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TEILDOKUMENT:
Einleitung 1. Die meisten Konflikte finden heute innerhalb und nicht mehr zwischen Staaten statt: laut UNDP Development Report 1994 waren zum Zeitpunkt des Berichts nur 3 von 82 bewaffneten Konflikten Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Aber dies bedeutet nicht weniger Tod und Zerstörung als klassische Kriege. - Laut UNDP sind heute 90% aller Opfer Zivilisten. - 1993 gab es infolge interner Konflike 18,2 Millionen grenzüberschreitende Flüchtlinge und 24 Millionen sogenannte intern Vertriebene (internally displaced). Ein weiterer dramatischer Anstieg der Flüchtlingszahlen wird befürchtet. - Interne Konflikte gehen mit groben Menschenrechtsverletzungen bis zum Völkermord einher. - Es gibt starke Verbindungen zwischen Konflikten und kriminellen Aktivitäten wie Drogenhandel, Waffenschmuggel und Erpressung. - Die Verbreitung von kleinen Handfeuerwaffen vergrößert den Destruktionsradius interner Konflikte. Landminen hinterlassen ein noch auf Jahre für die Zivilbevölkerung oft todbringendes Erbe. 2. Diese und andere Daten und Erkenntnisse über Konflikte, ihre Ursachen und Auswirkungen haben das Interesse an Prävention als neuem Ziel und Mittel der Politik in den letzten Jahren stark erhöht. Konfliktprävention und -management sind folglich heute in aller Munde. Daß die Vermeidung von und Vermittlung bei Konflikten grundsätzlich sinnvoll und notwendig ist, scheint auf den ersten Blick fraglos. Doch es gibt Einwände und Fragen: - Es gilt nicht, Konflikte per se zu verhindern, denn sie sind für die gesellschaftliche Entwicklung ebenso unumgänglich wie konstitutiv. Zu verhindern gilt, daß Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. - Aber auch diese These stößt auf Einwände, wie sie Professor Hanf auf der Tagung der EU-Plattform und Saferworld zum Thema Konfliktprävention im Rahmen der EU am 8. Mai formulierte: Hätte man die gewaltsame französische Revolution verhindern sollen? Anders formuliert: Läuft eine uneingeschränkte Befürwortung von Prävention Gefahr, im Namen der Vermeidung von Gewaltanwendung ungerechte und instabile Machtverteilung zu stützen? - Offen ist nicht nur, ob man die gewaltsame Austragung von Konflikten verhindern soll, sondern ob man es kann. Diese Diskussion beginnt mit der Frage nach Frühwarnung und ausreichender Kenntnis über die Ursachen und den Verlauf eines Konflikts: Befürworter verstärkter Präventionsbemühungen argumentieren, daß in vielen Fällen mehr als genug Information vorliegt, um einen sich anbahnenden Konflikt zu erkennen - Ruanda in den Monaten vor dem Völkermord des vergangenen Jahres wird oft als Beispiel zitiert. Kritiker fragen, ob man wirklich genug Kenntnisse der sozio-ökonomischen Ursachen, der gesellschaftlichen Interessenlagen und damit der Vielschichtigkeit eines Konflikts hat, um bei Hinweisen auf Gewalt wirksam zu intervenieren. - Der Anspruch, daß gewaltsame Konflikte aus politischen, wirtschaftlichen und finanziellen und erst recht aus humanitären Gründen zu vermeiden sind, scheint in keinerlei vernünftigem Maß zu den verfügbaren politischen Instrumenten und zum politischen Willen zu stehen. Befürworter einer Stärkung präventiver Politik wie die englische Organisation Saferworld argumentieren mit Hilfe von Kosten-Nutzen-Analysen, daß die Kosten eines Konfliktes die Kosten der Prävention um ein Vielfaches übersteigen (1). Anläßlich eines Seminars der OSZE Anfang 1994 wies auch Max van der Stoel, Hochkommissar für Nationale Minderheiten, auf die Kosten hin: "Capital invested in conflict prevention is capital well spent. In humanitarian, financial and political terms, conflict prevention is much cheaper than peacekeeping or rebuilding societies after a violent conflict" (Seminar zum Thema Early Warning and Preventive Diplomacy, Warschau, 19.1.1994). Aber diese Analyse genügt offensichtlich nicht, um den notwendigen politischen Willen zu erzeugen. Sie beseitigt nicht alle Fragen nach den Kosten und Risiken der Prävention. - Befürworter plädieren für frühzeitiges Bemühen um Konfliktverhütung nicht nur aus Kostengründen, sondern auch, weil sich die Positionen der Konfliktparteien dann noch nicht verhärtet und gefährliche Zirkel von Gewalt und Vergeltung noch nicht begonnen haben. Kritiker verweisen auf Hindernisse in der Frühphase: Gerade zu Beginn eines Konflikts wünschen die Konfliktparteien oft keinerlei Einmischung