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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:19]


Prof. Dr. Artur Wollert
Mit familienbewusster Personalpolitik zum Unternehmenserfolg




Eine „familienbewusste Personalpolitik„ berücksichtigt, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht nur im Unternehmen Verantwortung tragen, sondern dass sie in ihrem privaten Lebensbereich ebenso vielfacher Verantwortung gegenüberstehen. Das gilt insbesondere hinsichtlich ihrer familiären Einbindung. Die traditionelle Versorgerehe - der Mann ist für die Produktion (Gelderwerb), die Frau ist für die Reproduktion (Regeneration des Mannes, Erziehen der Kinder) zuständig - ist überholt. Zwei Gründe hierfür sind wohl, dass man dauerhaft weder auf die anhaltende Stabilität der privaten Beziehungen noch mit hundertprozentiger Gewissheit auf die berufliche Sicherheit des Partners - wird nicht arbeitslos - setzen kann. Es ist vernünftiger, sich auf die eigenen Beine zu stellen. Diese Erkenntnis, das gestiegene Bildungsniveau der Frauen, ihr Wunsch, das Gelernte umzusetzen und letztlich auch der Druck, „hinzuverdienen„ zu müssen, haben dazu geführt, dass immer mehr Frauen ins Erwerbsleben drängen. Bestrebungen, sie entweder mit zusätzlichen finanziellen Anreizen - wie sie derzeit nicht zuletzt wegen des einschlägigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts diskutiert werden - oder mit Appellen an ihr - so unterstellt man - schlechtes Gewissen, zur Rückkehr an den heimischen Herd bewegen zu wollen, sind unethisch, gesellschaftlich überholt, wirtschaftlich kontraproduktiv und politisch nicht mehr durchsetzbar.

Die Wirtschaft braucht die Frauen. Sie kann nicht auf fünfzig Prozent des gesellschaftlichen Potenzials verzichten, „nur„ weil es sich um Frauen handelt. Und genauso wie Frauen unverzichtbar für die Wirtschaft sind, so sind Arbeitsplätze in den Unternehmen notwendig für Frauen. Dem Gleichstand in der Bildung wird Chancengleichheit bei der Entwicklung und Bezahlung in der Wirtschaft folgen. Jeder, ob Mann oder Frau, hat Anspruch darauf, sein Leben in eigener Verantwortung zu gestalten.

Ein Aspekt dieser Entwicklung ist die Suche nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In unserer Gesellschaft müssen sich derzeit die Familien den Anforderungen des Erwerbslebens anpassen. Da Zeit- und Bedürfnisstrukturen des privaten Bereichs aber nicht der Rationalität von Betrieben folgen, kommt es ständig zu Konflikten. Kaufmann spricht von der „strukturellen Rücksichtslosigkeit„1 gegenüber Familien. Diese zu lösen ist heute vor allem Aufgabe der Frauen. Sie stehen in einer doppelten Loyalitätsverpflichtung. So gesehen hat die berufliche Emanzipation der Frauen in den letzten Jahrzehnten ihre Gleichstellung verschlechtert, da sich die Männer nicht in gleichem Ausmaß familiären Verpflichtungen zuwandten, wie die Frauen ins Erwerbsleben - der ursprünglichen Domäne der Männer - vordrangen.

Die Wirtschaft jedenfalls akzeptiert die Verantwortung gegenüber der Familie zumeist nicht als gleichwertig gegenüber den beruflichen Verpflichtungen. Wenn die Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen helfen, Beruf und Familie zu vereinbaren, wird diese Unterstützung in der Regel als Sozialmaßnahme eingeordnet. Es mangelt an einem ganzheitlichen Konzept der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dieses Thema ist bisher kein direktes Politikfeld der Personalarbeit oder gar eine

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unternehmenspolitische Zielsetzung. Dabei ist es eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, hier zu Lösungen zu kommen, die den Interessen der Mitarbeiterinnen dienen und den Nutzen der Unternehmen mehren.

Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist daher auch keinesfalls als ein bloßes Anhängsel der traditionellen Gleichstellungsdebatte anzusehen, sondern sie richtet sich eben prinzipiell an alle MitarbeiterInnen, vielleicht sogar in besonderem Maße an die Männer. Basis ist - wie schon geschrieben - die Annahme, dass MitarbeiterInnen neben ihrer beruflichen Verantwortung eine solche im Privatleben haben und dass sie versuchen, den Anforderungen beider Bereiche gerecht zu werden. Gleichstellung zielt darauf ab, Frauen und Männern in der Arbeitswelt gleiche Chancen einzuräumen.

Familienbewusste Personalpolitik wirkt dagegen darauf hin, dass beide Geschlechter eine Balance zwischen der Berufs- und der Familienwelt finden. Beunruhigend ist in diesem Zusammenhang gelegentlich das Auftreten so mancher erfolgreichen Frau. Einige imitieren stark die traditionellen männlichen Lebensideale, setzen ganz auf den Beruf und halten Partnerschaft und Kinder für „Nebenkriegsschauplätze„. Oberflächlich betrachtet mag das aus Firmensicht zu begrüßen sein. Die Mehrzahl der weiblichen Führungskräfte ist tatsächlich „ungebunden„, hat keine Kinder, ihre gesamte Energie steht dem Unternehmen zur Verfügung. Das ist aber nicht das Ziel familienbewusster Personalpolitik.

Obwohl keiner die Richtigkeit des Sprichworts bezweifelt „Wenn es zu Hause nicht stimmt, stimmt es auch im Betrieb nicht„, sieht man dennoch vielfach Beruf und Familie als zwei völlig getrennte Lebensbereiche an, die nichts miteinander zu tun haben. Ja, man vermittelt sogar den Eindruck, dass der Mensch, der seinen familiären Verpflichtungen nachkommt, im Unternehmen nur halbe Leistungen zu erbringen imstande ist. Im Gegenzug unterstellt man den leistungsstarken und engagierten MitarbeiternInnen, dass sie familiär gesehen wohl Nieten sein müssten. Das aber kann nicht hingenommen werden. Profi im Beruf und Profi zu Hause - das muss die Lösung sein. Es ist positiv für den einzelnen, für seine Entwicklung und seine Umwelt, wenn er all seinen Verantwortungen nachkommt. Das gilt insbesondere für die beiden wichtigsten Lebensbereiche, Beruf und Familie.

Die berufstätige Frau, der berufstätige Mann - das erfordert naturgemäß einen im Vergleich zu früheren Generationen gewandelten Umgang miteinander. Beide müssen sich partnerschaftlich über ihre jeweilige Berufs- und Lebensplanung absprechen. Rücksicht und Verantwortungsbereitschaft sind gefragt. Die unterschiedlichen Interessen der Partner können nicht ohne Auswirkungen auf die Personalentwicklungsmaßnahmen der Unternehmen sein. Eine Unterbrechung der Berufstätigkeit, der Wechsel von einem Vollzeit- auf einen Teilzeitarbeitsplatz oder auch ein Sabbatjahr dürfen nicht als Karriereknick bewertet werden. Sie dürfen sich nicht negativ auf die weiteren beruflichen Perspektiven auswirken. Genauso wie der Wechsel von Arbeitsort, Betrieb und Aufgabenbereich müssen familiäre Veränderungen als normaler Bestandteil des Lebens- und Berufsweges gewertet werden.

Es ist durchaus vorstellbar, dass eines Tages die Personalabteilung von vornherein nicht nur mit ihren MitarbeiterInnen, sondern zugleich mit deren PartnerInnen spricht. Bei einem solchen Gespräch wird die Familienplanung eine wichtige Rolle spielen. Vielen Umfragen zufolge steht der Wunsch junger Menschen nach „glücklicher„ Partnerschaft, nach Familie, an vorderster Stelle der Prioritätenskala.2 Angesichts der Egomanie, die der jungen Generation generell unterstellt wird, ist das eigentlich verwunderlich. Aber die Untersuchungsergebnisse zeigen eindeutig: Die Familie lebt. Freilich bleibt der in jungen Jahren überaus häufig geäußerte Kinderwunsch zu oft auf der Strecke.

