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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:8]


1. Veränderungen im Kurs der russischen Außenpolitik seit Mitte der 1990er Jahre

Es ist hinreichend bekannt, das es in den letzten Jahren wesentliche Änderungen nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in der russischen Außenpolitik gegeben hat. In ihrer Folge vollzog sich ein Wandel der außenpolitischen Prioritäten, was eine sehr unterschiedliche Bewertung erfahren hat. Immerhin geht die Mehrzahl der Befragten davon aus, dass im Vergleich zur Sowjetzeit die russische Außenpolitik in den vergangenen zehn Jahren eine positive Evolution durchgemacht habe.

Bewertung der Veränderungen der russischen Außenpolitik im
vergangenen Jahrzehnt (in %)


  • 45,2

Veränderungen vorhanden – nicht sehr erhebliche, gleichwohl positive Veränderungen

  • 31,9 -

Veränderungen vorhanden, jedoch meistens negative Veränderungen

  • 17,1

Veränderungen vorhanden, sie sind erheblich und positiv

  • 4,8

Praktisch keine Veränderungen

  • 1,0

keine Antwort



Es fällt auf, dass die Bewertung der Veränderungen den grundlegenden politischen Orientierungen folgen. Daraus resultieren nahezu diametral entgegen gesetzte Einstellungen. So halten 80% der liberal-monetaristischen SPS-Anhänger die Veränderungen für positiv und betonen den Unterschied zur Außenpolitik der alten Sowjetunion. Genau aus diesem Grund stehen die KPRF- Anhänger den Veränderungen überwiegend skeptisch gegenüber (72%).

Darüber hinaus ist bemerken, dass die Analytiker den Veränderungen kritischer gegenüber stehen als jene, die diese Politik in die Praxis umsetzen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1

Bewertung der Veränderungen in der russischen Außenpolitik im vergangenen Jahrzehnt (in %)


Veränderungen:

Analytiker

Praktiker

Veränderungen vorhanden, sie sind
erheblich und positiv

12,5

20,0

Veränderungen sind nicht sehr erheblich, gleichwohl sind sie positiv

42,5

46,9

Veränderungen vorhanden, jedoch meistens negativ

38,8

27,7

Praktisch keine Veränderungen

5,0

4,6



Nach Meinung der Experten vollzog sich der Kurswechsel allmählich, wobei die wesentlichen Änderungen erst buchstäblich nach der Wahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten sichtbar wurden.

[Seite der Druckausg.:9]

Folgende Einschnitte wurden benannt:


15,7%

die Anfangsphase der demokratischen Veränderungen in Russland

24,8%

die Ernennung von E. Primakow zum Außenminister

34,8%

der Rücktritt von B. Jelzin und die Wahl W. Putins zum russischen Präsidenten im Mai 2000

5,2%

andere Meinungen

19,5%

keine Antwort



Dabei wird häufig eine Kontinuitätslinie von Primakow zu Putin gezogen. „In der Kosyrew-Zeit degradierte die Diplomatie auf fatale Weise. Primakow begann die Situation zu verbessern. Heute entwickelt Putin die besten Traditionen der „Primakowschen„ Diplomatie fort„, so ein außenpolitischer Experte. Es gibt allerdings auch eine gegensätzliche Ansicht: „Russland hatte in den vergangenen zwei Jahren keine Außenpolitik, und auch heute nicht; daher sei es sinnlos von irgendeinem außenpolitischem Kurs zu sprechen„.

In gewisser Weise bringen beide Ansichten die Polarisierung der außenpolitischen Elite entlang der Achse „Traditionalisten/Eurasier und Westler„ zum Ausdruck (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2

Dynamik der Strategie für die Entwicklung Russlands
(nach der Achse „Traditionalisten/Eurasier-Westler„, in %)


Wahl der Strategie für die Entwicklung Russlands

1993

1996

2001

Russland muss nach seinem eigenen Weg suchen, nach einer Alternative zum westlichen Entwicklungsmodell (Traditionalisten)

44

52

46

Russland muss Integration mit führenden westlichen Staaten anstreben, muss vom „Syndrom des russischen Andersseins„/Sonderweges abkommen (Westler)

51

41

40

Keine Antwort/andere Meinung

5

6

14



Deutliche Gegensätze bestehen zwischen den Traditionalisten/Eurasiern einerseits und den Westlern andererseits sowohl bei der Beurteilung der ersten „radikal-liberalen„ Reformphase in Russland und ihrer Außenpolitik, als auch der jetzigen „Putin„-Phase (siehe Tabelle 3).

