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1. Reform durch neue Rechtsform?

Die als „Wende" bezeichneten Ereignisse des Herbstes 1989 liegen nun neun Jahre zurück. Gut vier Jahre sind vergangen, seitdem das Feuerwerk der „Übergangsfinanzierung" des Bundes für die kulturelle Infrastruktur der neuen Bundesländer bis auf Reste verglüht war. Unsere frühere Einleitung stand deshalb sehr unter dem Eindruck dieser Finanzierungswende, der Einschnitte und Veränderungen, die sich für Kultureinrichtungen und Träger im „Beitrittsgebiet" damals abzeichneten.

Nach wie vor unterscheiden sich die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in den alten und den neuen Bundesländern erheblich voneinander. Für die kulturpolitische Debatte haben diese Gegensätze in der zweiten Hälfte der 90er Jahre bei weitem nicht mehr die noch bis 1995 spürbare Bedeutung. Der Reiz des Neuen scheint ebenso abgeflacht wie die durch vorübergehendes Bundesengagement genährte, weithin naive Hoffnung auf eine neue Dimension des „Kulturstaates Deutschland".

Zwischenzeitlich hat sich bestätigt, daß die Haushalts- und Strukturkrise der öffentlichen Hand keinesfalls auf den Transformationsprozeß in den neuen Ländern und damit auf den Aufeinanderprall zweier Systeme, Lebens- und Erfahrungswelten beschränkt blieb. Längst haben die Stürme der Krise auf die Kommunen der alten Bundesländer und die hier wirkenden Kulturträger übergegriffen. Modebegriffe wie „Innovation", „Motivation", „Verwaltungsreform", „Budgetierung", „dezentrale Ressourcenverantwortung" oder „Kontraktmanagement" sind Indikatoren wagemutiger Turnübungen zur Bewältigung des finanziellen Mangels – mit sehr unterschiedlichen Erfolgen. Der Rechtsformwechsel ist bei all diesen Vorhaben ein zentrales Thema. Um diesen Band nicht thematisch zu überfrachten, wollen wir auf die Segnungen des Reformfiebers und die Zukunftschancen der „freiwilligen Aufgaben" demnächst in einem gesonderten Band der „Kommunalpolitischen Texte" eingehen.

Die traditionellen Erklärungen, die der Deutsche Städtetag oder die Kultusministerkonferenz in Abständen zur kulturellen Lage der Nation abgeben, haben längst bis auf Rudimente „gesamtdeutschen" Charakter. Auch sie sind geprägt von den Geboten der Ausgabenbegrenzung, der Struktur- und Verwaltungsreform. Unabhängig von ihrer zweifelhaften Bindewirkung für die kulturpolitische Praxis der Länder und Kommunen, spiegelt sich in diesen Texten seismographisch die Gemütslage von Verantwortungsträgern.

Die „Hanauer Erklärung" des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages (DST) vom 23./24. Oktober 1997 versucht, die heutige Krisensituation vor dem Hintergrund eines veränderten Bedingungsgefüges von Kultur und Kulturpolitik zu erläutern: Während sich die Kulturpolitik in den 70er Jahren auf generelle Zustimmung habe berufen können und auf eine „breite Verankerung in der Bevölkerung aus breiter Nutzerschaft", verliere Kulturpolitik „zunehmend ihre normative Funktion". Trotz einer dezentralen Struktur des Kulturgeschehens seien heute „Nivellierungstendenzen des Marktgeschehens" wirksam. Der DST sieht gegenwärtig ein aufgefächertes Nebeneinander von „öffentlich geförderten" Angeboten, dem „privaten gemeinnützigen Sektor", dem kommerziellen Sektor, den öffentlich-rechtlichen und privaten Medien als konstitutiv für die Pluralität kultureller Handlungs- und Finanzierungsfelder an. Trotz und gerade wegen dieser Gemengelage sei Kulturpolitik als „Ausdruck kommunalpolitischen Gestaltungswillens" unverzichtbar, trage sie doch die „Verantwortung für Pluralität und Dezentralität". Ihr bleibe die Aufgabe, Innovation und „Kulturpraxis mit geringer Nachfrage" ebenso zu fördern wie Kultur von Minderheiten und die Interaktion mit anderen Kulturen sowie den Widerstand zu mobilisieren „gegen ein Übermaß beliebiger austauschbarer Konsumartikel". Dieser Trotzhaltung – einem seltsamen Gemisch aus dem kulturpolitischem Sendungsbewußtsein der 70er Jahre und kulturpessimistischen Spritzern – entsprechen die auf Anleihen aus dem Reformkanon zurückgreifenden Umsetzungsstrategien:

Öffentliche Kulturfinanzierung bleibe noch auf längere Zeit und je nach Art der Einrichtung mit unterschiedlichem Umfange bestimmend. Dennoch müsse sie zunehmend durch andere Formen der Förderung und Beteiligung ergänzt und ersetzt werden, wenn Kultur in der bisherigen Breite erhalten bleiben solle. Die Erlösung aus dem Übel will der Kulturausschuß des DST durch folgende Veränderungen einleiten:

– Durch die Entwicklung einer „bürgerorientierten Unternehmensphilosophie" bei den Anbietern, um Freunde und Förderer (Mäzene, Sponsoren, Stifter) zu erschließen sowie entsprechender Beteiligungs- und Kooperationsformen.

– Durch die aktivere Nutzung der „intellektuellen und sozialen Kompetenzen der Bevölkerung" zur gestaltenden Mitwirkung.

