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TEILDOKUMENT:





Wolf Brühan,
Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Erziehung

Das Familienentlastungsgesetz: Ein Schritt in die richtige
Richtung - eine Weiterentwicklung von Leistungen für die
Familie ist jedoch erforderlich


[Seite der Druckausg.: 15 ]

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Das Foto von Seite 15 der Druckausgabe kann leider
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Der Bundesverband Neue Erziehung (BNE) und der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) haben sich kritisch mit den Vorstellungen der Bundesregierung zur Regelung des Familienlastenausgleichs auseinander gesetzt.

Wir begrüßen den eingeschlagenen Weg, fordern aber dennoch dazu auf, konsequent den von der SPD-Bundestagsfraktion angekündigten Systemwechsel hin zu einem einheitlichen Kindergeld umzusetzen.

Der Koalition muß angerechnet werden, dass sie mit ihrer konsequenten Politik die Erhöhung des Kindergeldes von Mark 200 auf Mark 220, dann auf Mark 250 durchgesetzt hat. Sie bleibt dennoch aufgefordert, Wege zu suchen, um die Freibeträge mit ihren steuerlichen Ungerechtigkeiten obsolet zu machen.

Wichtig bleibt, dass die öffentliche Diskussion die Elemente einer umfassenden und gerechten Kinderförderung nicht aus dem Auge verliert. Hierzu gehört, sorgfältig abzugrenzen zwischen familienbedingten Steuerrückerstattungen, der Freistellung des steuerlichen Existenzminimums und der erst dann zum Zuge kommenden Familienförderung. Auch müssen in diesem Zusammenhang Ungerechtigkeiten bei der Anrechnung des Kindergeldes bei Sozialhilfeempfängern und bei Alleinerziehenden beseitigt werden.

Die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Familien, zu denen ohne Zweifel aber auch der Abbau von Arbeitslosigkeit und die Sicherung bezahlbaren Wohnraumes gehört, darf beim Familienlastenausgleich allein nicht stehen bleiben. Nach wie vor gilt es, wichtige Leistungen für Familien durch Kindergärten, Freizeiteinrichtungen, Schule und Elternbildung ebenso als Familienpolitik anzuerkennen. Streichungen in diesem Sektor haben möglicherweise größere existenzielle Auswirkungen auf Familien als rein monetäre Leistungen.

Wir wollen festhalten an einer kinder- und familienfreundlichen Gesellschaft, die letztlich jedem Kind einen Anspruch auf sein sozio-ökonomisches Existenzminimum sichert. Eine offensive Familienpolitik, die tragfähig werden soll, muß zusätzliche Instrumente der finanziellen und ideellen Unterstützung entwickeln. Hier soll nur noch einmal schlaglichtartig darauf hingewiesen werden, dass die Diskussion

  • um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • um den Erhalt von Elterngeld und Elternurlaub und
  • um den Abbau der Benachteiligung der Geschlechter

wichtige Bestandteile der Familienpolitik bleiben müssen.

Insofern sollte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes auch nicht ausschließlich als ein steuerliches Urteil angesehen werden, sondern es könnte vom Bundesverfassungsgericht auch als ein energischer Fingerzeig nach Vorlage einer umfassenden familienpolitischen Konzeption sein.

[Seite der Druckausg.: 16 ]


[Karikatur "Familien-Förderung" / von Traute Pannier]



Die Kernfrage unserer Gesellschaft heißt: „Wie privat sind Kinder in unserer Gesellschaft?"

