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Teildokument zu: Europas schwieriger Osten 4. Strategien gegen peripherisierung: Währungsmerkantilismus, aggressive Handels- und Standortpolitik Ob MOE eine Peripherisierung vermeiden kann und sich in eine Wachstumsregion
verwandelt, hängt primär nicht von der EU ab, sondern von MOE
selbst. Die bisher in MOE verfolgten Strategien und Politiken lassen eine
solche positive Entwicklung - bis auf wenige Ausnahmen wie evtl. Tschechien
- aber eher zweifelhaft erscheinen. Geht man von den Erfahrungen der Länder aus, die sich erfolgreich
nachholend industrialisierten, so müßte MOE ein Politikbündel
verfolgen, das Maßnahmen einschließt, die den (kurzfristigen)
Wirtschaftsinteressen des Westens eher zuwiderlaufen. Dazu zählen:
Diese Politiken haben unterschiedliche Voraussetzungen und Folgen: a) Währungsmerkantilismus: Geld ist die zentrale Voraussetzung von Wachstumsprozessen in einer
Marktwirtschaft. Nur wenn Investoren ein Interesse haben, mehr von der
nationalen Währung zu erwerben, werden sie Investitionen tätigen,
von denen sie einen künftigen Strom an Einkommen in dieser Währung
erwarten. Selbst Vermögensbesitzer, die nicht an realwirtschaftliche
Investitionen denken, werden Mittel und Wege suchen und finden, ihr Vermögen
in anderen Formen (Fremdwährungen, Sachwerten) zu halten, wenn die
eigene Währung nicht vertrauenswürdig ist. MOE-Währungen haben es auch schwer, Vertrauen zu gewinnen, da die inländischen Vermögensbesitzer eine unklar definierte Gruppe bilden. Das Sachvermögen liegt weitgehend in Staatshand und hat einen unbekannten Wert. Das Geldvermögen (der berühmte "Geldüberhang") gehört vor allem den Haushalten, die es meist in Form von Bankeinlagen hielten. Diesen Forderungen an die Banken stehen Forderungen der Banken an die Unternehmen gegenüber. Soweit dieses Geldvermögen nicht im Zuge von Preisreform und Inflationierung ohnehin entwertet ist, hängt sein Wert also von der Leistungsfähigkeit der bei den Banken verschuldeten Unternehmen ab. Selbst bei eingeschränkter Konvertibilität unterliegt die
nationale Währung einer Währungskonkurrenz. In ihr kann sie nur
bestehen, wenn sie stabil und knapp ist sowie eine positive Realverzinsung
bietet. Außenwirtschaftlich dient dazu am besten ein nomineller Wechselkursanker,
d.h. die Bindung des Wechselkurses an eine Hartwährung, die durch
Unterbewertung, einen strukturellen Exportüberschuß und eine
geringe Inflation zu verteidigen ist. Eine solide Geld- und Fiskalpolitik
sowie eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik sichern die Preisstabilität.
Daraus ergibt sich auch ein relativ dickes Polster an Devisenreserven,
das die Neigung senkt, in Fremdwährungen zu fliehen, da diese im Bedarfsfall
erhältlich sind. Gelingt diese Hartwährungspolitik, erfüllt
die Zentralbank intern und extern Gläubigerfunktion und die Schuldnerrolle
kommt - marktgerecht - den Investoren zu. Die westdeutsche Politik nach der Währungsreform von 1949 zeigt, wie es eine solche Politik erreicht, einen Akkumulationsprozeß in der nationalen Wirtschaft in Gang zu setzen und zu halten. In MOE führen die instabilen Geldwirtschaften dazu, daß sich ein Teufelskreis von Staatsdefiziten, Inflation und Abwertungsdruck einstellt. Die Zentralbank wird zum Schuldner internationaler Finanzinstitutionen und übernimmt das Währungsrisiko, das die Investoren tragen müßten. Der Westen müßte - ähnlich wie die USA in den 50er Jahren
gegenüber Westeuropa - bereit sein, die Entschuldung der MOE-Länder
zuzulassen, ja zu fördern. Die Schuldenerlasse für Polen waren
ein derartiger Schritt.
