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Zwischen Lomé und Maastricht : neue Wege der EU-Südpolitik / von Michael Dauderstädt und Christiane Kesper. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1994. - 16 S. = 68 Kb, Text . - (Reihe Eurokolleg ; 27). - ISBN 3-86077-246-5
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT


Zusammenfassung

1. In der Weltsicht der 90er Jahre bestimmen neue Abhängigkeiten das Nord-Süd-Verhältnis: Umwelt, Migration und humanitäre Verpflichtungen. Die Außenbeziehungen der Europäischen Union (EU) stehen vor harten Herausforderungen im Wettbewerb mit Japan und den USA sowie gegenüber dem Umbruch in Osteuropa. Ihnen muß sich eine EU stellen, die selbst unter dem Dissens um ihre langfristigen Ziele (Vertiefung-Erweiterung, Währungsunion) leidet und einen eigenen außenpolitischen Standort sucht.

2. Die Institutionen und Strukturen der EU-Entwicklungszusammenarbeit prägen ihre Interessen und Politiken ebenso wie der seit Jahrzehnten laufende Lernprozeß der Entwicklungspolitik mit seinen wechselnden Moden und Prioritäten. Dieses Erbe schränkt die Reformmöglichkeiten der EU-Südpolitik ein und definiert die Grenzen ihrer Entwicklung.

3. Die Ziele der EU-Südpolitik haben sich historisch kaum verändert. Demokratie, Menschenrechte unds Armutsbekämpfung traten zu den traditionellen Zielen, Entwicklung und Weltmarktintegration, hinzu. Neue EU-Mitglieder und Zielkonflikte werden wohl auch in Zukunft die Akzente nur leicht verschieben.

4. Bei den Politiken und Instrumenten stehen Handelspolitik und Hilfe weiter im Vordergrund. Allerdings muß die EU ihre Präferenzen beim Marktzugang deutlich ändern, wenn sie die Entwicklung nachhaltig unterstützen will. In der technischen und finanziellen Zusammenarbeit setzt sie mehr und mehr darauf, daß die Partner selbst eine angemessene Entwicklungspolitik verfolgen, ohne die jede Hilfe von außen nutzlos bleibt. Regional decken sich die Prioritäten der EU-Südpolitik nicht mit den außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen. Sie konzentriert sich weiter auf Afrika zulasten der asiatischen Wachstumsregion.

5. Der Maastrichter Vertrag definiert die EU-Politik der Entwicklungszusammenarbeit als Ergänzung der Politiken der Mitgliedsstaaten, fordert aber eine Koordinierungsfunktion der EU und eine stärkere Kohärenz der Politikbereiche. Die Mitgliedsstaaten wollen aber kaum etwas von ihren Kompetenzen und Budgetmitteln abgeben. Eine Koordinierung der Ziele wäre vordringlich; zu erwarten ist aber zunächst eine Koordinierung der Zusammenarbeit, die vor allem in den Empfängerländern und durch besseren Informationsaustausch erfolgen dürfte. Das Subsidiaritätsprinzip könnte eine rationale Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Gemeinschaftsebenen begründen. Seine Interpretationsbreite macht jedoch jeden Fortschritt bei der Europäisierung vom politischen Willen der Nationalstaaten abhängig.

6. Die Entwicklungspolitik tappt im Dunkeln. Sie kennt die Bedingungen erfolgreicher Entwicklung im Einzelfall nicht. Diese sind auch von außen selten zu beeinflussen. Andere (außenpolitische, außenwirtschaftliche oder institutionelle) Interessen stehen ihnen oft entgegen. Diese anderen Interessen und Politiken der Entwicklungspolitk unter- oder nachzuordnen, ist aussichtlos. Angesichts der wachsenden Unterschiede innerhalb des Südens erscheint ein Ansatz aussichtsreicher, der diesen Interessen gegenüber den weiter entwickelten Ländern den Vortritt läßt und ansonsten in pluralistischer und dezentralisierter Form entwicklungsorientierte Partner im Süden unterstützt.

1. Die Zeiten haben sich geändert und Europa ebenfalls

Die Politik reagiert auf die Veränderungen der Weltanschauung, nicht auf die Veränderungen der Welt. Zwar verändert sich mit der Welt meist die Weltanschauung, aber manchmal verändert sich die Anschauung mehr als die Welt selbst. Und manchmal folgt die Anschauung den Veränderungen der Welt nicht und bleibt unverändert. Die Politik nahm die Rodung Europas und Nordamerikas, den Anstieg des CO2-Gehalts der Erdatmosphäre und das Wachstum des Ozonlochs bis 1980 entweder gar nicht oder nicht als Problem wahr. Ob z.B. die Weltöffentlichkeit die Erschöpfung der Welterdölvorräte als ein Problem ansieht, hängt vom Ölpreis ab. Religiöse und moralische Strömungen verändern die Wahrnehmung und politische Behandlung der Drogenfrage.