Ich habe hierzu zehn Thesen entwickelt:

  • Familien und Lebensgemeinschaften mit Kindern drohen an den Rand der Gesellschaft zu gelangen. Schon heute zahlen 1/6 der Familien in den alten und 1/4 der Familien in den neuen Bundesländern keine Steuern mehr. Dies macht das Verarmungsrisiko und die Randständigkeit von Familien deutlich.
  • Familiengründungen, mit und ohne Trauschein und Kinderwünsche, sind aufgrund ökonomischer, sozialer und wohnungsmäßiger Gründe kaum mehr zu realisieren. Insbesondere junge Familien sind immer weniger in der Lage, ihre Kinderwünsche umzusetzen.
  • Hieraus folgt zwingend, dass den Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes in seinen Urteilen aus den Jahren 1991, 1992 und 1998 Rechnung getragen werden muß. Das Existenzminimum darf nicht besteuert werden. Für die familienpolitische Diskussion ist jedoch ebenso relevant, Familien eine Grundsicherung in Höhe des Existenzminimums zu garantieren.
  • Eine offensive Familienpolitik, die auf Dauer angelegt ist, muß zusätzliche Instrumente der finanziellen und ideellen Unterstützung entwickeln.
  • Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muß bei allen arbeitsrechtlichen, tarifrechtlichen und finanziellen Entscheidungen Berücksichtigung finden.
  • Es ist in allen familienpolitischen Entscheidungen darauf zu achten, dass Benachteiligungen der Geschlechter vermieden werden. Die Verwirklichung der Chancengleichheit muß ggf. auch durch gezielte Förderprogramme entwickelt werden.
  • Die Einführung von Zeitbudgetkonten bei Mutterschafts- und Erziehungsurlaub ermöglicht für Familien eine größere Entscheidungsfreiheit in der Gestaltung des realen Familienalltags. Flexible Lösungen sind notwendig, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. - In diesem Sinne wird Familienpolitik auch auf Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik einwirken können und müssen.

[Seite der Druckausg.: 17 ]

  • Ein ausreichendes und differenziertes Angebot an Tageseinrichtungen für Kinder ist weiterhin unabdingbar, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Kindergärten, Kinderhorte, Spielgruppen und andere Einrichtungen sind weiterhin vorzusehen. - Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz muß verbindlich festgelegt werden. Dies entspricht auch dem Bildungs- und Erziehungsanspruch von Kindern.
  • Angebote für Eltern zur Bewältigung des Familienalltags sind über die Eltern- und Familienbildung zu schaffen. Dieser Bereich wird in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft als Orientierungshilfe unabdingbar. Gewalt in Familien, Verwahrlosungstendenzen etc. sind nur dann wirksam zu verhindern, wenn ausreichende Angebote der Eltern- und Familienarbeit zur Verfügung stehen.
  • Dringend notwendig ist ein neues und konkurrenzloses Verständnis von Familien-, Frauen-, Jugend- und Kleinkinderpolitik, das sich bewusst als Querschnittsaufgabe mit Forderungscharakter in die Politikbereiche Soziales, Wirtschaft und Arbeitsmarkt einbringt.

Der Bundesverband Neue Erziehung und der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt haben vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes die nachfolgende gemeinsame Stellungnahme verabschiedet:

Politik für Familien

Eckpunkte zum Familienentlastungsgesetz

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 10.11.1998 zur Besteuerung von Familien mit Kindern war und ist ein wichtiger Beitrag zur familiengerechten sozialstaatlichen Ordnung. Die Vorgaben des Gerichts sind weitgehend und bürden die politische und finanzielle Last, endlich Gerechtigkeit herzustellen, der rot-grünen Koalitionsregierung auf.

AWO und BNE stellen in ihrer ausführlichen Stellungnahme zum Familienentlastungsgesetz die Kinder in den Mittelpunkt: Jedes Kind muß dem Staat gleich viel Wert sein, unbeschadet seiner sozialen Herkunft.

Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Kombination von Kindergeld und Freibetrag ist in Anbetracht der geringen finanziellen und rechtlichen Spielräume ein realistischer Weg zur Erfüllung der Karlsruher Urteile. Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt fordert jedoch, den Anteil des Kindergeldes bei der Familienentlastung zu erhöhen, so dass die finanzielle Entlastung auch für untere Einkommen spürbar wird.

