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[Seite der Druckausg.: 67 ]


C.
Workshop „Armutsbericht der Weltbank"
(25.11.1996)




Der Weltbank-Armutsbericht
Globale und Regionale Aussichten - Strategien zur Armutsbekämpfung
Uwe Kerkow


Am 25. November 1996 veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen mit dem Deutschen NRO-Forum Weltsozialgipfel einen Workshop, der sich mit der Frage beschäftigte, inwieweit die Ergebnisse und Beschlüsse des Weltsozialgipfels Eingang in die Praxis der Weltbank gefunden haben. Vor dem Hintergrund des im Mai 1996 veröffentlichten Berichtes „Armutsreduzierung und die Weltbank - Fortschritte und Herausforderungen in den 90er Jahren" referierte zunächst Ishrat Husain, Direktor der Weltbank-Abteilung für Armut und Sozialpolitik, über die Strategien zur Armutsbekämpfung, die die Bank seit der Zeitenwende von 1989 erarbeitet hat. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen, die vor allem darauf abzielten, dem Image der Bank als Hochburg neoliberaler Hardliner entgegenzutreten, eröffnete Husain seinen Vortrag mit einem kurzen Überblick über die jüngere Entwicklung der weltweiten Armut. Die Weltbank benutzt vier Indikatoren zu Messung der Armut. Husain betonte, daß die qualitativen Indikatoren dieselben seien, wie sie auch vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) angewendet werden. „Es gibt in dieser Sache keinen großen Streit zwischen UNDP und uns", so Husain wörtlich, „da unsere Ansichten über Armut konvergieren." Die drei von der Bank und UNDP verwendeten Sozialindikatoren sind: die Rate der Kindersterblichkeit, die Lebenserwartung und die Brutto-Einschulungsrate.

I. Trends weltweiter Armut

Seit den siebziger Jahren ist die Kindersterblichkeit in allen Regionen der Erde zurückgegangen, während die Lebenserwartung überall gestiegen ist. Von diesen positiven Trends ist auch das subsaharische Afrika nicht ausgenommen. Die Einschulungsraten steigen ebenfalls fast überall stetig an. Nur in Afrika stagnierten letztere zu Beginn der 90er Jahre vorübergehend. Als vierten, quantitativen Index für die Armutsmessung benutzt die Weltbank seit 1990 einen Maßstab, nach dem als arm gilt, wer über ein Einkommen von weniger als 1 US-Dollar pro Person und Tag verfügt. Liegt dieser Index zugrunde, dann gibt es weltweit 1,3 Milliarden Arme. Davon leben 74 Prozent in Süd- und Ostasien.

Auf das Bevölkerungswachstum bezogen, sinkt die Zahl der Armen weltweit. In Ostasien fällt sie sogar in absoluten Zahlen. In allen anderen Regionen der Welt steigt die absolute Zahl der Menschen, die unter der Weltbank-Armutsgrenze leben müssen, jedoch an. Husain betonte aber, daß gerade Indien und China - die beiden Länder, in denen allein die Hälfte aller Armen lebt - „gewaltige Fortschritte" gemacht haben. Diese von der Bank ermittelte Tendenz tritt verstärkt zutage, wenn die (viel niedriger angesetzten) Armutsdefinitionen der beiden Staaten zugrunde gelegt werden. Husain betonte, daß die Bank mit den niedrigen Standards der Inder und Chinesen nicht einverstanden sei. Der Trend jedoch sei eindeutig: die Zahl der Armen sinkt auch und gerade in Indien und China. Am schnellsten ist die Armut im subsaharischen Afrika gestiegen. In Lateinamerika ist ein geringer Anstieg der Zahlen zu verzeichnen.

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II. Die Armutsbekämpfungsstrategie der Weltbank

Nach diesem kurzen Einblick in die Entwicklung der weltweiten Armut leitete Husain mit einem geschichtlichen Einwurf zu der Frage über, welche Strategie die Bank heute verfolgt, um die Armut zu bekämpfen. In den 60er Jahren habe man geglaubt, mit dem Ausbau der Infrastruktur die Armut am schnellsten zu mindern. In den 70er Jahren habe man sich dann an der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse orientiert und in den 80er Jahren an der Politik der ökonomischen Reformen.

Heute verfolgt die Weltbank einen integrierten Ansatz der Armutsreduzierung, der auf drei Säulen ruht. Erstens: „Wachstum auf breiter Basis", das ökonomische Chancen für die Armen bietet. Zweitens: „Investitionen in die Menschen". Drittens: Die Bereitstellung von sozialen Netzwerken.

Ein Wachstum auf breiter Basis verlange, so Husain, „günstige äußere Rahmenbedingungen". Dazu zählen vor allem niedrige Staatsschulden und faire Rohstoffpreise. Doch selbst wenn diese gewährleistet sind, müssen die Armen Zugang zu Krediten haben, zu Land, Technologie und zu entsprechendem Wissen. Ist dies nicht gewährleistet oder fehlt eine ausreichende Infrastruktur, werden auch andere Maßnahmen nicht greifen. Nur die gleichzeitige Verwirklichung all dieser Politiken ermöglicht ein Wachstum auf breiter Basis.