Die Wahrnehmung des Nord-Süd-Verhältnisses hat sich in den letzten Jahren weiter verändert, etwas stärker in der politischen Dimension als in der wirtschaftlichen. Die alte Wahrnehmung sah die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Nordwesten und Süden in zwei Bereichen:

  • der Wohlstand des Nordens hing angeblich von den Rohstoffen und den Märkten des Südens ab; seine Schulden gefährdeten das internationale Bankensystem;
  • im Kalten Krieg zwischen Ost und West benötigte der Westen den Süden als Verbündeten oder wollte es zumindest nicht riskieren, daß sich der Süden mit dem Osten gegen ihn verbündet.

Die 90er Jahre veränderten diese Wahrnehmung:

- Der Wohlstand des Nordens ist vor allem ein Ergebnis der Arbeitsteilung zwischen Europa, Amerika und Japan. Erdöl bleibt wichtig, aber seine Quellen sind nur am Persischen Golf in bedrohlicher Weise konzentriert. Ansonsten haben regionale Diversifikation und technologische Substitution die Rohstoffabhängigkeit weitgehend reduziert. Der Süden ist ein Handelspartner, dessen Nachfrage nützlich, aber nicht unverzichtbar und ohnehin weit gestreut und regional differenziert ist. Sich schnell entwickelnde Schwellenländer werden zu ernsthaften Konkurrenten auf dem Weltmarkt. Die Schuldenkrise bedroht das Bankensystem nicht mehr.

- Der Umbruch im Osten hinterläßt eine Welt ohne ernsthaften Gegner für den Westen, es sei denn, Rußland nähme eine aggressiv-nationalistische Haltung ein. Allerdings könnten in einer etwas ferneren Zukunft China oder kulturell definierte Ländergruppen wie z.B. die islamische Welt den Westen bedrohen.

- Neue Abhängigkeiten haben die alten abgelöst. Umweltschäden im Süden gefährden - zusammen mit denen im Norden - das globale ökologische Gleichgewicht. Migration bedroht die soziale Stabilität der Industrieländer. Armut und Konflikte berühren den Norden zwar nicht direkt; aber sie veranlassen oder zwingen Menschen in Entwicklungsländern zu Handlungen wie Umweltzerstörung, Terrorismus, Drogenproduktion und -handel, die dem Norden nicht gleichgültig sein können.

Diese Wahrnehmung der Nord-Süd-Beziehungen ordnet sich in eine allgemeinere Weltsicht ein, die Europa in einer globalen Abhängigkeit sieht, insbesondere im Verhältnis zu Amerika und Japan einerseits sowie zu Mittel- und Osteuropa andererseits:

- Die wachsende Kenntnis von den Überlebensbedingungen der Menschheit im globalen Ökosystem des Planeten Erde, die Verdichtung des internationalen Kommunikationssystems, des Transportnetzes und die Internationalisierung der Wirtschaftskreisläufe haben das Bewußtsein weltweiter Abhängigkeiten verstärkt. Entwicklungen in entfernten Weltregionen erscheinen zunächst in der Medienöffentlichkeit. Dort treten sie als eine Wirklichkeit auf, die Europa betrifft und betroffen macht, aber auch von Europa verändert werden kann. Die Opfer von Naturkatastrophen, menschlicher Dummheit und Bosheit klagen an, bitten um Hilfe, belasten das Gewissen oder kommen als Flüchtlinge. Auch Europa ist mehr und mehr davon überzeugt, daß es seinen Beitrag dazu leisten muß, diese Probleme zu lösen. Denn Europas Wohlstand hängt zwar nicht existentiell, aber auch nicht unerheblich vom Funktionieren des Weltsystems ab. Zumindest langfristig leidet es unter der Zerstörung des Ökosystems. Auch die Wertebasis der eigenen Kultur leidet darunter, wenn sie öffentlich demontiert wird, indem die Medien etwa ständig den geringen Wert eines Menschenlebens vorführen.