Angesichts der Schwierigkeiten, unter den Bedingungen der Währungskonkurrenz in MOE ein stabiles, vertrauenswürdiges Geld zu schaffen, kommt der Erzielung von Exportüberschüssen eine Schlüsselrolle zu. Die Unterbewertung der Währung ist dagegen nur eines von mehreren Instrumenten zu diesem Zweck. Eine offensive Handelspolitik muß die Wechselkurspolitik unterstützen. Eine Kombination von Einfuhrhemmnissen und Exportförderung dient der Erzielung von Leistungsbilanzüberschüssen. Strukturpolitisch würde es eine solche differenzierte Importpolitik MOE erlauben, in Branchen Aufholprozesse zu organisieren, in denen sie sonst von der Westkonkurrenz bei jedem Preis vom Markt gefegt werden (Automobilbau, Konsumelektronik etc.). Die Exportförderung stellt bisher in MOE eine Leerstelle dar. Sie ist nötig, um insbesondere neue private Firmen und kleine und mittlere Unternehmen an Exportmärkte heranzuführen. MOE muß versuchen, eine Spezialisierung auf Exportproduktion mit
niedriger Einkommenselastizität zu vermeiden, sondern in Marktsegmente
der Industrieländer eindringen, die stärker als das Einkommen
wachsen. Gelingt dies nicht, droht jedes Wachstum in MOE, das höher
als im Westen liegt, an Zahlungsbilanzproblemen zu scheitern. Dabei gestalten
sich die Entwicklungschancen für MOE desto günstiger, je höher
das Wachstum in den Hauptabsatzmärkten im Westen ist. c) Standortpolitik: Um ein Standort für international wettbewerbsfähige Produktion
zu werden, muß MOE versuchen, jenes Bündel von Bedingungen zu
realisieren, das modernere Analysen zur Wettbewerbsfähigkeit (Porter)
herausgearbeitet haben:
Diese sektoralen und firmenbezogenen Standortfaktoren bedürfen
der politischen Flankierung auf der Meta-, Makro- und Mesoebene. Nur ein
Teil dieser Bestimmungsgrößen "systemischer Wettbewerbsfähigkeit"
(DIE) sind politisch machbar.
Die wenigsten Länder in MOE werden eine solche Strategie in Kürze
verfolgen. Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen erlauben keinen
Konsens für eine solche konsistente Politik. Zuviele Gruppen sind
gegen diese Strategie, da sie ihre Interessen verletzt oder ihren ordungs-
und gesellschaftspolitischen Grundüberzeugungen widerspricht. Selbst
bei gutem Willen hätten die meisten Länder noch erhebliche Umsetzungsprobleme,
solange ihnen im Staat eine entsprechende Verwaltung und in der Wirtschaft
eine innovationsfreudige Unternehmerschaft fehlt. d) Außenwirtschaftsdiplomatie Die unterschiedliche Strategiefähigkeit der MOE-Eliten trägt
zu einer zunehmenden Differenzierung der wirtschaftlichen Entwicklung unter
den Reformstaaten bei. Einige Länder wie Tschechien, Slowenien und
Ungarn könnten rasch das Niveau zumindest der südwesteuropäischen
Peripherie erreichen, während andere (z.B. Ukraine) voraussichtlich
noch länger zum Armenhaus von MOE zählen werden. Dieses Armenhaus
bedroht aber gleichzeitig die reicheren MOE-Standorte, da es für Produktionen,
die nur auf Lohnkostenvorteile abzielen, zumindest bei politischer Stabilität
der noch günstigere Standort bleibt. Die Standort- und Währungskonkurrenz unter den MOE-Staaten könnte
regionale Konflikte verschärfen und wolkigen Nationalismen einen festen
Boden harter Interessen verschaffen. Regionale Kooperation vernachlässigen
die MOE-Länder bisher ohnhin zugunsten eines Wettlaufs in die EU und
NATO. Kommt es zu einer Hierarchisierung der Regionalökonomie, werden
die wirtschaftlich schwächeren Länder nur mit Widerwillen die
unteren Plätze einnehmen, insbesondere wenn sie politisch-militärisch
stärker sind. Die Slowakei mag sich noch mit dem Vorsprung Tschechiens
abfinden - um den Preis wachsender Ressentiments. Aber Rußland wird
sich schwerer in eine Rolle als armer Rohstofflieferant finden. Es setzt
schon heute seine ökonomische Macht in der GUS ein, um politische
Ziele durchzusetzen und dürfte auch umgekehrt versuchen, wirtschaftliche
Ziele mit politischen Mitteln zu erreichen. Gegenüber der EU muß MOE versuchen, weiter auf Marktzugang
zu drängen und dabei an die übergeordneten außenpolitischen
Interessen des Westens appellieren. Der EU-Beitritt würde den Marktzugang
sichern. Es sollte sich aber nicht auf dessen Wohlwollen verlassen, sondern
gleichzeitig seine Flexibilität und Findigkeit steigern, um Importbarrieren
zu unterlaufen. Letztlich kann MOE nur bestrebt sein, so stark und wettbewerbsfähig
wie möglich zu werden. Toleriert oder fördert die EU dies, umso
besser. Tut sie es nicht, so steht MOE als schwache Wirtschaftsregion auch
nicht besser da. 5. Die Strategie der Wohlstandsinsel: besser Standort
sichern als Liegeplatz verteidigen Die EU steht spiegelbildlich vor einem ähnlichen Dilemma, allerdings
in der erheblich stärkeren Position der Metropole. Sie muß zwischen
unterschiedlichen Interessen unter verschiedenen Szenarien abwägen.
Im Falle einer erfolgreichen Entwicklung MOEs (Asien-Szenario) stellen
sich Westeuropa andere Probleme als im Falle einer Stagnation oder Destabilisierung
der Region. Bei einer wahrscheinlichen Differenzierung innerhalb MOEs muß
die EU gegenüber den einzelnen Ländern jeweils anders vorgehen.
Die EU, ihre Position und Handlungsmöglichkeiten sind dabei in
vielfältiger Weise beschränkt:
Im Rahmen dieser ihrer Möglichkeiten könnte und wird die EU
versuchen, die sich herausbildende Arbeitsteilung mit MOE zu beeinflussen.
Zwei grundsätzliche Optionen wären denkbar: a) Abwehr durch Protektionismus sowie Kontrollen des Personen- und Kapitalverkehrs;
Benachteiligten zu entschädigen. a) Statt Liegeplatz verteidigen... Gegen ein Taiwan vor der Haustür kann sich die EU nur um einen
hohen Preis wehren. Ein Teil des hohen Preises könnte sogar sein,
MOE einen möglichen Aufstieg à la Asien zu verwehren und dann
mit den Folgen seiner Lateinamerikanisierung oder Afrikanisierung leben
zu müssen. Gegen ein Afrika braucht die EU zwar keinen Schutz vor
Niedriglohnkonkurrenz, aber vor Armutsmigration und außenpolitischen
Risiken. Dabei sind die voraussichtlichen Kosten der Arbeitsteilung auch mit
einem erfolgreichen MOE nicht zu übersehen: Subsektoren und/oder Teilproduktionsprozesse,
in denen wenig qualifizierte Arbeit eine große Rolle spielt, wandern
nach MOE als Folge von Verlagerungen oder Importkonkurrenz ab. Die entsprechenden
Arbeitskräfte in der EU verlieren ihre Arbeitsplätze. Wachstum,
Einkommen und Beschäftigung nehmen relativ ab. Angesichts der Tendenz
der EU-Arbeitsmärkte, einen großen Teil der einmal Entlassenen
nicht wieder einzustellen, steigt die Sockelarbeitslosigkeit dauerhaft
weiter. Andere freigesetzte Produktionsfaktoren (Kapital, qualifizierte
Arbeit) mögen leichter eine neue Beschäftigung finden, aber angesichts
stagnierender Gesamtnachfrage auch nur zögerlich. Diese Kosten sind
nicht MOE-spezifisch. Käme die Konkurrenz nicht aus MOE, so käme
sie von anderen Niedriglohnstandorten. Das Ausmaß der (bisherigen) Beschäftigungverluste durch den
Handel mit den Niedriglohnländern wird dabei aber meist überschätzt.
