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Vorbemerkungen des Herausgebers

[Seite der Druckausgabe: 1 = Titelseite]

[Seite der Druckausgabe: 2 = Impressum]

[Seite der Druckausgabe: 3,4 = Inhaltsverzeichnis]

[Seite der Druckausgabe: 5]

Auf vielfachen Wunsch werden hiermit die wichtigsten Papiere des Kongresses über die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD in der Opposition 1982-1989 gedruckt vorgelegt. Ein vollständiges Protokoll wird demnächst in anderer Form verfügbar sein (vgl. den Hinweis auf der Rückseite des Titelblatts).

Ziel dieses Kongresses war es, ehrlich und offen die Ambivalenzen dieser Politik kritisch anzusprechen und intensiv zu diskutieren. Deshalb waren neben Protagonisten dieser Politik auch entschiedene Gegner eingeladen worden, um die zugrundeliegenden Probleme, die ja nicht nur Geschichte sind, sondern in vielfältiger Weise in die Gegenwart hineinwirken, möglichst transparent zu machen. Daß dies in hohem Maße gelungen ist, zeigten nicht nur die Reaktionen der über 300 Kongreßteilnehmer, sondern auch die zahlreichen Besprechungen in der Publizistik.

Der Kongreß hatte eine hochkarätige Besetzung: Ausländische Podiumsteilnehmer waren u. a. der Botschafter der Republik Polen Janusz Reiter und der bekannte tschechische Romancier Ota Filip, beide ehemals Dissidenten. Auf deutscher Seite sind neben dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel und dem ehemaligen DGB-Vorsitzenden Ernst Breit u. a. zu nennen Egon Bahr, einer der Architekten der "neuen Ostpolitik" der 60er Jahre, Wolfgang Thierse, stellvertretender Vorsitzender der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion, sowie der ehemalige Außenminister der DDR nach der Wende Markus Meckel, zur Zeit einer der Obleute der Enquetekommission zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland". Für die Arbeit dieser Kommission, die sich zur Zeit ebenfalls mit der Ost- und Deutschlandpolitik befaßt, sollte der Kongreß einen Beitrag leisten.

Wenn man sich mit der Ost- und Deutschlandpolitik der SPD in der Oppositionszeit 1982-1989 beschäftigt, läßt sich dies sinnvollerweise nur angehen, wenn man von einer Gesamtschau der bundes-

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deutschen Nachkriegsgeschichte ausgeht, die in gewisser Weise 1989 einen Abschluß gefunden hat.

Wir dürfen die bundesdeutsche Ost- und Deutschlandpolitik nicht nur von ihrem unerwarteten Ausgang her interpretieren. Vielmehr läßt sich erst bei einer Historisierung der verschiedenen Phasen mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen, Bedingungen und Handlungsmöglichkeiten eine angemessene Beurteilung der jeweiligen Konzeptionen und der praktischen Politik von Regierung und Opposition gewinnen. Jede einzelne Phase ist zunächst einmal aus ihrem eigenen Kontext heraus zu verstehen.

Ein rechthaberisches Beharren darauf, eine bestimmte Politik der 50er Jahre, etwa die Schumachers oder die Adenauers, habe sich 1989 als falsch oder richtig herausgestellt, führt ohne eine solche Differenzierung zu keinem Erkenntnisgewinn.

Sehr wichtig für den Verlauf des Kongresses war es, daß Egon Bahr, der nach dem Tode Willy Brandts wie kein anderer auf dem Felde der Ost- wie auch der in sie eingebetteten Deutschlandpolitik über mehr als drei Jahrzehnte gestaltend aktiv war, für das Einführungsreferat gewonnen werden konnte. Seine glasklare, rationale Argumentation, die sich auch der Kritik nicht verschloß, prägte ganz wesentlich das Klima.