- Seit langem sieht sich Europa im Wettbewerb mit Japan und Amerika, mit denen es zusammen die "Triade" formt. Die Triade konzentriert einen großen Teil der Weltproduktion, des Welteinkommens und des Welthandels auf sich. Europas Wohlstand hängt davon ab, wie es sich im Verhältnis zur Triade entwickelt, und ob es gelingt, die von der Triade dominierte Weltwirtschaft gemeinsam zu steuern, also etwa in der Handelspolitik den Protektionismus zu vermeiden oder in der Währungspolitik drastische Über- und Unterbewertungen zu korrigieren. Das Projekt des EU-Binnenmarktes sollte dazu beitragen, daß Europa im Wettlauf innerhalb der Triade aufholt. Viele europäische Politiken, z.B. im Forschungs & Entwicklungs-Bereich, verfolgen das gleiche Ziel.

- Der Umbruch in Osteuropa konfrontierte die EU mit einem neuen Problem vor ihrer Haustür. Der alte Ostblock hatte die Sicherheit des Westens militärisch bedroht. Die neuen Risiken sind erheblich komplexer. Die EU öffnet sich dem osteuropäischen Wirtschaftsraum mit 300 Millionen Einwohnern, deren Pro-Kopf-Einkommen etwa bei einem Zehntel der Union liegt. Die Gesellschaften im Osten machen gewaltige politische und ökonomische Umwälzungen durch, die die soziale Lage zunächst verschlechtern, nationale Konflikte offenlegen, autoritäre politische Kräfte stärken und die neue ökologische und militärtechnologische Risiken begleiten. Die Union versucht diesen Problemen mit den klassischen Instrumenten der technischen und finanziellen Zusammenarbeit und einer eher halbherzigen Marktöffnung Rechnung zu tragen. So hat die EU mit sechs Ländern Mittel- und Südosteuropas Assoziierungsabkommen mit einer Beitrittsperspektive abgeschlossen, während zwölf weitere in den Genuß von Handelspräferenzen kommen.

Die EU hat sich im Zuge dieser Veränderungen selbst verändert. Auf die internationale Konkurrenz in der Triade hat sie mit den Projekten des Binnenmarkts und der Wirtschafts- und Währungsunion reagiert. Eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) soll(te) das Gewicht Europas in der Weltpolitik stärken. Schon ohne den Umbruch in Osteuropa haben diese Vorhaben die Konsensfähigkeit der Union bis an die Grenzen belastet.

Die Geschwindigkeit des Umbruchs in Osteuropa überstieg deutlich die Fähigkeit der Gemeinschaft, sich dieser neuen Situation anzupassen. Sie versucht(e) es daher zunächst mit einer Strategie symbolischer Großtaten (PHARE- und TACIS Programm, Assoziierung) und des halbherzigen Durchwurstelns mit den eher weniger bewährten Instrumenten der Handels- und Entwicklungspolitik.

1992 brach die Vertrauenskrise in der Gemeinschaft offen aus. Dänemark verweigerte dem Maastrichter Vertrag die Zustimmung. Das Europäische Währungssystem (EWS) erlitt seinen ersten Rückschlag, als das britische Pfund und die italienische Lira ausstiegen. 1993 mußte die Gemeinschaft das EWS grundlegend abschwächen. Die Rezession fördert(e) den Egoismus der Mitgliedsstaaten. Nach der knappen Zustimmung in Dänemark und dem Urteil des deutschen Verfassungsgerichts konnte der Vertrag von Maastricht zwar ratifiziert werden, aber die Währungsunion scheint in weite Ferne gerückt. Es bleibt offen, was vom Vertragswerk überlebt, wenn die Erweiterung - zunächst um Österreich, Schweden, Norwegen und Finnland, später vielleicht um Mitteleuropa - voranschreitet.

Europas Identität steht wieder zur Debatte. Die Union muß sich in der Auseinandersetzung mit der Welt neu selbst definieren. Das gilt für den Westen, den Osten und für den Süden. Eine neue Südpolitik der EU kann aber nur das Ergebnis eines Klärungsprozesses über Ziele und Instrumente sein, der die anderen Herausforderungen in ihrem vollen Stellenwert berücksichtigt.

