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TEILDOKUMENT:
Pia Bungarten / Elmar Römpczyk
Seminar-Ergebnisse Die Tagung begann mit einer Analyse der Ursachen und Zusammenhänge von Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien und ihren sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen und konzentrierte sich auf die Suche nach Lösungsansätzen. Die kolumbianischen Regierungsvertreter, deutsche Abgeordnete, kolumbianische und deutsche Menschenrechtsexperten sowie Repräsentanten kirchlicher Hilfsorganisationen und des DGB waren sich einem zentralem Punkt einig: Die kolumbianische Situation aus Gewalt und schwerster Menschenrechtsverletzungen läßt sich nicht überwinden, so lange das Kernproblem der fast vollständigen Straflosigkeit (spanisch: Impunidad) besteht. Nur in maximal 5% der Fälle kommt es zur Strafverfolgung. Aus Sicht der Experten und Seminarteilnehmer sind folgende Schritte zur Lösung der Situation in Kolumbien unabdingbar: * Überwindung der 'Impunidad' (Amnestie, Straffreiheit) * Stärkung der unabhänigen Justiz in Kolumbien * Aufbau und Stärkung der zivilen Gesellschaft.
Beeinträchtigung der sozialen, ökonomischen und kulturellen Menschenrechte in Kolumbien
Angesichts der hohen Rate von Gewalttaten erhalten die sozialen und wirtschaftlichen Probleme oft zu wenig Beachtung. Kolumbien hat wichtige wirtschaftspolitische Erfolge vorzuweisen (z.B. wirtschaftliche Entwicklung mit stetigem Wachstum seit den 80er Jahren ohne Hyperinflation). Aber wirtschaftliche Umstrukturierung hat Arbeitslosigkeit gebracht; auch wer arbeitet, verdient oft nicht mehr als den Mindestlohn. Die vermehrte Kriminalität wird in engem Zusammenhang mit der neuen Armut gesehen. Soziale Proteste werden nach wie vor sanktioniert und kriminalisiert. Bitterster Beleg dafür ist die Zahl von weit über 1.500 seit dem Jahr 1986 ermorderter Gewerkschafter und der zurückgehende Organisationsgrad. Der Anteil der in absoluter Armut lebenden Bevölkerung ist nach Angaben der kolumbianischen Bischofskonferenz innerhalb von zwei Jahren (1990-1992) von 42% auf 47% angestiegen. Gleichzeitig muß die Feminisierung der Armut in Kolumbien abgebaut werden. Eine besondere Problemgruppe sind die rund 600.000 internen Flüchtlinge (d.h. durch Gewalt auf dem Lande von ihren ursprünglichen Wohngebieten Vertriebene). Zwischen 70% und 80% von ihnen sind Frauen und Kinder. Nur etwa 6.000 dieser Flüchtlinge haben bisher irgendeine Form von Unterstützung erhalten. Nach wie vor besteht das Problem einer extrem ungerechten Landverteilung in Kolumbien, die als eine der Ursachen der Gewalt angesehen wird. So besitzen immer noch 0,3% der Kolumbianer 60% des bebauten Landes, aber 60% von ihnen nur 4% des Landes. Die indigene Bevölkerung ist einer besonderen Bedrohung ausgesetzt (ablesbar auch hier an der hohen Mordrate an indigenen Führungspersönlichkeiten).
Bemühungen der Regierung Samper
In Kolumbien hat zu Beginn der 90er Jahre eine demokratische Öffnung mit bemerkenswerten Folgen stattgefunden. Menschenrechtsanliegen werden von der Regierung mittlerweile ernst genommen, die Regierung bemüht sich um die Stärkung der Justiz und um die Verbesserung der Rechtssicherheit. Die neue kolumbianische Verfassung von 1991 brachte erheblich verbesserte Arbeitsbedingungen für die Justiz (größere Unabhängigkeit der Richter, angemessenere Besoldung, Schaffung einer Generalstaatsanwaltschaft mit nachgeordneten Staatsanwaltschaften). Angesichts der Entwicklungen und der Kooperationbereitschaft wäre es falsch und politisch gefährlich, die kolumbianische Regierung permanent auf die Anklagebank zu setzen. Denn es gibt auch einige beachtenswerte positive Entwicklungen: * Die gestiegene Entschlossenheit, das Übel der Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen, ablesbar z.B. an der staatlichen Unterstützung bei der Aufklärung des Massakers von Trujillo, * die Einrichtung eines Menschenrechtssekretariats beim Verteidigungsministerium, * die Arbeit der Justizreform-Kommission.
