FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:13]


Hildegard Wester, MdB, frauen- und familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion1)
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Zukunftsaufgabe



Frau Professorin Meier hat eine ganze Reihe von Fragen und Problemen angesprochen. Die zentrale Frage, die sich für mich auch aus diesen Ausführungen ergibt, ist: Wie schaffen wir es, die Möglichkeiten zu verbessern, Familie und Beruf mit- einander zu vereinbaren? Um diese Frage zu beantworten, werde ich in meinem Vortrag die Gesetze, Schritte und Aktionen aufführen, die wir, die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, in den letzten zwei Jahren auf den Weg gebracht haben. Ich bin gespannt, was davon schon bei Ihnen angekommen ist. Und ich freue mich mit Ihnen darüber zu diskutieren und dabei auch Anregungen mitzunehmen.

Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiges Ziel der Politik der Bundesregierung. Diese Frage gehört für mich ganz persönlich zu den vordringlichsten gesellschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Jahre. Es ist der Wunsch vieler Menschen in unserem Land, Kinder und berufliche Karriere miteinander zu verbinden. Ob man sich die Ergebnisse der neuen Shell-Jugendstudie ansieht, oder ob der „Spiegel„ auf seiner Titelseite Ende Oktober die Sehnsucht nach der „Neuen„ Zweisamkeit feststellt, der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird immer und überall deutlich. Es wurde auch schon dargestellt, dass sich junge Männer und junge Frauen im Verlauf ihres Lebens häufig anders entscheiden, als dies ihren ursprünglichen Vorstellungen und Wünschen entsprach. Hier liegt die große Herausforderung für Politik und Gesellschaft, dies zu ändern.

Tatsache ist, dass in unserer modernen Arbeitswelt, die Flexibilität und hohen Einsatz verlangt, für die Menschen Partnerschaft und Kinder nach wie vor die am meisten gewünschte Lebensform ist. Gleichzeitig wollen weder Frauen noch Männer aber auf eine Befriedigung im beruflichen Bereich verzichten. Zudem ist die Frage der Vereinbarkeit auch eine Zukunftsfrage für unsere Gesellschaft insgesamt. Wir können es uns angesichts des absehbaren Arbeitskräftemangels nicht leisten, länger das Potenzial von gut ausgebildeten Frauen ungenutzt zu lassen. Damit wird die Frage der Vereinbarkeit mehr und mehr auch zu einem wirtschaftlichen Erfolgsfaktor für unser Land. Auch deshalb müssen Politik und Wirtschaft handeln.

Wie sagt man so als Frauenpolitikerin: Mir schmeckt eigentlich dieser Aspekt nicht so furchtbar gut. Denn ich denke, es sollten allgemeinpolitische, frauenpolitische Gründe sein, die uns dazu bringen, den Stellenwert von Frauen in unserer Gesellschaft anders zu bewerten. Aber wenn es denn so ist, dass wenigstens die Einsicht reift, dass die Potenziale von Frauen dringend gebraucht werden, dann soll es mir auch Recht sein, wenn von dieser Seite Druck und Hilfe kommt, die politischen Ziele umzusetzen, die wir als Frauenpolitikerinnen formulieren.

Die Frage der Vereinbarkeit ist eine Frage der Familienpolitik allgemein und damit eine Frage, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen wird und soll. Dabei ist jede Art von Bevölkerungspolitik, wie sie bei konservativen Politikern immer wieder anklingt, für mich abzulehnen. Aber denjenigen Menschen, die Kinder haben möchten, müssen wir Möglichkeiten eröffnen, wie sie ihren Kinderwunsch in unserer Gesellschaft verwirklichen können, ohne dadurch unannehmbare Nachteile zu haben. Wenn viele Frauen, die eigentlich Kinder haben möchten, sich aufgrund der äußeren Umstände

[Seite der Druckausg.:14]

dagegen entscheiden, dann muss das ein Alarmzeichen für uns sein. Und da hilft kein Gerede von „Kindern statt Indern„, sondern nur tatsächliche Verbesserungen in der Situation von Familie. Hierzu gehört auch die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und für mich ist die Lösung dieser Frage der zentrale Punkt der Familienpolitik.

Allerdings dürfen wir den Menschen auch nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Die Balance zwischen Familie und Beruf muss jeder Mann und jede Frau selber finden. Uns Politikerinnen und Politikern muss es darum gehen, die Vorraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Wahlmöglichkeiten tatsächlich vorhanden sind.

Auf diesem Weg haben die Bundesregierung und die Koalition bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen durchgesetzt und auf den Weg gebracht und wir werden noch weitere Verbesserungen durchsetzen. Klar ist aber auch, dass die Politik, zumal die Bundespolitik, nicht alles tun kann. Insbesondere bei der Kinderbetreuung sind augenblicklich noch in erster Linie Länder und Kommunen gefragt.

Und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur eine Aufgabe der Politik. Sie betrifft die gesamte Gesellschaft und die Wirtschaft, die es mit Maßnahmen wie Teilzeitarbeit, Freistellung für Eltern, flexiblen Arbeitszeiten, Unterstützung bei der Kinderbetreuung und Telearbeitsplätzen den Eltern erleichtern kann, Kinder und Beruf miteinander zu verbinden.

Eine zentrale Maßnahme ist die Reform des Erziehungsgelds und Erziehungsurlaubsgesetzes, das in Zukunft Elternzeitgesetz heißen wird. Dieses Gesetz wird zum 1. Januar 2001 in Kraft treten.

Die Novellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes gehört zu den Kernstücken der Familienpolitik in dieser Legislaturperiode. Ich möchte das hier nicht noch mal im Detail vorstellen. Ich gehe davon aus, dass sehr viele von Ihnen sich schon damit befasst haben. Aber ich möchte doch noch einmal die Kernpunkte in Erinnerung rufen, weil sie für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von zentraler Bedeutung sind.

Neben der Erhöhung der Einkommensgrenzen und der Möglichkeit der Budgetierung beim Erziehungsgeld ist das wichtigste Ziel der Neuregelung die Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten von Eltern bei der Betreuung ihrer kleinen Kinder. Dies wird erreicht durch die Erhöhung der zulässigen Teilzeitarbeit auf bis zu 30 Stunden pro Elternteil, durch den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit zwischen 15 und 30 Stunden in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten und durch die Möglichkeit, dass Vater und Mutter gleichzeitig Elternzeit nehmen können und zudem das dritte Jahr der Elternzeit bis zum 8. Geburtstag des Kindes genommen werden kann.

Besonders jungen Vätern wird durch den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit jetzt erstmals eine realistische Chance eröffnet, sich an den Erziehungsaufgaben zu beteiligen. Gleichzeitig erhalten damit auch Frauen bessere Möglichkeiten, durch eine Teilzeitbeschäftigung den Kontakt zum Beruf auch während des Erziehungsurlaubs aufrecht zu erhalten. Wir alle wissen, dass der Wiedereinstieg von Frauen in den Beruf ein großes Problem ist.

Mit der Reform leiten wir die Abkehr vom Leitbild des noch geltenden Erziehungsgeldgesetzes ein, das immer noch von der traditionellen Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern mit Zuweisung der Kinderbetreuung an Mütter und der Ernährerrolle an Väter ausgeht und diese auch gefördert hat. Und damit machen wir ernst mit der Wahlfreiheit der Eltern bei der Gestaltung der Aufgabenverteilung in ihrer Familie.

Sicher hätten wir uns noch weitere Verbesserungen gewünscht. Aber ich bin trotz allem sicher, dass das ein erster Schritt in die richtige Richtung ist. Nämlich in die Richtung, die tatsächlichen Wahlmöglichkeiten zu erweitern und in den Geschlechterrollen flexibler zu sein.

Neben der direkten Verbesserung für Eltern mit jungen Kindern hat die Reform des Bundeserziehungsgesetzes auch eine wichtige Vorreiterrolle im Hinblick auf das Teilzeitgesetz, das wir im November durch den Bundestag gebracht und dort verabschiedet haben. Zusammen mit der Fortschreibung der Möglichkeiten für befristete Arbeitsverträge soll für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten ein Recht auf Teilzeit eingeführt werden.

