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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[32.]
Die Kampffront steht! Wir wollen Freiheit und Sozialismus!
Rede am 12.2.1933 vor dem erweiterten Landesvorstand der württembergischen SPD


STW v. 13.2.1933

Die große Tatsache, aus der grundsätzlich alles erklärt werden kann, ist die unaufhaltsame Zersetzung des Kapitalismus. Der moderne Kapitalismus kann mit seinen eigenen Problemen und Sorgen nicht mehr fertig werden. Sein katastrophales, zwangsläufiges und unabwendbares Versagen auf allen Gebieten und der Selbsterhaltungstrieb des großen Besitzes stehen in einem unüberbrückbaren Gegensatz. Da gibt es für den Großbesitz nur die eine Frage: entweder zu warten, wie er Stück für Stück von einem sozial auf dem Boden gleichartiger Klasseninteressen sich zusammenfindenden Volk in den Hintergrund gedrängt wird, oder seinerseits die Initiative zu ergreifen, und offensiv gegen die vorwärtsdringende Arbeiterklasse vorzugehen. Der Großbesitz kann dabei an die Besitzängste der Kleinbürger appellieren, er kann die mächtigen Kräfte der geistigen und traditionellen Gebundenheit für sich aktivieren, und er kann sein Geld als politischen Faktor einschalten. So ist der Besitz überall in der Welt vorgegangen: Der Faschismus als letzte Reserve und letztes Kampfmittel der Reichen und Privilegierten.

Die Methoden bestehen in erster Linie in der Anwendung der den Arbeiterparteien abgelauschten revolutionären Propaganda, die man noch mit den Gefühlswerten einer lügnerisch vergoldeten Verherrlichung der alten Zeit antreibt. So gelingt es, die Massen gegen die eigenen Sehnsüchte und Interessen zu mobilisieren. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten, die lächerlichen Figuren, die sich selbst bedeutend dünken, wenn sie vergessen können, daß sie an der Strippe großer Klasseninteressen baumeln, und die Angst vor der Arbeiterbewegung half die Herden zusammenzutreiben.

Aus seinem Versagen in der Wirtschaft flieht der Kapitalismus in die Gewaltpolitik.

Jetzt soll der plötzlich „geliebte" Staat die Wirtschaft retten, nachdem der Staat vorher gehaßt wurde, weil er ein Faktor war, der stark zugunsten der Arbeiterklasse gewirkt hat. (Sehr richtig!) Um sich aber retten zu lassen, dazu braucht es die ganze Macht im Staate. Um Macht zu bekommen und zu behalten, darf man nicht über die Zwirnfäden stolpern. So ist man verfassungswidrig gegen Preußen vorgegangen, so will man jetzt Reichskommissare in allen Ländern einsetzen, in denen noch Sozialdemokraten in den Regierungen sitzen, ja sogar Sachsen soll einen Reichskommissar erhalten, nur weil dort ein Demokrat Polizeiminister ist. Aber was soll man mit der Macht anfangen?

Den Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise kann keine vom Kapitalismus beherrschte Staatsmacht bringen.

Die strukturellen Fehler des Kapitalismus können nicht damit geheilt werden, daß man nationale Personalpolitik macht und alle Roten und Schwarzen aus Ämtern und Würden hinausjagt. Selbst wenn die deutsche Gegenrevolution heute so autoritär herrschen könnte wie der Faschismus in Italien, hätte sie auf die Dauer nichts davon, denn die Probleme sind eben andere, größere geworden. Die Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Herrschaft muß krisenverschärfend wirken. Der Weg der Gegenrevolution führt ins Chaos. Ihre Methoden laufen sich selbst tot.

Die deutsche Gegenrevolution hat zu vielen zu vieles, hat jedem alles versprechen müssen. Wenn z.B. Adolf Hitler seine 500.000 SA- und SS-Leute unterbringen will und dabei Hunderttausende von Beamten und Arbeitnehmern der öffentlichen Dienste, der Eisenbahn, der Post, der Polizei auf der Strecke bleiben, züchtet er sich neue Todfeinde heran, ohne den zahlenmäßig entscheidenden Teil seiner Anhänger befriedigen zu können. Der deutsche Faschismus wird an der Anspruchspsychose seiner Nachläufer krepieren.