Einschlägige Analysen kommen auf direkte Beschäftigungswirkungen
von unter 5% der Arbeitsplatzverluste, die durch Produktivitätsteigerungen
ausgelöst wurden. Offen bleibt die Frage, inwieweit die Konkurrenz
aus den Niedriglohngebieten ihrerseits die bedrängten Industrien veranlaßte,
ihre Produktivität zu erhöhen. Die verteilungspolitisch motivierten
Klagelieder der Standortdebatte gehen jedenfalls davon aus. Die relativ
geringen Wirkungen resultieren auch von dem (noch) geringen Handelsvolumen,
das im Fall der EU und MOEs etwa auf dem Niveau des Handels mit Schweden
liegt. Stärkere Handelsströme würden auch die Beschäftigungswirkungen
vergrößern. Die immer beobachtbaren protektionistischen Neigungen der EU würden
erheblich zunehmen, wenn sich die Gemeinschaft als Opfer einer merkantilistischen
Strategie der MOE-Staaten sähe. Unter dem Druck von Rezession und
Massenarbeitslosigkeit stieße ein EU-Leistungsbilanzdefizit mit MOE
auf Kritik. Ähnliches gilt für MOE-Hürden gegen Importe
aus dem Westen und gezielte Exportinitiativen. Da die EU sich schon jetzt
gegen Billigimporte aus MOE (Aluminium, Stahl etc.) wehrt, obwohl es sich
dabei eher um ein unfreiwilliges, aus der Not geborenes Dumping handelt,
würde sie sicher mit Gegenmaßnahmen antworten, wenn sie sich
als Opfer einer planvollen merkantilistischen Offensive sieht. Westeuropa könnte sich gegen einen MOE-Merkantilismus am einfachsten
durch Protektionismus verteidigen. Aber diese kurzfristige Abwehr hätte
mittel- und langfristig Nachteile, die ihre Anwendung einschränken:
Neben Barrieren gegen Importe müßte die EU im Rahmen einer
Abwehrstrategie auch den Personen- und Kapitalverkehr kontrollieren und
steuern:
Entscheidend für Westeuropas Haltung bleibt aber sein politisches Interesse an der Stabilisierung von MOE. In dem Maße, wie eine Abwehrstrategie die wirtschaftliche Entwicklung in MOE hemmt, gefährdet sie auch die Demokratisierung und bereitet den Boden für autoritäre Nationalisten. Also muß Westeuropa eine merkantilistische Politik der MOE-Länder nicht nur hinnehmen, sondern sie sogar aktiv unterstützen, wenn nur diese langfristig den Entwicklungserfolg garantiert. b) ... den Standort sichern Nicht nur außenpolitische, auch wirtschaftliche Interessen sprechen
für eine vertiefte Arbeitsteilung mit MOE. Gesamtproduktionen werden
durch kostensenkende Teilverlagerung oder billigere Inputs international
wettbewerbsfähig. Dies sichert die in der EU verbliebenen Arbeitsplätze.
Die westlichen Volkswirtschaften als Ganze machen Terms-of-trade-Gewinne,
die das Realeinkommen erhöhen. Die Bezieher dieser höheren Realeinkommen
können andere Güter und/oder Dienstleistungen nachfragen, bei
deren Produktion die freigesetzten Arbeitskräfte theoretisch neue
Arbeit finden könnten. Um diese Chancen wahrzunehmen, muß die Strategie der EU versuchen,
Gegenkräfte sowohl in MOE als auch in der EU selbst zu überwinden.