Eine Reduzierung der Armut setzt darüber hinaus Investitionen in Menschen voraus. Dazu zählen Grundschulausbildung, Basis-Gesundheitsdienste, Familienplanung, Ernährung, Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen. Nur zusammen mit einem Wachstum auf breiter Basis bilden die Investitionen in die Menschen die Voraussetzungen zur erfolgreichen Bekämpfung der Armut.

Doch gibt es in jeder Gesellschaft Gruppen, die sich auch unter günstigen Umständen nicht selbst helfen können: Alte, Behinderte und Kranke, aber auch Land- und Besitzlose. Für diese Gruppen ist der Aufbau von arbeitsintensiven sozialen Netzwerken vorrangig. Ernährungsprogramme, Rehabilitationsmaßnahmen und Rentenkassen sind die tragenden Elemente solcher sozialer Systeme.

In der Praxis erfaßt die Weltbank zunächst einmal die Armutserscheinungen in den einzelnen Ländern. „Vielleicht haben Sie den Bericht unserer unabhängigen Evaluationsabteilung (OED) gelesen, in dem wir sehr schlechte Noten für unsere Länderanalysen bekommen haben. Aber die Länderbewertungen sind wiederum nur ein Teil unserer analytischen Arbeit." Diese erstreckt sich zum Beispiel auch auf die Prüfung staatlicher Ausgaben sowie auf sektorale und umweltorientierte Untersuchungen. Zusammengenommen bilden diese Daten den Hintergrund, vor dem eine Strategie zur Armutsbekämpfung erarbeitet und umgesetzt wird.

Daraus resultiert nach Husain eine Politik der Kreditvergabe, die viel mehr als die vielgescholtenen Strukturanpassungsprogramme (SAP) beinhaltet. Kredite in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar sind in den letzten fünf Jahren im Rahmen von SAPs vergeben worden. Diese stehen einem Betrag von 54 Milliarden Dollar gegenüber, die an armutsorientierte Sektoren gegangen sind. Dazu zählen landwirtschaftliche Forschung und produktivitätsfördernde Projekte, Erziehungs-, Familienplanungs-, Gesundheits- und Ernährungsprojekte, Projekte für die ländliche und für die kommunale städtische Infrastruktur; hier vor allem für die Trinkwasserversorgung und die Errichtung sanitärer Anlagen. In diesen 54 Mrd. Dollar sind keine industriellen Projekte, keine Projekte für die Energieerzeugung oder die Telekommunikation, keine Umweltprojekte oder ähnliches enthalten. „Wir sind heute der größte einzelne Anbieter von Finanzdienstleistungen im sozialen Bereich", lautet die Schlußfolgerung von Husain.

Um die Präzision und die Bandbreite der Weltbank-Reaktionen auf unterschiedlich gelagerte Probleme zu illustrieren, stellte Husain zwei Beispiele gegenüber.

Bei genauer Analyse der Situation in Indien hatte sich herausgestellt, daß die Ärmsten entgegen den Erwartungen dort keinen Zugang zu

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sozialen Leistungen haben. Die Antwort der Bank bestand einerseits in einem SAP, andererseits aber in der Einrichtung eines neuen Sozialfonds für die Opfer der Strukturanpassung. Darüber hinaus konzentrierte man die Kreditvergabe auf das Schul- und Gesundheitswesen, die Familienplanung und Ernährungsprogramme. Doch wurden die Gelder nicht mit der Gießkanne verteilt. Speziell die ärmsten Bezirke wurden mit den Krediten bedacht.

Im Gegensatz dazu fand die Bank in Uganda eine Situation vor, in der das ganze Land durch Mißwirtschaft in eine Armutskrise geraten war. Hier schien den Bankern die gezielte Unterstützung der Kleinbauern durch ländliche Bildungs- und Infrastrukturprogramme geboten. „Es gibt also keinen Grund zu der Annahme, daß die Weltbank nur ein einziges neoliberales Modell zugrunde legt, das sie unterschiedslos auf jede Situation anwendet."

III. Mängel beheben

Husain beschloß seinen Vortrag mit einer Aufzählung der Schwachpunkte, die der Arbeit der Bank aus seiner Sicht zur Zeit anhaften. „Wir stellen unsere analytische Arbeit immer noch nicht ausreichend in den Mittelpunkt unserer Länderstrategien." Es gebe außerdem „Länder die sich der Armutsbekämpfung nicht ausreichend widmen, und wir haben nichts getan, um die Kredite an diese Länder zu reduzieren oder zu stoppen. Dies sollten wir aber tun."

Zudem sieht Husain Mängel in der Erfassung und Bewertung von Armut. Man erziele vor Ort zwar immer wieder gute Ergebnisse und arbeite erfolgreich mit den verschiedensten, nichtstaatlichen Organisationen (NROs) zusammen. Die Erfassung im größeren Maßstab bereite jedoch noch Probleme. Eine Ausdehnung der partizipativen Erfassung von Armut gegenüber rein quantitativen Methoden ist vonnöten.