Die Methoden der großen Beutemacher, die diese im geheimen ausüben konnten, sind eben durch die nationalsozialistische Agitation zu (sehr) popularisiert worden. Der deutsche Faschismus hat überhaupt keine staatsbildende, staatserhaltende und politisch gestaltende Kraft. Das ganze System der gegenrevolutionären Parteien ist faul und krank bis ins Mark. Es ist das System des Feudalismus und des Hochkapitalismus. Darum ist der Osthilfeskandal, die größte und schmutzigste Korruption der modernen Geschichte, keine zufällige Erscheinung, sondern ein Zeichen des zwangsläufigen Verfaulens einer unfähigen Herrenschicht, die ihren Einfluß im Staate dazu benutzt hat, um auf Kosten der breiten Massen zu schmarotzen. Gerade wir in Württemberg und in ganz Süd- und Westdeutschland sind die Leidtragenden einer solchen ostelbischen Räuberpolitik, die auch von unseren Nationalsozialisten und Bauernbündlern gefördert wird. Es gibt nichts Niedrigeres und Erbärmlicheres als diese Art, mit der eine unfähige Herrenschicht durch organisierten Diebstahl sich mit Schmarotzen an deren Armen künstlich am Leben erhalten wollte. Daß das Volk dagegen nicht aufsteht und mit einer Hand die ganze Sippe hinwegfegt, ist die Schuld der Nationalsozialisten. Der „Völkische Beobachter" hat einmal in seinem Kampf gegen Papen den Herrenklub das „Stellungsvermittlungsbüro für deutschnationale Postenjäger" genannt. Aber das war nur das Konkurrenzgeraufe der Beutehungrigen untereinander. Im Prinzip sind beide Teile gleich. Es ist darum von symptomatischer Bedeutung, daß jetzt ausgerechnet die Nationalsozialisten den Überwachungsausschuß des Reichstags auffliegen ließen, um die öffentliche Aufdeckung des Korruptionsskandals der Osthilfe zu verhindern. Kettenhunde sind gelehrig...

Die Regierung Hitler ist zustandegekommen durch die Angst der Kapitalisten um ihre Schutztruppe. Diese Regierung Hitler in diesem Augenblick ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche der Gegenrevolution, ist entstanden aus der Tatsache, daß die vorhergehenden gegenrevolutionären Regierungen gegenüber den wirtschaftlichen und sozialen Problemen versagt haben und die Nationalsozialistische Partei in eine tiefe und unheilbare Parteikrise hineingeglitten war. Man hatte an Rhein und Ruhr, wie an der Elbe und Oder, Sorge bekommen um das Schicksal der Hitlerbewegung, die doch das letzte massenorganisatorische und massenpsychologische Bollwerk der Gegenrevolution ist. So hat man den letzten Gaul vorzeitig aus dem Stall gezogen. Und Hitler hat parieren müssen wegen der Millionen von Thyssen und Kirdorf, von Hohenzollern und Koburg. Die Klassenangst überwand plötzlich alle Intrigen. Die politischen Methoden, mit denen die Gegenrevolution gearbeitet hat, sind genau so tückisch und niedrig wie ein zerfallender und korrumpierter Kapitalismus und Feudalismus auch sonst heute sein muß. Auch Hitler ist auf der Hintertreppe nach oben gekommen. Die Schiebungen und Intrigen sind eine politische und moralische Demaskierung dieses Systems und eine Schande für das deutsche Volk.

Die Arbeiterklasse hat allen Grund, aus diesen Verhältnissen zu lernen. In dem Augenblick, in dem das Parlament nicht mehr funktionierte, wurde die Arbeiterklasse politisch entrechtet und sozial herabgedrückt, begann das System der Notverordnungen. Die antiparlamentarischen Parteien auf der äußersten Rechten und Linken sind nicht imstande gewesen, für das arbeitende Volk auch nur das Geringste zu erreichen und durchzusetzen. Es ist die historische Schuld der deutschen Arbeiterklasse, daß sie nicht als einige Klasse den ungeheuren klassenkämpferischen Wert der Demokratie erkannt und kämpferisch realisiert hat. (Sehr richtig!)

Letzten Endes ist doch die gewaltige deutsche Aufbauarbeit immer nur von einer Minderheit des deutschen Volkes geleistet worden. Es hat nicht nur ein sehr großer und in vielen Punkten entscheidender Teil der Bourgeoisie diese Wiederaufbauarbeit verweigert, sondern auch ein starker Bestandteil der Arbeiterschaft. Es ist nicht wahr, daß die Demokratie versagt hat. Wahr ist nur, daß das deutsche Volk die Demokratie nicht zu benutzen verstanden hat. Es ist darum die Schuld der Kommunisten, daß auf diese Weise tatsächlich auf dem breiten Rücken der deutschen Proleten die Regierung Hitler-Papen-Hugenberg zur Macht gekommen ist. Diese unheilige Allianz der deutschen Gegenrevolution ist zwar nicht einig, wird aber durch die Angst zusammengehalten.

