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Die Perspektiven der Sozialdemokratie in Ostmitteleuropa / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Industrieländer. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 17 Bl. : graph. Darst. = 56 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 72)
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT


1 Die gesellschaftliche Basis sozialdemokratischer Politik in Ostmitteleuropa
1.1 Soziale Demokratie in Ostmitteleuropa - Versuch einer Definition
1.2 Verankerung sozialdemokratischer Werte in der ostmitteleuropäischen Bevölkerung
1.3 Das soziale und ökonomische Potential für sozialdemokratische Politik

2 Die Perspektiven der sozialdemokratischen Parteien
2.1 Vom sozialdemokratischen Potential zum sozialdemokratischen Parteienspektrum
2.2 Chancen und Gefahren für die langfristige Stabilität der fünf wichtigsten Parteien
2.3 Die Beziehungen der sozialdemokratischen Parteien Ostmitteleuropas zu denen des Westens und insbesondere Deutschlands

Mit fortschreitendem Transformations- und Reformprozeß haben sozialdemokratische Kräfte und Werte in Ostmitteleuropa (Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei) an Bedeutung gewonnen. In den ersten Jahren nach dem Sturz des Kommunismus dominierten liberale Interessen, vor allem am Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft. Mit dessen Vollendung und dem Hervortreten bedenklicher sozialer Nebenwirkungen (Einkommensdifferenzierung, Armut, Arbeitslosigkeit) nahm das Interesse der Bevölkerung an einer sozialen Ausgestaltung der Transformation zu. Es äußerte sich in einem kräftigen Anstieg an Wählerstimmen für reformkommunistische und sozialdemokratische Parteien - mit Ausnahme der Slowakei, in der die populistische HZDS des Premierministers Meciar einen großen Teil dieser Kräfte bündelte.

Aber wie lange können die sozialdemokratischen Parteien diese Position besetzen, wie stark sind die Werte des sozialen Ausgleichs und das Interesse daran in der Bevölkerung verankert ? Um diese Fragen zu beantworten, seien folgende Aspekte analysiert:

  • eine versuchsweise Definition von "sozialer Demokratie" in Ostmitteleuropa
  • die Stärke sozialdemokratischer Werte in der Bevölkerung Ostmitteleuropas
  • das Ausmaß der Schichten und Gruppen mit Interessen, die sich traditionell in sozialdemokratischen Parteien artikulieren
  • die Mobilisierungskraft sozialdemokratischer Parteien
  • die Chancen und Gefahren für die langfristige Stabilität dieser Parteien die Beziehungen der sozialdemokratischen Parteien untereinander und mit dem Westen.

1. Die gesellschaftliche Basis sozialdemokratischer Politik in Ostmitteleuropa

    1.2. Soziale Demokratie in Ostmitteleuropa - Versuch einer Definition

Nach über vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft, die sich selbst als sozialistisch und demokratisch bezeichnete, läßt sich soziale Demokratie in Ostmitteleuropa schwer definieren.

Demokratie: Der zweite Bestandteil, "Demokratie" macht dabei weniger Schwierigkeiten. Seit 1989 entstanden aus den Pseudodemokratien der Parteidiktaturen echte pluralistische Mehrparteiendemokratien mit Machtwechseln durch freie Wahlen. Jeder Sozialdemokrat teilt dieses neue, alte Demokratieverständnis, das auf der Respektierung der Menschen- und Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und der zeitlichen Beschränkung von Herrschaft beruht. In der Tat war es vor allem dieser Konflikt um die Demokratie, der zur Spaltung zwischen der Zweiten (Erfurter Programm, Kautsky, Bernstein) und Dritten Internationale (Lenin) führte.

Sozialismus: Die wirtschafts- und ordnungspolitischen Abgrenzungen sowie - daraus abgeleitet - die sozialdemokratische Kritik am Planwirtschaftsmodell waren dagegen weniger scharf. Sozialdemokratie und Kommunismus teilen gerecht verteilten Wohlstand als Ziel der Wirtschaftspolitik. Selbst die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist, ist eher pragmatisch als ideologisch umstritten. Es wäre schwierig, ein bestimmtes Verhältnis von öffentlichem und privatem Sektor, eine bestimmte Staatsquote, ein bestimmtes Lenkungsinstrumentarium oder eine bestimmte Interventionstiefe als Abgrenzungskriterium zu wählen. Trotzdem hat sich sowohl aus Gründen der Demokratie als auch der Effizienz inzwischen ein Konsens herausgeschält, der einerseits auf Marktwirtschaft mit klaren privaten Eigentumsrechten setzt, andererseits ein breites Spektrum an öffentlichen Politiken zur politischen Korrektur von Marktergebnissen erlaubt.

In der Übergangsphase von der kommunistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft kommt der Privatisierung staatlichen Eigentums, der Etablierung von Märkten, der Liberalisierung von Preisen etc. erst einmal eine größere Bedeutung zu als der staatlichen Regulierung der Märkte. Aber auch letztere ist auf eine neue Grundlage zu stellen. Bürokratische Einzelentscheidungen über Menge, Preis und Qualität der Produktion sind durch allgemeine Marktordnungen und Regelungen zu ersetzen, innerhalb derer jeder Produzent frei entscheiden kann. In Ostmitteleuropa ist die Natur dieser Reregulierung durch die Anpassung an die Vorgaben des Europäischen Binnenmarkts vorgeschrieben.

Ein drittes Element ist zur Definition sozialer Demokratie in Ostmitteleuropa erforderlich: die Grundwerte der Außenpolitik. Sozialdemokratie zielt auf Frieden, internationale Verständigung und Solidarität. Dies schließt nicht die klare Vertretung nationaler Interessen, wohl aber ihre Verfolgung ohne Rücksicht auf die berechtigten Lebensinteressen anderer aus. Eine solche Politik legt die aktive Mitarbeit in internationalen Organisationen nahe, auch wenn ein Sozialdemokrat weder einen NATO- noch einen EU-Beitritt unbedingt befürworten muß.

Damit zeichnen sich drei Kriterien ab, die eine Partei, Gruppe oder Person in Ostmitteleuropa erfüllen sollte, wenn sie als sozialdemokratisch gelten will:

  • für Demokratie im Sinne der Respektierung der Menschenrechte und der Mehrparteiendemokratie;
  • für soziale Marktwirtschaft im Sinne der pragmatischen Fortsetzung der Reformpolitik;
  • für Frieden im Sinne eines Ausgleichs nationaler Interessen.