Was MOE betrifft, so sind die Handlungsmöglichkeiten der EU beschränkt.
Sie kann die Standortqualitäten dort bestenfalls indirekt durch Marktöffnung
und eine Förderung der Direktinvestitionen verbessern. In der EU muß
sie vor allem den Widerstand der durch die Arbeitsteilung benachteiligten
Gruppen, Sektoren und Regionen schwächen, indem sie sie durch Umverteilung
an den volkswirtschaftlichen Gewinnen teilhaben läßt (vgl. unten
6.). Darüber hinaus muß die EU versuchen, die wachsenden Märkte
eines prosperierenden MOE zu erobern. Wäre sie nur der Absatzmarkt
der Niedriglohnprodukte aus MOE, ohne der Lieferant der Hochlohngüter
zu sein, würde ihr ein wesentlicher Teil der potentiellen Nutzen entgehen.
Andere Anbieter (z.B. USA oder Japan) hätten die Gewinne, wären
aber dank geographischer Distanz eventuell kaum von der Niedriglohnkonkurrenz
betroffen. Interessanter ist es daher für die EU, das Handelsvolumen in beide Richtungen zu steigern. Dazu sind zunächst die Hindernisse abzubauen: Handelspolitische Barrieren, Engpässe in der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, Mängel an Handelsfinanzierung- und -versicherung, Schwächen und Lücken in der Information über die jeweiligen Märkte. Entscheidend ist jedoch die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen. Über 40% des Welthandels sind Intrakonzernhandel. Auch der Handel zwischen EU und MOE wird dann stark wachsen, wenn er einen Produktionsverbund widerspiegelt, in dem Firmen im Westen und im Osten durch Zulieferstrukturen, Lizenzproduktion, Patentverträge, Subcontracting, Lohnveredelung, Direktinvestitionen, Unternehmensbeteiligungen usw. miteinander verknüpft sind. In einem solchen Produktionsverbund würde die EU die Kapitalgüter an die entwickelnde MOE-Industrie liefern. Der Freihandel auf den Gütermärkten muß die EU durch
eine entsprechende Politik für den Personen- und Kapitalverkehr ergänzen:
Eine Osterweiterung der EU würde diesen Prozeß am besten
absichern. Sie würde die MOE-Standorte fördern, indem sie ihnen
die EU-Märkte völlig öffnet und dazu beiträgt, ihre
Infrastruktur zu entwickeln. EU-Unternehmen hätten es in einer erweiterten
EU leichter, am MOE-Aufschwung teilzuhaben als ihre Konkurrenten aus Drittländern.
Nicht nur gäbe es für sie keine Zollschranken, sondern auch das
System der Standards, der Rechtsordnung etc. wäre auf sie zugeschnitten.
Eine gesamteuropäische Währungskooperation unter Einschluß
stabiler MOE-Länder würde diese Effekte noch verstärken,
indem sie Wechselkursrisiken abbaut und die Währungen entsprechend
der Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Länder bewertet. 6. Viele Arme und kein Kopf: Europas ziellose
Integration Eine Osterweiterung ist unter den bestehenden institutionellen Strukturen
der EU kaum vorstellbar. Schon die EFTA-Erweiterung belastet die Handlungsfähigkeit
der Gemeinschaft. Aber die geringe Bevölkerungszahl, der hohe Entwicklungsstand
und die zu erwartenden Nettobeitragszahlungen kompensieren diese Probleme.
Aber auch wenn nur 3-5 MOE-Staaten beiträten, wäre eine so erweiterte
Union nach dem Maastricht-Modell finanziell und politisch überlastet.
Denn selbst "MOE-Tiger" verursachen überwiegend Kosten.
Im Falle einer "Lateinamerikanisierung" dürfte ein Beitritt
ohnehin kaum mehr in Frage kommen. Eine Osterweiterung braucht also einen doppelten Reformprozeß.
