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Vergleich der betrieblichen Arbeitsbeziehungen Vergleich der sektoralen Arbeitsbeziehungen und der Tarifvertragslandschaft [Seite der Druckausg.: 9 (Fortsetzung)]
Die Unternehmensstrukturen und ihre Rahmenbedingungen haben sich im Zuge der Marktwirtschaft grundlegend geändert, weniger allerdings die Führungssysteme und Beziehungen zwischen den Betriebsparteien. Insbesondere lässt sich auf dieser Ebene feststellen:
Aus dieser Ausgangslage ergibt sich als Fazit eines Vergleichs der Formen der betrieblichen Interessenvertretung in den baltischen Staaten:
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Es gibt angeregt durch die Praxis in Mitgliedsländern der EU, durch internationale Gewerkschafts- und Managementkontakte sowie auch erste Erfahrungen in Euro-Betriebsräten indessen bereits erkennbare Bemühungen, Lösungen aus dem bestehenden Dilemma des sich ausweitenden vertretungspolitischen Vakuums zu finden. Die Regierung in Litauen zeigt sich in dem jetzt dem Parlament zur Entscheidung vorliegenden (elften!) Entwurf eines neuen Arbeitsgesetzbuchs am konsequentesten: Sie beabsichtigt die Einführung einer gesicherten Mindest-Arbeitnehmervertretung im Unternehmen durch Gesetz gemäß dem tschechischen Modell mit einer eingliedrigen Vertretung entweder durch einen Betriebsrat oder eine betriebliche Gewerkschaftsorganisation im Rahmen ihrer für 2002 vorgesehenen Änderung des kollektiven Arbeitsrechts. Nur solange im Unternehmen keine Gewerkschaftsorganisation vorhanden ist, kann ein Betriebsrat mit dem Recht der Information und Konsultation und ggf. auch des Abschlusses betrieblicher Kollektivvereinbarungen errichtet werden. Offensichtlich stehen im Hintergrund dieser Neuregelung die Standards des z.Z. in den EU-Gremien diskutierten Richtlinienentwurfs zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer im Unternehmen.
Vergleich der sektoralen Arbeitsbeziehungen und der Tarifvertragslandschaft
Die sektorale Ebene mit ihren weitgehenden Übereinstimmungen in den drei baltischen Staaten weist ganz offensichtlich die größten Defizite im Vergleich mit der EU auf. Der Grund dafür ist, dass in den analysierten Ländern Branchentarifverträge weitestgehend nicht den in der EU üblichen Stellenwert und Standard besitzen, sondern die Ausnahme darstellen. Dieses Loch in der Mitte der Arbeitsbeziehungen zwischen der betrieblichen und nationalen Ebene erscheint konstitutiv für Länder, in denen es die Gewerkschaften bisher weder anstreben [Seite der Druckausg.: 11] noch zu realisieren vermögen, vereinheitlichende Arbeitsbedingungen in der Branche zu schaffen und damit die Voraussetzungen für eine unternehmensübergreifende Branchensolidarität und mehr Druck zur Durchsetzung der eigenen Verteilungsforderungen zu entwickeln. Verteilungs- und Einkommenspolitik ist dann konsequenterweise weniger eine Sache, die in einem Sektor oder in der Gesamtgesellschaft austariert und geregelt wird, sondern spielt sich außerhalb des staatlichen Budgetsektors (d.h. des öffentlichen Dienstes) in der betrieblichen Arena mit ihrer jeweils spezifischen Situation (wirtschaftliche Lage, Kräftekonstellation etc.) ab. Festzuhalten ist aber auch, dass die