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Die transatlantische Differenz im Kampf gegen den Terrorismus / [Michael Dauderstädt] - Bonn, [2002] - 4 S. = 22 KB, Text . - (Politikinfo / Internationale Politik-Analyse)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





Zusammenfassung

Die Amerikaner zielen darauf, dass potentielle Terroristen nicht mehr handeln können, die Europäer darauf, dass sie nicht mehr handeln wollen. Aus dieser Differenz ergeben sich Missverständnisse und Konflikte, aber auch eine möglich Arbeitsteilung und bessere Lösungen.

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USA: Den potentiellen Terroristen die Handlungsmöglichkeit nehmen

Der Schwerpunkt der amerikanischen Strategie gegen den Terrorismus liegt darin, den potentiellen bzw. schon aktiven Terroristen die Handlungsmöglichkeiten zu nehmen. Das beginnt unmittelbar mit der nahe liegendsten Möglichkeit, dass man sie gefangen nimmt oder tötet. Die Jagd nach bekannten oder vermutlichen Terroristen in der ganzen Welt führt zur Zusammenarbeit mit allen Regierungen, die sich den amerikanischen Prioritäten anschließen oder sie ohnehin schon teilen.

Indirekter geht es darum, ihnen die Ressourcen zu entziehen, die sie zur Vorbereitung und Durchführung ihrer Verbrechen brauchen:

  • Waffen, insbesondere den Zugang zu den für Megaterror notwendigen Massenvernichtungswaffen atomarer, biologischer oder chemischer Art. Dazu zählen auch schärfere Kontrollen an Flughäfen, um zu verhindern, dass wie am 11.September Flugzeuge als Bomben benutzt werden.

  • Schutzräume in sympathisierenden Staaten oder failing states, die ihr Territorium nicht mehr kontrollieren können, oder bis vor kurzem naiven Staaten wie Deutschland und USA selbst, wo sie ihre Aktionen vorbereiten können.

  • Zugangswege wie z.B. den internationalen Containertransport, der durch Zertifizierung von Ausgangshäfen und schärfere Kontrollen gesichert werden soll, oder generell verschärfte Grenzkontrollen und Einschränkungen von Einreise, Aufenthalt oder Asyl.

  • Finanzmittel in den undurchschaubaren Netzen des globalen Bankensystems, den schwarzen Rohstoffmärkten und den informellen transnationalen Zahlungssystemen.

Auch dafür brauchen die USA in der Regel die Unterstützung anderer Länder bzw. deren Regierungen. Wo sie davon ausgehen, dass diese ihnen eher feindlich gegenüber stehen und deshalb die Zusammenarbeit verweigern oder gar im Verdacht stehen, den Terroristen zu helfen, drängt sich als nächster Schritt die Konfrontation mit diesen Staaten auf. Die Länder der „Achse des Bösen" sind zwar nicht nachweisbar in die Unterstützung des Terrorismus verstrickt; aber einer Strategie, die alle Risiken des Zugangs zu Massenvernichtungswaffen ausschließen will, muss jede Kombination von Verfügungsgewalt und Feindseligkeit bekämpfen.

Dieser Ansatz entspricht kaum den herrschenden völkerrechtlichen Vorstellungen, die eine militärische Aktion gegen einen anderen Staat nur im Selbstverteidigungsfall, im Fall eines UN-Mandats (z.B. gegen einen Aggressor) oder bei massiven Menschenrechtsverletzungen (z.B. Völkermord) vorsehen. Präventivschläge gegen Staaten, die nur eine kritische Kombination von Möglichkeiten und Motiven aufweisen, ohne dass sie konkrete Schritte unternommen haben, sind nur bei einem erheblichen Machtgefälle vorstellbar. Warum zählen China und Russland etwa nicht zur „Achse des Bösen", obwohl sie über Massenvernichtungswaffen verfügen und offensichtlich mehr oder weniger harte Interessengegensätze mit den USA haben, die auch nicht viel geringer sind als die des Iran oder Nordkoreas?

Naturgemäß spielen bei einem derartigen Konzept totaler Prävention militärische Mittel eine zentrale – aber nicht ausschließliche! – Rolle. Überhaupt folgt sie einer militärischen Logik, die davon ausgeht, sich in einem Krieg nicht auf die (vermuteten) Absichten, sondern die maximalen Möglichkeiten des Gegners einzustellen.