War die Hilfe der Sozialdemokratie für verfolgte Bürger und das Eintreten für ihre Menschenrechte insbesondere bei der Sowjetunion, ein Problemkreis, der sich weitgehend der Öffentlichkeit entzog, so hat das gemeinsame Papier der Grundwertekommission der SPD und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED über den "Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" um so mehr Aufmerksamkeit erregt. Der kontroversen Einschätzung, auch innerhalb der SPD, entsprechend, gab es hierfür zwei Referenten, Thomas Meyer, einen der Autoren des Streitkultur-Papiers auf westlicher Seite, und Stephan Hilsberg, der als ehemaliger DDR-Oppositioneller aus seiner und seiner Mitstreiter Sicht sehr kritische Akzente setzte.

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Kein eigenes Referat war vorgesehen für die grundsätzliche Beurteilung der auf unterschiedlichen Ebenen abgelaufenen Kontakte der SPD mit der SED, also Kontakte zwischen einer demokratischen Partei und der Repräsentantin eines Unrechtsregimes, die den Vorwurf der Anbiederung an die ostdeutsche Seite provoziert haben. Denn es konnte davon ausgegangen werden, daß diese Problematik sich in der einen oder anderen Weise durch alle Diskussionsrunden hindurchziehen werde, vor allem im Zusammenhang des ersten Podiums.

Der Obertitel dieses Podiums zeigt die Blick- und Fragerichtung, die uns vorschwebte: War der ost- und deutschlandpolitische Ansatz der SPD zu sehr auf Verhandlungen mit den oder Reformierung der Staatsparteien des Ostens ausgerichtet? Setzte er zu einseitig auf Reformen von oben, statt die Möglichkeit einer Reform von unten einzukalkulieren? Ging er damit über die Köpfe der sich in unterschiedlicher Intensität in der DDR, in Polen und in der Tschechoslowakei herausbildenden kritischen Intelligenz und Opposition hinweg, anstatt sie zu unterstützen? Hatte diese Politik eher stabilisierende oder destabilisierende Elemente für die Unrechtsregime? Gab es dazu in der damaligen Situation eine echte Alternative?

Markus Meckel, Janusz Reiter und Ota Filip haben bei diesem Podium kritische Fragen an Karsten Voigt gestellt, der die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD in dieser Phase mitbestimmt hat. Als Moderator fungierte Gert Weisskirchen, der unter auch innerparteilich schwierigen Bedingungen seinerzeit Kontakt zu den Oppositionellen jenseits der Grenze gepflegt hat.

Innerhalb wie außerhalb der SPD hat sich seit den Tagen Kurt Schumachers, als die Wiedervereinigung, der Erhalt der Nation, Kern und Mitte der gesamten SPD-Politik war, die Einstellung zur deutschen Nation entscheidend geändert. Auch dort, wo verbal an der Wiedervereinigungsforderung festgehalten wurde, hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik eine Gewöhnung an die Existenz von zwei deutschen Staaten entwickelt, die unter dem Dach einer Kulturnation separat voneinander bestanden. Eine Änderung dieses Zustandes schien ohnehin den allermeisten Bundesbürgern

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undenkbar und, so muß man hinzufügen, nur bedingt wünschenswert. Das hatte viel mit Generationserfahrungen und politischer Sozialisation zu tun, besaß aber durchaus auch konzeptionelle Komponenten.

Besonders auf der Linken war und ist noch heute ein Unbehagen gegenüber dem Phänomen Nation als Identitätsvermittler stark ausgeprägt, das seine Begründung findet in dem Mißbrauch des Nationalen in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ein vereinigtes, damit größeres Deutschland schien manchen die nationalistischen Gefährdungen der Vergangenheit wieder heraufbeschwören zu können.

Mit Blick auf die SPD der 80er Jahre hat das Podium auch diese Probleme sehr kontrovers diskutiert: Herbert Ammon von einem stark nationalstaatlich geprägten Standpunkt her, Wilfried von Bredow als seinerzeitiger Verfechter einer Zwei-Staaten-Lösung, Hartmut Soell aus der Perspektive eines nicht immer zur Konformität neigenden Mitglieds der SPD-Bundestagsfraktion. Edelbert Richter hat die Optik eines DDR-Intellektuellen, der sich schon vor 1989 konzeptionell mit der nationalen Frage befaßt hat, in die Diskussionen eingebracht. Bernd Faulenbach, der Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD ist, vertrat als Moderator eher eine vermittelnde Position.