von außen. Regierungen möchten oft gar nicht einräumen, daß sie z.B. ein Minderheitenproblem haben. - Unklar ist, welches politische Gewicht frühe Konfliktvermittlung haben soll: Handelt es sich nur um ein unverbindliches Angebot oder müssen weitere Schritte folgen (einschließlich z.B. Sanktionen und Stationierung von Truppen)? - Die normative Basis für frühzeitige Vermittlung, sprich Intervention bei Konflikten, erscheint Beobachtern unzulänglich. In den internationalen Beziehungen geht man immer noch von der Grundthese souverän handelnder Nationalstaaten aus, in deren innere Angelegenheiten man sich nicht einmischt; so wurde erneut im Fall Tschetscheniens argumentiert. Immer noch hält man an dem Grundgedanken der Selbstbestimmung der Völker fest, auch wenn eingeräumt wird, daß es (1) keinerlei Konsens über die Definition dessen gibt, was ein Volk ausmacht, sich (2) Ethnizität und Nationalität bei entsprechender Interessenlage erstaunlich schnell neu konstituieren lassen und daß (3) das Selbstbestimmungsrecht eng ausgelegt werden muß, will man nicht Zeuge einer hoffnungslosen Zersplitterung der Staaten werden. Fazit: Es gibt noch keine "politische Kultur" der frühzeitigen Einmischung (Karsten Voigt, in der Diskussion mit Max van der Stoel). - Viele Beobachter mahnen Realismus an: Vermittlung bei Konflikten bleibt so lange Wunschdenken, wie wenigstens eine der Konfliktparteien sich von Gewaltanwendung eine entscheidende Verbesserung ihrer Verhandlungsposition erhofft. - Wer Prävention als Kerninstrument der neuen Politik sieht, hofft oft auf ein neues öffentliches Bewußtsein und auf Druck aus der Öffentlichkeit. Aber die Öffentlichkeit scheint eher gewillt, humanitäre Maßnahmen zur Versorgung von Flüchtlinge zu unterstützen, als die Kosten und Risiken von Intervention bei Konflikten (zu der letztlich auch die Drohung mit und der eventuelle Rückgriff auf präventive Stationierung von Truppen gehören kann), zu tragen (ganz zu schweigen von einer Unterstützung für den Ausbau langfristig angelegter Entwicklungspolitik, die durch Förderung von politischer Reform und Rechtsstaatlichkeit die Vorraussetzungen für friedlichen Interessenausgleich fördert). 3. Trotz dieser Einwände wird Prävention von vielen Beobachtern als Schlüsselgebiet der Politik angesehen und für mehr als nur ein Modethema gehalten. - Sie sehen humanitäre Hilfe nach der Katastrophe als unzureichende und beschämende Reaktion. - Man wird gewahr, daß Katastrophen wie in Ruanda die Ergebnisse jahre- und jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit zunichte machen und daß die Katastrophenhilfe (wie von Staatssekretär Hedrich, BMZ, bei der Tagung der EU-Plattform ausgeführt) einen immer höheren Anteil der immer knapper werdenden Mittel für Entwicklungsarbeit verschlingt (laut Hedrich hat der Einsatz der Bundeswehr in Somalia DM 310 Mill. gekostet - soviel wie die Entwicklungshilfe zwischen 1987 und 1993). Entwicklungspolitiker sehen daher die Prävention gewaltsamer Konflikte immer mehr als Schlüssel. - Langfristig angelegte Konfliktprävention bedeutet Stärkung von Förderung der Partizipationsmöglichkeiten und der demokratischen Kontrolle der Mächtigen, der Menschenrechte und der Rechtssicherheit - also eben nicht die Akzeptanz von extrem ungerechter Machtverteilung und Unterdrückung nur um eines fragwürdigen inneren Friedens willen. - Konflikte beginnen zwar vielfach als interne Angelegenheit an einem scheinbar weit entfernten Ort - aber wie im Fall Tschetscheniens können sie, wenn sie von der Presse aufgegriffen werden oder bedrohliche Flüchtlingsströme erzeugen, in Windeseile zu einer internationalen Angelegenheit und zum Stoff internationaler Konflikte werden. - Auch wenn das Kostenargument nicht gleich bewirkt, daß effektivere Instrumente der Vermittlung bei Konflikten aufgebaut werden, so ist es doch nicht von der Hand zu weisen (siehe Anlage, Statistiken von Saferworld). - Wir sind weder so hilflos noch so erfolglos, wie wir angesichts immer wieder neu entstehender Konflikte meinen: Neue Instrumente sind entwickelt und erfolreich eingesetzt worden, so etwa die Einrichtung des Amtes eines Hochkommissars für nationale Minderheiten in der OSZE. Beobachter verweisen auch auf die mehr ins Blickfeld geratende Arbeit von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in den letzten Jahren eine expandierende Rolle bei der Förderung der Menschenrechte, der Achtung