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[INTERNATIONALE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT]
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TEILDOKUMENT:




Amanda Romero Medina
Der sozialwirtschaftliche Rahmen der Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien




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Einleitung

Bei der Behandlung der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien stoßen wir auf zwei wesentliche Aspekte, die wir im Verlauf dieses Forums zu erörtern hoffen: zum einen auf die gegenwärtig in Kolumbien vorherrschende Situation, die einen Widerspruch zwischen dem formalen Bekenntnis zu den grundsätzlichen Rechten der Bevölkerung, einschließlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, und einer von Armut und der Ausgrenzung vieler Millionen Kolumbianer gekennzeichneten Wirklichkeit aufzeigt; zum anderen auf das Verhältnis zwischen den bürgerlichen und politischen Rechten einerseits - die in Kolumbien ein Muster schwerwiegender, systematischer und beständiger Verletzungen vorweisen - und dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext der Verletzung dieser Rechte anderseits.

Zu Beginn dieser Ausführungen werden wir versuchen, die beiden eingangs erwähnten Faktoren zu bestimmen. Hiermit wollen wir die Bedeutung hervorheben, die in der gegenwärtigen politischen Konjunktur Kolumbiens der Umsetzung der von Nichtregierungsorganisationen in Sachen Menschenrechte, von zahlreichen Instanzen der internationalen Gemeinschaft - Regierungen, Organisationen der Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsbewegung - unterbreiteten Vorschlägen zukommt. Diese Vorschläge beziehen sich auf konkrete Lösungen, die über die üblichen Versprechungen, die das kolumbianische Volk seit Jahrzehnten gewohnt ist, hinausreichen, und betonen die Dringlichkeit ihrer Umsetzung.

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Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte: tatsächlicher Fortschritt oder neuer Diskurs?

Bis 1991, dem Jahr der Inkraftsetzung der neuen politischen Verfassung Kolumbiens, war in der offiziellen Behandlung des Themas der Menschenrechte von der Wahrnehmung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durch die Bevölkerung keine unmittelbare Rede, obwohl das Land bereits 1969 dem Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte beigetreten war. Im gleichen Jahr unterzeichnete und ratifizierte Kolumbien ebenfalls den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie dessen Zusatzprotokoll.

Von den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten war nicht nur keine unmittelbare Rede, sondern es wurden darüber hinaus die Chancen, den Lebensstandard der Randgruppen der Bevölkerung zu verbessern, von den verschiedenen Regierungen zunehmend vernachlässigt. Dieses war paradoxerweise in einer Zeit des Wachstums der Wirtschaftsindikatoren, nämlich der Produktivität und der Expansion der nationalen und internationalen Märkte der Fall. Die Wirtschaft Kolumbiens war zu jener Zeit eine der stabilsten des Kontinents:

Kolumbien ist das einzige Land Lateinamerikas, das in den achtziger Jahren ein beständiges Wirtschaftswachstum vorweisen konnte. Im Index über menschliche Entwicklung des UNDP liegt es unter 173 Ländern auf Platz 61, mit einem Bruttosozialprodukt pro Kopf in Höhe von US$ 1.260 und außerordentlich hohen Alphabetisierungsraten.

In der Verfassung von 1991 ist die staatliche Verpflichtung hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte verankert. 85 der 380 Verfassungsartikel beziehen sich auf die Menschenrechte und räumen gleichzeitig den entsprechenden internationalen Instrumenten Vorrang vor den nationalen Rechtsbestimmungen ein. In Titel II der Verfassung behandeln fünf Kapitel diese Rechte und zwar die grundsätzlichen Rechte in Kapitel I, die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte in Kapitel II, die kollektiven Rechte und jene bezüglich der Umwelt in Kapitel III, den Schutz und die Umsetzung dieser Rechte in Kapitel IV, und schließlich die Verantwortung und Pflicht sowohl des Staates wie auch der Bürger hinsichtlich der Geltung und Wahrung dieser Rechte in Kapitel V.

Trotz diesem unverkennbaren Fortschritt ist die tatsächliche Situation im Bereich der Menschenrechte weiterhin kritisch. Obwohl Kolumbien reich an natürlichen Ressourcen, seine Geographie vielseitig und seine Bevölkerung für ihre Tüchtigkeit und ihren Fleiß bekannt ist, nahmen Armut und Elend in den letzten Jahren besonders rasch zu.