Die Fragen des letzten Podiums hat Wolfgang Thierse in seinem zusammenfassenden Schlußvortrag wieder aufgegriffen, in dem er für die Gegenwart und Zukunft die Frage erörterte, wie deutsche Nation und europäische Einheit konzeptionell und politisch miteinander zu verknüpfen sind, um das Entstehen eines neuen, aggressiven Nationalismus zu verhindern, in Erinnerung an Willy Brandts Wort von den "deutschen Patrioten in europäischer Verantwortung".

Einige Grundfragen durchzogen die Diskussionen des gesamten Kongresses:

Haben sich beide Paradoxa der Strategie "Wandel durch Annäherung", nämlich Änderung des Status quo durch dessen Anerkennung einerseits sowie Liberalisierung durch Stabilisierung andererseits, langfristig als richtig erwiesen?

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War eine "Politik der kleinen Schritte" die einzig denkbare Methode, nicht nur in der ersten Phase die Lähmung der deutschen Ostpolitik der späten Adenauerära zu überwinden, sondern auch seit Ende der 70er Jahre, also nach Abschluß der Ostverträge und nach Helsinki, die erneut aufgetretenen Spannungen zwischen Ost und West zu überwinden?

Wo liegen die Kontinuitäten, wo die Diskontinuitäten zwischen sozial-liberaler und christlich-liberaler Ost- und Deutschlandpolitik, und welche Bedeutung kommt hier den Politikern Kohl und Genscher zu?

Hat die SPD in den 80er Jahren nach dem Motto: "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts!" dem Postulat der Sicherheitspartnerschaft alles andere untergeordnet, nämlich ideologische Gegensätze, inneren Frieden in den Ostblockstaaten, Menschenrechte, Nation, auch Freiheit?

Wenn die Prämisse nicht zutraf, daß erst durch gemeinsame Sicherheit politischer Wandel in Osteuropa und der Sowjetunion ermöglicht werden könne: Was bedeutet diese Einschätzung dann für die Beurteilung der westdeutschen Gesamtpolitik aller Parteien?

Hat das neue sozialdemokratische Sicherheitsdenken das sowjetische Denken der Ära Gorbatschow vorbereitet und beeinflußt und damit einen wesentlichen Grundstein für den Umbruch geboten?

Was war der Handlungsspielraum der westdeutschen Ostpolitik im Rahmen des internationalen Systems - in den einzelnen Phasen unterschiedlich? Überschätzte die SPD in den 80er Jahren ihre Möglichkeiten?

Hatte die bundesdeutsche Politik im allgemeinen und die SPD im besonderen ein realistisches Bild von den Gegebenheiten und Entwicklungsmöglichkeiten im Osten?

Hat die SPD mit "Wandel durch Annäherung" nicht nur die Gegenseite, sondern unbemerkt auch sich selbst gewandelt?

Die hier abgedruckten Referate und Eingangsstatements der Podien sind - insbesondere mit Bezug auf Wiederholungen - etwas gekürzt und sprachlich leicht überarbeitet worden. Der Sprachduktus

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des mündlichen Vortrages wurde - auch hinsichtlich der Tempora und Modi - beibehalten.

Dank gesagt sei Mag. Wilfried Busemann, der die Diskussionen für die Druckfassung zusammengefaßt hat, eine gewiß nicht leichte Aufgabe, und Frau Angelika Krauß, die einen Teil der Texte vom Tonband abgeschrieben hat. Frau Maria Theodossiou hat darüber hinaus in bewährter Weise diese Broschüre formal gestaltet. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz wäre die Durchführung des Kongresses nicht möglich gewesen.



Bonn, im Dezember 1993 Dr. Dieter Dowe
Leiter des
Historischen Forschungszentrums


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