Schwierigkeiten sieht Husain auch in den Partialinteressen der Eliten, die von den Regierungen willig bedient werden. Hier fügte er einige Statements über Deregulierungsmaßnahmen an:

„Die Eliten wollen keine Handelsliberalisierungen, da in ihrem Gefolge die Importlizenzen abgeschafft werden, die die großen Unternehmen privilegieren. Sie wollen keine Freigabe der Lebensmittelmärkte, die den Kleinbauern vernünftige Preise für ihre Produkte einbringen würden. Denn die städtischen Eliten profitieren von den subventionierten Lebensmittelpreisen." Bankprogramme mit solchen Zielsetzungen würden von den Betroffenen dann als „Neoliberalismus" gebrandmarkt, weil sie gegen ihre Interessen verstießen. Ähnliches gelte für die Umstrukturierung im Bildungswesen, wenn die Bank statt einem Universitätsstudenten lieber 100 Grundschüler ausbilden ließe.

Abschließend kam Husain auf die Differenzen zwischen den Gebern zu sprechen. In einem Land wie Sambia gebe es 70 verschiedene landwirtschaftliche Forschungsprojekte, mit denen das dortige Landwirtschaftsministerium völlig überfordert sei. Hier würden Kapazitätsprobleme erst geschaffen, was die Dinge für die Nehmerländer komplizierter statt einfacher mache. Eine bessere Geberkoordination sei generell dringend geboten. Darüber hinaus gibt es nach Husains Meinung „einen zu großen Einfluß der Geber im subsaharischen Afrika. Dort seien die Entscheidungsträger heute nicht mehr die Regierungen, sondern die Geldgeber."

IV. Der Beitrag des BMZ

Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gab Gero Jentsch eine kurze Stellungnahme ab. Diese faßte er in sechs Punkten zusammen.

  1. Armutsbekämpfung hängt im wesentlichen von dem politischen Willen der Nehmerländer und der Geberorganisationen ab. Armutsbekämpfung ist kein technisches Problem, sondern findet im Spannungsfeld von Interessenkonflikten zwischen Reich und Arm sowie zwischen verschiedenen Zielsetzungen in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) statt. Armut ist nicht nur ein ökonomisches Problem - sie ist auch ein soziales Phänomen. Daher reichen ökonomische Maßnahmen allein nicht aus.

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  2. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen und Strukturreformen im Sinne der Armen sind ein grundlegendes Element der Armutsreduzierung. Dies kann unter anderem durch politische Dialoge und Hilfestellungen sowie durch SAPs von außen unterstützt werden. SAPs sollten jedoch schon bei der Planung armutsorientiert ausgelegt werden und nicht nur darauf abzielen, negative Effekte auf arme Bevölkerungsschichten abzufedern.
  3. Armutsbekämpfung sollte noch mehr ins Zentrum der EZ gerückt werden. Dabei sind länderspezifische Strategien ein essentielles Instrument. Die erste Frage sollte nicht den makroökonomischen Problemen und der Effizienz des betroffenen Sektors gelten, sondern den Zielgruppen einer Maßnahme.
  4. Das deutsche Konzept der Armutsbekämpfung enthält als unabdingbares Element die Partizipation der Betroffenen. Nur durch ihre ausreichende Beteiligung an Planung und Durchführung von Projekten kann deren Nachhaltigkeit gesichert werden. Studien haben gezeigt, daß auch die Erfolgschancen von SAPs mit der Einbeziehung möglichst breiter Bevölkerungskreise steigen.
  5. Obwohl es keine erfolgreiche Armutsbekämpfung ohne Wirtschaftswachstum geben kann, mindert die ökonomische Effizienz die Armut keineswegs automatisch. Gebraucht werden Einzelfalluntersuchungen, die klären helfen, ob und warum die Lebensbedingungen der Armen durch Wirtschaftswachstum verbessert werden. Es ist wichtig, zu wissen, wie das Wirtschaftswachstum beschaffen sein muß, damit die Armen mit ihren produktiven Kapazitäten daran teilnehmen können.
  6. Armutsbekämpfung kann ohne das Engagement von NROs nicht funktionieren. Die deutsche EZ legt schon seit langem Wert auf Subsidarität bei der Zusammenarbeit mit NROs aus dem Norden und dem Süden.


V. Untersuchungen über Armut als Lernprozeß für die Banker

Lynne Sherburne-Benz ist Mitarbeiterin von Ishrat Husain in der Abteilung für Armut und Sozialpolitik der Weltbank. Sie verfaßte den bereits erwähnten Bericht „Armutsreduzierung und die Weltbank", der den Weltentwicklungsbericht von 1990 fortschreibt. Ihr Beitrag enthielt wichtige Details, die die Neuerungen in der Arbeitsweise der Bank verstehen helfen.

Sherburne-Benz versprach zunächst, daß die Weltbank ihre Länderanalysen, deren Fehlen der OED-Bericht gerügt hatte, bis 1998 auf den Stand gebracht haben werde, der für 1994 versprochen worden war. Der Grund für diese Verspätung liegt nach ihrer Aussage vor allem im hohen Arbeitsaufwand und im langsamen Rücklauf der benötigten Daten, die sinnvolle Vergleiche zwischen verschiedenen Regionen eines Landes erst möglich machen. Darüber hinaus sind viele Länder des ehemaligen Ostblocks zusätzlich in die Liste für eine länderbezogene Armutsanalyse aufgenommen worden. Diese waren 1990 noch keine Mitglieder der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA).