humanitärer Grundregeln, der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung und in der Konfliktlösung gespielt haben. Die Entwicklungen in Südafrika, Mosambik und im Nahen Osten haben vor Augen geführt, daß selbst die anscheinend fundamentalsten Interessenkonflikte nicht ausweglos oder für immer auf gewaltsames Austragen von Gegensätzen angelegt sind und die langfristige Vermittlertätigkeit nichtstaatlicher Organisationen zentrale Beiträge leisten kann. Konflikte sind weder Schicksal noch eine Naturkatastrophe, sondern Politik. - Wer sich mit Prävention befaßt, muß sich einer der Präventionsarbeit eigenen Enttäuschung bewußt bleiben: Wer erfolgreich vermittelt und eine Eskalation verhindert, muß sich möglicherweise fragen lassen, ob es denn wirklich ein Problem gegeben habe, das eine Reaktion (und eingesetzte Mittel) notwendig machte und rechtfertigt. Wenn die Vermittlung mißlingt, wird möglicherweise ebenfalls der Vorwurf erhoben. daß der Aufwand, der für die Prävention getrieben wurde, nicht gerechtfertigt war. 4. Aus diesen Überlegungen ergeben sich die Fragen, denen der Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung nachgehen will: - Die Kernfrage lautet: Was sind die Ursachen der derzeit häufigsten Formen der Konflikte, wie sind sie zu gewichten, wie wirken sie zusammen? - Welche Handlungsmöglichkeiten haben verschiedene Akteure angesichts vielschichtiger Konfliktursachen, deren Bewältigung die eigentliche Aufgabe darstellt? Und wie könnte die Zusammenarbeit verschiedener Partner untereinander aussehen? - Die wichtigste Frage in der Präventionsdiskussion ist jedoch nicht die Frage nach der Handlungsmöglichkeit der Vermittler bei akuten Konflikten. Die eigentliche Frage lautet: Was benötigt eine Gesellschaft, um ausgleichs- und konfliktfähig zu sein? Wie können diese Fähigkeiten gefördert und unterstützt werden? - Erfolgreiche Prävention stellt hohe Ansprüche an die potentiellen Vermittler (wie z.B. Glaubwürdigkeit bei allen Konfliktparteien; Geduld und die Bereitschaft, einen Konflikt über einen langen Zeitraum zu begleiten; Anerkennung, daß der Konflikt und seine Lösung nicht dem Vermittler "gehören"). Welche (kurzfristigen und langfristigen) Prioritäten sollten diejenigen, die bei Konflikten erfolgreich vermitteln wollen, setzen? Was sind die wichtigsten Handlungsfelder, die wichtigsten Schwerpunkte der Arbeit? Wie sollte die Ausbildung der Mittler aussehen? - Welche Rolle spielt Medienberichterstattung in der Reaktion auf Konflikte? Ist es ein Mythos, daß die Medien die außenpolitische Reaktion von Staaten immer mehr bestimmen? Dem Morden in Ruanda hat man lange zugesehen - bleibt es also bei einer weitgehenden Indifferenz trotz furchtbarer Bilder? Aber haben nicht Bilder von Flüchtlingen und Verhungernden öffentlichen Druck erzeugt, der eigentlich unwillige Regierungen zu großangelegten Rettungsaktionen für die Kurden im Nordirak, für die Hungernden in Somalia und für die ruandischen Flüchtlinge in Goma brachte? Gibt es also den zweischneidigen, sogenannten "CNN-Effekt", den der amerikanische Journalist John Newhouse wie folgt beschrieb: "A torrent of pictures of dismembered or tortured innocents could create pressure for using whatever tool to halt the violence, but then another torrent of pictures, this one of body bags containing young soldiers being unloaded in home ports, could create the reverse spin, and with it political retribution." - Wie können der Erfahrungsaustausch und eine politische Kultur der Koordination und der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren genährt werden, die sich mit Konflikten und ihrer Vermeidung als Forscher, als politisch Verantwortliche, als humanitäre Helfer, als Menschenrechtsbeobachter, als Vertreter der Kirchen befassen? (vor dem Hintergrund von Konkurrenz der Vermittler z.B. um knappe Ressourcen zur Finanzierung ihrer Arbeit, um Erfolg und damit um Glaubwürdigkeit und Ansehen als gute Vermittler). - Parliamentarians for Global Action hat ein erstes nach Organisationen und Arbeitsschwerpunkten aufgebautes Verzeichnis zusammengestellt. Kurz vor dieser Tagung haben sie uns die überarbeitete Version zur Verfügung gestellt, wofür wir ihnen danken. Dieses Verzeichnis kann ein Anstoß für vertiefte Zusammenarbeit auch hier in der Bundesrepublik und über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus sein. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek |