dieses sei das zentrale Gebot westdeutscher Kulturpolitik? Was ist also Kulturentwicklungsplanung" oder einfach KEP"? Referieren wir kurz die reine Lehre: Ein Kulturentwicklungsplan
Nicht Kunst und Kultur sollen mit diesem Verfahren geplant" werden, sondern der Entwicklungsrahmen und die Freiräume, in denen sich künstlerisches und kulturelles Leben bewegen können. Der Ansatz der Kulturentwicklungsplanung geht dabei von einem erweiterten Kulturbegriff aus, der die Gestaltung der Lebenswelten (Wohnumfelder), der Arbeitskultur, der Kommunikation der Menschen miteinander und die Gestaltung der natürlichen Umwelt einbezieht. Entsprechend einem Grundsatz der Neuen Kulturpolitik" werden Kulturpolitik und Kulturarbeit dabei als Querschnittsaufgabe" aufgefaßt, die neue Wege des Zusammenwirkens in der Stadtentwicklungsplanung bedingt. Kulturinvestitionen" werden gleichermaßen unter den Gesichtspunkten der Attraktivitätssteigerung (Standortwettbewerb) und ihrer sozialen Funktion im Alltag bewertet. An die (Kultur)Verwaltung und den Rat stellt eine KEP vielfach ungewohnte Ansprüche keinesfalls nur in den neuen Bundesländern. Sie setzt neben den üblichen und oft erheblichen Belastungen durch Verwaltungsabläufe die Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung voraus. Sinnvoll sei es deshalb, einen solchen Planungsprozeß auf 12 oder sogar 24 Monate auszudehnen, ihn jedoch ohne längere Unterbrechungen konsequent durchzuführen. Unabhängig von einer möglichen Moderation und Beratung des Planungsprozesses durch externe Fachleute müsse eine KEP als gemeinsame Leistung der Kulturverwaltung und ihrer Partner (z. B. freie Kulturträger) projektiert sein. Nur mit diesem Planungsverständnis lasse sich die nötige Identifikation mit den erarbeiteten Analysen und Zielformulierungen erreichen, die wesentliche Voraussetzung einer späteren engagierten Umsetzung sei. Eine Kulturentwicklungsplanung solle die breite Einbeziehung aller am künstlerischen und kulturellen Leben einer Stadt/eines Landkreises beteiligten Institutionen und Personen sichern. Dieses Anliegen erfordere einen offenen, transparenten Planungsprozeß. Durch die Vorstellung und öffentliche Diskussion der Zielkataloge und Maßnahmen entstehe eine neue Qualität kulturpolitischer Diskussion, die ihrerseits wiederum Voraussetzung für einen ausgeprägteren Kooperationswillen bei der Umsetzung und Fortschreibung der Planung sei. Initiatoren von Kulturentwicklungsplänen streben zudem an, den ausgearbeiteten Entwurf im Rat zu diskutieren und ihn für einen zu vereinbarenden Zeitraum als Rahmenplan für die kommunale Kulturarbeit zu verabschieden. Der Zeitpunkt der Fortschreibung (i.d.R. nach zehn Jahren) solle ebenfalls festgelegt werden. Diese freiwillig eingegangene Planungsverbindlichkeit könne einen Kulturentwicklungsplan zu einem wirksamen Instrument kommunalpolitischer Diskussion und Beschlußfassung machen. Unabhängig davon erhalte ein veröffentlichter Plan den Charakter einer Leitlinie, die über einen längeren Zeitraum hinweg zur politischen Argumentation herangezogen werden könne. Die Gliederung des Planungsablaufes sieht in der Regel fünf Abschnitte vor, die in der Praxis (gerade bei starkem Entscheidungsdruck) meist ineinander verschränkt sind:
Diese Skizze einer Kulturentwicklungsplanung läßt deutlich werden, daß umfangreiche Planungsprozesse nicht gerade darauf ausgelegt sind, in oftmals nur kurzen Zeitfenstern, die heute für Grundsatzentscheidungen zur Verfügung stehen, die gewünschten Alternativen und Antworten hervorzubringen. Ein- bis zweijährige Planungen konnte man sich in Zeiten leisten, in denen akute Gefährdungen der Angebote nicht bestanden, allenfalls latente, immer wieder aufflackernde Diskussionen über die Kostenstruktur und Effizienz einzelner Angebote auszuhalten waren. Schließlich ist die KEP auch Kind einer planungseuphorischen westdeutschen Epoche, in der Kulturpolitik darauf aus war, Aufwüchse in den Kulturhaushalten zu erzielen und neue (zumeist soziokulturelle) Angebote zu erschließen. Ein wesentliches