Damit unterscheiden sich die Sozialdemokraten von den wichtigsten politischen Alternativen:

  • von den Nationalisten, die das jeweilige nationale Interesse immer nur gegen andere Staaten und Völker durchsetzen wollen;
  • von den Liberalen, die das Attribut "sozial" vor der Marktwirtschaft streichen und die Reformpolitik ideologisch radikal und nicht pragmatisch fortsetzen wollen;
  • von den Kommunisten, die eine - wenn auch vielleicht nicht vollständige - Rückkehr zum Sowjetsystem anstreben.

1.2. Verankerung sozialdemokratischer Werte in der ostmitteleuropäischen Bevölkerung

Das "New Democracies Barometer", eine Meinungsumfrage in zehn mittel- und osteuropäischen Ländern gibt Hinweise auf die Haltung der Bevölkerung bezüglich Demokratie und Marktwirtschaft in den vier hier untersuchten Ländern Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn.

Tabelle 1: Demokratieorientierung

Tabelle 1

Die Demokratie ist nach diesen Daten am stärksten in Tschechien und Polen verwurzelt. Die positive Haltung der Ungarn gegenüber dem alten Regime verdankt sich der Tatsache, daß es schon sehr reformorientiert war ("Gulasch-Kommunismus"). Klarer pro-demokratisch wird das Bild, wenn man nach der Reaktion auf eine Auflösung des Parlaments und eines Verbots der politischen Parteien fragt. Über zwei Drittel der Befragten lehnen dies ab, und zwar 71% in Polen, 82% in Tschechien, 76% in der Slowakei und 70% in Ungarn.

Bezüglich der Wirtschaftsordnung ergibt sich ein ähnliches Bild:

Tabelle 2: Haltung zur Wirtschaftsordnung

Tabelle 2


Auch hier zeigt die Umfrage die besten Ergebnisse für Tschechien, gefolgt von Polen. In der Slowakei und Ungarn überwiegen die Marktskeptiker. Aber insgesamt lehnen die Befragten die politische Diktatur deutlicher ab als die Planwirtschaft.

Leider gibt es innerhalb des Demokratiebarometers keine direkten Indikatoren für Nationalismus. Indirekte Hinweise geben ein gemischtes Bild. So muß es bedenklich stimmen, wenn sich in der Slowakei 64%, in Tschechien 41%, in Polen immer noch 20%, in Ungarn 12% von ethnischen Gruppierungen und Minderheiten im eigenen Land bedroht fühlen. Gegen starke nationalistische Tendenzen spricht die starke Zustimmung für einen EU-Beitritt, die in allen Ländern über 80% liegt.

Die vorhandenen Daten erlauben leider keine Schnittmengenbildung. Die Vermutung liegt aber nah, daß kaum Befürworter der Marktwirtschaft für die alte Parteidiktatur eintreten. Das theoretische Potential der Sozialdemokratie dürfte also generell hoch liegen, zumal Marktskepsis durchaus mit sozialdemokratischen Tendenzen verträglich sein kann. Aber dieses Potential ist nicht spezifisch sozialdemokratisch, sondern umfaßt auch liberale und konservative Demokraten.

Unter den vier Ländern zeichnet sich Tschechien durch die liberalste Position aus. Dieser Befund wird durch eine andere empirische Erhebung bestätigt, die sich auf Umfragen in den Jahren 1990-91 stützt. Danach verbanden nur 7% der (damals noch) Tschechoslowaken soziale Wohlfahrt mit Demokratie, aber 15% der Polen und 30% der Ungarn. Der Begriff Gleichheit war für die Tschechen mit Gleichheit vor dem Gesetz verbunden, für die Ungarn eher mit wirtschaftlicher Gleichheit. Die Unterschiede zwischen arm und reich waren für die Ungarn relativ bedeutsamer als für andere mittel- und osteuropäischen Länder.

Die tatsächlichen Wahlergebnisse spezifizieren somit den Grobbefund der Umfragen:

  • In Tschechien ist die klar marktliberale ODS des Premiers V. Klaus besonders stark. Als einziges der hier betrachteten Länder verfügt es über eine starke, nicht reformkommunistische sozialdemokratische Partei. An den Extremen des Parteienspektrums lassen sich die Schichten identifizieren, die nationalistisch (Republikaner) bzw. systemnostalgisch (nicht reformierte Kommunisten) sind.
  • In Polen verbinden sich politische Freiheit und soziale Sicherheit enger. Die marktliberale Partei "Union der Freiheit" ist relativ schwach. Links und rechts unterscheiden sich eher kulturell (Verhältnis zur Kirche) und historisch (Solidarnosc gegen Kommunismus) als wirtschafts- und sozialpolitisch.
  • In der Slowakei ist die Systemnostalgie stark ausgeprägt. Ihre Befürworter finden sich vor allem in der HZDS des Premier Meciar sowie in ihren beiden Koalitionspartnern, der nationalistischen SNS und der linksextremen ZRS. Auf dem relativ engen Feld der marktwirtschaftlich orientierten Demokraten tummeln sich Liberale, Christdemokraten und Sozialdemokraten sowie die Parteien der ungarischen Minderheit.
  • In Ungarn spielt die soziale Frage eine zentrale Rolle. Davon haben die Sozialisten bei den Wahlen 1994 profitiert.

1.3. Das soziale und ökonomische Potential für sozialdemokratische Politik

Mit der Entwicklung zur Volkspartei haben sozialdemokratische Parteien im Westen sich stark von ihrer traditionellen Wählerbasis, den Arbeitern, abgekoppelt. Sie sprechen heute im Prinzip alle Bevölkerungsgruppen an. Wahlanalysen zeigen außerdem, daß auch bei weitem nicht alle Arbeiter sozialdemokratisch wählen. Daher wurde eine Zuordnung von gesellschaftlicher Position und daraus abgeleiteten Interessen zu einer Parteipräferenz immer schwieriger. Dies gilt weitgehend auch für Ostmitteleuropa.

Als grobe Einteilung der Bevölkerung in Mittel- und Osteuropa bietet sich an, die aktive Bevölkerung in Bauern, Beschäftigte im öffentlichen und privaten Sektor, Selbständige und Transfereinkommensbezieher (Arbeitslose, Rentner) zu gliedern. Eine weitere Einteilung könnte sich auf Einkommen (Arme-Reiche, bzw. Unterklasse, Mittelklasse, Oberklasse) beziehen.

In der Landwirtschaft waren 1990 in Polen 27%, in Tschechien 11%, in der Slowakei 12% und in Ungarn 15% beschäftigt. Die Bauern wählen im Westen selten sozialdemokratisch. In Polen und Ungarn, den beiden Ländern mit großer Landbevölkerung, gibt es erfolgreiche Bauernparteien. Die beiden Bauernparteien in der Slowakei sind unbedeutende Partner Teil in der Regierungs- bzw. in der linken Koalition.