Wir wollen Teilzeit natürlich nicht gesetzlich verordnen. Das wäre der falsche Weg. Ziel des Geset-

[Seite der Druckausg.:15]

zes ist es, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber zunächst versuchen, eine einvernehmliche Regelung zu finden. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich ein Arbeitgeber mit den Teilzeitwünschen seiner Mitarbeiter beschäftigt. Oftmals ist dies aber leider nicht der Fall. Deshalb brauchen wir die Unterstützung der Teilzeitarbeit durch ein Gesetz.


Es wird bestimmte Voraussetzungen geben, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfüllen müssen, um ein Recht auf Teilzeit zu haben: Der oder die Beschäftigte muss seit mehr als 6 Monaten im Betrieb arbeiten und die Absicht, die Arbeitszeit zu reduzieren, mindestens drei Monate vorher ankündigen. Der Anspruch kann nur abgelehnt werden, wenn betriebliche Gründe dem entgegenstehen. Wollen die Teilzeitbeschäftigten zu ihrer früheren Arbeitszeit zurückkehren, sollen sie bei gleicher Eignung Vorrang gegenüber anderen Bewerbern für die Besetzung von Stellen haben. Denn es darf nicht passieren, dass das Gesetz zu einer „Teilzeitfalle„ wird, dass Menschen, die sich in einer bestimmten Situation für Teilzeit entscheiden, keine Möglichkeit mehr haben, wieder Vollzeit zu arbeiten.

Frauen werden sicher besonders von der vorgesehenen Regelung profitieren, denn es sind ja vorwiegende Frauen, die Teilzeitarbeit leisten oder leisten wollen. Aber ähnlich wie bei der Elternzeit wird es auch Männern helfen, ihre Wünsche nach Reduzierung der Arbeitszeit gegenüber dem Arbeitgeber leichter durchzusetzen.

Die Argumente für und wider das jetzt angestrebte Teilzeitgesetz ähneln der Diskussion um die Reform des Erziehungsgeldgesetzes. Viele Betriebe, so zum Beispiel auch in meinem Wahlkreis in Mönchengladbach, machen Stimmung gegen das Gesetz mit dem Argument, dass Jobs für Frauen in Gefahr seien. Junge Frauen würden nicht mehr eingestellt, weil sie wegen Mutterschaft irgendwann Teilzeit fordern könnten.

Ich finde diese Aussage unerträglich. Hier wird, ähnlich wie bei früheren Diskussionen um den Erziehungsurlaub, versucht, mit der Angst von Frauen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, Stimmung gegen ein sinnvolles Gesetz zu machen. Man kann also deswegen nur hoffen, dass möglichst viele Väter die Möglichkeit nutzen, Teilzeit zu arbeiten, damit endlich auch die Unternehmen erkennen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz genauso ein Thema für Väter ist und dass dies vor allem ein wichtiges Thema für die gesamte Gesellschaft ist. Wenn mehr Männer Teilzeit arbeiten würden, dann würde die angebliche Gefahr, den Arbeitsplatz wegen des Anspruchs auf Teilzeitarbeit zu verlieren, sich auch auf Männer erstrecken und wäre dann kein Frauenproblem mehr. Aber ich weiß, dass das Zukunftsmusik ist. So weit sind wir noch nicht, aber ich denke, wir arbeiten an diesem Ziel.

Viele Unternehmen haben die Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch schon erkannt. Sie haben erkannt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihren Wunsch, Beruf und Familie zu verbinden, erfüllen können, motivierter und zufriedener sind. Und dies nützt letzten Endes auch den Unternehmen.

Um die positiven Initiativen von Betrieben für familienfreundliche Arbeitsplätze zu unterstützen und bekannt zu machen, hat die Bundesfamilienministerin Bergmann deshalb den bundeswei-
ten Wettbewerb „Der familienfreundliche Betrieb 2000„ ausgeschrieben. Zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Müller sind auch in diesem Jahr wieder fünf Unternehmen und eine Institution ausgezeichnet worden. Hierbei wurden Betriebe ausgezeichnet, die vor allem Väter bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen. So kann die Politik Initiativen in der Privatwirtschaft fördern.