Zeugnis dieser Erwartungshaltung ist der 1977 vorgelegte Ergänzungsplan musisch-kulturelle Bildung" zum Bildungsgesamtplan gewesen. Auch wenn einige Kulturentwicklungsplanungen noch Ende der 80er Jahre durchgeführt wurden, um der absehbaren Finanzierungskrise öffentlicher Haushalte zu trotzen, haben wir einige Zweifel am Wert der klassischen KEP für Entscheidungssituationen, deren heutige Dramatik im Verlaufe vieler Planungen nicht absehbar war. Kulturentwicklungsplanung hat aber auch das Ziel, erschlossene Felder abzustecken und nachhaltig konzeptionell zu sichern, auch unter verschlechterten Rahmenbedingungen. Unter diesem Aspekt wäre die KEP in der Tat ein nützliches Instrument gewesen, finanzierte Bedenkzeit" aktiv zu nutzen, um bewußt zu neuen, leistungsfähigen und finanzierbaren Angebotsstrukturen zu gelangen. Im Rückblick muß heute festgestellt werden, daß dieses Instrumentarium weder in der nachwendischen DDR, geschweige denn nach dem 3. 10. 1990 erfolgreich zur Anwendung gekommen ist. Der Verzicht auf Kulturentwicklungsplanungen oder ihre halbherzige Durchführung in der Phase zu Anfang der 90er Jahre in den neuen Ländern mag bedauert werden. Sicherlich sind damit einige Chancen vertan worden. Andererseits müssen die teilweise chaotischen Umstände berücksichtigt werden, in denen sich gerade die Kulturverwaltungen in den Kommunen neu orientieren mußten. Die zeittypische Diskrepanz zwischen Einsicht in planerische Notwendigkeiten und Planungsvermögen wird aus der Mitteilung eines Dezernenten deutlich: Wir können heute nicht planen, denn wir müssen dringend arbeiten". Eine bundesweite neue Aktualität" der Kulturentwicklungsplanung sieht Reinhart Richter im Kontext der Verwaltungsreformbestrebungen und der Einführung des Prinzips der dezentralen Ressourcenverantwortung (Kommunalverwaltung im Umbruch? Die Umwandlung der kommunalen Kulturverwaltung nach dem Prinzip der dezentralen Ressourcenverantwortung, in: Handbuch KulturManagement, A 2.4). Wenn damit die Anwendung des klassischen Planungsszenarios gemeint ist, sind wir mehr als skeptisch. Denn in der kommunalen Praxis und dementsprechend in der Kommunalberatung ist die Begleitung konkreter Transformationsprozesse weitaus eher angesagt. Unübersehbar ist jedoch, daß in solchen Kommunen, in denen man wenigstens die Methodik der Kulturentwicklungsplanung in überschaubare Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebracht hat, durchaus vorzeigbare Reformschritte nachzuweisen sind. Deshalb raten wir Kommunen dazu, auf umfangreiche Planungsszenarien zu verzichten, jedoch wenigstens phasenweise mit bewährten Planungsmethoden an Entscheidungen heranzugehen. Wie das Produkt dann heißt, ob Kulturentwicklungspan", Kulturkonzept" oder Strategiepapier", ist dabei gleichgültig. Wichtiger ist, daß man sich in Verwaltung und Rat auf die Dauer dieser notwendigen finanzierten (Be)denkzeit" einigt bzw. sich vor Augen führt, welche Zeiträume für Veränderungen aus haushaltstechnischen oder z. B. tarifrechtlichen Gründen realistisch sind. Die Panikstimmung, in der öffentliche Haushalte zunehmend diskutiert werden, duldet keine jahrelangen Sandkastenspiele. Sie darf aber ebenso wenig dazu führen, gerade die Analyse der Handlungsvoraussetzungen und die Festlegung von Zielperspektiven sträflich zu vernachlässigen. In den von uns in jüngster Zeit begleiteten Reformprojekten und Organisationsuntersuchungen hat sich zudem immer wieder gezeigt, daß wirksame Veränderungen der Haushaltseckwerte für Kultureinrichtungen selten unter einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren zu realisieren sind. Reorganisationsmaßnahmen können zwischenzeitlich allenfalls zu einer Ausgabendeckelung führen. Da vermehrt aber auch die Finanzpolitik nach verbindlichen Szenarien verlangt und die Neuen Steuerungsmodelle darauf aufbauen, wächst die Chance, Ziele der Kulturentwicklung künftig in einem System von Strukturplänen, Kontrakten und Zielvereinbarungen zu praktizieren, das einen hohen Grad von beiderseitiger Verbindlichkeit erhält.