Die Beschäftigung im privaten Sektor betrug in Polen 1994 ca. 60% und in Ungarn 1993 ca. 60%, in Tschechien 1993 47%, in der Slowakei 1994 ca. 40%. Die Arbeitslosenrate bewegte sich 1995 außer in Tschechien (3%) zwischen 10% (Ungarn) und 14% (Polen). In Rente oder Pension waren 1995 in Tschechien 25%, in Ungarn 29%, in Polen 18%, in der Slowakei 22% der Bevölkerung. In Tschechien sind zwischen 600.000 und 1,1 Millionen Selbständige, also um 10% der Bevölkerung. In der Slowakei liegt der Anteil eher bei 5%. In Polen gibt es 5,2 Millionen Selbständige (13,5%), darunter allerdings viele Bauern.

1992 lebten 43,7% der polnischen Bevölkerung in Armut (15,1% in extremer Armut), 25,3% der tschechischen (1,3%), 34,1% der slowakischen (3,9) und 19,4% der ungarischen (2,5%).

Geht man davon aus, daß vor allem Beschäftigte im Staatssektor, Rentner und Arbeitslose an sozialdemokratischer Politik interessiert sind, da sie davon eine dauerhafte Sicherung ihres Einkommens erwarten, so ergibt sich in allen Ländern schon ein erhebliches Potential. Real sind sicher nicht alle Mitglieder dieser Gruppen sozialdemokratisch, da andere, etwa soziokulturelle Faktoren eine erhebliche Bedeutung haben. Aber andererseits dürften auch unter den Beschäftigten des Privatsektors, den Bauern und Selbständigen Sozialdemokraten zu finden sein.

2. Die Perspektiven der sozialdemokratischen Parteien

2.1. Vom sozialdemokratischen Potential zum sozialdemokratischen Parteienspektrum

Die Bindung der Wähler an Parteien kann sich nach drei Modellen vollziehen: charismatisch über Führungspersönlichkeiten; klientelistisch als Versorgungssystem der Anhänger; programmatisch über (Wahl-)Programme der Parteien. In der Realität mischen sich die Formen. In Ostmitteleuropa dominiert die programmatische Variante, am deutlichsten in Tschechien und Ungarn. In der Slowakei gibt es starke charismatische Elemente um die Person des HZDS-Vorsitzenden und Premiers Meciar. Diese sind auch in Polen mit seinem semipräsidentiellen System ausgeprägt (Walesa vs. Kwasniewski). Daneben spielen klientelistische Verbindungen überall eine Rolle, wovon die zahlreichen Skandale, vor allem im Umfeld der Privatisierung, in allen Ländern zeugen.

Das oben (1.3.) umrissene subjektive und objektive Wählerpotential der Sozialdemokratie wurde in der vorstehenden Graphik näherungsweise als Summe von Arbeitslosenquote, Rentnerquote und halber Quote der Beschäftigung im Staatssektor definiert. Die sozialdemokratischen Parteien Ostmitteleuropas konnten dieses Wählerpotential nur zu einem Teil mobilisieren. Sie erreichten dies meist über programmatische Konkurrenz zu den konservativen und liberalen Parteien, im Falle der großen postkommunistischen Parteien Polens und Ungarns auch über klientelistische Einbindung. Daß die Wahlerfolge nicht höher ausfielen, könnte einerseits daran liegen, daß sich sozial Schwächere häufiger als der Durchschnitt der Bevölkerung der Stimme enthalten, andererseits daran, daß Wähler ihre Parteipräferenzen nicht nur nach der Art ihrer Haupteinkommensquelle sondern auch nach anderen lebensweltlichen Erfahrungen und Werten formen. Diese werden von anderen Parteien besser vertreten, die ebenfalls sozialdemokratische Elemente aufweisen und um diese Gruppen konkurrieren. Sozialdemokratische Personen und Kräfte sind selten in einer Partei konzentriert, sondern finden sich je nach Land in unterschiedlichen Organisationen.

Polen: Bei den jüngsten Parlamentswahlen von 1997 gewannen die sozialdemokratischen Parteien knapp ein Drittel der Stimmen. Die Demokratische Linksallianz (SLD) unter Führung der reformkommunistischen Sozialdemokratie der Republik Polen (SdRP) erhielt ca. 27%, die Arbeitsunion scheiterte knapp an der 5%-Hürde. Einige der Wähler der liberalen Freiheits-Union (10,6%) und der Wahlaktion Solidarnoscdürften ebenfalls als Sozialdemokraten einzustufen sein. Bei Solidarnosc, mit über einem Drittel der Stimmen Wahlsieger, verbinden sich allerdings konservativ-nationale Positionen mit populistischen Forderungen nach sozialer Sicherung. Diese Kräfte gewannen u.a. deshalb an Boden, weil die bis vor kurzem regierenden Linken den marktwirtschaftlichen Reformkurs unbeirrt fortsetzen.

Tschechien: Die Tschechische Sozialdemokratische Partei (CSSD) erzielte 1996 26,4% der Stimmen. Es ist anzunehmen, daß bei manchen Wählern der Kommunisten (10%), des Linken Blocks (1,4%) sowie einiger bürgerlicher Parteien noch sozialdemokratische Tendenzen bestehen, aber das Spektrum dürfte aktuell nicht ein Drittel der Wählerschaft übersteigen.

Slowakei: Die Koalition aus reformkommunistischer SDL, Sozialdemokraten (SDSS), Grünen und Landwirten erhielt 1994 10,4% der Stimmen. Die Unterstützung hat seitdem etwas zugenommen (SDL 11%; SDSS 4%). Unter den Wählern der nationalpopulistischen Regierungspartei HZDS und der linksextremen ZRS findet sich eventuell weiteres sozialdemokratisches Potential.

Ungarn: Die regierende Sozialistische Partei hat bei den Wahlen 1994 mit 33% der Stimmen die absolute Mehrheit im Parlament erzielt. Sie dürfte damit den größten Teil des sozialdemokratischen Potentials ausgeschöpft haben. Es gab sozialdemokratische Kräfte in der Partei der Freien Demokraten (SZDSZ), die aber inzwischen nicht mehr als erkennbarer Flügel aktiv sind, sowie eine sehr schwache Sozialdemokratische Partei.

In drei der vier Länder sind die reformierten Nachfolgeparteien der Kommunisten die wichtigsten sozialdemokratischen Kräfte. Sie haben in ihren Ländern das Vertrauen namhafter Teile der Bevölkerung errungen und/oder sind Bündnispartner wichtiger demokratischer Kräfte. Im Ausland sind sie von der SI als Mitgliedsparteien akzeptiert. Alle Parteien treten für Demokratie, soziale Marktwirtschaft und die Westintegration ihrer Länder ein.