Grundsätzlich geht es der Weltbank nicht nur um die Identifizierung der Armen und die Gründe ihrer Armut, sondern auch um die Zusammenhänge zwischen ihren eigenen Interventionsmöglichkeiten und der Beseitigung von Armut.

Zum Beispiel wird die Frage gestellt, wieviel zusätzliche Jahre an Erziehung ein Mensch benötigt, um sich aus seiner Armut lösen zu können. Die jüngsten Ergebnisse (1994-1996) zeigen außerdem, daß zwei Armutsschwellen von Bedeutung sind. Es wird in Zukunft gefragt werden müssen, welche Politik allen Armen hilft und welche für die extrem Armen entworfen werden muß.

Um die speziellen Probleme der Menschen in bestimmten Ländern, Verwaltungsbezirken und Kommunen verstehen zu lernen, greift man in der Weltbank in zunehmendem Maße auf partizipative Methoden der Armutsmessung zurück. Die Menschen werden nicht nach ihrem Einkommen befragt, sondern danach, was sie selbst unter Armut verstehen. Eine solche Arbeit hilft, Partnerschaften zu den Betroffenen aufzubauen und die Koordination zwischen den Gebern zu verbessern. In Sambia zum Beispiel arbeitet die

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NRO, die schon die Bank bei ihrer Armutsanalyse unterstützte, jetzt mit dem nationalen statistischen Amt zusammen. Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung der statistischen Methodik in Sambia, sondern auch um Projektevaluierungen.

Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld, das sich mit einer verbesserten Armutsstatistik angehen läßt, besteht in der Überprüfung der Wirksamkeit und Verteilungsgerechtigkeit staatlicher Leistungen. Nachdem festgestellt wurde, daß im Schnitt über 40 Prozent der Staatsausgaben den reichsten Bevölkerungskreisen vorbehalten bleiben, geht es jetzt darum, eine effektivere Allokation staatlicher Gelder zum Beispiel zwischen verschiedenen Bildungssektoren (Universität, Sekundär- und Primarschulen) zu erreichen. Die Koordination der Geber läßt sich mit solchen Erkenntnissen ebenfalls deutlich verbessern.

In der Fragerunde ergänzte Sherburne-Benz später, daß die Weltbank in einigen Fällen auch schon historische Aspekte einbezogen habe, um die Ursachen der Armut zu erforschen. Als Beispiel nannte sie Armenien und fügte hinzu, daß Armut oft auch politische, soziale und kulturelle Ursachen habe, die sich nur in einem geschichtlichen Kontext hinreichend bewerten ließen.

Am Beispiel Malawi verdeutlichte Sherburne-Benz die Methodik und den Umfang partizipativer Armutserfassung. Dabei stellte sie den Arbeitsprozeß in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. „Dieser Prozeß ist etwas, über das wir zu wenig sprechen. Nicht so sehr das Dokument am Ende einer solchen Untersuchung, sondern der Prozeß seiner Entstehung und die Art der angewandten Methoden bestimmen die Ergebnisse, die dann in eine Strategie einfließen."

In Malawi waren schon ein Jahr nach den ersten freien Wahlen rund 120 Personen und Gruppen an den Untersuchungen beteiligt. Dies schloß NROs, religiöse Führer, den privaten Sektor, Regionalbehörden, Akademiker, Politiker, Parlamentarier und Journalisten ein. Es ging darum, in Erfahrung zu bringen, was vor Ort für nötig erachtet wird, um das Land aus der Krise zu manövrieren und die Armut zu reduzieren. Die zweite Frage galt der Weltbank selbst. Wie sollten sie sich verhalten, um den Bedürfnissen gerecht zu werden? Partizipative Methoden ermöglichen eine qualifizierte Antwort darauf, ob die bisherigen Vorgehensweisen der Bank den wirklichen Problemen auch gerecht wurden. Dabei erwies sich die wachsende Zusammenarbeit zwischen den NROs und der Bank zugleich als Teil des Prozesses und des Ergebnisses.

Heute noch gibt es in Sambia monatliche Treffen, wo sich die NROs und die Bank über den Fortgang der Dinge austauschen.

Um ein Wachstum auf breiter Basis zu initiieren, stellte die Weltbank in Malawi die Landwirtschaft in den Mittelpunkt. Der Sektor wurde dereguliert, damit auch die Kleinbauern, die bisher in die Subsistenzproduktion verdrängt waren, die Möglichkeit bekamen, lohnendere Feldfrüchte anzubauen. Insgesamt reichten die Informationen zu dieser Zeit aber nicht aus, um eine Gesamtstrategie empfehlen zu können. Also wurde eine weitere Untersuchung auf den Weg gebracht, die sich um eine Landreform sowie um ländlichen Arbeitsmärkte und Einkommensmöglichkeiten drehte.