[Seite der Druckausg.:16]

Staatliche Regelungen kann ein solcher Preis aber sicher nicht ersetzen. Deshalb brauchen wir auch das Teilzeitgesetz. Mit dem Teilzeitgesetz wird die schon bestehende Richtlinie der EU zum Abbau der Benachteiligung von Teilzeitarbeit umgesetzt. Und natürlich hoffen wir auch, dass durch dieses Gesetz viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nicht umsonst ist die bestehende Regelung in den Niederlanden ein Vorbild für unser Teilzeitgesetz. Denn nicht zuletzt die hohe Teilzeitquote von 38,7% in den Niederlanden im Vergleich zu 18,5% in Deutschland, hat zu einem deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit dort beigetragen. Das könnte für uns unter Umständen ein Beispiel sein.

Und an dieser Stelle möchte ich auch den Blick darauf lenken, dass es keine isolierte Politik für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben kann. Deshalb betreiben wir auch eine integrierte Politik: Familienpolitik, Sozialpolitik, Steuerpolitik und Wirtschaftpolitik müssen ineinander greifen.

Denn was nützt es zum Beispiel, dass wir beim Bundeserziehungsgeldgesetz die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit verbessern, wenn Vater oder Mutter gar keine Arbeit haben? Was nützt der beste Teilzeitjob, wenn wegen hoher Steuern und niedrigem Kindergeld das Einkommen einfach zu gering ist, und die Eltern voll arbeiten müssen, obwohl sie lieber mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen würden?

Deshalb sind auch die Erhöhung des Kindergelds und der steuerlichen Freibeträge, die Steuerreform mit ihrer besonderen Entlastungswirkung für die Familien, der Abbau der Arbeitslosigkeit und die Erhöhung der Ausgaben für das Wohngeld um 1,4 Mrd. DM - um nur einige Bespiele zu nennen - bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtige politische Erfolge, und die müssen natürlich noch ausgebaut werden. Denn hierdurch wird auch der finanzielle Spielraum von Familien erweitert, die für sie passende Balance zwischen Familie und Erwerbsarbeit zu finden. Und durch die nächste Stufe des Familienleistungsausgleichs werden Familien noch weiter profitieren.

Diese grundsätzlichen sozialpolitischen Themen berühren eben auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier liegt oftmals, dieser kleine Exkurs sei erlaubt, auch ein Manko in der öffentlichen Debatte. Schaut man sich zum Beispiel den am Anfang erwähnten Artikel im Spiegel über „Die neue Zweisamkeit„ an, so fällt auf, dass es hier fast ausschließlich um wohlsituierte, akademisch gebildete Paare ging. Für solche Menschen ist es schon allein aufgrund ihrer besseren finanziellen Situation einfacher, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Dies verstellt manchmal leider den Blick auf Alleinerziehende oder gering verdienende Ehepaare, die Arbeit und Familie nicht nur mit einander verbinden wollen sondern verbinden müssen.

Aus diesen Gründen ist auch die finanzielle Unterstützung von Familien bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge und vor allem die bessere Förderung von Kindererziehungszeiten in der geplanten Rentenreform eine wichtige Verbesserung für Frauen und Familien. Denn der vorliegende Entwurf berücksichtigt die oft spezielle Erwerbssituation von Frauen und schafft für die Rente einen Ausgleich für verminderte Erwerbsarbeit aufgrund von Kindererziehung. Die eigenständige Alterssicherung von Frauen wird insbesondere durch die kindbezogene Höherbewertung von Beitragszeiten deutlich verbessert.

Da Frauen wegen der Kindererziehung oft nur Teilzeit arbeiten oder nur geringer entlohnte Arbeiten annehmen können, werden ihre Rentenansprüche, die sie in den ersten zehn Lebensjahren des Kindes erwerben, nach den Grundsätzen der Rente nach Mindesteinkommen aufgewertet. Dazu werden die individuellen Entgelte um maximal 50 Prozent bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens aufgestockt. Und dies ist unabhängig davon, ob die Frauen einen Teilzeit- oder einen Vollzeitarbeitsplatz haben. Und das Ganze gilt, auch wenn in der Realität ja leider immer noch selten, natürlich genauso für Männer, wenn sie die Kinder erziehen oder für die Kinder Arbeitszeit reduzieren oder unterdurchschnittlich verdient haben.