[Seite der Druckausg.:10]

Tabelle 3

Abschnitte im letzten Jahrzehnt, mit denen positive Veränderungen in der russischen Außenpolitik in Verbindung gebracht werden können (in %)


Mit welchem Zeitabschnitt sind positive
Veränderungen in der russischen Außen-
politik verbunden:

Traditionalisten/
Eurasier

Westler

Mit der Anfangsphase der demokratischen
Veränderungen in Russland

7,2

25,3

Mit der Ernennung E. Primakows
zum Außenminister

22,7

22,9

Mit dem Rücktritt von B. Jelzin und der
Wahl W. Putins zum russischen Präsidenten

45,4

26,5



Unter „positive Veränderungen„ werden qualitative Veränderungen in der Außenpolitik verstanden. Nach Meinung der Elite ist die russische Außenpolitik ausgewogener im Verhältnis zum Westen wie zum Osten geworden; der außenpolitische Kurs stimme mehr und mehr mit den nationalen Interessen des Landes überein. Die westliche These, die russische Außenpolitik sei gegenüber dem Westen konfrontativer geworden, wird von den russischen Experten zurückgewiesen (siehe Tabelle 4).

Tabelle 4

Charakteristik des Wandels der russischen Außenpolitik in den letzten
3-4 Jahren (in %)


Aussagen:

Einver-
standen

Nicht ein-
verstanden

Schwer
zu sagen

Der außenpolitische Kurs Russlands entspricht immer mehr den nationalen Interessen

57,9

25,7

16,4

Der außenpolitische Kurs Russlands wurde ausgewogener gegenüber dem Westen und Osten

64,3

14,3

21,4

Der außenpolitische Kurs Russlands wurde gegenüber dem Westen konfrontativer

12,1

66,4

21,5



Nur eine Minderheit von 12,1% der Befragten bejaht eine konfrontative Entwicklung der russischen Westpolitik. Selbst bei den Gegnern eines „russischen Sonderweges„ glauben nur 23%, dass die derzeitige russische Außenpolitik übermäßig konfliktiv gegenüber dem Westen sei (dagegen sind 60% mit dieser These nicht einverstanden). (siehe Tabelle 5).

[Seite der Druckausg.:11]

Tabelle 5

Wandel der russischen Außenpolitik in den letzten 3- 4 Jahren, Expertenebene, Traditionalisten/Eurasier versus Westler (in %)


Aussagen über die Ausrichtung der Änderungen im außenpolitischen Kurs Russlands in den vergangenen 3-4 Jahren

Traditionalisten/
Eurasier

Westler

Einver-
standen

Nicht
einver-

standen

Einver-
standen

Nicht
einver-

standen

Der außenpolitische Kurs Russlands entspricht immer mehr seinen nationalen Interessen

63,9

24,7

51,8

31,3

Der außenpolitische Kurs Russlands wurde ausgewogener im Verhältnis mit dem Westen und dem Osten

68,0

14,4

55,4

21,7

Der außenpolitische Kurs Russlands verhärtete sich gegenüber dem Westen übermäßig

3,1

77,3

22,9

60,2



Mit der Frage nach den Erfolgen und Misserfolgen der russischen Außenpolitik in den vergangenen drei bis vier Jahren sollte konkreter eruiert werden, wie sich die positive Gesamteinschätzung der Veränderungen zu den konkreten Ergebnissen, verhält.

Als Erfolge der russischen Außenpolitik wurden verbucht

  • die Verbesserung der Beziehungen vor allem mit Indien, Vietnam und China

25%

  • Gründung der Union Russlands und Weißrusslands

9%

  • Restliche Nennungen betrafen Einzelfälle.



Wesentlich detaillierter äußerten sich die Experten zur Frage nach den größten Niederlagen der russischen Außenpolitik:

  • mit großem Abstand dominierte hier das Desaster der russischen Politik in Jugoslawien

33%

  • gefolgt von der NATO-Osterweiterung

13%

  • der Politik gegenüber Irak

7%

  • der Verschlechterung der Beziehungen zu den USA

5%

  • der passiven Politik im arabisch-israelischen Konflikt

5%

  • und der Verschärfung der Beziehungen zu Georgien

4%



Mit anderen Worten, ist der außenpolitischen Elite, und insbesondere deren Analytikern, die Diskrepanz zwischen den deklarierten Zielen, die im Großen und Ganzen gutgeheißen werden, und den beträchtlich bescheidenderen tatsächlichen Resultaten sehr wohl bewusst.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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