Vor die Alternative „Kinder oder Beruf„ gestellt, entscheiden sich viele Paare für letzteren. Nun ist es heute bestimmt besonders verantwortungsvoll, Kinder in die Welt zu setzen. Noch nie war die Zukunft so wenig vorhersehbar. Wie kann man da 20 Jahre vorausplanen? Dennoch überwiegen beim Verzicht auf Kinder, neben der Sorge, die zeitliche Souveränität über das Leben zu verlieren, wohl materielle Gründe. Der Lebensstandard einer Familie mit zwei Kindern ist erheblich niedriger als der eines kinderlosen Paares.3 Selbst wenn ein Partner teilweise mitarbeitet, muss er mit einem Karriereknick und entsprechenden finanziellen Folgewirkungen rechnen. Die Folge dieser Entscheidung für den Beruf: Vor einhundert Jahren

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war jeder zwanzigste Bürger älter als sechzig, heute ist es jeder fünfte, in fünfzig Jahren wird es jeder dritte sein. „Der Rückgang der Zahl der unter 20-Jährigen wird schon in den nächsten Jahren besonders ausgeprägt in den neuen Ländern eintreten, und zwar bis 2010 vermutlich um fast 40 % gegenüber 1991.„4

Eine familienbewusste Personalpolitik will hier eine Besserung einleiten, vor allem, wenn sie von staatlichen und gegebenenfalls tariflichen Rahmenbedingungen unterstützt wird. Es geht letztlich um ein besseres Ausbalancieren von beruflichen Verpflichtungen und der Pflege privater Beziehungen - die Amerikaner sagen: es geht um die Balance von work and life. Die 1974 gegründete Gemeinnützige HERTIE-Stiftung - eine der größten privaten Stiftungen der Bundesrepublik, in den Schwerpunkten Bildung, Gesellschaft, Europäische Integration und Medizin arbeitend - hat das Thema aufgegriffen und die Situation der Unternehmen bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in einem von 1995 bis Mitte 1998 dauernden empirischen Projekt detailliert untersucht und Lösungen für eine bessere Vereinbarkeit aufgezeigt.5

Gemäß den Projektergebnissen kann eine familienbewusste Personalpolitik in vielen klassischen Feldern des Personalmanagements ansetzen. In zehn gemeinsam mit zahlreichen Unternehmen herausgearbeiteten Handlungsfeldern ist familienbewusstes Handeln besonders deutlich zu praktizieren und festzumachen. Abb. 1 gibt einen Überblick über diese Handlungsfelder und zeigt stichwortartig auf, welchen Nutzen familienbewusstes Handeln für das Unternehmen hat:

Nr.

Handlungsfeld

Kurzbeschreibung

Nutzen

1

Arbeitszeit

- Maßnahmen flexibler Arbeitszeitgestaltung hinsichtlich Umfang, Zeitpunkt und Abrechnungszeitraum

- Freistellungsregelungen

flexibler Einsatz von Personalressourcen

2

Arbeitsabläufe und Arbeitsinhalte

- Bausteine und Methoden (etwa Mitarbeiterbeteiligung oder Teamarbeit) der flexiblen Gestaltung und Verteilung von Arbeitsaufträgen

multifunktionaler Personaleinsatz

3

Arbeitsort

- Möglichkeiten eines flexiblen Arbeitsortes (etwa zu Hause, im Büro oder auf Reisen) und seine Anbindung an den Betrieb

Zeit- und Kosteneinsparungen

4

Informations- und Kommunikationspolitik

- unternehmensinterne Informations- und Öffentlichkeitsarbeit über familienunterstützende Aktivitäten des Betriebes

Unterstützung der Wirksamkeit personalpolitischer Maßnahmen

5

Führungskompetenz

- familienorientiertes Verhalten der Führungskräfte

- aktive Unterstützung familienorientierter Vereinbarungen

- Förderung der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit

Kompetenzentwicklung/
-erweiterung der Führungskräfte

6

Personalentwicklung

- Fortbildungs- und Förderungsmöglichkeiten für Beschäftigte mit Familie

- positive Beurteilung von Laufbahnen, die „aus dem Rahmen fallen„

Qualifikationserhalt und
-ausbau sowie Nutzung von in der Familie erworbenen Kompetenzen