Oftmals sind es ja auch ganz reale wirtschaftliche Gründe, die Eltern gar keine Wahl lassen, bei der Frage, wer Erziehungsurlaub nehmen soll, oder wer seine Arbeit reduzieren kann. Solange Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als ihre Partner, wird dies in den meisten Fällen dazu führen, dass die Frau sich der Kindererziehung widmet, also ihre Arbeitszeit reduziert oder ganz aus dem Beruf ausscheidet und dass der Mann die Ernährerrolle übernimmt. Untersuchungen zeigen, dass bei Männern mit Kindern die Anzahl der Vollzeiterwerbstätigen und die Zahl der Überstunden am

[Seite der Druckausg.:17]

höchsten ist. Also gerade in einer Lebensphase, wo man annehmen würde, dass mehr Zeit für die Familie gebraucht wird, ist die Ernährerrolle anscheinend so dominierend, dass sie sich auch auf die zeitliche Aufwendung für den Beruf auswirkt. Und was dies für die Möglichkeiten von Frauen bedeutet, flexibel Familie und Beruf zu verbinden, das kann sich jede und jeder hier vorstellen.

Vor diesem Hintergrund ist auch das geplante Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Anfang September hat Familienministerin Bergmann die Eckpunkte für dieses Gesetz vorgestellt. Das Gesetz wird Unternehmen verpflichten, Maßnahmen zur Gleichstellung zu ergreifen. Dabei wird das Gesetz zwei Stufen haben: Im Gesetz werden Mindeststandards festgelegt. Zunächst wird den Unternehmen, das heißt den Betriebs- und Tarifpartnern, Raum gelassen, diese durch Vereinbarungen zu erfüllen. Dabei haben sie große Gestaltungsfreiheit und jedes Unternehmen und jede Branche hat so die Chance, passende Maßnahmen zu verwirklichen.

Wenn die Unternehmen die Frist für unabhängige gleichstellungspolitische Maßnahmen im Rahmen der Vorgaben nicht nutzen, dann werden für diese Unternehmen die im Gesetz festgeschriebenen Anforderungen für eine Gleichstellungspolitik gelten. Diese Anforderungen sind enger gefasst als die Mindeststandards für selbständige Vereinbarungen.

Die selbständigen, autonomen Vereinbarungen müssen konkrete und nachprüfbare Regelungen zu Kernbereichen betrieblicher Gleichstellung enthalten. Dazu gehören u.a. Zielvereinbarungen zur Erhöhung der Frauenanteile in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, also vor allen Dingen in den höheren Etagen von Unternehmen, die Aufnahme des Gender-Mainstreaming-Prinzips, Vorschläge zur betrieblichen Umsetzung des Lohngleichstellungsgebotes, und konkrete Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitplatz.

Darüber hinaus müssen die Unternehmen weitere Maßnahmen - je nach Größe in der Anzahl unterschiedlich - zu den Bereichen „Gleichstellung von Frauen und Männern„ und „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit„ einleiten und in die Vereinbarungen aufnehmen. Durch die Auswahlmöglichkeiten in diesen Bereichen wird sichergestellt, dass gerade auch kleine und mittlere Betriebe unternehmens- und branchenspezifische Maßnahmen vereinbaren können.

Beispiele für Maßnahmen im Bereich „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit„ sind familiengerechte Arbeitszeiten, z.B. Möglichkeiten der flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit, Angebote zur Teilzeit auch für Führungspersonen, und Telearbeit; die Bereitstellung betrieblich organisierter oder finanzierter Kinderbetreuung und Qualifizierungsangebote während der Unterbrechung der Erwerbsarbeit. Es gibt noch vieles mehr, aber dies sind die drei Beispiele, die ich hier nennen wollte.

Der Stand der betrieblichen Gleichstellung soll unbürokratisch durch ein Gleichstellungs-Audit festgestellt werden. Dieses Audit soll auch als Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge dienen. Durch das geplante Gleichstellungsgesetz wird demnach einmal die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Betriebe ganz konkret gefördert werden. Zum anderen wird es aber auf Dauer auch dazu führen, dass mehr und besser ausgebildete Frauen in besser bezahlten Positionen arbeiten können und werden.

Das Beispiel USA macht hier Mut. Hier werden schon seit langer Zeit öffentliche Aufträge an die Förderung von Minderheiten und Frauen gebunden. Und der Anteil von Frauen im Management - nämlich 46% im Vergleich zu 11% in Deutschland - ist viel höher. Und je mehr Frauen eine erfolgreiche Berufslaufbahn haben, je geringer der Abstand zum Lohn des Mannes wird, desto seltener werden es die Frauen sein, die wegen der Kindererziehung auf ihren Beruf verzichten und desto mehr Männer werden bereit sein, ihren Teil zur Familienarbeit zu leisten.