Die vorstehende Graphik gibt einen Überblick über die Länderprofile mit dem jeweiligen Ausschöpfungsgrad und dem Konzentrationsgrad :

  • Nur in Tschechien hat die CSSD ein sozialdemokratisches "Monopol". In den drei anderen Ländern gibt es je zwei sozialdemokratische Parteien, d.h. SI-Mitgliedsparteien, allerdings im Fall Ungarns mit einer Partei, deren Mitgliedschaft suspendiert ist (Ungarische Sozialdemokratische Partei/MSZDP). In diesen Duopolen konkurriert jeweils eine vergleichsweise starke reformkommunistische Partei mit einer schwachen Neu- bzw. Wiedergründung.
  • In allen Ländern außer der Slowakei haben die sozialdemokratischen Parteien, d.h. die SI-Mitgliedsparteien, etwa die Hälfte des unterstellten Potentials ausgeschöpft. Am besten steht Polen mit 62% vor Ungarn mit 56% und Tschechien mit 48% da. Nur in der Slowakei fällt das Ergebnis mit 15% dramatisch schlechter aus. Hier hat der Populist Meciar auf Kosten der demokratischen Linken Stimmen gesammelt.

Die Beziehungen der sozialdemokratischen Kräfte untereinander hängen von der Stärke dieser Kräfte und ihrem Charakter (eigene Partei, Teil anderer Parteien) ab:

Polen: Die reformkommunistische SdRP wäre bereit, mit der Arbeitsunion zusammenzuarbeiten. Die programmatischen Differenzen sind nicht allzu groß. Der zentrale Konflikt ist eher ein "kultureller" Nachhall des Konflikts der 80er Jahre zwischen einer Partei aus dem Solidarnosc-Lager und einer Partei aus dem Lager der alten Macht. Diese Distanz ist noch größer zwischen der SdRP und den sozialdemokratisch geneigten Mitgliedern der liberalen UW (Kuron und Kuratowska). Die Solidarnosc ist wirtschaftspolitisch eher populistisch und gesellschaftspolitisch prokirchlich und damit in Polen nicht nur weiter von der SDL/SdRP entfernt als die Arbeitsunion, sondern praktisch in einem anderen "Lager".

Tschechien: Die CSSD sieht sich in einer Position der Stärke, von der aus sie andere Gruppierungen mit partiell sozialdemokratischem Profil eher absorbieren will als mit ihnen zusammenzuarbeiten. Am ehesten ist eine Koalition der CSSD mit den sozialkonservativen Christdemokraten denkbar.

Slowakei: Die wichtigsten slowakischen sozialdemokratischen Kräfte bildeten bis 1997 ein Bündnis. Die schwache sozialdemokratische Partei der Slowakei (SDSS) könnte einerseits mit der noch überwältigenderen HZDS Meciars zu kooperieren, an die sie immer wieder Mitglieder verliert. Die Parteiführung erwägt andererseits eine Annäherung an die liberale Demokratische Union. Im Sommer 1997 hat sie mit mehreren bürgerlichen Parteien (Liberale, Christdemokraten) ein Anti-Meciar-Bündnis geschlossen, dem die SDL aber nicht beitrat. Trotzdem dürfte sich die SDL außerhalb des sozialdemokratischen Feldes eher den liberalen Parteien näher fühlen, mit denen zusammen sie schon einmal kurzfristig die Regierung gestellt hat, als den populistischen Parteien der heutigen Regierungskoalition.

Ungarn: Die aus der kommunistischen Partei hervorgegangene und reformierte MSZP regiert in Koalition mit der sozialliberalen SZDSZ. Die winzige sozialdemokratische Partei Ungarns (MSZDP) befindet sich in Konkurrenz zur MSZP, der sie zeitweilig die Aufnahme in die SI verwehrt hat. Für die MSZP ist sie eine vernachlässigbare Größe.

2.2. Chancen und Gefahren für die langfristige Stabilität der fünf wichtigsten Parteien

Das sozialdemokratische Wählerpotential wird in absehbarer Zeit kaum abnehmen. Kommt es zu einer Krise im Zuge des weiteren Transformationsprozesses, so können die Sozialdemokraten von ihrem distanzierteren und instrumentelleren Verhältnis zum Markt profitieren, konkurrieren dann aber mit "fundamentalistischen" Reformgegnern. Produziert der Transformationsprozeß erfolgreich Wachstum und sinkende Arbeitslosigkeit, so können sie als grundsätzlich reformorientierte Parteien versuchen, sich mit einem Angebot eines besseren und sozialeren Managements des Reformprozesses zu profilieren. Sie konkurrieren dann mit den liberalen und konservativen Parteien.

Die Fähigkeit der Parteien, in wechselnden gesellschaftlichen Konjunkturen und in Konkurrenz zu anderen Parteien erfolgreich zu bleiben, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • ihr innerer Zusammenhalt bzw. Zerrissenheit
  • ihre Organisation
  • ihre Verbindung mit anderen gesellschaftlichen Organisationen
  • ihr Einfluß auf und in Medien
  • ihre Programmatik
  • ihr politischer Spielraum/Perspektiven

Diese Aspekte seine im folgenden für die wichtigsten ostmitteleuropäischen, sozialdemokratischen Parteien untersucht.

Sozialdemokratie der Republik Polen (SdRP) - 1997: 27%

Die Sozialdemokratie der Republik Polen entstand 1990 aus der Selbstauflösung der kommunistischen Partei, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei.

Persönlichkeiten: Kwasniewski hat sich als Präsident nach seinem Austritt aus der SdRP stärker als überparteiliche Figur profiliert. Er ist zwar leicht durch seine Rolle in der kommunistischen Vergangenheit belastet, verkörpert aber in seiner persönlichen Ausstrahlung eher ein junges, europäisches Polen. Angesichts seines Alters (Jahrgang 1954) kann er noch lange in der Politik eine führende Rolle einnehmen.
In der SdRP selbst sind der Vorsitzende Oleksy, Innenminister Leszek Miller und Premierminister Cimoszewicz die führenden Persönlichkeiten. In der breiteren Öffentlichkeit ist Olesky aber durch die Spionageaffäre belastet. Der parteilose Cimoszewicz könnte eine wichtige Integrationsfigur zur Mitte hin werden.

Tendenzen: In der Partei steht einer reformorientierten Führung (Alexander Kwasniewski, Jozef Oleksy) eine eher konservative Basis gegenüber. Letztere kann sich nicht zuletzt auf die 60% Altkommunisten unter den insgesamt ca. 60.000 Mitgliedern stützen. Der Reformflügel hat Rückhalt bei den neuen "roten" Unternehmern, Vertretern der alten Nomenklatura und Technokraten, die heute privatisierte oder private Unternehmen leiten.

Organisation: Die Partei verfügt über einen großen Apparat, der sich auf die Erfahrungen der alten PVAP und partiell auch auf deren Vermögen stützen kann.