Schreiten in MOE die Reformen so voran, daß ein Beitritt denkbar
wird, so muß sich die EU gleichzeitig reformieren, um den Beitritt
verkraften zu können. Dieser EU-interne Reformprozeß droht (wie
auch jede Erweiterung) an den Konflikten zwischen den Altmitgliedern zu
scheitern:
Die Debatte um die Osterweiterung zwingt die Altmitglieder zu einer
Klärung ihrer eigenen europapolitischen Ziele und Interessen. Ohne
eine solche Klärung gefährdet eine Erweiterung die bisherige
Integration, da sie die zentrifugalen Tendenzen in der Union bis zum Bruchpunkt
verschärfen würde. In einem solchen Fall muß die Priorität
Westeuropas auf dem Erhalt der Union liegen, die den entscheidenden politischen
Stabilitäts- und wirtschaftlichen Wohlstandsanker ihrer Mitglieder
bildet. Was für die politisch-institutionelle Seite einer Integration Gesamteuropas
gilt, gilt erst recht für die ökonomische. Nicht nur MOE muß
sich modernisieren, reformieren und transformieren, die EU muß es
auch. Ein ökonomisch schwaches, von Arbeitslosigkeit geprägtes
Westeuropa ist nicht erweiterungsfähig und kann nur begrenzt die wirtschaftlichen
Chancen in MOE nutzen. Die EU sollte daher
a) Europäische Wachstums- und Beschäftigungsinitiative Rezessionsphasen waren bisher stets Zeiten der Europaskepsis und der
Integrationsschwäche. Eine hohe Arbeitslosigkeit senkt zwar die Kampfkraft
der Arbeitnehmer und damit ihre Widerstandsmöglichkeiten gegen weitere
Entlassungen im Zuge des Strukturwandels. Aber auf der poitischen Ebene
wächst gleichzeitig die Neigung, einen zusätzlichen Anstieg der
Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen. Dabei ist sehr umstritten, inwieweit die internationale Arbeitsteilung
in Form von Handel, Investitionen oder Migration zur Arbeitslosigkeit in
den Industrieländern beitrug. Zwei andere Faktoren haben einen deutlich
größeren Einfluß: die Wachstumsschwäche verbunden
mit dem Produktivitätsanstieg. Seit Jahrzehnten wächst der Output
langsamer als die Produktivität, wobei die Konjunkturschwankungen
diesen Prozeß überlagern. Nur der gleichzeitigen Arbeitszeitverkürzung
ist es zu verdanken, daß die Zahl der Beschäftigten nicht noch
stärker sank. Die Ursachen der Wachstumsschwäche sind umstritten.
Keynesianer sehen sie in Sättigungstendenzen, Neoklassiker im Wildwuchs
des Wohlfahrtsstaats. Aber auch und gerade auf dem Hintergrund der hausgemachten
"Krise der Arbeit" schmerzen zusätzliche außenwirtschaftlich
bedingte Beschäftigungsverluste besonders. Eine reibungslose Integration von MOE bedarf daher einer gesamteuropäischen
Wachstums- und Beschäftigungspolitik. In erster Linie bedeutet dies,
daß die EU sich zu einer derartigen Politik entscheidet, die folgende
Komponenten umfassen könnte:
Eine solche Beschäftigungsinitiative fällt der EU aber trotz
erheblichen Drucks im Inneren schon schwer. Denn für die meisten dieser
Politiken gibt es praktische und theoretische Gründe, sie nicht zu
verfolgen. Staatsverschuldung, Steuermüdigkeit und Tarifautonomie
begrenzen die politischen Handlungsspielräume. Es ist also eher fraglich,
daß die EU eine solche Initiative aus außenpolitischen Gründen
unternimmt, um MOE zu integrieren. b) Durch Umverteilung zur Arbeitsteilung Wenn die EU schon keine Vollbeschäftigung herstellen kann, so könnte
sie die Vorteile einer neuen Arbeitsteilung partiell nutzen, um die durch
sie Benachteiligten zu entschädigen. Die Vorteile fallen bei verschiedenen
Gruppen an:
Die höheren Einkommen von Unternehmern, Konsumenten und MOE-Beschäftigten
können als zusätzliche Nachfrage Arbeitsplätze schaffen.