Von Tag zu Tag wächst in Kolumbien die Zahl der Armuts- und Elendsopfer. Zwischen 1990 und 1992 stieg der Prozentsatz der Bevölkerung, deren Einkommen für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse unzureichend ist, von 42% auf 47%. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu Gesundheits- und Sozialleistungen ... Der Staat darf die Befriedigung der Grundbedürfnisse nicht den Gesetzen des Marktes überlassen.

Die staatlichen Behörden, beauftragt mit der Analyse und der Suche nach Wegen zur Überwindung des sozialen Problems, welches entstanden ist infolge der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen ein Großteil der kolumbianischen Bevölkerung lebt, zeichnen jedoch ein anderes Bild auf:

Das Ausmaß der Armut, gemessen an den nicht befriedigten Grundbedürfnissen, weist eine beständig rückläufige Tendenz auf, deren Tempo von den Auswirkungen einiger Sozialmaßnahmen und -programme beeinflußt wurde ... Der nationale Index über menschliche Entwicklung spiegelt den Rückgang der Armutsraten in den letzten 20 Jahren, ermittelt auf der Grundlage der nicht befriedigten Grundbedürfnisse, wider. Während 1973 die Grundbedürfnisse von über 70% der Bevölkerung noch weitestgehend unbefriedigt blieben ..., konnte dieser Prozentsatz bis 1993 mit 32% mehr als halbiert werden.

Die relative Schwäche der Analyse, die sich auf bestimmte von den Vereinten Nationen und multilateralen Finanzinstitutionen - wie die Weltbank - berücksichtigten Indikatoren beschränkt, schmälert indessen nicht die Bedeutung der Tatsache, daß wir der Armut als einem Phänomen begegnen müssen, von dem über elf Millionen Bürger betroffen sind. Ihre Überwindung weicht jedoch nicht von neoliberalen und sozialdemokratischen Wirtschaftspolitiken ab, beruhend auf Prämissen wie z.B. die offenkundige Produktivität der Arbeit, die notwendige Rentabilität von Investitionen und das Privateigentum, als Grundlage der Wirtschaftsordnung und ihrer Effektivität.

In dem Maße, wie die Armut aufhörte, den Strategien über Kapitalakkumulation durch Ausbeutung billiger Arbeitskräfte dienlich zu sein und die Armen sich zu einer Gefahr für die politische Fortführung des Systems, für die soziale Integration und für die Bewahrung der Umwelt entwickeln sowie das Elend zu großen Migrationsbewegungen von den bedürftigen zu den reichen Ländern hin führen könnte, beschränkte sich die Sozialpolitik auf Hilfsprogramme zu ihrer Bekämpfung.

Doch haben die Machthaber Kolumbiens schon immer eine Haltung der Verneinung der strukturellen Armutsursachen eingenommen. Somit erwiesen sich die verschiedenen Regierungen des Landes als unfähig, den Lebensstandard der Bevölkerung konkret zu verbessern.

Die herrschenden Klassen haben ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen durchgesetzt und stets jegliche Möglichkeit der Einkommensumverteilung sowie die Durchführung einer von sozialer Gerechtigkeit geprägten Politik verhindert. Geringfügige Schwankungen der Wirtschaftswachstumsraten in den achtziger Jahren wurden für den Fortbestand der Armut, von der abertausende Kolumbianer betroffen sind, verantwortlich gemacht. Der Berater der Obersten Rechnungsprüfungsbehörde der Republik, Herr Libardo Sarmiento Anzola, stellt in einer von ihm verfaßten Studie fest:

Die Einkommensverteilung hat keine Veränderung erfahren, die einen wesentlichen Rückgang der Armut bewirkt hätte. Zwischen 1978 und 1992 ist die Einkommensstufung praktisch unverändert geblieben.

Trotzdem wird weiterhin behauptet, daß das Wirtschaftswachstum sehr wohl die Bekämpfung der Armut zum Ziel hatte. Dies, obwohl die Auswirkungen der Einführung des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells, beruhend auf den "Strukturanpassungsprogrammen", unübersehbar sind.

Im Dritten Ordentlichen Bericht der Regierung Kolumbiens an den Ausschuß des Pakts über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte finden wir mannigfache Beispiele für die Verschleierung einer grausamen Wirklichkeit und die Darstellung Kolumbiens als einen Staat, der alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Grundbedürfnisse seiner Bevölkerung zu befriedigen. So auch an der Stelle, wo von den wirtschaftspolitischen Zielen der letzten vier Jahre die Rede ist:

In der ersten Hälfte der neunziger Jahre wird die Aufmerksamkeit der Wirtschaftspolitik hauptsächlich der Konsolidierung und Steigerung des stetigen Wachstums des vorigen Jahrzehnts gelten, um auf diese Weise auf eine Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung hinzuwirken.

Ohne die wesentlichen Aspekte anzusprechen, wie die Einführung von Sozialreformen zur Behebung der akuten Mißstände, unter denen die Bevölkerung zu leiden hat, wird in diesem Bericht weiterhin ausgeführt:

Die Sozialpolitik wurde als eine langfristige Strategie angelegt, um die Armut zu bekämpfen und das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen.

Dieses Ziel vor Augen, nahm sich die Regierung Gaviria - die dem Finanzkapital stets Vorrang einräumte - eine Modernisierung des Staates vor. Vorgesehen war auch eine größere Effizienz und Bündelung der Sozialausgaben, die verstärkt den bedürftigsten Bevölkerungsgruppen zugutekommen sollten. In diesem Sinne entwarf das nationale Planungsamt einen Ausgabenschlüssel, der Aufwendungen und Investitionen in folgenden Bereichen vorsah: Erziehung, Kultur, Sport und Freizeitgestaltung, Gesundheitswesen und Ernährung, Sozialsicherheit, Wasserversorgung und Grundsanierung sowie Wohnungsbau.

Trotzdem kam es zu keiner Konkretisierung der "langfristigen Ziele". Auch die Modalität der Bestimmung der verschiedenen Bevölkerungsklassen, um die Gruppe der "Ärmsten und Bedürftigsten" im Rahmen des Nationalen Rehabilitierungsplanes und des Solidaritäts- und Sozialnotfonds einzuordnen, ließ doch viele Fragen offen, da letztendlich die Zielgruppe des Sozialplans - wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern - die vom Elend heimgesuchte Bevölkerung war. So wurden die für die unteren und mittleren Einkommensklassen vorgesehenen Initiativen nicht umgesetzt:

Im Bereich des Arbeitsrechts und der Einkommensverteilung besteht noch der größte Klärungs- und Handlungsbedarf. Aufgrund des Ausmaßes und der Beständigkeit der Armut infolge unzureichender Einkünfte wie auch wegen der mangelnden Qualität der Arbeitsplätze gewinnt die Gewährleistung dieser Rechte zunehmend an Bedeutung. In diesem Kontext wird die Notwendigkeit einer Harmonisierung zwischen den Wirtschaftswachstumspolitiken und der Suche nach größerer Gerechtigkeit wie auch ein Regulierungsbedarf deutlich. Ebenso ist eine direkte Intervention erforderlich, um Arbeitsplätze und Einkommen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse sicherzustellen.

Bessere Garantien gibt es im Bereich der sozialen Rechte, welche die öffentlichen Leistungsträger betreffen. Wenngleich auf diesem Gebiet noch vieles zu tun ist, müssen bei der Suche nach ihrer Allgemeingültigkeit die 'Fokussierungsmechanismen' weiterentwickelt werden, um vorrangig die Bedürftigsten zu erreichen.

Anderseits bezogen sich die institutionellen Reformen auf die Dezentralisierung der Verwaltung. Dabei wurde jedoch deutlich, daß die zentrale Vergabe und Verwaltung der Mittel weiterhin das Haupthindernis für die Durchführung der Sozialausgabenprogramme auf Lokal- und Regionalebene sind.

Gemäß dem Vorsatz, den gravierendsten Auswirkungen der neoliberalen Politik entgegenzuwirken, entwarf die gegenwärtige Regierung einen Entwicklungsplan, bekannt unter dem Namen "Salto Social" (sozialer Sprung), der den Anspruch erhebt, ein "alternatives Entwicklungsmodell" darzustellen. Wie Präsident Samper kürzlich auf dem Sozialgipfel in Kopenhagen feststellte, muß der Ansatz der Sozialpolitik im Rahmen der Entwicklungspläne die Kontrolle der "Wildwüchse des Kapitalismus" sein.