Gesellschaftliche Einbindung: Die SdRP ist Teil des von ihr geführten, größeren Bündnisses der Demokratischen Linken aus insgesamt 28 Gruppierungen, darunter die Gewerkschaft OPZZ, der mit - nach eigenen Angaben - 1,2 Millionen Mitgliedern größten polnischen Gewerkschaft. Dazu kommen Frauenorganisationen, Lehrerverbände, Einzelgewerkschaften und viele weitere Vereine und Verbände. Bei den Wahlen 1993 gewann das Bündnis überdurchschnittlich viele Stimmen bei den Rentnern, Hausfrauen, Facharbeitern und Angestellten. Sie schnitt aber auch bei Selbständigen (ohne Bauern) und besonders im entwickelten polnischen Westen (außer Posen) sowie in den Industriezentren Warschau und Lodz gut ab. Bei den Wahlen 1997 konnte sie ihre Position noch verbessern.

Medien: Die SdRP gibt die Tageszeitung "Trybuna" (früher:"Trybuna Ludu"); daneben stehen ihr das Boulevardblatt "Nie" und die Monatszeitschrift "Dzis" sehr nahe. Spätestens seit dem Wahlsieg 1993 hat sie als Regierungspartei hervorragenden Zugang zu den elektronischen Massenmedien.

Programmatik: Noch 1993 ließen sich in der Programmatik der SdRP neben grundsätzlichen Bekenntnissen zur Demokratie eine Reihe anti-liberaler Elemente (Begrenzung individueller Rechte im Namen des Gemeinwohls, Zentralismus, Todesstrafe), Kritik am Privateigentum (bei Akzeptanz einer gesteuerten und sozialen Marktwirtschaft), Protektionismus und Ablehnung der NATO-Mitgliedschaft finden. Das meiste davon ist der Anpassung an westliche Vorstellungen und an die Regierungsverantwortung gewichen. So tritt die SdRP heute für Dezentralisierung sowie den EU- und NATO-Beitritt Polens ein. Im polnischen Kontext wichtig ist die von der SdRP vertretene Trennung von Kirche und Staat.

Spielraum/Perspektiven: Die Ambivalenz in Programm und Praxis (Fortsetzung des Reformkurses einerseits und klientelistische Elemente andererseits) erlauben der Partei eine flexible Reaktion auf die Wechsel in der polnischen Realität und in der Wählerstimmung. In wirtschaftspolitischer Hinsicht könnte sie mit der Freiheitsunion (UW) zusammenarbeiten, in sozialpolitischer vielleicht eher mit Solidarnosc. Die Lagerdistanz ist aber gegenüber der stark antikommunistsichen Solidarnosc größer als gegnüber der liberalen UW.

Union der Arbeit (Polen) - 1997: 5%

Die Union der Arbeit (UP) wurde 1992 von Anhängern des linken Flügels der Solidarnosc gegründet.

Persönlichkeiten: Prominenteste Vertreter sind der Vorsitzende Ryszard Bugaj und Zbigniew Bujak.

Tendenzen: Der sichtbarste Konflikt ging um die Haltung zur linken Regierung. Die UP trat nicht in die Koalition ein, stellte aber einen Minister, den Abgeordneten Marek Pol. Später erklärte sie sich als Teil der Opposition, worauf Pol die Fraktion verließ. Aus der örtlichen Ebene besteht die Partei oft zu erheblichen Teilen aus Mitgliedern der alten PVAP, die zur Zusammenarbeit mit der SdRP tendieren.

Organisation: Die UP verfügt nur über relativ schwache Strukturen auf der regionalen und lokalen Ebene.

Gesellschaftliche Einbindung: Die UP hat etwa 8000 Mitglieder. Ihre Anhängerschaft ist überdurchschnittlich gut gebildet. Bei den Wahlen 1993 erzielte sie einen hohen Stimmenzuwachs und kam auf 7%. Bei den Wahlen 1997 verlor sie Stimmen und scheiterte an der 5%-Hürde.

Medien: Die UP verfügt über keine eigenen Zeitungen oder Zeitschriften.

Programmatik: Die UP vertritt eine klassisch sozialdemokratische Linie. Wirtschaftspolitisch steht sie eher links von den westeuropäischen Parteien mit stärker interventionistischen Vorstellungen. Gesellschaftspolitisch gehört sie in Polen klar zum antikirchlichen Lager.

Spielraum/Perspektiven: Die UP kann ihren spezifischen Platz in Polen durch die Kombination Solidarnosc-Tradition/Sozialdemokratisch/Antiklerikal umreißen. Aber sie hat in keiner dieser Bereiche ein Monopol. Als Solidarnosc-Nachfolgepartei konkurriert sie mit vielen, meist rechten Gruppierungen. Als linke Partei muß sie sich gegen die mächtigen Parteien SdRP und Bauernpartei durchsetzen, von denen zumindest die SdRP auch gegen die katholische Kirche eingestellt ist. Je mehr sie gegen die beiden postkommunistischen Parteien auftritt, desto mehr ist sie auf die Kooperation mit den rechten Oppositionsparteien angewiesen.

Tschechische Sozialdemokratische Partei (CSSD) - 1996: 26 %

Persönlichkeiten: Prominentester Vertreter ist der Vorsitzende Milos Zeman. Die CSSD verfügt aber über weitere bekannte Figuren, darunter die Stellvertreterin Buzkova, den Gewerkschaftsvorsitzenden Richard Falbr.

Tendenzen: Nach langen Querelen seit 1990, die teils persönlich, teils politisch (Haltung gegenüber alten Kommunisten, Exilpartei vs. Inlandspartei) begründet waren, hat sich die CSSD unter Zemans Führung erheblich konsolidiert. Dank ihres Wachstums und ihrer relativ kurzen Geschichte gibt es aber noch Probleme, die bei diversen Abstimmungen im neuen Parlament deutlich wurden, als einige Abgeordnete die Fraktionsdisziplin verletzten und darauf ausgeschlossen wurden. Streitpunkte sind u.a. immer noch die Haltung zur Regierungspolitik und zu Deutschland.

Organisation: Die Finanzlage der Partei war lange prekär, da die Regierung die Rechtmäßigkeit der erst 1990 erfolgten Rückgabe ihres Hauptsitzes in Prag anzweifelte, womit die erwarteten Einnahmen aus dessen Vermietung ausfielen. Seit dem Wahlsieg hat sich die Situation entspannt. Der Partei fehlt es aber immer noch an erfahrenen Kadern.

Gesellschaftliche Einbindung: Die CSSD hat ca. 13.000 Mitglieder. Wähleranalysen zeigen, daß sie mit den orthodoxen Kommunisten um das gleiche Potential konkurriert, nämlich Alte, Bewohner ärmerer Regionen, Reformverlierer. Die Gewerkschaften verhalten sich parteineutral, doch besteht schon in der Person des Vorsitzenden eine gute Anbindung an die CSSD.