Debatte und die Bereitschaft zur Änderung dieser Verhältnisse bei den Tarifparteien insbesondere bestimmter Branchen in jüngster Zeit deutlich intensiviert wurde. Auch wurden bereits gemeinsame Projekte zur Kontaktaufnahme mit internationalen Partnern innerhalb der EU sowie gemeinsame Trainingsmaßnahmen auch konkurrierender Organisationen über die Führung von Tarifverhandlungen gestartet (u.a. in Kooperation mit dem zuständigen FES-Büro Warschau, wie z.B. in Litauen in der Chemiebranche oder mit den drei dortigen Lehrergewerkschaften). Verhandlungstraining und das Erlernen einer auch betriebswirtschaftlicher Argumentation erweisen sich als wichtige Voraussetzungen für den Abschluss von Kollektivvereinbarungen. Fortschritte in diesem Bereich hängen auch mit der Streikfähigkeit sowie vorhandenen oder auch fehlenden Streikerfahrungen zusammen. Auffallend ist jedenfalls, dass in allen Vergleichsländern Arbeitskämpfe eher die Ausnahme sind, obwohl laufend reale Kaufkraftverluste bei gleichzeitig starkem Wirtschaftswachstum zu verzeichnen sind. Die sich hier offenbarende Schwäche der Gewerkschaften in der sektoralen Verteilungspolitik ist mehreren Faktoren geschuldet:
Die Arbeitgeberseite wiederum ignoriert auch den von westeuropäischen Dachverbänden (einschließlich UNICE) hochgehaltenen Nutzen vergleichbarer Lohnkosten (Standardentlohnung), da sie Lohnunterschiede auch zur Personalrekrutierung (d.h. Abwerbung) ebenso wie auch regionale Unterschiede auszunutzen gewillt sind mit den entsprechenden Konsequenzen für ihre eigenen Wettbewerbs- und Gewinnchancen. Die Arbeitgeberorganisationen verstehen sich ähnlich wie auch in anderen MOE-Ländern vielfach noch weit weniger als kompromissbereiter Sozialpartner denn als Lobby-Organisation gegenüber der Regierung. Andererseits gibt es in allen drei Vergleichsländern in Einzelbranchen auch für die Zukunftsentwicklung maßgebliche Positivbeispiele, deren Effekte Schule machen könnten. Positive Auswirkungen hinsichtlich der Tarifvertragslandschaft sind durch die jetzt anstehende Novellierung der Arbeitsgesetzbücher in Lettland sowie Litauen zu erwarten. Hervorzuheben ist hier auch die im litauischen Tarifvertragsgesetz vorgeschriebene aktive Einbeziehung der Belegschaften im Vorfeld des Abschlusses von Kollektivverträgen. Vergleicht man die Deckungsraten der Tarifverträge der Mitgliedsstaaten mit den derzeitigen EU-Beitrittskandidaten der ersten Runde (vgl. im einzelnen Übersicht 1 im Anhang), so finden [Seite der Druckausg.: 12] sich die baltischen Staaten ganz am Ende dieser Skala. Diese Verteilung ist zwar nicht ausschließlich, aber dennoch in erster Linie ein Reflex sowohl des gewerkschaftlichen Organisationsgrads als auch der Bereitschaft der Arbeitgeber zum Verbandsbeitritt und zur Etablierung einer gemeinsamen Lohn- und Beschäftigungsstrategie. Eine wesentliche Rolle für eine weiterreichende Geltung von Kollektivvereinbarungen über den Kreis der unmittelbaren Mitglieder von Wirtschaftsverbänden oder Gewerkschaften hinaus spielt schließlich die Frage der Allgemeinverbindlicherklärung von vorhandenen Regelungen für alle Unternehmen einer Branche, wie sie nun beispielsweise auch in Lettland als Möglichkeit eingeführt werden wird.