Damit die Realeinkommen steigen, müssen die Preise sinken. Die Wettbewerbspolitik
sollte dazu beitragen, mit dem nötigen Konkurrenzdruck sicherzustellen,
daß nicht nur Importeure und Monopolisten ihre Gewinnne steigern.
Bei höheren Nominaleinkommen entstehen zusätzliche Steuereinnahmen
automatisch, falls die Einkommensbezieher den Staat nicht betrügen.
Bei gestiegenen Realeinkommen wären sie durch höhere Steuersätze
zu erzwingen. Dies wäre beschäftigungspolitisch nur dann sinnvoll,
wenn der Einkommenszuwachs nicht konsumiert, sondern gespart, diese Ersparnis
aber nicht von privaten Investoren nachgefragt würde. Aber auch der Umverteilung von Gewinnern zu Verlierern der neuen Arbeitsteilung
sind Grenzen gesetzt. Werden den Gewinnern die Gewinne ganz entzogen, nehmen
sie die Arbeitsteilung gar nicht erst vor, aus der die Gewinne entsprängen.
Ein Arbeitgeber, dessen niedrigere Arbeitskosten durch höhere Steuern
voll kompensiert werden, stellt auch keine Niedriglohnarbeiter ein. Es
bedarf also einer Fiskalpolitik mit Augenmaß, die die Gans nicht
schlachtet, die die goldenen Eier legen soll. Die zusätzlichen Steuereinnahmen sollten zur sozialen Abfederung der Anpassungsprozesse verwandt werden. Regionen, Nationalstaaten und die EU selbst benötigen stärkere und effizientere Mechanismen zum Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern einer neuen Arbeitsteilung. Sektoren: In manchen Fällen handelt es sich bei den abzubauenden
Jobs ohnehin um hochsubventionierte Arbeitsplätze. Die öffentlichen
Hände der EU könnten bei einer Aufgabe der weniger ertragreichen
Segmente der Landwirtschaft, Stahl- und Kohleproduktion etc. auch noch
Geld sparen, wenn die Subventionen höher als die Stillegungskosten
(Abfindungen und Arbeitslosenunterstützung) liegen. Regionen: Solche Einsparungen könnten eine aktive Standortpolitik
in benachteiligten Regionen finanzieren. Gerade eine erweiterte EU braucht
eine stärkere Kohäsionspolitik. Regionen wie Wales beweisen,
daß durch eine intelligente Vernetzung privater und öffentlicher
Akteure Entwicklungsrückstände aufgeholt werden können. Qualifikationsgruppen: Vorzuziehen wäre es allerdings, wenn die
entlassenen Arbeitern und Bauern anderweitig Beschäftigung fänden.