Aber, und hier komme ich zu einem zentralen gesellschaftlichen Punkt, den die Politik alleine kaum ändern kann: die Frage der Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft. Von der Starrheit der Verhaltensebene haben wir eben gehört, die Einsicht ist weit verbreitet. Und so muss Politik zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch immer „Männerpolitik„ sein. Die überkommenen Rollenbilder machen es den wenigen „neuen Männern„ schwer, sich zur partnerschaftlichen Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu bekennen. Gerade auch bei den Vorgesetzten und den Kollegen herrscht oft Unverständnis gegenüber solchen Wünschen. Da-

[Seite der Druckausg.:18]

bei können Männer in der Familienarbeit zusätzliche soziale Kompetenzen erwerben, die auch in der beruflichen Karriere von Nutzen sein können. Und viele Männer wollen sich ja auch stärker an der Familienarbeit beteiligen, das zeigen zumindest alle Untersuchungen. Dieser Wille ist gerade bei jüngeren Männern vorhanden; also haben wir noch Hoffnung.

Doch in dem Moment, wo die Geburt eines Kindes ansteht, nehmen Frauen und Männer meist ein traditionelles Rollenverhalten an: Die Männer sehen sich als Ernährer der Familie, die Frauen widmen sich verstärkt der Haus- und Familienarbeit. Und vielleicht sind hier neben den Männern auch die Frauen gefragt. Wir müssen unseren Männern auch mehr zumuten. Wir müssen ihnen vor allen Dingen auch mehr abverlangen und dann auch selber die Konflikte, die daraus entstehen können, durchstehen.

Im Hinblick auf das Rollenverhalten der Männer kann die Politik nur versuchen in die Gesellschaft hineinzuwirken. Dies wollen wir tun. Die Bundesregierung plant deshalb eine Werbekampagne für ein neues Männerbild. Vorgestellt werden neue Männer und neue Väter, die sich partnerschaftlich an Familienarbeit und Kindererziehung beteiligen; Maßnahmen, die das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit„ in die Weiterbildung von männlichen Führungskräften integrieren; und eine Infothek für Messen, Kongresse, Ausstellungen, die Auskunft gibt über Best-practice Modelle und Strategien, die zu einer familienfreundlichen Arbeitswelt führen.

Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der bei der Frage von Vereinbarkeit von Fa-

milie und Beruf eine zentrale Rolle spielt und zu Recht immer wieder angesprochen wird: die Betreuungssituation von Kindern, und hier natürlich vor allen Dingen von Kindern unter drei Jahren und Kindern über sechs Jahren. Ohne eine Lösung dieses Problems ist vieles von dem in Frage gestellt, was ich gerade gesagt habe. Viele der Gesetze und Maßnahmen können nur richtig wirken, wenn diese Frage zufriedenstellend gelöst ist. Es ist hierbei ein wesentliches Problem, dass wir durch die gesetzliche und grundgesetzliche Aufgabenverteilung die Situation haben, dass die Länder und Kommunen für diese Bereiche zuständig sind. Im Augenblick versuchen wir über die Bildung von Arbeitsgemeinschaften von Bund und Ländern, über Gesprächskreise und Appelle, dieses wichtige Problem zu thematisieren. Aber wir haben noch keine Lösungsansätze.

Und dies ist dann auch ein kleiner Ausblick auf das nächste und übernächste Jahr. Wenn wir das Gleichstellungsgesetz im kommenden Jahr abgearbeitet haben, dann wird es mit Sicherheit ein Schwerpunkt unserer Familien- und Frauenpolitik sein, Lösungen dafür zu suchen, wie es auch bei der gegebenen Aufgabenverteilung des Grundgesetzes möglich sein kann, dass der Bund deutlichere Impulse geben kann, damit bei der Betreuungssituation wirklich Abhilfe geschaffen werden kann.

Anmerkung

1) Hildegard Wester, MdB, ist seit Januar 2001 stellv. Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Familie, Senioren, Frauen, Gesundheit und Petitionen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

Previous Page TOC Next Page