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Europa: Den potentiellen Terroristen die Motivation nehmen

Der europäische Ansatz (mit der partiellen Ausnahme Großbritanniens) konzentriert sich darauf, die Welt so zu verändern, dass Menschen gar nicht erst massive Hasspotentiale entwickeln oder dass sie versuchen, ihre Ziele ohne Terrorismus zu erreichen. Diese Strategie hat zwei Komponenten:

  • Die Bekämpfung der sozioökonomischen Ursachen von Hass und Verzweiflung, wozu in der Regel Armut, soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung zählen. Es ist dabei nicht wichtig, ob die Terroristen selbst arm sind (die Täter des 11. September waren es nicht und Osama bin Laden ist Multimillionär) oder sich als Verteidiger der Armen und Ausgebeuteten sehen (wie etwa auch die deutsche RAF).

  • Die Bekämpfung der politisch-kulturellen Ursachen, wozu postkoloniale Traumata und religiöse Konflikte zählen, hinter denen sich zwar oft sozio-ökonomische Probleme verbergen, die aber schon verfremdet und sich zu politisch-kulturellen Interessen verselbständigt haben.

  • Die Verrechtlichung und Öffnung der nationalen und internationalen politischen Systeme für Mitsprache und Mitwirkung. Sie legt es den Benachteiligten nahe oder erlaubt es ihnen, ihre Interessen und Beschwerden in friedlicher, gewaltfreier Form durchzusetzen oder es zumindest zu versuchen, indem sie in Wahlen die Macht erlangen oder vor unabhängigen Gerichten ihr Recht suchen.

Die erste Komponente ist die Demokratisierung der nationalen politischen Systeme. Eine derartige Strategie ist keineswegs konfliktfrei. Sie konfrontiert alle Eliten und Regime, die relevante Bevölkerungsteile in Armut und Entrechtung halten. Aber sie konfrontiert sie nur in Extremfällen von Völkermord oder massiven Menschenrechtsverletzungen militärisch; sonst versucht sie, Veränderungen zuförderst mit Mitteln der Entwicklungspolitik im weiteren Sinne zu erreichen. Dieser breite Begriff von Entwicklungspolitik umfasst die gesamte Beeinflussung von Strukturen innerhalb anderer Staaten im Interesse von Entwicklung und Demokratisierung. Sie setzt aber in der Regel eine minimale Zustimmung der jeweiligen Regierung voraus.

Die zweite wichtige Komponente ist die Demokratisierung und Verrechtlichung des internationalen Systems. Nicht erst, aber verstärkt im Zeitalter der Globalisierung sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Benachteiligungen grenzüberschreitend. Betroffene sehen sich immer öfter als Opfer transnationaler Akteure. Andere politische oder kulturelle Konflikte überschreiten ebenfalls oft Grenzen. Ihre möglichst gewaltfreie Korrektur bzw. Lösung erfordert Mechanismen, die es auch den militärisch Schwächeren erlauben, ihre Interessen durchzusetzen.

Dazu zählt insbesondere das UN-System. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien sich dieses System im Sinne der Akzeptanz allgemeiner Regeln stärker zu objektivieren, da die Blockzugehörigkeit gegenstandslos wurde. Der Krieg zur Befreiung Kuweits war ein erster derartiger Fall, in dem eine internationale, ja fast globale Koalition einen Aggressor in die Schranken wies, ohne dass dieser Weg wie früher oft durch Vetos blockiert worden wäre.

Schließlich haben sich in den letzten Jahren Institutionen und internationale Regime entwickelt, die ein formelles Eingreifen in die inneren Angelegenheiten von Staaten ermöglichen, das über die letztlich meist einvernehmlichen Instrumente der Entwicklungspolitik hinausgeht. Dazu zählt der Internationale Strafgerichtshof sowie im europäischen Rahmen Regelungen der OSZE, des Europarats (Menschenrechte) und ohnehin der EU. Die viel weiter reichenden Souveränitätsverzichte der Regierungen Europas sind insofern vorbildlich für eine Vision gewaltfreier internationaler Beziehungen auf dem ganzen Globus.

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Ursachen der Strategiedifferenz

Die Amerikaner zielen darauf, dass die Terroristen nicht mehr handeln können, die Europäer darauf, dass sie nicht mehr handeln wollen. So lautet zugespitzt der Befund. Die Zuspitzung unterdrückt die Tatsache, dass beide Seiten natürlich auch die jeweils andere Strategie, wenn auch mit geringerem Aufwand und niedrigerer Dringlichkeit verfolgen.