2. Die Lernprozesse der EU-Südpolitik

Die EU, die eine Südpolitik definieren und betreiben könnte, ist eine Abstraktion. Bei näherer Betrachtung der Trägerstrukturen einer EU-Südpolitik sind immer neue Verästelungen zu entdecken. Auf der ersten Ebene gibt es die Union als supranationale oder intergouvernmentale Organisation und daneben die einzelnen Mitgliedsstaaten, die ebenfalls alle ihre Südpolitik betreiben. Auf der nächsten Ebene enthüllt sich jedes dieser Abstrakta als Vielfalt weiterer Institutionen: das Europäische Parlament (EP), der Rat, die Kommission, der Europäische Entwicklungsfonds (EEF), die Europäische Investitionsbank (EIB) usw.. In den Mitgliedsstaaten entfaltet sich vor dem Betrachter ebenfalls eine buntes Gemisch an Institutionen der Regierung, der Regionen (z.B. Länder) und Gemeinden, der finanziellen Zusammenarbeit, der technischen Zusammenarbeit, der personellen Zusammenarbeit, der Forschung, etc.. Geht man noch eine Ebene tiefer, so enthält jede dieser Institutionen bzw. Politikfelder erneute Untergliederungen, z.B. regionaler Natur: Abteilungen für das Mittelmeer, Afrika, Lateinamerika, Asien. Nicht beachtet blieben dabei bisher die privaten Träger von Nichtregierungsorganisationen ohne Profitziele bis hin zu Consultings.

Zwischen den Institutionen haben sich Beziehungen entwickelt, Aufgabenteilungen und Konkurrenzverhältnisse. Sie haben ihre Partner im Süden, ihre Interessen und ihre Vorstellungen von Südpolitik. Eine jahrzehntelange Praxis hat sie geformt. Sie haben aus Fehlern gelernt und sich dadurch verändert und ausdifferenziert. Aber Routinen und Interessen sind auch eingefahren und widersetzen sich weiteren Lernprozessen und Veränderungen. Manche ursprüngliche Motivation ist inzwischen vergessen und erloschen. Neue Probleme oder Problemwahrnehmungen schufen neue Motivationen, die sich in neuen Institutionen verfestigten. Gelegentlich erneuern aber Institutionen abseits der politischen Moden die Praxis der Zusammenarbeit.

Dieses komplexe Gebilde der EU-Süd-Politik setzt sich seit Beginn der 90er Jahre mit neuen Herausforderungen auseinander:

  • Ende des Ost-West-Konflikts
  • Europäische Integration: Binnenmarkt, Maastricht, Erweiterung
  • wachsende Bedeutung globaler Probleme wie Ökologie, Armut, Migration etc.

Gleichzeitig damit verläuft eine zweite Auseinandersetzung, die um die eigene Südpolitik, ihre Folgen, Krisen und Probleme kreist. Diese "entwicklungspolitische Debatte" bildet den Hintergrund der neuen Auseinandersetzung. Diese Debatte hat ihre eigene Dynamik von Gegenständen, entwicklungspolitischen Zielen und Instrumenten. Neoliberalismus, Staatskritik, Marktvertrauen, Strukturanpassungsprogramme und Politikdialog prägten sie in den 80er Jahren. Seit Beginn der 90er Jahre schlägt das Pendel zurück, und in den 80er Jahren vernachlässigte Themen betreten (wieder) die Bühne: staatliche Politik ("governance"), Infrastruktur, Erziehung, Gesundheit, Armut, Demokratie, Menschenrechte. Viele dieser Themen standen schon früher, in den 60er oder 70er Jahren, im Mittelpunkt der entwicklungspolitischen Debatte, z.B. bei der Diskussion über die Grundbedürfnisstrategie ("Basic Needs Strategy" = BNS).

Die Wellen der entwicklungspolitischen Debatte folgen teils allgemeinen ideologischen Trends, z.B. der Marktorientierung in den 80er Jahren, teils Lernprozessen aus der Zusammenarbeit - so entstand die BNS aus der Frustration mit reinen Wachstumsansätzen - , teils weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Entwicklungen wie z.B. Ölschocks, Schuldenkrise.

Innerhalb der EU-Süd-Politik läuft seit ihrem Entstehen eine parallele, spezifischer entwicklungspolitische Debatte, die sich mit der Frage beschäftigt, wie die eigene Entwicklungs- bzw. Südpolitik der EU im Vergleich zur allgemeinen Entwicklungspolitik des Nordens, der internationalen Organisationen und der einzelnen Mitgliedsstaaten aussehen soll. Zu diesen EU-spezifischen Fragen zählen:

  • Warum soll es überhaupt eine Entwicklungspolitik der Union geben?
  • Welchen Einfluß sollen die Mitgliedsstaaten haben?
  • Wie verhält sich die EU-Entwicklungspolitik zu den Entwicklungspolitiken der Mitgliedsstaaten?
  • Wie verhält sich die Südpolitik zu anderen Gemeinschaftspolitiken, z.B. der Handels- und Agrarpolitik?
  • Soll die EU-Südpolitik einen regionalen Schwerpunkt besitzen?
  • Wie sind die Partner in den Entwicklungsländern einzubinden?