7

Entgeltbestandteile und geldwerte Leistungen

- finanzielle und soziale Unterstützung für Beschäftigte mit Familie

bedarfs- und sozial gerechte Entgeltpolitik

8

Flankierender Service für Familien

- Versorgungsarrangements für Kinder oder pflegebedürftige Familienangehörige

Reduzierung von Wiedereinarbeitungs-
kosten, Amortisation der Aus-, Fort- und Weiterbildungsinvestitionen

9

Unternehmens- und personalpolitisches Datenmodell

- Erfassung; Verknüpfung und Analyse betriebswirtschaftlicher Daten und Informationen zur mittel- bis langfristigen Kosten-Nutzen-Gegenüberstellung familienorientierter Maßnahmen

Nutzbarmachung für eine strategische Unternehmens- und Personalplanung

10

Betriebsspezifika

- innovative familienorientierte Maßnahmen, die keinem der beschriebenen Handlungsfelder zuzuordnen sind

Vorreiterrolle für weitere zukunftsweisende familienfreundliche Maßnahmen

Abb. 1: Zehn Handlungsfelder familienbewusster Personalpolitik s

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In der Regel berühren familienbewusste Maßnahmen mehrere oder alle Handlungsfelder. Ein gutes Beispiel ist die Telearbeit. Sie erlaubt es einem Erziehungs„urlauber„ im Beruf zu bleiben und seine Arbeitsziele auf die Bedürfnisse des Kleinkindes abzustimmen. Telearbeit umfasst folgende Handlungsfelder:

  1. Arbeitszeit: Abgestimmt werden muss, ob und wann die Telearbeiterin im Unternehmen ist, wann sie zu Hause erreichbar sein muss und welche Flexibilitätsspielräume sie hat.

  2. Arbeitsort: Der Telearbeitsplatz muss eingerichtet werden. Dazu gehört die Frage, ob und wie sich das Unternehmen an der Ausstattung, vor allem dem Computer, der Telekommunikation, notwendigen Versicherungen, den Miet- und Telefonkosten etc. beteiligt. Außerdem muss geklärt werden, ob im Unternehmen ein weiterer Arbeitsplatz nötig ist.

  3. Arbeitsabläufe und Arbeitsinhalte müssen auf die Telearbeit abgestimmt werden.

  4. Information und Kommunikation müssen über feste Anwesenheitszeiten im Unternehmen (Meeting zu fest vereinbarten Zeiten etc.), verlässliche Erreichbarkeit zu Hause und auf die Telearbeit abgestimmte Informationsflüsse (Intranet, E-Mail etc.) gewährleistet sein.

  5. Führung: Die Führungskräfte müssen ihr Selbstverständnis ändern. Sie kontrollieren nicht mehr die Anwesenheit, sondern die Arbeitsergebnisse.

  6. . Das unternehmens- und personalpolitische Denkmodell muss die Frage beantworten, ob sich Telearbeit für das Unternehmen lohnt.

Ein familienorientiertes Unternehmen agiert im Umfeld kommunaler und staatlicher Gegebenheiten. Die Wirksamkeit familienbewusster Personalpolitik und die Wirtschaftlichkeit für das Unternehmen ist um so größer je besser die Maßnahmen mit kommunalen und staatlichen Regelungen verknüpft sind. Das Beispiel „Kindergarten„ zeigt das:

  1. Die Öffnungszeiten des Kindergartens und die Arbeitszeiten sollten aufeinander abgestimmt sein. Eventuell kann das Unternehmen dabei helfen, Betreuungslücken vor Öffnung und nach Schließung des Kindergartens durch eine Kurzzeitbetreuung zu überbrücken.

  2. Gegebenenfalls können mehrere Unternehmen einen Verbundkindergarten betreiben.

  3. Möglicherweise kann sich ein Unternehmen in public-private-partnership finanziell an einem öffentlichen Kindergarten beteiligen.