Die Weltbank unterstützt nun Bewässerungsprojekte, ländliche Infrastruktur-Programme und Programme für die Vergabe von Kleinkrediten. Im sozialen Bereich geht es vornehmlich um die Grundschulausbildung und um die Verbesserung der sanitären Infrastruktur auf dem Land. Die Bank schuf aber auch Sozialfonds auf kommunaler Ebene, die es ermöglichen lokale Probleme vor Ort anzugehen.

An diesem Punkt schwenkte Sherburne-Benz auf das Drei-Säulen-Modell der Weltbank zur Armutsbekämpfung ein. Sie legte Wert darauf daß dieses Konzept nicht als Schema gesehen werden dürfe. Wenn ein Land beispielsweise ein hohes Wachstum aufweise, das breite Bevölkerungsschichten erreicht und zudem ausreichend in das Humankapital investiere, werde sich die Bank auf die Unterstützung beim Aufbau von sozialen Sicherungssystemen beschränken.

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VI. Marktchancen für die Ärmsten schaffen

Um den Unterschied zwischen einem „Wachstum auf breiter Basis" und einer Politik zu beschreiben, die auf ökonomische Effizienz ausgerichtet ist und dann auf den trickle-down-Effekt hofft, spezifizierte sie die entsprechenden methodischen Ansätze der Bank. Zunächst müssen die Armen Zugang zu den wichtigsten Produktionsfaktoren Land und Kapital (in Form von Kleinkrediten) erhalten.

Im Bereich Kleinkredite gilt immer noch die Grameen-Bank in Bangla-Desh als Maß der Dinge. Die Weltbank unterstützt eine riesige Anzahl von ähnlichen Initiativen und unterhält zahlreiche Forschungsaktivitäten. Allein in den Jahren 1994/95 betrieb die Bank entsprechende Projekte in Albanien, Bulgarien, in der Zentralafrikanischen Republik, in der Elfenbeinküste, in Ägypten, Litauen, Guinea, Marokko, Niger, Tunesien, Vietnam und Sambia.

Im Bereich der Landreform sind die Möglichkeiten der Weltbank beschränkter, da auf politische Einflußnahme in dieser Frage verzichtet wird. Dort, wo gerade eine Landreform stattfindet, wie zum Beispiel in Honduras und Bolivien, berät die Bank entweder oder unterstützt marktorientierte Landreformen wie in Südafrika und Kolumbien auch direkt. Großgrundbesitzer werden angehalten, unbenutzte Flächen zu veräußern, und parallel dazu werden Landlose beim Kauf solcher Flächen unterstützt. Darüber hinaus fördert die Weltbank auch Kampagnen, in denen die Kleinbauern rechtskräftige Besitztitel auf das Land erhalten, das sie bebauen. Auch die Inanspruchnahme von nicht ackerfähigen oder marginalen Standorten für Landlose wird gefördert.

Bei all diesen Aktivitäten gilt die Aufmerksamkeit der Bank vor allem der einen Ressource, über die die Armen reichlich verfügen: ihrer Arbeitskraft. Außerdem steht die Schaffung von Marktchancen für jene Produkte im Vordergrund, die diese Menschen herstellen können; eine Arbeit, die Hand in Hand mit dem Versuch geht, die Diskriminierung armer Bevölkerungsschichten zu überwinden.

Damit schuf Sherburne-Benz einen fließenden Übergang zur zweiten Säule der Weltbank-Strategie, den „Investitionen in die Menschen". Als Zielgruppen dieser Arbeit, die auch Diskriminierungen überwinden helfen kann, nannte sie vor allem indigene Völker und Frauen.

Ausdrücklich betonte sie die Rolle von Basisorganisationen innerhalb solcher Gruppen. Diese dienen nicht nur als Ansprechpartner für Entwicklungsagenturen, sondern stärken auch die Verhandlungsposition ihrer Mitglieder zum Beispiel bei Geschäftsabschlüssen.

Die Kredite, die die Weltbank 1994 bis 1996 zur „Entwicklung des Humankapitals" vergab, machten 23 Prozent des gesamten Vergabevolumens aus. Im Erziehungswesen waren 83 Prozent aller dieser Kredite so ausgerichtet, daß sie speziell die Armen erreichten. Die Weltbankkredite für Ernährungsprogramme haben in den letzten fünf Jahren um 1000 Prozent zugenommen. Dabei hat sich Bandbreite der Projekte immens erhöht.

Kredite für soziale Sicherungssysteme werden von der Weltbank in größerem Umfang erst seit 1994 vergeben. 1995 betrug der Umfang dieses Kreditprogramms aber schon zwei Milliarden US-Dollar. Dabei wird auf jährliche Erfolgskontrolle geachtet. Deren Schwerpunkt liegt auf der Suche nach den Maßnahmen, die die Armen am besten erreichen.