Die Geschichte der EU-Südpolitik hat auf diese Fragen ihre immer neuen Antworten gegeben, die sich in der komplexen Struktur der EG-Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern niedergeschlagen haben: Eine gemeinschaftliche Entwicklungspolitik soll die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Belgien entlasten, konkurriert aber mit den Politiken der Mitgliedsstaaten. Mit den wachsenden realen Kompetenzen der Union wächst ihre entwicklungspolitische Rolle. Die ursprüngliche Konzentration auf das Kolonialreich der Gründungsmitglieder läßt mit dem Beitritt Englands, der iberischen Nationen und der Emanzipation der Entwicklungsländer nach, ohne allerdings zu verschwinden. Partnerschaftliche Lösungen gewannen seit dem Machtzuwachs des Südens (Ölschock) an Bedeutung, am ausgeprägtesten in den Lomé-Abkommen.

1992 veröffentlichte die EG-Kommission eine Mitteilung an den Rat und an das Europäische Parlament mit dem Titel "Die Politik der Entwicklungszusammenarbeit bis zum Jahr 2000". Sie stellt eine wachsende Kluft zwischen arm und reich und eine zunehmende Differenzierung unter den Entwicklungsländern fest. Die bisherige Hilfe kritisiert das Papier als häufig "wenig wirkungsvoll" mit "recht bescheidenen Ergebnissen" und bemerkt, daß "in großem Umfang Mittel verschwendet worden sind", wofür es z.T. die außenpolitische Funktion der Hilfe im Ost-West-Konflikt verantwortlich macht. Entscheidend für den Erfolg der Hilfe war und sei jedoch die Politik des Empfängerlandes selbst sowie günstige weltwirtschaftliche Bedingungen (Wachstum, Marktzugang, Zinsniveau).

Im weiteren wendet sich das Papier der künftigen Ausgestaltung der EU-Südpolitik zu. Es zieht Schlußfolgerungen aus den unbefriedigenden Ergebnissen der bisherigen Zusammenarbeit und den veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen und berücksichtigt die aktuellen Interessen der Union (Ökologie, Migration) sowie die im Maastrichter Vertrag über die Europäische Union (VEU Art. 130 u) festgelegten Ziele der Entwicklungszusammenarbeit. Es klammert jedoch die Fragen einer Europäisierung der Südpolitik und einer grundlegenden Revision ihrer Instrumente aus.

3. Bedingungen und Herausforderungen einer neuen EU-Südpolitik

Ziele und Instrumente einer neuen Südpolitik der EU entwickeln sich vor dem Hintergrund

  • der Aufarbeitung der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit,
  • der neuen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Lage; und
  • den neuen Verhältnissen in Europa.

a) Ziele

Die entwicklungspolitischen Ziele der EU weisen auf den ersten Blick eine bemerkenswerte Beständigkeit auf. Der Art. 131 der Römischen Verträge (EWGV) von 1957 nennt die gleichen Ziele wie der Absatz (1) des Art. 130u des VEU. In Maastricht spricht man allerdings von "Entwicklungsländern" allgemein, während es in Rom noch "Länder und Hoheitsgebiete" waren, also im wesentlichen die damaligen Kolonien der EU-Mitglieder. Vor allem der Absatz (2) des VEU gibt dann neue Ziele vor, nämlich die "Fortentwicklung und Festigung der Demokratie und des Rechtsstaates" sowie die "Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten".

Das Ende des Kalten Krieges beflügelte das Interesse an Demokratie und Menschenrechten. Der Sturz der kommunistischen Diktaturen hat der Demokratie weltweit Auftrieb gegeben und deutlich gemacht, wie unbegründet die Annahme war, man müsse sich außenpolitisch langfristig auf die Koexistenz mit Diktaturen einstellen. Der Westen hat auch kein Interesse mehr, autoritäre Regime wegen ihres Antikommunismus zu unterstützen.

Das Demokratieziel steht im Konflikt mit außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen Europas. China oder Saudiarabien brauchen kaum zu befürchten, daß ihre träge Demokratisierung die Beziehungen zur EU beeinträchtigt. Gegen ein Land wie Haiti oder Togo andererseits geht die Gemeinschaft relativ entschieden vor, da dort ihre sonstigen Interessen gering sind.