Unabhängige Experten meinen jedoch, daß es einer Kohäsion des Konzepts "Sektorpolitiken" bedarf, im Sinne von Maßnahmen zur Stärkung des Industrie- und Agrarkapitals zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten. Die Vorschläge zur Mitwirkung der Bevölkerung zwecks Legitimierung der Politik der Regierung erfolgen durch zwei Kanäle: dem "Pacto Social" (Sozialpakt) und der "Red de Solidaridad Social" (Netz der sozialen Solidarität).

Angestrebt wird die Neutralisierung der negativen Auswirkungen des Neoliberalismus von Gaviria, die zwar als Faktoren "technischer" Natur bezeichnet wurden, im Grunde aber autoritäre Haltungen widerspiegelten.

Der Plan des Salto Social muß auf jeden Fall die Auswirkungen der Politik der vorhergehenden Regierung bekämpfen, deren Überwindungsmöglichkeiten nicht im direkten Widerspruch mit einigen ihrer schwerwiegendsten Problemen zu stehen scheinen, nämlich: die Auslandsverschuldung, die neue fiskalische Maßnahmen erfordert, Maßnahmen die üblicherweise am härtesten die breite Masse der Bevölkerung treffen; die Öffnung der Märkte, die zum Beispiel in Erfüllung der Forderungen des ausländischen Kapitals zu einer Aufstockung des Verteidigungshaushaltes führte, wie es bei den Ölvorkommen von Casanare der Fall war, und die Kontrolle der Kriminalität und Korruption, die auf eine effiziente Reform des Justizapparates hinausläuft. Diese sind unter anderen einige der zentralen Probleme, denen sich die gegenwärtige Regierung stellen muß.

Doch gewisse Entwicklungen - darunter die "Verweiblichung der Armut", d.h. die wachsende Zahl von Frauen, die unter immens schweren Bedingungen zu leben haben, wie z.B. im Fall der weiblichen Arbeitskräfte in der Blumenzucht (Kolumbien ist der zweitgrößte Blumenlieferant für Europa), und die Verarmung auf dem Land, insbesondere der Landarbeiter, abhängig von den Schwankungen auf den internationalen Märkten und benachteiligt durch den Vorzug, den die Regierung jenen gewährt - führen dazu, daß die tatsächlichen Perspektiven auf eine Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung, also die Nutznießung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, in unmittelbarer Zukunft weiterhin ungünstig sind.

Derweil dürfen wir die in Kolumbien geschaffenen Möglichkeiten der Mitwirkung der Bevölkerung nicht mit der tatsächlichen Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Kolumbianer verwechseln. Diese Möglichkeiten stellen einen wahrlich bemerkenswerten Fortschritt dar, doch haben sie nicht zur Überwindung der Ursachen der Armut geführt. Und es sind diese Ursachen, die von jeher in Kolumbien als Argument herhalten mußten, um jeglichen sozialen Protest zu disqualifizieren und zu unterbinden, wie es auf den nächsten Seiten aufgezeigt werden soll.

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Der sozioökonomische Rahmen bei der Verletzung der bürgerlichen und politischen Rechte

Die Verletzung der bürgerlichen und politischen Rechte ist in Kolumbien eng an zwei Faktoren geknüpft:

1. Die Dominanz von mächtigen, vorrangig mit dem Besitz von Grund und Boden verbundenen wirtschaftlichen Interessen; die Expansion der Landwirtschaft und die Durchführung umfangreicher wirtschaftlicher Entwicklungsprojekte.

2. Die Entstehung und Stärkung von Organisationen innerhalb der Gesellschaft, die allein die Durchsetzung ihrer Interessen verfolgen. Diese Organisationen entziehen sich der Kontrolle der herkömmlichen politischen Strukturen und stehen außerhalb ihres Einflusses.

Wie wir in den folgenden Ausführungen zeigen werden, haben diese beiden Faktoren in der Vergangenheit zusammengewirkt und zur vollständigen Verarmung und Besitzlosigkeit der Kleinbauern, Ureinwohner und Arbeiter und zur Zerstörung des Sozialgefüges geführt. Die hierdurch entstandenen Antagonismen hatten die Aussiedlung von ganzen Gemeinden zur Folge.

Bereits zur sogenannten "época de la violencia" (Zeit der Gewalt), nämlich die Jahre des Zweiparteienkrieges, als es den Vorwand der linken Guerrilla noch nicht gab, kam es zu unzähligen Verletzungen der Menschenrechte. Ihren grausamsten Ausdruck in Form von Massenmorden, Folterungen und Ausrottungskampagnen fanden sie in der Zeit zwischen 1946 und 1957.