2.2 Zwischen Sparbüchse und Kunstfreiheit:
In Nachrichtensendungen sind wir beinahe täglich Zeugen unternehmerischer Entscheidungen über Produktionsstätten und Angebote. Solche Festlegungen beinhalten zumeist Beschlüsse über den Fortbestand oder den Wegfall von Arbeitsplätzen. Sie werden deshalb selten nur nach reiner Unternehmerlehre getroffen, sondern vor allem auch unter dem Aspekt der sozialen Abfederung" heftig öffentlich diskutiert und von öffentlichen Interventionen begleitet. Der Druck, den hier die Handelnden auszuhalten haben, potenziert sich in der Landes- und Kommunalpolitik angesichts des politischen Wettstreites um Wählerreservoire erheblich. Kein Wunder, daß gerade im Kultur- und Sozialbereich jedes Fettnäpfchen lieber ins Kühlfach geschoben als in öffentlicher Sitzung erhitzt wird. Das in Deutschland hoffähige Modell des Aussitzens" hat ausgedient. Wo das nicht erkannt wird, bleibt immer weniger Zeit für geordnete politische Szenarien, so daß Entscheidungen dann überstürzt und unbedacht getroffen werden. Die jüngere Geschichte der Schließung von Theatern und Sparten, insbesondere aber die nachfolgenden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen sind Zeugnisse wachsender Nervosität und des Verlustes an politischer Entscheidungskraft in Verwaltungen und Parlamenten, die gefährlich inkompetentes Handeln bei der Fassung unternehmerischer Beschlüsse und ihrer Durchführung zur Folge haben können. (Kommunale) Politik schreckt noch immer oft davor zurück, sich den unternehmerischen Entscheidungen zu stellen, die ihr abgefordert werden. Menschen, die hier handeln, müssen sich ihrer Unternehmerfunktion bewußt sein. Amt und Mandat verlangen heute mehr Zivilcourage als in fetten Jahren". Das vieldiskutierte Neue Steuerungsmodell", wie es die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt)" in Köln in ihrem Bericht 5/1993 anpreist, geht von einem Leitbild Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung" aus, vom Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur" mit klarer Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung. Die Forderung Leistungssteigerung statt Größenwachstum" sei nur zum Preis eines Aufgabenabbaus und vor allem tiefgreifender Struktur- und Verhaltensänderungen" zu erfüllen. Die KGSt wendet sich vor diesem Hintergrund gegen eine Verantwortungsdurchmischung" von Politik und Verwaltung, gegen eine bürokratische Instrumentalisierung der Politik ebenso wie gegen die Politisierung des Verwaltungsapparates. Das bisher gängige System lenke das oberste Kommunalorgan, den Rat, von seiner Hauptaufgabe ab, in der es durch kein anderes ersetzt werden könne, nämlich zu definieren, was sich in den einzelnen Politikfeldern oder gegenüber bestimmten Zielgruppen verändern soll m.a.W. welche kommunalpolitischen Ziele erreicht werden sollen sowie zu kontrollieren, ob der Verwaltungsapparat diese Ziele konsequent verfolgt und erreicht." (Das Neue Steuerungsmodell. Begründung, Konturen, Umsetzung. KGSt-Bericht Nr. 5/1993, S. 16) Kommunalpolitische Praxis in Ost und West ist von diesem Ideal meist weit entfernt und wird es trotz wachsender Freude an der Vertilburgung der Republik wohl auch bleiben, solange Unternehmensphilosophien", Ziele", Leistungsaufträge", Produktbudgets" und Controlling" beiderseits des Tisches schlicht auf die Größe Mensch" treffen. Was wir neben oft überstürzt vorgenommenen und sich in ihr Gegenteil verkehrenden Reformansätzen beobachten, ist der verbreitete Hang, sich Scheinwahrheiten und Scheinlösungen zu ergeben. Diese bieten den schönen (aber irrigen) Vorteil, konsequenten Entscheidungen ausweichen zu können. Probleme werden durch Verschiebung gelöst mit Vorliebe durch Verschiebung in eine neue Rechtsform. In eine privatrechtliche Form, versteht sich, denn ist das Problem erst zusammen mit der Einrichtung privatisiert", braucht es nur noch bezuschußt zu werden. Der Rest funktioniert das beinhaltet eben das