Tiefer geht allerdings die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen alten und neuen Zielen der Südpolitik: Wie verhält sich die EU zu autoritären Regierungen, die ihr Land entwickeln und in die Weltwirtschaft integrieren (wie früher Südkorea), und wie zu einer frei gewählten, demokratischen Regierung, deren Programm Politiken vorsieht, die die EU für entwicklungsfeindlich hält oder die einer weltwirtschaftlichen Öffnung entgegenstehen (wie früher Indien)?

Demokratie und Entwicklung stehen in einem Spannungsverhältnis. Entwicklung beinhaltet strukturellen Wandel, der die Gesellschaft und die traditionelle kulturelle Identität verändert. Hohe Investitionsraten setzen hohe Ersparnisse und niedrigen Konsum voraus. Die Lebensbedingungen vieler Menschen können sich objektiv und/oder subjektiv während einer Übergangsperiode verschlechtern, die deutlich länger als normale Legislaturperioden dauert. Demokratische Regierungen halten derartig lange Spannungsbögen nur schwer durch.

Umgekehrt gilt, daß autoritäre Regime in der Regel nicht ihr Land entwickeln, sondern die Selbstprivilegierung der sie tragenden Staatsklassen fördern. Die Entwicklung vieler Länder krankt an einer Vermachtung ihrer Märkte. In diesen Fällen kann eine Demokratisierung, die breiteren Schichten Mitwirkungschancen eröffnet, Entwicklung voranbringen.

Der Stellenwert des Demokratiezieles in der Entwicklungspolitik hängt auch stark vom Verlauf des Umbruchs in Osteuropa ab. Scheitert dort die Wirtschaftsreform unter demokratischen Bedingungen und führt andererseits ein autoritäres Wachstumsmodell wie in China zum Erfolg, so dürfte es schwierig sein, andere Länder zur Demokratisierung zu bewegen.

Im Gegensatz zu den Hochtagen des Nord-Süd-Konflikts teilen die meisten Entwicklungsländer heute die Entwicklungsziele des Absatz 1 des Art. 130u VEU. Eine Neue Weltwirtschaftsordnung oder ähnliche Fundamentalreformen stehen kaum mehr auf der Agenda des Südens. Beim Demokratieziel dagegen kann die EU unmittelbar mit der Opposition aller Regierungen rechnen, die nicht im europäischen Verständnis demokratisch legitimiert sind.

Der Text des Maastrichter Vertrags weicht diesen möglichen Zielkonflikten ebenso aus wie einer Gewichtung zwischen den Teilzielen des Absatzes 1. Schon in der Union, erst recht aber unter und in den Entwicklungsländern ist es umstritten, ob Weltmarktintegration oder Armutsbekämpfung im Zweifelsfall den Vorrang hat. Sollten die skandinavischen Länder demnächst der EU beitreten, so werden sie - ihrer traditionellen entwicklungspolitischen Philosophie folgend - versuchen, dem Ziel der Armutsbekämpfung größere Bedeutung zu verschaffen. Überhaupt haben die einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Prioritäten in der Entwicklungszusammenarbeit, die eine gemeinschaftliche Südpolitik erschweren (siehe 4.).

Schließlich kollidieren die Entwicklungsziele unter bestimmten Umständen mit anderen EU-Zielen. Weltwirtschaftlich integrierte und sich entwickelnde Länder des Südens konkurrieren mit der EU als Agrar- und Fertigwarenanbieter und - mittelfristig - als Rohstoffverbraucher. In der gemeinschaftlichen Agrar- und Handelspolitik tritt dieser Zielkonflikt offen zutage. Der Art. 130v fordert zwar, daß die Gemeinschaft in ihren anderen Politiken die Entwicklungsziele "berücksichtigt", aber die Wirklichkeit von 30 Jahren EG-Protektionismus weist diesem Artikel einen eher rhetorischen Stellenwert zu, den der Süden und seine Fürsprecher in der EU-Südpolitik allerdings offensiv nutzen und einklagen können.

b) Politiken und Instrumente

Im Gegensatz zur relativen Konstanz der Ziele haben sich die Politiken und Instrumente der EU-Südpolitik seit den Römischen Verträgen erheblich verändert. In über dreißig Jahren haben die verschiedenen Interessen, historischen Einflüsse und die Bürokratie durch Kompromisse und "package deals" das sektoral und regional ausdifferenzierte Geflecht der EU-Südpolitik in ihrer heutigen Form hervorgebracht.