Der Anteil der Kredite für armutsorientierte Projekte stieg von 43 Prozent im Jahr 1992 auf 63 Prozent im Jahr 1993. Sherburne-Benz betrachtet die „normalen" Infrastrukturkredite als notwendige Ergänzung, um die Armut nachhaltig zu bekämpfen. Insgesamt zeigte sich, daß die armutsorientierten Programme der Weltbank wirtschaftlich sogar erfolgreicher waren als die herkömmlichen Kreditprogramme. Sherburne-Benz konnte noch keine Erklärung dafür abgeben, da abschließende Analysen noch nicht vorliegen. „Ich habe aber das deutliche Gefühl, daß es in dem hohen Anteil der partizipativ angelegten Projekte begründet ist, der 1996 bei 80 Prozent lag".

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VII. Konsens

Über eine ganze Reihe offener Fragen konnten sich die Teilnehmer des Workshops einigen. So waren alle Beteiligten der Meinung, daß die meisten Armen in absehbarer Zukunft (die Trendwende dürfte im Jahr 2020 stattfinden) nicht mehr auf dem Land, sondern in den Elendsquartieren der Städte leben werden. Das wird die Chancen einer Hilfe zur Selbsthilfe verringern. Zudem sind städtische Arme in weit stärkerem Maße von einer hoch entwickelten und funktionierenden Infrastruktur abhängig als zum Beispiel Kleinbauern in der Subsistenzwirtschaft. Das verstärkt die Risiken und die negativen Effekte, die durch Mißwirtschaft, Korruption und schlechte Planung ausgelöst werden. Frau Sherburne-Benz wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Weltbank heute schon städtische Armut in Lateinamerika untersucht.

Unbestritten ist auch, daß die Weltbank ihre Arbeit nicht ausschließlich auf die Armutsbekämpfung konzentrieren kann. Der Wert grundlegender Investitionen in die Infrastruktur wird nicht bezweifelt. Darüber hinaus hat die Bank in letzter Zeit (zum Beispiel mit dem Rückzug aus dem Drei-Schluchten Staudamm in China) zumindest punktuell immer wieder bewiesen, daß Kritik nicht nur gehört, sondern auch ernst genommen wird. Nach Aussage von Husain hat die Bank 1996 fast eine Milliarde US-Dollar für Großprojekte bereitgestellt.

Husain und Sherburne-Benz konnten überzeugend darlegen, daß die Arbeit der Weltbank speziell dem informellen Sektor gilt und den besonderen Bedürfnissen der Kleinstunternehmer Rechnung trägt. Doch es gibt noch viele ungeklärte Fragen. So gab Husain seiner Besorgnis Ausdruck, daß die Armut unter den Kleinbauern Afrikas wächst. Und das, obwohl Untersuchungen der Bank ergaben, daß Kleinbauern effizienter produzieren als Großgrundbesitzer. Und 95 Prozent der Landflächen in Afrika (außer in Südafrika, Kenia, Malawi und Zimbabwe) werden von Kleinbauern bewirtschaftet. Husain sieht hier noch großen Nachholbedarf in der Forschung. Auf die Frage, was die Bank unternehme, um formalisierte Arbeitsverhältnisse zu schaffen, antwortete Husain, die Priorität der Weltbank sei der informelle Sektor. Dort fänden sich die meisten Beschäftigungsmöglichkeiten.

Verständnis hatten die meisten Teilnehmer wohl auch dafür, daß die Weltbank Landreformen in der Regel nur flankieren kann. Fragen in diese Richtung tauchten mehr als einmal auf und es bleibt zu hoffen, daß die Banker - vielleicht zusammen mit den NROs - weitere Instrumente entwickeln, um vor allem in Lateinamerika eine größere Verteilungsgerechtigkeit der so wertvollen Ressource Land herzustellen. Vielleicht gelingt es den Bankern ja eines Tages, über ihren Schatten zu springen und im Rahmen eines SAPs eine überfällige Landreform wenigstens zu empfehlen. Die Bank schätzt die Produktivität der Kleinbauern jedenfalls als sehr hoch ein.

Überzeugt waren die Teilnehmer auch von den neuen Perspektiven in der Zusammenarbeit zwischen den NROs und der Bank. Husain nannte diese stetig zunehmende Kooperation „den Beginn einer neuen Ära". Allerdings muß diese Zusammenarbeit immer dann auf Gespräche beschränkt bleiben, wenn die Staaten - die ja die Weltbank-Kredite aufnehmen - sich weigern, NROs an der Planung und Ausführung der Weltbankprojekte zu beteiligen. Nächstes Jahr wird ein Report der OED erscheinen, der die Kooperation zwischen der Bank und den NROs zum Gegenstand hat.

Sehr deutlich wurde im Verlauf des Gesprächs, daß die NROs sich mit zunehmender Bedeutung immer mehr legitimieren müssen. Volker Kasch von der evangelischen Zentralstelle für Entwicklung schilderte die typische „Karriere" einer NRO in einem Entwicklungsland. Zunächst handele es sich in der Regel um Menschenrechtsgruppen. Mit dem Einzug der Demokratie ändern sich jedoch die Rollen der NROs und deren Ansprüche an die Länder, in denen sie tätig sind. Das sei ein komplizierter Prozeß, auf den keine einfache Antworten möglich seien. Es ist dies ein Problem der Demokratie und Transparenz in Zivilgesellschaften, das eben erst angedacht ist und die Entwicklungspolitiker sicherlich noch häufig beschäftigen wird.