Damals führte die Polizei die heute unter dem Namen "paramilitärische Gruppen" bekannten Repressionseinheiten ein. Wie unzählige Studien über jene Zeit beweisen , wurden die Kleinbauern durch die Verbreitung von Angst und Terror zum Verlassen ihres Landes gezwungen, das umgehend in den Besitz von landgierigen Investoren gelangte.

Die Geschäfte der damaligen auf Regional- und Lokalebene Reichen und Mächtigen überstanden jene Zeit ohne Einbußen zu erleiden. Vielmehr konnten diese Gruppen ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluß stärken. Die Grundlagen einer auf den Export eines einzigen Produktes orientierten Wirtschaft, dem Kaffee, gehen auf jene Jahre zurück. Die Zahl der in der Zeit zwischen 1946 und 1966 gewaltsam zu Tode gekommenen wird auf 200.000 geschätzt. Die Opfer waren hauptsächlich Kleinst- und Kleinbauern.

Nach der kurzen Regierungszeit der Junta (1957-1958), die ihrerseits das Vermächtnis der Diktatur von Rojas Pinilla antrat (1953-1957), leitete die Regierung der Nationalen Front (1959-1974) eine "Pazifizierungsaktion" ein. Unter anderen Maßnahmen sah diese Aktion im Rahmen des "Plan Lasso" die Bombardierung der sogenannten "unabhängigen Republiken" vor, gelegen hauptsächlich in den Bergen der Bezirke Tolima und Cundinamarca, in denen liberale Guerrillakämpfer und Kommunisten Zuflucht gesucht hatten. Diese Militäraktionen (Vorläufer ähnlicher Unternehmungen, die auch heute noch durchgeführt werden, so z.B. im Bezirk Meta) machten auch nicht vor Folteranwendung und Mord, auch Massenmord, halt.

Die vom Land flüchtende Bevölkerung suchte Schutz in den Städten und ließ sich dort in Elendssiedlungen in den Randbezirken nieder, weit entfernt von jeglichen öffentlichen Dienstleistungen. Die demographischen Auswirkungen dieser gewaltsamen Enteignung der Landbevölkerung und die dadurch bedingte Landflucht nahm im Vergleich zur Entwicklung der städtischen Bevölkerung anderer lateinamerikanischer Länder dramatische Ausmaße an. Innerhalb von dreißig Jahren vollzog sich eine Umkehr des Verhältnisses zwischen Stadt- und Landbevölkerung: während 1950 noch 70% der Bevölkerung auf dem Land lebte, liegt dieser Anteil gegenwärtig bei 30%.

In den sechziger und siebziger Jahren nahm die Kampfintensität auf dem Land zu, insbesondere in der Gegend um die Atlantikküste. Der Konflikt zwischen den Interessen der Agrarindustrie und ihr Streben nach Modernisierung einerseits und den Bedürfnissen der besitzlosen Bauern anderseits führte zu zahlreichen Auseinandersetzungen, die gewaltsam unter dem Vorwand unterdrückt wurden, von der linken Guerrilla angefacht und unterstützt zu werden:

Ende der siebziger Jahre drückte sich der Sozialkonflikt auf dem Land durch unzählige Besetzungen brachliegender Ländereien aus. Diese Entwicklung erreichte 1971 mit 647 Besetzungen ihren Höhepunkt und setzte sich, wenn auch mit nachlassender Intensität, bis 1978 fort. Um der starken Organisation der Bauern entgegenzuwirken, vereinten sich Großgrundbesitzer, Agrarunternehmer und Regionalpolitiker in der Anstrengung von Gerichtsverfahren zu ihren Gunsten, Räumungen durch die öffentlichen Ordnungskräfte und die Ausdehnung ihrer Einflußsphäre auf institutioneller Ebene. So kam es 1972, im sogenannten 'Pacto de Chicoral' ... zur Agrargegenreform ...