Die gegenwärtige Struktur erlaubt zwar grundsätzlich, die Ziele der EU-Südpolitik damit zu verfolgen. Sie ist aber weit davon entfernt, auf diese Ziele zweckmäßig zugeschnitten zu sein. Sie widersetzt sich zunächst jedem Versuch einer grundlegenden Reform, ließ und läßt jedoch graduelle Veränderungen zu. Zu den wichtigsten Veränderungen, die in letzter Zeit erfolgten oder für die nahe Zukunft diskutiert werden, zählen:

- Je klarer wurde, wie beschränkt der Erfolg der Entwicklungshilfe ist und wie viel von der Politik des Empfängerlandes abhängt, desto mehr traten Fragen der Stärkung der Regierungs- und Verwaltungskapazitäten ("governance") der Entwicklungsländer in den Vordergrund.

- Den Strukturanpassungsprogrammen, die vor allem IWF und Weltbank für hochverschuldete Entwicklungsländer durchführten, gelang es häufig nicht, die Länder außenwirtschaftlich zu sanieren. Zusätzlich machten Kritiker sie für erhebliche soziale Folgeprobleme verantwortlich. Die EG hat daraufhin versucht, eigene Schwerpunkte für sozial verträgliche Anpassungspolitiken zu entwickeln.

- Sowohl um effizientes Regierungshandeln zu fördern, als auch um die Strukturanpassungsprogramme abzustimmen und die Demokratie zu unterstützen, sucht die Gemeinschaft den Politikdialog mit den Entwicklungsländern.

- Der Vertrag von Maastricht (VEU) zwingt die Gemeinschaft, neu über das Verhältnis von nationaler/bilateraler Entwicklungspolitik und der Politik der Gemeinschaft nachzudenken (vgl. 4.).

In den meisten sektoral und regional definierten Politikfeldern der EU-Südpolitik sind kleinere oder größere Reformen erforderlich, um den o.g. Veränderungen Rechnung zu tragen:

- Handel bleibt wichtiger als Hilfe, aber Handelspolitik allein kann ihn nicht herbeizaubern. Die Präferenzpyramide der EU steht inzwischen auf dem Kopf. Die reichen EFTA-Länder und die assoziierten Länder Mittel- und Osteuropas genießen die günstigsten Marktzugangsbedingungen. Gleichzeitig senkt die Uruguay-Runde des GATT die Zölle allgemein, was den Wert der z.B. den assoziierten Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) gewährten Präferenzen mindert. Betrachtet man die Entwicklung des EG-AKP-Handels und die Ausschöpfung der Quoten und Kontingente unter dem Allgemeinen Präferenzsystem, so zeigen sie die relativ geringe Bedeutung isolierter handelspolitischer Maßnahmen. Wettbewerbsfähige, starke Anbieter wie die südostasiatischen Produzenten erobern die EU-Märkte trotz protektionistischer Gegenwehr. Schwache Länder können die weit geöffnete Tür nicht passieren. Angesichts von Wechselkursschwankungen von 100% und mehr (z.B. ECU/US$-Kurs 1980-1985-1990) kann man von Zollpräferenzen von 10% wenig erwarten. Da über 40% des Welthandels ohnehin aus Lieferungen innerhalb multinationaler Unternehmen bestehen, kommt es für die Entwicklungsländer eher darauf an, Standort wettbewerbsfähiger Produktion zu werden als einige zusätzliche Präferenzen zu bekommen. Marktöffnung im Norden bleibt trotzdem eine notwendige Bedingung für die Weltmarktintegration des Südens, aber eben keine hinreichende.

- Hilfe scheint weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Entwicklung zu sein. Angesichts der hohen Verschuldung vieler Entwicklungsländer wäre es unverantwortlich, weitere Kredite zu vergeben, wenn diese nicht direkt dazu beitrügen, die Devisenerlöse zu steigern. Leisten sie dies (etwa in der Finanzierung wettbewerbsfähiger Exportproduktion), so wären sie sehr wahrscheinlich auf dem Weltkapitalmarkt zu finanzieren und bedürften keiner Entwicklungsfinanzierung.
Entgegen der auch in der EU verbreiteten Hilfeskepsis sieht das Delors II-Paket eine Steigerung von 60% für die weltweiten Hilfsaktivitäten vor, ohne allerdings eine regionale Aufteilung vorzunehmen. Dies käme einem Anstieg von gegenwärtig 3,2 Mrd. ECU (= ca. 6,4 Mrd. DM) auf 6,6 Mrd. ECU (= ca. 13,2 Mrd. DM) gleich, die sowohl Entwicklungshilfe als auch die Unterstützung für Osteuropa umfassen würden. Inwieweit dieser Zuwachs also dem Süden zugute kommt, bleibt offen.