Praxis des Tripartismus auf nationaler und regionaler Ebene
Die tripartite Kooperation auf nationaler Ebene ist in allen drei Ländern vergleichsweise sehr differenziert und in ständiger Weiterentwicklung. Die Arbeitsbeziehungen erfahren daraus eine gewisse Stärkung, die aber deren Schwächen in anderen Bereichen kaum kompensieren können. Hier auftretende Probleme sind u.a. ungeklärte rechtliche Kompetenzen, nicht ausreichende legale Grundlagen der Beteiligung sowie ein teilweise vorgetäuschter Fassaden-Dialog ohne praktischen politischen Vollzug, damit auch die Frage der Verbindlichkeit der Abstimmungsprozesse in Wirtschafts- und Sozialräten. Im Detail bleibt bei einem Vergleich der drei Länder festzuhalten:
[Seite der Druckausg.: 13] Ließe sich umgekehrt der Tripartismus im positiven Falle als Elixier und Übungsfeld des sozialen Dialogs aktiver Sozialpartner interpretieren? Dies wäre dann der Fall, wenn er in den Transformationsländern als Durchgangsstadium zur Initiierung von mehr zivilgesellschaftlicher Beteiligungsdemokratie auch in anderen Bereichen angesehen würde. Für die weitere Entfaltung der Arbeitsbeziehungen könnte dies positive Folgen u.a. dann haben, wenn die jeweiligen Regierungen neben der Praxis der tripartistischen Abstimmungsprozesse im staatlich-politischen Gestaltungsbereich auch den Trend zu einer bilateral praktizierten Tarifautonomie befördern und die Akteure als selbstverantwortliche Partner der Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen bewusst aus der staatlichen Kuratel entlassen würden. Ansätze dazu zeigen sich, wenn auch erst vereinzelt. Wenig erkannt und bewusst genutzt ist schließlich in den drei Vergleichsländern bisher eine weitere potenzielle Funktion einer tripartistischen Praxis: die der Projektgenerierung im Zuge des sozialen Dialogs z.B. für die regionale Strukturentwicklung oder die Modernisierung von Branchen und Unternehmen sowie die Anpassung ihrer Belegschaften im lokalen und regionalen Kontext. Diese zumeist im Rahmen internationaler Kooperation angesiedelte Praxis wird im Rahmen der Heranführung an die EU als wichtig erachtet durch spezielle Projekt-Förderung (Agenda 2000 bzw. der ESF- und PHARE-Programme) auch in den Beitrittsländern. Diese Chance des Tripartismus könnte und sollte im Rahmen der vorhandenen tripartiten Strukturen im wechselseitigen Interesse in der Vorbeitritts-Phase viel stärker offensiv genutzt werden.
Im Vorfeld des EU-Beitritts
Die drei baltischen Staaten haben enorme Anstrengungen aufzuweisen, die formalen Beitrittsvoraussetzungen im Bereich des Sozial-Acquis zu erfüllen. Sie befinden sich in einem Prozess einer zunehmend aktiven Einstellung zur Heranführungs-Strategie an die EU mit unterschiedlichem Engagement der einzelnen Akteure der Arbeitsbeziehungen. Dabei entstehende Probleme im allgemeinen Bewusstsein haben Ihre Ursache z.T. wiederum in Defiziten des sozialen Dialogs wenn auch mehr indirekter Natur.
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nicht stabilisierten Position der Sozialpartner, bei den Gewerkschaften und insbesondere auf der Seite der Arbeitgeber. Der Tenor der Screenings für alle drei baltischen Staaten besagt, dass zusätzliche Anstrengungen vor allem im Bereich des autonomen Sozialen Dialogs sowie auch hinsichtlich mehr und besserer Tarifverträge auf Sektorebene erforderlich sind (vgl. Fortschrittsberichte 2001 für Litauen, Lettland, Estland). Hier besteht in allen Transformationsländern großer Nachholbedarf und damit auch eine Notwendigkeit verstärkter Kooperation mit den jeweiligen westeuropäischen Partnern, desgleichen ein gesteigerter Bedarf eines Erfahrungsaustauschs untereinander. EGB und UNICE werden künftig auf diesem Terrain stärker gefragt sein. Auch sollte der entsprechende transnationale Erfahrungsaustausch zwischen den Beitrittskandidaten viel stärker von diesen selbst angepackt werden, da sie vielfach mit analogen Problemen konfrontiert sind und daher Lösungswege z.B. auch innerhalb des Rates Baltischer Gewerkschaften auszutauschen wären. In dem Maße, wie auch in den baltischen Staaten die Beitrittsphase als positive Chance des Wandels erfahrbar gemacht werden kann, dürfte dies auch das öffentliche Interesse an der bevorstehenden EU-Integration steigern und die jetzt noch teilweise nicht ohne Grund vorhandenen Ängste zugunsten gezielter und realisierbarer Veränderungsstrategien abbauen helfen. Mit dem tripartiten sozialen Dialog sind schließlich auch Steuerungsstrukturen etabliert worden, die wenn auch unter anderen Vorzeichen in der Mehrzahl der EU-Mitgliedsländer gerade auf dem Gebiet der Arbeitspolitik z.B. durch unterschiedliche Bündnisse für Arbeit auch in der Regionalpolitik an Bedeutung gewonnen haben. Die hier gemachten positiven Erfahrungen (wie insbesondere auch in Ostdeutschland) sind auf die mittel-osteuropäischen Transformationsländer durchaus übertragbar. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002 |