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VIII. Dissens

Einleitend seien einige Fragen und Zweifel des Publikums beispielhaft aufgezählt:

„Wie konnte es zu einem derartigen Anwachsen der Armut trotz des schnellen Wirtschaftswachstums in Lateinamerika kommen?"

„Die Ökonomie ist gegenüber anderen Dingen des Lebens sehr feindlich. Wenn zum Beispiel von der Subsistenz zur cash-crop Produktion übergegangen wird, führen schwankende Weltmarktpreise zu Hunger."

„Privatisierung und Modernisierung schließen die Armen aus, wenn die staatliche Bildungspolitik versagt. Denn Privatschulen sind teuer."

„Modernisierung läßt die weniger produktiven Arbeitsplätze wegbrechen und erzeugt Wachstum ohne Arbeitsplätze."

Auch in diesem Workshop zeigte sich, daß eine Auseinandersetzung über die Politik der Weltbank sehr komplex gerät. Das ist vor allem in den zahllosen Schnittstellen begründet, die die Ökonomie mit politischen, historischen, sozialen und kulturellen Konstellationen aufweist.

Erschwert wird die Diskussion mit den Bankern, weil diese nicht immer ganz fair mit politischen und sozialen Auswirkungen ihrer ökonomischen Rezepte umgehen. Dort, wo sie mittels der Durchsetzung von Marktmechanismen erwünschte „Nebenwirkungen" erzielen, reklamieren sie diesen Erfolg für sich. So auch Husain in seinem Vortrag: „Die Eliten wollen keine Handelsliberalisierungen, da in ihrem Gefolge die Importlizenzen abgeschafft werden, die die großen Unternehmen privilegieren. Sie wollen keine Freigabe der Lebensmittelmärkte, die den Kleinbauern vernünftige Preise für ihre Produkte einbringen würden. Denn die städtischen Eliten profitieren von den subventionierten Lebensmittelpreisen." Als Beispiel nannte Husain den physischen Zugang für Kleinhändler in die Innenstadt von Harare, der durch Deregulierungsmaßnahmen der Bank gewonnen worden sei. Husain weiter: „Solche und ähnliche Politiken der Weltbank werden von den Betroffenen dann als „Neoliberalismus" gebrandmarkt, weil sie gegen ihre Interessen verstoßen". Hier sei angemerkt, daß eine solche Argumentation - so schlüssig sie auch sein mag - ein Primat des Marktes über die Politik nicht rechtfertigt.

Wenn aber Diskussionsteilnehmer auf negative Effekte von Deregulierung und Liberalisierung zu sprechen kommen, erhalten sie oft stereotype Antworten. So reagierte Sherburne-Benz auf eine kritische Frage mit der schlichten Aussage, daß Wachstum immer auch Verlierer schaffe, der Nettoeffekt aber positiv sei und eine Frage des Zeitrahmens.

Ähnlich reagierte Husain auf eine Frage zu den Auswirkungen von SAPs auf die Demokratie in Afrika. Er wies daraufhin, daß Afrika vor 1985 ohne SAPs auch nicht besser dagestanden habe. Er beschrieb dann die völlig verfehlte und zutiefst unsoziale Haushaltspolitik vieler afrikanischer Staaten. Auch seine Schlußfolgerung, wie diese durch Subventionierung des Konsums der Mittel- und Oberschicht in die Schuldenfalle gerieten, ist überzeugend. Ebenso die Feststellung, daß die afrikanische Länder auch ohne SAPs für ausgeglichene Haushalte zu sorgen hätten. Aber er schloß die ausführlich angelegte Rechtfertigung mit der lapidaren Bemerkung, daß die Weltbank mit der Strukturanpassung „nur die Dreckarbeit erledige".

Stellen die Banker ihre Arbeit derart verkürzt dar, dann klammem sie deren politische und soziale Implikationen aus. Die Sphäre des gesellschaftlichen und politischen Lebens wird insofern funktionalisiert, als sie - gerade in ihren Reaktionen auf SAPs - nur dann wahrgenommen wird, wenn es die Politik der Bank legitimieren hilft.

Kasch sieht hier offensichtlich einen prinzipiellen Mangel. Er meint, „daß institutionelle Aspekte vernachlässigt" werden. Zum einen komme es immer wieder vor, daß die Ziele der Weltbankstrategien auch die Voraussetzungen für deren erfolgreiche Umsetzung bildeten. Als Beispiel nannte Kasch die good governance (zu Deutsch etwa: eine gute bzw. gerechte Regierungspolitik). Er hinterfragte darüber hinaus die Einstellung der Banker zum Staat und betonte, daß der Staat mehr als ein Dienstleister sei. Die Schaf-

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fung eines sozialen Konsens und die Legitimität stattlicher Einrichtungen seien oft wichtiger als reine Effizienzkriterien. Sein Hinweis auf den Weltentwicklungsbericht 1997, der sich mit der Rolle des Staates beschäftigen wird, wurde mit großem Interesse aufgenommen.