In den einzelnen Regionen muß die EU ihre Kooperation den neuen Bedingungen und Bedürfnissen der Partner und ihren eigenen gewandelten Interessen anpassen:

- Der Mittelmeerraum bleibt neben Mittel- und Osteuropa die wichtigste Entwicklungsregion für die Union. Die Südanrainer haben die größten Emigrationspotentiale aufgrund der geographischen Nähe und des hohen Bevölkerungswachstums. Vom Mittelmeer und seiner Ökologie hängen wichtige Wirtschaftszweige - vor allem Tourismus - der Anliegerstaaten ab. Die einzige gravierende ökonomische Abhängigkeit der EU vom Süden liegt in der Erdölversorgung, für die die Produktion in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten den Ausschlag gibt. Politisch ist die Union an der Entschärfung der Konflikte zwischen der islamischen und säkularen Zivilisation, innerhalb der islamischen Kräfte und zwischen Israel und der arabisch-islamischen Welt interessiert. Schon jetzt ist klar, daß ein Erfolg versprechender Friedensprozeß zusätzliche Mittel aus dem Hilfebudget der Union erfordert, auch wenn diese Kosten sicher deutlich unter denen einer gefährdeten Ölversorgung und fortgesetzten Konfrontation liegen.

- Afrika südlich der Sahara ist der Teil der ehemaligen "Dritten Welt", der besonders mit der Union verbunden ist und gleichzeitig in den 80er Jahren die geringsten Entwicklungsfortschritte aufwies. So ganz verloren war das Jahrzehnt allerdings nicht. In vielen Ländern Afrikas haben Strukturanpassung und Demokratisierung die Chancen für Entwicklung verbessert. Das Ende der Apartheid in der Republik Südafrika eröffnet im gesamten südlichen Afrika neue Wege. Trotzdem dürfte auch hier das Nahostbeispiel gelten: Gerade der Frieden kommt zunächst teurer als der Krieg. Dabei ist Südafrika schon heute mit 120 Millionen ECU das Schwerpunkt- und Hauptempfängerland der EU-Hilfe in Afrika. Die EU und Südafrika müssen ihre Beziehungen und den Status Südafrikas zwischen den Polen "AKP-Mitglied und Entwicklungsland" oder "bilateraler Wirtschaftspartner und regionales Wachstumszentrum" bestimmen.

- Lateinamerika ist das Stiefkind der EU-Südpolitik. Die Verschuldungskrise hat den Handel lange stagnieren lassen. In den letzten Jahren machte Lateinamerika allerdings Fortschritte in den Wirtschaftsreformen, die sich auch in einer Erhöhung der Exporte in die EU niederschlugen. Politisch kam es zu einer Welle der Demokratisierung. Die kommunistisch inspirierten sozialrevolutionären Bewegungen haben an Bedeutung verloren und wurden von demokratischen Oppositionsparteien weitgehend abgelöst. Damit lassen die Konfrontationen mit Supermachtbeteiligung nach. Europa bleibt aber - schon aus historischen Gründen - weiter ein Wunschpartner Lateinamerikas. Gerade die iberischen Mitgliedsstaaten verschaffen diesem Anliegen in der EU Gehör.

- Die EU-Kooperation mit Asien fällt weit hinter der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Region zurück. Geht der Wachstumsprozeß dort mit unverminderter Geschwindigkeit weiter und erfaßt auch China in vollem Umfang, so entsteht in Ostasien ein neues, Europa und Nordamerika zumindest gleichrangiges ökonomisches Machtzentrum. Die Union muß aus ökonomischen Interessen versuchen, ihren Handel und ihre sonstigen Wirtschaftsbeziehungen mit dieser Region zu verstärken. Dabei wird ihr das Menschenrechtsziel ins Gehege kommen. Südasien zeigt bisher keine Anzeichen einer solchen Entwicklungsdynamik. Aber die Staatengröße, das hohe Bevölkerungswachstum und historische Bindungen verleihen ihm eine Bedeutung, die weniger wirtschaftlichen als politischen Charakter hat.

Bei allen, teilweise dramatischen, Veränderungen in der Außenwelt der Union werden die Entwicklungen in der Innenwelt die Südpolitik am stärksten beeinflussen. Da die bilaterale Hilfe der Mitgliedstaaten immer noch 90% der gesamten Hilfe der Union ausmacht, könnte eine Koordinierung und neue Aufgabenteilung zwischen Union und Mitgliedern sehr viel mehr verändern als irgendeine sektorale oder regionale Akzentverschiebung in der derzeitigen Südpolitik der Union allein.


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