Fortbestehende Probleme
Trotz der Reformen bestehen erhebliche strukturelle Mängel im kolumbianischen Justizwesen fort. Schlechte materielle Ausstattung, ein unzureichender Unterbau und insbesondere die weitreichende Kompetenz der Militärgerichtsbarkeit, die sich der demokratischen Kontrolle entzieht, sind zusammen mit dem Fortbestehen einer regionalen Sondergerichtsbarkeit (= geheime Gerichte) die schwerwiegendsten Mängel. Noch immer verweigert die Regierung zu oft die Verantwortlichkeit, der politische Wille zur Veränderung wird trotz aller Fortschritte als noch nicht ausreichend kritisiert. Militär- und Sondergerichtsbarkeit werden politisch mit dem Hinweis auf die Guerrillaverbände und die Bekämpfung der Drogenmafia begründet, die aus Sicht der Regierung die Hauptprobleme des Landes darstellen. Für beide Gruppen ist das "Terrorismus-Statut" geschaffen worden, das rechtsstaatliche Prinzipien weitgehend außer Kraft setzt. Zur Begründung geheimer Gerichte wurde die Bedrohung von Richtern und Zeugen angeführt. Doch diese Gerichte laden zum Mißbrauch geradezu ein. Referenten vertraten die These, daß alle bisherigen kolumianischen Regierungen die Gewalt befördert und angeheizt hätten. Insbesondere Militärs wurden beschuldigt, sowohl mit der Drogenmafia als auch mit den paramilitärischen Todeskommandos gemeinsame Sache gemacht zu haben, so daß letztlich das Militär für zwei Drittel aller Menschenrechtsverletzungen mit Todesfolge verantwortlich sei. Zu den fortbestehenden Problemen gehören außerdem: * Verschwindenlassen von Menschen aus unterschiedlichen Gründen, * generell hohe Gewaltbereitschaft, * durch Gewalt eingeschränkte Pressefreiheit, * leichter Zugang zu Waffen in der Bevölkerung, * Divergenz zwischen Gesetzen und der Realität, * geringes Vertrauen der Bevölkerung in den Staat.
Lösungsvorschläge zum politisch-rechtlichen System
Der anstehenden Befriedungsprozeß der kolumbianischen Gesellschaft muß mehr sein als ein bloßer Waffenstillstand zwischen den gewaltanwendenden Gruppen. Grundbedingungen für eine Lösung sind: * Aktive Einbeziehung der Anwälte, Richter und Betroffenen in die juristischen Aspekte des kolumbianischen Befriedungsprozesses zur Stärkung der ordentlichen Justiz: - Modernisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. - Abschaffung der geheimen Sondergerichtsbarkeit. - Reform des Strafrechts. - Nationales Register aller Häftlinge. - Systematische Erfassung der Menschenrechtsverletzungen. - Minimalregeln für die menschenwürdige Behandlung von Häftlingen. - Freier Zugang zu den Konfliktgebieten (zonas conflictivas) für Beamte, Ärzte, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Journalisten. - Stärkung der Justizverwaltung (einschließlich einer besseren materiellen Ausstattung). * Reform der Militärgerichtsbarkeit (d.h. vor allem Einschränkung ihrer bisher weitreichenden Zuständigkeit). * Weitere Maßnahmen zur Reform des Militärs: - Bilaterale Programme, in denen Angehörige des Militärs mit ausländischen Kollegen das Thema "demokratische innere Führung" ansprechen. - Verbesserung der Disziplin der Truppen. - Klare Abgrenzung von Streitkräften und Sicherheitskräften. * Humanisierung des internen bewaffneten Konflikts durch die Anwendung der völkerrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten. * Auflösung der paramilitärischen Gruppen, die vor allem im Norden verwurzelt sind. * Integrierte Hilfsprogramme für die Opfer, wozu gehören: - Lobbyarbeit für die Betroffenen, wie sie die kirchlichen Hilfswerke leisten. - Verbesserung des Schutz und der Unterstützung für die intern Vertriebenen. - Zeugenschutzprogramme. * Weitergehende Verfassungsreform: - Weiterentwicklung des noch in den Kinderschuhen steckenden Grundrechts auf Habeas Corpus. - Stärkung des Petitions- und Arbeitsrechtes.