freie Spiel der Kräfte nach dem Modell Münchhausens Zopf", oder es funktioniert eben nicht. Diese Abwicklung auf Raten, wie wir es empfinden und erfahren, geschieht dann aus der Sicht der politisch Verantwortlichen einer Kommune außerhalb ihres Verantwortungsbereiches. Daß die Förderungen solchermaßen privatisierter Einrichtungen meistens von Beginn an degressiv" veranschlagt werden, beschleunigt das Verfahren der Abschiebung von Verantwortung in privatrechtlich organisierte Abwicklungsmodelle. Grundvoraussetzung kommunalpolitischer Problemlösung zumal in der Kulturpolitik sind offene Eingeständnisse und noch offenere Diskussionen. Es ist legitim, den finanziellen Rahmen dessen zu bestimmen, was man sich an kulturellen Aufgaben leisten will und zu können glaubt. Die Gründe für Einschnitte kann man vielleicht noch teilweise außerhalb des kommunalen Wirkungskreises sehen (z. B. in der Verteilung des Steueraufkommens oder der Zuweisungen). Die Folgen Kürzungen und Streichungen sind dennoch selbst zu verantworten. Kommunalpolitische Akteure sind unabdingbar immer in der Situation, den Rahmen für Kunst und Kultur auch finanzpolitisch abzustecken. Dieses Spiel muß auch den Kunst- und Kulturschaffenden" bewußt sein, denen es leider in den neuen Ländern noch zu oft an der Unbescheidenheit mangelt, sich in den allgemein- und finanzpolitischen Auseinandersetzungen wirksam in den politischen Streit einzubringen. Einige unserer Praxisbeispiele werden zeigen, daß politische Scheinlösungen für die Betroffenen und kulturell Handelnden Scheinlösungen und gefährliche Sackgassen bleiben. Wundersamerweise verschanzen sich im Finanzierungsstreit Entscheidungsträger und Betroffene übereinstimmend hinter dem Grundgesetzgebot der Kunstfreiheit. Die einen zur Begündung unternehmerischer Enthaltsamkeit, die anderen zur Warnung vor jeglichem Eingriff. Es sei gestattet, daß wir zur Bewertung dieser Schachmatt-Position uns einmal selbst aus der Studie zur Vorbereitung der Theater- und Orchesterkonferenz Sachsen-Anhalt" zitieren: Aus dem bisher Gesagten folgt unweigerlich, daß sich (Kultur)Politik nicht davor drücken kann, in Entscheidungsprozessen zuerst zu bestimmen, welches Angebot für wen und von wem vorgehalten werden soll. Anders ausgedrückt: Steht eine solche Entscheidung an, ist sie nicht an einen (neuen) Intendanten delegierbar, auch wenn bei diesem Verfahren Glücksfälle vorkommen sollen. Es ist umgekehrt durchaus legitim, künstlerische und kulturpolitische Grundvorgaben zum Auswahlkriterium für künstlerische Leiter und zum Gegenstand von Verträgen zu machen. Die gesamtdeutsche Scheu hiervor ist erklärbar, ändert jedoch nichts an der Gültigkeit der Aussage. Sie gründet sich auf negative Erfahrungen politischer Einflußnahme, mehr aber noch auf Schwierigkeiten im politischen Umgang mit der Grundgesetzgarantie der Freiheit der Kunst. Wer sich in Verteidigungspositionen vor dem Rotstift der Finanzpolitiker auf dieses Verfassungsgebot beruft, verkennt, daß es sich nicht auf den Aspekt des Schutzes vor Eingriffen in Inhalte beschränkt. Es schließt vielmehr auch die Pflicht der öffentlichen Hand ein, den politischen Gestaltungsrahmen so zu nutzen, daß Kunst und Kultur in großer Vielfalt möglich werden bzw. bleiben. Freiheit der Kunst begründet keinen Schutzraum der Kultur vor politischer Entscheidung und Gestaltung, sondern umgekehrt die politische Pflicht, das Verfassungsgebot umzusetzen. Der Widerspruch zwischen der Flut inflationärer politischer Bekenntnisse" zur Sicherung der Kultur seit dem Vollzug des Einigungsvertrages und der kulturpolitischen Abstinenz von VerantwortungsträgerInnen zeigt, wohin die Freiheit der Kunst bei gleichzeitigem Fehlen von verantwortlicher Zuwendung führen kann." (Werner Hartung/Reinald Wegner: Studie zur Vorbereitung der Theater- und Orchesterkonferenz Sachsen-Anhalt. Im Auftrage des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt. Magdeburg, März 1995.)