Medien: Die Partei verfügt nur über zwei kleine Periodika mit geringer Auflage (2000). Unter den überwiegend konservativen Presseorganen ist nur de zweitgrößte Tageszeitung Pravo links-pluralistisch, aber von der CSSD ganz unabhängig.

Programmatik: Die CSSD vertritt sozialdemokratische Mittelpositionen, wobei sie sich wirtschaftspolitisch durch eine mehr interventionistische Position von der liberalen Regierung abgrenzt. Sie unterstreicht die Vertretung nationaler tschechischer Interessen.

Spielraum/Perspektiven: Die CSSD ist relativ vorteilhaft positioniert, da sie links nur von weitgehend unakzeptablen, orthodoxen Kommunisten bedroht ist. Weitere kleine Linksparteien dürften langfristig nicht überleben. Vorläufig zahlt sich auch die Strategie der CSSD aus, das linke Wählerpotential der Kommunisten (ca. 10% der Wähler) weiter abzuschöpfen. Auch unter den Wählern der rechtsextremen Republikaner könnte sie durch Bearbeitung der entsprechenden Themen (Deutschlandfurcht, Kriminalität, Korruption etc.) Stimmen gewinnen. Daneben hat sie noch Platz in der Mitte gegenüber den Parteien der Regierungskoalition, wobei sie dort schärfer mit den sozial orientierten Christdemokraten konkurriert. Alternativen zur tatsächlichen Politik der Koalition sind schwerer zu entwickeln, da die Regierung praktisch viele soziale Interessen berücksichtigt, auch wenn sie sich als extrem liberal verkauft. Eien großzügigere Sozialpolitik wäre zwar eine naheliegende Option, die aber rasch an Haushaltsgrenzen stoßen könnte.

Partei der Demokratischen Linken (Slowakei) - 1994: 10%

Die Partei der Demokratischen Linken (SDL) entstand 1990 aus der alten kommunistischen Partei. Sie reformierte sich relativ überzeugend mit einem neuen Programm und einer Neuregistrierung der Mitglieder.

Persönlichkeiten: Am bekanntesten ist der langjährige (1990-96) Vorsitzende der Partei, der junge und intellektuelle Peter Weiss. Er wirkt aber in der Slowakei nicht als charismatische Persönlichkeit, auch wenn er bei westeuropäisch orientierten Beobachtern einen hervorragenden Eindruck macht. Der neue, ebenfalls junge Vorsitzende Migas wirkt vergleichsweise gesetzt. Sehr populär ist auch die wirtschaftspolitische Expertin und ehemalige Vizepremierministerin Brigita Schmögerova (sie nahm 1995 den ersten Platz bei einer Umfrage in der Slowakei ein).

Tendenzen: Konflikte zwischen den modernen, sozialdemokratischen, westlich und reformorientierten Kräften und den Traditionalisten waren bisher relativ schwach. Deutlicher waren die Auseinandersetzungen um die Haltung zur Regierungspartei HZDS (Koalition, Unterstützung oder Opposition).

Organisation: Die SDL hat das Vermögen und den Apparat der Kommunisten übernommen und verfügt daher über eine der besten Parteiorganisationen in der Slowakei.

Gesellschaftliche Einbindung: Mit etwa 25.000 Mitgliedern ist die SDL die zweitstärkste Partei in der Slowakei nach der HZDS (50.000 nach eigenen Angaben). Sie unterhält gute Beziehungen zu den Gewerkschaften. Sie ist auch für junge Wähler attraktiv. Insgesamt entspricht ihr Wählerprofil dem Durchschnitt.

Medien: Die zweitgrößte Tageszeitung Pravda und die politische Wochenzeitschrift Nove slovo stehen der SDL nahe. Die elektronischen Medien werden von der HZDS-Regierung kontrolliert.

Programmatik: Das Programm der SDL ist sozialdemokratisch mit eher interventionistischen wirtschaftspolitischen Elementen. Die SDL tritt für die Rechte der ungarischen Minderheiten und für eine Westintegration der Slowakei ein. Umfragen unter SDL-Anhängern enthüllen aber eine beachtliche Minderheit von Gegnern eines EU- und vor allem NATO-Beitritts sowie einer liberalen Wirtschaftsordnung.

Spielraum/Perspektiven: Sollte in der Slowakei die Dominanz Meciars und seiner HZDS enden, so hätte die SDL gute Chancen, den größten Teil der HZDS-Wähler für sich zu gewinnen, da diese Wähler nur in der Frage der ungarischen Minderheit deutlich andere Positionen vertreten. In dem durch Meciar polarisierten Feld ist ihr Spielraum deutlich enger, da die liberalen Positionen eher überbesetzt sind und die HZDS den Rest dominiert. Von Vorteil ist für die SDL, daß sie als Mitglied der SI Zugang zu westlichen politischen Strukturen hat, über den die Regierungsparteien nicht verfügen.

Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) - 1994: 33%

Die MSZP entstand 1989 als Nachfolgepartei der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei. Links gab es eine traditionalistische Abspaltung, die für eine gewisse Zeit den alten Parteinamen behielt.

Persönlichkeiten: Als Regierungspartei verfügt die MSZP über viele landesweit bekannte Politiker, von denen allerdings keiner eine wirklich charismatische Figur bietet.

Tendenzen: Innerhalb der MSZP gibt es keine Flügel mehr, aber einige Plattformen. Es gibt die sozialdemokratische Gruppe, die mit dem Namen von Ivan Vitanyi verbunden ist. Vitanyi hat auch das Parteiprogramm geschrieben und beschäftigt sich z.Z. mit der programmatischen Weiterentwicklung, obwohl er seine Funktion als Vorsitzender des Parteirates verloren hat. Auf der anderen Seite gibt es Linke Plattform unter Sandor Balog und Tamas Krausz auf der Basis einer Systemkritik am Kapitalismus. Die stärkste Plattform ist die dazwichen liegende sozialistische Plattform, die auf keiner konsistenten Ideologie basiert. Hier ist die wichtigste Persönlichkeit der ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende Sándor Nagy. In allen drei Gruppen gibt es trotz unterschiedlicher politischer Standpunkte starke kritische Tendenzen gegnüber der Partei und Fraktionsführung (Gyula Horn und I. Szekeres), die aber gerade wegen der unterschiedlichen Motivation wenig Wirkung entfalten.

Organisation: Als Nachfolgepartei der Staatspartei verfügt die MSZP über eine ausgezeichnete, flächendeckende Organisation und zahlreiche gut ausgebildete und erfahrene Politiker.