Die neue Regierung ist die Kapitulation der Nazi vor dem Kapitalismus, den Feudalen und Hohenzollern, bedeutet den nationalsozialistischen Verrat an der „deutschen Revolution", an die so viele ahnungslose SA-Leute und kleine Existenzen geglaubt haben mögen. Die werden nicht glücklich, weil Prinz Auwi jetzt Oberpräsident wird. Selbst die mechanischen Machtmittel des Staates sind den Nationalsozialisten nicht ausgeliefert. Hitler darf nicht einmal allein zum Reichspräsidenten gehen, sondern nur am Gängelbande des Herrn von Papen. Die Reichswehr ist in der Hand eines Vertrauensmannes Hindenburgs, von Papen ist der oberste Herr der preußischen Polizei und der militante Wert der nationalen Jugend wird von dem Stahlhelmmann Seldte ausgemünzt.

Ökonomisch ist das Bild lediglich von den Kapitalisten gestellt, die haben die Vorzugsaktien in dem Geschäft.

Als am Tage der „Machtergreifung" die nationalsozialistischen Mitglieder der Reichsregierung einen vor sozialen Phrasen triefenden Aufruf anregten, verweigerten die sieben Feudalen und Schwerindustriellen hohnlächelnd ihre Zustimmung, und Hitler gab nach. Kein Wort des Protestes von dieser „Arbeiterpartei", als das Arbeitsministerium zerstört wurde. Die erste Tat auf wirtschaftlichem Gebiet war ein Geschenk an den Großgrundbesitz, neue hohe Zölle und damit Verteuerung von Vieh, Fleisch und Schmalz.

Von „Sozialisierung" redet kein Mensch mehr, sondern nur noch von „Nationalisierung". Bissig erklärt die feudal-kapitalistische Berliner „Börsenzeitung": „Eine Wunderlösung aus der durch Weltwirtschaftkrise verschärften deutschen Krise gibt es nicht. Die Mitwirkung Papens an einem Kabinett Hitler scheint doch anzudeuten, daß eine starke Annäherung stattgefunden hat, denn keine Regierung hatte bisher so stark die private Initiative des Unternehmers als Träger einer besseren wirtschaftlichen Zukunft anerkannt, als seinerzeit die des Herrn von Papen." Jetzt kann Hitler noch so viel reden, Hugenberg handelt und Papen bestimmt. Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei sollte sich umtaufen lassen in nationalsozialistische Unternehmerpartei. (Sehr richtig!) Mit dem Mitmachen in dieser Regierung haben sich die Nationalsozialisten endgültig und unwiderruflich als das enthüllt, was sie stets gewesen sind: eine nationalistische, rein bourgeoise Rechtspartei.

„Es ist das Vorrecht der Völker, aus ihrer Geschichte nichts zu lernen", hat Hegel einmal gesagt. Die deutsche Gegenrevolution macht, wie von allen ihren Vorrechten, auch von diesem Vorrecht etwas reichlich Gebrauch. Das alte System ist daran gescheitert, daß es kein positives Verhältnis zur Arbeiterklasse bekommen hat. Das neue System versucht wieder eine „Nation ohne die Arbeiter" zu errichten. Damit rutscht die deutsche Politik wieder auf die steile Ebene des Hasardspiels ab. Zum letzten Male versuchen die Nationalsozialisten - und offenbar hat ihnen Herr von Papen dabei gegen den Willen Hugenbergs geholfen - eine grandiose Mobilisierung der Dummheit und der niederen Instinkte durch Faschingswahlen, entstanden aus Angst und begleitet von Blut und Terror.

Selbst dieser Reichstag war dem 14. Kanzler der Republik noch zu gefährlich, um sich vor ihm zu verantworten, trotzdem in der Fackelzugstimmung des 30. Januar der Reichsinnenminister Dr. Frick erklärt hatte, Adolf Hitler brenne darauf, sich dem Reichstag vorzustellen und sein Programm zu vertreten. Jetzt sind 14 Tage seit der Machtübernahme vergangen. Wir warten darauf, was die neue Regierung uns an praktischen Auswegen aus der Krise zu bieten weiß. Wir erleben die Auflösung des Reichstags, des preußischen Landtags, der preußischen kommunalen Körperschaften, wir sehen, wie alle möglichen Beutemacher und Parteibuchbeamten versorgt werden, wir spüren Terror und Schikanen, aber praktische Maßnahmen werden nicht einmal angedeutet.

