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TEILDOKUMENT:
Dr. Ludgera Klemp und Pia Bungarten
Zum Internationalen Frauentag am 8. 3. 1993 diskutierten auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung Frau Dr. Lea Ackermann, Annabelle Gambe und Expertinnen und Experten aus Politik und Fachministerien über Strategien gegen Prostitutionstourismus und Frauenhandel. Hintergründe wurden aufgezeigt, die den organisierten Frauenhandel und Prostitutionstourismus ermöglichen. Zum ersten Mal am Internationalen Frauentag 1988 hatten parteiübergreifend 63 Parlamentarierinnen aller Fraktionen Frauenhandel in einer Großen Anfrage im Deutschen Bundestag thematisiert und als schweren Verstoß gegen die Menschenwürde und die Menschenrechte von Frauen bezeichnet. Die Forderung, die betroffenen Frauen durch straf- und gewerberechtliche Maßnahmen besser zu schützen, hat 1992 zu neuen Gesetzen geführt. Frauenhandel liegt nach der neuesten Definition des Gesetzgebers dann vor, wenn jemand "auf eine andere Person seines Vermögensvorteils wegen einwirkt, um sie in Kenntnis einer Zwangslage zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen". Ebenso strafbar macht sich laut Gesetz, wer "auf eine Person einwirkt, um sie in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen Handlungen zu bringen". Nach dieser Novellierung des Menschenhandelsparagraphen von 1992 muß für eine Strafverfolgung keine "gewerbsmäßige Anwerbung" mehr gegeben sein, es genügt das "Einwirken des Täters eines Vermögensvorteils wegen". Wer in vollem Bewußtsein der zu erwartenden Hilflosigkeit auf eine Frau einwirkt, macht sich strafbar, selbst wenn zum Zeitpunkt der Anwerbung die erst mit dem Auslandsaufenthalt einsetzende Hilflosigkeit noch nicht gegeben ist. Nach der Novellierung soll die Rechtsunsicherheit der Behörden bei der Beurteilung von Menschenhandelsdelikten abnehmen und die Möglichkeit effektiver Strafverfolgung steigen. Zwischen Prostitution und Menschenhandel besteht dabei ein enger Zusammenhang. Frauenhandel beginnt oft mit der unseriösen Heiratsvermittlung ausländischer Frauen. Dr. Lea Ackermann, Mitautorin der Studie "Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels mit ausländischen Mädchen und Frauen" beschreibt anhand zahlreicher Einzelschicksale, wie nach Deutschland vermittelte Frauen in sprachloser Abhängigkeit gehalten, sexuell mißhandelt und schließlich oftmals in die Prostitution getrieben werden. So wird aus dem Heiratshandel Menschenhandel. Was Frauen dazu veranlaßt, das hohe Risiko einer Heiratsvermittlung in ein fremdes Land auf sich zu nehmen, ist vielfach wirtschaftliche Not und Perspektivlosigkeit. Aus dem gleichen Grund steigen die Zahlen der Frauen in zahlreichen Ländern der Dritten Welt, die sich prostituieren. Oft haben sie als Mädchen die Schule verlassen, weil ihre Eltern die Schulgebühren nicht aufbringen konnten. In vielen Fällen sind sie von ihren Männern verlassen worden. So stellt sich die Frage, ob Frauen freiwillig Prostituierte werden, in den meisten Fällen als Scheinfrage heraus. Sie ignoriert die Tatsache, daß es unter Bedingungen extremer Armut, von denen Frauen in besonderem Maße betroffen sind, keine wirkliche Freiwilligkeit geben kann, weil der stumme Zwang der Armut Frauen in die Prostitution treibt. Die Problematik verschärft sich zur Zeit insbesondere durch die dramatisch ansteigende Kinderprostitution. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen geht von über 1 Mio. Kindern aus, die jährlich in die Prostitution gezwungen werden. Um dieses Problem zu mildern, wurden die deutschen Bestimmungen verschärft, so daß sich nun Freier von Kinderprostituierten in Deutschland selbst strafbar machen. Bei der Diskussion über die Ursachen der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern muß unbedingt die Machtbeziehung zwischen Nord und Süd, Mann und Frau, Erwachsenen und Kindern einbezogen werden. Diese Entwicklung wird durch die "reiche Welt" zumindest in zweifacher Hinsicht mitverursacht: Zum einen, weil Millionen von Männern der "reichen Welt" am Prostitutionstourismus partizipieren. Eine Pathologisierung dieser Männer macht wenig Sinn, da es in der Regel ganz normale Männer sind, die lediglich Gebrauch machen von ihren männlichen Privilegien und ganz normalen Institutionen unserer Gesellschaft, der Ehe, der Prostitution und des Tourismus. Zum anderen, weil Konkurrenz und Protektionismus auf den Weltmärkten, Schuldenlasten sowie der Zwang zur Devisenerwirtschaftung zu neuen Formen frauendiskriminierender Entwicklungsstrategien führen. Annabelle Gambe analysiert in ihrem Beitrag frauendiskriminierende Modernisierungs- und Entwicklungsstrategien und weist auf die strukturellen Bedingungen hin, unter denen es zur Internationalisierung der Prostitutions- und Heiratsmärkte kommt. Die Tourismusindustrie ist für zahlreiche Entwicklungsländer ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. In Kenia beispielsweise ist der Tourismus die wichtigste Devisenquelle noch vor dem Export von Tee und Kaffee. Jedoch entstehen qualifizierte Arbeitsplätze nicht in ausreichendem Maße. Tourismus wird als Entwicklungsstrategie betrachtet, wobei Frauen im harten internationalen Konkurrenzgeschäft eingesetzt werden. Wachsende Prostitutionsmärkte existieren u.a. auf den Philippinen, in Thailand, Kenia, Ghana, in der Dominikanischen Republik, in Brasilien, Polen und Rumänien. Die Problematik der Prostitution trifft also auf Frauen aus Entwicklungsländern in verschärftem Maße zu. Die Diskussion zeigt, daß sich kriminelle Netzwerke entwickeln, die Frauen und Kinder wie Rohstoffe handeln, aus der sogenannten Dritten Welt importieren oder vor Ort nutzen. Sie werden wie Menschen ohne Rechte behandelt. Ein weiteres Problem besteht darin, daß in Deutschland Heirats- und Partnervermittlungen nicht verpflichtet sind, ihre Gewerbe anzumelden. Sie sind anzeige-, aber nicht erlaubnispflichtig. Die Gewerbeordnungen von Bayern und Nordrhein-Westfalen sehen mittlerweile eine betriebliche Überprüfung und ein Nachschaurecht der Behörden vor. Doch die Dunkelziffer in diesem Bereich ist hoch: viele Heiratsvermittler haben ihre Geschäfte nicht angemeldet, sondern betreiben sie privat. Deutlich wird, daß ein hoher Beratungsbedarf bei den Berufsgruppen besteht, die mit dem Problem in Berührung kommen - angefangen bei den örtlichen Polizeibehörden über Richter bis hin zu den Mitarbeitern der Gewerbeämter. Sie haben oft Schwierigkeiten, das Problem tatsächlich wahrzunehmen und anzuerkennen. Noch werden die Probleme vielfach verharmlost und nicht als Verletzung der vom Grundgesetz garantierten Würde des Menschen betrachtet. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998 |