Gesellschaftliche Einbindung: Mit über 30.000 Mitgliedern ist die MSZP wahrscheinlich die stärkste ungarische Partei. Sie unterhält enge Beziehungen zum reformierten Nachfolgeverband MSZOSZ des alten Gewerkschaftsverbandes, der die mit Abstand stärkste Arbeitnehmervertretung Ungarns ist. Die Partei verfügt aber trotzdem nur über einen begrenzten Stammwählerkern. Ihren Erfolg in den Wahlen 1994 verdankt sie einem in Ungarn besonders starken Wechselwählerpotential, das überwiegend aus Reformverlierern besteht und 1996/7 Meinungsumfragen zufolge schon zu großen Teilen zur Partei der kleinen Landwirte (FKgP) weitergewandert ist. Andererseits wählen vor allem Manager die Partei wegen ihrer harten Stabilisierungspolitik. Allgemein ist die Partei eng klientelistisch mit der alten Nomenklaturaelite verbunden, die inzwischen führende Wirtschaftspositionen innehat.

Medien: Die MSZP hat guten Zugang zu den Zeitungen, vor allem zur größten ungarischen Zeitung Népszabadság, aber auch der sozial-liberalen Magyar Hirlap und der ehemaligen Gewerkschaftszeitung Népszava. Als Regierungspartei kontrolliert sie außerdem die elektronischen Medien in einem gewissen Umfang.

Programmatik: Das durch und durch sozialdemokratische Programm prägt nur bedingt die Regierungspraxis der MSZP. Nicht zuletzt unter außenwirtschaftlichem Druck (Verschuldung) fährt die MSZP-SZDSZ-Koalitionsregierung einen strikten Stabilisierungskurs, der die Anhänger unter den Reformverlierern und Armen besonders hart trifft.

Spielraum/Perspektiven: Die Kombination von linker Programmatik und liberaler Politik könnte der MSZP weiter gut dienen (ähnlich wie Felipe Gonzalez in Spanien), wenn die Wähler mitspielen. Leider scheint dies in der Mitte der Legislaturperiode nicht mehr der Fall zu sein. Außerdem antworten traditionell eher liberale und konservative Parteien auf diese Politik mit zunehmend linken und keynesianischen Konzepten.

Die beiden sozialdemokratischen Regierungsparteien sitzen zwischen den Stühlen der sozialen Erwartungen der Mehrheit ihrer Wähler und dem Zwang zu einer eher restriktiven Stabilitätspolitik. Zu dieser Politik zwingt sie von außen die Verschuldung und die EU-Vorbeitrittsstrategie und von innen ihre zur Wirtschaftselite gewandelte alte Nomenklaturaklientel.

Unter den sozialdemokratischen Oppositionsparteien dürfte die CSSD am besten plaziert sein. Nicht nur hat sie schon heute die größte Wählerschaft, sondern sie hat auch wenig ernsthafte Konkurrenten in einer Gesellschaft, die bei aller Bürgerlichkeit starke Gleichheitstendenzen aufweist. Die slowakische SDL wäre theoretisch in der gleichen Lage, wenn nicht der populistische Faktor Meciar nicht alle Einschätzungen so schwierig gestalten würde. Aber sein Sturz könnte zunächst die liberalen Kräfte stärken, die ihm deutlicher entgegengesetzt sind als die SDL. Die polnische Arbeiterunion ist in der prekärsten Lage unter den größeren sozialdemokratischen Parteien in Ostmitteleuropa, da sie nach allen Seiten kräftige Konkurrenten hat.

2.3. Die Beziehungen der sozialdemokratischen Parteien Ostmitteleuropas zu denen des Westens und insbesondere Deutschlands

Vor 1989 hatten nur einige Exilparteien bzw. illegale Oppositionsparteien engere Beziehungen zur Sozialistischen Internationale (SI), so etwa die Polnische Sozialistische Partei (PPS) von Jan Jozef Lipski. Mit den kommunistischen Parteien gab es Gesprächskontakte einzelner Parteien. Ab 1989 nahm die SI eine Reihe von Parteien als Mitglieder auf (darunter die ungarischen, tschechischen und slowakischen Sozialdemokraten), zunächst jedoch keine Nachfolgeparteien der alten Kommunistischen Parteien.

Angesichts der überzeugenden Reform einiger Kommunistischer Parteien nahm die SI nach und nach die ungarischen, slowakischen und polnischen Reformkommunisten erst als Beobachter und seit dem New Yorker Kongreß von 1996 als Vollmitglieder auf. Damit ergibt sich z.Z. folgender Status:

  • Polen: Die Sozialdemokratie der Republik Polen (SdRP) hat SI-Beobachterstatus seit 1994 und ist SI-Vollmitglied seit 1996. Sie ist Beobachter bei der PES (Partei der Europäischen Sozialisten).
    Die Arbeitsunion hat ebenfalls SI-Beobachterstatus seit 1994 und ist SI-Vollmitglied seit 1996.
  • Tschechien: Die Sozialdemokratische Partei CSSD ist seit 1990 Vollmitglied der SI und Beobachter bei der PES.
  • Slowakei: Die sozialdemokratische Partei SDSS ist Vollmitglied der SI und Beobachter bei der PES.
    Die Partei der Demokratischen Linken (SDL) ist Vollmitglied seit 1996 und Beobachter bei der PES.
  • Ungarn: Die Sozialdemokratische Partei (MSZDP) ist Beobachter, nachdem ihre Vollmitgliedschaft 1993 suspendiert wurde.
    Die Sozialistische Partei (MSZP) ist Beobachter seit 1992 und Vollmitglied der SI seit 1996. Gyula Horn ist einer der Vizepräsidenten der SI. Bei der PES ist sie Beobachter.

Die sozialdemokratischen Kräfte Mitteleuropas haben gegenüber Deutschland Interessen auf verschiedenen Ebenen:

  • die parteipolitische Ebene: Die Parteien erwarten politische und - in Einzelfällen - technische und materielle Unterstützung. Als Beispiel sei der Fall der CSSD erwähnt, der die Regierung das Eigentumsrecht an der Parteizentrale streitig machte und damit eine wesentliche Finanzierungsquelle blockierte. Die CSSD erwartete von deutscher Seite Vorstellungen bei der tschechischen Regierung.
    Vor ihrer Anerkennung durch die SI suchten die mitteleuropäischen Reformkommunisten Hilfe bei der Aufnahme in die SI - gelegentlich in Konkurrenz zu Traditionssozialdemokraten, die ihrerseits die Unterstützung beanspruchten. Konflikte wegen der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Kräften könnten vor allem in Polen auftreten, da dort das Partei- und Organisationsspektrum; das um die Stimmen der sozial Schwachen wirbt, wegen der Konkurrenz zwischen Reformkommunisten, Arbeiterunion und Solidarnosc noch vielfältiger ist.
    Mit dem relativen Erfolg bei Wahlen und der internationalen Anerkennung ist das Interesse an Unterstützung schwächer geworden, aber keineswegs gänzlich erloschen. Es gibt weiter Kontakt- und Gesprächsbedarf, der sich allerdings thematisch häufig in den beiden folgenden Ebenen ansiedelt. Trotzdem sind Fragen der Parteiorganisation, des Verhältnisses von Partei und Fraktion, der sozialdemokratischen Programmatik und des Designs bestimmter Politiken auch noch Gegenstand von Kooperationswünschen.
  • die gesellschaftspolitische Ebene: Deutschland übt als wichtigster Handelspartner und Investor einen großen wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Einfluß in Mitteleuropa aus. Die Sozialdemokraten sind einerseits an einer Fortsetzung der für ihre Länder nützlichen Beziehungen (weitere Investitionen, Marktzugang) interessiert. Andererseits teilen sie partiell die Befürchtungen ihrer Landsleute, daß Deutschland einen übermäßigen Einfluß zum Schaden der eigenen Wirtschaft und Gesellschaft nehmen könnte, etwa durch die massiven Exportüberschüsse oder den Aufkauf besonders wichtiger Unternehmen. Sie sehen aber in der Regel, wie beschränkt die wirtschaftspolitischen Steuerungsmöglichkeiten sind, die es der deutschen Seite erlauben würden, politisch weniger erwünschte Marktergebnisse zu korrigieren.
  • die nationalpolitische Ebene: Mitteleuropas Sozialdemokraten teilen das Interesse der Bevölkerungsmehrheit an einem raschen Beitritt zur EU und NATO. Sie erwarten von Deutschland eine Unterstützung dieser Anliegen, vor allem gegenüber weniger enthusiastischen Altmitgliedern (z.B. Griechenland oder Spanien in der EU oder Türkei in der NATO). Je mehr die Beitrittsverhandlungen, insbesondere zur EU, konkrete Probleme berühren, desto stärker werden Interessenkonflikte hervortreten. Die Mitteleuropäer werden von Deutschland als einem Nutznießer und Motor der Osterweiterung erwarten, daß es sich ihren Wünschen aufgeschlossen zeigt und als Anwalt Mitteleuropas bei seinen EU- und NATO-Partnern und bei den supranationalen Gremien (EU-Kommission) auftritt.
    Die Sozialdemokraten werden in diesen nationalen Fragen selten eine grundsätzlich andere Position als andere demokratische Kräfte (extreme Parteien sind evtl. gegen einen EU- oder NATO-Beitritt) vertreten. Aber sie könnten gelegentlich versuchen, sich von ihren innenpolitischen Gegnern durch eine abweichende, gelegentlich auch härtere Position in Einzelfragen abzuheben. Dies ist auch in Spezialpunkten des bilateralen Verhältnisses zwischen Deutschland und seinen mitteleuropäischen Nachbarn denkbar. So haben die tschechischen Sozialdemokraten z.B. bei der deutsch-tschechischen Erklärung eine Zusatzerklärung des Parlaments erzwungen, die die Unveränderlichkeit der tschechischen Haltung unterstrich.

Abgesehen von Angelegenheiten der parteipolitischen Ebene wenden sich die mitteleuropäischen Sozialdemokraten mit ihren gesellschafts- und nationalpolitischen Interessen gegenüber Deutschland nicht vorrangig an die deutschen Sozialdemokraten, zumal diese - im Gegensatz zu den ungarischen und polnischen Partnerparteien - nicht in der Regierungsverantwortung stehen. In bestimmten Fällen ist aber denkbar, daß sie sich von den Sozialdemokraten mehr Verständnis für ihre Probleme erhoffen und an gemeinsame Werte ("internationale Solidarität") appellieren. Im Streit um die deutsch-tschechische Erklärung haben sie z.B. versucht, neben Kontakten auf der Ebene der Parlamentspräsidenten auch über die Bundestagsfraktion der SPD eine gemeinsame Erklärung zu lancieren.

Die SPD ihrerseits vertritt - ähnlich wie ihre mitteleuropäischen Partnerparteien - kaum von der nationalen Haltung abweichende Positionen in den wichtigen Fragen der deutschen Außenbeziehungen zum östlichen Mitteleuropa. Das Spektrum der parteiinternen Positionen unterscheidet sich kaum strukturell von dem in der CDU, wenn es um die Abwägung schwieriger Prioritäten (z.B. Erweiterung und Vertiefung) geht.

Bei der NATO-Osterweiterung befürchten Teile der SPD eine unnötige neue Konfrontation mit Rußland und eine Ausgrenzung der mittel- und osteuropäischen Länder, die nicht in der ersten Runde aufgenommen werden. Bei der EU-Osterweiterung reiben sich die Bedenken der Europapolitiker mit den Wünschen derer, die im Interesse einer Stabilisierung Mitteleuropas eine rasche Aufnahme für notwendig halten.

Sozialdemokraten haben außerdem in einigen Bereichen spezifische Akzente gesetzt:

Marktwirtschaft: Im Zuge des Transformationsprozesses in Mitteleuropa haben sie die Notwendigkeit der sozialen Abfederung der Reformen unterstrichen, gradualistische Strategien gegenüber "big bang"- Ansätzen bevorzugt und auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Einführung von Märkten mit aktiver staatlicher Regulierung dieser Märkte zu koppeln.

Handel: Trotz grundsätzlicher Bereitschaft zur Marktöffnung teilen sie stärker die Sorgen der von Importkonkurrenz oder Verlagerung betroffenen Unternehmen und Beschäftigten. Sie befürworten Anpassungshilfen und stärker verhandelte und kontrollierte Strukturveränderungen. Sie erwarten zwar keine unangemessen hohen Löhne in Mitteleuropa, aber den Schutz der Rechte der dortigen Arbeitnehmer, womit auch eine mittelfristige Anpassung ihrer Realeinkommen an den Produktivitätsfortschritt impliziert ist.

Hilfe: Vor allem in der Anfangsphase der Transformation, aber auch noch danach, sind sie für eine großzügige Hilfe für die jungen Demokratien eingetreten.

Diese Akzente werden bei den Beitrittsverhandlungen zur EU noch mehr an Bedeutung gewinnen. Sozialdemokraten werden etwa fordern, daß die Neumitglieder die Sozialcharta des Maastrichter Vertrags unterzeichnen und nicht nach britischem Muster dort ein "opting out" eingeräumt bekommen (und wahrnehmen). Ansonsten dürften sie für eine großzügigere Ausstattung der Strukturfonds sein, von denen sie sich eine Abfederung der Anpassungsprobleme erhoffen.


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