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TEILDOKUMENT:




Friedrich-Wilhelm Schulte
Anmerkungen zu dem Sechsundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetz - Menschenhandel (26. StrÄndG) vom 14. Juli 1992 - BGB I S. 1255 -, in Kraft getreten am 22. Juli 1992




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1. Das Problem

Die Erfahrung zeigt, daß kriminelle, international operierende Täter ausländische Frauen und Mädchen - insbesondere aus Südostasien, Afrika und Südamerika - anwerben, um sie in Deutschland als Prostituierte einsetzen zu können. Die Täter entstammen überwiegend dem Bordellbesitzer- und Zuhältermilieu und gehören häufig internationalen Verbrecherringen an. Sie machen sich die soziale und wirtschaftliche Situation in den Herkunftsländern der Frauen zunutze, indem sie den Frauen vorspiegeln, eine Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage durch einen Aufenthalt in Deutschland erreichen zu können. Sobald die Frauen, die meist als Touristinnen einreisen, in Deutschland sind, werden sie vielfach gezwungen, in die Illegalität abzutauchen und landen schließlich in der Prostitution. Sie werden völlig isoliert und müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen leben.

Daneben sind in den letzten Jahren vermehrt Fälle aufgetreten, in denen ausländische Frauen angeworben wurden mit dem Versprechen, sie einem Heiratspartner zu vermitteln. Die Frauen, die kein Rückflugticket und kaum Bargeld hatten, wurden verschiedenen Interessenten "zur Probe" zugeführt, bis sie sich entschlossen, in der Prostitution oder in Peep-Shows tätig zu sein.

Die Erfahrungen, die bei der Verfolgung von Straftaten gegen die sexuelle Ausbeutung vor allem ausländischer Frauen gemacht wurden, haben gezeigt, daß das vor dem Inkrafttreten des 26. StrÄndG geltende Strafrecht (insbesondere § 180 a. F. - Förderung der Prostitution - und § 181 StGB a. F. - Menschenhandel) nicht alle Verhaltensweisen erfaßte, die strafwürdig erscheinen. Milieubedingte Schwierigkeiten der Sachverhaltserforschung hatten überdies zur Folge, daß einzelne Merkmale der geltenden Tatbestände, vor allem des Menschenhandels, nicht nachgewiesen werden konnten, obwohl viele Anzeichen für eine solche Straftat sprachen. Die Folge war, daß die Täter straflos ausgingen oder nur wegen minder schwerer Delikte bestraft werden konnten.

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2. Gesetzgeberische Maßnahmen nach dem 26. StrÄndG

Die starke Zunahme der menschenverachtenden Geschäftemacherei und neue Erscheinungsformen führten dazu, daß die Strafvorschriften in § 180 a (Förderung der Prostitution) und § 181 (Menschenhandel) StGB durch das 26. Strafrechtsänderungsgesetz - Menschenhandel neu geregelt wurden. Das Gesetz ist am 22. Juli 1992 in Kraft getreten.

Ziel des Gesetzes ist es, den strafrechtlichen Schutz insbesondere ausländischer Mädchen und Frauen vor sexueller Ausbeutung, namentlich vor den Gefahren der Zwangsprostitution, des Menschenhandels und des sogenannten Heiratstourismus, zu verbessern. Dieses Ziel soll durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

- Mit dem § 180 b StGB (Menschenhandel) wurde ein neuer Tatbestand unter gleichzeitiger Einbeziehung und Erweiterung des früheren § 180 a Abs. 3 bis 5 StGB geschaffen; die bisherige Vorschrift gegen Menschenhandel (§ 181) wird jetzt als "schwerer Menschenhandel" bezeichnet.

- Statt des gewerbemäßigen Anwerbens in § 180 a Abs. 3 StGB genügt es künftig, daß der Täter seines Vermögensvorteils wegen auf das Opfer einwirkt, um es in Kenntnis einer Zwangslage zur Prostitution zu bestimmen. Infolge der Ersetzung des Tatbestandsmerkmals "gewerbsmäßig" durch das Merkmal "seines Vermögensvorteils wegen" ist nunmehr auch das einmalige Vermitteln gegen Geld oder ähnliche Leistungen unter Strafe gestellt (§ 180 b Abs. 1 Satz 1 StGB).