Dazu müßte der übliche, wenn auch nur beschränkt erfolgreiche
Satz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen eingreifen: Mobilitätsbeihilfen,
Umschulung und Weiterbildung, Lohnsubventionierung oder Abgabenbefreiung
bei Neuanstellung etc.. Sie alle haben größere Erfolgschancen,
wenn der Anpassungsprozeß zeitlich gestreckt wird. c) Politisch dosierte Arbeitsteilung Das Ausmaß der anstehenden Anpassungsschocks ist 1994 noch kaum
abzusehen. Einerseits sind das Verlagerungspotential und damit die drohenden
Beschäftigungsverluste in Westeuropa angesichts der Faktorpreisunterschiede
von 1:15 und den riesigen freien Kapazitäten in MOE erheblich. Andererseits
gibt die bisherige Entwicklung mit nur geringfügigen Handels- und
Investitionsströmen (unter 5%) kaum Anlaß zu Besorgnis. Sie
spiegeln eher die zahlreichen Hürden wider, die MOE noch überwinden
muß, um sich zu einem international wettbewerbsfähigen Standort
zu entwickeln. Die Wirtschaftspolitik des Westens muß also versuchen, sich flexibel
auf unterschiedlich starke Schocks einzustellen. Bei schwachen Drücken
sollte die Politik diese nicht weiter abfedern, sondern ihre Wirkung im
vollen Umfang zulassen. Bei starken Anpassungszwängen kann eine begrenzte
und degressive Schutzpolitik als Übergangsmaßnahme in Kombination
mit aktiver Umstrukturierung sinnvoll sein. Aber zeitliche Streckung darf nicht bedeuten, die notwendigen Anpassungen
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Gefragt ist vielmehr eine
vorhersagbare Wirtschaftspolitik mit klaren Fristen, wann welche staatlichen
Schutz- und Stützmaßnahmen für nicht mehr tragfähige
Produktionen entfallen und welche Anpassungskosten der Staat übernimmt.
Diese verbindlichen Pläne sind zwischen EU und MOE auszuhandeln, damit
auch die Investoren sich daran orientieren können und nicht aus Unkenntnis
gerade jene Investitionen unterlassen, deren positive Erträge die
Umstrukturierungspolitik mitfinanzieren sollen. Gerade die sensiblen Branchen
hängen stark von der Handels- und Subventionspolitik ab. Es läge
daher nahe, die entsprechenden Entscheidungen in Gremien wie etwa den Assoziationsräten
zu fällen, in denen auch die MOE-Länder vertreten sind. Angesichts der besonderen Gefährdung der westeuropäischen
Niedriglohnperipherie durch die Konkurrenz aus MOE kommt der Währungspolitik
eine besondere Aufgabe zu. Der ohnehin schwierige Einstieg in die Währungsunion
müßte für Länder wie Portugal, Spanien und Irland
weiter verzögert werden, damit sie über Abwertungen Gelegenheit
haben, ihre Lohnkostenvorteile zu verteidigen. Letzlich bleiben ihnen zwar
auch so Reallohnsenkungen nicht erspart, aber sie sind auf diese Weise
psychologisch einfacher durchzusetzen als durch nominale Lohnsenkungen
in einem einheitlichen ECU-Währungsgebiet. Eine währungspolitische
Zusammenarbeit mit den MOE-Staaten könnte deren Wechselkurspolitik
in eine solche Strategie so einbinden, daß ein Abwertungswettlauf
vermieden wird. Eine dermaßen dosierte Arbeitsteilung hat bessere Aussichten,
die Nutzen zu produzieren, die die Marktlogik erwarten läßt,
aber ohne politische Flankierung wegen der gesellschaftlichen Widerstände
nicht produziert. Die Politik darf daher bei der Steuerung der Arbeitsteilung
nicht bürokratisch, sondern muß partizipativ vorgehen. Gewerkschaften,
Verbände und Gebietskörperschaften sind sowohl in der EU als
auch in MOE einzubeziehen, um Widerstände abzubauen, die unterschiedlichen
Interessen zu berücksichtigen und die gesellschaftlichen Grundlagen
für neues Wachstum zu schaffen. Gelingt eine solche politische Koordination nicht, wird sich eine wildwüchsige Arbeitsteilung durchsetzen. Im günstigsten Fall produziert sie ein prosperierendes MOE, dessen Wachstum den produktiveren zwei Dritteln der EU nutzt. Die Kehrseite bilden die Regionen und Gruppen, die dem schärferen Wettbewerb zum Opfer fallen und deren kollektive oder individuelle Kompensationsstrategien möglicherweise weitere Löcher ins gesellschaftliche Netz der Wohlstandsinsel Europa reißen. Im ungünstigen Fall tritt zu einem zerrissenen Westeuropa ein instabiles MOE, das zwar einigen Investoren noch Lohnkostenvorteile bietet, aber keine dauerhafte und breite Entwicklung mehr zustande bringt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998 |