Doch die Anwendung von menschenrechtsverletzenden Methoden beschränkte sich nicht nur auf den Konflikt um Land und Boden. Auch im Rahmen der Kämpfe der Arbeiterschaft, insbesondere der Staatsarbeiter und unter diesen hauptsächlich der Ölarbeiter, die ebenfalls in den siebziger Jahren ausgefochten wurden, kam es zur Einsetzung von Militärgerichten, die in gegenüber Arbeiterführern angestrengten Gerichtsverfahren zu befinden hatten. Die Anklage lautete stets auf Zugehörigkeit zur Guerrillabewegung, doch warf man ihnen tatsächlich den Aufruf und die Durchführung großer Streikaktionen vor. Jenes Jahrzehnt zeichnete sich somit durch massive Folterungen und das Zusammenpferchen von hunderten von Bauern, Arbeitern und Volksführern in Zivilgefängnissen aus.

Die sich im politischen Leben Kolumbiens herausbildenden krassen Sozialunterschiede fanden jedoch Ausdrucksmöglichkeiten in den Basisorganisationen, die im Laufe der siebziger Jahre in den kolumbianischen Städten entstanden. Diese hauptsächlich in den Armenvierteln großer und mittelgroßer Städte und kleinerer Ortschaften aktiven Organisationen setzten im Kampf um die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung gegenüber den Behörden alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ein. Ihre wichtigsten Ziele bezogen sich auf die Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, Gesundheitsfürsorge, Transportwege und -mittel sowie Erziehung.

Nach vielen gescheiterten Versuchen, die Bürokratie und den mangelnden politischen Willen von Kleinfürsten und herkömmlichen Politikern zu überwinden, kam es zu friedlichen Protestmärschen, auf die der Staat mit der Entsendung von Polizeieinheiten reagierte. Die von zahlreichen Bürgergruppen unterzeichneten "Actas de Compromiso" (Verpflichtungsprotokolle) wurden bereits nach wenigen Monaten und Jahren nicht mehr eingehalten. Daher riefen die Bürgerbewegungen, wie diese städtischen Gruppen genannt wurden, im Jahr 1977 zu einem landesweiten Streik auf, der aufgrund der gewalttätigen Form, mit der die Regierung López Michelsen ihn zu ersticken versuchte, zu einem Markstein im Kampf der Bevölkerung gegen die sozialen Mißstände wurde. Das 1978 erlassene "Sicherheitsstatut" und die Ausrufung des Belagerungszustandes - um der "Bedrohung" einer allgemeinen Arbeitsniederlegung der Ärzte der Sozialversicherung zu begegnen - gingen, unter anderem, mit einer starken Militärpräsenz auf öffentlichen Wegen und Plätzen, vorsätzlichen Morden, Folterungen und willkürlichen Verhaftungen einher.

Die Aufstandsabwehraktionen der Regierung Turbay Ayala zu Beginn der achtziger Jahre führten zur Kriminalisierung jeglicher als "subversiv" eingestuften Aktivität. Im Schutz des Belagerungszustandes (der fast 40 Jahre lang ununterbrochen bestand) systematisierte und institutionalisierte die Militärgerichtsbarkeit unter dem Vorwand der Verfolgung und Verurteilung angeblicher Guerrillamitglieder die physische und psychische Folter, unter der im Zeitraum 1980-1982 ca. 10.000 Menschen zu leiden hatten. Gewerkschafts- und Bauernführer, Vertreter von Bürgergruppen und der Ureinwohner wie auch bedeutende Mitglieder der Oppositionsparteien waren Opfer einer undiskriminierten Verfolgung, der sich auch Intellektuelle und Künstler nicht entziehen konnten.

In diesen Jahren entstanden und etablierten sich indessen Formen der Kapitalkonzentration mit eindeutigen Verbindungen zum Drogenhandel. Hierbei spielten auch die Interessen der wirtschaftlichen und politischen Eliten eine entscheidende Rolle. Auf diese Weise kam es z.B. in Bezirken wie Córdoba und Sucre, an der Atlantikküste, und in der Region des Mittellaufs des Magdalena zu umfangreichen Investitionen von Geldern aus dem Drogenhandel (Marihuana und Kokain). Laut Schätzungen wurden mit ca. 5,5 Milliarden US$ hervorragende Ländereien für Viehzuchtzwecke erworben.

Das Landmonopol, der rapide Kapitalzuwachs und die schnelle Entwicklung der einheimischen Industrie waren jedoch nicht nur die Folge der aus dem Drogenhandel stammenden Gelder und des Strebens der traditionellen Wirtschaftseliten nach Expansion. Beigetragen haben auch autoritäre Methoden zur Unterbindung des sozialen Protests der Bürger- und Ureinwohnerbewegungen und der politischen Opposition. Insofern fand die Politik der sogenannten "nationalen Sicherheit" - so wie in anderen Ländern Lateinamerikas - auch in Kolumbien ihren Ausdruck.