Kasch ergänzte seine Ausführungen um die Feststellung, daß das Anliegen der Banker sich nicht darauf beschränken dürfe, die Widerstände gegen ihre Reformen zu überwinden. Es gelte vielmehr, Reformstrategien zu entwickeln, die im Interesse der Betroffenen seien. Ähnlich hatte sich auch Jentsch geäußert: „SAPs sollten schon bei der Planung armutsorientiert ausgelegt werden und nicht nur darauf abzielen, negative Effekte auf arme Bevölkerungsschichten abzufedern." Und: „Die erste Frage sollte nicht den makroökonomischen Problemen und der Effizienz des betroffenen Sektors gelten, sondern den Zielgruppen einer Maßnahme."

Fast niemand bezweifelt heute ernsthaft, daß es eine erfolgreiche Armutsbekämpfung nur in Phasen von wirtschaftlichem Wachstum geben kann. Die Banker müssen jedoch bereit sein, zu erkennen, daß es nicht ausreicht, mit der Strukturanpassung nur ökonomischen Anforderungen zu genügen. Sie erzielen politische und soziale „Nebenwirkungen", die oftmals alles andere als wünschenswert sind und die - soweit absehbar - vor der Implementierung eines SAP's in die Güterabwägung einfließen sollten.

Das gilt vor allem dann, wenn in der Bank offensichtlich über stärkere politische Einflußnahme auf die Regierungen in der „Dritten Welt" nachgedacht wird.

„Es gibt", so hatte Husain ausgeführt, „Länder, die sich der Armutsbekämpfung nicht ausreichend widmen, und wir haben nichts getan, um die Kredite an diese Länder zu reduzieren oder zu stoppen. Dies sollten wir aber tun."

Kritik gab es jedoch nicht nur an der Arbeit der Bank im allgemeinen, sondern auch an internen Versäumnissen und Strukturproblemen. So hatte der schon erwähnte OED-Bericht zur Armutsbekämpfung der Weltbank nicht nur zu hohe Zielvorgaben bemängelt, sondern auch die mangelnde Berücksichtigung der Ergebnisse, die die neuen analytischen Instrumente gebracht haben. Sie seien nicht ausreichend in die Strategien eingearbeitet worden.

Es wurde eine mangelnde Kohärenz der Weltbank-Strategien zur Armutsbekämpfung konstatiert: die sozialen Maßnahmen fungierten bisher nur als additive Instrumente zu den SAPs und es gebe keine integrative Herangehensweise.

Kasch gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß eine gemeinsame Studie, die die Bank zusammen mit einer Anzahl NROs durchzuführen gedenke, hier weiterhelfen werde. Die Weltbank wird zusammen mit den NROs eine Studie für mehrere Länder anfertigen, die sich mit den Auswirkungen von SAPs auf die betroffenen Gesellschaften auseinandersetzt.

Nach Aussagen von Husain und Sherburne-Benz vergibt die Weltbank Kredite für soziale Sicherungssysteme erst seit 1994 in größerem Rahmen. 1995 betrug der Umfang dieses Kreditprogramms aber schon zwei Milliarden US-Dollar. Nach der Kreditvergabe wird auf jährliche Erfolgskontrolle geachtet. Der Schwerpunkt der Überprüfungen liegt auf der Frage, wie die Armen am besten erreicht werden. Doch auch diese Angaben konnten nicht alle Teilnehmer überzeugen. Offen blieb die Frage, ob die Sozialfonds tatsächlich ein staatlich finanziertes Sozialwesen ersetzen können und sollen.

Gefragt wurde zudem, ob die innere Struktur der Bank und die Qualifikation ihrer Mitarbeiter für eine effektive Armutsbekämpfung ausreiche. Kasch zitierte aus den Empfehlungen des Weltbank-Präsidenten James A. Wolfensohn, der nach der Veröffentlichung des Berichtes der Projektgruppe „Soziale Entwicklung" geäußert hatte: „Die Bank sollte ihre Absicht deutlich machen, soziale Fragestellungen in ihre Aktivitäten einzubeziehen." Und weiter: „Die Bank sollte dem erwarteten, steigenden Bedarf nach Sozialexperten Rechnung tragen. Der Stab der Bank sollte zusätzliche Fortbildungen erhalten, die es ihnen ermöglichen, soziale Aspekte besser in ihre Arbeit einfließen zu lassen." Kasch forderte, daß das Klima in der Bürokratie sich

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ändern müsse. Er vermisse vor allem die Bereitschaft der Banker, sich mit den Problemen der Menschen in einer Weise zu beschäftigen, die über abstrakte ökonomische Aspekte hinausgeht.

Über alle diese Auseinandersetzungen darf nicht vergessen werden, daß die Weltbank eine Bank bleibt. Damit bleibt sie ökonomischen Zwängen stärker verhaftet, als es staatliche Institutionen je sein werden. Dieser Tatsache verlieh Erfried Adam von der Friedrich-Ebert-Stiftung Ausdruck, indem er daran erinnerte, daß die Verantwortung für ihre Entwicklung „letztlich bei den Regierungen und den Völkern selbst" liege. Eine gerechte Einkommensverteilung bleibe eine Machtfrage, die in jedem einzelnen Land neu entschieden werden müsse.


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