Kinder aufzuziehen, ist mit finanziellem und persönlichem Aufwand verbunden. Finanziell sind die Arbeitseinkommen der Familien durch hohe Sozialabgaben und Steuern belastet. Neben der finanziellen Benachteiligung haben Eltern mit Kindern erhebliche Aufwendungen für Betreuung und Erziehung zu tragen, die von großer gesellschaftlicher Bedeutung sind, aber bisher nicht ausreichend gewürdigt werden.

Die Pläne der Bundesregierung zur Erfüllung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gehen zwar in die richtige Richtung, sind aber nach Ansicht von AWO und BNE keine Antwort auf die von Karlsruhe gestellte Aufgabe. Sie sind eher die rein finanzwirtschaftlich dominierte, technische Erfüllung des Urteils statt einer gesellschaftlichen Reform des Familienlastenausgleichs. Dies ist in Zeiten knapper Kassen verständlich, macht aber auch deutlich, dass es noch ein weiter Weg bis zu einem gerechten Familienlastenausgleich ist.

Im Durchschnitt wird für das Existenzminimum, für die Betreuungsleistungen und für den Erziehungsbedarf eines Kindes eine Summe von rd. 1.550 Mark benötigt. Dies würde einer Förderung von fast 800 Mark monatlich entsprechen. Heute wird weder das Existenzminimum von Kindern freigestellt, noch wird es durch Transferleistungen garantiert. In der politischen Debatte dürfen die Verwirklichung der Steuergerechtigkeit und die Familienförderung nicht verwischt werden.

Gerade die hohe Zahl in Armut aufwachsender Kinder macht eine Entlastung von Familien im unteren Einkommensbereich dringend erforderlich. Kinder dürfen nicht weiter zum Armutsrisiko werden.

In ihrem Grundsatzpapier nehmen die Bundesverbände Arbeiterwohlfahrt und Neue Erziehung konkret Stellung zu den offenen Alternativen, d.h. den

[Seite der Druckausg.: 18 ]

familienpolitischen Maßnahmen gemäß der Verfassungsrechtsprechung, wie:

  • Kinderfreibetragsregelung
  • Kindergrundfreibetrag
  • Kindergeldregelungen und
  • Kombination von Freibetrag und Kindergeld

Beiden Verbänden scheint die von der Bundesregierung vorgeschlagene Kombination von Kindergeld und Freibetrag in Anbetracht der geringen finanziellen Spielräume ein realistischer Weg zur Erfüllung der Verfassungsgerichtsvorgaben zu sein.

Der Vorschlag der Bundesregierung sieht einen Freibetrag von 3000 Mark und eine Erhöhung des Kindergeldes von 20 Mark für das erste und zweite Kind in der ersten Stufe vor. Die AWO fordert, den Anteil des Kindergeldes bei der Familienentlastung zu erhöhen, um auf ein Kindergeld von 300 Mark zu kommen. Die Entlastung muß spürbar sein, um als Familienentlastung registriert zu werden.

Die Erhöhung der Freibeträge darf über die Rentenformel nicht zu einer zusätzlichen Erhöhung der Renten führen. Dies würde nämlich einen Anstieg der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung bedeuten mit der Folge, dass die unteren Familien-einkommen zusätzlich belastet, statt entlastet würden.

Kinder und Sozialhilfe

Alle diskutierten Lösungen haben eine Gemeinsamkeit: Es werden durch diese Regelung Kinderbetreuung und -erziehung von Familien, die von der Sozialhilfe leben, nicht berücksichtigt. Die Kindergelderhöhung wird voll auf die Sozialhilfe angerechnet. Damit bleibt der für die Kinder zur Verfügung stehende Betrag gleich. Das ist nicht vertretbar.

Finanzierung

Zur Finanzierung des Familienlastenausgleiches schlagen die Verbände u.a. eine Reform des Ehegattensplittings vor, die nicht als Umverteilungsmaßnahme denunziert werden sollte, sondern für mehr familienpolitische Gerechtigkeit steht. Das geltende Splittingsystem sollte durch ein Realsplitting ersetzt werden. Dies würde nach Berechnungen beider Verbände einen Finanzierungsbeitrag von rund 6. Mrd. Mark ausmachen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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