- Frauen, deren auslandsspezifische Hilflosigkeit ausgenutzt wird, genießen jetzt den gleichen Schutz vor sexueller Ausbeutung wie Personen unter 21 Jahren (§ 180 b Abs. 2 StGB).

- Außerdem ist der Schutz von Frauen, die zur Tatzeit bereits der Prostitution nachgehen und zu deren Fortsetzung bestimmt werden sollen, sowohl in dem neuen § 180 b als auch in dem neugefaßten § 181 StGB verbessert worden. So wird nunmehr in § 181 Abs. 1 Nr. 3 StGB das gewerbsmäßige Anwerben auch solcher ausländischen Mädchen und Frauen, die zur Zeit der Tat in ihrem Heimatland bereits als Prostituierte tätig sind, erfaßt und mit Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht.

- Insbesondere ausländische Frauen werden jetzt auch vor sexueller Ausbeutung außerhalb der Prostitution, namentlich vor "Heiratstourismus" und "Vermarktung" in Peep-Shows u. ä., besser geschützt (§ 180 b Abs. 1 Satz 2, § 181 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

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3. Zusätzliche Maßnahmen nach dem 26. StrÄndG

Am 22. September 1992 ist das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität - OrgKG - vom 15. Juli 1992 - BGB I S. 1302 - in Kraft getreten.

Dieses Gesetz ergänzt das 26. StrÄndG in zwei wichtigen Bereichen:

- Zum einen werden die mit dem OrgKG beschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung des Zeugenschutzes (§ 68 StPO) auch von Menschenhandel betroffenen Frauen zugute kommen, die als Zeuginnen für die Durchführung der Hauptverhandlungen wichtig sein können.

- Zum anderen sind die durch das OrgKG eingeführten neuen Rechtsinstitute der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls unter bestimmten Voraussetzungen (gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln) auch in den Fällen eines schweren Menschenhandels nach § 181 StGB anwendbar (§ 181 c StGB). Damit werden die rechtlichen Möglichkeiten zur Abschöpfung illegaler Gewinne aus Menschenhandel erheblich verbessert.

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4. Rückblick

Das 26. StrÄndG geht auf eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 1990 zurück (Bundesrats-Drucksache 567/90). Am 8. November 1991 beschloß der Bundesrat, den Gesetzentwurf in veränderter Fassung beim Deutschen Bundestag einzubringen (Bundestags-Drucksache 12/2046).

In ihrer Stellungnahme (Bundestags-Drucksache 12/2046 S. 7 f.) stimmte die Bundesregierung dem Gesetzentwurf nach Maßgabe bestimmter Änderungen und Ergänzungen zu. Bei der ersten Beratung am 20. Februar 1992 (Plenar-Protokoll 12/79) zeigte sich, daß über die strafrechtlichen Maßnahmen grundsätzliche Einigkeit herrschte, weitere - außerstrafrechtliche - Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der betroffenen Frauen jedoch noch geprüft werden müßten.

Am 11. März 1992 bat der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags die Bundesregierung um eine Formulierungshilfe zwecks Umsetzung der in der Stellungnahme vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen. Diese Formulierungshilfe wurde in einem Berichterstattergespräch am 30. April 1992 vollinhaltlich gebilligt. Die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (Bundestags-Drucksache 12/

2589) und der Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages vom 20.Mai 1992 sind mit der Formulierungshilfe identisch.

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5. Ausblick

Das 26. StrÄndG enthält die notwendigen strafrechtlichen Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes insbesondere ausländischer Mädchen und Frauen vor sexueller Ausbeutung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Strafrecht zwar einen wichtigen, keinesfalls aber den einzigen Aspekt eines umfassenden Konzepts von Maßnahmen gegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Heiratstourismus darstellt. Es ist kein Allheilmittel zur Lösung sämtlicher Probleme dieser vielschichtigen Materie. Das Strafrecht ist außerdem - so das Bundesverfassungsgericht - "die ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers" und muß sich daher hier auf strafwürdige Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung beschränken.

Die Bundesregierung begrüßt daher jede weitere Maßnahme, durch die der Schutz ausländischer Mädchen und Frauen vor sexueller Ausbeutung verbessert wird. Sie ist der Auffassung, daß sich die neugefaßten Strafvorschriften nur dann als effektiv erweisen werden, wenn es gelingt, die persönliche, wirtschaftliche und soziale Stellung der Frauen durch flankierende Maßnahmen in anderen Bereichen insgesamt zu verbessern.


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