2.3 Prüfsteine vor einer Strukturentscheidung
Wenn Verantwortliche der Meinung sind, daß ein kulturelles Angebot umgestaltet und gar in eine andere Rechtsform überführt werden solle, dann sollte dieser Entschluß unter Berücksichtigung einiger Prüfsteine" gefaßt werden, die wir nachfolgend vor allem für eine Entlassung" in die beliebte freie Trägerschaft" formulieren: Bevor eine Kommune sich entschließt, Einrichtungen in freie Trägerschaft zu überführen, müssen sich die Entscheidungsgremien der Tatsache bewußt sein, daß damit nur indirekt ein haushaltswirksamer Beschluß gefaßt wird. Zwar kann der Kämmerer (Finanzdezernent) den kommunalen Stellenplan bereinigen", da z. B. das Personal vom freien Träger beschäftigt wird, zahlen aber muß er weiterhin über die Beihilfe (sinnvollerweise als institutionelle Förderung" gewährt). Gerade wenn Haushaltsengpässe zu Einschnitten zwingen, ist es unerläßlich, am runden Tisch" unter Einbeziehung möglichst vieler Beteiligter und Betroffener darüber nachzudenken, welche Ziele und Aufgaben für wesentlich gehalten, wie und von wem sie am besten umgesetzt werden können. Dieser notwendige Dialog findet aber innerhalb der Verwaltungen zwischen den Ämtern und Dezernaten nur unzureichend statt, geschweige denn unter angemessener Einbeziehung von Politikern, Vereinen usw. VertreterInnen und MitarbeiterInnen freier Träger gegenüber herrscht vielfach noch Unverständnis und ein autoritärer Umgangsstil vor. Dort, wo hingegen Dialogfähigkeit besteht, kommt es nach unseren Erfahrungen immer wieder zu einfallsreichen und tragfähigen Lösungen, die sich auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Bündelung von Aktivitäten auszahlen. Aus der gängigen Praxis bei Trägerschaftswechseln lassen sich folgende 15 Erfahrungen und Grundfragen thesenartig zusammenfassen:
Hinter diesen Fragen verbergen sich Prüfaufträge sowie politisch zu beantwortende Grundfragen zur Gestaltung des kulturellen Lebens in der Kommune. Anmerkungen zur Risikoabwägung:
Entwicklung des Trägers: Ist die Grundsatzabwägung erfolgt, sollte der Weg zur Entwicklung geeigneter freier Träger folgende wesentliche Stationen (ggf. wiederholt) durchlaufen: 1. Die Zielbestimmung Voraussetzung dazu sind eine interne, auf die Einrichtungen bezogene Situationsanalyse oder Trendbestimmung sowie eine externe, auf ihren Wirkungsradius bezogene Analyse der zu erwartenden Entwicklung und der zu lösenden Aufgaben (Umfeldanalyse). Nicht die bestehende Einrichtung ist das beste Argument, sondern ihre vorhandene oder mögliche Kompetenz, Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Es ruft bei uns immer wieder Erstaunen hervor, daß Angebotskataloge der Betreiberkonzeptionen nur sehr selten mit Analysen der Bedürfnislagen und Verhaltensweisen möglicher Zielgruppen abgeglichen werden. Konkurrierende Angebote werden oft nicht einmal zur Kenntnis genommen. Vielen Konzepten mangelt es nicht an Ideen, was alles getan werden könnte, hingegen an jedem Realitätsbezug zu ihrem möglichen Einzugsfeld und dem Verhalten der zu umwerbenden Menschen. 2. Bestimmung des optimalen strukturellen Aufwandes Hierbei geht es noch nicht um Personen, sondern um die Beschreibung eines Organisationsmodells, das der Aufgabenstellung gerecht wird. Einrichtungen freier Träger geraten in den neuen Ländern oftmals deswegen in eine Krisensituation, weil sie nach der Wende ihre Personalstruktur ziemlich unverändert beibehalten und nicht an ihren ggf. neu zu definierenden Zielen und dem sich daraus ergebenden Bedarfsumfang orientiert haben. Unter gewitzter Ausnutzung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und z. T. tätiger Unterstützung der Arbeitsämter sind viele Kultureinrichtungen zu Beschäftigungsgesellschaften geworden, deren Wirkungs- und Ertragsstruktur in gefährlicher Abhängigkeit zum Fortbestand einer solchen Drittmittelfinanzierung steht. Solche Einrichtungen haben meist keine nachvollziehbare und angemessene Organisationsstruktur, schleppen in vielen Fällen ein erhebliches strukturelles Defizit von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr mit und stehen infolgedessen bei finanziellen Einbrüchen am Rande des Trägerkonkurses (siehe Kapitel 3.1). 