Ein weiteres Beispiel für die Verflechtung staatlicher und betrieblicher Maßnahmen: Wenn die gesetzliche Freistellungszeit von zur Zeit drei Jahren in ein (z.B. bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes abrufbares) Zeitkonto umgewandelt würde, könnten Eltern Betreuungslücken leichter selbständig überbrücken.

Eine Haupterkenntnis der empirischen Forschung war, dass nicht so sehr hohe Investitionen in Infrastruktur und Sozialbudget zur besseren Vereinbarkeit beitragen, sondern insbesondere Führungskompetenz und flexible Gestaltung der Arbeitsorganisation. Vor allem geht es um eine Änderung des Bewusstseins. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die notwendige Sensibilität des Unternehmens für die familiären Belange der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Angestrebt wird eine Unternehmenskultur, in der der einzelne Mitarbeiter und die einzelne Mitarbeiterin in ihrer Ganzheit gesehen und respektiert werden. Man nimmt deren Verantwortung für andere Lebensbereiche ernst und überlegt, wie die dort erworbenen Kompetenzen für den Arbeitsplatz nutzbar gemacht werden können. Beispielsweise ist unbestritten, dass das Management von Erziehung, Familie und Haushalt ganzheitliches Denken und Planen schult, lehrt, Prioritäten zu setzen und ergebnisorientiert zu handeln. Man muss in einer solchen Funktion eigentlich alle Qualitäten zeigen, die man gemeinhin guten Führungskräften zuschreibt: zuhören können, motivieren, schlichten, integrieren, entscheiden, Werte setzen, Vorbild sein. Mit anderen Worten: Familienorientierung zahlt sich für das Unternehmen aus.

Was sind nun aber generell die Vorteile einer familienbewussten Personalpolitik für ein Unternehmen?

Effizienz und Wirtschaftlichkeit werden gesteigert:

  1. Die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, mehr Selbständigkeit und durchdachte Vertreterregelungen ermöglichen einen effizienteren Personaleinsatz.

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  2. Die Motivation und das Betriebsklima verbessern sich, wenn Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen mit Hilfe des Unternehmens Beruf und Familie besser vereinbaren und sich darauf verlassen können, dass ihre familiären Belange berücksichtigt werden.

  3. Viele unternehmerischen Maßnahmen der letzten Jahre haben nicht dazu beigetragen, die Loyalität der MitarbeiterInnen zu festigen. Loyalität kann immer nur wechselseitig sein. Ohne sie wird eine Gemeinschaft von Menschen nicht zu überdurchschnittlichen Leistungen fähig sein. Ist ein Grundstein für wechselseitige Loyalität - nicht zuletzt durch eine familienbewusste Personalpolitik - gelegt, sinken auch Fluktuations- und Krankheitsraten.


Personalgewinnung und -erhalt werden erleichtert:

  1. Neue Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen einzuarbeiten und zu qualifizieren kostet Zeit und Geld. Daher ist z.B. der Erziehungsurlaub auch aus Sicht des Unternehmens zu nutzen, damit MitarbeiterInnen anschließend wieder reibungslos reintegriert werden können.

  2. Qualifizierungskosten amortisieren sich besser.

  3. Familienbewusstsein ist ein wichtiges Argument im Wettbewerb um qualifizierte MitarbeiterInnen. Natürlich ist es für einen Bewerber positiv, wenn er spürt, dass ein Arbeitgeber seine Verantwortung für seine Familie akzeptiert und Interesse an den beruflichen Ambitionen des Partners bekundet.

Das Unternehmen erzielt einen Imagegewinn:

  1. Familienpolitisches Engagement in der Region stärkt die Position eines Unternehmensstandorts.

  2. Familienpolitisches Engagement fördert die Kundenbindung.

Neben der Steigerung von Effizienz und Wirtschaftlichkeit und neben den positiven Auswirkungen auf das Personalmarketing ist eine familienbewusste Personalpolitik auch langfristig von Vorteil für die Unternehmen.

Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist zwar höchst persönlich, hat jedoch weitreichende Folgen für die Gesellschaft. Familien erbringen mit der Entscheidung für Kinder und deren Erziehung wichtige Vorleistungen für die Wirtschaft, so z.B. Toleranz, Selbständigkeit, Lernfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft; alles Schlüsselqualifikationen, deren Grundstock in den ersten Lebensjahren gelegt werden. Schon daher sollten Unternehmen die Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe unterstützen. Wir haben viele Arbeitskreise, wie z.B. „Schule und Wirtschaft„, „Kirche und Wirtschaft„, „Bundeswehr und Wirtschaft„. Ich wünsche mir einen Arbeitskreis „Familie und Wirtschaft„. Die Familie ist, wie es der anerkannte und erst kürzlich in einer ausgezeichneten Festschrift6 gewürdigte Familienwissenschaftler Max Wingen nicht müde wird, ständig in Politik und Wirtschaft zu propagieren, eine der bei weitem wichtigsten „Leistungsträger„ in unserer Gesellschaft7.

Die angestrebte familienfreundliche Gestaltung der Unternehmenskultur und die Beeinflussung der damit einhergehenden Vorteile hängen in hohem Maße davon ab, inwieweit die Führungskräfte mit-

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ziehen. Das gilt allerdings für die übrigen Politikfelder der Unternehmen generell. „Auch Unternehmensrichtlinien sind nur so gut wie die Führungskräfte, die sie anwenden8. Ohne das Mitziehen der Führungskräfte bleiben alle familienbewussten Vorsätze Makulatur. Führungskräfte sind Mittler zwischen den betrieblichen Rahmenbedingungen, den Anforderungen im Betrieb und den familiären Bedürfnissen ihrer MitarbeiterInnen. Ihr Verhalten und ihr Umgang mit familiären Belangen prägen ganz entscheidend das Bild des Mitarbeiters vom Unternehmen. Die gemeinsame Suche nach Lösungen und die Kompromissfähigkeit von MitarbeiterInnen und Führungskräften stehen im Mittelpunkt eines auf Vertrauen basierenden Führungsstils und sind Voraussetzung für familienbewusste Personalpolitik. Natürlich wird die Glaubwürdigkeit von Führungskräften gestärkt, wenn sie in ihren eigenen privaten Belangen ebenfalls Vorbild zeigen, d.h. auch einmal einen Termin verschieben, weil sie an der Einschulungszeremonie der Tochter teilnehmen.

Nach Bertram9 wird der Vorsprung unserer Ordnung in der postindustriellen Gesellschaft „davon abhängig sein, inwieweit es gelingt, die unterschiedlichen Lebensbereiche von Menschen im Bereich von Produktion und Reproduktion so aufeinander zu beziehen, dass die Qualifikation der Individuen in beiden Bereichen optimal zur Geltung kommen kann„. Ich kann dieser Feststellung nur zustimmen. Die Familie ist die Keimzelle für den geistigen Reichtum unseres Landes. Ohne Kinder gibt es keine Wissensgesellschaft mit Zukunft. Wir brauchen Innovationen nicht nur auf technischem, sondern ebenso auf gesellschaftlichem Gebiet. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördert die qualitative wie aller Wahrscheinlichkeit nach die quantitative Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eines ist dabei klar: Ein größeres Engagement von Frauen im Erwerbsleben erfordert ein größeres Engagement von Männern in Familie und Haushalt, wenn die Entwicklung nicht zu Lasten der Frauen gehen soll. Denn wie es der Manager-Kollege Albert Koch von Nestle formulierte: „Die neue Frau im Wirtschaftsleben, die sowohl Führungskraft als auch Mutter sein darf, wird es nur geben, wenn wir gleichzeitig einen neuen Mann haben, der sowohl Führungskraft als auch Vater ist.„ Nun, die Männer sind dabei, sich zu verändern. „Es sind nicht „nur„, sondern „schon„ 19 % „neue Männer„, die partnerschaftlich eingestellt sind und sich vorbehaltlos zur Familie bekennen. Vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar. Aus diesem Grunde erkennen immer mehr Unternehmen, dass eine familienfreundliche Arbeitswelt eben nicht nur Ausdruck einer frauenorientierten Sozialpolitik ist, sondern eine notwendige Voraussetzung im Bemühen um hochqualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - und somit Bedingung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit.„10