Lösungsvorschläge zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
* Politische Begleitmaßnahmen in Kolumbien: * Stärkung der Zivilgesellschaft und hier insbesondere Unterstützung von Interessenvertretungen, die den sozialen Dialog suchen und die Verhandlungsposition der armen Bevölkerungsschichten stärken. * Umorientierung des aktuellen Wirtschaftsliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft, die verstärkte Investitionen in Bildung und Ausbildung ermöglicht, ebenso wie eine breite handwerkliche Ausbildung. * Eine genauere Indentifizierung der Betroffenen und eine Definition der Armut mit dem Ziel einer besseren Verteilung der staatlichen Fördermittel. * Durchführung einer effektiven Agrarreform und Aufbau einer Dokumentation über soziale Menschenrechtsverletzungen vor allem im Agrarbereich. * Erhöhung der Rechtssicherheit, z.B. auch in bezug auf Klärung von Landbesitz. Dies ist nicht zuletzt für die indigene Bevölkerung mit oft unklaren Landtiteln von besonderer Bedeutung. * Stützung des notwendigen Bewußtseinsprozesses für Toleranz und gegen Gewalt. * Politische und materielle Unterstützung von Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und politischer Opposition. * Einübung ziviler Konfliktfähigkeit unterstützen (z.B. im Rahmen von Kontakten und Programmen europäischer Gewerkschaften mit ihren kolumbianischen Kollegen). * Schulung aller öffentlichen Bediensteten in Menschenrechtsfragen. * Stärkung des politischen Willens, analog zum Verhalten im Fall des Massakers von Trujillo auch die Aufklärung anderer Fälle zu fördern und durchzusetzen. * Internationale Begleitmaßnahmen: * Verstärkte Mitarbeit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. * Aufrechterhaltung und Stärkung der Kooperation der kolumbianischen Regierung mit der UN-Menschenrechtskommission (Kolumbien bleibt als Thema auf der Tagesordnung der alljährlichen Sitzung der Kommission in Genf). * Aufrechterhaltung der internationalen Aufmerksamkeit und des Drucks in Hinblick auf den notwendig herbeizuführenden Friedensprozeß in Kolumbien. * die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen, aber auch in bezug auf die Guerrilla und ihre Menschenrechtsverletzungen. * Die internationale Beobachtung darf sich nicht als bloße (einseitige) Anklage gegen die kolumbianische Regierung äußern, da zu starke Kritik von außen die Gegner der Reformpolitik stärkt. * Finanzielle und technische Hilfe für staatliche Institutionen, die die Menschenrechte schützen (z.B. das Amt des Ombudmanns). * Entsendung von Menschenrechtsbeobachtern. Erwünscht wäre insbesondere der verstärkte Austausch zwischen Parlamentariern. * Internationale Unterstützung bei der Bekämpfung der Drogenkartelle und Suche nach einer weltweiten Lösung des Drogenproblems. * Hilfreich können auch z.B. Maßnahmen wie die Ausstrahlung von ausländischen Fernsehprogrammen sein, die den Alltag der Polizeiarbeit in einer demokratischen Gesellschaft zeigen. Bei aller Unterstützung von außen muß man sich im Klaren sein, daß Lösungen letztlich nicht von außen geliefert, sondern in Kolumbien selbst entwickelt und umgesetzt werden müssen und von außen nur unterstützt werden können. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 8.1. 1998 |