3. Bestimmung des nötigen Freiraumes Prüfung und Vergleich der möglichen juristischen, finanziellen und organisatorischen Bewegungsspielräume (aufbauend auf den Ergebnissen von 1 und 2). Haushalts- und Steuerungsprobleme in sogenannten optimierten Regiebetrieben" oder bei neuen Trägern entstehen dadurch, daß die funktional notwendigen Handlungsspielräume unter dem Diktat des Rotstiftes nicht bedacht oder vernachlässigt werden (siehe Kapitel 5.2). 4. Ermittlung der nötigen Ressourcen Hier muß über einen Stellenplan nachgedacht werden, über Betriebskosten für die Sicherung dauerhafter Angebote und möglicher Projekte. Finanzpolitische Akzeptanz ist nur gewährleistet, wenn der Bedarf an personellem und sachlichem Aufwand der definierten Aufgabe angemessen erscheint. Eine entscheidende Größe dabei ist das Verhältnis von Strukturkosten (Personal, Verwaltung usw.) zu den zielbezogenen Kosten. In den meisten Fällen sind die Verwaltungen bzw. die Vertragspartner nicht in der Lage, die für diese Entscheidung und zur späteren Erfolgskontrolle notwendigen Bemessungsgrößen zu ermitteln und auf realistischer Grundlage zu vereinbaren. Hier rächt sich beispielsweise die Intransparenz vieler Sammelnachweise. 5. Bestimmung der Finanzierungsquellen In dieser Phase muß vor allem der mögliche Umfang wiederkehrender öffentlicher Unterstützung bestimmt werden. Spekulationen über eigene Einkünfte oder andere öffentliche und private Geldquellen sind gefährlich, sofern solche Zuwendungen oder Kooperationen nicht zu kalkulierbaren Größen entwickelt werden können. Hierbei ist vor dem fatalen Irrtum zu warnen, Eigeneinnahme-Potentiale der Träger, insbesondere gerade kleinerer Einrichtungen der Breitenkultur, zu optimistisch anzusetzen. Auch sinkt spürbar die Möglichkeit, Drittmittel (vor allem nach dem AFG und Spitzenfinanzierungen) einzuwerben. Die degressive Zuschußpolitik vieler Kommunen treibt viele Einrichtungen immer wieder zur Verschleierung der strukturellen Haushaltsdefizite, indem z. B. völlig unrealistische Spenden- oder Beitragseinnahmen in einen nur fiktiv ausgeglichenen Haushaltsentwurf aufgenommen werden. 6. Beschreibung des Trägers Sie verbindet die bisherigen Schritte und kann beispielsweise zur Beschreibung und Formulierung von Satzungsinhalten für einen eingetragenen, gemeinnützigen Verein führen. 7. Auswahl des geeigneten Personals Eine mit einer Betriebsform- oder Trägerschaftsveränderung einhergehende Strukturreform kann in nahezu allen Fällen nur mit qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Aufgrund tarifvertraglicher oder anderer rechtlicher Bindungen haben Kommunen und privatrechtliche Betreiber hingegen nur selten die Möglichkeit, im Stellenplan Veränderungen vorzunehmen oder Personal auszutauschen. Wir haben viele sinnvolle Einrichtungen in den Ruin steuern sehen, die von überfordertem Personal geleitet wurden. In solchen Fällen hilft auch die beste Fortbildung und Beratung nicht weiter. Viele Kommunen entsorgen" ihre Personalüberhänge" in kulturellen Einrichtungen und staunen dann darüber, daß die erwarteten Wunder freier Trägerschaft ausbleiben. Diese globalen Probleme kommunaler Personalwirtschaft wirken sich auf kulturelle Einrichtungen und Angebote besonders fatal aus. Hierfür gilt die Faustregel, daß der gute Wille, mit Kultur Arbeit zu schaffen, nicht zur Abwicklung von Arbeitsplätzen durch falsche Steuerung und durch fachliche Inkompetenz führen sollte. Ein Muster für einen Personalüberleitungsvertrag findet sich im Anhang. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |