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[Seite der Druckausg.:34]


Schlussbetrachtung

In den vergangenen Jahren war die russische Außenpolitik, im Vergleich zu den erratischen Bewegungen der Innenpolitik, insgesamt vorhersehbar und stabil. Änderungen in der Außenpolitik waren eher evolutionär und betrafen Akzente. Die Analyse bestätigt, dass der außenpolitische Kurs seit dem Wechsel in der Präsidentschaft eher realistischer und ausgewogener geworden ist. Großartige Erfolge der russischen Außenpolitik seien aber nicht zu verzeichnen gewesen und werden auch nicht erwartet. Der Hauptgrund dafür liege nicht so sehr in der Anlage und im Kurs der russischen Außenpolitik, obwohl dort auch ernsthafte Fehler gemacht wurden, sondern liege vielmehr in den innenpolitischen Schwierigkeiten, in einer allgemeinen Schwäche des Landes.

Kennzeichnend ist der wachsende Pragmatismus. Die anfängliche Euphorie, nämlich dass der Verzicht auf imperiale Traditionen Russland quasi automatisch in den Schoß der westlichen Zivilisation führen würde, wird nun von mehr realpolitischen Konzeptionen und einem gestiegenen Selbstwertgefühl abgelöst: Denn, wie immer gehe es darum die nationalen Interessen des Landes zu verteidigen und sich gegen Diktate der übriggebliebenen Supermacht zur Wehr zu setzen. Anfängliche Illusionen, der amerikanischen unipolaren neuen Weltordnung das Konzept einer multipolaren, mehr ausgewogenen Ordnung entgegensetzen zu können, sind mangels Attraktivität bislang gescheitert. An die Stelle der zermürbenden, ideologisch überhöht geführten Debatten um einen westlichen, eurasischen oder isolationistischen Focus der russischen Außenpolitik schält sich zu Beginn des 21.Jahrhunderts ein moderat-pragmatischer Kurs zum Westen wie zum Osten heraus, der um die Gefahren einer Schaukelpolitik weiß.

Die Abkehr von überzogenen und illusionären Erwartungen, wie sie die Konstitutionsphase nach 1991 dominierten, aber dann noch einmal nach 1996 unter der Ägide Primakows im Außenministerium aufflackerten, scheint vollzogen.

Indiz dafür scheint, das kaum jemand mit einer Wiedergeburt Russlands als Supermacht rechnet. Gleichzeitig verschwindet immer mehr das Syndrom der Katastrophenstimmung, das auf die Erwartungen der außenpolitischen Isolierung Russlands, des Zerfall des Landes etc. zurück zuführen war. Eine Mehrheit der Befragten hält einen Rückschlag, die Rückkehr zum Kalten Krieg in den Beziehungen mit dem Westen für unwahrscheinlich und glaubt, dass trotz aller Schwierigkeiten und Widersprüche die Beziehungen sich verbessern und weiterentwickeln können.

Wie man der Studie entnehmen kann, ist die zentrale außenpolitische Aufgabe Russlands die Stärkung der nationalen Sicherheit des Landes, die nach Meinung der Experten das schwächste Glied im Kontext der russischen Außen- und Innenpolitik ist. Russland sei, so die Experten, durch ein Mix von inneren und äußeren Faktoren gefährdet. Als potentielle externe Bedrohungen werden die NATO genannt, aber mehr noch die immer aktiveren „islamischen„ Kräfte. Die inneren Schwächen des Landes seien strukturell und allseitig bekannt, nämlich der wachsende Rückstand Russlands im Bereich von Wissenschaft und Technik gegenüber den westlichen Ländern. Damit gehe einher der Rückgang der internationalen Konkurrenzfähigkeit der russischen Wirtschaft.

Die Umfrage förderte eine Verschiebung außenpolitischer Prioritäten Russlands zutage, weg von den russisch-amerikanischen Beziehungen, die den Angelpunkt der russischen Außenpolitik in den 90-er Jahren darstellten, hin zum Versuch, eine strategische Partnerschaft mit asiatischen Staaten und mit Europa aufzubauen. Gleichzeitig konstatieren die Experten, dass im Westen, einschließlich Westeuropa, noch immer immense Vorur-

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teile gegen Russland bestehen. Allerdings existieren solche Voreingenommenheiten gegen den Westen auch bei einem Großteil der außenpolitischen Elite des eigenen Landes. Die Gestalt der künftigen geopolitischen Beziehung zu Asien und der Europäischen Union ist noch nicht klar, was den außenpolitischen Dialog noch ziemlich unbestimmt aussehen lässt.

Interessanterweise hält sich das Argument in der russischen Außenpolitik, dass die vorhandenen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Institutionen in Westeuropa (EU, NATO) keine geeignete Grundlage für eine intensive Kooperation zwischen Russland und Europa sein können. Das mag aber auch damit zusammen hängen, dass die außenpolitische Elite Russlands sich noch keine Klarheit darüber verschafft hat, in welcher Eigenschaft und Konfiguration Russland in den Beziehungen mit dem vereinigten Europa auftreten soll.

Die größte Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen zeichnet aber den postsowjetischen Raum aus. Die politische Orientierung der GUS-Staaten, ob Richtung Westen oder Richtung Russland, ist nach Meinung der Experten noch nicht eindeutig, so dass Perspektiven der GUS und anderer zwischenstaatlicher Blöcke unklar erscheinen. Andererseits betrachtet man die Integration ehemaliger osteuropäischer Ostblockstaaten in die europäischen Strukturen, einschließlich der NATO, als vollendete Tatsache. Daraus erwachsen in der russischen Politik aber keine Tendenzen der Selbstisolierung oder des Wagenburg-Denkens. Russland sieht sich eher von einer Mehrzahl von relevanten befreundeten Staaten unterstützt. Nur eine Minderheit wird als feindlich gegenüber Russland eingestuft.

Eine Ausnahme stellt das Verhältnis zu den USA dar, was sowohl auf erste unfreundliche Schritte der neuen US-Administration, als auch auf amerikanische Versuche zurück geht, das Hegemon in der Weltpolitik zu spielen. Die amerikanische Politik in der Balkan-Krise wirkt noch nach. Nach Ansicht der Experten diskreditierte die amerikanische Politik weitgehend die Idee der kollektiven Sicherheit. Als Aufgabe steht nun die Suche nach neuen, alternativen Sicherheitsmechanismen an.

Die Experten bewerten die Entwicklung der russisch-deutschen Beziehung überaus positiv, auch wenn sie auf einige Schwierigkeiten hinweisen. Das Gebiet Kaliningrads als Pilotregion für das Verhältnis Russlands zu Europa und Russlands zu Deutschland zu nehmen, wird von der Mehrzahl der Experten skeptisch betrachtet.

Optimistisch bewertet die Mehrheit der Experten Russlands Aussichten, eine wichtige Rolle in der internationalen Gemeinschaft zu spielen. Grenze der russischen Handlungsspielraumes und der außenpolitischen Möglichkeiten bleiben die abträglichen wirtschaftlichen, sozialen und inneren Probleme des Landes. Es steht außer Zweifel, und folgt auch aus Ergebnissen vorangegangener Umfragen, dass ein breiter Konsens in der russischen außenpolitischen Elite und auch in der Mehrheit der russischen Bevölkerung über die wichtigsten Probleme des Landes besteht. Sowohl die befragten Experten, als auch die russische Bevölkerung insgesamt glauben, dass der außenpolitische Kurs immer mehr den nationalen Interessen des Landes entspricht, insbesondere nach der Wahl W. Putin zum russischen Präsidenten.





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Nr. 90
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