Das Audit Beruf & Familie.11

Nicht nur diese von Stefan J. Becker, dem bei der Gemeinnützigen HERTIE-Stiftung zuständigen Projektleiter, begründet getroffene Einschätzung der männlichen Verhaltensänderung stimmt hoffnungsfroh, angenehm überrascht waren wir, dass sich das mit Unterstützung der Stiftung entwickelte Audit Beruf und Familie12 mittlerweile reger Nachfrage erfreut. Unternehmen können sich mit Hilfe dieses Instruments von einer durch die Gemeinnützige HERTIE-Stiftung eigens hierfür gegründeten gemeinnützigen Beruf & Familie GmbH hinsichtlich ihrer familienbewussten Personalpolitik auditieren und zertifizieren lassen. Bis Mitte 2000 haben bereits ca. 50 Unternehmen diese Möglichkeit genutzt, darunter z.B. die Commerzbank, die HypoVereinsbank, Teile von Siemens, die Bundesversicherungsanstalt, Underberg, Röhm, die Steuerkanzlei Brunner, ein Fraunhofer-Institut, Knoll, Merkle-Ratiopharm.

Im einzelnen

  • systematisiert und gewichtet das Audit Beruf & Familie das Maßnahmenangebot einer Organisation;

  • stellt Kennziffern für eine betriebsspezifische Kosten-Nutzen-Analyse familienbewusster Maßnahmen zusammen;

  • identifiziert die Entwicklungsmöglichkeiten einer familienbewussten Personalpolitik;

  • gibt Impulse für eine unternehmensspezifische Handlungsstrategie;

  • fördert die Kompetenzentwicklung der Führungskräfte;

  • hilft bei der Entwicklung eines Unternehmensleitbildes;

  • liefert wichtige Grundlagen für eine Personal- und Organisationsentwicklung.

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Der von der Beruf & Familie gGmbH gesteuerte Auditierungsprozess wird in Zusammenarbeit mit sachkundigen Auditoren durchgeführt und verläuft in folgenden Schritten:

Zuerst werden dem interessierten Unternehmen umfangreiche Informationsunterlagen sowie ein entsprechender Fragebogen zur Verfügung gestellt. Sodann wird nach einem ersten Strukturierungsgespräch eine betriebsinterne repräsentative Projektgruppe zusammengestellt. In einem darauf folgenden ein- bis zweitägigen Workshop im Unternehmen wird die Projektgruppe über die Handhabung und Nutzung des Audits informiert. Sie ermittelt dann zusammen mit dem Auditor anhand des übergebenen Arbeitsinstrumentariums den IST-Zustand der familienfreundlichen Maßnahmen sowie deren Umsetzung im Unternehmen. Die Ergebnisse werden schließlich ausgewertet und im Unternehmen präsentiert. Möglicher Handlungsbedarf wird aufgezeigt, Lösungsvorschläge werden erarbeitet und weitere Maßnahmen definiert. Bei der Auswertung und Gewichtung des vorhandenen Angebots an entsprechenden familienfreundlichen Maßnahmen „geht es weniger um die Quantität als vielmehr um die Qualität. Aus diesem Grunde werden für jede einzelne Maßnahme auch die Art der Institutionalisierung, die Zielgruppe, die tatsächliche Nutzung und Umsetzung sowie die Unterstützung durch KollegInnen und Vorgesetzte begutachtet. Das Ergebnis ist ein „Check-up„ des Ist-Zustandes und ein Abbild der Unternehmenskultur.„13 Besonderer Wert wird schließlich auf die Festlegung eines SOLL-Zustandes gelegt. Nach erfolgreicher Beendigung des Auditierungsprozesses14 empfiehlt der Auditor der Beruf & Familie gGmbH die Zertifizierung. Über diese entscheidet ein unabhängiger Audit-Rat, der sich aus Vertretern von Ministerien, Journalisten, Wirtschaft und Wissenschaft zusammensetzt. Das zunächst erhaltene Grundzertifikat ist drei Jahre gültig. In der danach möglichen Reauditierung wird u.a. anhand einer Mitarbeiterbefragung überprüft, ob und inwieweit die seinerzeit festgestellte Lücke zwischen IST- und SOLL-Zustand geschlossen wurde. Nach einer erneut erfolgreich abgeschlossenen Auditierung wird ein wiederum befristetes Zertifikat vergeben.