Diese auf der Zauberwort-Kombination von „Fund-Raising" und „Friend-Raising" basierende „Umorientierung" bedeute, so wird abschließend versichert, keine Aufgabe kommunaler Kulturverantwortung und ihrer Institutionen, sondern „deren neue, erweiterte Konzeption".

Während die Kulturpolitiker des Deutschen Städtetages selbstquälerisch durch die Blume erkennen lassen, daß das Geld zu knapp geworden ist, um die Ansprüche der kulturpolitischen Aufbruchjahre zu sichern, schlägt die Kultusministerkonferenz (KMK) mit ihrer Empfehlung vom 12. September 1997 zur „Stärkung von Kostenbewußtsein und Dienstleistungsorientierung" sowie unter dem Aspekt der „Zuschußminderung" deutlichere Töne an.

Friend- und Fundraising spielen auch in diesem Zielkanon eine wesentliche Rolle, ergänzt allerdings durch die Forderung, das Kostenbewußtsein zu verstärken und „neuen Entwicklungen durch Umstrukturierungen Raum zu geben". Der Maßnahmenkatalog, den die fördernden Länder an zweiter Stelle aufstellen, ist bei weitem konkreter. Er reicht von der Erhöhung der Nebeneinnahmen durch Berechnung besonderer Dienstleistungen, durch Abschöpfung von Einnahmen aus Gastronomie und „Merchandising" bis hin zum Instrumentarium der „Neuen Steuerungsmodelle", des Controllings und den entsprechenden Veränderungen des Rechnungswesens. Ehrgeiziges Ziel der KMK-Vordenker ist es, so im „Resumee" verlangt, die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Kultureinrichtungen so zu verbessern, daß eine „Reduzierung der staatlichen Zuwendungen ohne Leistungseinschränkung" ermöglicht werde. Für die KMK steht außer Zweifel, daß dieses Ziel mit der bisherigen Arbeitsweise des öffentlichen Dienstes nicht zu erreichen sei. Insbesondere die hierfür notwendigen flexibleren Beschäftigungsverhältnisse, die Vergabe von Führungspositionen auf Zeit, Dispositionsfreiheit beim Ressourceneinsatz oder Refinanzierungsmöglichkeiten und andere Reformziele bedingten „neue selbständige Organisationsformen als Alternative zur staatlichen Kulturinstitution".

Soweit die aktuellen Strategiepapiere. Aber auch die Praxis der Verwaltungsreform bestätigt es: Der Gegenstand dieses Buches ist so aktuell wie nie zuvor, weil die Verschiebung von Gegenwarts- und Zukunftsproblemen in andere Rechtsformen zu den Lieblingsspielen öffentlicher Unternehmerschaft zählt. Zweifellos mehren sich in der Republik gelungene Beispiele (meistens „Modelle" genannt). Viele andere sind gleichwohl geeignet, die humoristische Literatur über die durchgreifende Gestaltungskompetenz der Bürgerinnen und Bürger der ruhmreichen Stadt Schilda um einige lehrreiche Bände zu ergänzen. Das Prizip des Förderalismus, so die Position der KMK, beschwöre aber geradezu die Pluralität der Modelle:

„Welche Organisationsform die geeignete oder gar ideale ist, hängt ab vom Typ der Kultureinrichtung, von der lokalen Tradition, den angestrebten Schwerpunkten und auch von vorhandenen Initiativen, Freundeskreisen und Einzelpersonen. Es ist typisch für die Geschichte und die Strukturen des deutschen Kulturförderalismus, daß sich auch in Zukunft Einheitlichkeit und Einförmigkeit nicht empfehlen läßt oder einstellen wird."

Verstehen wir diese Worte nicht als Freibrief für mehr oder minder groben Unfug, sondern als Mahnung zur kompetenten Suche angemessener Lösungen. Denn die Erfahrung zeigt, daß die Entscheidungs-
kriterien bei der Wahl von Rechtsformen zwischen unbegründbaren Geschmacksfragen und der Eingrenzung auf oft nebensächliche Indikatoren in beliebigen Variationen gebündelt werden. Im Hinblick auf die zahlreichen Rechtsformüberlegungen im Zuge der Verwaltungsreform setzen wir uns zu Beginn des Kapitels 5.1 ausführlicher als in der ersten Auflage mit dieser Problematik auseinander und ergänzen damit unsere im Kapitel 2.3 aufgeführten „Prüfsteine".

Anzumerken bleibt hinsichtlich der öffentlichen Erwartungen an privates Engagement, daß die Bereitschaft zu privater Mitfinanzierung zwar noch nicht ausgereizt ist, jedoch begrenzter bleiben könnte, als öffentliche Amts- und Mandatsträger wahrzunehmen bereit sind. Darüber hinaus bemerken wir in eigener Beratungstätigkeit, daß die Realität in Kultureinrichtungen, Vereinen und Verbänden es eher rechtfertigt, von einer „Krise des Ehrenamtes" zu sprechen als von wachsender Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement. Dies ist nicht verwunderlich, solange es in unserem Lande nicht gelingt, Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß aus kultureller Innovation neue Formen notwendiger und bezahlbarer Arbeit entstehen. Verwaltungsreform ist und bleibt vorerst unter dem öffentlichen Kostendruck ein Szenario zur Abwicklung von Arbeit – keineswegs nur von überflüssiger. Freiwilligkeit löst dieses Problem allenfalls sektoral und in verschwindender Größenordnung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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