In den achtziger Jahren entwickelte sich der mittlerweile als "schmutziger Krieg" bekannte Repressionskampf. Von dem Gedanken geleitet, "dem Fisch das Wasser zu entziehen", wurde auf der Suche nach dem angeblichen "inneren Feind" jegliche legale Organisation durchkämmt, deren ideologisches Fundament, politische Praktiken oder sonstige Aktionen eine - tatsächliche oder angebliche - Bedrohung für das Establishment darstellen könnten.

Diese Zeit ist nicht zuletzt deshalb geschichtlich bedeutungsvoll, weil die Streitkräfte - wie bereits schon einmal in diesem Jahrhundert - das Entstehen neuer paramilitärischer Gruppen förderten und ihrem Agieren keine Grenzen setzten. Ihr Vorgehen erhält diesmal eine besondere Dimension, da die Arbeiterschaft, auf den Straßen um ihre Grundrechte kämpfend, direkte Zielscheibe dieser Todesschwadrone war.

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Die Situation der Ureinwohner

Fast ein Jahr nach dem tragischen Erdbeben, das mehrere Siedlungen der Paece-Indianer im südlichen Cauca zerstörte, gibt es noch keine Anzeichen von Hilfsmaßnahmen seitens der Regierung, sei es wegen völlig unzureichender Koordinierung, oder aber auch, weil sie schlichtweg nicht zustande kamen. Die ökologischen Auswirkungen des Baus des gewaltigen Wasserkraftwerks Urra I, im Bezirk Córdoba, würden in Form der vorhersehbaren Zerstörung des Sinúbeckens 24.000 Angehörigen des Embora-Katío-Volkes und 16.000 Angehörigen des Zenú-Stammes großen Schaden zufügen. Es ist zu hoffen, daß es nicht zu einer Baugenehmigung kommt. Auch die in der Sierra Nevada von Santa Marta und neuerdings auch die in den Bezirken Guaviare und Caquetá seßhaften Volksstämme sind den Gefahren von Pestizideinsätzen aus der Luft, zur Bekämpfung des Koka- und Mohnanbaus, ausgesetzt.

Anderseits werden die Ureinwohner in jenen Gegenden, die traditionell unter der Vorherrschaft von Großgrundbesitzern standen, wie Cauca und Tolima, immer wieder Opfer von Massakern, deren Ursprung weiterhin der Kampf um die Bodenrechte ist. Allein zwischen 1990 und 1994 wurden 114 Morde an Ureinwohnern gemeldet, 87 Opfer von Massakern und 33 Fälle von Folterungen. Trotz einer inzwischen bedeutenden politischen Mitbestimmung der Ureinwohner, auch innerhalb der Legislative, werden sie, sofern sie nicht der Verwahrlosung und Ausgrenzung zum Opfer fallen, weiterhin ausgemerzt.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt

Sowohl die Stadt- wie auch die Landarbeiter haben unter der Verletzung ihrer Arbeitsrechte zu leiden, vor allem jedoch ihrer Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Leben. Seit Mitte der Amtszeit der vorherigen Regierung untersteht die Gewerkschaftsarbeit aufgrund der Normen über die "öffentliche Ordnung" einer sehr straffen Kontrolle. Somit werden immer wieder Streiks, mit denen die Arbeitnehmer ihren Forderungen Nachdruck verleihen wollen, für illegal erklärt.

In einigen extremen Fällen kam es sogar zur Kriminalisierung des Gewerkschaftsprotests, da ihre Anführer unter dem Vorwurf politischer Vergehen oder gar terroristischer Aktivitäten der Bezirksjustiz überstellt wurden. Hiervon betroffen waren 1993-94 die Arbeiter im Fernmeldewesen und, in der jetzigen Zeit, im Erdölsektor, von denen einige zu den gegenwärtig 1.500 politischen Gefangenen Kolumbiens zählen.