Was hat doch nur der einzige Goebbels versprochen: „24 Stunden nach unserer Machtergreifung sind die Papenschen Notverordnungen restlos aufgehoben. ... Millionen Schaufeln und Spaten setzen sich sofort in Bewegung, die Arbeitslosigkeit hört in kurzem auf!" Was hat man doch gemunkelt von dem Geheimplan, der in den Schubladen des „Braunen Hauses" liege und im Augenblick der Machtergreifung verwirklicht werde. Jetzt zeigt sich, daß nichts von alledem da ist. 14 kostbare Tage sind vergangen und es geschieht nichts. Nichts wird unternommen für die Löhne, die von neuem Abbauwillen bedroht sind, nichts für die Arbeitslosen, die Rentner, die Kriegsbeschädigten. Im bayerischen Landtag haben die Nazi gegen ihre eigenen Anträge auf Verstaatlichung der Banken gestimmt. Das deutsche Volk ist auch in der Politik Leuten von der Qualität des Goldmachers Tausend oder der Madame Hindert auf den Leim gegangen.

Der Nationalsozialismus ist heute bereits als der größte politische Kreditschwindel der Weltgeschichte entlarvt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann würden ihn die Regierungserklärung und die zahllosen Reden des neuen Reichskanzlers liefern, täglich dreimal Hitlerfunk! Man fragt sich erstaunt, ob denn die großen Probleme der Gegenwart nicht nach Lösung drängen, und ob dieser Mann denn nichts anderes zu tun hätte als reden, reden, reden. In der Zwischenzeit machte er auch manchmal ein paar Gesten, wie z.B. der auf die Dummen berechnete Verzicht auf das Reichskanzlergehalt, der aber Nur-Nationalsozialisten zugute kommen kann. Da ist doch Paul Löbe ein anderer Mann. Der hat nicht Hunderttausende von Mark jährlich an Einkommen aus dilettantischer Modeschriftstellerei und Hetzerei bezogen, hat aber von seinen Bezügen als Reichstagspräsident trotzdem einen erheblichen Teil den Erwerbslosen zugewandt, aber - er hat es nicht durch Rundfunk verkünden lassen.

Diese Regierungserklärung ohne Mittel, ohne Ausweg, ist der öffentlich angemeldete fachliche Bankerott der Gegenrevolution. Heute werden wieder alle Geschichtslügen und alle Stammtischgeschwätze pathetisch aufgewärmt. Der Mangel an Geist und an Inhalt nationalsozialistischer Erklärungen wird auch nicht dadurch verborgen, daß man ständig den Namen Gottes anruft. (Stürmische Zustimmung) Hier ist eher der Tatbestand der Gotteslästerung gegeben. (Sehr richtig!) Man könnte ja mit Hohn darauf hinweisen, wie zu den beschimpften Versagern der letzten vierzehn Jahre vor allem der Reichspräsident von Hindenburg, die Deutschnationalen, die Industrie usw. gehören. Noch erstaunlicher ist, daß der Marxismus die vierzehn Jahre in Deutschland geherrscht haben soll. Der Marxismus hat niemals Deutschland beherrscht und war in den vierzehn Jahren nur fünf Jahre an der Regierung beteiligt. Fast zwei Drittel der Zeit regierte das Bürgertum allein, also dieselbe Klasse, zu deren Rettung der braune Schwindelsozialismus entstanden ist.

Der Vierjahresplan ist das Zeichen vollendeter Hilflosigkeit gegenüber den Tatsachen. Wie sollte das Volk vier Jahre in blindem Vertrauen verschenken, wo es doch mit Recht keine vier Tage Vertrauen haben kann. Das Volk stellt keine Blankowechsel aus, denn die neuen Herrn sind uns in ihrem ganzen Dasein Beweise ihrer Qualitäten schuldig geblieben, und ihr Bankrott ist zwangsläufig. Das neueste System ist alles zusammengepumpt und alles auf Flitter und Glammer eingestellt. Es ist gerade eine verschlechterte Neuauflage der wilhelminischen Epoche.

Wenn Hitler droht, daß es „in zehn Jahren keinen Marxismus in Deutschland mehr geben" werde, dann antworten wir, daß bis in zehn Jahren der ganze Nationalsozialismus nur noch eine häßliche und qualvolle Erinnerung im deutschen Volke sein wird.

Selbst in diesen trüben Zeiten stimmen uns solche bekannten Töne lustig. „Die Sozialdemokratie überlassen Sie mir, mit der werde ich schon allein fertig" - meinte einst Wilhelm II. Und diese Sozialdemokratie hat dann 1918 dasselbe Deutschland gerettet, das Wilhelm und seine Paladine ruiniert haben, und dessen Wiederaufbau gerade die Kreise um die Männer der neuen Regierung mit allen Kräften sabotieren. (Zustimmung) (...) [Der Schluß der Rede ist nicht überliefert.]


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