Die Führungsmannschaft, die sich einem derartigen, das ganze Unternehmen tangierenden Unterfangen unterzieht, redet nicht nur über zeitgemäße Personalpolitik, sie stellt sich konkret dem Veränderungsprozess, wohlwissend, dass er langfristiger Natur ist. Dies ist freilich nur möglich, wenn man eine Vorstellung davon hat, wohin die Reise geht. Sie sollte dahin führen, dass eine Frau sowohl gute Mutter wie akzeptierte Führungskraft und ein Mann sowohl anerkannter Manager wie vorbildlicher Vater sein können.

Anmerkungen

1. F.-X. Kaufmann, Die Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, München 1995, S. 11. Kaufmann zitiert in seinem Werk (S. 175) auch den Ausspruch des deutschen Klassikers der Nationalökonomie Friedrich List: „Wer Schweine erzieht, ist ... ein produktives, wer Menschen erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft.„ Damit wird nach Kaufmann der „grundlegende Mangel des herrschenden Wirtschaftsverständnisses„ auf den Punkt gebracht.

2. Ein Hauptergebnis der Shell-Studie liest sich z.B. so: „Bei den deutschen Jugendlichen scheint die Orientierung an der Zentralstellung der Familie für die eigene Lebensplanung losgelöst zu sein von irgendwelchen „materiellen„ Nutzenüberlegungen, so hat etwa die Form der „Versorgerehe„ ausgespielt. Vielmehr wird die Familie als Ressource, als emotionaler Rückhalt, als Ort der Verlässlichkeit, Treue, Häuslichkeit und Partnerschaft verstanden„. (Deutsche Shell 2000, S. 14).

3. J. Zerche, Zur Einkommensposition von Familien und daraus abzuleitende gesellschaftspolitische Konsequenzen, Grafschaft 2000, S. 146: „Auch die Daten des Mikrozensus für 1994 zeigen die finanzielle Benachteiligung von kindererziehenden Familien. So betrug in Westdeutschland der Median des monatlichen Äquivalenzeinkommens von Ehepaaren ohne Kinder 1.913,- DM gegenüber 1.481,- DM bei Ehepaaren mit Kindern. In relativen Wohlstandspositionen ausgedrückt bedeutet dies, dass Ehepaare ohne Kinder über 106 v.H., Ehepaare mit Kindern dagegen nur über 82 v.H. des Einkommens aller Privathaushalt verfügen.„

4. M. Wingen, Demographische Entwicklung und Personalplanung, Köln 1999, S. 6.

5. Gemeinnützige HERTIE-Stiftung 1999: Unternehmensziel: Familienbewusste Personalpolitik - Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, Köln 1999.

6. Jans/Habisch/Stutzer: Familienwissenschaftliche und familienpolitische Signale. Grafschaft 2000.

7. M. Wingen, Familienpolitik, Stuttgart 1997.

8. K.M. Leisinger, Unternehmensethik, München 1997, S. 120.

9. H. Bertram, Famiilenleben, Gütersloh 1997, S. 72.

10. S.J. Becker, Unternehmensziel: Familienbewusste Personalpolitik, Grafschaft 2000, S. 520.

11. Siehe auch im Internet unter http:www.beruf-und-familie.de

12. Fauth-Herkner/Münich-Wienes/Wiebrock: Konzept und Realisierung des Audits Beruf und Familie, Köln 2000, S. 249 ff.

13. S.J. Becker, a.a.O., S. 519.

14. Kosten ca. DM 20.000.


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