Darüber hinaus sind Gewerkschaftsführer bis heute Opfer einer Vernichtungskampagne durch paramilitärische Gruppen, die gerade in Zeiten der Verhandlung von Forderungskatalogen sie unter der Beschuldigung, Sympathisanten der Guerrilla zu sein, tätlich angreifen. Ein kürzlich erschienener Bericht stellt fest, daß Gewerkschaftsführer von paramilitärischen Vernichtungskommandos sehr hart gestraft wurden. Nach Auskunft der Central Unitaria de Trabajadores (CUT - Einheitsgewerkschaft der Arbeiter) wurden zwischen Januar und Mitte Oktober 1994 in Kolumbien 123 Gewerkschafter umgebracht, die Mehrheit davon durch paramilitärische Gruppen. Weiterhin berichtet die CUT, daß von den 1542 Fällen von ermordeten Gewerkschaftern seit Gründung dieser Organisation im Jahr 1986, bisher kein einziger mit der Verbüßung der Strafe durch die Verantwortlichen abgeschlossen werden konnte.

Als Ergebnis der Unnachgiebigkeit der Arbeitgeber, die in den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre besonders ausgeprägt war, kamen auf den Bananenplantagen (die 80% der Exportbananen liefern) etwa 500 Landarbeiter ums Leben. 1994 meldete die Gewerkschaft der Agrarindustriearbeiter, die wichtigste in dieser Region, den Tod von fünf Aktivisten. Verantwortlich hierfür waren erneut paramilitärische Gruppen und Stadtmilizen.

Doch nicht nur die Industrie- und Landarbeiter sind wegen ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit und politischen Aktivitäten Opfer gewalttätiger Übergriffe. Auch andere Berufsgruppen, wie Lehrer und Angestellte im Justizbereich, sind aufgrund der unabhängigen Ausübung ihrer Berufe Drohungen und Überfällen bis hin zum Mord ausgesetzt. Der Kontext dieser Entwicklung, nämlich bewaffnete interne Konflikte und hohe Korruptionswerte, ist bereits äußerst brisant: "In den letzten fünf Jahren wurden 157 Lehrer ermordet ... Weitaus schlimmer ist jedoch die Situation der Justizangestellten, von denen 1500 von paramilitärischen Gruppen und Drogenhändlern umgebracht wurden."

Auch die Arbeiter der Zementindustrie - wobei vermerkt sei, daß die Bauindustrie hohe Wachstumsraten vorweisen kann - sind Zielscheibe einer Gewaltkampagne. So wurden zwischen 1987 und 1990 während der Verhandlungen über ein Forderungskatalog der Zementarbeitergewerkschaft Nare, in Puerto Nare (Mittellauf des Magdalena, Antioquia), drei Vorsitzende und mehrere Mitglieder des Gewerkschaftsvorstandes sowohl von Unternehmern nahestehenden paramilitärischen Truppen wie von den Streitkräften umgebracht. Weitere bedeutende Führer dieser Arbeitervereinigung fanden in den folgenden Jahren in Bogotá und Medellín den Tod.

Die Morddrohungen gegen hunderte von Gewerkschaftern führten zu einer steten Zunahme der innerhalb des Landes vertriebenen Personen (laut Berichten der katholischen Kirche liegt die Zahl bereits bei 600.000). Allein in der Stadt Barrancabermeja sollen "35 Gewerkschaftsmitglieder aufgrund der Beschuldigung, subversiven Organisationen anzugehören, zum Verlassen der Gegend genötigt worden sein. Das Heer, die Polizei und die paramilitärischen Gruppen sind verantwortlich für diese Übergriffe und Anschuldigungen ... 35 Erdölarbeiter mußten die Gegend um Barranca verlassen und weitere 46 die angrenzenden Bezirke. 125 flohen für immer aus der Region, nachdem sie Opfer von Verfolgungen und Drohungen wurden."

All dieses und auch andere Faktoren haben die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) und besonders den Ausschuß für Gewerkschaftsfreiheit veranlaßt, Kolumbien wiederholt aufzufordern, konkrete und effektive Maßnahmen zum Schutz der Rechte der kolumbianischen Arbeiter zu ergreifen. Die Zahl der ermordeten, gefolterten, verschwundenen, verhafteten und bedrohten Gewerkschafter in Kolumbien ist zur Zeit die höchste der Welt. Hieraus wird die Schlußfolgerung gezogen, daß Kolumbien das gegenwärtig gefährlichste Land für die Ausübung der gewerkschaftlichen Rechte ist, jener Rechte, die sich aus den von Kolumbien unterzeichneten und ratifizierten Abkommen der IAO ergeben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 8.1. 1998

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