So arbeitet auch die amerikanische Entwicklungszusammenarbeit daran, Armut zu bekämpfen und Demokratie zu fördern. Wenn man den in den USA riesigen Sektor der Nichtregierungsaktivitäten mit einschließt, so gilt dies in noch größerem Maße.

Umgekehrt sind auch die Europäer entschieden dabei, Terroristen zu jagen und ihre Ressourcen auszutrocknen, primär im jeweils eigenen Land, aber auch im Rahmen der Antiterrorkoalition etwa in Afghanistan. Es sei auch noch mal wiederholt, dass die gegenwärtige britische Regierung (wenn auch anscheinend nicht die britische öffentliche Meinung in ihrer Mehrheit) eher dem amerikanischen Weg zuneigt.

Aber trotzdem bleibt der grundsätzliche Unterschied des Ansatzes. Woran liegt das? Einer der einflussreichsten Analysen der Ursache präsentierte Robert Kagan in seinem Aufsatz „Power and Weakness" (Policy Review Nr. 113 vom Juni/Juli 2002). Er sieht die wesentliche Ursache für den Unterschied zwischen der europäischen und der amerikanischen Position im Unterschied der Stärke der beiden Seiten, insbesondere der militärischen Macht. Er verweist darauf, dass im 18. und 19. Jahrhundert die damals schwächeren USA auf multilaterale Lösungen drängten und den Unilateralismus der europäischen Großmächte fürchteten. Heute ist es umgekehrt. Die Amerikaner sind in der Lage, ihre Interessen in der anarchischen Staatenwelt im Alleingang durchzusetzen, die Europäer nicht bzw. nur in begrenztem Umfang in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.

Diese „realistische" (im Sinne der Realismus-Schule der internationalen Beziehungen) Interpretation entspricht dem Sachverhalt, den sie erklären will. Sie unterstellt, dass die Ziele von Staaten immer gleich sind, nämlich Machterhalt und Machtausweitung, und dass Verhaltensdifferenzen daher durch Unterschiede in den Möglichkeiten bestimmt werden.

Dem steht eine liberal-institutionalistische Interpretation gegenüber, die davon ausgeht, dass Staaten – geprägt durch unterschiedliche interne Interessenstrukturen, historische Erfahrungen und internationale Einbettung - unterschiedliche Ziele verfolgen. Europa würde sich aus dieser Sicht auch nicht viel anders verhalten, wenn es könnte. Es entwickelt bestimmte, insbesondere militärische Kapazitäten bewusst nicht, weil es sie nicht will und weil die Präferenzen der Gesellschaften anders liegen. Nicht zuletzt will man in Europa vermeiden, innerhalb des Kontinents eine Spirale von Bedrohung und Bedrohtheit auszulösen, die historisch zweimal in die Katastrophe geführt hat.

Es mag allerdings sein, dass dies Europa nur als Trittbrettfahrer einer von der amerikanischen Hegemonialmacht gesicherten Weltordnung gelingt. Gäbe es sie nicht, müssten sich die europäischen Gesellschaften der harten Realität der „bösen Welt" stellen und die notwendigen Mittel zu ihrer eigenen Sicherheit und Verteidigung aufwenden.

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Caligula-Strategie versus Vogel-Strauß-Politik

Die unterschiedlichen Strategieschwerpunkte der Europäer und Amerikaner stehen nicht reibungslos nebeneinander. Aus der Sicht der Europäer droht die amerikanische Caligulastrategie („mögen sie uns hassen, solange sie uns nur fürchten"), die Motivation zum Terrorismus zu verstärken, während sie die Möglichkeiten einschränken will. Aus amerikanischer Sicht droht die europäische Vogel-Strauss-Politik der Konzentration auf die Ursachen und Motive des Terrorismus den Terroristen neue Gelegenheiten einzuräumen.

So befürchten die Europäer, dass ein Angriff auf den Irak (oder gar weitere Länder) den Hass unter den Arabern und Muslimen allgemein noch schüren wird. Sie erwarten, dass die Verletzung der Menschenrechte und die Unterdrückung der Demokratie und insbesondere der islamischen Opposition in vielen arabischen Ländern die Dissidenten auf den Weg des gewaltsamen Widerstandes verweist. Die Konzentration auf die Kriegführung und die Vernachlässigung des nation-building, etwa in Afghanistan, schafft neuen Unmut und Rekrutierungspotential für Terroristen.

Die einseitige Unterstützung Israels trotz seiner Völkerrechtsverletzungen und Missachtung von UN-Resolutionen entwertet durch ihre double standards internationale Normen und Strukturen und legt insbesondere den Palästinensern einen Rekurs auf das „Recht des Stärkeren" nahe, der letztlich auch der Kritik am Terrorismus oder an der Aggressionspolitik des Irak den Boden entzieht.

Umgekehrt befürchten die Amerikaner, dass die Europäer durch ihre Rücksichtnahme notwendige Schritte verzögern oder verhindern und damit den Terroristen neue Chancen einräumen (bzw. alte erhalten), die diese gnadenlos ausnutzen werden. Angesichts der völligen moralischen Schrankenlosigkeit der Attentäter vom 11. September 2002 erscheint jedes Vertrauen auf Selbstbeschränkung naiv.

Tatsächlich trifft dieses Schwarz-Weiß-Bild nicht zu. In Ägypten (partieller Hilfeentzug) und auch gegenüber Saudi-Arabien (Strategiepapier des Pentagon; Klage der Opfer des 11. September) hat die amerikanische Regierung sich kritischer verhalten als manche europäische, auch wenn sie ihre grundsätzliche Unterstützung dieser Regime beibehält. Trotzdem liegt es auch im Interesse der USA, bei aller notwendiger und ihr auch zur Verfügung stehender Härte sich auf jene Maßnahmen gegen den Terrorismus zu konzentrieren, die möglichst wenig unerwünschte Nebenwirkungen in Form einer Steigerung der Motivation zum Terrorismus haben. Sonst droht eine Hydra, bei der jedem abgeschlagenem Kopf mehrere neue nachwachsen.

Die Europäer ihrerseits sind auch nicht durchgängig bereit, ihre nationalen Interessen der supranationalen Ordnung zu opfern. Gegenüber Israel haben sie kaum Sanktionen ergriffen, um UN-Beschlüsse durchzusetzen.

Auch im Umgang mit Verdächtigen teilen inzwischen Europa und USA die Tendenz, Bürgerrechte einzuschränken, was neuen Hass bei den Betroffenen schafft.

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Von der Strategiedifferenz zur Arbeitsteilung

Die aufgezeigten, die gegenwärtige transatlantische Debatte beherrschenden Unterschiede müssen aber nicht unbedingt nur negative Folgen haben. Sie können auch als Auslöser für eine willkommene Arbeitsteilung gesehen werden. Es spricht a priori nichts dagegen, beide Ansätze getrennt, aber parallel zu fahren, also den Terroristen gleichzeitig die Motivation und die Gelegenheit zu nehmen.

Ein erster Schritt wäre, Politiken zu vermeiden, die ein Ziel nur auf Kosten des anderen erreichen. Um möglichen Terroristen den Zugang zu irakischen Massenvernichtungswaffen zu verwehren, sollte ein durch Krieg erzwungener Regimewechsel dort nur die letzte Möglichkeit sein. Denn er würde von vielen Arabern als Angriff auf alle Araber und ihre Zivilisation missverstanden. Umgekehrt sollten die Europäer die UN konsequent unterstützen, auch im Falle eines Ultimatums gegen den Irak.

Weiter sind eine Fülle von Maßnahmen denkbar, die beides tun, also gleichzeitig die Motivation und die Gelegenheit zum Terrorismus reduzieren. Dazu zählen etwa der Ausbau effektiver, moderner rechtsstaatlicher Strukturen (Polizei, Justiz, Grenzkontrollen) in schwachen Staaten. In die gleiche Richtung zielt eine besser Bankenaufsicht und generell eine Wirtschaftspolitik, die informelle und mafiöse Strukturen austrocknet und die dortigen Geschäfte in legitime und formelle Wirtschaftsaktivitäten überführt. In all diesen Bereichen kann Entwicklungspolitik die Kooperationsfähigkeit schwacher Staaten im Rahmen der Terrorbekämpfung stärken.

In allen Konfliktregionen und insbesondere in den arabischen Ländern sind die Anstrengungen zu erhöhen, demokratische und um interkulturelle Verständigung bemühte Kräfte zu stärken. Das mag jedoch schwierige Entscheidungen zwischen der Konfrontation eines kooperationswilligen Diktators und seiner Ablösung durch ein hoffentlich demokratischeres, aber eventuell instabiles und kooperationsunwilliges oder –unfähiges Regime erfordern.


Michael Dauderstädt

Friedrich-Ebert-Stiftung, 53170 Bonn, fax: 0228 / 883 625, e-mail: Daudersm@fes.de


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